Show me Love von DraySama ================================================================================ Kapitel 7: Körperwarme Popkorn ------------------------------ „Mann, was bist du denn für ein Philosoph?“, grinste Hyde zurück. Aber Gackt deutete nur auf die spiegelnden Scheiben der Drehtür. „Warte ab.“ Als sie draußen standen, wehte ihnen ein kalter, trockner Ostwind entgegen, auf allem lag eine Schicht von weißem Puderzucker, es hatte geschneit. „Nun blick zum Himmel hoch.“ Hyde hob den Kopf, ein wenig trotzig, dennoch tat er, um was er gebeten wurde. „Was siehst du?“ „Wolken“, antwortete der kleinere Japaner. „Und, was siehst du da?“ Gackt drehte seinen Kopf ein bisschen weiter nach rechts. „Einen Stern.“ „Na also! Was hab ich gesagt? Sterne sind fantastisch, was?“ Gackt schob die Popkorntüre in die Jackentasche, beobachtete die Wagen, die am Bordstein hielten. Leute beim Ein- und Aussteigen, er blickte dem Bus nach, der an ihnen vorbeifuhr, dann wieder nach oben zu dem Stern und dann sah er den kleinen Japaner an, der ihn die ganze Zeit mir großen Augen gemustert hatte. „Ich habe eine Idee“, meinte er dann. „Klasse. Nämlich?“ „Wir gehen spazieren.“ Hyde stöhnte, „Das ist nicht dein Ernst?“ „Doch und ich erklär dir auch die Vorteile gegenüber dem Kino. Erstens, es kostet nichts. Zweitens, es ist gesund. Drittens, man kann beim Gehen reden, nachdenken, Quatsch machen, lachen, was auch immer. Viertens…“, er stockte. „Naa?“, fragte Hyde. „Viertens…äh…“, Gackt überlegte fieberhaft. „Okay. Ich habe es. Es ist gut für die Verdauung.“ „Das gilt nicht. Das gehört zur Abteilung Gesundheit.“ Gackt grinste: „Du meinst, das alles, was gut für die Gesundheit ist, auch die Verdauung fördert?“ „Klar.“ „Das ist Unsinn. Also fünftens…“ Sie gingen die Strasse hinunter auf die Lichter der großen Einkaufshäuser zu. Hyde überlegte, ob sie vielleicht ein wenig Rolltreppe fahren konnten. Das hatte er mit Tetsu immer getan, wenn ihm kalt war. So hatte man sich prima aufwärmen können. „Wir könnten Rolltreppe fahren“, meinte Hyde, „Dort im Kaufhaus.“ „Ach nee.“ „Doch. Ich erklär dir mal die Vorzüge“, Hyde zählte auf, „Rolltreppe fahren kostet nichts. Mann ist nicht draußen, wo es kalt ist, sondern an der Wärme.“ „Sind das zwei Vorteile oder einer?“ „Einer“, sagte Hyde großzügig, „Das ist doch ein Punkt. Entweder ist man drinnen, wo es warm ist, oder draußen, wo es bitterkalt ist. Rolltreppen sind drinnen.“ „Nicht immer, denk mal an die Rolltreppen bei der U Bahn.“ „Jaa, aber die fangen draußen an und enden drinnen. Außerdem rede ich ja von dem Kaufhaus.“ „Okay, das sind bis jetzt drei Vorteile. Ich war bei fünf. Bislang ist Spazierengehen viel vorteilhafter als Rolltreppe fahren.“ Hyde lachte und Gackt baute sich vor ihm auf und versperrte ihm den Weg. „Warum lachst du nun?“, fragte er streng. „Weil du komisch bist.“ „Ich? Komisch? Das Neuste, was ich höre.“ „Klar bist du witzig. Merkst du das nicht?“ „Hier.“ Er zog die Popcorntüte raus und reichte sie ihm. „Bedien dich. Das ist auch noch ein Vorteil am Spazierengehen. Man kann dabei essen. Außerdem bin ich nicht komisch, das bildest du dir ein.