Mondzeiten von risuma (Eine Drachengeschichte) ================================================================================ Kapitel 53: Die zwei Ältesten ----------------------------- Mahad, der Älteste der Blauaugendrachen und Mazakazu hatten sich bei der Patrouille an der westlichen Grenze zum Gebiet der Rotaugendrachen täglich abgelöst. Sie wollten vorbereitet sein, wenn Gozaburo zurück in ihr Territorium kam, doch keiner der Beiden glaubte wirklich daran, dass Gozaburo umkehren würde, ehe er Kisara gefunden hatte. Nach einigen Tagen konnte Mazakazu in weiter Ferne leise das Gebrüll von kämpfenden Drachen vernehmen, doch er wagte nicht, in das Territorium der Schwarzen einzudringen. Denn es war nicht sicher, WIE die Schwarzen ihn empfangen würden. Einen halben Mondzyklus war Gozaburo nun schon verschwunden und so langsam bemerkten auch die anderen Drachen in der Kolonie seine Abwesenheit. Bis zum Neumond wollte er noch warten, hatte Mahad beschlossen, danach wollte er davon ausgehen, dass Gozaburo nicht so schnell wieder in die Kolonie zurückkehren würde. Trotzdem waren die beiden weißen Blauaugendrachen ziemlich erstaunt, als drei Tage vor Vollmond drei schwarze Rotaugendrachen das Gebirge überquerten und auf ihr Territorium kamen. Als die drei schwarzen Drachen sie bemerkten, kamen sie direkt in ihre Richtung geflogen, setzten zur Landung an und signalisierten so ihre friedlichen Absichten. Neugierig flogen Mahad und Mazakazu zu den drei fremden Drachen und landeten neben ihnen. Höflich hielten die Schwarzen ihre Köpfe gesenkt und warteten darauf, angesprochen zu werden. „Wer seid ihr, und was wollt ihr?“, fragte Mazakazu die drei schwarzen Drachen. „Ihr wisst dass ihr euch auf einem Gebiet der weißen Blauaugendrachen befindet?“ „Ja, das ist uns bewusst.“, antwortete Raphael ruhig. „Wir sind gekommen, weil wir mit eurem Ältesten etwas bereden müssen.“ Raphael hob langsam seinen Kopf, um die weißen Drachen von seinen ehrlichen Absichten zu überzeugen. „Was willst du von unserem Ältesten?“, wollte Mahad wissen. „Gehört ein Männchen mit Namen Gozaburo zu dieser Kolonie?“, erkundigte sich Raphael. „Ja, das tut es. Was ist mit ihm?“, forschte Mahad nach. „Das möchte ich lieber mit eurem Ältesten besprechen – von Ältestem zu Ältestem.“, antwortete Raphael ernst. „Er steht vor euch.“, erwiderte Mahad und verbeugte sich nun ebenfalls. „Es muss etwas Schwerwiegendes geschehen sein, wenn sich der Älteste der schwarzen Rotaugen höchstpersönlich zur Kolonie der weißen Blauaugen begibt, um mit ihrem Ältesten zu reden.“ „Ja, das ist es.“, nickte Raphael. „Ich bin Raphael, Ältester der schwarzen Rotaugen.“, stellte sich Raphael den weißen Drachen vor. „Und das sind meine Söhne Rakuya und Kuroya.“ „Danke. Ich bin Mahad, Ältester der weißen Blauaugen. Und mir zur Seite steht Mazakazu, der sich mit mir Sorgen wegen Gozaburo gemacht hat.“ Die fünf Drachen verneigten sich nach dieser Vorstellung höflich voreinander. „Was ist nun mit Gozaburo?“, fragte Mahad den Ältesten der Schwarzen. „Er kam in unser Gebiet, um, wie er sagte, nach seiner Gefährtin zu suchen, die verschwunden sei.