Eine kleine Geschichte zur Guten Nacht von Procven ((oder auch: Wenn große Krieger Väter werden)) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- In einem kleinen doch recht gemütlichen Haus, mitten im Zentrum Estradors, flackerte im Kamin ein Feuer, dessen Wärme sich im ganzen Raum ausbreitete, somit für ein wohliges Gefühl sorgte und zusätzlich die einzige Lichtquelle war. Unfern von der Feuerstelle, umringt von mehreren jüngeren Kindern, saß ein Mann. Ein Eradrine besten Alters, gut erkennbar an dem langen schwarzen Haar und den kräftigen gefiederten Schwingen in der selben Farbe. Liebevoll besah er sich den Nachwuchs- welcher nicht nur sein eigener war- und gab nach langem Gequengel und Gezeter ihrem Bitten nach. Beschwichtigend hob und senkte er die schmalen Hände, mit magischen Ringen geschmückt, und forderte somit die nötige Ruhe. Eine Geschichte wollten die Lieben hören, wie schon so oft in all den Jahren. Und wie schon so oft überlegte der Mann, was er ihnen erzählen könnte. Fragende Blicke warf er seiner Liebsten zu, die, mit dem jüngsten Knaben auf dem Arm, soeben das Zimmer betrat. Sichtlich müde sah der Kleine aus, verlangte dennoch, wie die Großen, dabei sein zu dürfen, wenn sein Vater den Anderen etwas zur Guten Nacht erzählte. Sanft belächelte die zierliche Frau, Aliann war ihr Name, das Geschehen und ließ ihre helle Stimme erklingen: „Erzähl ihnen doch etwas von uns, Lendin! Dir fällt doch bestimmt etwas Schönes aus unseren jungen Tagen ein.“ Nachdenklich starrte Lendin ins Feuer. Wahrlich, sie hatten viel erlebt, sein Bruder, seine Gemahlin und er, doch was davon könnte man vor dem Schlafengehen erzählen? Vom Beginn ihrer großen Reise bis hin zur Rettung der goldenen Stadt Armordin geschah wirklich einiges. Doch all dies eignete sich nicht zur Guten Nacht. Vom knisternden Lichtspender wanderte sein Blick auf seine Hände, die nun gelassen auf den Lehnen des Stuhles ruhten. Ein Ring erweckte seine Aufmerksamkeit- ein Ring, mit dem sich Aliann und er damals ewige Liebe und Treue geschworen hatten. Ein herrlicher Tag war dies, mit viel Gesang und reichlich Met, den sein Bruder, zur Belustigung aller, in besonders gute Laune versetzt hatte. „Eine Hochzeit...“, sprach der Magier leise vor sich her und zog damit die gesamte Aufmerksamkeit der Anwesenden auf sich. Noch während er überlegte, wie er nun beginnen sollte, ertönte die Stimme seines Jüngsten. Unruhig zappelte dieser auf dem Arm seiner Mutter und streckte die kleinen Ärmchen nach seinem Vater aus. Etwas irritiert, riss das Gezeter den Magier schließlich aus seinen Gedanken, woraufhin dieser den Kopf hob und das strampelnde Kind erblickte. Gutmütig lächelte Lendin dem Kleinen zu und forderte Aliann mit einem leichten Winken auf, ihn zu sich zu bringen. Der Knabe lachte und quiekte vergnügt, kuschelte sich an seinen Vater, sobald dieser ihn auf seinem Schoß hatte. „Nun wären wir ja alle beisammen.“ Um diesen Zustand auch beizubehalten, griff er rasch nach der Hand seiner Gemahlin, als diese sich gerade abwenden wollte. Ein sanfter Kuss auf den Handrücken war seine wortlose Bitte, dass sie bleiben sollte. Lieblich seufzend und augenrollend gab Aliann der Bitte nach und setzte sich zu ihrer ältesten Tochter, gerade mal zehn Lenze alt, welche sogleich näher rutschte. Noch einen kleinen Moment hielt der Magier inne, besah sich nochmals die kleine Meute vor und beidseitig neben sich, ehe er sich räusperte und begann von einem seiner schönsten Tage im Leben zu berichten. ~ Jubel und Lobgesänge hallten von der großen Lichtung des Waldes Estradors, der nicht geeigneter hätte sein können. Auch die Bäume mit dem satten Grün ihrer Blätter, die sich im Wind hin und her wiegten, schienen vor Freude zu tanzen. Ein herrlicher Tag war es in diesem Sommer. Die Sonne lachte und schien so hell wie noch nie, die Vögel sangen ihre wundervollsten Lieder- alles war perfekt. Es war ein schöner und besonderer Tag im doppelten Sinne. Zum einen feierte man die Sommersonnenwende, zum anderen das eheliche