Leben von Pfefferminze (- nicht perfekt, aber endlich lebenswert -) ================================================================================ Nicht Perfekt, Aber Endlich Lebenswert -------------------------------------- Leben ~#~ Es ist nicht so, dass ich von Anfang an war, wie ich jetzt bin, aber nun mal der größte Teil meines heute 26-jährigen Lebens ist von Kälte durchzogen gewesen- in mehrerlei Hinsicht. Ich weiß nicht genau wo ich geboren bin, meine erste richtig klare Erinnerung dagegen, ist vor so etwa 20 Jahren, an ein Lachen von einem Straßenjungen, den ich mit meiner Mutter gesehen habe. Er war mit nichts als einem dünnen Pullover, einer Leinenhose und einer Pudelmütze bekleidet und freute sich, dass es schneite. Er drehte sich auf einem Bein wie wild um die eigene Achse und warf die Arme gen Himmel, seine leuchtend feuerroten Haare wirbelten unter der grünen Mütze hervor und als er seine Augen einmal kurz öffnete, blickten mich zwei klare eisblaue und faszinierend funkelnde Seen an. Der Moment hielt mich damals gefangen und verzauberte mich regelrecht. Nun ist es nicht so, dass ich jemand bin, der groß an die Magie des Momentes, die große Liebe, Schicksal oder sonstiges Hokuspokus glaubt, aber auch wenn ich den Ort, die Abtei, gehasst habe, nachdem mich meine Mutter überfordert dorthin verfrachtet hat… als ich dort ein Jahr nach dieser ersten klaren Erinnerung ankam und diese eisblauen Seen wieder sah… es machte es um einiges erträglicher. ~#~ Mein Leben fing für mich an, als ich 18 wurde und ich meine eigene Wohnung in Moskau bekam, aber ich sollte vielleicht erst einmal schildern, was vor meinem Leben meine Zeit beansprucht hat. Als ich fünf war, brachten mich die Erzieherinnen in die Abtei, weil ich angeblich ‚schwer erziehbar und ohne jeglichen Respekt Älteren gegenüber’ war. Die Mönche und unser Gaspatin haben mir fast ein Jahr lang Manieren, Respekt, Disziplin und Selbstbeherrschung beigebracht, als ich genug hatte und einfach raus musste. Ich brach aus. Es muss so um Weihnachten rum gewesen sein, als ich als erstes Kind überhaupt die Tore der Abtei überwand und in die Innenstadt Moskaus floh. Ich fror erbärmlich in meinen dünnen Sachen, aber ich erinnere mich, wie ich mich über etwas so Banales, wie den Schnee gefreut habe… und ich erinnere mich an Jade. Ich weiß nicht genau warum ich immer an Jade denken muss, wenn ich an damals denke, aber ich tue es und obwohl die Jahre in der Abtei Hölle waren, es macht den Menschen, der ich heute bin aus. Ich kann vielleicht nicht vergessen, was für Experimente damals mit uns gemacht wurden, ich kann vielleicht nicht die Angst, die Kälte und die Erniedrigung vergessen, aber vielleicht genau dadurch, bin ich heutzutage so vergleichsweise leicht zufrieden zu stellen. ~#~ Still beobachtete der Größere von Beiden den anderen. Er lehnte sein Kinn auf seine Handfläche und studierte immer wieder die Gesichtszüge des Kleineren. „Du nervst Boris.“ Ohne mit der Wimper zu zucken oder gar aufzusehen, sagte der Rothaarige die Worte leise und mit Nachdruck. Der Ältere beobachtete ihn schon seit Tagen und langsam nervte es wirklich. Am Anfang fand er es schön, endlich mal so viel Aufmerksamkeit von dem sonst so eisblockartigen Mann zu bekommen, aber langsam machte es ihn verrückt und er wurde schon paranoid. Erst gestern war er mitten in seiner Vorlesung aufgesprungen und hatte den Studenten hinter ihm zusammengestaucht, warum er denn nicht endlich mal aufhören könnte zu starren… bis ihm einfiel, dass Boris nicht wie er Medizin, sondern Jura studierte und die Vorlesungsräume für Jura am anderen Ende des Campusgeländes lagen und der Student hinter ihm somit ganz sicher nicht Boris war. Er erdolchte jeden mit einem Grinsen im Gesicht mit den Blicken und nicht wenige zuckten zusammen, grundsätzlich wäre er aber am liebsten im Erdboden versunken. „Hast du schon mal nachgedacht wie du geworden wärst, wärest du nicht in die Abtei gekommen?