“, begann Raphael und Mahad nickte dazu. Soweit war alles richtig. „Wir gestatteten ihm den Zutritt zu unserer Kolonie, damit er jeden befragen konnte. Doch keiner wusste etwas über ein weißes Blauaugenweibchen. Gozaburo schien enttäuscht, doch seine Hoffnung flammte wieder auf, als mit einfiel, dass wir ein Weibchen, das etwas außerhalb der Kolonie lebte, noch nicht befragt hatten. Bis dahin hatte ich an der Redlichkeit unseres Gastes keine Zweifel, doch als wir an der Höhle jenes Weibchens ankamen, begann sein Verhalten mich doch etwas zu irritieren. Es schien mir, als würde ein unheilvolles Feuer in ihm brennen und ihn verzehren. Denn das Weibchen und sein Bruder, welcher zu dieser Zeit bei ihr weilte, waren nicht in der Höhle anzutreffen, und auch die nächsten Tage nicht. Gozaburo bestand darauf auf Shizuka, so heißt das Weibchen, zu warten und da ich aus seinem Verhalten nicht schlau wurde, blieb ich bei ihm. Doch statt Shizuka, erschien nach vier Tagen nur ihr Bruder, und Gozaburo verwickelte ihn ziemlich schnell in einen ernsten Kampf, der tödlich für Gozaburo ausging.“ Mahad nickte nur ab und zu und hörte schweigend zu. „Doch nun kommen wir zu dem Teil, der kompliziert und verwirrend ist. Gozaburo wähnte sich im Recht, als er Katsuya angriff, wenn ich seine Vorwürfe richtig verstanden habe – er warf Katsuya vor, bei seiner Gefährtin gelegen und sich mit ihr gepaart zu haben. Leider ließ er Katsuya keine Zeit Stellung dazu zu beziehen – und Katsuya ist so verletzt, dass ich ihn bisher auch noch nicht dazu befragen konnte. Und vor zwei Tagen ist nun Shizuka aufgetaucht, weil sie sich Sorgen um ihren Bruder machte.“ Mahad wiegte bedenklich seinen Kopf. Das war ein ziemlich schwieriges Problem. „Wie hat sie ihre lange Abwesenheit erklärt?“, wollte er von Raphael wissen. „Shizuka hat gar nichts erklärt, doch Katsuya sagte, sie würden gemeinsam nach Shizukas Sohn suchen.“, antwortete Raphael. „Es ist für die Kolonie eine akzeptable Erklärung.“ „Aber Ihr habt sie nicht geglaubt.“, stellte Mahad nüchtern fest. „Nein, dafür gab es zu viele Ungereimtheiten. Wäre der weiße Drache nicht aufgetaucht, hätte ich Katsuya die Erklärung abgenommen. Er und seine Schwester sind rechtschaffene Wesen... Doch im Beisein Gozaburos habe ich sie natürlich nicht in Frage gestellt.“ „Habt ihr von der Schwester Antworten auf eure Fragen bekommen?“, fragte Mahad. „Einige, doch ich bin mir sicher, sie hat mir nicht alles erzählt.“, nickte Raphael. „Und, hat Gozaburo das schwarze Männchen zurecht angegriffen?“, forschte Mahad nach. „Ja und nein.“, antwortete Raphael diplomatisch. „Wenn Shizukas Aussage stimmt, dann wäre Katsuya der eigentliche Gefährte von dem weißen Weibchen. Sie scheint sich, bevor sie dem Werben einem der beiden Männchen aus der Kolonie nachgab, von der Kolonie entfernt zu haben. Anscheinend wollte sie in Ruhe nachdenken... Dabei traf sie auf Katsuya, erzählte ihm von ihrem Kummer und er tröstete sie... Als Folge bekam sie von ihm ein Ei, sie trug es aus, legte es heimlich ab und wählte Gozaburo zum Gefährten. Und hier kommt Shizuka unwissend ins Spiel: Sie fand das noch warme Ei und beschloss es auszubrüten. Dabei lernte sie das Weibchen und Gozaburo kennen. Gozaburo gestattete ihr wohl, das Ei auszubrüten und es schlüpfte ein Mischling: Ein weißes blauäugiges Rotaugenweibchen... Shizuka nahm es mit sich in ihre Höhle, doch als wir da waren, war es nicht dort. Ich hab das Junge also auch noch nicht gesehen.