Father Dest's Erbe von Pansy (Fortsetzung zu "Sinnlose Versprechen") ================================================================================ Kapitel 15: - 15 - ------------------ - 15 - „Das ist nicht dein Ernst, oder etwa doch?“ Wenn es nicht sein Ernst wäre, wäre er nicht hier und würde gerade nicht mit bloßen Händen das Grab seiner Eltern zerlegen. Er würde seine Hände nicht immer wieder tief in die Erde drücken, um sie anschließend achtlos zur Seite zu schaufeln. Er würde nicht den Dreck tief unter seinen Fingernägeln spüren und die ersten blutigen Kratzer von kleinen Steinchen, die seine Haut zerrissen, gleichgültig hinnehmen. Warme zähe Flüssigkeit vermischte sich mit der kalten braunen Schicht, die einst eine Gedenkstätte für ihn bildete. Sein Vater war der einzige Beweis, den er hatte. Die Leiche seines Vaters, um genau zu sein. Die Wunde an seinem Körper, um es noch näher zu spezifizieren. Ein Einschussloch. Das Indiz schlechthin für einen Mord. Ein Mord, den Zundersby verübt hat. Wie eine Maschine tauchte er seine Arme immer wieder in die Erde und zog sie voll geladen wieder heraus. Irgendwo tief unten lauerte der Sturz Zundersbys. Das erbarmslose Reißen der Tiefe, die nur noch nach dem Schlossherrn lechzte. Jason hörte sie bereits höhnen. Er hörte das spöttische Rufen, den verächtlichen Gesang des Untergangs. Schweißperlen bildeten sich ungeachtet auf seiner Stirn, die sich einen Weg über seine Wangen hinweg gen Kinn bahnten, um letztlich herniederzufallen, um sich mit der Erde zu vereinen. Er wurde eins mit dem Grab seiner Eltern. „Weißt du eigentlich, was du tust?“ Da war sie wieder. Die Stimme, die ihn missachtete. Der Mensch, der für alles verantwortlich war. Es wäre ein Leichtes gewesen, Tyrone aufzuhalten. Eine kleine Bewegung. Eine winzige Reaktion. Was war schon ein Verrat seinerseits, um einen ehrenwerten Mann zu retten? Seine Identität ist anschließend doch ohnehin aufgeflogen. Warum hat er nicht gehandelt, als er die Chance dazu hatte? Was wollte Lance von ihm? Warum konnte er nicht dorthin verschwinden, wo er hergekommen war? Und diese Verachtung in seinen Worten. Natürlich wusste er, was er hier tat! Er war dabei, sich den einzig verbliebenen Beweis zu verschaffen. Wie sollte er Tyrone von Zundersby sonst fallen sehen? Alles! Wirklich alles wollte er diesem selbstherrlichen, egozentrischen und blutrünstigen Mörder nehmen! All die Macht, die er besaß! All den Ruhm, den er in der Stadt genoss! All die Anhänger, die er um sich geschart hatte! Einfach alles! Dieser Mann sollte sehen, wie es war, dem Abgrund immer näher zu rücken und irgendwann haltlos in die Tiefe zu stürzen. Immer weiter hinab gen ungnädiger Finsternis. Die einen packt! Einen umhüllt! Und einen nie wieder freigibt! Zundersby sollte am eigenen Leib erfahren, wie es ist, dem Untergang geweiht zu sein. Ein Untergang, von dem er sich nie wieder erholen würde. Ja, genau das war die gerechte Strafe. Ein irres Lächeln befiel Jasons Gesichtszüge. Umrahmt von den salzigen Perlen, die unaufhörlich von seiner Stirn hinab rannen. Am Himmel brach die graue Wolkendecke auf und ein paar Sonnenstrahlen tauchten den Friedhof in ein warmes fahlgelbes Licht. Irgendwie wirkte der Ort mit einem Mal vollkommen friedlich und freundlich. Als ob man dort sorgenfrei und unbeschwert wandeln könnte. Als ob dort nicht Tod und Trauer verborgen lagen. Um Jason funkelte es auf einmal. Die Blumen, die er herausgerissen hatte, erstrahlten plötzlich. Doch als ob es der Himmel gewusst hätte, dass ihn das berührte, schloss er sich wieder. Zurück blieb dieselbe Trostlosigkeit, die schon vor dem kurzen Spiel mit den Farben vorgeherrscht hatte. Jason dachte nicht darüber nach, wie seine Hände zu agieren hatten. Sie gruben von ganz allein. In seinem Kopf herrschte nur noch der Durst nach Rache. Er stellte sich vor, wie Tyrone erfuhr, dass er ausgespielt hatte. Wie ihm all das genommen wurde, was ihm