zusammenfinden zweier Liebenden. Noch vor wenigen Augeblicken sprach der Priester die letzten Worte und erklärte das Paar zu Mann und Frau, was diese mit einem leidenschaftlichen Kuss besiegelten; nur wenig später begann das Gejauchze und Klatschen. Viele Leute waren erschienen um gemeinsam das Ereignis zu begießen. Es standen friedvoll Magier neben Kriegern, darunter auch große Wächter, und natürlich auch unser Stadthalter- damals noch etwas jünger und schlanker- der sich etwas derartiges nicht entgehen lassen konnte. Kurzum viele Gäste waren gekommen... Erielle, so hieß die wunderschöne Braut im weißem Kleid und mit ebenso weißen Blumen in das lange goldblonde Haar geflochten, die bereits den ganzen Tag strahlte und herzhaft lachte. Sie war die Erste, der ich lächelnd gratulierte. „Lendin, schön, dass du kommen konntest. Deine Mutter meinte, du müsstest für eine Zwischenprüfung lernen und könntest deshalb nicht herkommen.“, sagte sie damals zu mir, als sie meine Glückwünsche und das Geschenk entgegennahm. „Erielle, ich bitte dich. Glaubst du wirklich, dass ich mir ein solches Ereignis entgehen lasse? Die gesamte Stadt ist anwesend und ausgerechnet ich soll Zuhause sitzen und die Bücher studieren?“, fragte ich heiter, dennoch ehrlich. Ich lernte damals recht ungern und selten, müsst ihr wissen. Doch erzählt das bitte nicht weiter, sonst wird eure Frau Mama noch sauer.~ Für diesen Kommentar bekam Lendin erheitertes Lachen der Kinder zu hören. Nicht zuletzt, weil die eigenen Zöglinge wussten, dass ihre Mutter zwischen ihnen saß und diese selbst ein Schmunzeln nicht verstecken konnte, wusste sie schließlich um die damalige Faulheit ihres Gatten. ~Fröhlich stimmte die Braut in mein Lachen ein und bat mich, sie von den anderen Gästen wegzugeleiten, da sie gern noch etwas mit mir reden wollte und wahrscheinlich nur in diesem Moment die Zeit dazu gefunden hätte. Das Gespräch fing recht unbedenklich an, mit Fragen nach meinem Befinden und Beteuerungen, dass mein Vater heute nicht da sein konnte, da er am Tor Wache halten musste. Doch schon wenig später wurde es für mich etwas unangenehm. „Ich habe Aliann heute noch gar nicht gesehen, weißt du wo sie sein könnte?“ Erstaunt sah ich sie an, denn warum sollte ausgerechnet ich wissen, wo der stadtbekannte Wildfang geblieben war? Aus diesem Grund schüttelte ich verneinend den Kopf. “Ich habe sie selbst seit gestern nicht mehr gesehen, doch ich vermute, sie wird wieder irgendwo unterwegs sein und alles andere vergessen haben. Du kennst sie doch auch.“ „Schon, aber ich mache mir ein wenig sorgen, da ich nicht recht weiß, ob du auch gut genug auf sie aufpasst.“ Aufgrund meines verdutzten Gesichtsausdruckes muss ich ziemlich albern ausgesehen haben, zumal mich selten etwas aus der Fassung brachte und zudem meine schöne Begleitung zu lachen begann. „Ich... Ich soll aus sie aufpassen? Nicht einmal ihr Vater bekommt das zustande.“ Ein besseres Argument fiel mir leider nicht ein, obwohl ich damit wahrlich Recht hatte. Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, wollte sie ihr Ziel auch um jeden Preis erreichen. „Wie dem auch sei“, fuhr sie dann fort, ihr Blick ging seltsamer Weise beschämt gen Boden. „Pass bitte gut auf sie auf! Sie ist so eine liebenswerte junge Frau geworden, dass sie den Schutz, welchen sie sonst nie wollte, nun wirklich gebrauchen kann.“ Mit diesen Worten wandte Erielle sich von mir ab und ging wieder zu den anderen, denn ihr Mann rief bereits. Natürlich wussten wir, Aliann und ich, damals noch nicht, dass unsere Eltern bereits vor vielen Jahren beschlossen hatten, dass wir im besten Alter unsere eigene Hochzeit feiern sollten. Deswegen meinten auch alle, ich sollte auf sie Acht geben. Zum ersten Mal, sagte man mir etwas, das mich ernsthaft zum Nachdenken veranlasste. Nicht, dass ich sonst nie über die Worte anderer sinnierte, doch diesmal fiel mir etwas auf, was ich sonst nie gesehen habe. Die junge Aliann, welche ich als freches, jungenähnliches Mädchen kennen gelernt habe, war nun zu einer