“, schloss Raphael seine Erklärung. Mahad runzelte die Stirn. Dies war wirklich alles ziemlich kompliziert. Gemischte Gefährten – das klang nach großen Problemen und ein Mischlingsjunges dazu erst recht... Die drei anderen Drachen hatten mit wachsendem Erstaunen der Erzählung Raphaels zugehört. So etwas hatte es ja noch nie gegeben. „Dann nehme ich einmal an, dass Kisara zu ihrem Jungen geflohen ist.“, meinte Mahad nachdenklich. „Das nehme ich auch an, denn Gozaburo behauptete ganz fest und sicher, dass es überall nach seiner Gefährtin röche.“, stimmte Raphael zu. „Aber wieso geflohen?“ Mahad nickte Mazakazu zu. „Ich, wir glauben, dass Kisara vor Gozaburos unbeherrschtem Charakter geflohen ist. Sie war nicht so glücklich, wie es ein junges Weibchen, das sich eben seinen Gefährten erwählt hatte, zu sein hätte. Ich fürchte Gozaburo war nicht besonders nett zu ihr, betrachtete sie als seinen Besitz... Ich kann den Triumph in seinen Augen nicht vergessen, mit dem er Kisara betrachtet hat.“, erklärte Mazakazu. „Und wie es schien, trauerte Gozaburo nicht um seine geliebte Gefährtin, sondern war wütend, dass sein Eigentum verschwunden ist.“ „Und wer weiß, vielleicht ahnte er ja auch etwas von diesem Katsuya.“, fügte er, nach einem kurzen Moment des Nachdenkens, hinzu. Die drei jüngeren Drachen ließen, wie auf ein Stichwort, die beiden Ältesten allein und begaben sich auf die Jagd. Da Mazakazu bei ihnen war, drohte ihnen keine Gefahr durch die anderen weißen Blauaugendrachen, zudem sie sich noch recht nah am Grenzgebiet befanden. Die drei hatten Glück, schnell hatten sie passende Beute gefunden, und auch noch zwei Tiere für die Ältesten erlegt. Damit kehrten sie zu Raphael und Mahad zurück und verzehrten die mitgebrachte Beute. „Was soll nun mit dem Körper von Gozaburo geschehen?“, erkundigte sich Raphael nachdem er sich gesättigt hatte. „Soll er zur Kolonie gebracht werden?“ Mahad überlegte einen Augenblick und schaute fragend zu Mazakazu. „Er hat keine Angehörige in der Kolonie mehr, den man fragen könnte.“, meinte Mahad nachdenklich. „Wenn sein Körper nicht stört...“ „Nein, er stört nicht.“, meinte Raphael. „Katsuya hatte den Kampf auf eine offene Fläche, fern ab der Kolonie verlegt. Er kann dort liegen bleiben. Wenn ihr wollt, könnt ihr mitkommen.“, lud der Älteste die beiden weißen Drachen ein. „Wir nehmen das Angebot dankend an, und kommen gern mit zur letzten Ruhestätte von Gozaburo.“, bedankte sich der Älteste der weißen Blauaugendrachen. Die fünf Drachen machten sich auf den Weg in das Gebiet der schwarzen Rotaugendrachen. ~~~ Überrascht blickten Shizuka und Rebekka zu Katsuya und gingen zu ihm hin. „Katsuya, kannst du mich hören?“, wollte Shizuka von ihrem Bruder wissen. Katsuya versuchte zu nicken, doch nur ein Stöhnen entkam seinem Körper. „Versuch mit mir, so wie mit den Menschen zu reden.“, schlug Shizuka vor. >Ich versuchs.< kam es gequält von dem Verletzten. „Siehst du, es geht doch.“, munterte Shizuka Katsuya auf. Rebekka schaute verwundert zwischen den Geschwistern hin und her. „Menschen?“, fragte sie irritiert. „Hör zu, Rebekka. Es ist noch eine ganze Menge mehr geschehen, aber das wäre alles zuviel für Raphael geworden. Für ihn war es wichtiger die Dinge über Gozaburo zu erfahren und eine Entscheidung wegen ihm zu treffen. Wenn er wieder zurück ist, dann werden wir auch noch darüber sprechen.“, sagte Shizuka ernst. „Denn es gibt bei den Menschen eine sehr gute Heilerin, und sie ist die einzige, die Katsuya wirklich helfen kann. Doch ohne Raphaels Erlaubnis kann ich sie nicht herholen.