Die Söhne des Drachen von Xanderle (Fortsetzung von "Drachenherz") ================================================================================ Kapitel 17: Warte, bis es dunkel ist ------------------------------------ Ein Fünftel der Drachenbrut kämpfte am nächsten Tag gegen den Drang, Pineria Tutuk einfach mal übers Knie zu legen. Oder sie in den Wald zu verschleppen, wo man sie dann für ein, zwei Stunden hemmungslos hätte anbrüllen können. Wer hätte gedacht, dass diese Jungfer so gewieft darin war, einem Konflikt aus dem Weg zu gehen? Das verwirrte, leicht verträumte Käuzchen hatte sich in einen glitschigen, agilen Aal verwandelt, der beim besten Willen nicht zu fassen war. Aber sie würde schon sehen, was ihre Ninja-Taktik ihr einbringen würde. Wie sagte Onkel immer? Im Krieg und in der Liebe ... Und Lu Ten hatte nicht umsonst alle Taktiken und Winkelzüge der erfolgreichsten Kriegsherren der Historie rauf und runter studiert. Heute Abend würde sie ihm nicht mehr aus dem Weg gehen können, soviel stand fest. Schliesslich hatte er sein Talent als Fassadenkletterer schon des öfteren unter Beweis gestellt. Da niemand da war, um ihm vernünftige Anweisungen zu geben, gestattete er sich, den Tag hemmungslos zu verplempern. Verplempern hiess im Fall dieses speziellen jungen Mannes, nach irgendwelchen verdächtigen Aktivitäten Nemo Rans Ausschau zu halten, Platzhirsch Ken ein wenig zu ärgern (dabei stellte sich heraus, dass er der Sohn des Dorfschmieds war, was seinen Hang zur muskulösen Selbstdarstellung erklärte), indem man einen kleinen Spaziergang durchs Dorf machte (selbstverständlich zur `Hauptverkehrszeit´) und in einem kleinen, verstaubten Bücherladen nach verborgenen Schätzen zu kramen. Die Buchhändlerin strahlte bis über beide Ohren. Dieses Bild von einem Assistenten, das Fräulein Tutuk momentan beschäftigte, trug die Bücher nicht nur stapelweise vor ihre klingelnde Kasse, sondern lockte auch Heerscharen neuer Kundinnen in den Laden, die sich veranlasst sahen, aus Alibi-Gründen das ein oder andere Werk zu erstehen. Als Lu Ten sich, die Arme voller Bücher, der Tür zuwendete, musste er feststellen, dass sein Weg nach draußen plötzlich einem Hindernis-Parkur glich. „Verzeihung!“ „Hoppla! Nichts für ungut, der Herr.“ Ach. Echt? „Dürfte ich bitte...?“ „Oh, steh ich im Weg?“ Aber nein! Nur MITTEN im Türrahmen. Für einen klitzekleinen Augenblick sehnte sich Seine Hoheit zurück in den Feuerpalast, wo ihm der Weg respektvoll freigemacht wurde, wenn er von A nach B wollte. Hier musste er scheinbar das ganze Alphabet von hinten aufrollen, bevor B auch nur in greifbare Nähe rückte. Doch er schaffte es, sich durch die Ansammlung zu schlängeln ohne dabei Hüften, Oberweiten, oder andere kompromittierende Körperteile zu touchieren. Wieder zurück im Herrenhaus, schleppte er die Bücher in eines der Archive, um sie einzusortieren. Somit hatte er einen ausgezeichneten Vorwand, nach ... was auch immer zu suchen. Wenn er wenigstens einen Anhaltspunkt hätte! Alles, was hier zu finden war, war Wissen, das der Menschheit schon längst zur Verfügung stand, und sich mit etwas Fleiß in jedem besseren Schulbuch finden liess. Lu Tens einziger Trost war die Tatsache, dass sein Gegenspieler offensichtlich ebenso erfolglos war. Heute morgen hatte er Nemo dabei erwischt, wie er die Post der Tutuks durchsucht hatte. Vollkommen umsonst, wie er ihm gleich hätte sagen können. Das Abendessen war die übliche Prozedur. Pineria schenkte ihre Aufmerksamkeit jedem, der etwas sagte. Außer natürlich, der Sprecher hatte durchdringende Augen der Farbe `Antik Gold´. Fast wäre es ein Grund für Lu Ten gewesen, wieder die alte Wortkargheit an den Tag zu legen, doch dann hätte er sich das Gesäusel von Nemo als Endlos-Monolog anhören müssen und sie ganze schöne Vorspeise wäre ihm erneut durch den Kopf gegangen. So machte er gute Mine zum dubiosen Spiel. Pippa plagten hingegen ganz eigene Sorgen. Sie war kaum in der Lage, sachgemäss mit dem Besteck umzugehen, so zitterten ihre Hände. ER hatte sich ja den Platz direkt gegenüber unter den Nagel reissen müssen. Beobachtete sie aus den Augenwinkeln. Schön. Fein. Liebte sie ihn eben. Hatte sie eben die halbe Nacht wachgelegen, und sich an ... an diese andere Nacht erinnert. Dass ein Bett zu groß sein konnte, war ihr bislang fremd gewesen. Es stand ihm ja auch frei, es mit ihr zu teilen! Bitte sehr! Aber nein. Für den Herren hiess es alles oder nichts. Als sie doch den Fehler beging aufzublicken, traf ihr verunsichert Blick einen kühl fragenden. Alles was Recht war, aber dieser Mensch machte eigentlich keinen verliebten Eindruck. So gar nicht. Vielleicht hatte er es sich auch nur eingebildet. Vorübergehende Unzurechnungsfähigkeit, sozusagen. Das wäre ziemlich ... schade. „Kind, Du isst ja gar nichts.“ „Was?“ „Ich dachte Du magst Wasserkastanien.“, sagte Nele „Ja. Tu ich auch.“ „Wirst Du krank?“ „Nein! I ... ich glaube nicht.“ „Hm.“ Nele legte den Handrücken zuerst an Pippas Stirn, dann an die Wangen. „Ein bisschen überhitzt scheinst Du mir schon.“, murmelte sie. „Eri soll Dir nachher einen Salbei-Tee machen.“ „Mir geht es gut, Mama.“, flüsterte Pippa, peinlich berührt. Betüttelt zu werden passte schliesslich nicht zu einer Frau, die sich dazu entschlossen hatte, eine Affaire zu haben. Ihr Liebhaber musste zwar erst noch vom Kleingedruckten überzeugt werden, aber na ja ... Zur Verteidigung Miss Tutuks sei folgendes gesagt. Sie kannte Lu Ten noch nicht lange genug und hatte auch keinen blassen Schimmer über seinen familiären Hintergrund. Einen männlichen Tatzu von IRGENDETWAS zu überzeugen, war per se ein Ding der Unmöglichkeit. Es funktionierte nur zu Vollmond, mit einer verschnupften, schwarzen Katze, fünf dreibeinigen Kröten, und einer Tonne Schokolade inmitten eines konzentrischen Hexenkreises. Zumindest behauptete das Lady Jin. Pippas Unterfangen war also schlichtweg aussichtslos. Vor allem, da Lu Ten einen Plan gefasst hatte. Er würde ihr einen Gefallen tun. Und zwar noch heute Abend ... Gute drei Stunden später, im Schlafzimmer der Tochter des Hauses Frustriert pfefferte Pippa den zerfledderten Schmöker auf ihr Nachttischchen. Warum versuchte sie es überhaupt noch? Das mit dem Ablenken klappte sowieso nicht. Sie schälte sich, trotz der Kühle im Zimmer, aus ihrer Decke, stand auf und begann unruhig hin und her zu gehen. So war es schon gestern gewesen. Ihre dummen Füße weigerten sich stillzustehen. WOHIN sie wollten, war klar, aber dagegen hatte ihre Besitzerin eindeutig etwas einzuwenden. Also hinkte sie händeringend durch ihre Kammer, strich von Zeit zu Zeit mit den Fingern unbewusst über die Fensterbank, einen Stuhl und über die Kommode, an der er gelehnt hatte und seufzte. Ein besonders tiefer Seufzer wurde zu einem erschreckten Quietschen, als sich ein langes, kräftiges Bein durchs offene Fenster schwang. „Guten Abend.