wichtig war. Wie er Stück für Stück aus seinem Leben gerissen wurde. Wie er immer wieder laut Jasons Namen schrie und peu a peu dem Abgrund näher rückte. Ja, so wollte Jason den Schlossherrn sehen. Tyrone sollte quälend langsam von der Dunkelheit verschlungen werden und sich Schritt für Schritt der unabdingbaren Verzweiflung hingeben. Jason hatte jedwedes Zeitgefühl verloren. Er wusste nicht, wie lange er dafür gebraucht hatte, um das Grab vor sich zu ebnen. Nun hieß es, richtig in die Tiefe zu graben. Er hatte sich nicht die Mühe gemacht, sich Schaufel oder Spaten zu besorgen. Er hatte keine wertvolle Sekunde verlieren wollen, um hierher zu kommen und endlich den einzig wahren Beweis in Händen zu halten. Auf allen vieren buddelte er nach dem Sarg seines Vaters. „Jason!“, legte sich mit Gewalt ein Arm um seine Hüfte. Doch er machte weiter. Immer wieder berührten seine Hände die Erde und stießen sie beiseite. Sein Blick war völlig leer. Außer dem Sarg in der Tiefe gab es nichts mehr. Nicht einmal mehr den marmornen Grabstein nahm er mehr wahr, obwohl er direkt vor ihm stand. Vollkommen unbewusst wehrte er sich gegen die Kraft, die auf seinen Körper ausgeübt wurde. Immer wieder glitt sein Ellbogen nach hinten, um die Gewalt loszuwerden, die ihn daran hindern wollte, an die Leiche seines Vaters zu dringen. Er fühlte nichts als den Wunsch, Tyrones verhasstes Gesicht entgleiten zu sehen. Er war Zundersbys Untergang so nah. Nicht einmal drei Meter trennten ihn und Tyrones Sturz. Wie ein Kartenhaus würde das Netz seiner Macht einstürzen. „JASON!“ Wie konnte Lance in diesem Moment nur so vorwurfsvoll klingen? Er war so dicht dran, dem Schlossherrn das Handwerk zu legen. Der junge Mann hinter ihm sollte stolz auf ihn sein, zumal er alles verschuldet hatte. Ohne ihn würde Kelvin Sartaren noch leben. Wider aller Vernunft hieb er um sich und versuchte immer wieder eine handvoll Erde zu erhaschen, die er auf den angehäuften Berg schmiss. Er wollte graben. Immer weiter graben. Bis er auf die harte Holzkiste stieß! Er konnte jetzt nicht aufhören! Nein, er wollte sich nicht immer weiter von Tyrones Untergang entfernen! Er musste zurück! „Ich muss zurück!“, schrie er aus voller Kehle. Warum wurde er gerade jetzt von dem Grab weggezogen? Er war doch so nah! So nah! Der Beweis war so nah! Er konnte jetzt nicht aufhören! Er wollte zurück! „ZURÜCK!“ Seine Stimme hallte tausendfach in der Ferne wider. Und doch wurde er nicht erhört. Er wollte doch nur zurück. Kein Schlag nützte, um sich aus dem klammernden Griff zu befreien. Mit Händen und Füßen wehrte er sich. Doch er kam nicht frei. So sehr er sich auch streckte, er erreichte die Erde nicht mehr. Das durfte nicht wahr sein! Er war doch so nah! Verdammt! So nah! Nur noch dieses bisschen Erde. Nur noch ein bisschen Erde, bis er den Beweis in Händen halten würde. Er konnte jetzt doch nicht aufhören. Nicht jetzt. Nicht jetzt… „Lass mich los!“, klang er vollkommen bestimmt und kalt. „Niemals.“ Es war nur ein Flüstern, das an Jasons Ohren drang. Ebenso leise wurden die nächsten Worte gehaucht. „Ich hätte es niemals so weit kommen lassen dürfen. Jason, es tut mir leid. Es tut mir leid, dass ich nicht für dich da war.“ „Lass mich los!“, befahl Jason ein weiteres Mal, ohne Lance‘ Worte wirklich aufzunehmen. Sie prallten an ihm ab wie ein Ball an einer Wand. „Ich kann nicht… Wenn ich dich jetzt das machen lassen würde, was du vorhast, verlierst du dich völlig. Merkst du denn nicht, was mit dir geschehen ist? … … … Wie kannst du ihn dich nur beherrschen lassen? … Auch wenn du Tyrone auf diese Weise beseitigst, wirst du nicht glücklich sein. Nicht zufrieden, um es mit Aspirs Emotionen auszudrücken. Nicht mal Aspir wird mit diesem Resultat leben können. Denn seine Existenz verliere an Bedeutung. … Und am Ende wärst du es, Jason, der die Macht an sich reißt. Der das Netz der Korruption spinnt und der die Menschen unterdrückt. … Und der vielleicht sogar tötet. Ohne mit der Wimper zu zucken. … Dann bist du es, der gestürzt wird. So war es immer. Und so wird es immer sein.