“ Rebekka schwieg. Auch für sie war es eine Menge, die sie zu überdenken hatte. „Jono hat also immer noch sein – spezielles – Problem?“, begann sie vorsichtig. Das war für sie die einzige Erklärung dafür, wie Shizuka in Kontakt mit den Menschen geraten sein konnte. Shizuka nickte. „Und über ihn hast du Menschen kennen gelernt?“, schloss die Gefährtin des Ältesten folgerichtig. Wieder nickte Shizuka. „Und Katsuya kennt diese Menschen auch?“, wollte Rebekka als nächstes wissen. Shizuka bejahte auch dies, schließlich hatte sie ihm ja, in Rebekkas Beisein, geraten, ihr wie den Menschen zu antworten. „Und wie ist das Weibchen, das ihn zum Gefährten gewählt hat?“, erkundigte sich Rebekka mir unverhohlener Neugier. Sie konnte sich nicht so recht vorstellen, mit einem Männchen wie Jono zusammen sein zu können... Einem Kranken... Wie sollte sie sein besonderes Problem sonst bezeichnen? Shizuka holte tief Luft, bevor sie zur Antwort ansetzte. „Es hat ihn kein Drachenweibchen zum Gefährten erwählt.“, antwortete sie bekümmert. „Aber, du hast doch gesagt...“, warf Rebekka ein. „Ich habe gesagt, dass er nicht mehr allein ist.“, stellte Shizuka richtig. „OH.“ Rebekka schwieg einen Moment. „Aber – mit wem ist er denn zusammen?“ „Sein Gefährte ist ein Mensch.“, antwortete Shizuka, leise aber bestimmt. Eigentlich wollte sie noch gar nichts von Seth und den Menschen erzählen, sondern erst, wenn der Älteste wieder da war, doch Rebekka ließ ihr keine andere Wahl. Rebekka sog heftig die Luft ein. „Ein genauso unglückliches Wesen, wie mein Sohn.“, fuhr Shizuka fort. „Einmal im Monat, zu Neumond, verwandelt es sich in einen Drachen, einen weißen Blauaugendrachen, wenn du es genau wissen willst.“ Jetzt war Rebekka mehr als nur verblüfft... Katsuya stöhnte erneut auf und Shizuka wandte sich augenblicklich wieder ihrem Bruder zu. „Katsuya, was ist?“, fragte sie besorgt. >Wasser.< kam es leicht gequält von Katsuya. „Ich hol dir welches.“, antwortete Shizuka fürsorglich. Sie flog zum nahe gelegenen Fluss und schöpfte Wasser mit einem großen Blatt. Ach, wenn sie doch jetzt nur die Trinkschläuche von Ishizu hätten... So musste eben das Blatt reichen. Vorsichtig transportierte sie das kostbare Nass zu ihrem Bruder und ließ es in sein Maul laufen. Schlucken konnte Katsuya noch nicht richtig, aber die Flüssigkeit in seinem Maul tat ihm schon gut... Erschöpft schloss Katsuya wieder seine Augen und fiel in einen leichten Schlaf. Gebannt verfolgte Rebekka den Umgang der Geschwister miteinander. Es war ungewohnt für sie zu sehen, dass nur ein Drache sprach und handelte. Es wirkte auf sie, als würde Shizuka ihrem Bruder alles von den Augen ablesen. Aber es war nicht so, wie sie wusste. Drachen und Menschen schienen sich irgendwie Gedanklich verständigen zu können. Sie kam gar nicht auf den Gedanken, dass dies eventuell ja allen Drachen gegeben wäre... „Er schläft.“, meinte Shizuka, als sie sich wieder zu Rebekka begab. „Ich glaube, er ist über den Berg.“ „Ja, das scheint mir auch so.“, nickte Rebekka. Ein Wesen, das nach Wasser verlangte, wollte leben... „Das Weibchen, das ist bei euch? Nicht wahr?“ Rebekka schaute Shizuka abwartend an. Diese brauchte einen Augenblick, um den Sprung zu begreifen, den die Gefährtin des Ältesten gerade machte. „Du meinst Kisara?“, fragte Shizuka vorsichtshalber nach. „Wenn so das weiße Drachenweibchen heißt – Ja.