Mondzeiten von risuma (Eine Drachengeschichte) ================================================================================ Kapitel 6: Geheimnisse werden gelüftet - oder doch nicht? --------------------------------------------------------- Als Seth am nächsten Morgen erwachte, fühlte er sich unbehaglich. Etwas drückte ihm unangenehm in den Rücken. Er drehte sich um, und erschrak: Er lag direkt neben dem Schwarzen Rotaugendrachen. Wie? Was? … Wäre Seth nicht ein von Mondzeiten geplagtes Wesen, so würde er jetzt schreiend aus der Höhle stürmen und das Weite suchen. Aber so konnte er sich einiges zusammenreimen. Es konnte nicht anders sein, der Schwarze und der Blonde mussten ein und dasselbe Wesen sein, und dann würde alles einen Sinn ergeben: das Ertränken im See, die unverhohlene Neugier, das ungläubige Mustern und die offensichtliche Unkenntnis von Kleidung. Ebenso wie sein Kuschelbedürfnis und die Suche nach Trost. Wenn der Schwarze sich für einen Tag in einen Menschen verwandelte, so wie er in einen Drachen, dann hatte er genauso viel Ahnung über Menschen, wie er über Drachen. Nur eines konnte er nicht verstehen: Wenn er sich verwandelte, wieso hat er ihn dann mit in die Höhle genommen? Es hätte ihm doch klar sein müssen, dass sein Geheimnis auffliegen würde. Na ja, das würde er schon noch herausfinden. Und auch, weshalb er zu ihm sagte: „Hallo, da bist du ja.“ Das würde er zu gern wissen. Aber jetzt wollte er erst einmal abwarten, wie der Schwarze auf seine Anwesenheit reagieren würde. Der Schwarze rührte sich und seufzte traurig auf. Langsam öffnete er die Augen und Seth blickte in tieftraurige rote Augen. Sein Herz zog sich zusammen, als er diesen traurigen Blick sah. Er würde viel lieber strahlende Freude in ihnen sehen und er war sich sicher, dass ihm das auch gelingen würde. ~~~ Der Drache erwachte, weil die kleine Wärmequelle an seinem Rücken verschwunden war. Als nächstes wurde ihm schmerzhaft bewusst, dass er noch lebte und sein Leid nicht hinter sich gelassen hatte. Er seufzte auf. Er fühlte sich beobachtet und öffnete langsam seine Augen. Fragende blaue Augen schauten ihn an. Ein Mensch? Wie kam ein Mensch in seine Höhle? Er musterte ihn genauer. Das war doch der Fremde, den er die ganze Zeit gesucht hatte. Würde er ihn jetzt töten? Einerseits wäre es ihm recht, dann wäre sein Leid zu Ende, doch andererseits sah der Fremde nicht danach aus. Irgendwas in diesem Blick rührte ihn ganz tief an, doch er wusste nicht, was. „Wr brst dr?“, versuchte er den Fremden zu fragen, doch der schien ihn nicht zu verstehen. Auch wenn es wahrscheinlich sinnlos war, so wollte er es auf dem telepatischen Wege versuchen. >Wer bist du?< Überrascht schaute der Fremde ihn an. „Ich bin Seth.“, gab er zur Antwort. >Wie kommst du hierher?< „Du hast mich doch gestern selbst mit hierher genommen.“ >Gestern?<, fragte er ungläubig. „Ja, gestern.“, bestätigte Seth. „Ich hab dich aus dem See gefischt und du hast mich dann mit hierher genommen.“ >DU hast mich aus dem See gefischt?< fragte er völlig perplex. Er konnte sich nicht vorstellen, dass ein Mensch einen Drachen… Moment… >War gestern Vollmond?<, fragte er vorsichtig nach. „Ja.“ >Dann war ich gestern kein…?“ Er traute sich nicht die Frage ganz auszusprechen. „Richtig, gestern warst du kein Drache. Gestern warst du ein Mensch.“ >Was ist gestern geschehen?< Er konnte sich so überhaupt nicht an den gestrigen Tag erinnern. „Du bist in den See hinausgeschwommen und auf einmal untergegangen.“ Seth wollte ihm nicht sagen, dass er davon ausging, dass er sich das Leben nehmen wollte. Immerhin kannte er ja den Kummer des Drachens. >Und du hast mich dann aus dem See herausgeholt?< wollte der Drache wissen. „Ja, als du nicht wieder aufgetaucht bist, bin ich dir hinterher geschwommen und hab dich rausgeholt. Du hast nicht mehr geatmet, also hab ich versucht dich wieder zum atmen zu bringen, was ich auch nach einigem Mühen geschafft habe. Hinterher haben wir uns am Ufer ausgeruht, genauer gesagt haben wir bis zum Sonnenuntergang geschlafen und du hast mich mit zur Höhle rauf genommen. Nach reichlich Nüssen und Beeren sind wir dann eingeschlafen. Und, …du hast mir deinen Namen genannt.“ >Meinen Namen?