“ Überrascht sahen die Eisblauen Augen auf. Nicht nur war das ein wirklich langer Satz, es war sogar eine regelrecht tiefgründige Frage… und das von Boris… Kurz zuckten Yuriys Mundwinkel nach oben und er strich sich überlegend durch die Haare. Seine Zähne kauten leicht auf seiner Unterlippe und Boris’ rechter Mundwinkel zuckte verräterisch. Immer wenn der Jüngere scharf nachdachte und leicht unsicher wurde, fuhr er sich erst durch die Haare und brachte sie ironischerweise dadurch wieder dazu, richtig zu liegen und kaute sich dann auf der Lippe herum. „Ich… ich hab keine Ahnung… ich weiß nicht einmal, ob ich es wissen will…“ Seine Stimme klang leise und unsicher, etwas, was man sonst nicht von dem Russen vermuten würde. Yuriy Ivanow war immerhin der ‚Cyborg’ der Abtei und nur als eiskalt berechnender Bastard und Teamleader der Demolition Boys bekannt gewesen, ein Image, das heute nicht mehr wirklich zutraf, aber einfach noch an ihm haftete wie ein alter Kaugummi. „Und du? Schon mal drüber nachgedacht? Wär der gute Bobo dann jetzt ein fröhlich, lachender, junger Mann?“ Ein leichtes Grinsen huschte über die Züge des Rothaarigen, als er den skeptischen Blick des Älteren nicht nur wegen dem Lieblingsspitznamen zum Ärgern von ihm erhaschte. „Sicherlich nicht… aber ich denke nicht, dass es einen interessieren sollte, immerhin ist man doch nur der Mensch der man jetzt ist durch seine Erlebnisse geworden.“ Überrascht und verwirrt sah Yuriy Boris an. Derselbe Gedanke huschte ihm doch sooft durch seinen Kopf… ein leichtes Lächeln zeichnete sich auf den Lippen des Jüngeren ab und er wandte sich wieder seinem Aufsatz zu, trommelte mit seinem roten Kugelschreiber gegen die Tischplatte. „Manchmal überraschst du mich, Borisu…“ ~#~ Ein halbes Jahr später schlenderte Boris den Gang zu einer Medizinvorlesung über irgendwelche besonderen Krankheiten des Herzens entlang, um Yuriy abzuholen. Der Rothaarige hatte ihn gebeten zu kommen, weil er ihm etwas wichtiges Sagen wollte… was es war, konnte er sich nicht annähernd vorstellen. Als er den Studienraum erreichte, sah er durch den Türspalt, dass die eigentliche Vorlesung wohl schon fertig war, allerdings stand Yuriy mit dem Professor noch vorne und unterhielt sich. Es war bestimmt nicht seine Absicht gewesen zu lauschen, aber die Akustik machte es fast unmöglich nicht hinzuhören. „Yuriy, es fehlt immer noch deine endgültige Zusage, wann hast du vor uns die zu geben? Es ist immerhin…-“ „Eine große Chance, ich weiß… ich bin mir nur noch nicht sicher und… und ich muss noch etwas klären, bevor ich vielleicht wirklich über ein Jahr nach Deutschland gehe.“ „Vielleicht? Yuriy, du zählst zu meinen besten Studenten, vielleicht gibt es nicht, ich habe die mündliche Zusage, dass wenn du deine Bewerbung noch einmal nachreichst, du auf alle Fälle angenommen wirst. Du kriegst dann ein Stipendium und hast die Chance, in einem Land zu studieren, dass…-“ „Ich ruf heute Abend spätestens an, ja?“ Der Rothaarige fuhr sich unmerklich zitternd durch die Haare und verabschiedete sich mit einem leichten Gruß von seinem Professor. Als Yuriy durch die Tür ging, lehnte Boris neben dieser an der Wand und starrte auf den Boden. Ohne mit der Wimper zu zucken schnappte der Jüngere sich die Hand des größeren Russen und schliff ihn einfach mit. Kaum zehn Minuten später saßen sie zusammen in einem kleinen Café gegenüber dem Campusgelände und warteten auf ihren Kaffee. „Wann hättest du es mir gesagt?“ Leise Worte von Boris, die Yuriy einerseits überraschten, die er andererseits auch gefürchtet hatte. Vor einigen Monaten war sein Professor auf ihn zugegangen du hatte ihm von einem Programm erzählt, das russischen Medizinstudenten die Möglichkeit in Berlin zu studieren ermöglichte und es hatte so verlockend geklungen, also hatte er zugesagt… nur wurde ihm mit der Zeit immer deutlicher, wie sehr er den einzigen Menschen den er schätzte doch vermissen würde, und so zögerte er nicht nur seine endgültige Zusage bei dem Programm weiter heraus, er sagte auch nie etwas zu Boris. „Ich… Ich weiß es nicht…“ Boris hob seinen Blick und verhakte ihn mit dem des Jüngeren. Die eigentlich doch strahlenden Augen sahen in trüb, ängstlich und verunsichert an… „Du wirst fahren.