“ Hyde nahm ein Popcorn und steckte es in seinen Mund. „Und? Wie schmeckt es?“ „Gut.“ „Ich frag nur, weil es jetzt meine Körpertemperatur hat. Müsste eigentlich viel besser schmecken.“ Hyde spuckte das zweite Popcorn aus, er lachte und musste sich den Bauch halten. Gackt stand mit der Tüte in der Hand da und beobachtete ihn, wie er von einem Lachanfall geschüttelt wurde. Einem Passanten, der ihnen einen schiefen Blick zuwarf, sagte Gackt: „Das hat er nun davon, lebende Goldfische zu essen. Das bekommt keinem, was? Aber er isst nichts anderes.“ Der Passant, ein älterer Mann, runzelte die Stirn. Hyde richtete sich auf, prustete vor Lachen. Der Mann machte eine ärgerliche Armbewegung und ging weiter. „Der Typ kann einen guten Witz nicht von einem Schlechten unterscheiden“, sagte er verächtlich, „Typisch für sein Alter.“ Hyde kicherte, „Gibt es ein Alter, in dem man besonders leicht gute Witze von Schlechten unterscheiden kann?“ Gackt schüttelte den Kopf, „Nicht direkt. Aber ich kann dir einen Typen beschreiben, der das schafft. Also der Typ ist etwa 17 Jahre alt, hat eine gerade Nase und einer winzigen Narbe an der Stirn, halb lange, seidige schwarze Haare, so tiefschwarz“, Er nah eine Strähne und betrachtete sie, „Wie nennt man diese Haarfarbe?“ „Schwarz“, meinte Hyde leise. Er blickte Gackt mit großen Augen an. Dieser drehte die Strähne in den Fingern herum und lächelte leicht. „Haare, die sich wunderbar anfühlen“, sagte er, „So seidig irgendwie.“ Er ließ das schwarze Haar los und ging einfach weiter, als wäre nichts passiert. Hyde folgte ihm und lief neben ihm her. „Die Narbe hab ich beim Skifahren gekriegt“, meinte der Kleine, „Da war ich mit meinen Eltern in Österreich, in den Weihnachtsferien, im Skikurs. Die erste Fahrt mit dem Schlepplift und so ein Idiot aus unserer Anfängergruppe vor mir ließ den Bügel los und der knallte mir direkt an den Kopf. „Wow“, sagte Gackt, „Und? Ohnmächtig?“ „Klar. Ich lag im Schnee, wie tot. Der Sessellift musste abgeschaltet werden und sie haben mich auf eine Trage gelegt. Die war so wackelig, dass ich sofort wieder munter geworden bin.“ „Ja ja, das sind die Vorteile des Winters“, meinte Gackt trocken. Hyde kicherte „Oh jaa, meine Stirn war ganz grün und blau und das wochenlang. Ich bin froh, dass wir uns damals nicht gekannt haben.“ „Warum?“ „Weil ich so schrecklich ausgesehen habe. Wir wären bestimmt heute nicht ins Kino gegangen, so wie ich ausgesehen habe.“ Gackt blieb stehen, starrte Hyde mit großen Augen an „Wir waren im Kino? Ich muss echt was verpasst haben. Mann, das passiert mir immer öfter. Totaler Filmriss. Du, erzähl doch mal, wie war denn der Film?“ Hyde holte tief Luft. „Kannst du irgendwann auch mal ganz normal reden? So wie in der Schule? Ich meine, so ganz normal, dass ich nicht immer Bauchschmerzen vor Lachen habe?“ „Kann ich schon“, meinte Gackt, „Aber will ich vielleicht nicht. Ich will vielleicht, dass du lachst, weil du mir so viel besser gefällst, wenn du ein fröhliches Gesicht machst.“ „Ach so“, wisperte Hyde leise und schwieg. Nun musste er sofort wieder an seine Mutter denken, an die letzte Nacht. Und all die nächsten, die noch kommen würden. „Mein Vater hat eine Neue“, sagte Hyde, als sie eine Weile geschwiegen hatten. „Sie ist nur zehn Jahre älter als ich. Stewardess. Mein Vater ist nun zu ihr gezogen. Ganz offiziell, gestern war der Termin der Scheidung.