Vermilion von KumaChan ================================================================================ Kapitel 10: Ein neuer Name -------------------------- Ein neuer Name „Das ist ungeheuerlich! Ein Mischling befindet sich in der Nähe der Königsfamilie!“, hörte ich einige Diener vor vorgehaltener Hand tuscheln während ich das Schloss durchstreifte. Es war gerade mal ein Tag seit dem Ereignis im Wald vergangen. Mit meinem Vater redete ich noch immer kein Wort. Nachdem ich Kibo in der Obhut von Kunan gelassen hatte, frühstückte ich mit Shirai und machte mich gleich darauf auf den Weg um meine Umgebung genauer zu betrachten. Ich befand mich in einem gigantischen Schloss, dessen weißer Marmor immer zu strahlen schien. Die Gemäuer mussten Uralt sein, doch waren die Zeichen der Zeit nicht zu sehen. Es sah so aus, als wäre das Schloss erst kurz zuvor gebaut worden. Ich folgte gerade einen langen, großen Flur, der von einem Turm in den nächsten führte, als sich neben mir etwas bewegte. Es war nur eine kleine weiße Taube, die an einem der riesigen abgerundeten Fenster vorbei flog. Die Aussicht, die ich genoss, war atemberaubend. Ich befand mich in mehreren hundert Meter Höhe und war noch nicht mal auf der Spitze des Schlosses. In den Fenstern befanden sich keine Glasscheiben und dort oben wehte ein kalter, aber irgendwie angenehmer Wind. Auf der westlichen Seite konnte ich einen riesigen Wald sehen, der sich so weit das Auge blickte erstreckte. Ganz weit am Horizont konnte ich die schemenhaften Umrisse von Bergen erkennen. Auf der gegenüberliegenden Seite hatte ich einen fantastischen Überblick über die Stadt Manjaru. Prächtige helle Gebäude schossen in die Höhe. Es gab viele Kirchen und Kathedralen, so wie eine gigantische Magierschule. Alles war hell und freundlich, man konnte kaum glauben, dass hier Krieg herrschen sollte. Hinter der Stadt fing erneut ein Wald an. Einige einsame Hügel ragten aus ihm hinaus. Und so klein, dass man es kaum sah, gab es in der Ferne ein paar kleine Dörfer. Der frische Wind, der klare Himmel und sie Strahlende Sonne beflügelten meine Abenteuerlust. Ich war voller Tatendrang und flitze los um noch so viel, wie möglich zu entdecken, bevor es losging. Es sollte etwas fantastisches an diesem Tag stattfinden, hatte mir Shirai beim Frühstück erzählt. Ich würde endlich meinen wahren Namen bekommen. Was es genau damit auf sich hatte, wusste ich zwar nicht, aber es klang unheimlich spannend. Während ich mir noch überlegte, wie wohl mein richtiger Name lautete, hatte ich mich wieder einmal verlaufen und stand plötzlich vor dem großen Eingangstor. Es war, als wäre ich ins Mittelalter zurück versetzt worden. Es gab nichts Elektrisches, oder irgendetwas, was auf die moderne Zeit erinnerte. Selbst die Wachen trugen Schwerter, statt Pistolen und auf den grob gepflasterten Straßen führen Kutschen, statt Autos. Dies war wirklich eine vollkommen neue Welt für mich. Ich streifte mir die Kapuze meines neuen weißen Umhangs über und verbarg mein Gesicht. Als ich schwerverletzt von meinem Vater ins Schloss gebracht worden war, hatten mich viele Menschen gesehen und jedes Mal, wenn mich irgendjemand erkannte verneigte er sich ehrfürchtig und nuschelte „Eure Majestät“ oder „Ehrwürdige Prinzessin“. Ich wollte dieses ganze Gefasel nicht hören und lieber unerkannt die Stadt auskundschaften. Wie im Mittelalter gab es einen großen Marktplatz auf dem die Verkäufer lautstark ihre Waren anpriesen. In der großen Menschenmenge fiel ich nicht auf und mein Herz raste vor Aufregung. Ich musste unbedingt noch einmal mit Vermilion hierher kommen! Ein Stand hatte es mir besonders angetan. Auf einem einfachen Holztisch in einem winzigen offenen Leinentuchzelt lagen ordentlich nebeneinander die unterschiedlichsten Schmuckstücke. Sie waren wunderschön verziert und mit verschiedenen Runen und Symbolen beschmückt. Keines der Schmuckstücke wirkte protzig, sondern jedes einzelne schien auf seine Weise edel und geheimnisvoll zu sein. „Chrm, chrm.“, räusperte sich eine helle Stimme neben mir. Gedankenverloren blickte ich auf und schaute direkt in ein wunderschönes Gesicht. „Gefallen dir meine Schmuckstücke, junge Dame?“, fragte die wunderschöne Verkäuferin. Sie hatte blonde dichte Locken, die ihr sanft bis zur Hüfte fielen. Ihr hellrotes Kleid betonte perfekt ihre frauliche Figur. Neben ihr kam ich mir wie ein Kleinkind vor. „Ja, sie sind sehr schön!“, antwortete ich verlegen. Die Verkäuferin kicherte. „Du bist ja eine richtige Kennerin! Diese Schmuckstücke haben alle eine besondere Geschichte. Findest du eines besonders Interessant?“, fragte sie mit glockenheller Stimme. Ich ließ noch einmal den Blick über die Schmuckstücke wandern und blieb an einem fein gearbeiteten silberschwarzen Ring hängen. Die Art, wie er verarbeitet worden war und die vielen verschnörkelten Muster erinnerten mich an das Medaillon, das ich von Vermilions Großmutter geschenkt bekommen hatte und das ich immerzu bei mir trug. Ich zeigte auf den Ring. „Was ist mit dem da? Ist das ein dämonischer Ring?“, fragte ich leise, damit nicht unbedingt jeder Passant, der vorbei lief mich hörte. Die Augen der Verkäuferin blitzen auf, wandelten sich dann aber wieder zu einem freundlichen Lächeln. „In der Tat, junge Dame. Du hast einen scharfen Blick.“ Sie nahm den Ring in die Hand. „Dieser Ring hat eine sehr traurige Geschichte. Er wurde einer Dämonenfrau abgenommen, die ihr Junges beschützen wollte. Es war ein Mischling, weißt du.“ Ich schluckte. Das kam mir irgendwie bekannt vor. Die Verkäuferin nahm meine Reaktion wohl falsch auf, denn sie lachte beschwichtigend. „Keine Sorge, Kleine! Soweit ich weiß hat man den Mischling auch getötet, aber das weiß niemand so genau. Nun, jedenfalls soll dieser Ring von dem Vater des Mischlings angefertigt worden sein, mit Hilfe des Bruders der Mutter oder so. Das weiß man nicht so genau, aber viele sagen, dass der Vater eine verbotene Magie in den Ring versiegelt hätte und dass sich je nach Herz des Trägers die Farbe des Steines ändert.“ Sie zeigte demonstrativ auf den hübschen runden schwarzen Stein, der in den Ring eingearbeitet war und steckte sich den Ring auf. „Das ist allerdings völliger Quatsch, denn so viele Leute haben ihn aufgesetzt und er bleibt schwarz!, seufzte sie. Und tatsächlich änderte sich die Farbe des Steines nicht. Die Verkäuferin nahm den Ring wieder von ihrem Finger und hielt ihn mir vor die Nase. „Na, bist du interessiert?“, fragte sie lächelnd. Ich schaute den Ring an und dann die Verkäuferin. Sicher glaubte sie, dass sie einem Kind alten Schrott für viel Geld andrehen würde, doch dieser Ring hatte einen besonderen Wert für mich. Ich wusste einfach, dass es der Ring von Kibos Mutter gewesen ist. Ich nickte verlegen. „W- Wie viel kostet er denn?“, fragte ich schüchtern um ein wenig kindlicher zu wirken. Die Frau beugte sich lächelnd zu mir hinunter und tätschelte meine Kapuze, die sie mir dann wie zufällig von Kopf streifte. Ich sah kein Erkennen in ihren Augen und atmete innerlich auf, wobei ich sie äußerlich nur fragend anschaute. Die Verkäuferin schien einen kurzen Augenblick enttäuscht zu sein, fing sich aber wieder schnell. „Eigentlich kostet dieses seltene Stück 6000G, aber weil du noch so jung bist und so nett gebe ich ihn dir für 3000! Na, ist das kein Angebot?“, fragte sie mich lächelnd. „Das ist aber trotzdem noch ziemlich teuer.“, antwortete ich kleinlaut und lächelte Schüchtern. Und das war es in der Tat! Shirai hatte mir erklärt, dass das Geld in dieser Welt etwa den gleichen Wert wie in der normalen Welt hatte. Um Geld musste ich mir als Mitglied des Königshauses eigentlich keine Sorgen machen, aber ich war schon immer ein sehr sparsamer Mensch und wenn ich mit Geld um mich warf, wäre das auch ziemlich auffällig gewesen. Die Verkäuferin seufzte. „Nun, viele Leute haben sich den Ring angeschaut, aber keiner wollte ihn kaufen. Wie wäre es mit 1000G? Das ist nun wirklich spottbillig!“ Soweit ich wusste, verdienten die Menschen in dieser Gegend nicht schlecht und auch eine Schülerin in meinem Alter wäre in der Lage diese Summe zusammen zu sparen. Ich spielte verlegen mit meinen schwarzen Haarspitzen und nickte schüchtern lächelnd. „Das ist sowieso alles, was ich habe.“ Die Verkäuferin nickte zufrieden und für einen winzigen Augenblick sah ich wieder dieses Blitzen in ihren Augen. Sie wickelte den Ring in ein kleines braunes Päckchen und ich kramte das Geld aus der Innentasche meines Mantels. Zufrieden machte ich mich auf den Rückweg und die Verkäuferin rief mir noch einen lieblichen Abschiedsgruß hinterher. Ich streifte meine Kapuze wieder über und hörte plötzlich eine Stimme neben mir sagen: „Da hast du dich ja ganz schön abzocken lassen, Kleine!“ Ich drehte mich um und sah – niemanden. Erst als ich nach unten schaute, entdeckte ich einen Zwerg, der genüsslich auf einem Apfel kaute und lässig an einem Karren lehnte. „Meinst du mich?