Valentinstag - Wie die Welt untergeht von Salatherz (1. Keichi) ================================================================================ Keichi der Student ------------------ Keichi, der Student Keichi war eigentlich ein ganz normaler Student. Er hatte eine eigene, kleine Wohnung in der Innenstadt, machte gerade seinen Führerschein und verbrachte die meiste Zeit seines jetzigen Lebens damit, zu lernen. Das war manchmal gar nicht so leicht, aber eigentlich gefiel es ihm. Er saß gerne in seinem kleinen Wohnzimmer, sah aus dem Fenster, beobachtete, was draußen so alles passierte. Wie schon gesagt: Ein ganz normaler Student. Nur mit einem hatte er nichts am Hut – Liebe. Natürlich, er sehnte sich so nach einer Freundin, wie jeder andere in seinem Alter auch, aber das grundlegende Problem war seine absolute Schüchternheit gegenüber dem anderen Geschlecht. Wenn er eine schöne Frau sah, wurden seine Knie weich und er drohte fast, in Ohnmacht zu fallen. Und wenn er ein Liebespärchen in der Uni oder auf seinem Weg durch die Stadt sah, wurde er sofort rot und musste beschämt den Blick abwenden. Keiner wusste, woran das lag. Nicht einmal seine Eltern, die es ihm bestimmt nicht genetisch vererbt hatten. Schließlich hatte sein Vater immer wieder einen Nebensprung gewagt und die Jugend seiner Mutter war mehr als wild gewesen. Aber hier geht es nicht um seine Eltern, sondern um ihn selbst. Um Keichi. Eines Tages war er mal wieder unterwegs. Er wollte in sein Lieblingscafe gehen und sich einen Kaffee gönnen, denn in der heutigen Nacht hatte er kaum ein Auge zubekommen. Keine Ahnung, warum. Wie dem auch sei. Auf jeden Fall ging er an jenem besonderen Tag gerade seinen gewohnten Weg durch den Stadtpark. Den Blick geradeaus auf den Boden geheftet, ein seliges Lächeln auf den Lippen und die Hände in den Hosentaschen vergraben. In Gedanken war er schon weit fort, an seinem Stammplatz und hielt ein Schwätzchen mit dem Kellner, der ein guter Kumpel von ihm war oder mit der Kleckeroma, die dort immer herum saß. Mit alten Frauen konnte er seltsamerweise ziemlich gut umgehen. Und wie er nun den breiten Sandweg im Park entlang schritt und innerlich schon auf Wolke 5 schwebte, ahnte er noch nicht, dass er nicht mehr im Cafe ankommen würde. Der heutige Tag würde vielleicht sein ganzes Leben verändern. Keichi hob den Kopf, sah zur Seite, einfach so. An ihm vorbei ging ein Pärchen. Eine Frau mir blonden, geflochtenen Zöpfen und ein Mann mit dunklen, leicht gelockten Haaren. Verlegen huschten Keichis Augen auf die andere Seite des Weges… noch ein Pärchen. Händchen haltend auf einer Bank. Keichi lächelte und sah nach vorne. Dirkekt vor ihm ein Pärchen. Flüsternd, lächelnd. Leicht nervös wich Keichi den beiden aus. So ein Zufall, dass er gleich drei von ihnen auf einmal begegnete. Ein echt blöder Zufall. Aber dabei sollte es nicht bleiben. Gleich auf der nächsten Bank – ein weiteres Pärchen. Am Küssen. Auf der anderen Seite noch eins. Dann noch eins, an der nächsten Biegung gleich zwei. Die Röte stieg Keichi wie Wasser ins Gesicht. Er wusste nicht, wohin mit den Augen. Rechts, linkt, unten, oben… Oben! Das war seine Rettung! Da oben konnte kein Pärchen sein. Zum Glück nicht! Schnell ging er weiter, fragte sich gerade, was heute nur los war, da stolperte er und legte sich voll hin. Entsetzt bemerkte er, dass er vom Weg abgekommen und auf dem Rasen gelandet war. Und gestolpert war er… na worüber wohl? Ein Pärchen. Schweiß rann Keichi von der Stirn, er rappelte sich schnell auf und hastete davon. Auf den Weg zu, aber der wurde geradezu belagert! Überall Liebespaare! Überall Kichern, sanftes Erröten, Umarmungen, Küsse… Wie von der Biene gestochen lief Keichi los. Schnell weg! Oh mein Gott, schnell weg! Er hastete über den Rasen, auf das Parktor zu, aber da waren sie auch! Sie waren überall! Einfach überall! Das konnte doch nicht wahr