Schwarz von DasFlausch ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Der Gang zur Schule ist jedes mal eine Tortur. Der Eintritt ins Klassenzimmer eine enorme Überwindung. Kaum drückt sie die Klinke der Klassentür herunter und öffnet diese einen Spalt, prallen ihr hämische, verletzende Bemerkungen und vor lauter Lachen grotesk verzerrte, fiese Gesichter-einem Ungeheuer gleich-entgegen. Mit Bauchschmerzen setzt sie sich auf ihren Platz. Die Mitschüler sprechen, extra für sie hörbar, unfassbare Beleidigungen und gemeine Beschimpfungen aus, bespucken und bewerfen sie, rempeln sie an, schubsen sie, klauen und beschmutzen ihre Sachen. Ihr langes, schwarzes Haar trägt sie wie einen Schleier über ihren zierlichen Schultern, ihre großen, schwarzen Augen, den Schmerz ihrer Seele versteckend, erträgt sie all dies stillschweigend. Was sollte sie auch tun? Laut losschreien? Um sich schlagen? Sich wehren? Hilfe suchen? Doch wozu? Keiner würde ihr zu Hilfe kommen, sie beschützen, verteidigen, abschirmen vor all den Gemeinheiten und Verletzungen. Freunde? Hat sie keine. Niemand, der sie versteht, dem sie vertrauen kann. Ihr bleibt nichts anderes übrig, als alles stumm zu ertragen und sich nichts anmerken zu lassen. Weil sie keine Gefühle zeigt wird sie von ihren Mitschülern als Hexe, als seelenloses Ding verschrien und verachtet, seelisch gefoltert und vergewaltigt. Immer wieder. Niemals zeigt sie eine Regung, eine Träne. Weinen verschafft ihr schon lange keine Erleichterung mehr. Also beschließt sie, ihre Gefühle abzutöten, eine leere Hülle zu sein, um sich selbst zu schützen. Doch blickt man hinter ihre leblosen Augen, hinter die Wand, erkennt man ihren Schmerz und ihre tiefe Trauer. Ganz tief in ihrem Inneren hält sie ihr Herz verschlossen. Wie gerne würde sie weinen, schreien, doch all dies unterdrückt sie, verbietet sie sich selbst. Warum sollte sich auch Jemand die Mühe machen, hinter ihre Fassade zu schauen und den Deckel, der ihr Herz verschließt, zu lösen? Sich keine Gedanken darum zu machen, alles gleichgültig zu betrachten ist doch viel einfacher. Seine eigene Unsicherheit damit zu überspielen, andere zu verletzen ist doch viel angenehmer. Doch sie muss drunter leiden. Ihre Hilflosigkeit zerreisst sie. Erst das Läuten der Schulglocke lässt sie aufatmen, doch nur für einen kurzen Moment, dann gehen ihre Qualen weiter. Der Weg nach Hause erscheint ihr jedes mal wie der Weg zu ihrer eigenen Hinrichtung, nur mit dem Unterschied, dass der Tod nicht am Ende wartet und sie von ihrem Leid erlöst. Fast täglich lauern ihr Mitschüler uaf, beschimpfen sie, treten sie, schlagen sie, bis sie schließlich zusammenbricht. Auch heute liegt sie wieder am Boden und kauert sich hilflos zusammen. Die Tritte schmerzen, werden immer fester. Da erblickt sie einen letzten kleinen Hoffnungsstrahl: Eine alte Freundin läuft an der Meute über ihr vorbei. Zitternd streckt sie ihre Hand nach dem Mädchen aus, schaut sie flehend an. Ein stummer Hilferuf. Doch sien weiß, dass sie in dieser Welt keine Hilfe zu erwarten hat. Das Mädchen läuft ohne ein Wort zu verlieren weiter. Erschöpft sinkt ihre Hand zu Boden. Ihr Blick ist leer. Wieder und wieder treten und schlagen ihre boshaft lachenden Mitschüler auf sie ein. Sie ist ein leichtes Opfer, wehrt sie sich doch nie, erträgt alles stumm. Sie kann ohnehin keine Gefühle empfinden, denken sie und malträtieren sie weiter. Aber tief in ihr brodelt ein unbändiger Hass. Auf ihre Mitschüler, die sie stets aufs neue körperlich und seelisch foltern. Auf ihre Eltern, die sich nur besaufen und ihrer Tochter keine Beachtung schenken. Auf die Lehrer, die nur zusehen, aber nichts unternehmen. Auf alle Menschen dieser Welt, die ihre Blicke abwenden, weil sie nichts außer sich selbst interessiert. Die zulassen, dass so etwas überhaupt geschehen kann. Auf die Gesellschaft, die nur die Augen davor verschließt und ein lachendes, friedliches Bild nach außen dringen lässt. Endlich zu Hause wird sie von ihrer Mutter beschimpft. Wie sie wieder aussähe. Wo sie sich bloß wieder rumgetrieben hätte. Eine furchtbare Alkoholfahne schlägt ihr ins Gesicht, brennt in ihrem Rachen, in