wunderschönen, attraktiven jungen Frau herangewachsen. Ich sehnte mich danach sie zu sehen; ich wollte wissen, wo sie war und wie es ihr ging. Da ich sämtliche ihrer Lieblingsplätze kannte, war dies ein Leichtes für mich. Ich ließ also die feiernden Massen hinter mir, blieb dennoch im Wald. Wie auch heute noch gab es damals viele kleinere Lichtungen im Walde Estardors, die geradezu zum Pausieren einluden. Ebenso lockten sie schon zu jener Zeit junge Eradinen an, dort zu verweilen und von allem anderen loszulassen. An vielen hohen Bäumen ging ich vorüber, lauschte dem Klang des Windes und dem Gezwitscher der Vögel. Innerlich freute ich mich bereits auf den Tag an dem die Blätter sich wieder färbten um bunt von den Bäumen zu fallen. Ich liebte es einfach durch das farbenreiche Blättermeer zu waten, welches sich dann, jedes Jahr auf Neue, vor meinen Füßen erstreckte. Leiser Singsang drang an mein Ohr. Der Wind trug ihn mit sich, als wollte er mich direkt zum Ursprung führen. Weit entfernt vom Hochzeitsfest fand ich, unter einer alten Eiche sitzend, eine junge Frau, mit welligem langen Haar, was sonst grünlich schimmerte, doch durch den dortigen Schatten hauptsächlich den bekannten dunkelblonden Schein und nur wenige Stellen in jener anderen Farbe zurückließ. Ein langes grünes Kleid zierte den schlanken Leib, an den die langen Beine gezogen wurden, um eine bequemere Sitzhaltung gewähren zu können. Eng an den Körper angelegt waren die weißen Schwingen. Sie schien in Gedanken gewesen zu sein, weswegen sie mich nicht bemerkte. Selbst dann nicht, als ich unmittelbar neben ihr stand. Immerzu zupfte Aliann an ihrem Kleid und strich dann den Stoff wieder glatt, auch wenn dies gar nicht von Nöten war. Ich wusste aus Erfahrung, dass sie etwas bedrückte, worüber sie aber ungern geredet hatte- ihre Eigenart mit dem Kleid verriet sie. Es war nun mal ihre Art, andere nicht ihre Probleme auf die Nase zu binden. Doch konnte ich schon damals zuversichtlich sein, es von ihr zu erfahren. Um sie nicht unnötig zu erschrecken, stellte ich mich vor sie und hockte mich nieder. Erst jetzt sah sie auf, unterbrach ihren Gesang und fuhr dennoch zusammen. Nichtsdestotrotz konnte ich ein freundliches Lächeln auf ihren Zügen erkennen. Ein Lächeln mit dem sie seltsamerweise nur mich begrüßte. „Oh, Lendin, mit dir habe ich gar nicht gerechnet“, erklang ihre liebliche Stimme, welche gleich einer wundersamen Melodei in meinen Ohren hallte. Sie neigte das Haupt leicht zur Seite um den blenden Sonnenstrahlen auszuweichen und zusätzlich ihre Verwunderung zu unterstreichen. „Ich freue mich auch dich zu sehen.“ Ich erwiderte ihr Lächeln nur gering, machte ich mir immerhin Sorgen und wollte schnellstmöglich erfahren, was sie bedrückte. Doch vorerst sollte sie die Chance haben, es mir selbst zu berichten. „Erielle vermisst dich bereits und fragte mich, wo du schon wieder stecken könntest. Ich dachte mir schon, dich hier zu finden“, fügte ich hinzu, um mein Erscheinen zu erklären. Seufzend wandte Aliann den Blick ab und wich dem Meinen aus. „Ich habe nicht vor dorthin zu gehen, doch du könntest sie vielleicht lieb von mir grüßen, sofern dich deine Füße nochmals dorthin tragen sollten.“ Ich führte meine Hand an ihr Kinn und drehte das entzückende Gesicht mit leichtem Druck wieder in meine Richtung. Da es unbequem wurde, kniete ich mich letztendlich hin und legte meine andere Hand auf meinen Oberschenkel. Erneut ausweichend drehte sie ruckartig ihren Kopf und entkam meinem Griff. Dennoch ergriff sie meine Hand und besah sich einige der Ringe, welche ich bereits damals trug. „Hast du nicht morgen eine weitere Prüfung? Du solltest lieber lernen!“, versuchte sie abzulenken. Vorsichtig zog ich meine Hand zurück, tastete langsam ihre Finger ab, bis ich ihre zarte Hand in der Meinen spürte. „Vielleicht gibt es aber Wichtigeres für mich als das elendige Lernen. Zum Beispiel wüsste ich gern, was dich bedrückt.