“ Es war keine Feststellung, sondern ein klarer Befehl, wohl auch der Grund dafür, dass Yuriy von seinem Platz aufsprang und sein Gegenüber fassungslos ansah. „Wie Bitte? Warum gibst du mir Befehle? Ich…-“ „Du würdest aus absolut banalen Gründen noch absagen und wenn du glaubst, ich sage nichts, wenn du drauf und dran bist, eine verdammt große Chance in den Wind zu schießen, hast du dich geschnitten Yuriy Ivanow.“ Scharf sahen ihn die jadegrünen Augen an und perplex blieb dem Jüngeren nicht weiter übrig, als zu nicken und sich langsam wieder hinzusetzen. Die ganze Zeit bis zu ihrem Verlassen des Cafés war nicht mehr als ein Paar Blickkontakte zwischen den beiden von Statten gegangen und erst, als sie zusammen durch den Park neben dem Unigelände liefen, seufzte Yuriy tief und stellte sich vor Boris. „Kommst du mich besuchen?“ Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern nickte Boris. „Schreibst du Briefe, Mails? Kann ich dich anrufen, rufst du mich an? Ein leichtes Lächeln erschien auf den Zügen des sonst so emotionslosen Russen und Passanten hätten es selbst als solches nicht erkannt oder gesehen, Yuriy, als alter Freund, bemerkte es sofort und seine Augen weiteten sich leicht. „Ich schreibe nie Briefe, ich schreibe eher halbe Romane und anrufen werde ich auch. Du rufst eh immer an, wo bleibt also der Unterschied neben der Stromrechnung?“ Der überraschte Ausdruck auf dem Gesicht des Jüngeren verschwand und ein glückliches und erleichtertes Lächeln erschien stattdessen, ehe er die Lücke zwischen ihnen überwand und seine Finger in Boris Anorak krallte und sich dicht an ihn kuschelte. „Danke, danke dass du da bist, Borisu.“ Kurz zögernd legte der Größere schlussendlich seine Arme um den Körper vor ihm und umarmte ihn fest. ~#~ Keine Woche später stand der Termin für Yuriys Abreise fest und der Rothaarige suchte immer mehr die Gesellschaft seines Freundes, ließ ihn allerdings nie an sich ran. Immerzu blockte er ab, wenn Boris von sich aus den Körperkontakt herstellen wollte oder Fragen bezüglich der Abreise stellte. Letztendlich kam es so, dass der Ältere am Abreisetag vor Yuriys Wohnungstür stand und Sturm klingelte, unwissend darüber, dass der Rothaarige quasi vor seiner Nase mit dem Taxi weggefahren war. Knurrend griff Boris in seine Jackentasche und zog ein Stück Draht heraus und hatte das Türschloss in wenigen Sekunden auf. Schnell stieß er die Tür auf und ging rein, schloss dir Tür durch einen Tritt gegen das Holz. Langsam ging er durch den abgedunkelten Flur. Stumm sah er sich um und bemerkte die ausgeräumten Möbel in den Zimmern, sowie die fehlenden Bilder an den Wänden. Plötzlich entdeckte er einen Zettel auf dem leer geräumten Wohnzimmertisch liegen. Er erkannte den roten Kugelschreiber, der halb auf dem Blatt lag und nahm es vorsichtig hoch und fing an zu lesen. Hey Borisu, Ich vermute, du hast das Türschloss geknackt, nachdem ich einfach nicht aufgemacht habe, huh? Es tut mir Leid, dass ich in letzter Zeit nie wirklich etwas mit dir gemacht habe, aber ich wollte einfach nicht, dass ich später am Bahnhof dann doch nicht in den Zug einsteige… Was auch der Grund ist, dass ich dir einen zwei Stunden späteren Zeitpunkt meiner Abfahrt gegeben habe. Ich fahre um 9.14 und nicht um 11.32, aber ich hatte Angst, dass ich es dann doch nicht übers Herz bringe, wenn du dabei bist. Als du in die Abtei kamst und auch während der Zeit als Blader, hast du nie viel Geredet (selbst im Vergleich zu mir und den anderen Jungs) und trotzdem hast du schon damals immer die richtigen Worte gefunden, wenn es darum ging, mich von etwas abzuhalten oder mich in etwas zu stärken. Wir waren damals wohl beide nicht die angenehmsten Menschen, aber wir hatten immer einander, dafür möchte ich dir danken. Du hast mir geholfen, endlich ein Leben zu kriegen, das ich wirklich mochte und immer noch mag. Meine Adresse vom Campus hast du ja und ich geb dir so schnell wie