“ Jasons Blick war immer noch völlig leer. Aber er wehrte sich nicht mehr. Er hieb und schlug nicht mehr um sich. Der Griff um ihn lockerte sich dennoch nicht. Sein Ziel war so nah. So greifbar. Tyrones Fall war so verdammt nah. „Ich habe da mal einen jungen Mann kennen gelernt“, fuhr Lance hinter ihm uneingeschüchtert fort, „der davon träumte, die Welt zu verändern. Er wollte alles tun, um eine Stadt in ein besseres Leben zu führen. Dieser Mann wollte nicht tatenlos bleiben und war mit Herz und Leidenschaft ein Verfechter des Guten. Er ging sogar so weit, Bürgermeister werden zu wollen, um zusammen mit den Bürgern für eine aussichtsreichere Zukunft zu kämpfen. Es waren ehrenwerte Ziele. Und er war mitsamt seinem großen Herzen und seiner Liebe ein verehrenswürdiger Mann. … Leider liegen Leidenschaft und Wahnsinn dicht beisammen. Im Kampf für die Gerechtigkeit verliert man das wahre Ziel leicht aus den Augen. … Macht ist ein wahrlich gefährliches Instrument. Man lässt sich von ihr viel zu leicht verleiten. Man hat nicht die Macht im Griff, sondern die Macht denjenigen, der sie innehat. Sobald man an sie gelangt, ist man ihr schutzlos ausgeliefert. Man denkt, man würde für das Gute einstehen und ein Ziel verfolgen, das niemandem schadet, doch man lässt sich blenden. Aus einem guten Vorhaben entstehen grausame Taten…“ Lance schluckte schwer. „Jason, sieh dir an, was du mit dem Grab deiner Eltern gemacht hast. Du hast es entweiht. Ist es Tyrone von Zundersby wert, dass du dich selbst vergisst? Dass du nach einem Leben trachtest, das von Einsamkeit geprägt ist? Möchtest du an seine Stelle treten? Die Fäden ziehen und am Ende dasselbe traurige Schicksal erleiden?“ Stille umhüllte Jason. Seine Augen hefteten sich auf das Grab vor ihm. Weiße Lettern brannten sich in sein Gehirn. Namen, die ihm so vertraut vorkamen. Sira… Kelvin… Kelvin Sartaren, einst Father Dest. Dest wie Destiny. Die Vorsehung. Das Schicksal. Sein Vater hat sich bis zuletzt für das Gute eingesetzt. Doch er hat anderen Menschen vertraut. Er hat sein Leben in die Hände eines anderen gegeben. Er hat nicht allein gekämpft. Er hatte treue Gefährten, die ihn begleiteten. Auch wenn sie sich Fathers Addendum nannten, so waren sie ihm ebenbürtig gewesen. Kelvin hatte niemanden unterdrückt, niemanden gezwungen, mit ihm zu gehen… Lance‘ Hand krallte sich in seine Jacke über seiner linken Brust. Und genau dort spürte er plötzlich etwas. Es fühlte sich seltsam an. So warm. Heiß… Lodernd. Mit einem Mal spürte er dieselbe Wärme unter seinen Lidern. Seine Sicht verschleierte sich zunehmend. Tränen? Woher kamen die Tränen? Was geschah mit ihm? Warum fühlte er sich mit einem Mal so allein gelassen? Und so hilflos? Erinnerungen kamen in ihm hoch. Er dachte an den Tag zurück, an dem er beschlossen hatte, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten. Er hatte genau hier gestanden und seinem Vater versprochen, dass er bald stolz auf ihn sein könne. Aus diesem Grund hatte er sich den Namen Aspir gegeben. Aspir wie Aspiration. Die Hoffnung. Die Sehnsucht. Er hatte gehofft, dass er seinem Vater ebenbürtig sein könne. Dass er ebenso gute Absichten verfolgen könne wie er. Und er hatte Sehnsucht. Sehnsucht nach ihm. Und Sehnsucht nach dem Erreichen von etwas Gutem. Sein Blick schweifte über die verstreute Erde. Auf das Loch vor dem Grabstein. Alles, was er erreicht hat, war die Entweihung seines großen Vorbildes. „Es…“ Er stockte und rang nach Atem. Was ging nur in ihm vor sich? Alles drehte sich. Und diese unermessliche Hitze, die ihn durchflutete, brachte ihn zum Erzittern. Seine Augenlider zuckten ebenso unkontrolliert wie sein restlicher Körper. „Es tut mir leid, Dad“, schlug er die Hände vors Gesicht und verbarg damit das Chaos, das er angerichtet hatte. Er war dem Fall