“ Gackt sagte nichts, er starrte auf den Weg vor seinen Füssen. „Hmhh“, machte er, „Stewardess. Bestimmt bekommt sie Freiflüge. Die haben immer Stand-bys oder so was, hab ich gelesen. Wenn die nach New York wollen oder Los Angeles, also in ihrer Freizeit, im Urlaub, dann fahren die an den Flughafen, zeigen ihren Ausweis vor, und wenn noch Platz in der Maschine ist, dürfen sie einsteigen und fliegen umsonst mit. Oder für ein paar mickrige Yen. Das muss ein Superleben sein.“ „Mir ist Scheissegal, was die für ein Leben hat.“ „Vielleicht schenkt sie dir auch mal einen Freiflug, um sich bei dir einzuschmeicheln.“ „Das tut die nie!“ „Woher weißt du das? Kennst du sie?“ Hyde schüttelte den Kopf. „Meine Mutter sagt, wenn ich ein Wort mit ihr wechsle, dann bin ich nicht mehr ihr Sohn.“ „Verstehe.“ Hyde blickte Gackt an, dieser hob den Kopf, bis sie sich in die Augen blickten. Dann gingen sie weiter, sie waren in einer Gegend mit wenigen Geschäften. Dafür gab es hier mehr Bars. Manchmal wurde die Türe geöffnet, dann konnte man die schrillen Melodien oder Stimmen der Karaoke Bars hören, oder man roch den Imbiss um die Ecke mit dem verführerischen Ramen Nudeln. Hyde kramte in seinem Mantel herum, bis er sein Geld gefunden hatte. „Sag mal, hast du auch Hunger?“, fragte er. „Hast du etwa Hunger?!“ „Ein wenig schon“, meinte der Kleinere. „Aber wir haben doch noch das ganze Popcorn.“ „Ich könnte dich zu Mc Donalds einladen“. sagte Hyde. „Ich hab ja noch das ganze Kinogeld.“ „Bewahre es lieber auf. Wir können es ja morgen noch mal versuchen.“ „Aber morgen ist Donnerstag. Da kostet es wieder das Doppelte.“ „Oder dann am nächsten Mittwoch. Glaubst du, der läuft dann noch?“ „Der ist doch gerade erst angelaufen.“ Gackt nickte zufrieden. „Gut, dann versuchen wir es nächste Woche noch einmal. Wie findest du das? Du lässt das Geld schön stecken und wir schieben uns noch ein paar körperwarme Popcorn rein.“ Hyde lächelte. „Schau mal da oben“, sagte Gackt. Er deutete in den Himmel. „Ganz viele Sterne auf einmal. Ich hab es doch gewusst.“ „Was?“ „Dass es schön wird“, erwiderte Gackt. „Dass was schön wird?“ Gackt blieb stehen und musterte den Kleinen. „Mit dir“, sagte er, „Ich hab es gewusst.“ Hyde war froh, dass Gackt in der Dunkelheit nicht sehen konnte, wie er errötete. Sie liefen die halbe Nacht herum, durch Strassen, in denen Hyde nie gewesen war. Gackt auch nicht, aber er tat, als wisse er immer genau, wo sie waren. Dabei kamen sie an Plätzen vorbei, mit Brunnen, die Hyde nicht kannte, und wenn er die Straßennamen suchte, fand er keine Schilder. Dann begann es wieder zu schneien. Die Autos zogen schmutzige Spuren in den frischen weißen Schnee. Gackt stellte sich auf einen Brunnenrand, die Handflächen nach oben, das Gesicht gegen den Himmel gerichtet. „Was machst du da?“ „Ich sammle Schnee“, sagte Gackt, die Augen geschlossen. „Du bist verrückt“, kicherte Hyde, „Der Schnee schmilzt doch in der warmen Hand.“ „Nicht, wenn ich es lange genug aushalte.“ “Wie lange ist das?