“, fragte ich verwirrt. „Wen sonst?“, schmatzte er. Ich zweifelte keine Sekunde, dass dieses Wesen ein Zwerg war, denn es erfüllte alle Merkmale, die ich von Zwergen gehört hatte. Er hatte einen langen, am ende geflochtenen Bart und einen kurzen aber kräftig gebauten Körper. Auf seinem Rücken befand sich eine, für seine Größe, ziemlich große Streitaxt. Der Zwerg war etwa einen Kopf kleiner als ich und trug die selbe Kleidung, wie die Zwerge, die ich schon im Schloss gesehen hatte. Diese Bewachten dort verschiedene Dinge, aber ich wusste nichts genaueres. „Dieser Ring ist einfach nur Dämonenschrott! Ich hätte ihn vielleicht für 30G gekauft, aber keinesfalls teurer!“ Der Zwerg hatte eine raue barsche Stimme, die irgendwie hochmütig klang, aber ich wusste, dass es nicht so gemeint war. Ich lächelte. „Keine Sorge, mein Herr.“, sagte ich ruhig. „Ich habe mir schon etwas bei diesem Kauf gedacht. Der Ring mag auf Sie vielleicht wie Schrott wirken, aber für mich hat er einen besonderen Wert.“ Der Zwerg hob ungläubig eine Augenbraue und hörte auf zu kauen. „Du wusstest, dass sie dich abzockt?“ Der Zwerg verschluckte sich am Apfel und begann zu Husten. Ich lachte freundlich und klopfte auf seinem Rücken. „Natürlich wusste ich das, aber es ist schon in Ordnung so.“ Der Zwerg beruhigte sich und warf den Apfel weg. „Ich hab noch nie jemanden getroffen, der sich absichtlich abzocken ließ!“, sagte er grimmig. „Es gibt für alles ein erstes Mal, oder?“, grinste ich. Der Zwerg schaute mich schief von der Seite an. „Du bist ziemlich merkwürdig!“, sagte er dann bestimmt. Das sagte mir ausgerechnet ein Zwerg! Bei dem Gedanken musste ich kichern. „Vielleicht...“, antwortete ich dann. Der Zwerg setzte sich in Bewegung und ich folgte ihm einfach. Es kam mir so vor, als hätte er das gewollt, auch wenn seine forsche Art abweisend wirkte. „Mein Name ist Mogar. Ich gehöre zur Leibgarde des Königshauses.“, stellte er sich grimmig vor, während wir langsam auf das Schloss zu gingen. „Freut mich dich kennen zu lernen. Mein Name ist Evelyn.“, stellte auch ich mich vor. Er zog wieder eine Augenbraue hoch. „Merkwürdiger Name!“ Ich zuckte mit den Achseln. „Du hast doch gesagt ich bin merkwürdig, dann passt es ja.“ Mogar fing plötzlich schallend an zu lachen. Er lachte so laut, dass sich die Leute um uns herum zu ihm umdrehten oder einen weiten Bogen um den Zwerg machten. „Das ist gut!“, lachte er noch immer. „Du hast echt Schneid, Kleine! Das fehlt den meisten Kindern heutzutage!“ Er lachte etwas leiser weiter und wischte sich eine Lachträne aus seinem Auge. Ich grinste ihn unter meiner Kapuze an. Der kleine Kerl hatte wirklich ein sonniges Gemüt! „Du redest, als wärst du ein alter Mann, Mogar.“, sagte ich freundlich. In meinen Augen war er vielleicht dreißig, aber keinesfalls älter. Aber konnte man das bei Zwergen so genau sagen? „Ich bin immerhin schon 307 Jahre alt!“, sagte er stolz und nahm eine straffere Haltung an. Ich starrte ihn verdutzt an. Konnte das sein? Nun war es an Mogar zu grinsen. „Erstaunt, was?“ Ich nickte nur. Das war einfach zu viel für mich, aber eigentlich hätte mich ja nichts mehr schocken dürfen, nach allem, was ich schon erlebt hatte. Am Rand des Schlosses gab es einen großen Tumult und eine große Menschentraube hatte sich versammelt. „Was ist da los?“, fragte ich Mogar. „Ach, hast du es nicht gehört? Heute bekommt die Prinzessin ihren Namen!“, sagte er ruppig, aber ich hörte auch etwas Stolz in seiner Stimme. „Das ich das noch erleben darf! Alle dachten, sie wäre schon lange gestorben und jetzt dürfen wir das noch miterleben. Und auch die Königin ist wie durch ein Wunder wieder erwacht, jetzt geht alles wieder Bergauf. Eine Zeit lang sah es ziemlich düster für uns aus! Ich bin gespannt, wie unsere zukünftige Herrscherin so ist.“ Ich wurde knallrot unter der Kapuze. „Sie ist doch noch ein Kind, oder?“, fragte ich zur Ablenkung. Mogar nickte. „Sie ist nicht viel älter als du, aber ich erkenne wahre Stärke, wenn ich sie sehe! Und weißt du, wie ich das erkenne?“, fragte er mich schnippisch. Ich schüttelte meinen Kopf und beugte mich neugierig zu ihm hinunter. „Die Augen!“, sagte er leise. „Wenn sie starke und klare Augen hat, werde ich ihr mit Freuden folgen!“ Ich bekam ein flaues Gefühl im Magen. Hatte ich denn solche Augen? „Hier müssen wir uns wohl verabschieden.“, unterbrach Mogar meine Gedanken. „Ab hier haben nur Befugte Zutritt in das Schloss.“ Ich nickte und verbeugte mich höflich. „Pass auf dich auf, Kleine!“, rief er mir noch zu und rannte erstaunlich schnell davon. „Du auch!“, rief ich ihm hinterher, aber das hörte er schon nicht mehr. „Eve!“, ertönte Shirais aufgeregte Stimme hinter mir. „Ich hab dich überall gesucht! Du kannst doch nicht einfach ohne ein Wort zu sagen das Schloss verlassen!“ – „Tut mir Leid, Shirai!“, antwortete ich und streifte mir die Kapuze vom Kopf. „Komm schnell!“, sagte sie erleichtert, nahm meine Hand und zog mich mit sich. „Die Vorbereitungen für deine Namensgebung laufen auf Hochtouren. Eben gerade sind die Priesterinnen angekommen!“, sagte sie ganz aufgeregt und lief immer schneller. „Wieso brauche ich eigentlich einen neuen Namen?“, fragte ich keuchend. „Jeder Magier hat einen ihm vorbestimmten Namen, den er eigentlich kurz nach seiner Geburt von den drei Hohepriesterinnen bekommt. In deinem Fall bekommst du ihn etwas später, aber es immer ein großes Ereignis!“, erklärte sie und bog in einen anderen Flur ab. „Muss ich irgendetwas machen?“, fragte ich nervös. Shirai lachte. „Aber nein! Vergiss nicht, die Zeremonie wird sonst mit Säuglingen vollzogen!“ Ich entspannte mich ein wenig. Aber wäre es dann nicht peinlich mit dreizehn eine Zeremonie zu vollziehen, die andere als Babys hatten? Endlich erreichten wir ein großes Zimmer, dass voller Kleider war. Eine ältere Frau begrüßte uns freundlich und verbeugte sich vor mir. „Wenn Ihr es wünscht, werde ich Euch bei der Wahl Eures Kleides behilflich sein, Eure Majestät!“ Ich schaute fragend zu Shirai. „Das letzte Mal haben wir dich unserer Familie vorgestellt, aber heute präsentieren wir dich unserem Volk. Schließlich bist du ihre zukünftige Herrscherin!“, erklärte sie mir. Ich schluckte. Meine Nervosität erreichte einen äußerst kritischen Punkt. Shirai lächelte mich aufmunternd an und schob mich in die Richtung der Dienerin. „Wie wäre es mit diesem Kleid?“, fragte sie freundlich und hielt mir ein weißes Seidenkleid vor die Nase. „Für die Zeremonie müsst Ihr unbedingt weiß tragen, Majestät!“ Ich begutachtete das Kleid misstrauisch. „Ich möchte nicht mit Rüschen oder so tragen.“, erklärte ich. Die Dienerin nickte lächelnd und hatte keine drei Sekunden ein wunderschönes Kleid zur Hand. Es war relativ schlicht, so wie es mochte, allerdings auch ziemlich enganliegend, wie ich feststellte. Ich schaute auf den Brustansatz, der in der letzten Zeit stetig wuchs und den man in dem Kleid besonders gut sah. „Ich weiß nicht, ist es nicht ein Bisschen zu Figurbetont?“, fragte ich zweifelnd. Die Dienerin schüttelte energisch ihren Kopf. „Keinesfalls, Eure Majestät! Ihr habt eine so zierliche und schöne Figur! Nicht viele Kinder in Eurem Alter sind mit so einer schönen Figur gesegnet, zeigt Euch ruhig! Findet Ihr nicht auch, dass Ihr um einiges älter und edler ausseht?“ Ich betrachtete mein Spiegelbild in dem großen Spiegel, der in der Mitte des Raumes stand. Sie hatte vollkommen recht, ich sah wirklich älter aus und das Kleid gefiel mir immer besser. „Es ist perfekt!“, sagte ich schließlich. Shirai holte noch zwei weitere Frauen in das Zimmer. Während die eine kleine Strähnen in meine Harre flocht und sie kunstvoll mit einer hübschen Spange zusammensteckte, trug die andere ein wenig Make-up auf mein Gesicht auf und gab mir dezenten, aber hübschen Schmuck. Ich erkannte mich kaum wieder und auch Shirai staunte nicht schlecht. „Ich hab das Gefühl, als ob ich mich vor dir verbeugen müsste!“, scherzte sie. „Lass die Witze!“, sagte ich nervös. „Und was ist, wenn mich die Menschen nicht mögen?“, fragte ich leise. Shirai lachte kurz auf. „ Warum sollten sie ein so hübsches und süßes Mädchen nicht mögen?“ Ich war nicht wirklich überzeugt. Shirai schlüpfte schnell in ein wunderschönes Kleid und begleitete mich schließlich zu einem kleineren Saal, der sich direkt hinter dem Thronsaal befand. Dort wurde ich von meinen Eltern überrascht empfangen. „Oh mein Gott! Schatz, du siehst ja so wunderschön aus!“, strahlte meine Mutter und nahm mich in den Arm. „Danke...“, sagte ich nicht sehr begeistert. Meinen Vater schaute ich nicht an. Ich hatte ihm noch immer nicht wegen der Sache mit Kibo verziehen. „Evelyn...“, sagte er traurig. „Bitte sei nicht mehr sauer auf mich.“ Er legte mir seine Hand auf die Schulter. Ich schwieg. Er seufzte enttäuscht. „Ich dachte mir schon, dass du mir nicht so leicht verzeihst, aber bitte sieh das als kleines Zeichen meiner Reue.