“, antwortete ihr Rebekka. „Ja, sie ist bei uns.“, nickte Katsuyas Schwester. „Aber, warum?“, wollte Rebekka wissen. „Sie hat es bei ihrem Gefährten einfach nicht mehr ausgehalten.“, antwortete Shizuka ehrlich. „Und wenn ihr Ei nicht zu früh gekommen wäre, dann wären wir mit Katsuya zusammen gekommen. So aber ist Katsuya alleine geflogen, um nach dem Rechten zu sehen, und in der Kolonie Bescheid zu sagen. Zum Glück, möchte ich meinen, wenn ich mir Katsuya so betrachte...“, nachdenklich wiegte Shizuka ihren Kopf. „Was hat sie nicht mehr ausgehalten?“ Rebekka konnte sich immer noch kein richtiges Bild von Gozaburo machen. „Sie wollte ihr Junges nicht mit diesem Gefährten großziehen.“, antwortete Shizuka ehrlich. „Da hat sie ihn verlassen.“ „Ist das nicht sehr ungerecht ihm gegenüber? Ein Männchen ist schließlich auf ein Weibchen angewiesen, wenn es Nachwuchs haben möchte.“, meinte Rebekka skeptisch. Noch hatte Kisara in ihren Augen nicht das Recht gehabt, ihren Gefährten zu verlassen. „Das stimmt schon, da bin ich ganz deiner Meinung. Es gibt nur so einiges über Gozaburo, das ihn als Vater nicht so geeignet erscheinen lässt.“, erwiderte Shizuka ernst. „Und das wäre?“, erkundigte sich Rebekka. „Als einziges Weibchen musste Kisara sich zwischen zwei Bewerbern entscheiden. Doch nachdem sie sich für Gozaburo entschied, legte er ein ganz anderes Verhalten an den Tag. Er war nicht mehr höflich und zuvorkommend, wie bei der Werbung, sondern herrisch, besitzergreifend und wollte von ihr nur noch, dass die endlich sein Ei trug.“, versuchte Shizuka sachlich darzulegen. „Außerdem tanzte er nicht den Paarungstanz mit ihr, sondern bestieg sie gewaltsam jeden Tag, grad so, als wäre dies ihr einziger Daseinszweck. Zudem trieb er noch so Anderes – Kisara hatte den starken Verdacht, dass ihr Gefährte der Anführer einer kleinen Gruppe war, die Menschensiedlungen überfielen...“ „Und die anderen Drachen in der Kolonie? Die anderen Weibchen, haben die nichts dazu gesagt?“, wollte Rebekka betroffen wissen. Also, sie hätte über ein solches Verhalten gewiss nicht geschwiegen. Kisara hatte gewiss um Rat gesucht, konnte sie sich vorstellen. „Keiner wollte etwas hören, alle waren froh, dass dieses leidige Werben um das einzige Weibchen vorbei war, und endlich Ruhe in die Kolonie einziehen konnte.“, meinte Shizuka grimmig. Auch ihr zog es jedes Mal das Herz zusammen, wenn sie daran dachte, dass die, die Kisara hätten helfen können, einfach weggesehen hatten. „Das ist nicht gut.“, nickte Rebekka verstehend. „Gozaburo hätte durch die Ältesten zurechtgewiesen werden müssen. Mit solchem Verhalten entehrt ein Drache jeden, nicht nur sich selbst und seine Gefährtin, sondern auch seine Familie und seine Kolonie. Mir scheint, dieses Männchen war ziemlich zügellos.“ ~~~ Langsam tauchte Katsuya aus seiner Dunkelheit auf. Nur vage konnte er sich daran erinnern, dass er den bewegungsunfähigen Gozaburo verschonen wollte. Doch mit letztem Glück konnte er seiner letzten, tödlichen Attacke ausweichen, und setzte selbst mit letzter Kraft zum tödlichen Biss an. Erst als der Älteste ihn von dem Leichnam fortzog, glaubte er endlich, dass Gozaburo tot war, und ihm nichts mehr anhaben konnte. Der Älteste stellte ihm zwar noch eine Frage, doch die verstand er schon nicht mehr – und fiel in eine tiefe Dunkelheit... Katsuya lag auf seinem provisorischen Lager und konnte zwei Weibchen reden hören... Das eine Weibchen war seine Schwester, doch wer das andere Weibchen war, das entzog sich momentan seiner Kenntnis. Und mit dem Bewusstsein kamen auch die Schmerzen... Katsuya stöhnte, und gleich fand sich seine Schwester bei ihm ein. „Katsuya, kannst du mich hören?