möglich auch die Telefonnummer wenn mein Telefon dann angeschlossen ist. Auch, wenn das hier eigentlich so nach einem typischen ‚Auf nimmer Wiedersehen’ -Brief klingt… es soll keiner sein, nur im Gegensatz zu dir, habe ich nie wirklich ein Talent dazu gehabt, die richtigen Worte zu wählen. Pass auf dich auf und lass von dir hören. Yuriy~ Ein kleines Lächeln zierte Boris’ Lippen, als er leise die Tür hinter sich schloss und auf die Straße ging. Ein kurzer Blick zu seiner Armbanduhr drängte ihn zur Eile und er fing an, schnell in Richtung Bahnhof zu Joggen. ~#~ „/Der Zug 7230 nach Berlin fährt jetzt auf Gleis 6 vor. Bitte warten sie mit dem Einsteigen, bis der Zug angehalten hat und achten sie auf die Markierungen./“ Seufzend schloss Yuriy die Finger fester um den Griff seiner großen Sporttasche. Er zögerte die letzten Schritte nach vorne zu gehen und sich in die wartende Schlange einzureihen, die den Zug nehmen würde. „Ich glaube, ich würde ihm jetzt doch ganz gerne anständig Tschüss sagen…“ Leise wisperte er die Worte, gab sich einen kleinen Ruck und ging zu der Tür zu seinem Abteil. Vorsorglich war sein Platz reserviert worden und er saß am Fenster und wartete starr nach draußen blickend auf das Schließen der Türen sowie die Abfahrt. Er zuckte zusammen, als plötzlich eine bekannte Figur auf den Bahnsteig trat und in Windeseile schob er sein Fenster runter, als Boris ihn entdeckt hatte und auf ihn zukam. „Was machst du hier?“ Yuriy lehnte sich aus dem Fenster, als Boris ihn erreichte und mit den Schultern zuckte. „Ich wollte dir noch etwas geben, damit du ja keinen Dumpfug anstellst und wiederkommst.“ Verwirrt legte der Rothaarige seine Stirn in Falten und sah zu dem Älteren. Dem huschte ein kurzes Grinsen über die Züge, eher er seine Hand in den Nacken des Kleineren legte und ihn zu sich zog. Im ersten Moment weiteten sich die eisblauen Augen des Jüngeren und er war drauf und dran, sich an dem Fenster wieder abzustoßen. Als sich allerdings ihre Lippen in einem zuerst hauchzarten Kuss trafen, erschlaffte jeder Gedanke und jeder Muskel der einen Widerstand wollte und er legte stattdessen die Hände auf Boris’ Schultern. Der Größere brachte kurz Abstand zwischen ihre Gesichter, warf einen musternden Blick auf die des Anderen und beugte sich dann vor, um den Rothaarigen fordernd zu küssen. Yuriy keuchte leise auf und erwiderte ohne groß nachzudenken, schloss wie Boris seine Augen, um alles sofort intensiver wahrzunehmen. Boris öffnete seine Lippen und knabberte leicht an Yuriys Unterer, stahl seine Zunge in Yuriys Mund, als der erneut leise aufkeuchte. Yuriys Zunge kam der seinen entgegen und sie umgarnten einander erst sorgfältig, ehe sie einen wilden Kampf um die Führung anfingen. Nach wenigen Minuten stellte sich Boris’ als Sieger heraus und langsam trennten sich ihre Münder. Immer wieder platzierte der Rothaarige noch kleine Küsse auf den leicht geöffneten und geröteten Lippen seines Freundes, ehe er seine Augen öffnete und geradewegs in die Jadegrünen von Boris blickte. „Was…?“ „Ein Kuss, der dich daran erinnern soll, dass du hier wen hast, der dich braucht, also bleib gesund und hab Spaß, da ich sonst komme und dir in den Arsch trete.“ Perplex sah Yuriy auf seinen verschmitzt grinsenden Freund, ehe sich sein Gesichtsausdruck änderte und er kopfschüttelnd schmunzelte. Bevor er etwas sagen konnte, signalisierte ein hohes Pfeifen die Abfahrt des Zuges und wenige Sekunden später schlossen sich die Türen. Yuriy blieb am Fenster stehen und sah den Älteren weiterhin schmunzelnd an. „Besuch mich, bald, ja?“ Der Zug rollte los und der Rothaarige blieb mit dem Blick am sich langsam entfernenden Boris haften, ehe er ein Nicken und ein stumm geformtes ‚Ich verspreche es’ erhaschte. ~#~ Mein Leben war und wird nie perfekt oder besonders schön sein, da die Vergangenheit mich nicht loslässt, aber es gibt Momente und Menschen, die mich mein Leben für keinen Preis der Welt tauschen lassen würden. ~#~ 21-10-2007 Ming-sama Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)