< fragte der Drache ungläubig. „Ja“, schmunzelte Seth. „Ich habe Jono daraus gemacht und hoffe, das ist dir recht. Ich könnte zwar versuchen den Namen auf deine Weise auszusprechen, aber er ist für Menschen doch etwas ungewöhnlich.“ „JO,NO“, grollte der Drache leise. >Ja, das klingt gut. Das ist ein schöner Name. Und du heißt Seth?<, fragte Jono. „Ja, seit meiner Geburt“, grinste Seth. >Fürchtest du dich denn nicht vor mir?< „Nein.“, antwortete Seth schlicht. „Ich war mir zwar nicht sicher, was du mit mir tun wirst, aber selbst wenn du mich töten solltest, wäre es mir recht gewesen.“ >Warum?< „Wenn ich nicht hier bleiben kann, dann will ich nicht mehr leben.“ >So schlimm?< „Hmhm.“ >Und wie hat es dich in mein Tal verschlagen? Du bist, so lange ich hier bin, der erste Mensch, der in mein Tal gekommen ist.< „Wie lange bist du denn schon in diesem Tal?“ >70 Jahre.< „So lange schon?“, fragte Seth mitfühlend. >Ja.<, gab Jono traurig zur Antwort. Dann fiel ihm etwas auf. >Hab ich dich richtig verstanden, du willst bei MIR bleiben?<, fragte er vorsichtig nach. „Wenn ich darf? Mir ist an der Gesellschaft der Menschen nichts gelegen. Sie mögen mich nicht, und ich mag sie nicht. Deine Gesellschaft ist mir allemal lieber.“, antwortete Seth ihm ehrlich. >Meine Gesellschaft ist dir lieber? Wirklich?< Jono konnte nicht glauben, was er eben gehört hatte. „Ja“, nickte Seth. „Außerdem ist es in deinem Tal so still und friedvoll. Ich habe mich vom ersten Augenblick an wohl gefühlt, grad so, als wäre ich nach Hause gekommen.“ >Genau so ging es mir auch, als ich in dieses Tal gekommen bin.>, nickte Jono. „Ich finde dich nett“, sagte Seth unvermittelt. >Ja?< freute sich Jono über diesen Satz. >Ich dich auch.< Auf einmal bemerkte Seth, dass einige Körperfunktionen dringend auf sich aufmerksam machten. „Du, Jono, sag mal, wo kann ich…“, druckste Seth herum. Es war ihm ziemlich peinlich, so direkt danach zu fragen, aber es musste wohl sein. >Was denn?< „Mich erleichtern.“ >Erleichtern?< „Umh“, langsam begann es schon zu drängen, „Wasser lassen, pinkeln, pissen, einen Haufen machen, scheißen, kacken…“ >?< „Na ja, die verdauten Nahrungsreste loswerden.“ >Ach so, Exkremente absetzen.< gab Jono erleichtert von sich, >wenn du dem Pfad neben der Höhle nach oben folgst, führt er dich zu einer Lichtung. Du kannst sie gar nicht verfehlen. Dort kannst du… Wasser lassen? Einen Haufen machen?< Letzteres waren Ausdrücke, mit denen er etwas anfangen konnte. Drachen und Menschen sprechen wohl zwei verschiedene Sprachen, stellten Seth und Jono fest. ‚Na, das konnte ja noch lustig werden’, dachte Seth, ‚wenn ich immer wieder alles so lange erklären muss, bis wir einen gemeinsamen Nenner finden.' Obwohl, langweilig würde es garantiert nicht werden und lustige Verwechslungen waren vorprogrammiert. Aber jetzt musste er sich wirklich sputen, sonst ginge es, im wahrsten Sinne des Wortes, in die Hose. Und richtig, er fand den beschriebenen Ort und konnte sich erleichtern. Es war sogar ein kleiner Bach vorhanden, in dem er sich reinigen konnte. Auf dem Rückweg fand er ein paar Beeren, die er sogleich verdrückte. Während dessen musste Jono in der Höhle über den Umstand nachdenken, dass er vom gestrigen Tag überhaupt nichts wusste, nicht mal einen kleinen Schimmer hatte. Für gewöhnlich waren es doch nur rein körperliche Verwandlungen, sein Geist blieb immer derselbe. Er konnte es nicht wirklich verstehen. Aber auch wenn es ihn froh stimmte Seth bei sich zu haben, den Verlust des Kleinen konnte er noch nicht verkraften. Aber Seth würde ihm dabei helfen, darüber hinweg zu kommen. Auf dem Rückweg überlegte Seth, wie er denn nun mit seinem Geheimnis umgehen sollte. Er kannte ja jetzt nun das Geheimnis von Jono, immer zu Vollmond verwandelte er sich in einen Menschen. Und er zu Neumond in einen Drachen. Sollte er, oder sollte er nicht? Seth wusste nicht, was er machen sollte, was besser wäre. Als er wieder zur Höhle zurückkam, hatte er einen Entschluss gefasst: Erzählte ihm Jono von dem weißen Drachen, dann würde er ihm von seinem Geheimnis erzählen. Ansonsten wäre es für Jono ein Geschenk zum nächsten Neumond. Denn der kam ganz sicher. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)