“ Überrascht richtete sie ihre tiefgrünen Augen auf mich, musterte meine ernste, dennoch besorgte Miene. Sie wusste, dass ich sie ertappt hatte. Aufgrund dessen erhob sie sich rasch und entfernte sich einige Schritte, drehte mir damit ihren Rücken zu. „Es gibt nichts, dass du wissen müsstest! Tu mir den Gefallen und richte dem Brautpaar bitte meine Glückwünsche aus. Um dir die Frage zu ersparen, ich habe nicht vor zum Feste zu gehen, da ich dort auf jemanden treffen würde, den ich nicht sehen... möchte.“ Bevor sie das letzte Wort aussprach holte sie tief Luft, sprach es dennoch leise, als wollte sie eigentlich etwas anderes sagen. Schweigend beobachtete ich sie, dachte mir meinen Teil und rechnete mit einem heimlichen Verehrer, den sie antreffen könnte. An wen sie tatsächlich dachte, wusste ich leider nicht. Genervt von ihrer abweisenden Art stöhnte ich und stellte mich wieder auf, um ihr etwas entgegen gehen zu können. Wider meinen Erwartungen wich sie nicht zurück, sah nur über die Schulter hinweg zu mir. „Nun gut, dann werde ich dich halt wieder allein lassen. Schade, dass du nicht einmal mit mir darüber reden kannst.“ Schlendernd ging ich auf sie zu und an ihr vorbei, schaute dabei auf den Boden und brachte meine Worte recht monoton hervor. Sobald ich vor ihr stand, lächelte ich erneut und verabschiedete mich, wie die vielen Male zuvor, mit einem Kuss auf die Stirn von ihr. Die Geste billigend neigte sie den Kopf mir entgegen. „Auf bald, Aliann!“ Wieder ging ich an ihr vorüber und wollte den Weg zu den Anderen einschlagen. Noch immer stand sie schweigend da, fuhr dennoch herum als ich bereits einige Schritte entfernt war. „Lendin, bitte warte!“ „Was ist los?“, fragte ich mit leiser Stimme, drehte mich nur halbwegs, um sie sehen zu können. „Sag mir bitte, wenn du mich ansiehst, was du erkennst?“ Irritiert legte ich die Stirn in Falten und verengte den Abstand zwischen meinen Brauen. „Wie meinst du das?“ Im ernsten Ton bat sie mich, die Frage zu beantworten, wurde geradezu energisch und meinte, dass meine Meinung ihr besonders viel bedeuten würde. Ein Knoten bildete sich in meinem Hals und nur schwer brachte ich die nächsten Sätze hervor. „Wenn du mir den Namen des Mannes verrätst, dem du imponieren möchtest, so kann ich ein gutes Wort bei ihm einlegen. Um deine Bitte zu erfüllen, ich finde, dass aus dir eine attraktive, charmante junge Frau geworden ist. Anmutig und wunderschön. Genügt dir das als Antwort?“ Unbeirrt wollte ich nun meinen Weg fortsetzen, doch hielt sie mich ein weiteres Mal auf. „Sind deine Worte wirklich ernst gemeint, so sollen sie mir genüge sein. Und ich will dir den Namen desjenigen Verraten, dem ich eigentlich aus dem Weg gehen wollte.“ Strahlend kam sie auf mich zu, ich jedoch schüttelte nur den Kopf und hob abwehrend die Hände. „Nein, ich möchte es gar nicht wissen. Ich wollte dir lediglich einen Gefallen tun, doch hoffte ich, du würdest ihn nicht annehmen. Denn ich bin nicht gewillt zuzusehen, wie ich dich an einen anderen verlieren könnte.“ Erstaunt über meine eigene Aussage riss ich die Augen auf und meinte wenig später, dass ich es nicht ernst gemeint hätte. Die Rücknahme meines Geständnisses ließ das Strahlen ihres Gesichtes entschwinden. Ich ließ meine Lider sinken, hoffte, dass das alles nicht geschehen war. Es waren ihre Schritte, die sich entfernten und nach einiger Zeit verhallten, das wusste ich, doch wollte ich ihr nicht folgen. ~ Entsetzten brach unter den jungen Zuhörern aus und aufgeregt begannen sie zu tuscheln. „Aber Oheim, wie konntest du nur?“ Wie die Anderen fanden, war dies eine berechtigte Frage des Jungen. Anfangs nicht darauf reagierend, wollte Lendin gerade weiter erzählen, entsinnte sich jedoch der Bedeutung der eigenwilligen Anrede. Sein Bruder musste sie ihm beigebracht haben. Was er sich nicht alles von den anderen Völkern angeeignet hatte... „Es war so, mein Kleiner. Ich traute mich einfach nicht, ihr zu sagen, was ich wirklich empfand. Noch nicht!