“ „So lange, bis meine Hand kalt ist wie der Schnee. Dann schmilzt er nicht mehr und türmt sich auf der Handfläche zu einer Pyramide. Ich wünsche mir zwei Pyramiden aus Schnee – Setz dich hin und schau zu, wenn du Lust hast. Oder geh weg.“ Hyde setzte sich hin und schaute zu. „Was willst du mit ihnen machen?“, fragte er. „Ich werde ihnen Namen geben.“ „Und welche?“ „Eine Pyramide, die linke, heißt Gackt und die andere, die rechte, die bestimmt viel schöner wird, heißt Hyde.“ Hyde dachte, ich hab noch nie so einen verrückten Kerl getroffen. Und er dachte, es gefällt mir, mit so einem verrückten Kerl zusammen zu sein. Er steckte die Hände in die Manteltaschen, weil er fror. „Es ist ziemlich kalt“, sagte er, „Und ich krieg auf dem Brunnenrand einen nassen Hintern.“ Gackt schüttelte die Arme, klatschte in die Hände und hüpfte in die Luft. „Dann müssen wir das Experiment abbrechen“, sagte er, „Und stattdessen Wärmeübungen machen. Die macht man in jedem Sport, damit die Muskeln die richtige Temperatur haben. Damit man sich nicht die Sehnen reißt oder so.“ „Was du alles weißt.“ „Ich mache eben gerne Sport!“, sagte Gackt ein wenig stolz. Es deutete auf das U- Bahn Schild. „Wollen wir zurück laufen, oder willst du fahren?“ „Mir egal“, meinte Hyde, „Wie spät ist es eigentlich?“ Gackt wartete, bis sie die nächste Straßenlaterne erreicht hatten, dann schob er den Ärmel zurück, um auf die Armbanduhr zu sehen. „Wow.“ „Was? Wie spät ist es?“ „Halb zwölf schon.“ Hyde schrie auf: „Das glaub ich nicht! Halb zwölf? Sag, dass es nicht wahr ist!“ Gackt zog seinen Ärmel wieder hervor und sagte: „Es ist nicht wahr.“ „Lass sehen“, Hyde nahm seine Hand, versuchte auf die Uhr zu sehen. Sie kämpften ein wenig miteinander, aber dann ließ Gackt ihn gewinnen. Hyde drehte sein Handgelenk so, dass er das Zifferblatt erkennen konnte. „Halb zwölf!“ „Hab ich gesagt.“ „Nein, du hast gesagt, es sei nicht wahr.“ „Weil du wolltest, dass ich das sage.“ „Du bist verrückt.“ „Klar“, meinte Gackt. „Oh Mann, ich glaub, ich fahr doch lieber mit der U-Bahn. Was glaubst du, wie heißt die Station?“ „Wenn ich es dir sage, dann glaubst du es doch nicht.“ „Sag es mir.“ „Paradies.“ „Quatsch“, Hyde stieß ihn in die Seite. „Solch eine Station gibt es in ganz Japan nicht!“ „Okay, dann frag mich nicht mehr, ja? Wenn du mir nicht glaubst.“ Die Station hieß nicht Paradies, aber das war Hyde egal, sie lag viele Stationen vom Kino entfernt. „Ich bin noch nie so weit gelaufen, nicht hier in Tokyo“, meinte der Kleine. „Gut für die Gesundheit, hab ich dir doch schon gesagt“, meinte der Blonde trocken. Sie gingen die Treppenstufen zum Bahnsteig hinauf. Die Leute hatten sich die Schals um den Hals gewickelt und standen mit dem Rücken zum Wind, es war wohl die erste oberirdische Station, die Hyde gesehen hatte. Selbst wenn er wusste, dass es welche gab, hatte er noch nie eine benutzen müssen. „Es wird Zeit, dass es Frühling wird“, sagte Gackt, „Da macht das Spazierengehen viel mehr Spass.“ Hyde fiel plötzlich ein, dass sein Vater ihm versprochen hatte, in diesem Frühling mit ihm in den Tennisclub zu gehen. Sein Vater hatte früher Tennis gespielt und er wollte es Hyde beibringen. Dazu mussten sie in einen Club eintreten und er hatte ihm versprochen, dass es ein Geschenk werden würde. „Was macht dir zum Beispiel mehr Spass im Frühling?