“ Ich drehte mich verwirrt um und folgte mit meinem Blick dem Finger meines Vaters. Eine kleine Tür am Ende der Kammer öffnete sich und ein kleiner schwarzer Wuschelkopf tauchte in der Tür auf. „Vermilion!“, rief ich glücklich und nahm meinen kleinen herausgeputzten Freund in die Arme. „Nicht zo doll, Eve!“, quietschte er vergnügt. Doch das war nicht die einzige Überraschung, denn dicht gefolgt tauchte hinter Vermilion die weiße Gestalt von Kibo auf, dicht gefolgt von Kunan. „Kibo? Du bist auch hier? Ich dachte...“ Ich drehte mich zu meinem Vater um und schaute ihn völlig verblüfft an. Dieser lächelte entschuldigend und zuckte mit den Achseln. „Es steht nirgendwo geschrieben, dass deine Freunde nicht dabei sein dürfen.“ Ich platze fast vor Glück! Doch die größte Überraschung folgte noch. Mein Vater kam auf Kibo zu und verbeugte sich tief. Dieser wiederum schreckte verwirrt zurück und schaute mich fragend an. Ich lächelte nur. „Es tut mir Leid, was ich dir und deiner Familie angetan habe. Ich werde es nie wieder gut machen können, doch bitte sei meiner Tochter auch weiterhin ein guter Freund. Ich werde alles in meiner Macht stehende tun, um mein Vergehen gegen dich wieder gut zu machen!“ Im Raum wurde es plötzlich totenstill. Kibo war nun vollends verwirrt und wurde noch blasser, als er ohnehin schon von Natur aus war. Er nickte nur und mein Vater seufzte erleichtert. Von draußen klang ein Stimmengewirr zu uns. „Bist du soweit?“, fragte mich meine Mutter freundlich. Ich nickte. In Wahrheit war ich es natürlich nicht, aber das konnte ich ja schließlich nicht zugeben. „Warum bist du ohne mich nach Kigen gegangen?“, fragte mich Vermilion telepathisch. Er klang ein wenig verletzt. „Es ist viel geschehen und du warst so erschöpft... Es tut mir Leid, mein Kleiner!“ Vermilion lächelte mich verständnisvoll an. „Wer hat dich hierher geführt?“, fragte ich ihn laut. Vermilion schaute zu meiner Mutter, diese lächelte verlegen. „Danke, Mama!“, sagte ich glücklich. Dann schaute ich zu meinem Vater. Ich ging langsam auf ihn zu und er schaute mich traurig an. „Es tut mir wirklich Leid.“, murmelte er und beugte sich zu mir herunter. „Kannst auch du mir bitte verzeihen?“ Ich fiel in seine starken Arme und wurde herzlich empfangen. „Du bist mein Vater, wie könnte ich das nicht?“, sagte ich glücklich. Großvater, der in einer Ecke unauffällig alles beobachtet hatte, räusperte sich. „Die drei Hohepriesterinnen lässt man nicht warten!“, ermahnte er streng. Zusammen mit Shirai, Vermilion, meinen Eltern, Großvater, Kibo und Kunan schritten wir durch eine Seitentür des Raumes. „Gehen wir nicht in den großen Thronsaal?“, fragte ich verwirrt. „Erst nach der Zeremonie. Diese findet in einer heiligen Halle statt und nur die engsten Vertrauten von dir dürfen dabei zusehen.“, erklärte meine Mutter. Vermilion drückte meine Hand. „Du musst mir nachher aber unbedingt alles erzählen!“, sandte er mir. „Auf jeden Fall!“, antwortete ich auf die selbe Weise. Wir erreichten eine weiße hohe Tür, auf denen hellblaue Runen schimmerten. Links und rechts neben der Tür standen zwei Priester in hellgrauen Gewändern. Sie verbeugten sich tief vor mir und meiner Mutter, die sich hinter mich gestellt hatte und ihre Hände auf meine Schultern legte. Gemeinsam gingen wir durch die sich von selbst öffnende Tür. Im Inneren befand sich eine rundgewölbte Höhle, deren Wände schwarz glänzten. Der runde Raum wurde von Dutzenden Fackeln beleuchtet, die in einem gleichmäßigen Abstand an der Wand hingen. In der Mitte der Höhle befand sich ein Teich, in dessen Zentrum sich eine runde Steinplatte befand. Auf ihr waren heilige Symbole und Zeichen geschrieben. Die drei Hohepriesterinnen befanden sich auf eben dieser Steinplatte und schauten, eingehüllt in lange, weiße Gewänder, in meine Richtung. „Dies sind die drei Hohepriesterinnen.“, erklärte meine Mutter flüsternd, während wir auf den Teich zugingen. „Sie repräsentieren drei Generationen und somit auch die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.“ Ich schwieg ehrfürchtig. Ein schmales weißes Boot stand für mich bereit, um mich zur Steinplatte zu bringen. „Nur wir beide werden in den heiligen Kreis gehen.“, erklärte mir meine Mutter, als ich sie fragend anschaute. „Die anderen werden hier auf uns warten.“ Ich drehte mich zu Vermilion um und nickte ihm zu. „Wünsch mir Glück!“, sandte ich ihm. „Du kriegen beztimmt einen schönen Namen.“, munterte er mich auf. Meine Mutter half mir in das kleine Boot und es fuhr von selbst los. Ich schaute noch einmal zurück. Mein Großvater blickte, wie immer, resigniert drein. Shirai und Vater hatten Freudentränen in den Augen und Vermilion winkte mir nach. Kibo war nicht von Kunans Seite gewichen und schaute mir mürrisch nach. Zufrieden seufzte ich und drehte mich wieder um. Die Priesterinnen standen Aufrecht und würdevoll nebeneinander, als wir auf die Steinplatte kletterten. Als wir den Kreis erreichten legten sie wie auf Stichwort gleichzeitig ihre Umhänge ab. Die älteste Priesterin trug ein dunkelgraues Kleid und hatte langes, glattes graues Haar. Sie war hochgewachsen und ihr faltiges Gesicht strahlte pure Weisheit aus. Die zweite Priesterin war eine Frau mittleren Alters und trug ein hellgraues Kleid. Sie hatte noch keine Falten und ihre braunen langen Haare waren ebenso glatt, wie die ihrer Mutter. Denn Mutter und Tochter waren sie ganz sicher, so sehr, wie sie sich ähnelten. Die letzte Priesterin war ein kleines Kind von etwa sieben Jahren. Sie trug ein weißes Kleid und hatte, wie auch ihre Mutter, braune, glatte Haare. Alle drei trugen rituellen Schmuck und schauten meine Mutter und mich ernst an. Meine Mutter verbeugte sich ehrfürchtig und ich tat es ihr gleich. „Welch ungewöhnliches Alter für eine Namensgebung.“, ertönte die raue Stimme der ältesten Priesterin. „Für wahr!“, antwortete ihre Tochter. „Doch das ändert für uns nicht das geringste, nicht wahr?“ Die älteste schüttelte ihren Kopf. „Nicht das geringste“, stimmte sie zu. Meine Mutter erhob sich und ich machte es ihr einfach nach. Sie führte mich genau in das Zentrum der Steinplatte und stellte mich auf den weißen Kreis, der auf dem Boden gezeichnet worden war. „Ich, Dilia Cage, Tochter von Alkane und Hotogai, erbitte um einen Namen für meine leibliche Tochter.“, sagte sie mit klarer Stimme. Die drei Priesterinnen bewegten sich langsam und gleichmäßig auf uns zu. Die älteste stellte sich auf eine Rune links hinter mir. Die zweite Frau stellte sich rechts hinter mir auf eine andere Rune und das kleine Mädchen stellte sich vor mir auf eine dritte Rune. Meine Mutter verbeugte sich tief und verließ den Aufgezeichneten Kreis, um sich am Rand nieder zu knien. Ich schaute in das hübsche Gesicht des Mädchens vor mir und stellte erstaunt fest, dass ihre Augen, wie die ihrer Mutter und Großmutter, hellgrün Leuchteten. Die älteste Priesterin fing mit einem leisen Gesang in einer mir unbekannte Sprache an. Ihre Tochter fiel in den Gesang mit ein und dann schließlich auch die jüngste. Obwohl ich nichts verstand, wusste ich, dass sie von der Zeit und deren Vergänglichkeit sangen. Sie besangen Himmel und die Erde und erzählten von Freude und Leid. Ich schloss meine Augen und ließ die Worte in meinem Kopf widerhallen. Jeder Ton berührten mich und machte mich entweder traurig oder glücklich. Ich verlor jegliches Zeitgefühl. Ich wusste nicht, ob wir schon seit Stunden oder erst seit ein paar Minuten dort standen. All meine Erinnerungen schienen von mir ab zu fallen. Ich war völlig entspannt und im Einklang mit dem Gesang. Als sie ihre letzte Note gesungen hatten, öffnete ich wieder meine Augen und ich fühlte mich erschöpft aber glücklich. Alle drei Priesterinnen lächelten und schlossen ihren Kreis um mich enger. Sie nahmen sich an der Hand und schlossen mich in ihrer Mitte ein. „Ein Kind, voller Kraft und Güte.“, sagte die älteste laut und klar. „Ein Herz, rein und mutig!“, sagte die zweite im gleichen Tonfall. „Ein Schicksal, von größter Wichtigkeit und der größten Entscheidung!“, sagte das kleine Mädchen in einer Lautstärke, die ich ihr nicht zugetraut hatte. Die drei nickten Zufrieden und sagten Laut und gleichzeitig: „Ihr Name, vom Schicksal selbst gewählt lautet Kiraya, Freund in allen Sprachen.“ In mir stieg ein Glücksgefühl auf, wie ich es noch nie gespürt hatte. Ich wusste, das dies mein Name war. Ich fühlte ganz stark, dass er es schon immer gewesen war. Kiraya! Dieses Gefühl, es ganz genau zu wissen, glich dem, als Großvater mir den Bann nahm und ich plötzlich wusste, wer meine Familie war. Meine Mutter, die die ganze Zeit über reglos am Rande des Kreises gehockte hatte erhob sich und die drei Priesterinnen gingen zurück auf ihre Runen. „Ich, Delia, leibliche Mutter von Kiraya und Zeugin ihrer Namensgebung werde ihren Namen bewahren!“, sagte sie stolz. Ich lächelte sie an und sie nickte mir glücklich zu. Die Priesterinnen verbeugten sich leicht vor mir. „Du wirst eine gute Herrscherin werden, bleibe stark!