“ Sie starrte ihn nur an. „Oder auch nicht.“, murmelte Lu Ten. „G ... Was?“ „Es war nur eine Höflichkeit. Nichts weiter. Wir können auch gleich anfangen, falls Dir das lieber ist.“ „Anfangen?“ Womit? Wollte er wieder eine Diskussion vom Zaun brechen? Wenn ja ... warum zog er sich dann aus? „Ja. Oder hast Du es Dir anders überlegt?“ „Anders?“, stammelte Pippa, ihren Ein-Wort-Modus beibehaltend. Lu Ten verschränkte die Arme vor der Brust - im halbbekleideten Zustand recht eindrucksvoll. „Schön. Dann eben Klartext. Willst Du nun meine Maitresse sein, ja oder nein?“ „Du ... Du wärst damit einverstanden?“ „Einverstanden? Nein. Kooperationsbereit? Ja.“ Pineria schluckte. Ihr Mund war staubtrocken. „F ... fein.“ „Bestens. Dann kannst Du es Dir gemütlich machen.“ Gemütlich machen? Mit einem Hünen im Zimmer, der sich splitterfasernackt auszog und dabei klang, als bestelle er Schweinefleisch süss-sauer? „Irgendwelche Sonderwünsche?“, fragte besagter Hüne freundlich. „Was?“ „Hm. Ist wohl noch zu früh, für Sonderwünsche. Ich könnte Dir einschlägige Literatur empfehlen, dann kannst Du Dich inspirieren lassen.“ Sein Anblick war inspirierend genug, aber fragen kostete ja nichts. „Li ... teratur?“ „Zum Beispiel das Sutra-Kama. Ich hab es, denke ich, in der gelben Bibliothek gesehen. Ich kann es Dir morgen gerne herauslegen.“ „Ja.“, piepste Pippa ratlos und ein klitzekleines Bisschen überfordert. „Gut.“ „Wie schön, dass wir uns einig sind.“ Ja. Das war ... schön. Wahnsinnig toll. Sie hätte nur gerne gewusst, was hinter seinem Sinneswandel steckte. Doch als er sie an sich zog, interessierte sich Pineria Tutuk erst mal für nichts anderes mehr. So trocken und nüchtern er eben gewesen war, so leidenschaftlich und heiss wurde die Sache jetzt. Er war zielstrebiger. Besitzergreifender. Bei weitem ungestümer, als vorletzte Nacht. Er liess Pippa in diesem schwindelerregenden Wirbel nicht eine Sekunde Zeit, zur Besinnung zu kommen. Sie wurde mitgerissen von einem Sturzbach an Empfindungen, überwältigt, von einem Meer an Gefühlen. Und wieder entrang er ihr die Worte. Doch diesmal nicht auf dem Höhepunkt des Sturms - Dazu war sie viel zu atemlos, viel zu wenig sie selbst - sondern danach, als er sich nach Atem ringend neben sie sinken lies. „Ich liebe Dich.“, flüsterte sie kaum hörbar in sein Haar. Lu Ten schloss die Augen und seufzte. Dann kam jetzt wohl der schwierige Teil. „Ich weiss.“, murmelte er und erhob sich. Verwirrt beobachtete Pippa, wie er mit geschmeidigen, schnellen Bewegungen begann, sich anzukleiden. Sie tastete nach ihrer Brille, um besseren Durchblick zu bekommen. Er hatte schon das Fenster erreicht. Sogar sein strenger Pferdeschwanz saß akkurat wie immer. „Ist etwas nicht in Ordnung?“, fragte sie unsicher. „Alles bestens.“, erwiderte er ruhig. „Ich wünsche eine gute Nacht.“ „Eine ... aber warum denn?“ „Weil man das tut.“ Er runzelte die Stirn, als begreife er den Sinn der Frage nicht ganz. „Aber ...“ „Ja?“ „Ich dachte ...“ „Ja?“ Pippa biss sich auf die Lippe. „Ich dachte, Du bleibst?“ „Bleiben? Wozu?“ WOZU? „Du ... vor ... das letzte Mal bist Du geblieben.“ „Ja.“, gab er zu. „Da war das hier auch noch keine Affaire. Ich versuche nur, Deinem Wunsch zu entsprechen, und das ganze unverbindlich zu gestalten.“ Ach. DAS war ihr Wunsch? Wirklich? „Oh. Ach so.“ „Ja, ach so. Gute Nacht.“ Mit diesen Worten verschwand er so schnell, wie er aufgetaucht war. „Nacht.“, flüsterte Pippa den wehenden Gardinen zu. Noch lange saß sie da, die Arme um ihr unversehrtes Knie geschlungen, das Herz fest im Griff mysteriöser Sehnsucht, und fragte sich, ob etwas mit ihren Wünschen nicht stimmte. Für die nächsten Nächte hielt Lu Ten eisern an diesem Konzept fest, besuchte das Fräulein des Nachts, beglückte, wurde beglückt; und verschwand nur allzu bald wieder in sein eigenes Zimmer. Und der Plan fruchtete. Er konnte es spüren. An der Art, wie ihre Blicke ihn tagsüber verwirrt streiften. An der Tatsache, dass sie nicht mehr versuchte, ihm auszuweichen. Im Gegenteil; sie verwickelte ihn wieder in ihre ebenso chaotischen, wie herausfordernden Konversationen, schenkte ihm ein ums andre Mal ihr erwartungsvolles Eulenblinzeln. Etwas lag dem Käuzchen schwer auf dem Herzen. Lu Ten betete, dass er es war. Agnam Ba, Hof der Koros Zu Lees gutem Glück, hatte Niha tatsächlich beschlossen, das beste aus ihrer derzeitigen Situation zu machen. Das Wissen, ihren Ehemann nicht lange behalten zu dürfen, führte dazu, dass sie jede Minute mit ihm bis ins letzte auskostete. Sie schaffte es sogar beinahe, die Angst zu verdängen, es könne jeden Moment eine Schar Soldaten an die Tür klopfen, um sie abzuführen. Nur tief in der Nacht, wenn Lee sorglos wie ein Baby neben ihr schlummerte, starrte Niha an die Decke der Scheune, und fragte sich, wie lange ihr noch bliebe, bis ihre neue, wundervolle Welt zusammenbrach. Viel Zeit war es in der Tat nicht, denn Seine Lordschaft zog es vor, über alles, was in seinem Land vorging, bestens informiert zu sein. Wenn dieses etwas seine Familie betraf, um so mehr. In diesem Augenblick, zwei Tage nach Lees Vermählung, widmete Zuko sich gerade mit Inbrunst seinem zweiten Frühstück, das er immer gemeinsam mit Jin einnahm, als ein Diener mit einer besonders dringlichen Botschaft herbeieilte. Das rote Sigel wurde umgehend gebrochen und nur Sekunden später hörte man ein durchaus erstauntes „Also doch!