“, wollte seine Schwester von ihm wissen. Katsuya versuchte zu nicken, doch nur ein Stöhnen entkam seinem Körper. „Versuch mit mir, so wie mit den Menschen zu reden.“, schlug Shizuka ihm vor. >Ich versuchs.< antwortete Katsuya gequält. „Siehst du, es geht doch.“, munterte Shizuka ihn auf. „Menschen?“, fragte die andere Stimme irritiert. „Hör zu Rebekka...“ Dieser Name sagte Katsuya etwas... Rebekka war doch die Gefährtin des Ältesten... Dann hatte er seine Schwester zu ihm geführt. Die beiden Weibchen führten eine Unterhaltung, doch Katsuya konnte nichts verstehen, denn es war zu anstrengend für ihn. Eine Weile lauschte er dem Klang der Stimmen und sie schläferten ihn beinahe ein wenig ein. Doch der brennende Durst, den er langsam verspürte, zwang ihn sich wieder bemerkbar zu machen. Er versuchte zu sprechen, doch nur ein Stöhnen entkam seinem Körper... Sofort war Shizuka wieder bei ihm und wollte wissen, was los wäre. >Wasser.< stöhnte Katsuya, zu mehr war er nicht fähig. „Ich hol dir welches.“, antwortete ihm Shizuka. Ahhh, wie tat es gut, als er endlich das kühlende Nass in seinem Maul spüren konnte. Aber der Versuch das Wasser runter zu schlucken, war noch zu schmerzhaft für ihn. Erschöpft schloss Katsuya wieder seine Augen und fiel in einen leichten Schlaf. Die murmelnden Stimmen der beiden Weibchen beruhigten ihn. Als Katsuya wieder erwachte, hörte er, wie Steine aufeinander fielen... ~~~ Schweigend flogen die fünf Drachen Richtung Westen. Jedem ging so etliche Gedanken im Kopf herum. Doch am meisten wunderte es die beiden Söhne von Raphael, dass der Älteste der Blauaugen die Nachricht vom Tod Gozaburo so ruhig aufgenommen hatte. Das warf gleich ein noch ganz anderes Bild auf Gozaburo – ein schlechteres... Endlich waren die Drachen an dem Platz angekommen, an dem der verletzte Katsuya und der tote Gozaburo lagen. Die beiden Weibchen hielten Wache, so wie es von Raphael gewünscht wurde. Kurz stellte Raphael die Drachen einander vor, dann gingen sie dazu über, Steine zu sammeln und Gozaburo damit zu bedecken. Shizuka und Rebekka waren überrascht, wie harmonisch die weißen und schwarzen Drachen miteinander umgingen. Auch sie hatten mit wesentlich mehr Unwillen auf der Seite der Weißen über den Tod Gozaburos gerechnet. Als Gozaburo endlich ganz mit Steinen bedeckt war, wandten sich die männlichen Drachen den Weibchen zu. „Das ist also Katsuya.“, meinte Mahad mit einem kurzen Blick auf das verletzte Rotauge. „Und du bist seine Schwester?“, wollte er von Shizuka wissen. „Ja, das bin ich.“, antwortete Shizuka höflich. „Beantworte mir bitte nur die eine Frage: Ist Kisara bei dir, oder euch?“, bat der Älteste der Blauaugen ernst. „Ja, das ist sie.“, antwortete Shizuka ehrlich. „Und, trug sie Gozaburos Ei? Gibt es ein Andenken an ihn?“, fragte Mahad ernst. „Ja, sie trug sein Ei. Mittlerweile hat sie es gelegt und brütet es aus.“, antwortete Shizuka nicht ohne einen leisen Schrecken. Was wenn der Älteste dieses Junge für die Kolonie zurück forderte? „Und warum, hat Kisara gesagt, hat sie die Kolonie verlassen?