“, fragte Gackt. „Ach“, sagte Hyde, „nichts.“ Er wandte sich ab. Er überlegte, ob sein Vater jetzt wohl mit der Stewardess in ihrem Wohnzimmer vor dem Fernseher saß. Oder ob er mit ihr in ein Restaurant ging. Ob sie sich küssten. Seine Mutter hatte geschrieen: Bumst sie besser?, als sie erfuhr, dass sein Vater bei einer anderen Frau war. Ist sie besser im Bett? Macht der Sex mit ihr mehr Spass? Sein Vater hatte traurig gelächelt und gesagt, sie solle nicht so vulgär sein. Was ist es dann? Bin ich dir zu alt? Unsinn, hatte sein Vater gesagt. Wie alt ist denn deine Geliebte? Das sage ich nicht, hatte sein Vater gesagt. Doch seine Mutter hatte solange gebohrt, bis er endlich seufzend ihr Alter genannt hatte. Es war ihm peinlich, er war verlegen, er wollte es nicht sagen und Hyde wollte es auch nicht hören. Sie saßen in einer Pizzeria und er hatte erst seine Gabel voll probiert. Eigentlich sollte es ein Friedensessen werden, weil es vorher immer so viel Streit gegeben hatte und weil Hyde geschrieen hatte: Ich halte es nicht mehr aus! Ich schrei, wenn ihr euch weiter zofft. Ich schreie ganz laut, wenn hier in der Wohnung immer so eine furchtbare Stimmung ist. Und er hatte geweint und mit den Türen geschlagen und war überhaupt nicht zu beruhigen. Da hatten seine Eltern einen Schreck bekommen und gesagt: Okay, wir machen ein Friedensessen. Und sind mit ihm in die Pizzeria gegangen, obwohl er gar keinen Hunger hatte. Als sie angekommen waren, waren sie freundlich miteinander, solange der Kellner neben ihnen gestanden und die Bestellung aufgenommen hatte. Aber war er verschwunden, ging es los. Hydes Mutter konnte nicht aufhören immerzu Fragen zu stellen, warum und wieso. Und wie alt sie war, die neue Frau. Seine Mutter stellte das Glas ab, aus dem sie eben trinken wollte. Es war Rotwein. Wenn sie früher Rotwein tranken, dann sagten sie immer zu Hyde: Im Sommer fahren wir nach Italien. Da gibt es eine Landschaft, die heißt Chianti. Da suchen wir uns ein Ferienhaus mit Pool, mitten in den Hügeln. Das wird jeden Tag ein Fest! Aber sie waren nie nach Italien gefahren. Fünfundzwanzig?, schrie Hydes Mutter. So jung? Schrei nicht so laut, hatte sein Vater gezischt und versucht, ihr den Mund zuzuhalten. Das hatte Hydes Mutter nur noch zorniger gemacht, sie hatte ihn weggestossen, hochrot im Gesicht. Fahr mir nicht über den Mund!, hatte sie getobt. Hyde war aufgestanden, hatte seinen Teller mit Pizza genommen und sich an einen Tisch in der anderen Ecke des Lokales hingesetzt. Da waren seine Eltern sofort still gewesen. Sein Vater war gekommen, hatte sich ihr gegenüber gesetzt und sich entschuldigt. Hyde hatte nichts gesagt, sondern einfach still seine Pizza hinuntergewürgt. Komm wieder zu uns an den Tisch, hatte sein Vater gefleht. Aber Hyde hatte sich nicht bewegt. Da war seine Mutter aufgestanden, hatte die Gläser, den Wein und das Wasser von Hyde hinübergetragen. Dann aßen sie wieder alle drei zusammen. Und zuerst redeten sie über Hydes neuen Mathelehrer. Das war auch nicht viel