“. Jin blickte von ihrem Teller auf. „Ist etwas passiert, Mylord?“ „Dein Sohn.“, murmelte der Sonnengekrönte, geistesabwesend die restlichen Zeilen überfliegend. „Aha. Welcher denn? Oder besser gesagt: Wie viel Versuche habe ich, aus dieser dürftigen Information meine Schlüsse zu ziehen? Darf ich drei mal raten?“ Zuko liess das Pergament langsam sinken, und schickte Jin einen entsprechenden Blick. „Was denn?“, fragte sie unschuldig. „Kein Grund, mir die gezückte Augenbraue zu präsentieren. Die Sätze: `Also doch!´“ Sie gab eine unzulängliche Imitation seines rauen Basses zum Besten, „Und `Dein Sohn.´ sind nicht wirklich aussagekräftig.“ „Hm.“, brummte er. „Und wenn ich `Lee´ und ein `Hat heimlich geheiratet.´ hinzufüge?“ „WAS?“ Jin liess den Löffel fallen. „Also doch!“, entfuhr es nun auch ihr. „Das sagte ich bereits, mein Herz.“ „Geheiratet? Ohne uns?“ „Scheint so. Jedenfalls amtlich. Die Flammenzeremonie wurde allerdings noch nicht vollzogen.“ „Aber gültig ist es?“ „Sicher.“ Inzwischen bestrich Zuko sein Brötchen dünn aber sorgfältig mit Butter. „Außer natürlich, ich würde den entsprechenden Beamten seines Amtes oder seines Kopfes entheben.“ „Oh. Gut! Ich meine ... dass sie zu ihm passt, ist ja wohl klar, oder?“ Zuko, längst mit dem Schinken beschäftigt, versäumte es, entsprechend zu reagieren. „ODER?“ „Äh ... wie? Ja. Zweifellos.“ „Zuko ...?“ „Ja, Kobold?“ „Veralberst Du mich?“ „Nur ein wenig. Ist es Dir recht, wenn wir erst morgen nach Agnam Ba reisen? Ich würde den Vorsitzenden der Agrar-Kommission nur ungern versetzten.“ „Natürlich! Heute ist in der Weberei ohnehin Inventur.“ „Oh nein!“ „Was, oh nein?“ „Dann bist Du heute Abend wieder biestig.“ „BIESTIG?“ Mylady begann mit dem Fuss auf den Boden zu klopfen. „Das kann ich auch gleich werden, wenn Du´s so drauf anlegst.“ „Gott behüte!“ Zerfa rannte durch das hohe Gras und versuchte Knäulchen einzufangen. Niha hatte die jährliche Flohkur angeordnet und entsprechend gewitzt war der Fluchtversuch der Katze. Just in diesem Moment wand sie sich durch eine hohe Hecke. Doch ihre Verfolgerin war hartnäckig, gewissenhaft und fast ebenso flink. Als das Mädchen schliesslich auf der anderen Seite der Hecke war, starrte es aber nur mit offenem Mund auf die gegenüberliegende Seite der großen Wiese. In ihrem ganzen Leben hatte Zerfa noch keinen einzigen Drachen gesehen. Jedenfalls keinen echten. Und nun standen da drei. Drei riesige, beeindruckende Drachen mit Schuppen, die im Morgenlicht glänzten. Zwischen prächtigen Zelten - alle in Rot und Orange gehalten - eilten Menschen in seltsamer Kleidung geschäftig hin und her. Befestigten Zeltschnüre, spannten Sonnensegel oder kümmerten sich um alle Arten von Reittieren. Ein Zirkus!? Erst einmal hatten die Koros einen Zirkus besucht. Es war ein unvergessliches Abenteuer gewesen. Vielleicht könnten sie ja alle zusammen die Vorstellung besuchen? Nur all zu gern wäre Zerfa hinübergelaufen, um sich die Tiere und die Akrobaten anzusehen. Bestimmt gab es Akrobaten! „Guten Tag.“ Erschrocken holte sie Luft und wirbelte herum. Da stand ein großer Mann, in Farben gekleidet, die sehr gut zu den Zelten passten. Der Wind zupfte an seinem langen, schwarzen Haar und wehte ihm einige Strähnen ins Gesicht. Achtlos strich er sie fort. Das Mädchen starrte einen Moment auf sein linkes Auge und sah rasch wieder fort. Bestimmt mochte er es nicht, angestarrt zu werden. Ebenso wenig, wie sie selbst. „Hallo.“, flüsterte sie. „Entschuldige bitte. Ich wollte Dich nicht erschrecken.“ „Schon gut.“ Zerfa zuckte mit einer Schultern. „Suchst Du vielleicht das hier?“ Auf dem Unterarm des Mannes lag Knäulchen und liess sich schnurrend streicheln. „Ja!“ „Sie ist wohl ausgebüxt?“ „Ja. Sie mag nicht baden.“ „Das glaub ich gern.“ Da der Herr recht freundlich zu sein schien, wagte Zerfa es erneut, ihm kurz ins Gesicht zu spähen. Die komische Stelle um sein Auge sah aus wie eine Narbe. Eine Brandnarbe. Fast so wie die von Zuko II; Agni möge ihn schützen! Aber von denen gab es ziemlich viele. Niha sagte, der Krieg von früher sei schuld daran. Vielleicht war der Mann ja im Krieg gewesen. Oder die Narbe stammte von etwas anderem ... Vielleicht sogar von einem Kunststück? „Bist Du ... ein Feuerakrobat?“ „Ein Feuerakrobat? Hm. So etwas in der Art.“ „Aber Du gehörst zu dem Zirkus?“ „Zirkus?“ Ein Lächeln erschien auf dem Gesicht des Mannes. „Ja. Genau genommen bin ich der Direktor.“ „Wirklich?“ „Ja.“ „Toll!“, hauchte Zerfa ehrfürchtig. „Dann gehören die Tiere alle Dir?“ „Ja. Magst Du sie Dir ansehen?“ „Darf ich denn?“ „Sicher.“ „Ja! Das heisst ... ich muss zuerst Niha fragen.“, fügte sie schüchtern hinzu. „Gut. Dann sehen wir sie später an.“ „Das wär schön! Darf Jem auch kommen? Er ist mein Bruder.“ „Natürlich darf er auch.“ „Was ... was kannst Du denn?“ „Was ich kann?“, fragte der Mann leicht amüsiert. „Na ... so als Feuerakrobat.“ „Hm. Mal sehen.“, murmelte er. „Genügt das hier?“ Er öffnete die Hand und liess hunderte von sternenförmigen Funken auf das taubedeckte Gras regnen. „Oder das?“ Jetzt liess er weiches, goldenes Licht erscheinen, das sich langsam zu einem wundervollen Vogel formte. „Oh ... das ist schön!“ „Freut mich, wenn es Dir gefällt, Fräulein Koro.“ Große Augen starrten ihn erschrocken an. „Hellsehen kannst Du auch?“ „Ein bisschen.“ Zerfa war zutiefst beeindruckt. Dieser Mann konnte ja wirklich tolle Sachen. Außerdem wirkte er wirkte so ... zufrieden. „Vielleicht ... kann ich ja auch mal zum Zirkus.“, meinte sie unsicher. „Möchtest Du das denn?“