“ Prophezeiend hob der Magier den Zeigefinger und zwinkerte seinem Neffen zu. Vorerst schien der Nachwuchs mit dieser Antwort zufrieden und er sah seine Chance fortzufahren. ~ Während ich dort stand und das Geschehene vor meinem geistigen Augen nochmals Revue passieren ließ, zogen dunkle Wolken auf und der Wind verstärkte sich spürbar. Stetig lauter raschelten die Blätter und die Wipfel bogen sich bereits weit gen Boden. Ich rechnete damit, dass Aliann sich bereits auf dem Heimweg befand und wollte es ihr gleichtun. Es war nicht leicht gegen den nahenden Sturm anzukämpfen, denn immer wieder zog er an meiner Kleidung und meine Schwingen boten eine größere Angriffsfläche, als es bei anderen Völkern üblich war und noch immer ist. Als ich bei der Hochzeitsgemeinschaft eintraf, war diese bereits in die größte Schenke der Stadt umgezogen und ich beschloss mich zu ihnen zu gesellen. Mit betrübten Blick legte ich meine nasse Hand- es hatte in der Zwischenzeit angefangen stark zu regnen- auf den Türknauf und drehte ihn, um mir dadurch Eintritt zu verschaffen. Bereits als ich im Rahmen stand kam Andien auf mich zu gerannt und verlangte nach ihrer Tochter. Ich berichtete von dem Ereignis und meiner Vermutung Aliann bereits hier anzufinden, doch die besorgte Mutter verneinte nur kopfschüttelnd. „Sie ist immer noch nicht eingetroffen und ich weiß nicht wo sie sein könnte.“ „Mach dir keine Sorgen, Andien“, versuchte ich sie zu beruhigen. „Deiner Tochter wird es gut gehen. Sie ist kein kleines Kind mehr!“ Doch meine Worte und Bemühungen schlugen fehl, weswegen ich der Frau versprach Aliann zu suchen, zu finden und unversehrt zu ihr zu bringen. Erst jetzt sah ich die Erleichterung im Gesicht Andiens und ich machte mich sogleich auf den Weg. Mittlerweile war der Sturm, begleitet vom kalt- nassen Regen, unerträglich stark geworden. Trotzdem versuchte ich angestrengt erneut den Weg in den Wald einzuschlagen. Dies war nicht sonderlich leicht, musste ich feststellen als ich die Mauer der Stadt und somit auch meine einigermaßen windgeschützte Deckung hinter mir ließ. Schnell waren meine Kleider durchnässt und hingen schwer an mir, ebenso mein langes Haar, welches teilweise in meinem Gesicht klebte. Gern hätte ich an dieser Stelle wirksame Magie eingesetzt, doch den Naturgewalten und den Zorn der Göttin konnte selbst ich nichts entgegenbringen. Dennoch kam mir ein sinnvoller Gedanke, wie mir meine Fähigkeiten doch noch helfen könnten. Erst vor kurzem, so entsinnte ich mich, hatte ich einen Suchzauber in den alten Büchern gefunden. Rasch sinnierte ich und hoffte die richtigen Worte noch behalten zu haben. Ehe ich diese allerdings aussprechen wollte, suchte ich mir einen Platz, der sich dafür besser eignete, als jener an dem ich mich derzeitig befand. Eine der vielen alten Eichen mit breitem Stamm bot sich geradezu an und befand sich zudem in unmittelbarer Nähe, sodass es für mich ein Leichtes war zu ihr zu gelangen. Das Pfeifen und Peitschen des Windes ignorierend, schloss ich angestrengt meine Augen und sprach leise jene Formeln, die mir für richtig erschienen. Sobald ich meine Hände hob, bildete sich in deren Mitte eine kleine Kugel aus reiner Energie. Ich öffnete meine Augen, von dem Licht in meinen Händen etwas geblendet, und konnte in der Kugel etwas sehen. Eine Gestalt, nass bis auf die Knochen und frierend. Die Schwingen schützend um sich gelegt saß sie in einer Art Höhle. Auch ein lautes Rauschen konnte ich vernehmen, doch hätte es ebenso das Unwetter um mich herum sein können, das mir einen Streich spielte. Kurz blickte die Gestalt auf und ein eher unbewusstes Lächeln schlich sich in meine Züge. Es war Aliann, das spürte ich und es schien ihr gut zu gehen. Ich hoffte einen Anhaltspunkt zu finden, der mir weiterhelfen könnte, denn Höhlen dieser Art gab es eigentlich viele hier in der Umgebung Estradors. So verließ ich mich mehr auf das, was ich scheinbar gehört habe und kam zu dem Entschluss, dass es sich vielleicht um einen Wasserfall handelte, der hinter seinen Fluten eine Vertiefung darbot. Das schränkte meine Suche wenigstens etwas ein. All jene Orte, die ich zuerst aufsuchte, entpuppten sich als Fehlschläge. Erst am Fünften wurde ich