“, forschte Mahad weiter. „Sie wollte nicht, dass ihr Junges mit einem Vater wie Gozaburo aufwachsen sollte. Aus ihm sollte etwas Vernünftiges werden, und nicht so ein kranker Charakter, wie Gozaburo. Aber sie hatte den besten Willen mit Gozaburo aus zu kommen. Doch das Ei, das sie trug, warf ihre Pläne über den Haufen. Gozaburo sollte keinen Einfluss auf ihr Junges haben können...“, gab Shizuka Kisaras Beweggründe wieder. „So etwas Ähnliches habe ich mir schon gedacht.“, nickte der Weiße Drache. „Wollt ihr ihr das Junge wegnehmen?“, fragte Shizuka ängstlich nach. „Nun, jetzt da Gozaburo nicht mehr lebt, besteht für Kisara doch überhaupt kein Grund mehr, der Kolonie fern zu bleiben.“, meinte der Älteste nachdenklich. Shizuka schrak zusammen. Das wäre ja fürchterlich... für alle und alles... Dies hatte keiner in Betracht gezogen... „Ich weiß nicht...“, begann Shizuka vorsichtig, „ich glaub nicht, das Kisara sich wieder von ihrer Tochter wird trennen wollen.“ Jetzt musste Shisara mit ins Spiel kommen – unbedingt... „Und Shisara wird ihre Mama auch nicht wieder hergeben wollen. Jetzt, wo sie doch Mama UND Papa zusammen hat.“, warf Shizuka ihr stärkstes Argument für Kisara in die Waagschale. Mahad war überrascht, mit welcher Inbrunst Shizuka sich für Kisara einsetzte. „Aber sie ist für euch doch sicher nur eine Belastung, so als einziges weißes Blauauge in einer Kolonie schwarzer Rotaugen...“, wandte Mahad unsicher ein. „Nein, sie ist uns keine Belastung.“, sagte Shizuka fest. „Sie ist uns herzlich willkommen, und passt wunderbar in unsere Gemeinschaft.“ Shizuka entgingen die seltsamen Blicke, die sich ihr Ältester und seine Gefährtin zu warfen. „Shizuka lebt nicht in unserer Kolonie.“, wandte Raphael vorsichtig ein. „Und von diesem Jungen habe ich gestern auch zum ersten Mal gehört. Ebenso wenig habe ich Kenntnis über den Aufenthaltsort von Kisara.“ Die beiden Ältesten schauten erst sich und dann Shizuka an. Mahad nickte, diese ’Verhandlung’ überließ er lieber Raphael. „Was genau für eine Gemeinschaft?“, wollte Raphael sehr genau von Shizuka wissen. Shizuka nickte, jetzt war der Moment gekommen, auch noch den Rest zu erzählen. „Katsuya, Kisara, Shisara, Mokuba, Jono, Seth, Ishizu, die kleine Ishizu, Yugi, Tea, Kisara, Moka, Karim, Yoko und hoffentlich bald noch recht viele Andere.“, antwortete Shizuka einfach. „Alles Drachen?“, forschte Raphael skeptisch nach. Wie kamen so viele fremde Drachen in sein Gebiet? „Nein.“, schüttelte Shizuka lächelnd ihren Kopf. „Nur Katsuya, Kisara, Shisara, Mokuba, Jono, und manchmal auch Seth, sind Drachen. Alle Anderen sind Menschen.“ Die beiden Ältesten schauten Shizuka ungläubig an. „Du meinst, Gozaburos Junge soll mit Menschen aufwachsen?“ Diese Vorstellung behagte Mahad so ganz und gar nicht. „Warum nicht?“, wollte Shizuka wissen. „Die Menschen sind nett, und DIESE Menschen wissen Drachen sehr zu schätzen. Wusstet ihr, dass es bei den Menschen Geschichten darüber gibt, dass Drachen und Menschen früher miteinander gelebt haben? Dass sie sich früher nicht gegenseitig gejagt und vernichtet haben? Sie haben sich sogar gegenseitig ein Kind geschenkt.“ Auffordernd blickte Shizuka die Drachen in ihrer Umgebung an. Die Drachen verstanden immer weniger, und auch Rebekka konnte sich noch keinen rechten Reim auf das eben gesagte machen. „Würdest du uns das bitte genau näher erklären?