 „Weiss nicht. Da sind viele seltsame Leute, oder?“ Zuko dachte einen Moment an den Hofstaat. „Ja.“, erwiderte er. „Ziemlich viele und ziemlich seltsame Leute.“ „Weil ... dann würde ich da vielleicht hinpassen.“ Aus irgendeinem Grund ging der Herr Zirkusdirektor nun in die Hocke und blickte ihr geradewegs in die Augen. „Du bist nicht seltsam, Fräulein Koro.“, sagte er fest. „Du bist ein sehr gescheites Mädchen.“ „Weiss nicht.“ Das Kind zuckte wieder mit den Schultern. „Nur weil man angestarrt wird, ist man noch lange nicht seltsam.“ „Du ... wirst auch viel angestarrt, oder?“, flüsterte sie. „Ja. Sehr oft.“ „Ich ... find sie gar nicht schlimm.“ „Was? Meine Narbe?“ „Ja. Sogar der Feuerlord hat eine. Fast genau wie Deine.“ „Hm, das stimmt wohl. Nun ... ich finde Deine Augen auch nicht schlimm.“ „Nein?“ „Nein. Überhaupt nicht.“ Zerfa blickte in die hellen Augen. Sie waren so golden, dass sie fast auch ein bisschen seltsam wirkten. Hier war jemand, der sehr genau wusste, wie man sich fühlte, wenn man die Zielscheibe von Spott oder Misstrauen war. Jemand, der sie verstand. Plötzlich drehte der Mann den Kopf und erhob sich. "Ah. Da kommt ja unser Vize-Direktor.“, murmelte er und machte seinem strapazierfähigen Assistenten ein Zeichen. Tian Fu, geübt im Umgang mit seinem etwas exzentrischen Arbeitgeber begriff sofort. Er kannte das Katz-und-Maus-Spiel, wenn der Feuerlord unerkannt bleiben wollte. „Tian, mach einen artigen Kratzfuss und stell Dich Fräulein Koro vor." "Sehr erfreut, junge Dame!", sagte der Hinzugekommene und verbeugte sich tief. Zerfa kicherte. "Äh ... Gleichfalls.“ Erwartungsvoll blickte sie zu Zuko auf. „Was kann er denn?", wollte sie neugierig wissen. "Tian? Er ist unser Dompteur." "Wie meinen?" Zukos rechte Hand blinzelte etwas verunsichert. "Na, Viecher zähmen, Tian. Du weisst schon." "Ah. Natürlich. Insbesondere Drachen!", murmelte der Konsul. "In Deinen Träumen! Für Drachen ist unsere Kobold-Lady zuständig." "Ihr habt einen Kobold? Einen ECHTEN?", hauchte Zerfa verzückt. "Nicht direkt. So nenne ich meine Frau. Ich glaube, Du kennst sie sogar." "Wer? Ich?" "Ja." "Kann nicht sein." Vehement schüttelte Zerfa den Kopf. "Hm. Ich denke aber doch. Tian? Mach Dich nützlich, entfleuche und hol mein Weib.“ „Ja, Gebieter.“ Im Fortgehen mummelte der Konsul etwas, das wie „verdammter Affenzirkus“ und „dringend eine Gehaltserhöhung“ klang. Zuko legte verwundert den Kopf schief. Da hatte wohl jemand auf einem Heldenepos geschlafen? Nur wenige Augenblicke später näherte sich eine Frau. „Tian sagt, Du möchtest mich sprechen, Herr und Meister?“ „Ja, ich hab hier jemanden, der gerne den Kobold der Truppe kennen lernen möchte.“ „So?“ Mit offenem Mund starrte Zerfa die Dame an. Sie kannte sie tatsächlich. „Ach Du meine Güte ... Das ist ja Zerfa!“ Jin ging in die Hocke und breitete die Arme aus. Das Kind wusste sich vor lauter Verwirrung nicht anders zu helfen, als das Angebot anzunehmen, und stürzte sich hinein. „Du ... Sie sind Lees Mama!“, jammerte sie kläglich. „Ja. Unter anderem.“ „Und ... und ist das da ... Dein Mann?“ „Ja.“ „Aber ...“ „Was denn, Knöpfchen?“ „Ist er der Feuerlord?“ Zerfas Stimme war kontinuierlich höher geworden und nun schielte sie, das Gesicht an Jins Schulter versteckt, unsicher zu deren Ehemann. Kein Wunder konnte er hellsehen! „Ja. Ich fürchte, ich bin der Feuerlord.“, sagte er entschuldigend. „Niha wird schimpfen!“ Momentan schimpfte Niha nicht, sie summte. Gemeinsam mit Lee bepflanzte sie ein kleines Beet mit jungen Erdbeer-Pflanzen. Als sie aufblickte und ihren dreckstarrenden Mann sah, musste sie grinsen. Bevor er jedoch zurück grinsen konnte, wurde seine Aufmerksamkeit abgelenkt. „Äh ... Niha?“ „Ja?“ „Ich glaube, Du würdest Dich jetzt gern waschen gehn.“ „Was?“, lachte Niha. „Wir sind doch noch gar nicht fertig.“ „Ich glaube trotzdem, dass Du es möchtest. Und kämmen vielleicht auch?“ Der Blick, mit dem er sie bedachte, war sehr seltsam. „Wieso denn?“ „Weil Du mich sonst später anschreien wirst, ich hätte Dich nicht gewarnt.“ „Himmel, Lee ... was ist denn?“ Sie folgte seinem Blick und liess prompt die kleine Schaufel fallen. „Oh mein Gott.“, hauchte sie, mit einem Mal so weiss wie die Wand hinter ihr. „Sag mir nicht, dass er das selbst ist.“ „Äh ... doch.“ „Oh mein GOTT! Ich ... muss mich waschen!“ „Sag ich doch.“ In einem untypischen Anflug von Tragik drehte sie sich zu ihm um. „Du ... ich liebe Dich!“, sagte sie mit zitternder Stimme. „Ja. Und Du wirst noch viele Jahre haben, mir das zu zeigen, Süße. Also beruhige Dich bitte.“ „Gut ... gut.“, flüsterte Niha und ging zögernd rückwärts. Doch da sich die Delegation Feuer-Papa & Co. nach wie vor durch nichts aufhalten liess, begann sie zu rennen. Lee lehnte sich indes mit den Unterarmen auf den Griff seines Spatens und wartete geduldig, bis die Prozession vor ihm stand. „Lee!“ Wie immer war es Jin, die als erste losstürmte, und ihren Sohn umhalste. „Mama.“ Fest erwiderte Lee die Umarmung. „Ist er sauer?“, flüsterte er in ihr Ohr. „Hm. Du weisst ja, dass man das nicht immer so genau sagen kann ...“ Gebieterisches Räuspern unterbrach die beiden. „Äm ... Vater.“ „Sohn.“ „Also ich ... äh ...“ Lee schob beiden Hände in die Gesässtaschen seiner Hose und zuckte mit den Schultern. Er erntete keinerlei Reaktion. Regungslos stand Zuko II auf dem Hof der Koros und wartete. Eine winzige, wirklich klitzekleine Schweissperle bildete sich auf der Stirn seines Nachkommen. „Die gute Nachricht ist: Ich bin jetzt unter der Haube!“, wagte Lee seinen Vorstoß. Mit Optimismus lag man schliesslich nie falsch. Zuko II hob lediglich die Braue. „Das ... müsste Dich doch freuen. Mein persönliches Potential, Ärger zu machen, ist damit ... um einiges reduziert.“ Zuko II hob sein Kinn an. „Ja. Um ... einiges.“, murmelte Lee. „Oh, verdammt!“, brach es dann aus ihm heraus. „Ich hatte einfach keine ZEIT, euch eine Nachricht zu schicken! Ich ... die Tage davor waren die schlimmsten meines ganzen Lebens, und wenn Du Dich bitte erinnern würdest, gab es davon durchaus einige. Und ... und ich konnte nicht riskieren, sie wieder zu verlieren, verstehst Du? Sonst hätte sie es sich am Ende noch anders überlegt.“ Zuko II stand nur unverrückbar wie ein Fels auf dem Fleckchen Erde, welches er besetzt hatte. „Sag doch was!