Zundersbys so nah gewesen. Und er hatte damit wirklich alles in Kauf genommen. Selbst den Verlust seiner Seele… Er schluchzte nicht. Die Tränen waren bisweilen auch versiegt. Und doch klebten sie noch heiß auf seinen Wangen und brannten sich schmerzhaft in seine Haut. Er war zu einem Menschen geworden, der er nie sein wollte. „Es ist nicht zu spät“, hörte er Lance sagen. Er hatte das Grab seiner Eltern geschändet! Er hatte alles verraten, was ihm lieb und teuer war! „Es ist nie zu spät, Jason. Es gibt immer Hoffnung… Nein, nicht Aspir… Definiere dich nicht über etwas, das dir nur den Verstand raubt. Du hast ganz andere Möglichkeiten. Um seine Ziele zu erreichen, bedarf es nicht immer eiskalter Vorgehensweise und der Abstumpfung gegenüber jeglicher Emotion. Du darfst fühlen! Du darfst empfinden! Sei es Trauer! Sei es Wut! Sei es Leidenschaft! Oder gar Liebe! Aber eines darfst du nie! Dich selbst aufgeben! Du brauchst Aspir nicht. Du brauchst dich selbst. Und deine Liebe. Vor allem deine Liebe… Jason, ohne dem hier“, drückte Lance seine Hand auf die linke Brust seines Freundes, „kannst du nicht leben. Vor allem du nicht. Ich habe diese extreme Leidenschaft, mit der du Dinge angehst, immer bewundert. Dein Enthusiasmus und deine Tatenfreude habe ich geliebt. Und ich liebe sie immer noch. Ich liebe dich immer noch. Und ich werde dich immer lieben… … … Aus Schuldgefühlen wollte ich mich dir nähern. Doch schon als ich dir das erste Mal in die Augen blickte und dieses Feuer darin sah, wusste ich, dass ich nie wieder von dir loskommen werde. Ich habe es von der ersten Sekunde an bereut, nicht eingeschritten zu sein. Noch heute verfolgt mich dieser Moment in meinen Träumen. Aber auch bei Tag lassen mich diese Bilder nicht los. Es ist unverzeihlich, was ich getan beziehungsweise, was ich nicht getan habe. … Ich bin deiner nicht würdig. Und doch kann ich dich nicht loslassen. Ich kann dich nicht deinem Schicksal überlassen, für das du dich entschieden hast. Ich kann es nicht…“ Er hatte das Grab seiner Eltern geschändet! War das wirklich der Weg gewesen, für den er sich entschieden hatte? Jason schloss die Lider und sah direkt auf seinen Vater. In seiner linken Brust pochte es quälend. Er durfte empfinden? Wollte er denn empfinden? Es tat so weh! Obwohl er diesen Schmerz nicht vermisst hatte, tat er so verdammt gut. Tief sog er die kalte Luft ein und stieß sie hart wieder aus. Seine Lunge schrie vor Schmerz. Doch dieser war nichts im Vergleich zu dem seines Herzens. Er hatte alles um sich herum ausgeblendet gehabt. Er hatte sich monatelang selbst verleugnet. Und war dennoch der Meinung gewesen, das Richtige zu tun… Er wollte am Ende derjenige sein, der an Tyrone Rache übt. Der sich für seinen Vater rächt. Er wollte für seinen Vater ein Held sein. Doch hat sich seine einstige Leidenschaft in Wahnsinn verwandelt. Jeder Held begann mit Leidenschaft, Gutes zu tun. Und genau diese ist bisher jedem zum Verhängnis geworden. Die Leidenschaft brachte jeden zu Fall, sobald sie von niemanden mehr kontrolliert wurde… Kelvin Sartaren hat sich in die Hände anderer begeben. Er hat es gewusst! Er hat gewusst, was ansonsten mit ihm geschehen würde. Er wollte nicht fallen. Er hat sich selbst nicht vergessen. Jason sah auf den schwarzen Grabstein und in seinem Leben hatte er sich noch nie so geschämt wie zu diesem Zeitpunkt. Er war seinem Vater nicht ebenbürtig. Ganz im Gegenteil. „Es ist nie zu spät, Jason.“ Noch fester schlangen sich Lance‘ Arme um den blonden jungen Mann. „Gemeinsam werden wir es schaffen… Er wird nicht ungeschoren bleiben. Das schwöre ich dir. Tyrone wird fallen. Dafür werde ich sorgen… Jason, ich liebe dich. Damit habe ich nie aufgehört…“ Die Worte wurden immer leiser gesprochen. Und doch verstand Jason jedes einzelne. Er hörte jede noch so eigentlich unhörbare Silbe. Er fühlte sie. Er fühlte sie mit seinem Herzen… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)