fündig, denn ich wusste nicht hinter welchen der vielen Wasserfälle sich eigentlich eine Höhle befand. Ich bereue immer noch, dass mich die Anhaltspunkte auf diese Suche nach solchen Objekten schicken mussten. Wie die Male zuvor kämpfte ich mich durch die reißenden Fluten eines Wasserfalles. Strauchelnd kam ich in das Innere, denn zu meinem Leidwesen war der Boden ziemlich uneben und seifig. Auch sonst bot die Höhle nicht viel. Lediglich kalte kleinere Vorsprünge, auf die man sich hätte setzen können und natürlich die Eradine, die ich suchte. Wie in der Kugel abgebildet, saß sie noch immer mit gesenktem Kopf auf dem kalten Boden, die Flügen um den Leib geschlungen und die Kleidung nicht minder klamm als die Meine. Erst meine Schritte, welche lautstark von den Wänden widerhallten, ließen sie aufsehen. Gerötet sahen ihren Augen aus, welche sonst in diesem tiefen Grün erstrahlten. Das Haar jedoch glänze durch die Feuchtigkeit umso mehr und schmiegte sich an ihren schlanken Körper. „Was machst du denn hier?“, stellte sie die Frage, auf die ich mehr oder weniger gewartet hatte. Aus irgendeinem Grund kam ich mir überlegen vor. Vielleicht deshalb, weil ich die Antwort kannte, welche sie unbedingt haben wollte? Wie dem auch sei, ich verschränkte jedenfalls meine Arme vor der Brust und starrte sie strafend und wortlos an. Eine Weile stand ich dort und wollte sie, wie ein Fisch auf dem trockenen, zappeln lassen. Ihretwegen war ich dort. Ihretwegen war ich klitschnass. Und ihretwegen machten ich mir und viele andere sich Sorgen. „Es tut mir leid.“ Wehleidig klangen diese Worte, als sie den Kopf wieder sinken ließ. Meine, bis eben noch eiserne Maske schmolz dahin bei dem Anblick dieses Geschöpfes. Zögernd ging ich auf Aliann zu und erhob endlich meine Stimme. „Ich... wollte dich suchen, weil du nicht bei den Anderen aufzufinden warst. Und jetzt habe ich dich halt gefunden.“ „Glückwunsch! Dann kannst du ja wieder gehen!“ Überraschend kam diese Aufforderung ihrerseits, auch wenn diese, durch den noch immer gesenkten Blick, ziemlich gedämpft an mein Ohr drang. Erschrocken wich ich zurück, wollte eigentlich eine Erklärung fordern, doch bekam ich keinen Ton heraus. Sollte ich ihrem Wunsch nachgehen? Es wäre wohl besser. Oder zumindest wollte ich draußen warten, bis sie selbst den Weg nach Hause aufsuchen würde. Den Blick gesenkt, ließ ich meine Arme wieder neben meinem Körper baumeln und wollte mich gerade abwenden, als ich ein weiteres Mal an diesem Tag von ihr abgehalten wurde. „Lendin, ...“ Ich spürte deutlich ihr Zögern es auszusprechen, mich erneut darum zu bitten, nicht zu gehen. Dennoch verharrte ich in meiner Bewegung und hörte das Rascheln ihres Kleides, als sie sich erhob und auf mich zukam. Ungerührt blieb ich mit dem Rücken ihr zugewandt stehen, starrte stur geradeaus und schien das stürzende Wasser interessanter zu finden. Eigentlich wollte ich nur noch raus, sie mit zu ihrer Mutter nehmen und den Tag dann einsam ausklingen lassen. Es gab so vieles, über das ich nachsinnen wollte; neue Gefühle, die ich mir zum ersten Mal eingestand. Um uns herum war nur das Rauschen, welches laut von den Wänden der Höhle zurückgeworfen wurde und uns darin einhüllte. Wir hingegen schwiegen uns vorerst an. Es war ein unangenehmes Schweigen, und ich hoffte, dass sie endlich etwas sagen würde. Doch sie sagte nichts. Stattdessen legte die junge Frau vorsichtig ihre Arme um mich, lehnte ihren Kopf gegen meinen Rücken und verharrte so eine Weile. Ich wusste damit nichts anzufangen und verzog skeptisch die Augenbrauen. Es war ja nicht so, dass sie mich zum ersten Mal umarmte; wir kannten uns schließlich schon viele Jahre, in denen sie mir schon viele Male freudig um den Hals gesprungen war. Allerdings war es anders! Ich war mir endlich bewusst, nicht mehr das kleine Mädchen in meiner Nähe zu haben, sondern eine Frau, die ich… liebte. Das musste es gewesen sein, denn mein Beschützerdrang und der Wunsch ihre Gegenwart zu spüren, die sanfte Stimme zu hören, sie lächeln zu sehen... Sogar