“, bat Lee rau. „Vielleicht begrüsst Du mich mal anständig?“ Der Himmel wusste, was Seine Lordschaft unter diesen Umständen als anständig empfand. Der Prinz zögerte und machte Anstalten sich in den Staub zu knien. „Lee! Ich sagte anständig!“ Erleichtert machte Lee einen Schritt auf seinen Vater zu. Er wurde in eine innige, bärenhafte Umarmung gezogen. „Du nutzloses Gör! Ich sollte Dir den Hosenboden stramm ziehen.“ „Ich freu mich auch Dich zu sehen, Vater!“ „Unverschämtes Balg!“ „Ja, Papa.“ „Weisst Du eigentlich wie viele graue Haare Du mich kostest?“ „Seh´ noch keine.“ „Rotzbengel!“ Nun wurde Lee losgelassen und scharf gemustert. „Du rennst ja immer noch in diesen unmöglichen Klamotten rum.“ „Hey, das ist meine zweitbeste Hose. Na ja ... sie war es.“, sagte Lee, angesichts des Rissen über dem rechten Knie. „Da kann man nur hoffen, dass die Beste komplett hinüber ist.“, murmelte Zuko. „Lee?“ Etwas zupfte am rechten, zweitbesten Hosenbein. „Zerfa? Wo kommst Du denn ...?“ „Ich hab Deinen Papa getroffen.“, erklärte sie ehrfürchtig. „Den Feuerlord.“ „Äh ... ja.“ „Er sagt, er will mit Niha sprechen.“ „Na ja ... sie ... ist im Haus.“ „Bestimmt freut sie sich. Sie hat ja immer gesagt, sie würde ihn gern mal sehen.“ „Hm ... ja. Das hat sie gesagt. Magst Du nachsehen, ob sie soweit ist?“ Zerfa nickte. Doch bevor sie ins Haus rannte, musste sie Lee noch ihre spektakulärste Entdeckung mitteilen. „Er kann hellsehen!“, flüsterte sie. „Ja.“, seufzte Lee. „Ich weiss.“ „Reizendes Kind.“, meinte Zuko, als die Kleine im Haus verschwand. „Ja. Das ist sie. Die ganze Familie ist wunderbar. Und Niha ...“ Lee warf seinem Vater einen flehenden Blick zu. „Ich geb zu, sie ist manchmal recht resolut, aber ...“ „Ich erinnere mich.“ „Wenn sie gewusst hätte, wer Du bist ... DICH hätte sie nie aus dem Haus geworfen.“ „Ach? Dann lässt mein Gedächtnis wohl nach.“ „Nein. Sie ... sie ist so ziemlich die loyalste Untertanin, die Du Dir vorstellen kannst. Sie hat sogar ein Bild von Dir an die Wand gekleistert.“ „Ein schlechtes, wie ich gehört habe.“ „Vater, bitte ...“ „Lee, es ist ihr Haus. Sie darf jeden hinauswerfen, der ihr nicht passt.“ Nur wenig später stand Zuko in der kleinen Küche und starrte desillusioniert auf sein Konterfei. Dieses „Portrait“ war ja wirklich grottenschlecht. „Tian? Denkst Du nicht, wir sollten nur noch die Verbreitung lizensierter Drucke zulassen?“ „Das wäre Zensur, mein Lord.“ „Ah. Und dagegen haben wir was?“ „So heisst es.“ „Zu schade. Ich habe doch nicht wirklich so eine Geier-Nase, oder?“ „Nein. Eher falkenartig, wie Mylady Euch sicher gern bestätigen wird.“, sagte der Konsul geduldig. „Vogel ist Vogel!“ „Ich finde auch nicht, dass wir Schnäbel im Gesicht haben.“, stimmte Lee seinem Vater zu. „Außerdem siehst Du auf dem Bild aus, als hättest Du einen übersäuerten Stoffwechsel.“ „E ... Euer Hoheit?“ Die Stimme war kaum zu hören. Zuko drehte sich um. Himmel ... das Mädel war ja fast grün im Gesicht. Sie hielt den Blick auf den Boden gerichtet und er konnte die Augenfarbe nicht erkennen, meinte jedoch, sich an grau zu erinnern. Kaum sah er in ihre Richtung, warf sie sich fast panisch auf die Knie, und presste die Stirn auf die flach am Boden liegenden Hände. „Du bist Niha.“, stellte er fest. „Ja.“ „Du kannst aufstehen.“, murmelte Zuko, der es grundsätzlich nicht leiden konnte, wenn Leute auf dem Boden herumlungerten, es sei denn, sie hatten ihren Spass dabei. Gehorsam, aber mit wackligen Beinen stand Niha wieder auf. Lee konnte sich nicht erinnern, sie jemals so verängstigt gesehen zu haben. Sein Herz zog sich zusammen. „Mein Vater ist nur hier um ...“
 „Danke Lee. Ich kann durchaus für mich selbst sprechen.“ „Aber sie hat die unsinnige Idee, Du würdest diese Ehe nicht dulden.“ „Ich möchte hören, was sie zu sagen hat.“ Sagen? Niha biss sich auf die Lippen. Sie konnte unmöglich etwas sagen ... „Nun?“ „Es tut mir alles sehr leid, Hoheit.“, flüsterte sie. „Leid?“ „Ich ... wusste nicht, wer Lee ist.“ „Ihr habt unter falschem Namen geheiratet?“ „Nein!“, rief Lee. „Der Richter hat meinen vollen Namen genannt.“ „SO viel Zeit hattet ihr?“ „Oh, Papa, bitte!“ „Du wusstest also nicht, dass Du es mit einem Prinzen zu tun hast?“ „Nein.“ „Hm. Aber wenn Du es gewusst hättest? Hättest Du ihn dann geheiratet?“ Das war eine gute Frage. Hätte sie? Niha wusste es nicht. „Ich ... ich weiss es nicht.“, wisperte sie kaum hörbar. „WAS? Natürlich hättest Du!“ „Lee! Langsam hab ich genug. Entweder Du lässt sie sprechen, oder Du gehst raus zu den Kindern. „Nun, Niha, wenn Du willst, KANN diese Ehe annulliert werden.“ wendete Zuko sich wieder an seine Noch-Schwiegertochter. „NEIN!“, rief sein Sohn sofort. „Lee!“ „Das werde ich nicht zulassen!“ „Lee. So sind nun mal die Gesetze. Du kannst nicht einfach Frauen heiraten, die nicht wissen, wer Du bist!“ „Das ist mir scheissegal!“ „Was Du nicht sagst!“, knirschte es gefährlich leise. „Wenn Du jetzt bitte den Raum verlassen würdest.“ „Nein! Diese Ehe wird nicht ...“ „LEE!“, donnerte Zuko. „Ich sage es nur noch einmal. Hinaus!“ Lee sah seinem Lord in die Augen. Hinter der harten, unnachgiebigen Oberfläche lagen Verständnis und Liebe. Die einzigen Dinge, die ihn veranlassen konnten, dem Befehl Folge zu leisten. „Ich liebe dieses Mädchen.“, flüsterte er rau. „Das ist mir bewusst. Du kannst sie trotzdem nicht zwingen.“ Eine warme Hand legte sich auf seine Schulter. „Lass mich das klären.“ Lee nickte. Im Klären war sein Vater gut. Verdammt gut. Er nickte noch einmal und verliess das Zimmer. „So. Vielleicht können wir uns jetzt ungestört unterhalten.“ Niha stand noch immer wie festgewurzelt an Ort und Stelle wagte es nicht, aufzublicken. „Tian?“ „Mein Lord?“ „Vielleicht stellst Du Fräulein Koro - nein, der Herzogin - einen Stuhl bereit?“ „Selbstverständlich.“ Es scharrte hinter Niha. „Setz Dich, bitte.“ Plumps. „Möchtest Du Tee oder so?“ „Nein.“, hauchte die Herzogin von Goam. „Gut. Hast Du Dich von Deinem Schock erholt?“ „Nein.“ „Bedauerlich ... Tian? Haben wir etwas gegen Schockzustände bei uns?