“, hörte ich die Stimme der ältesten in meinem Kopf. „Glaube auch weiterhin an deine Freunde und halte an deinen Moralvorstellungen fest.“, erklang darauf die Stimme der zweiten Priesterin in meinem Kopf. „Auch aus einer Niederlage gewinnt man etwas. Vergiss nie, dass du nicht jeden retten kannst.“, ertönte als letztes die Kinderstimme des Mädchens. Ich verbeugte mich tief und wartete bis die drei Frauen sich wieder in eine Reihe gestellt hatten. Meine Mutter stellte sich zu mir und nahm meine Hand in ihre. Die Priesterinnen hüllten sich wieder in ihre Gewänder und schauten meine Mutter an. „Ihr habt eine gute Tochter, Dilia.“, sagte die älteste. „Gebt gut auf sie acht.“ Meine Mutter verbeugte sich tief und wir drehten uns um. Schweigend stiegen wir in das Boot und ließen uns zum Ufer treiben. Voller Ungeduld wurden wir erwartet. „Kiraya!“, rief mein Vater und hob mich aus dem Boot. Shirai half meiner Mutter. Während mein Vater mir ein Kuss nach dem anderen auf die Stirn gab, kam auch Vermilion angeflitzt und umarmte meine Hüfte. „Ich hab doch gezagt, dass ez ein schöner Name wird!“, strahlte er mich an. Ich errötete leicht. Ich schob meinen Vater sanft beiseite und strahlte in die Runde. Selbst Großvater sah einigermaßen glücklich aus, was man von Kunan, der ohnehin nie sein Gesicht verzog und Kibo, der noch immer mürrisch dreinblickte, nicht behaupten konnte. Gemeinsam verließen wir die Höhle und machten uns auf den Weg zum Thronsaal. „Kiraya bedeutet „Freund“, oder?“, fragte Shirai meinen Großvater. Dieser nickte. „Korrekt übersetzt bedeutet Kiraya „Freund, Gleichgesinnter, Partner und Kamerad“, es ist ein seltener Name.“, sagte er geheimnisvoll. „Wie meinst du das mit übersetzt?“, fragte ich. Diesmal antwortete mein Vater. „Wir alle bekommen Namen in der Alten Sprache, die heute nur noch von Priestern gesprochen wird. Jeder Name hat eine ganz besondere Bedeutung. Mein Name, zum Beispiel, bedeutet „Starker Wächter“ und der deiner Mutter bedeutet „Schöne Blume“. Ein passender Name!“, grinste er. Ich nickte beeindruckt. „Und was bedeutet dein Name, Großvater?“, fragte ich neugierig, während wir die weißen Flure entlang liefen. „Weiser Führer.“, antwortete er und lächelte sanft. Ich drehte mich zu Shirai um und schaute sie fragend an. Sie lachte. „Mein Name bedeutet „Gütige Kriegerin“, was nicht unbedingt treffend ist.“ Ich wollte gerade noch etwas sagen, als wir auch schon vor dem Tor zum Thronsaal standen. „Jetzt wirst du dein zukünftiges Volk kennen lernen, Kiraya.“, sagte Großvater ernst. Ich nickte. Es war ein seltsames Gefühl, einen Namen, den man vorher noch nie gehört hatte auf einmal so selbstverständlich als seinen eigenen zu wissen. Die beiden Torflügel schwangen langsam auf und Großvater stellte sich neben mich. Hinter uns reihten sich meine Eltern ein und hinter ihnen folgten die anderen. Es war ein atemberaubender Anblick, der sich mir bot. Im Thronsaal hatte sich eine riesige Menschenmenge versammelt, die alle laut jubelten, als wir eintraten. Es waren aber nicht nur Menschen anwesend. Ich entdeckte eine Anzahl von Zwergen, ein paar Elben und noch viele andere fremdartige Wesen, die ich vorher noch nie gesehen hatte. Großvater führte mich stolz erhobenen Haupt vor die beiden Throne, auf die sich meine Eltern setzten. Shirai stellte sich neben meine Mutter und meine Freunde stellten sich zu den Rittern hinter dem Thron. Ich blickte mit klopfenden Herzen auf die Menge, die mich fasziniert anstarrte. Großvater wartete bis sich die Menge beruhigt hatte und es totenstill war. Es herrschte eine angespannte Stimmung und es schien als würde jeder einen Moment die Luft anhalten. „Nach Jahren der Qual und des Wartens,“, verkündete Großvater laut und klar und ich zweifelte nicht daran, dass ihn auch die Menschen in der hintersten Ecke alles verstanden. „kann ich voller Freude meine Schwiegertochter wieder in die Arme schließen und ihre Rückkehr verkünden!“ Lauter Jubel brach aus, als meine Mutter aufstand und liebevoll in die Runde lächelte. Sie hatte wahrlich die Aura einer Königin, wie mir jetzt auffiel. Als es wieder still wurde sprach Großvater weiter. „Doch die größte Überraschung ist wahrlich die Rückkehr meiner tot geglaubten Enkeltochter, unserer Thronfolgerin und zukünftige Herrscherin.“ Großvater sprach immer lauter. „Voller Stolz stelle ich euch, unserem Volk, die zukünftige Herrscherin der Königsfamilie und unsere Zukunft vor. KIRAYA CAGE!“, rief er laut und ein so überschwänglicher Jubel brach aus, dass es mir den Atem raubte. In den Augen der Menschen, die dort unten standen, sah ich pure Freude, Ehrfurcht und Respekt. All das für ein Kind, dass sie nicht kannten? Ich war so überwältigt, dass mir Tränen in die Augen schossen. Ich schluckte sie tapfer runter, konnte aber nicht ganz verbergen, wie gerührt ich war. Der Jubel brach nicht ab und wurde auch nicht leiser. Ich hörte wie eine Gruppe von Menschen laut und voller Inbrunst immer wieder meinen Namen riefen. „KIRAYA, KIRAYA!“ Ein seltsames Gefühl erwachte in mir. Schlagartig wurde mir klar, dass es irgendwann meine Aufgabe sein würde, all diese Menschen zu schützen und Entscheidungen zu ihrem Wohl zu treffen. Ich war ihre Dienerin. Ehrfürchtig verbeugte ich mich vor ihnen und ein der Jubel wurde noch lauter, was ich für unmöglich gehalten hatte. Ich hörte einige Leute schluchzen und ganz besonders Laut weinte ein Zwerg, der am Fuße der Treppe stand. Es war Mogar, der hemmungslos in ein großes Taschentuch schnaufte. „Was für Augen!“, hörte ich ihn schluchzen. Ich errötete und lächelte ihn gerührt an. Jemand stupste Mogar an und er schaute auf. Er erstarrte, als er bemerkte, dass ich ihn direkt anschaute. Ich nickte ihm zu und er wurde rot. Großvater führte mich wieder zurück zu dem Tor, aus dem wir gekommen waren. „Gut gemacht.“, hörte ich ihn undeutlich flüstern. Mein Herz raste noch immer, als das Tor hinter mir geschlossen wurde und die lauten Rufe verstummen ließen, Großvater war im Thronsaal geblieben. Ich hörte undeutlich die Stimme meines Vaters über die Menge hinweg rufen. Er verkündete etwas von einem Fest, doch mehr konnte ich nicht verstehen. Ich spürte eine kleine Hand an meinem Ärmel zupfen. „Das war ganz schön aufregend!“, strahlte mich Vermilion an. Ich nickte. Auch Kibo und Kunan waren mir gefolgt. Kibo schaute zur Abwechslung mal nicht mürrisch. „D- Das es so viele Menschen gibt.“, stotterte er nervös. Er hatte in all den Jahren im Verlies natürlich nur wenige Menschen gesehen. Ich schaute ihn entschuldigend an. „Entschuldige, dass ich dich da einfach mit hinein gezogen habe!“, lächelte ich verlegen. Kibo schüttelte seinen Kopf. „Ist doch jetzt egal, aber wie soll es jetzt weiter gehen? Soll ich dir ewig, wie ein Hündchen folgen, damit ich nicht umgebracht werde?“ Ich grinste. „Gar keine so dumme Idee!“ Kibo riss entsetzt seine Mund auf. „Was?“ Ich lachte. „Natürlich nicht, du Idiot. Keine Ahnung, was wir jetzt mit dir machen... Was willst du denn?“ Kibo schaute mich verwirrt an. „Ich?“ Ich nickte. Kibo schaute nachdenklich zu Kunan hinauf. Mein schweigsamer Beschützer war offenbar der einzige, den er mochte. „Wenn Kunan nichts dagegen hat, kannst du erst mal bei ihm bleiben.“, sagte ich . „Allerdings läuft er mir immer nach, da er mich beschützen muss. Also fangen wir wieder bei null an.“ Eine Dienerin unterbrach uns. „Verzeiht, Eure Hoheit, aber Eure Gemächer sind bereit. Bitte folgt mir.“ Sie verbeugte sich tief und führte uns in einen Raum, der gut als großes Wohnzimmer zu beschreiben war. Ein gemütliches Feuer prasselte im Kamin und ein großes, weiches Sofa bot jede Menge platz. Der rote Teppich und die rustikalen Möbel machten den ganzen Raum behaglicher. Vermilion warf sich übermütig auf das Sofa, während sich Kibo auf einen der Sessel vor dem Kamin platzierte. Kunan lehnte sich an die Wand neben der Tür und behielt uns im Auge. „Er beschützt dich doch nicht 24- Stunden am Tag, oder?“, nahm Kibo unser Gespräch wieder auf. „Hier im Schloss nicht.“, bestätigte ich. „Aber sonst eigentlich schon.“ Kibo schwieg. Auch ich dachte angestrengt nach. „Was ist jetzt eigentlich alles passiert?“, fragte mich Vermilion. Er schaute mich neugierig an. Ich lächelte. Er schien der einzige zu sein, der sich um nichts Gedanken machte. Ich erzählte meinem kleinen Freund ausführlich, was geschehen war, seit er Kibo geheilt hatte. „Wirklich?“, fragte Vermilion erstaunt, als ich geendet hatte. „Dann wärst du ja fast gestorben, als ich friedlich geschlafen hab!“ Ich nickte ernst. „Aber es ist noch mal gut gegangen. Ich muss noch eine Menge lernen, wie mir scheint, sonst sprenge ich mich irgendwann noch in die Luft.“ „Stimmt!“, lachte Vermilion und kletterte auf meinen Schoß. Es klopfte an der Tür und Shirai trat ein. Sie hatte gerötete Wangen, als wäre sie gerade gerannt. „Meine Güte, ich dachte, die hören nie auf!