noch vieles mehr wies darauf hin, dass meine Gefühle ganz besonders stark waren. Umso unsicherer war ich natürlich auch und drehte mich erst nach langen Überlegen in ihrer Umarmung. Leicht lockerte sie den griff und hob ihren Kopf, um mich ansehen zu können. Vereinzelte Strähnen hatten sich ihren Weg in das schöne Antlitz gebahnt und klebten dort nun, aufgrund der Feuchtigkeit. Ihre großen Augen funkelten mich an wie wunderschöne Sterne und ich drohte in ihnen zu versinken. Ohne darüber nachzudenken strich ich ihr diese Strähnen weg und ließ meine Hand länger als gewollt auf ihrer Wange ruhen. Trotz der Kälte in der Höhle, strahlte ihre Haut eine wohlige Wärme aus. Das Blut in meinen Venen floss verstärkt in meine Wangen. Mein Herz begann zu rasen und der Rest geschah wie in Zeitlupe, gleich einem wunderschönen Traum. Immer mehr versank ich in dem tiefen Grün ihrer Augen und beugte mich leicht nach vorn. Auch Aliann kam mir langsam entgegen und ich realisierte erst dann wieder alles um uns herum, als ich ihre weichen Lippen auf den Meinen spürte. Bereits in diesem Moment agierten wir harmonisch bei unser beider erstem Kuss.~ „Iiieeeh! Das ist ja eklig!“ Lautstark verkündete ein Neffe Lendins seine Meinung zu diesem Teil der Geschichte und wurde von den hiesigen Damen zur Räson gerufen, welche meinten, dass es doch sehr romantisch sei. Wie konnte er es auch wagen, an einer solchen Stelle die Erzählung zu unterbrechen? Der Magier und auch Aliann brachen in hallendes Gelächter aus und erklärten, dass auch er in einigen Jahren anders darüber denken würde. Wie jeder Junge stritt er es ab und zog schmollend eine Schnute, als er merkte, dass seine Argumente nichts brachten. Dadurch kehrte wieder Ruhe in den Raum und der Magier nutzte diese, damit sich seine Erzählung dem Ende nähern konnte. ~ Ich weiß nicht mehr, wie lange wir dort so standen, doch ich empfand es als viel zu kurz. Gern hätte ich länger diese zärtliche Berührung genossen, doch es war an der Zeit, in die Stadt zurück zu kehren. Wider meinem Willen ließ ich von diesen weichen, vollen Lippen ab und blickte wieder in diese schönen Iriden. Wenig später sah ich sogar ein liebliches Lächeln und wäre nicht ihre Stimme an mein Ohr gedrungen, hätte ich sie erneut geküsst. „Ich muss dir etwas sagen.“ Aus irgendeinem Grund rechnete ich an dieser Stelle mit dem Schlimmsten und wollte mich gerade einige Schritte von ihr entfernen, doch Aliann hielt mich zurück. „Der Mann, dem ich aus dem Weg gehen wollte, bist du. Ich wusste nicht, wie du für mich empfindest und hatte Angst dir meine Gefühle zu gestehen.“ „Aber wie lange-?“ Beenden konnte ich meine Frage nicht, denn sie unterbrach und schien bereits zu wissen, worauf ich hinaus wollte. „Das kann ich die leider nicht beantworten, doch es muss schon eine ganze Weile so gehen. Wirklich bewusst ist es mir erst vor kurzem geworden. Immer mehr fühlte ich mich zu dir hingezogen ohne es bemerkt zu haben. Lendin, ich...“ Ein starkes Zittern durchfuhr ihren Körper; es war jedoch nicht vor Angst oder Kälte Denn, auch wenn sich ihre Augen mit Tränen füllten, blieb ihr Lächeln beständig. „Ganz ruhig, Aliann. Weine nicht, bitte.“ Worte, welche mir schon die ganze Zeit auf der Zunge lagen, drohten mich zu ersticken. Ich musste es ihr unbedingt sagen und dies war, meines Erachtens nach, der beste Zeitpunkt. „Ich liebe dich.“ Zaghaft, beinahe flüsternd, kamen diese wenigen Worte, die doch so viel aussagten, über meine Lippen und auch bei mir bildete sich ein fröhliches Lächeln als sie erwiderte: „Ich liebe dich auch.“ ~ „Seid ihr dann endlich nach Hause gegangen, Oheim?