“ „Nein, Sire.“ „Wie nachlässig! Mach bitte eine entsprechende Notiz.“ „Natürlich, Herr.“ „Nun, Niha. Vielleicht hilft es Dir, Dich zu erinnern, wie Du mich vor einiger Zeit vor die Tür gesetzt hast?“ „Nein!!“ Das klang entsetzt. Hochgradig entsetzt! „Hm ... auch nicht. Dann muss ich es wohl anordnen.“ „Bitte?“, stiess sie aus. „Du wirst Dich jetzt beruhigen!“ „I ... ich versuch´s.“ „Schön. Und jetzt“, fügte er hinzu. „Sag mir, ob Du möchtest, dass ich diese Ehe annulliere.“ Mit wildklopfendem Herzen wagte Niha es zum ersten Mal, ihn anzusehen. Er sah ihm sehr ähnlich, ihrem Lee. Doch da war mehr Härte. Mehr Bereitschaft, zu tun was getan werden musste. Mehr Skrupellosigkeit und soviel mehr an Erfahrung, dass es die Zeitspanne eines Lebens sprengte. Dies war ein Mann, der einen Weg gegangen war, den nur wenige beschritten hätten. Nicht immer ganz aufrecht, nicht immer ganz gerade. Jedoch unbeirrbar. Und jeden Schritt hatte er mit der Bereitschaft gemacht, die Konsequenzen zu tragen. Dieser Weg hatte ihn geformt, gehärtet und zu dem gemacht, der er war. Was Niha hinter den unnahbaren Zügen noch nicht erkannte, war die Demut im Herzen dieses Mannes. Demut und Dankbarkeit, die der Liebe entsprangen, die er erfahren hatte. Er war so viel mehr, als die kleine Niha Koro sich vorgestellt hatte. „Ihr ... Ihr wollt es. Oder?“ „Ich? Nein. Aber was ICH möchte, ist momentan mehr als irrelevant. Was willst Du?“ „Ich ... ich weiss nicht.“ „Du weisst es nicht?“ Sie schüttelte langsam den Kopf. „Hm. Seltsam. Ich war immer davon ausgegangen, dass die Frau, in die Lee sich verlieben wird, seine Gefühle vorbehaltlos erwidern würde. Aber, so kann man sich täuschen.“, murmelte er und musterte sie eindringlich. „Aber das tu ich doch!“ „Was? Dich täuschen?“ „Nein! Sie erwidern. Seine ... seine Gefühle.“ „Wo liegt dann das Problem?“ „Ich ... bei mir.“ „Bei Dir?“ „Eigentlich ... bei Euch.“ „Ach ...“ Seine Braue entschwebte sacht. „Tian, mein Freund, täusche ich mich, oder hört sie sich ein wenig an wie Jin?“ „Äh ...“ „Ja. Genau.“, sagte Zuko lakonisch. Dann wandte er sich erneut Niha zu. „Das eigentliche Problem ist also meine Stellung. Verstehe ich das richtig?“ „Ihr ... Ihr seid ... Zuko II, Agni schütze Euch.“, stammelte sie. „Und ich ... züchte Schweine. Und davon auch nur ein paar. Ich hab drei Geschwister, für die ich sorgen muss. Und ... und ich hätte keine Ahnung, wo wir nun leben sollten; wo ich hingehören würde ...“ Als Zuko stumm blieb, warf Konsul Tian Fu ihm einen erstaunten Blick zu. Er kannte seinen Freund gut genug, um zu wissen, wie die Antwort lautete. Niha gehörte nun zu den Tatzus. Punkt. Aus. Ende. Aber heute schien Seine Lordschaft wieder überaus unberechenbar zu sein. Jedenfalls unberechenbar genug, um sich auf diese seltsame und irgendwie sinnlose Diskussion einzulassen. Es war glasklar, dass diese Ehe bestehen bleiben würde! Das Mädchen knetete inzwischen seine Hände und suchte weiter nach Gründen für eine Annullierung. „Ich passe nicht. Und ... irgendwann wird Lee das auch sehen. Und dann ...“ Ihre Stimme zitterte. Agni! Sie konnte doch nicht anfangen, vor dem Feuerlord zu flennen! „Er findet bestimmt eine passendere Frau!“ „Verstehe.“, sagte Zuko nach einer Pause. Er begann mit langen Schritten auf und ab zu gehen. „Ich fasse mal zusammen. Lee ist ein fürstlicher Prinz, Du bist eine mittellose Bäuerin. Du hast Angst, Dich in seiner Welt nicht zurecht zu finden. Ausserdem scheinst Du mir ein wenig an der Beständigkeit seiner Gefühle zu zweifeln.“ Niha zuckte mit den Schultern und nickte kaum merklich. „Hm.“, brummte er. „Ich könnte Dir natürlich versichern, dass Lee noch niemals zuvor von Liebe gesprochen hat, doch ich nehme an, das hat er Dir selbst schon gesagt.“ Sie nickte wieder. „Schön. Sehr bezeichnend. Es sei denn, Du hältst meinen Sohn für einen Lügner.“ „Nein!“ „Exzellente Wahl. Trotzdem lebst Du eventuell in dem Glauben, er wäre vielleicht etwas unbeständig? Falls ja, möchte ich Dir den unbestechlichsten Menschen des Landes vorstellen. Tian? Zeig Dich von Deiner Schokoladenseite.“ „Es ist mir eine Ehre, Ihro Gnaden.“ „Tian!“, seufzte Zuko. „Du sollst sie erleuchten, nicht einschüchtern.“ „Ich versuche mein Bestes.“ „Gut. Dann gib bitte eine Charakterisierung meines zweiten Kindes zum besten.“ „Charakterisierung?“ „Deine Ohren funktionieren erstaunlich gut, mein Freund.“ „Äh, ja ... also.“ Der Konsul räusperte sich umständlich, ging kurz in sich, und legte los. „Lee Iroh Tian Tatzu. Zweitgeborener Prinz der geeinten Feuernation. Sohn von Zuko und Jin Tatzu. Geboren am ...“ „Tian. Die Kurzform, bitte.“ „Ja. Schön. Wundervoller Junge. Hervorragende Erbanlagen. Überaus intelligent. Einer von sieben Großkampfmeistern der Feuernation und ernstzunehmender Pai-Cho-Gegner. Einziger körperlicher Mangel ist seine Epilepsie, die allerdings medikamentös behandelt wird, und kein Problem darstellt. Extremer, zuweilen unangebrachter Hang zum Humor.“ „Den er nicht von mir hat!“, warf Seine Lordschaft beiläufig ein. „Zu seinen hervorstechendsten Eigenschaften zählen Lebensfreude, Optimismus, Empathie und eine unglaubliche Anpassungsfähigkeit. Doch vor allem,“, betonte Tian. „Ist er einer der großherzigsten, gütigsten Menschen, die ich kenne. Und sobald er sich entschlossen hat, jemanden ins Herz zu schliessen, wird nichts und niemand denjenigen daraus vertreiben. Er ist - wie ich aus eigener Erfahrung weiss - eine treue Seele. Treu, beständig, charakterfest, idealistisch und uneigennützig. Dass er dabei Charme für fünf hat, habt Ihr mit Sicherheit selbst erlebt. Ungerechtigkeit bringt ihn auf die Palme. Heuchelei macht ihn wütend. Ausserdem mag er gutes, reichliches Essen, Tierwelpen, Kinder, sowie alte Menschen und Hängematten. Und: ich darf voller Stolz behaupten, sein Taufpate zu sein.“ „Danke, Tian. Sehr ergreifend.“ „Ja. Und ... ich sollte vielleicht seinen ... äh, Hang zu Frauen nicht verschweigen, der jedoch der Tatsache entspringt, dass er sich in weiblicher Gesellschaft sehr wohl fühlt. Äh ...