“, sagte sie schnaufend. Ich schaute sie fragend an. „Die Meute wollte sich nicht beruhigen lassen. Bis eben haben sie laut gejubelt und wollten dich noch mal sehen.“ Ich wurde rot. Warum mochten die mich so? „Dein Auftritt hat sie ganz schön beeindruckt, Kiraya. Selbst die Zweifler sind bekehrt!“ Ich war endgültig verwirrt. „Welcher Auftritt? Ich hab doch nichts getan!“ Shirai setzte sich erschöpft neben mich. „Oh doch. Sie haben genau gespürt, dass du deiner Aufgabe gewachsen bist. Als du dich dann verbeugt hast und ihnen damit klar gemacht hast, dass du ihnen dienen wirst, war sogar ich beeindruckt. Großvater meinte, dass du seiner Urgroßmutter ähnelst. Sie war die bisher berühmteste Königin unter deren Herrschaft das Land Jahrzehnte in Frieden lebte.“ Ich schwieg nachdenklich. Es gab noch so Vieles zu lernen. Die Geschichte meiner Familie, die Geschichte von Kigen, die Geschichte der Dämonen und auch die Geschichte der Mischlinge, ich wollte alles wissen. Ich hatte an diesem Tag vieles gelernt und doch wusste ich nichts. Es klopfte erneut an der Tür und diesmal traten meine Eltern ein. Sie strahlten über alle Maßen. „War das nicht aufregend, Schatz?“, fragte mich meine Mutter. Ich nickte erschöpft. Obwohl ich eigentlich nicht viel getan hatte, war ich müde. Meine Mutter setzte sich neben Shirai auf das Sofa und mein Vater setzte sich in den noch freien Sessel. Niemand schien Notiz von Kibo zu nehmen. „Heute wird das traditionelle Fest zur Namensgebung des Thronfolgers gefeiert. Da es üblicherweise ja ein Baby ist, nimmt du eigentlich nicht an der Feier teil, aber wenn du willst, kannst du es natürlich!“, erklärte mein Vater. Ich nickte. „Vielleicht schaue ich mal vorbei, irgendwie bin ich erschöpft.“ Shirai streichelte über meinen Kopf. „Kein Wunder, die Namensgebung erschöpft die Babys immer so sehr, dass sie danach immer durchschlafen, ein Segen für die Mütter!“, grinste sie. „Ich bin aber kein Baby mehr!“, murmelte ich entrüstet. Meine Eltern und Shirai lachten. „Ruh dich ein wenig aus und dann kannst du heute Abend bei dem Fest vorbei schauen.“, schlug meine Mutter vor. Ich schüttelte den Kopf. „Es geht schon. Aber ich muss unbedingt noch etwas klären.“ Ich schaute zu Kibo, der sich in seinem Sessel so klein, wie möglich machte, um ja nicht bemerkt zu werden. „Kibo weiß nicht, was jetzt aus ihm wird. Wo soll er denn jetzt hin? Er würde gerne bei Kunan bleiben, wenn das ginge.“, erklärte ich. Erst in diesem Moment schienen sie ihn zu bemerken und schauten zum Sessel. Kibo schaute verlegen zu Boden, als sich die Blicke aller Anwesenden auf ihn Richteten. „Hat Kunan keine Wohnung?“, fragte Vermilion in die Runde. „Natürlich hat er die. Er lebt in seinem Familienhaus, dass sich auf unserem Grundstück befindet. Seine Familie dient unserer schon seit vielen Generationen und hat etliche starke Krieger hervorgebracht.“, erklärte Vater stolz. Kunan regte sich nicht. Ich schaute Kibo an. „Wie wäre es denn, wenn er dort hin könnte? Kunan wird mich ja nicht ständig beschützen, oder?“ Sie schwiegen einen Augenblick. „Genau das ist seine Aufgabe. Er beschützt dich, denn du bist ständig in Gefahr! Als unsere Erbin trachten dir viele nach dem Leben.“, sagte mein Vater leise. Ich nickte. „Das weiß ich ja, aber hat er denn niemals frei? Hat er kein Urlaub?“ Mein Vater schüttelte seinen Kopf. „So etwas gibt es hier nicht. Allerdings würde er dich nicht begleiten, wenn du bei Anno Unterricht hast. So gesehen hat er also Freizeit.“ Unterricht? Ich hatte schon fast vergessen, dass es so etwas noch gab. „Und was wird aus den beiden Jungs?“, fragte ich und deutete auf Vermilion und Kibo. Mein Vater überlegte kurz. „Kibo kann bei Kunans Familie bleiben, wenn sie nichts dagegen hat.“ Er schaute Kunan an und dieser verbeugte sich. „Gut, dann wäre das ja geklärt.“, fuhr mein Vater fort. „Vermilion wird ja, wie du, von Anno unterrichtet, das ist nicht weiter problematisch.“ Ich seufzte. „Aber so meinte ich das nicht. Das Vermilion bei uns bleibt, war mir schon klar. Dass Kibo bei Kunan leben kann, ist sehr schön, aber wie sieht es mit seiner Ausbildung aus? Auch er wird irgendwann Erwachsen sein. Ich habe nicht vor, Kibo nach ein paar Jahren, wie ein Hund aus zu setzen, falls ihr das denkt. Er soll nicht auf dem Stand eines 10- Jährigen sein, wenn er seine eigene Familie gründet.“ Alle schauten mich verwundert an und ich wurde rot. Ich hatte mich nicht mehr wie eine dreizehnjährige angehört, das war mir klar. „So weit hatten wir noch nicht gedacht.“, sagte mein Vater entschuldigend. „Aber du hast recht, auch er hat jetzt eine Zukunft, sie beide haben eine.“, Er schaute zu Vermilion. „Anno wird Vermilion unterrichten, aber bei Kibo ist es etwas anderes.“, Shirai schnaubte. „Also er kann nie und nimmer von irgendjemanden unterrichtet werden. Eigentlich gibt es bei uns ja keine Mischlinge, also weiß auch so gut wie niemand etwas über sie.“ – „I- Ist schon gut.“, mischte sich Kibo leise stotternd ein. Alle schauten ihn überrascht an. „Ich weiß, dass meine Existenz an sich nur geduldet wird. I- Ich will gar nicht mehr, das würde sich nicht gehören. Mir reicht es vollkommen, wenn ich einen Ort zum Leben habe.“ Kibo sprach so leise, dass man genauer hinhören musste, um ihn zu verstehen. Mein Vater sah in traurig an. „Ich werde noch eine Lösung dafür finden!“, versprach er und stand auf. „Leider haben wir keine Zeit mehr, die Pflicht ruft.“, entschuldigte er sich. Auch meine Mutter erhob sich. Wir sehen uns heute Abend, Schatz.“, sagte sie und lächelte mir zu. Als sie die Tür hinter sich geschlossen hatten, stand auch Shirai auf. „Ich werde dann auch mal gehen und ein paar Freunde von mir begrüßen. Ich war schon lange nicht mehr hier in Kigen.“ Sie streichelte mir noch einmal über den Kopf und verließ dann fröhlich summend den Raum. „Das war richtig mutig von dir, dass du mal deinen Mund geöffnet hast!“, neckte ich Kibo, als Shirai außer Hörweite war. „Schnauze!“, fauchte er und wurde rot. „Was sollte auch der Scheiß mit der Ausbildung. Ich weiß welchen Stand ich habe, so etwas wie eine unbeschwerte Zukunft werde ich nie haben und eine Familie erst echt nicht.“ Ich schaute ihn traurig an. Wahrscheinlich hatte er recht, aber ich wollte es nicht einfach so hinnehmen. „Manchmal lohnt es sich, für seine Zukunft zu kämpfen.“, entgegnete ich leise. Kibo schnaubte und verschränkte seine Arme vor der Brust. Es war ein sinnloses Unterfangen, ihn umzustimmen, also ließ ich es. Vermilion krabbelte von meinem Schoß und ich stand auf. „Macht euch ein schönen Tag, oder so was.“, sagte ich zu Kunan. „Ich werde noch ein Bisschen das Schloss auskundschaften und Vermilion alles zeigen. Hier im Schloss musst du mich ja nicht beschützen.“ Kunan nickte leicht und ich winkte Kibo zum Abschied. Bis heute Abend, oder so.“, grinste ich und verschwand aus der Tür. Ich nahm Vermilion bei der Hand und erklärte ihm die Örtlichkeiten. „... und da oben kommt man in den zweiten Turm. Man hat eine echt gute Aussicht von dort.“, erklärte ich begeistert und Vermilion hörte fasziniert zu. Es herrschte ein hektisches Treiben, aufgrund des Festes und die Diener und Dienerinnen rannten von einem Raum in den nächsten. Niemand beachtete uns großartig. Vor einer weißen Tür machte ich halt, da mir schlagartig etwas einfiel. Es war der Raum, indem all die Kleider hingen und in dem ich mich umgezogen hatte. Ich ging hinein und fand ihn leer vor. Meine alte Kleidung und mein Umhang hatte man sorgfältig auf einen Stuhl gelegt, bemerkte ich erleichtert. „Was wollen wir hier, Kiraya?“, fragte Vermilion verwirrt. Ich durchsuchte den Umhang und fand das kleine braune Bündel. „Das hier habe ich vorhin vergessen.“, sagte ich lächelnd. So schön das Kleid, das ich trug, auch war, es war ein wenig ungemütlich, wie ich feststellen musste. Ich zog es kurzerhand aus und schlüpfte in ein einfaches, weißes Kleid, wie es fast jedes Mädchen in Manjaru trug. Vermilion hatte währenddessen verlegen auf seine Füße gestarrt. „Was hast du, mein Kleiner?“, fragte ich noch halb nackt. Er schüttelte nur seinen Kopf. „Nichts, es nur nicht richtig, Mädchen bei umziehen zugucken. Das hat Oma gezagt.“, nuschelte er verlegen. Ich lachte. „In ein paar Jahren darfst du das auch nicht mehr, o.k.?“ Vermilion antwortete nicht sondern schaute sich im Raum um. Als ich das Kleid anhatte, entfernte ich noch die Brosche aus meinem Haar und machte mir einen einfachen Pferdeschwanz. Ich hatte mich innerhalb von ein paar Minuten von einer Prinzessin zu einem normalen Mädchen gewandelt. Zuletzt legte ich noch den Schmuck auf den Stuhl und legte mir den Umhang um. „Wir können los.“, sagte ich zu Vermilion und drehte mich wieder um. Er war nicht da. „Vermilion?“, fragte ich erschrocken. „Ich bin hier!“, hörte ich einen Wäschestapel am Ende des Raumes murmeln. Ich ging darauf zu und sah, dass sich auch Vermilion ein Umhang umgelegt hatte. Der dunkelgraue Umhang war eines der wenigen kleineren Kleidungsstücke und war ihm trotzdem ein wenig zu groß. „So erkennen mich nicht jeder.