ihren Augen. Dennoch verzieht sie keine Miene, antwortet nicht auf die Fragen ihrer Mutter. Steht einfach nur da und schaut sie mit starrem Blick an. Einige male spürt sie die wütenden Schläge der Frau auf ihrer kalten Haut, bevor diese ihr schreiend befiehlt, auf ihr Zimmer zu gehen. Das kleine, dunkle Zimmer ist ihre einzige Zuflucjt. Ihre Ruheoase. IHR Reich. Keine Beschimpfungen. Keine Schläge. Kein Lärm. Nur das leise Geräusch des Windes, der sangt an ihr Fenster klopft und so ab und an die erdrückende Stille unterbricht. Sie steht mitten im Raum, ihre Schultasche in den zittrigen Händen haltend. Um sie herum nur Leere. Leere und Dunkelheit. Verzweifelt wirft sie sich auf ihr Bett und schließt die Augen. In der Hoffnung, in ihren Träumen der Realität zu entfliehen.....doch vergeblich. Kaum fallen ihre Augen zu, kommen die schrecklichen Bilder hervor. Die Gesichter ihrer Peiniger. Ihrer Mitschüler. Ihrre Mutter. Ihres Vaters. Erschrocken fährt sie hoch, reisst ihre Augen auf und schaut mit ängstlichem Blick aus dem Fenster. Es schneit. Die weißen Flocken tanzen vom Himmel herab une bedecken alles mit einem sanften Glitzern. Alles wirkt unter dem strahlendem Weiß so unschuldig und friedlich. Wie sehr sie sich doch wünscht eine von ihnen zu sein, eine der Schneeflocken. Eine kleine, weiße Tänzerin aus Eis. Kraftlos steht sie auf und öffnet das Fenster. Der kalte Wind umspielt angenehm ihr hübsches, blasses Gesicht, ihr Haar schwebt auf den sanften Wogen dahin. Weißer Schnee... Mit festen Blick schleicht sie am Wohnzimmer vorbbei in die Küche. Ihre Mutter ist vorm Fernseher eingeschlafen. Leise öffnet sie die Schublade und greift nach einem Messer. In der silbernen Schneide spiegeln sich ihre leeren, schwarzen Augen nieder. Schnell geht sie in ihr Zimmer zurück, kritzelt rasch ein paar Zeilen auf ein altes Stück Papiert, schließt das Fenster und geht hinaus. Atemlos rennt sie die Straße entlang, beachtet die Leute, die sich nach ihr umdrehen nicht. Erst im Wald bleibt sie schließlich stehen. Es schneit immer noch. Ihr schwarzes Haar glitzert von geschmolzenen Schneeflocken und bildet einen hübschen Kontrast zum Weiß. Sie streckt ihre linke Hand aus. In der rechten hält sie das Messer umklammert. Langsam setzt sie die Klinge an. Ein unbekanntes Gefühl durchflutet sie. Das warme Blut läuft über ihre kalte Hand und scheint all ihr Leid, all ihren Schmerz mit sich zu nehmen. Tropfen für Tropfen fällt der rote Saft auf den Boden und frisst sich in den Schnee. Wie schön das doch aussieht. Ein scheues Lächeln ziert ihre schönen Lippen. Erleichterung macht sich breit. Langsam lässt sie sich auf ihre Knie fallen und legt sich in den Schnee. Nun friert sie nicht mehr. Tränen laufen über ihr Gesicht, schmecken salzig. Sie schaut in den Himmel. Immer wieder fallen ihr kleine weiße Kristalle in die Augen, verhaken sich in ihren langen Wimpern. Ein roter Fluss treibt neben ihr her, sanft und schön. Sie schließt die Augen. Ein glückliches Lächeln. Friedlich. So friedlich, als schliefe sie. Ja, sie schläft. Umgeben von wunderschönem Weiß und warmen Rot. Weckt sie nicht auf, sie träumt einen wunderschönen Traum... Kapitel 2: Epilog ----------------- Mutter. Vater. Wenn ihr diese Zeilen lest bin ich schon fort. Weit weg von all dem Leid. Von meinen Mitschülern. Von euch. Nie habt ihr mir Liebe gegeben, Geborgenheit, Sicherheit, Wärme. Beschimpfungen und Schläge waren das Einzige, was ihr für mich übrig hattet. Habt ihr sie nie bemerkt, meine Wunden? Blaue Flecke. Prellungen. Schürfwunden. Die Angst und Verzweiflung in meinen Augen. All die Qualen, die ich von meinen Mitschülern ertragen musste. Meine blutende Seele. Mein leeres Herz. Doch, ihr bemerktet sie, die Wunden auf meiner Haut und auf meiner Seele. Ihr habt euch nur nicht dafür interessiert. Ihr wolltet sie nicht sehen. Niemand wollte dies. Aber alldem setze ich nun selbst ein Ende, tauche ein in eine andere Welt. Eine Welt, in der sich meine Sehnsüchte vielleicht erfüllen. Weißer Schnee glitzert so friedlich, findet ihr nicht auch? Weiß. Unschuldig. Friedlich. Ich bin tot. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)