“ „Na Bravo, Tian!“, murrte Zuko. „Ich hatte gehofft, Dein Vortrag wäre zu Ende. Dann unterrichte das Mädchen jetzt bitte auch davon, dass die Ehe für Lee etwas Unantastbares ist.“ „Aber natürlich! Hatte ich das nicht erwähnt?“ „Nein. Hast Du nicht. Und ich werde versuchen, es nicht als böse Absicht zu deklarieren.“ „Nun,“ Niha sah sich einem forschenden Blick ausgesetzt. „Hast Du immer noch Vorbehalte gegen eine Ehe mit meinem Sohn?“ „Ihr WOLLT, dass ich seine Frau bleibe?“, fragte sie ungläubig. „Selbstredend. Vielleicht ist Dir das nicht ganz klar, aber das Glück meiner Familie ist mir wichtiger als alles andere.“ „Aber ... ich hatte Euch hinausgeworfen.“, stammelte das Fräulein Schwiegertochter. „Ja. Mein Weib fand das überaus amüsant.“ „Und Ihr?“ „Sagen wir: Es war eine Erfahrung, die ich schon lange nicht mehr gemacht hatte.“ „Oh Gott!“ Zuko fand es an der Zeit, einen Punkt unter die Sache zu setzten. „Niha. Du bist ein ehrliches, anständiges Mädchen, das meinen Sohn aufrichtig liebt. Denkst Du wirklich, ich hätte etwas anderes für ihn erhofft?“ „Nicht?“ Plötzlich geschah etwas unvorhergesehenes. Ein Lächeln vertrieb die Strenge. Niha blinzelte. Dieses Lächeln kannte sie. Nur auf einem anderen Gesicht. Es war warm, unvergesslich und unglaublich schön. „Nein.“, sagte Zuko schlicht. „Du hast alle Gründe, die gegen eine Ehe mit Dir und Lee sprechen, aufgezählt. Nun sag mir, ob sie schwerer wiegen, als Deine Gefühle für ihn.“ Die Augen, die in ihre sahen, machten es schlichtweg unmöglich zu lügen. „Nein.“, gab sie zu. „Dann erkläre ich Deine Einwände hiermit für nichtig! Und jetzt, erhebe Dich.“ Beim zweiten Anlauf schaffte sie es tatsächlich wieder auf die Beine. Dann umfasste Zuko II, dessen Bildnis seit sie denken konnte die Wand ihrer Küche schmückte, Nihas Kopf und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. „Willkommen in der Familie, Kind.“ Lee, der offensichtlich vor dem Haus auf und ab gestiefelt war, stürzte sich auf das heraustretende Herren-Duo. „Und?“, fragte er seinen Vater. „Was ist? Hast Du sie zur Vernunft gebracht?“ „Unnötig. Die junge Dame schien mir schon sehr vernünftig zu sein.“ „Was? Aber ... Das KANN nicht Dein Ernst sein! Ich werde einer Annullierung nicht zustimmen!“, rief der Prinz. „Niemals!“ „Lee ...“ „Nein! Du verstehst das nicht!“ „Ich verstehe das nicht?“, fragte Zuko leise. „Du redest von Liebe, und denkst, ich verstehe das nicht? Dafür sollte ich Dir drei Monate Hausarrest verpassen!“ „Papa ...“ „Es wird keine Annulierung geben.“ „Ich ... was?“ Lee schloss die Augen und entliess einen Stoßseufzer. „Danke!“ „Sie liebt Dich, mein Sohn. Und das ist wohl der einzige Punkt, der gegen ihre Vernunft spricht.“ Er verpasste Lee einen Schlag auf den Rücken, der diesen fast umwarf. „Aber ich mag sie trotzdem!“ An diesem Abend kam die Familie Koro in den Genuss wahrlich erlesener Gesellschaft. Die Kinder waren, nachdem sie stundenlang auf dem geduldigsten der drei Drachen herumgekrochen waren (selbstverständlich unter den wachsamen Augen der Leibgardisten), erschöpft, aber glücklich. Jetzt hockten sie bei den Erwachsenen am Feuer und stopften sich abwechselnd mit leckeren Pasteten und Süssigkeiten voll. Im Augenblick gab Lee eine Interpretation seiner Ehefrau zum besten, wie sie versucht hatte, ihm das Melken näher zu bringen. Niha wurde blutrot. SO ungeduldig war sie nun auch wieder nicht, oder? Allerdings schien die Darstellung sehr wohl ins Schwarze zu treffen. Maja versuchte vergeblich, ihr Kichern zu unterdrücken, Jin lachte Tränen und Seine Lordschaft amüsierte sich prächtig. Mylady sass an ihren Gatten gelehnt da, der sie wie stets bereitwillig wärmte, und genoss ihre neue Familie. „Jin, hör auf sie so anzusehen.“, murmelte Zuko in einem passenden Moment. „Wen denn?“ „Die Kinder. Es sind nicht unsere.“ „Aber jetzt schon. So ... ein bisschen.“ „Falls Du vorhast, sie zu entführen, kann ich diese Tat nicht decken.“ „Spielverderber!“ Sie bekam einen Kuss auf die Schläfe. „Vielleicht können wir sie ausleihen? Ein halbes Jahr bekommen wir sie, und ein halbes Jahr Lee und Niha.“ „Niha, ich glaube meine Mutter will tatsächlich Deine Geschwister klauen.“, staunte Lee. Doch seine Eltern ignorierten ihn. „Sie werden Dich einsperren Kobold!“ „Und Du würdest nichts dagegen tun?“, fragte Jin. „Wie denn? Wenn Du kriminell wirst, sind mir die Hände gebunden.“ „Kriminell?“ „Aber ja. Und außerdem wäre es kein Einzelfall. Schliesslich bist Du beinahe vorbestraft.“ „Also ...“ „Ich kann gerne eine Abschrift aus Ba Sing Se kommen lassen. In Deiner dortigen Akte steht, Du hättest Dich mit einem zwielichtigen Individuum eingelassen, und wärest in einen Fall von illegalem Feuerbändigen verwickelt gewesen. Alles schwarz auf weiss.“ „Wie gut, dass Du mich daran erinnerst. Dieser Kerl war wirklich keine passende Gesellschaft für mich.“ Niha und Maja blickten verwirrt zu Lee. Der grinste nur. „Die unpassende Gesellschaft, die illegal Feuer bändigte, war mein Vater.“, klärte er sie auf. „Plaudert der Bengel gerade Staatsgeheimnisse aus?“, erkundigte Zuko sich in mildem Tonfall. „Ja. Du siehst also, er kann unmöglich die Verantwortung für diese Kinder übernehmen!“ „Mama, Du musst Dich nicht mit mir einigen, sondern mit Niha.“ „Also ... äh. Ich weiss nicht.“ Niha war ein wenig überfordert. Diese Leute waren irgendwie ein bisschen ... verrückt. „Mein Weib zieht Dich nur auf, Niha.“, beruhigte Der Feuerlord sie. „Allerdings steht die Frage noch offen, wo ihr in Zukunft leben werdet.“ So plötzlich konnte es also wieder ernst werden. „Habt ihr schon darüber gesprochen?“ „Nein. Niha hatte sich bis jetzt geweigert, das Thema zu diskutieren.“ „Ich wusste ja nicht, ob wir ... zusammenbleiben dürfen.“ „Ja, ja.“, seufzte Lee. „Dazu hättest Du ja auch nur EINMAL auf mich hören müssen.“ „Ich werde euch nicht vorschreiben, im Palast zu wohnen.“, stellte Zuko klar. „Doch es würde uns zweifellos sehr freuen.“ „Aber ... der Hof.“ „Überlegt es euch in Ruhe.