“, sagte er stolz und streifte sich die Kapuze über. „Die anderen starren mich immer so an.“ Das konnte ich mir gut vorstellen. Ein Dämonenkind inmitten einer Magierwelt war nicht unbedingt unauffällig. Ich zog mir ebenfalls die Kapuze ins Gesicht. „Ich werde auch immer angestarrt, also mach dir nichts draus, mein Kleiner.“ Gemeinsam machten wir uns auf den Weg in die Stadt. Es war geradezu kinderleicht aus dem Schloss zu kommen. Niemand beachtete die beiden Stadtkinder in ihren Umhängen, während alle beschäftigt ihren Tätigkeiten nachgingen. In der Stadt ging es ähnlich turbulent zu und ich stellte fest, dass die meisten Menschen mit bis ins Gesicht gezogenen Umhängen herumliefen. Den Ring von Kibos Mutter hatte ich vorsichtshalber aufgesteckt, damit ich ihn nicht wieder vergaß. „Ich war noch nie in einer so großen Stadt!“, sagte Vermilion fasziniert. Plötzlich gab es vor uns in der Straße einen Tumult. Die Menschen schimpften und Fluchten. Ich schob mich, mit Vermilion an der Hand durch die Menschenmenge und erkannte entsetzt den Grund für den Aufruhr. Mitten auf der Straße stand eine dunkelrot gekleidete Dämonenfrau, die ein Säugling in ihrem Arm hielt. Das Baby schrie nach Leibeskräften. Die Menschen um sie herum verfluchten und beschimpften die Dämonenfrau, aber kamen ihr nicht zu Nahe. Sie ließen einen Kreis von ein paar Metern um sie herum frei. Die Dämonenfrau lief mit einem angestrengt ruhigem Gesicht unsicher weiter. „Heiwa! Ich darrf hierr zein!“, zischte sie. „Heiwa?“, fragte ich Vermilion telepathisch. „Das bedeutet „Frieden“, aber ich weiß nicht, warum sie hier ist.“, erklärte er mir ebenfalls telepathisch. Er klang so nervös, wie ich mich fühlte. Gegen so viele Gegner hatte die Frau gar keine Chance und schon gar nicht mit einem Baby. „Du wagst, es deinem Balg am selben Tag wie unserer Prinzessin, einen Namen geben zu wollen?“, raunte ein Mann neben mir und spuckte ihr voller Abscheu vor die Füße. Ein paar Kinder bewarfen die Frau mit faulen Gemüse und rannten dann jauchzend davon. Die Dämonin blieb unsicher stehen und drückte ihr Kind an sich. Sie hatte einen gehetzten Gesichtsausdruck und schaute sich nach allen Seiten nach einem Fluchtweg um. Ich drängelte mich an den Leuten vorbei und zog Vermilion mit mir vor die Frau. Diese wich erschrocken ein paar Schritte zurück, als sie eine verhüllte Person so nah vor sich sah. Die Meute wurde ruhiger und schaute mich verwundert an. Ich beugte mich zu Vermilion hinunter und flüsterte in sein Ohr. „Geh zu ihr und sag ihr, dass ich ihr helfen werde und sie ins Schloss begleite.“ Vermilion schaute mich zweifelnd an, doch ich schupste ihn entschlossen in die Richtung der Frau. Diese wirkte erschrocken, entschied sich aber, dass dieser laufende Meter wohl kaum eine Gefahr darstellte. Vermilion schaute zu ihr hinauf und als die Dämonin das Gesicht meines kleinen Freundes erkannte, weiteten sich ihre Augen. „Kragirz Krollgam!“, zischte sie erschrocken. Vermilion hob beschwichtigend seine Hände und gab der Frau ein Zeichen, dass sie sich hinunterbeugen sollte. Die Frau bückte sich und Vermilion flüsterte ihr einige Sätze ins Ohr. Während sie so gebeugt dastand, konnte ich einen Blick auf das Baby werfen. Das kleine Ding hatte orange leuchtende Augen und nuckelte an seiner Faust. Es hatte winzige dünne Finger und ein sehr niedliches Gesicht. Selbst seine weiße Haut und seine kleinen spitzen Öhrchen fand ich einfach nur niedlich. Die Menschenmenge um uns herum tuschelte verwirrt miteinander, als die Frau auf mich zu kam und sich leicht verbeugte. „Danke.“, sagte sie so leise, dass nur ich es hörte. Ich nickte und nahm Vermilion wieder bei der Hand. So bahnte ich mir meinen Weg die Straße entlang, dicht gefolgt von der Dämonenfrau. Die Menschen wichen ehrfurchtsvoll zurück. „Wer ist das?“, fragten sie verwirrt. „Ein Bote vom Königshaus?“, hörte ich sie tuscheln. Ich ging gerade und kein Bisschen unsicher die Straße entlang, sodass die Menschen einfach den Weg frei machen mussten. Als die Tore des Schlosses in Sichtweite waren, hatte sich allerdings erneut eine Menschenmenge in den Weg gestellt. Offenbar hatten sie entschieden, dass ich doch nur ein kleines Mädchen sein musste. „Lasst uns durch!“, sagte ich ruhig. „Niemals!“, sagte einer der Männer. „So ein Ding darf nicht unser heiliges Schloss entweihen!“ In seiner Stimme sprach blanke Abscheu. Ich sah ihn unbeeindruckt an. „Geht aus dem Weg!“, sagte ich genauso ruhig, wie zuvor. Die Meute tuschelte nervös miteinander. „He, was ist hier los? Geh mir aus dem Weg, Mensch!“, hörte ich eine Stimme im Gedränge und ein Zwerg bahnte sich den Weg zu uns durch. „Was ist hier los? Was soll der Radau?“, fragte der Zwerg. Er trug die Kleidung der Schlosswache und ich erkannte ihn sofort. „Mogar!“, begrüßte ich ihn glücklich. Der Zwerg schaute mich nachdenklich an. „Ach, du bist’s, Mädchen!“ Mogar schaute erst auf die Frau hinter mir und dann auf die Menschenmenge. Er schien die Situation sofort zu durchschauen. „Hier gibt es nichts zu sehen, Leute!“, rief er energisch. „Diese Dämonin steht unter dem Schutz des Heiwa und das wisst ihr!“ Er schob die Meute ein Stück zurück. „Aber sie wagt es, ihrem Balg am gleichen Tag, wie unserer Prinzessin einen Namen zu geben!“, rief einer der Männer aufgebracht. Die Züge des Zwerges wurden hart. „VERSCHWINDET!“, brüllte er und die meisten der Menschen liefen auf der Stelle davon. „Ihr kennt das Gesetz! Geht nach Hause!“, sagte er auch zu den letzten Zweiflern. Einer der Männer ging wie zufällig dicht an der Dämonenfrau vorbei, nahm ihr blitzschnell das Baby weg und schleuderte es davon. Die Dämonin schrie entsetzt und fiel auf den Boden. Reflexartig sandte ich meine Magie zu dem Baby und hüllte es darin ein. Es blieb in der Luft schweben und ich rannte auf das kleine schreiende Bündel zu und brachte es zurück zu seiner Mutter. Das Baby war so unschuldig und federleicht, ich konnte nicht verstehen, wie jemand es einfach wegschleudern konnte. Ich funkelte den Mann wütend an, doch dieser hatte sich schon abgewandt und rannte davon. Zitternd nahm die Frau ihr Kind wieder in die Arme. Sie saß noch immer auf dem Boden. „D- Danke! Vielen Dank!“, erklang ihre brüchige Stimme und im nächsten Augenblick brach sie in Tränen aus. „Schon gut!“, sagte ich beruhigend und hockte mich neben sie. Als ich sie sanft an der Schulter fasste, drehte sie sich zu mir und nahm mich in den Arm. Schluchzend drückte sie mich an sich. Überrascht umarmte auch ich sie. „Ist ja gut!“ Mogar scharrte nervös mit seinen Füßen auf dem Boden. „Ist nicht so ne gute Idee, hier sitzen zu bleiben!“, ermahnte er mich. „Ich strich der schluchzenden Frau über den Rücken. „Na kommen Sie schon, ihr Kind möchte schließlich einen Namen haben.“, ermutigte ich sie. Mogar half ihr beim Aufstehen und die Dämonenfrau schaute mich zweifelnd an. „Ez war keine gute Idee, gerade heute herkommen. Prinzessin hat Namen bekommen!“ Ich schüttelte meinen Kopf, wobei mir die Kapuze vom Kopf rutschte. Ich lächelte die überraschte Frau an. „Machen Sie sich darüber keine Gedanken!“ Mogar schnaufte überrascht. „Du.. IHR!“ Ich wurde rot. „Tut mir Leid, Mogar, dass ich es nicht erwähnt habe.“ Der überraschte Zwerg starrte mich mit offenem Mund an. „Was ist?“, fragte die Dämonenfrau unsicher. „Ach nichts!“, sagte ich beschwichtigend und deutete auf das Schloss. „Lassen Sie uns gehen.“ Die Frau nickte etwas zuversichtlicher und setzte sich in Bewegung. Mogar war einen Moment nicht in der Lage, etwas zu tun. Als er sich wieder fing, waren wir schon ein gutes Stück vorangekommen. „Wartet, Prinzessin!“, schnaufte der Zwerg und schloss zu uns auf. Ich schaute ihn fragend an und die Dämonenfrau blickte irritiert zu Vermilion, der sie dann in Dämonisch aufklärte. „Dämonen nehmen einen anderen Eingang zur Namensgebung. Hier entlang bitte.“, erklärte uns Mogar. Die Frau schaute mich einen Augenblick ernst an. „Ihr zeit die Prinzessin?“ Ich nickte. „Kan Gorir hat von euch erzählt! Sie sagen, Ihr seid gutes Mädchen. Sie hatte recht!“, sagte die Dämonenfrau leise. „Wie Euer Name?“ – „Kiraya.“, antwortete ich lächelnd. „In was für einer Beziehung stehen Sie zur Königin?“, fragte ich genauso leise. „Ich seien einer ihrer treuesten Dienerin!“, sagte sie stolz und nahm eine geradere Haltung an. „Schon in vierter Generation meine Familie dienen Königshaus.“ Der Gesichtsausdruck der Dämonin wandelte sich in das stolze Gesicht einer Kriegerin. Ich nickte anerkennend. „Wie heißen Sie?“, fragte ich etwas lauter. „Mein Name zein Araiko.“, antwortete sie höflich. „Das Baby... Ist es ein Mädchen?“, riet ich. Araiko nickte. „Sie mein ganzer Stolz! Mein erstes Kind.“ Araiko lächelte ihr Kind liebevoll an. Ihrem Aussehen nach war sie etwa Mitte zwanzig, aber das konnte man bei Dämonen nie so richtig erraten. „Hier ist der Eingang!