“, erkundigte sich etwas genervt der Junge von vorhin. Doch statt einer Antwort hörte er nur ein lautstarkes „Pssst“ von seinen umsitzenden Mithörern. ~ Es war wirklich an der Zeit für den Rückweg, denn der Tag näherte sich schon dem Ende. Als wir aus der Höhle traten und den rauschenden Wasserfall mit seinen reißenden Fluten hinter uns ließen und aus dem kleinen See stiegen, in dem dieser sein Ende findet, war der Sturm vorüber. Keine einzige Wolke war mehr am Himmel zu sehen und auch der Wind hatte stark nachgelassen, denn nur noch einzelne Böen suchten sich ihren Weg. Aliann war es, die mich auf den herrlichen Anblick am Himmel aufmerksam machte. Gespannt blickte ich nach oben und die kräftigsten Farben erstreckten sich über uns. Seichtes Violett sowie die unterschiedlichsten Rot-, Orange- und Gelbtöne zierten das abendliche Firmament. Hinter den Bergen drohte der große rote Himmelskörper zu versinken, zeigte uns jedoch vorher noch den schönsten Sonnenuntergang, den Estrador jemals sah. Natürlich gingen wir, als das Naturschauspiel sein Ende fand, wieder in die Stadt zurück, um wenigstens noch die letzten Stunden mit den anderen Bewohnern zu verbringen. Es wurde selbst zu später Stunde viel gelacht, getrunken und getanzt. ~ Noch immer gespannt auf weitere Worte sahen die Kinder den Mann an. Als allerdings nichts mehr folgte, begannen sie leise zu seufzen und bedauerlich zu stöhnen. Die Geschichte hatte ihr Ende gefunden und der Erzähler war sichtlich zufrieden, denn bereits wenig später streckten sich die Ersten und gähnten herzhaft. Selbst der Jüngste fand bereits den Weg in das Land der Träume und schmatze leise im Schlaf, noch immer in den Arm seines Vaters gekuschelt. Gerade wollte dieser dem Nachwuchs sagen, dass jeder nun sein Bett aufsuchen sollte, als die Haustür ruckartig aufging und ein freudig dreinblickender Eradine einher lief, bis er die kleine Sippe fand. „Es ist ein Mädchen!“, verkündete er strahlend. „Saldrin hat soeben ein kleines Mädchen geboren und die Kleine ist wunderschön.“ Noch ehe jemand reagieren konnte fiel der Mann auf die Knie und nahm zwei der Jungen in die Arme, welche jubelten und ihrem Vater um den Hals fielen. „Wie geht es deiner Frau, Endolir?“, wollte sich Lendin bei seinem Bruder erkundigen und musterte ihn beiläufig als der Gast sich wieder aufrichtete. Müde und kraftlos wirkte dieser. Offensichtlich hat er der werdenden Mutter Gesellschaft geleistet, als diese ihren Mann gebraucht hat. Statt der Rüstung, zierte ihn heute ein einfaches Hemd aus groben Stoff- bei den kalten Tagen, die zu jener Zeit herrschten geradezu angebracht-, bei dem er die Ärmel bequem nach oben gekrempelt hatte. Das lange blonde Haar, ward locker nach hinten gebunden, sodass die fein spitz zulaufenden Ohren gut zu sehen waren. Und die smaragdgrünen Augen blickten voller Stolz in das Gesicht des Schwarzhaarigen. Das ganze Gegenteil schien Endolir von seinem Bruder zu sein, war er um einiges kräftiger gebaut. Doch dies sollte nicht zuletzt mit den gewählten Zielen zusammenhängen, schließlich entschied Lendin sich für die Kunst der Magie, während der Andere das Schwert beherrschte. „Bestens, bestens. Die Amme meinte, sie sollte sich noch etwas ausruhen, weswegen ich hier bin. Sie soll nun schlafen und ich dachte mir, dass ich die Gelegenheit nutzen sollte, um meine Söhne zu holen. Waren sie denn artig?“ „Das freut mich zu hören. Natürlich benamen sie sich. Geradezu vorbildlich.“ Der Magier zwinkerte einem von ihnen zu, denn es war einer der Sprösslinge Endolirs, der es doch tatsächlich gewagt hatte, sich mit den hiesigen Frauen anzulegen. Es dauerte bestimmt noch eine Stunde bis der blonde Eradine sich mitsamt seinen Söhnen von den Anderen verabschiedete. Man sprach noch über dies und das, schwelgte in Erinnerungen und verabredete sich für den nächsten Abend zum Essen, um das Neugeborene sehen zu können, denn alle waren schon gespannt auf das neue Familienmitglied. Auch auf einige alten Geschichten kamen sie zurück und die Kinder lauschten aufmerksam den Worten der Erwachsenen. Mehrmals baten sie darum, dass man ihnen erzählte wie denn nun ein kleines Eichhörnchen es geschafft hat einen Goblin herein zu legen, doch konnten die Eltern sie damit vertrösten, dass es nicht an der Zeit für eine weitere Geschichte war, sondern dies für einen weiteren gemeinsamen Abend bereitgehalten werden sollte. (c) S.c.o.d. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)