“, forderte Raphael Shizuka auf. „Drachen und Menschen lebten früher, in den Alten Zeiten, in Harmonie miteinander. Häufig bildeten mehrere Menschendörfer und eine Drachenkolonie eine gemeinsame Siedlung. Sie pflegten einen regen Austausch, und um sich noch besser zu verstehen, schenkte jede Rasse der Anderen ein Neugeborenes.“ „Wie ist das zu verstehen?“, wollte Raphael wissen, der sich nichts darunter vorstellen konnte. „Drachen und Menschen schlossen bei den Sternen einen Bund, und dieses Neugeborene würde jeweils für einen Tag einer Mondphase die Gestalt der anderen Rasse annehmen.“ „Jono?“, fragte Raphael vorsichtig. „Ja, Jono.“, antwortete Shizuka ernst. „Außerdem gab es bei jeder Rasse auch ein weibliches Neugeborenes, das die Funktion der Bewahrerin innehatte, und ihre Töchter trugen immer dieses Wissen weiter. Aber leider führten Drachen und Menschen später einen großen Krieg gegeneinander, und die Mondkinder gerieten in Vergessenheit. Und so wird bei Menschen und Drachen immer wieder ein männliches Junges mit erreichen der Geschlechtsreife davon überrascht, dass es sich verwandelt. Dabei gibt es ganz bestimmte körperliche Merkmale an Hand dessen man diese Kinder erkennen kann. Die Kinder des Bundes, die die bestimmten Fähigkeiten tragen, haben alle ein rotes rautenförmiges Mal auf ihrem Körper, die Bewahrerinnen sichtbar auf ihrer Stirn, und die Mondkinder in ihrem Genick.“ „Das ist ja alles schön und gut“, meinte Raphael, „doch was hat das mit uns, oder mit euch, oder mit dieser seltsamen Gemeinschaft zu tun?“ „Wir wollen den alten Bund wieder auferstehen lassen. Endlich sind wieder einmal alle zusammen gekommen, die von diesem Bund betroffen sind. Die beiden Mondkinder sind aufeinander getroffen, haben die Bewahrerin der Menschen kennen gelernt, und die Bewahrerin der Drachen hat auch den Weg zu dieser Gemeinschaft gefunden.“, erklärte Shizuka offen. „Wie hast du eigentlich diese Menschen kennen gelernt?“ „Durch Seth. Er kam eines Tages zusammen mit Jono zu mir. Und als die Beiden den Auftrag hatten Shisara zu Ishizu zu bringen, sind Kisara und ich mit geflogen. So haben wir die Bewahrerin und alle Menschen, die bei ihr waren, kennen gelernt.“ Langsam wurde Shizuka trotzdem ungeduldig... Sie wollte dem Ältesten ja nicht vorgreifen, aber Katsuya brauchte noch Hilfe... „Raphael“, begann sie vorsichtig, „ich möchte dich in deiner Entscheidung ja ungern beeinflussen, oder gar drängen, doch Katsuya braucht Hilfe, und Ishizu ist eine hervorragende Heilerin... Sie kann dafür sorgen, dass sich seine Wunden nicht entzünden... Und hat außerdem Gerätschaften die uns dabei helfen, ihn mit Wasser zu versorgen, solange er sich noch nicht bewegen kann.“ Flehend blickte Shizuka Raphael abwartend an. Raphael wiegte bedenklich mit dem Kopf. Wenn er Shizuka eben richtig verstanden hatte, wollte sie einen Menschen in ihr Territorium holen. „Gut, du darfst diese Ishizu herholen, und in der Zwischenzeit entscheiden wir darüber, was mit euch geschehen soll – mit euch allen, Drachen, wohlgemerkt.“, entschied Raphael. Wenn sie Katsuya nicht wegen seiner schweren Verletzungen verlieren wollten, dann war es gewiss besser jede Hilfe anzunehmen, die sie finden konnten. Und in der Zwischenzeit würde er sich mit Mahad bereden – das letzte Wort war in dieser Angelegenheit noch nicht gesprochen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)