“, räusperte sich Mogar. Wir standen vor einer unscheinbaren, schwarzen Tür, die gar nicht in das weiße Ambiente des Schlosses passte. „Ist irgendwie diskriminierend.“, stellte ich matt fest. Vermilion nickte zustimmend. „Das zein schon in Ordnung. Wichtig ist, mein Kind bekommt Namen!“ Vielleicht war es für sie so, aber während man meine Namensgebung mit einem großen Fest feierte, musste sich diese Frau in einen Hintereingang schleichen und sich vorher auch noch beschimpfen lassen! Die Welt war einfach ungerecht. Wieso mussten die Dämonen zur Namensgebung denn auch nach Manjaru? Ich fragte sie danach, während wir durch die Tür gingen. „Den vom Schicksal erteilten Namen können nur die Hohepriesterinnen geben.“, antwortete stattdessen Mogar, der mit einer Fackel vor uns her lief. „Manche Dämonen trauen sich nicht hier her, daher gibt es so einige, die ihren richtigen Namen nie bekommen werden.“ – „Und wie war das mit dem Heiwa? Was ist das?“ Mogar schaute mich prüfend an. „Man merkt, dass Ihr nicht hier aufgewachsen seid, Majestät. Heiwa ist ein Vertrag, den die Dämonen und Magier vor Ewigkeiten geschlossen haben. Wenn eine Dämonenfrau im roten Gewand und mit einem Baby im Arm nach Manjaru kommt, darf ihr niemand Leid zufügen. Wer dieses Gesetz bricht, dem erwartet die Todesstrafe!“ Mogar deutete auf eine weitere schwarze Tür. „Diese Tür führt zum Tempel.“, erklärte er. Die Dämonin nickte. „Ich danke Ihnen sehr, mein Herr.“ Mogar rückte seinen Gürtel zurecht und nickte zufrieden. „Ich hole Sie hier ab und führe Sie bis zum Stadtrand, wenn Sie fertig sind.“ Die Augen von Araiko leuchteten dankbar, als der Zwerg sein Angebot aussprach. Sie kniete sich vor ihm nieder. „Ich danken Ihnen von Herzen! Sie zein zu Gütig!“ Mogar machte eine wegwerfende Geste und wandte sich beschämt ab. „Nicht doch...“ „K- Kann ich vielleicht mitkommen?“, fragte Vermilion leise. „Oh, bitte! Ich möchte auch mit!“, flehte ich Araiko an. Die Dämonenfrau schaute überrascht zu uns herunter und lachte dann laut. Es war das erste Mal, dass ich sie lachen hörte und es klang sehr schön. „Es zein mir eine Ehre!“, sagte sie dann voller stolz. „Es ist mir eine Ehre.“, verbesserte sie Vermilion lächelnd. Araiko lächelte ebenfalls. „Oder so.“ Zum zweiten Mal an diesem Tag betrat ich den großen gewölbten Raum mit dem See in der Mitte. Ich half Araiko in das Boot und sah ihr fröhlich hinterher, als es, wie von selbst, losfuhr. Die drei Priesterinnen standen wie selbstverständlich in einer Reihe auf der Plattform und erwarteten ihren Gast. Als das Boot ankam, sah ich undeutlich Araikos Umriss aus dem Boot steigen. Ich trug Vermilion hoch und setzte ihn auf meine Schultern, damit er besser sehen konnte. Leise wehte Araikos Stimme zu uns hinüber, die verkündete, dass sie, Araiko, leibliche Mutter des Kindes, um einen Namen für ihre Tochter bat. Sie legte das Baby in die Mitte des aufgezeichneten Kreises und die Priesterinnen stellten sich auf die Runen. Araiko platzierte sich genauso, wie es meine Mutter getan hatte und die Priesterinnen fingen an zu singen. Die Stimmen der Priesterinnen schienen ganz nah zu sein, als ob sie neben uns standen. Ich bemerkte, wie Vermilion sich prüfend umdrehte um zu gucken, ob da wirklich niemand stand. Als das Lied endete, nahmen sich die drei an den Händen, wie bei mir zuvor, verkündete die älteste: „Ein Kind, schön und mutig.“ Als nächste sprach die mittlere der Priesterinnen. „Ein Herz, wild und entschlossen.“ Danach sprach die jüngste, laut und klar: „Ein Schicksal, so wie keines und doch wie jedes.“ Ich konnte undeutlich sehen, wie sich die drei zunickten und laut verkündeten: „Ihr Name, vom Schicksal selbst gewählt, lautet Mirave, Mystischer Wind.“ Als die Prozedur vorbei war und ich Araiko aus dem Boot half, begleiteten wir sie zurück „Mirave ist ein wirklich schöner Name!“, lächelte ich sie an. „Ein sehr seltener Name!“, stimmte Vermilion mir zu. Araikos Gesicht strahlte vor Stolz. „Ez zein großer Tag für mir, heute. Ich werden zu Hause allen von euch erzählen!“ Ich lächelte verlegen und öffnete die schwarze Tür vom Hintereingang. Vor der Tür trat Mogar ungeduldig von einen auf den anderen Fuß. „Ihr seid fertig? Gut.“ Er wirkte äußerst angespannt. „Was ist los, Mogar?“ Die Zwerg starrte in Richtung Stadt. „Die Menschen versammeln sich, ich glaube sie haben etwas vor... Wir sollten uns beeilen.“, sagte er an Araiko gewandt. Die Dämonenfrau nickt nervös. In ihrem Arm schlief die kleine Mirave seelenruhig. Die Zeremonie hatte das kleine Wesen geschwächt. Mit raschen Schritten gingen wir auf das Tor zu. Am Tor angelangt, blieb Mogar stehen. „Ihr solltet am besten hier bleiben, Prinzessin. Ich werde mit der Meute schon fertig, es ist besser, Ihr bleibt hier.“ Ich schüttelte energisch meinen Kopf. „Ich hätte keine ruhige Sekunde, wenn ich nicht mit eigenen Augen sehen würde, dass Araiko in Sicherheit ist.“ Gegen die Endgültigkeit dieser Worte, kam der Zwerg nicht an. „Haltet Euch aber zurück. Es wäre nicht gut, wenn das Volk sieht, dass Ihr eher auf der Seite der Dämonen seid, als auf ihrer.“ Ich starrte den Zwerg verdutzt an. „Ich stehe auf der Seite der Gerechtigkeit! Der Gerechtigkeit gegenüber jedem Lebewesen!“, erwiderte ich empört. Der Zwerg lächelte liebevoll. „Ich weiß es und schätze es sehr, aber nicht jeder ist so verständnisvoll, wie ich.“ Wir hatten den Marktplatz erreicht und kamen ohne Schwierigkeiten an den dort beschäftigten Menschen vorbei. Vermilion und ich hatten uns die Kapuzen ins Gesicht gezogen. Wir hatten schon fast das Tor an der Außenmauer von Manjaru erreicht und ich atmete erleichtert auf. Mogar hatte sich wohl geirrt, die Menschen ließen Araiko in Ruhe. Bevor sie durch das Tor schritt, drehte sie sich noch mal zu uns um. „Ich danken euch für allez!“, sagte sie an uns drei gewandt. Wir nickte nur. „Viel Glück, euch beiden und grüße bitte Kan Gorir von mir.“ In diesem Augenblick geschah es. Ein lila leuchtender Stein raste auf Araiko zu und hielt wenige Millimeter vor ihrer Schläfe an, als er an einen roten Schild abprallte. Erschrocken rissen auch Vermilion und ich unsere Schutzschilde hoch und konnten grade so einen Schauer bunt leuchtender Steine aufhalten. Mogar schwang grimmig seine Axt und wehrte die Steine, die auf ihn zuflogen dadurch ab. Die Meute hatte sich hinter den Häusern vor dem Tor versteckt und kamen langsam aus ihren Verstecken. Einige hatten sich mit Stöcken oder sogar mit Schwertern bewaffnet. „Was macht ihr, Narren? Ihr kennt das Gesetz! Der Dämonenfrau darf nichts passieren!“, schrie Mogar über das wütende Gebrüll der Meute hinweg, doch sie ignorierten ihn. Voller Abscheu und Wut starrten sie Araiko an, die ängstlich die kleine Mirave an sich drückte. „Wie lange brauchst, um dich in Sicherheit zu bringen?“, zischte ich ihr leise zu und stellte mich schützend vor sie. Vermilion tat es mir gleich. „Bis weg teleportieren kann, es zein etwa fünf Minuten.“, flüsterte sie nervös zurück. Ich nickte. „Geh, wir halten sie auf. Dreh dich nicht um und lauf so schnell du kannst, Araiko.“ Die Dämonenfrau wollte etwas erwidern, doch ich schnitt ihr das Wort ab. „Denk an Mirave! Lauf!“ Araiko drehte sich um und verschwand durch das Tor. Die Meute kreischte aufgebracht. „Sie entkommt!“ Mogar, Vermilion und ich versperrten den Weg durch das Tor. „Aus dem Weg, ihr Halbwüchsigen!“, schrie ein hoch gewachsener Mann, an der Spitze des Pöbels. „Wir wollen euch nichts tun, lasst uns durch das Tor.“ Mogar hielt seine Axt kampfbereit vor sich. „Ich werde dafür sorgen, dass das Gesetz geachtet wird!“ Der hochgewachsene Mann stürmte auf den Zwerg zu, dieser wehrte den Angriff ab und stürzte den Mann zu Boden. Daraufhin folgte auch der Rest der etwa 50 Menschen und griffen an. Ich tat das einzige, was mir einfiel und schob meine Kapuze zurück. „Sofort aufhören!“, rief ich. Viele der Menschen hatten mich erkannt und erstarrten verdutzt, die anderen waren zu aufgebracht und stürmten weiter auf uns zu. Ich konzentrierte mich und griff auf meine Magiekammer zu, um einen mächtigen Schild herauf zu beschwören. Ich achtete diesmal sorgfältig darauf nicht alles auf zu brauchen, doch der Schild tat auch so seine Wirkung. Die Menschen liefen gegen eine hellblaue, undurchdringliche Mauer. Kein Zauber oder Mensch schaffte es den Schild auch nur annähernd zum Schwanken zu bringen und die Menschen, die sich dagegen geworfen hielten sich die blutenden Köpfe. „Ich sagte, ihr sollt aufhören!“, reif ich erneut und diesmal hatten mich alle gehört. Es wurde so abrupt still, dass ich fast befürchtete, plötzlich taub geworden zu sein, bis eine Frau sich räusperte. „P-Prinzessin?“ Alle starrten mich verdutzt an. Ich nickte ernst. „Diese Dämonenfrau steht unter meinem persönlichen Schutz, wagt es nicht, sie zu verletzen!“ Ein lautes Stimmengewirr erhob sich und der hochgewachsene Mann starrte mich wütend und mit blutendem Kopf an. Bevor ich noch etwas sagen konnte, bahnten sich eine Gruppe von Männern ihren Weg durch die Menge. „Was ist hier los, was hat das hier alles zu bedeuten?