sein! Er rannte, so schnell er konnte, wich allem aus, hatte die Straße erreicht, auf der es auch nicht besser aussah, rannte weiter, um Kurven, um Ecken, hatte schon die Orientierung verloren. Aber das war egal! Verdammt, er musste hier weg, bevor er einen Nervenzusammenbruch erlitt! Er lief, er lief. Dann ein Lichtblick. Eine Tür. Eine metallene Tür in einer Wand. Direkt vor ihm. Die Rettung! Das war die Rettung! Keichi nahm noch einmal all seine Kraft zusammen, hechtete auf die Tür zu, riss sie auf und rettete sich ins Innere. Die Tür fiel zu. Was für ein Glück, dass sie nicht abgeschlossen gewesen war! Schwer atmend und keuchend sackte Keichi an die Tür gelehnt zusammen und versuchte, sich zu sammeln. Was war heute nur los? Diese ganzen Pärchen! Das war doch nicht normal! Schwitzend kramte er in der Tasche seiner Anzugjacke und zog seinen Kalender heraus. Blättere ihn auf, schlug Seiten um. Dann hatte er ihn. 14. Februar. Verzweifelt griff Keichi sich an die Stirn. Valentinstag. Da erhob sich ein Schatten über ihm. Noch völlig aus der Puste sah Keichi auf und direkt in das Gesicht einen jungen Mannes, der ihn anlächelte. „Na so was. Seit wann kommt ihr denn durch die Hintertür?“, fragte dieser und lächelte weiter. Seine schulterlangen, schwarzen Haare glänzten matt im bunten Licht. Buntes Licht. „Wie auch immer. Willkommen auf dem anderen Ufer, Süßer.“ „WAS?“, zischte es durch Keichis Kopf. Er sah am Kopf des Unbekannten vorbei und schrie fast auf, als er eine Bar sah. Und Männer. Ziemlich viele. Pärchen. Der Atem blieb ihm im Hals stecken, der junge Mann fasste sanft an seine Schulter. „Komm, ich zeig Ihnen alles.“ „W-w-warten Sie einen Mo-moment…“, stammelte Keichi und versuchte sich, seinem Griff zu entziehen, während er an der Tür wieder ins Aufrechte rutschte. „Ich… ich bin eigentlich nicht…“ „Schämen Sie sich nicht. Sie sind herzlich willkommen“, meinte der andere zwinkernd und zog Keichi auf die Bar zu. Einige der anderen hatten neugierig die Köpfe gehoben, um den Neuankömmling zu begutachteten. In diesem Moment kamen Keichi seine Urinstinkte zu Hilfe. Er war schließlich ein Mensch und hatte Reaktionsvermögen, Schnelligkeit und Intelligenz eines Jägers. Er konnte sich blitzartig bewegen, hatte eine enorme Ausdauer und übertrumpfte andere durch Präzision… allerdings waren bei ihm, wie bei vielen anderen diese Sinne ziemlich abgestumpft, sodass aus den Reflexen eines furchtlosen Jägers, die Reflexe eines gehetzten Opfers wurden. Der Weg zur Rettung eröffnete sich Keichi gegenüber, wie eben auch, durch eine Tür. Mit unglaublicher Geschwindigkeit gelang es ihm, sich loszureißen und mit einer unbeabsichtigten, aber eindrucksvollen Uneleganz auf die rettende Tür zu zu gleiten. Klinke runter, Tür auf, die Arme voraus, den Kopf hinterher… doch seine Beine waren zu langsam, eine Hand hielt seinen linken Knöchel fest und zum zweiten Mal an diesem Tag landete Keichi ausgestreckt auf dem Boden. „Hey, wir wollten dir keine Angst machen. Wir können alles ganz langsam angehen“, meinte der aufdringliche Kerl in einem, wahrscheinlich beruhigend gemeinten, Ton, der für Keichi aber eher die Bedeutung einer Morddrohung hatte. „Oh nein. Oh nein. Oh nein“, jammerte er verzweifelt und krallte sich am Boden (leider weiße, glatte Fliesen) fest, da er wieder zurück in den Raum gezogen wurde. Warum war er nur hier rein gekommen? Warum war er überhaupt aus dem Haus gegangen? Warum hätte er heute nicht einfach im Bett bleiben können? Schon über sein Testament nachdenkend, kam Keichi dann doch noch jemand zu Hilfe. „ASATO!“, kreischte plötzlich eine Stimme. Laut, stark, gebieterisch. Keichi brach fast vor Freude in Tränen aus. Eine FRAUENstimme! Rettung! Rettung! Sein Knöchel wurde losgelassen und Keichi zitterte vor Hoffnung auf eine nahende Rettung. Auf nahende Freiheit. Auf… er hob den Blick. Eine gewichtige Frau mit 3cm dick geschminktem Gesicht, Falten, Brille und blond gefärbten, zu einem Knoten gebundenen Haar, die alles andere als sympathisch aussah. „Wie oft habe ich dir schon gesagt, du sollst dich nicht immer an die neuen Lehrer ranmachen?!