besser, denn Hyde hasste Mathe. Dann redeten sie über Weihnachten, was Hyde sich wünschte und was es zu essen geben würde. Und Hyde sagte: Es ist mir egal, ich wünsche mir gar nichts. Natürlich wünschst du dir etwas, jedes normale Kind wünscht sich etwas, hatte seine Mutter streng gesagt. So, als würde sie gleich seine Schultern packen und schreien: Los! Wünsch dir was! Damit wir eine ganz normale Familie mit einem ganz normalen Kind sind! Hyde hatte dann gemeint, dass er eben nicht normal sei. Egal was Hyde sagte, sie reagierte immer gereizt. Nachts nahm sie Baldriantropfen, weil ihre Nerven so schlecht waren. Aber sie sagte, sie müsste schon ein Fläschchen trinken, wenn es helfen sollte. Hyde zuckte zusammen, als die Lichter der U-Bahn im Schneegestöber auftauchten. Er merkte plötzlich, dass seine Füße vor Kälte beinahe abgestorben waren, er stolperte vorwärts. Gackt nahm ihn am Arm. „Hey, willst du dich auf die Gleise werfen? Würde ich dir nicht raten. Da kommt eine Riesen Schadenersatzforderung auf dich zu. Grosse Schweinerei, wenn die deine Leiche wegmachen müssen. Das lassen die dich bezahlen.“ Die Bahn hielt mit kreischenden Bremsen, die Türen gingen auf und Leute stiegen aus. Hyde war so verwirrt, dass er sich gar nicht mehr rührte. „Jetzt ein großer Schritt!“ Als wäre man mit einem dreijährigem Jungen unterwegs, dachte sich der Blonde schmunzelnd. Er schob Hyde zu einem Sitzplatz und ließ sich neben ihn fallen. „Du kannst mit offenen Augen träumen“, sagte Gackt, „Ich hab es gesehen, war unheimlich faszinierend.“ Hyde versuchte zu lächeln. „Ich weiß auch nicht, was los war. Irgendwas hast du gesagt und dann sind mir die Gedanken weggeschlittert.“ „Mach dir nichts draus. Das passiert mir auch manchmal, das kommt davon, wenn man zu viel im Kopf hat. Aber war unheimlich faszinierend, dir dabei zu zusehen, richtig sauer hast du ausgesehen.“ Hyde lachte ungläubig. „Wütend?“ „Ja, so“, Gackt zog die Stirn kraus, bis die Augenbrauen sich in der Mitte trafen. Er machte ganz schmale Lippen und knurrte wie ein Hund. Hyde lachte. „So hab ich nicht ausgesehen!“ „Doch, ganz genau so“, er drehte sich um und betrachtete die Fahrgäste. „Warte, die Frau da hinten, die hat neben dir gestanden. Ich frag sie mal eben, ja? Sie kann das bestimmt bestätigen.“ Er wollte aufstehen, aber Hyde hielt ihn am Jackenärmel fest. „Du bist verrückt, du kannst die Frau doch nicht so was fragen!“ „Und warum nicht?“ Gackt ließ sich auf den Sitz fallen, er grinste, als er sah, dass Hyde lachte. „Mann, das war ein Haufen Arbeit, dich endlich wieder zum Lachen zu bringen. Kannst du mir was versprechen?“ Hyde nickte und sah ihn abwartend an. „Okay, versprich mir, dass du nicht mehr an deine Eltern denkst, bis ich dich zu Hause abliefere. Ist das zu schwierig, was meinst du? Oder kannst du es schaffen?“ Hyde lachte. „Ich kann es schaffen. Aber du willst mich echt nach Hause bringen?“ „Klar“, sagte Gackt, „Das macht man so als echter Gentleman.“ Der junge Schwarzhaarige lächelte leicht und ließ seinen Kopf an die Schulter von Gackt sinken, es war einfach zu schön, dass sich jemand um ihn kümmerte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)