“ „Ich finde den Vorschlag mit dem halben Jahr eigentlich ganz gut.“, sagte Lee. „Ich soll meine Geschwister hergeben?“ „Himmel, nein! Aber wir könnten abwechselnd hier wohnen, und im Palast, falls Du das willst. Wir müssten nur einen Verwalter einstellen, für die Zeit, in der wir nicht da sind.“ „Hat der Junge gelernt, seine grauen Zellen zu benutzen?“, fragte Zuko. „Das hab ICH ihm beigebracht!“, strahlte Jin. „Sicher. Wer auch sonst.“ Plötzlich eilte ein Soldat herbei, sprach mit Hauptmann Liang, Zukos persönlichem Leibwächter, der daraufhin aus dem Schatten trat und einige knappe Worte ins herrschaftliche Ohr murmelte. Zuko lauschte, straffte sich kaum merklich und nickte dann. Jin sah ihn fragend an. „Nur etwas Besuch.“, beruhigte er sie und erhob sich. „Besuch? Das Dorf?“ „Scheint so.“ Prompt stand Jin ebenfalls auf, klopfte sich einige Krümel von ihrer Tunika und zupfte Zukos Kragen zurecht. „Du kannst ruhig sitzen bleiben.“, murmelte er. „Sei nicht albern!“, erwiderte Mylady, die wusste, dass ihrem Gatten solche Dinge sehr viel leichter fielen, mit ihr an seiner Seite. Also stellte sie sich neben ihn und wartete. Als erster wagte sich Bürgermeister Miro höchstpersönlich in den flackernden Lichtkegel des großen Feuers. Zögernd trat er näher. Er war immer noch nicht sicher, ob der alte Chang nur irgendeinen Unsinn verzapft hatte, oder ob der große Bursche da wirklich und wahrhaftig der Feuerlord war. Beeindruckend genug war er jedenfalls, auch wenn die Herrschertracht fehlte. Die anwesenden Soldaten und Gardisten liessen alle Zweifel verpuffen und der Bürgermeister verbeugte sich so tief, dass man seine Gelenke krachen hörte. „Euer Lordschaft! Wir waren uns nicht sicher ... so ohne Anmeldung.“ „Der Besuch ist inoffiziell.“ „N ... natürlich!“, stotterte Miro. „Ich ... verzeiht! Wir dachten nur ... äh ...“ „Wie ist Dein Name?“ „Miro, Herr! Bin der Ortsvorsteher.“ „Ist er das?“, flüsterte die alte, schwerhörige Nora so laut, das man sie bestimmt noch in Leng-Leng verstehen konnte. „Psssst!“, machte ganz Agnam Ba im Kollektiv. „Wenn er das ist, will ich ihn anfassen! Soll Glück und Kindersegen bringen!“ Bürgermeister Miro wurde blass. Wenn jemand herausfand, dass die Alte mit dem vermessenen Wunsch seine Mutter war, wäre er geliefert! „Nun, Miro. Warum lässt Du die Leute nicht vortreten?“ „Wir wollen Euch nicht belästigen!“ „Ich will ihn anfassen!“ „Ihr belästigt uns nicht.“ „Wirklich, Herr? Das ist ... Ihr seid zu gütig!“ Miro winkte die Meute herbei. Mit siebenundsechzig Mann (na gut, 58,21% davon waren Frauen) im Rücken fühlte er sich gleich sichtlich wohler. Todesmutig ergriff er die ausgestreckte Hand seines Herrschers und sank auf die Knie. Plötzlich bückte sich die kleine Person, die neben Zuko II stand, zum Bürgermeister hinunter. „Lieber nicht knien.“, flüsterte sie. „Er mag das nicht so besonders.“ „W ... wie?“ „Er schaut den Menschen lieber in die Augen.“, erklärte Mylady hilfsbereit. „Oh!? Verzeihung!“, stiess Miro aus, seine eigenen Sehorgane zuckten verunsichert zum Blick des Flammengekrönten. Dann erhob er sich und drehte sich zu seinen Leuten. „Also ... nicht knien! Ihr habt´s gehört.“, zischte er. Nora hatte im Laufe ihres langen Lebens nicht nur gelernt, schwerhörig zu sein, wenn es drauf ankam, sondern auch hartnäckig. „Darf man ihn nun anfassen, oder was?“, insistierte sie. Man durfte. Zukos Hand wurde geschüttelt, verschämt mit der ein oder anderen Stirn berührt und einmal sogar flüchtig geküsst (später waren die anderen Frauen ziemlich verärgert über diese Waghalsigkeit. Vor allem deshalb, weil sie nicht selbst auf die Idee gekommen waren). Nora wartete bis alle fertig waren, dann nahm sie die schwielige Pranke ihres Lords so vorsichtig zwischen beide Hände, als handle es sich um ein Porzellanvögelchen und schaute zu ihm auf. „Danke!“, flüsterte sie mit Tränen in den Augen. „Ohne Dich hätt´ ich am Ende auch noch meinen Miro im Krieg verloren. Bist ein guter Junge! Ich danke Dir!“ Angesichts der vertraulichen Anrede hatten siebenundsechzig Menschen entsetzt Luft geholt. Doch Zuko der Erhabene strich nur sacht über die gebrechliche Hand und meinte: „Gern geschehn!“ Jin lächelte still in sich hinein. „Hauptmann Liang?“, wisperte sie dann über die Schulter. „Haben wir noch genug Essen für alle?“ „Nun, wir könnten ein weiteres Schwein auflegen, Mylady.“ „Hervorragende Idee!“ Jetzt zeigte sich, dass die optimistischen Einwohner des kleinen Pilger-Orts ganz offensichtlich ein Fest erwartet hatten. Wie von Zauberhand erschienen Kartoffeln, Würste, Gemüse und sogar Kuchen. Zunächst sass man in ehrfürchtigem Abstand um die Feuer, tuschelte, murmelte, spekulierte. Doch nach und nach schmolz Rens Selbstgebrannter die Befangenheit fort (dem Wirt selbst hatte der Fusel ja auch schon über seinen mittelschweren Schock hinweggeholfen) und als auch noch der Prinz dem Zeug Beifall zollte, feierte man ungehemmt in den Sternenhimmel hinein. Die Kinder tollten herum, bis sie sich vor Müdigkeit in einem der Zelte zusammenrollten und flüsterten, bis ihnen die Augen zufielen. Von nun an wurden weder Zerfa noch Jem je wieder gehänselt, oder verspottet. Aus dem ganz einfachen Grund, dass jemand, der auf dem Schoß des Feuerlords herumgeturnt war, glasklar eine Respektsperson darstellte. Das Fürstenpaar kam in dieser Nacht, beziehungsweise an diesem Morgen, erst sehr spät zu Bett. Völlig erledigt schälte sich Jin aus ihren Kleidern und kroch zu Zuko unter die Decke. „Müde, Kobold?“ „Mhm. Schrecklich. Aber auch schrecklich glücklich.“ Sie bekam einen Kuss auf die Nasenspitze. „Manchmal vergesse ich fast, was Du diesen Menschen bedeutest.“, murmelte sie und strich sein Haar zurück. Zuko lächelte schräg. „Nun, solange Du nicht vergisst, was ich den hier anwesenden Menschen bedeute ...“ „Als ob ich das jemals könnte!" Sie gab ihm einen innigen Gute-Nacht-Kuss und kuschelte sich in Form. „Dummer Drache.“ Hosted by Animexx e.V. 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