“ Es war mein Vater und seine Leibgarde. Die Menge verbeugte sich ehrfürchtig und so hatte mein Vater den Blick auf das Geschehnis frei. Er starrte auf mich und meine Gefährten, meinen Schutzschild und die verletzten Menschen. Seine Gesichtszüge wurden hart. „Kiraya, was um alles in der Welt tust du hier?“ Ich sah ihn verdutzt an. „Ich wollte nur...“ Er unterbrach mich mit einer wegwerfenden Geste. „Hauptmann, sorgt dafür, dass die Leute nach Hause kommen.“ Augenblicklich schoben die Soldaten an der Seite meines Vaters die Menschenmenge in Richtung Stadt. Als auch die letzten Menschen außer Hörweite waren, schritt mein Vater blitzschnell auf mich zu. Ich löste meinen Schild auf und seufzte erleichtert. Auch Vermilion entspannte sich, doch Mogar blieb nervös. „Euer Majestät, ich kann das erklären..“, begann Mogar und stellte sich vor mich. Was er wohl von meinem Vater dachte? Als ich in das Gesicht meines Vaters schaute verschwand meine Erleichterung sofort wieder. Ich hatte ihn noch nie so wütend gesehen. „Was fällt dir ein, unser Volk an zu greifen, Kiraya! Mitglieder des Königshauses greifen niemals... NIEMALS einen Untertanen an!“ Mein Vater bebte förmlich vor Wut. Entsetzt wich ich zurück. „Ich habe mich nur verteidigt.“, entgegnete ich mit brüchiger Stimme. Nie zuvor hatte er so mit mir geredet. Vermilion klammerte sich an mich. Mein Vater starrte mich nur an, Mogar stand noch immer zwischen uns. „Du hast keine Ahnung, was du da grade angerichtet hast!“, schrie er mich an. Da hatte er vollkommen recht, denn ich war der Meinung, dass ich überhaupt nichts angerichtet hatte. Schnaufend drehte sich mein Vater um und ging in Richtung Schloss. „Komm sofort mit!“, herrschte er mich wütend an. Ich war zu verwirrt um irgendetwas zu erwidern und folgte ihm stumm. Vermilion wich nicht von meiner Seite und Mogar folgte uns mit einigem Abstand. Warum war mein Vater denn so aufgebracht. Alles, was ich getan hatte, war, einen Schutzschild zu errichten. Das die Leute dagegen gelaufen waren, war doch nun wirklich keine große Sache. Erst als wir wieder im Schloss bei Großvater, meiner Mutter und Shirai waren, sprach er wieder zu mir. Er hatte sich offenbar ein wenig beruhigt. „Das war einfach unglaublich dumm von dir!“, sagte er barsch. „Schatz, was ist denn los?“, fragte meine Mutter nervös. „Sie hat Menschen aus der Stadt angegriffen.“ Erschrocken sogen alle im Raum die Luft ein. „Sie hat WAS?“, fragte Shirai entsetzt. „Ich habe niemanden angegriffen!“, verteidigte ich mich. „Ich habe mich nur geschützt!“ Meine Mutter schaute mich besorgt an. „Was ist denn geschehen, mein Schatz?“ Ich erzählte ihr so knapp, wie möglich, was geschehen war, während mein Vater aufgebracht im Raum auf und ab ging. „Das war wirklich dumm!“, mischte sich Großvater ein, als ich geendet hatte. Ich schaute ihn fragend an. „Warum? Ich wollte sie doch nur beschützen!“ Warum waren denn alle so aufgebracht? Meine Mutter schwieg nachdenklich. „Wie Ihr seht, Majestät, kann ihre Ausbildung nicht mehr warten. Ihre mangelnden Kenntnisse könnten irgendwann noch schlimmeren Schaden anrichten.“, mischte sich Anno aus dem Schatten des Raumes ein. Ich zuckte unweigerlich zusammen, denn ich hatte nicht bemerkt. Großvater nickte ernst. „Kiraya, du wirst morgen wieder nach Hause gehen und mit deiner Ausbildung beginnen, wenn du nicht einmal die Grundkenntnisse dieser Welt kennst, ist es hier viel zu gefährlich für dich.“ Ich wurde immer verwirrter. „Ich habe nichts schlimmes getan!“, stieß ich aufgebracht hervor. Meine Mutter stand auf und legte ihre Hände auf meine Schultern. „Ich weiß, dass du es nicht besser wusstest, aber du musst unbedingt mit deiner Ausbildung anfangen!“ Mein Vater drehte sich bei diesen Worten um und sah seine Frau an, dann seufzte er. „Du hast recht, sie weiß es ja nicht besser... Aber Unwissenheit schützt vor Strafe nicht. Sicher werden die Menschen eine Bestrafung verlangen!“ – „Aber das können sie doch nicht tun, sie ist doch noch ein Kind!“, mischte sich Shirai erschrocken ein. „Was ist eigentlich los, Kiraya?“, fragte mich Vermilion telepathisch. Ich zuckte mit den Achseln. „Wenn ich das nur wüsste. Meine Mutter ließ von mir ab und die Erwachsenen unterhielten sich aufgebracht, während Anno mich mal wieder beobachtete. Sein überlegenes Grinsen war mir in diesem Moment völlig egal. „Kann mir endlich jemand erklären, was hier eigentlich los ist?“, fragte ich aufgebracht. Sie unterbrachen ihr Gespräch und schauten mich an, als wären sie überrascht, dass ich überhaupt noch da war. Mein Großvater fing sich, wie immer, zuerst. „Es ist Mitgliedern der engeren Königsfamilie bei Strafe verboten einen unschuldigen Bürger Leid zu zufügen. Dies ist ein sehr wichtiges Gesetz.“ Ich schaute verwirrt in die Runde. „Und wo ist das Problem? Ich habe lediglich ein Schutzschild aufgebaut!“ – „An dem sich einige Menschen verletzt haben!“, ergänzte mein Vater forsch. „Du musst sofort zurück!“ Ich schnaubte wütend und funkelte ihn an. „Ich habe nichts unrechtes getan! Ich habe mich verteidigt, mehr nicht! Ich versteh absolut nicht, was das ganze Theater soll!“ Ich drehte mich ruckartig um und stürmte aus dem Raum, Vermilion lief mir hinterher. „Alles in Ordnung, Kiraya?“, fragte er mich, wie immer telepathisch. „Es ist total ungerecht, wie sie mich behandeln! Darf ich mich jetzt nicht mal mehr verteidigen?“ Vermilion holte auf und hielt mich am Arm fest. „Ich glaube, sie meinen es nicht böse.“ – „Du verteidigst sie?“, fragte ich verwirrt und zog meine Augenbrauen hoch. „Das hätte ich nicht von dir gedacht!“ Vermilion schritt nervös von einem auf den anderen Fuß. „Sie sonst immer so nett, es muss irgendwas schlimmes passiert sein, sonst würden sie nicht so reagieren!“ Ich wusste, er hatte recht, aber das wollte ich in diesem Moment nun wirklich nicht hören. Seufzend strich ich durch seinen schwarzen Haarschopf. „Kannst du mich eine Weile alleine lassen? Ich muss über diese ganze Sache nachdenken, ich muss einfach erst mal weg hier.“ Vermilion starrte mich an. „Du willst weg?“ Ich nickte. „Nicht weit, in der Stadt bin ich ja offenbar nicht gern gesehen. Ich werde im Garten über alles nachdenken, vielleicht komm ich ja dahinter, was das alles soll.“ Erleichtert nickte Vermilion mir zu. „Ich warte im Zimmer auf dich!“ Der kleine Dämon kehrte auf dem Absatz um und lief munter den Gang entlang. In meinem Kopf brodelte es förmlich. Es war bei Strafe verboten einem Bürger zu verletzen, selbst bei Notwehr? Selbst, wenn man überhaupt nicht angriff? Dieses Gesetz musste doch an irgendwelche Bedingungen geknüpft sein. Die Flure, die ich entlang schritt, waren seltsam leer und die wenigen Diener, denen ich begegnete schauten mich nicht an, ganz so, als hätten sie angst. Wie konnte man nur von einem auf den anderen Augenblick jemanden so anders sehen? Als ich die Terrassentür erreichte, atmete ich erleichtert auf. Keine Menschenseele war weit und breit zu sehen. Gemütlich schlenderte ich über den hellblauen Rasen. Es war doch ein so schöner Tag und nun war ich offenbar so etwas, wie eine Schwerverbrecherin... Diese Welt gefiel mir mit einem Mal nicht mehr so gut, wie zuvor. Rechts von mir hörte ich leises Wiehern und ich ging darauf zu. Der Stall war mir zuvor nie aufgefallen, genauso wenig, wie die kleine Koppel. Die Pferde in den Boxen, waren die größten, die ich je gesehen hatte. Sie waren voller Muskeln und ziemlich stämmig. Ob diese Tiere als Arbeitstiere benutzt wurden? Ich ging auf das größte Pferd zu, ein brauner Hengst mit einer weißen Raute auf der Stirn, deren Spitze bis zur Nase des Tieres reichte. Ein wenig erinnerte es an eine Sternschnuppe. Das Pferd beschnupperte mich neugierig, als ich mich vor seine Box stellte. Ich war nicht einmal so groß, wie seine Beine lang waren, diese ungeheuere Größe beeindruckte mich ziemlich, so dass ich wieder ein paar Schritte zurück ging. Irgendwo nebenan hörte ich jemanden hereinkommen. Das Letzte, was ich gebrauchen konnte, war Gesellschaft, also kroch ich schnell ich einen der altertümlichen Wagen und zog die Stoffplane zu. Ein wenig fühlte ich mich, wie in einem Zelt, es war sogar genauso gemütlich, denn der Holzboden war mit haufenweise Tüchern bedeckt. Erschöpft legte ich mich auf den Rücken und starrte die weiße Wagendecke an. Ob meine Eltern mich schon suchten? Würde ich bestraft werden? Der Gedanke daran, machte mir ein wenig angst. „Ich sollte lieber zurück gehen, bevor es noch mehr Probleme gibt.“, überlegte ich. „Allerdings kann ich sie auch noch ein Bisschen schmoren lassen, besonders Papa, so, wie er mich behandelt hat!“ Ich seufzte und kuschelte mich in die Stoffe. Ich hatte eine Menge Energie verbraucht, als ich den Schild erschaffen hatte und sank müde in einen unruhigen Schlaf. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)