“ „20 Mal, M’am“, antwortete ‚Asato’ schuldbewusst. „Und wie oft hast du mir schon gesagt, dass du es nie wieder tust?“ „60 Mal M’am.“ „ALSO!“, schrie die Frau und riss Keichi nicht gerade sanft auf die Beine. „Entschuldige dich gefälligst!“ „Tut mir Leid, Sir.“ Keichi sah verdutzt und verängstigt in Asatos Gesicht. Er war nahe vor einer Denkblockade, aber er fürchtete, wenn er jetzt nicht reagierte, könnte er wieder in den Raum geworfen werden. Oder nach draußen. Also murmelte er mit erstickter, heiserer Stimme: „Ach was… kein Ding…“ Asato grinste, zwinkerte, verschwand durch die Tür. Die Tür fiel zu. Sie fiel zu! Die Tür war zu! Ein Glücksgefühl stieg in Keichi empor. Vielleicht war doch nichts verloren. Er war gerettet! Er wurde gerettet! Von dieser wunderbaren… äh… grimmigen und… ihn gerade brutal hinter sich herschleifenden Frau. „Wo-wohi…“, stammelte Keichi entsetzt. „Na wohin wohl? In mein Büro! Ich muss Ihnen ja wohl die Stundeneinteilung geben. Ihren Arbeitsplan. Und gleich noch 20% von Ihrem Gehalt abziehen. Wegen Zu-spät-kommens!“ „Wa-…“ Keichi räusperte sich, was ziemlich schwer war, denn die Frau hatte ihn am Hemdkragen gepackt, was ihm die Luft abschnürte. Keichi versuchte, tief Luft zuholen, sich erneut zusammenzureißen und griff ans Handgelenk der Frau. „Entschuldigen sie… äh… M’am, aber ich glaube, da liegt eine Verwechslung vor“, krächzte er. Die Frau wandte ihm böse funkelnd den Blick zu. „Wie bitte? Sie müssen lauter reden.“ „Eine Verwechslung!“, versuchte Keichi ihr durch Handzeichen und Krächzen klarzumachen. Es dauerte eine Weile, bis sie verstand, ihn daraufhin losließ und die Hände an die Wangen schlug. „OH! Das tut mir so Leid!“, rief sie in einem, für ihr Aussehen viel zu hohen Ton. „Kann… ja jedem Mal passieren“, brachte Keichi atemlos hervor. Er wollte einfach nur hier raus! Nach Hause! Hilfe! „Können Sie, mir sagen, wo hier der…“, begann er, aber die Frau schnitt ihm das Wort im Halse ab. „Natürlich! Selbstverständlich! Ich bring Sie gleich hin.“ Sie wirbelte herum und wuselte mit schwingender Hüfte vor ihm her. Keichi atmete erleichtert auf. Nach diesem kurzen, aber äußerst wirksamen Albtraum konnte er diese vernünftige, wenn auch unsympathische, grimmige (usw.) Seele gut gebrauchen. Wahrer Balsam für sein aufgescheuchtes Herz und sein Gesicht, das immer noch pulsierte. Die Frau blieb vor der nächsten Tür stehen. Eine Holztür. Unauffällig. Sie sah aus, wie jede andere auf dem Flur. Die Frau öffnete sie und winkte Keichi heran. „Entschuldigen Sie Asato und die anderen Jungs, aber wenn Sie auch durch den Hintereingang hereinkommen müssen und dazu noch so schnuckelig aussehen, müssen Sie sich nicht wundern.“ „…Ja.“ „Wenn sie Ihnen in Zukunft noch mal begegnen, einfach freundlich sein und klarstellen, was Sache ist. Die heutige Jugend ist so kompliziert… Wir haben allerdings auch Mädchen und normale Jungs auf der Schule. Die sind eigentlich alle ganz brav. Bis auf die Schläger und Säufer und… naja, Sie wissen schon. Das typische eben.“ Sie schob Keichi, der sie nur verwirrt anstarrte auf die Türöffnung zu. Was laberte die Frau da?! Aber Keichi war zu höflich, um ihr etwas entgegen zu setzen und nickte nur freundlich. Hauptsache, er kam hier endlich raus!!! „Wenn Sie einem von denen begegnen, müssen Sie Angst haben. Dann dürfen Sie sich hier drinnen verstecken. Die Tür ist gut gesichert und geht so schnell nicht kaputt. Ich bin so stolz auf Sie, dass sie diesen Job übernehmen wollen!“ „Ja, ich auch…WAS?!“ Bevor Keichi noch etwas sagen konnte, rummste die Tür hinter ihm und Dunkelheit stürzte auf ihn herab. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)