Junischnee von Leira ================================================================================ Kapitel 9: Schneewahrscheinlichkeit ----------------------------------- Hiho! Tja, Leute. Dass ich im letzten Kap an der Stelle aufhörte, war doch klar *g* Ich muss gestehen, ich hab mich zweimal drüber gefreut- das erste Mal, als ich die Stelle schrieb und das zweite Mal, als ich das Kap hochgeladen hab. Soo oft hab ich mich selber schon geärgert, wenn ein Autor an der spannendsten Stelle abgebrochen hat, jetzt wollt ich’s auch mal machen. Und jetzt weiß ich auch, warum er oder sie das macht. Es erhält nicht nur die Spannung- nein. Es macht Spaß. *g* Ach House. Der Zyniker vor dem Herrn. Ich liebe ihn. Irgendwo hab ich gewusst, ein paar würden Shinichi mit Dr. House verbinden, obwohl’s nicht geplant war. Aber ich dachte mir, bei Shinichis Fähigkeiten drängt sich der Beruf doch auf… Wusstet ihr, das House als medizinischer Sherlock Holmes gedacht war? Es gibt erstaunliche Parallelen… z.B. House und seine Tablettensucht. Holmes war Kokainsüchtig. Dann das Schlussfolgern aus Hinweisen und Motiven, oft ohne direkt mit dem Menschen gesprochen zu haben – Das House patientenscheu ist und wenig Freunde hat, ist bekannt; genauso verhält es sich auch mit Sherlock Holmes - auch er hat nur wenige Freunde und zieht seine Schlüsse auch eher durch Hinweise und Indizien als durch Aussagen seiner Klienten. Jetzt könnte ich weitermachen mit Vergleichen, aber ich lass das mal... das ist schließlich nicht Gegenstand der Fic und dieser Vorspanntext darf nicht zu lang werden :) Nay. Und langsam wird auch klar, warum dieser Titel für diese Fic, meine Lieben. Obwohl… so richtig hau ich’s euch erst im letzten Kap um die Ohren. An dieser Stelle noch herzlich Willkommen an NadeThoorn und Apollon-Clio! Danke fürs Kommentieren! Ich wünsche viel Spaß beim Lesen und hoffe, ihr genießt das vorletzte Kapitel. MfG, eure Leira *dieFliegemach* ______________________________________________________________________________ Das Echo hallte von den gefliesten Wänden wieder. Akai stand im Gang, hielt sich an einer der Schubladen fest und atmete schwer. Hinter ihm stand Jodie, kreideweiß im Gesicht, und umklammerte ihren Revolver zitternd mit beiden Händen, die Arme ausgestreckt. Langsam öffnete er die Augen. Sein Blick wanderte nach unten… er betrachtete seinen Oberkörper. Der Kittel war immer noch so makellos weiß wie vor ein paar Sekunden… keine roten Flecken, kein Loch. Er befühlte seine Brust, wie um sich zu vergewissern, dass er noch lebte. Er konnte es kaum glauben, wagte seinen Augen kaum zu trauen. Zu fest überzeugt war er gewesen, dass es diesmal soweit war... Er war nicht einmal zusammengezuckt, als die Kugel an ihm vorbeigeschossen war- und das… erschreckte ihn schon fast. Als er sich schließlich doch davon überzeugen konnte, noch nicht mit den Englein zu singen, sondern am Leben und unverletzt zu sein, hob er den Kopf und warf kurz einen Blick nach hinten. Er erblickte Jodie mit ihren Revolver, die sich immer noch nicht gerührt hatte. Dann wandte den Kopf wieder um und starrte runter auf die Frau, die vor ihm auf dem Boden lag. Ihr Haar lag ausgebreitet um ihren Kopf, in sanften Wellen wie tausende Fäden glänzend goldener Seide, ihr Gesicht kreidebleich, ihre Lippen blutrot geschminkt. Ein schönes Bild. Wie das Motiv eines Coverfotos für ein Modemagazin. Doch es gab etwas, das diesen Einruck abrupt zerstörte. Vermouth stöhnte auf und presste ihre linke Hand auf die Schusswunde in ihrer Brust, aus der ihr Blut sickerte. Ein purpurner See bildete sich um sie herum auf den weißen Fliesen, der sich rapide immer weiter ausbreitete, unaufhörlich, unaufhaltsam… Die Frau atmete schnell und flach, ihr Gesicht war leichenblass, ein Ausdruck von Schmerz und Anstrengung lag in ihren Zügen. Shinichi ging ein paar Schritte nach vorne und starrte, ohne irgendeine Gefühlsregung in sich finden zu können, auf sie herab. „Leb wohl.“, murmelte er. Sie starrte ihn angsterfüllt an. „Du bist Arzt!“, presste sie schließlich hervor. Ihre Stimme klang anklagend. „Hilf mir! Bitte… bitte hilf mir!“ Er blinzelte, schaute ihr ins Gesicht. „Es ist zu spät für dich.“ Seine Stimme klang sachlich. Verzweiflung machte sich ihn ihr breit. In ihren Augen stand die nackte Angst. Sie fürchtete sich entsetzlich. Fürchtete sich vor dem Tod. „Wie meinst du das?“, wisperte sie. „Du wirst sterben, Sharon. Chris. Wie auch immer. Die Kugel hat dich in die Brust getroffen und dabei mindestens eine wichtige Arterie verletzt, wie’s aussieht. Du verlierst viel zu schnell viel zu viel Blut, und noch dazu füllt es deine Lunge. Darum fällt dir auch das Atmen so schwer. Du wirst verbluten, und das innerhalb der nächsten zwei bis drei Minuten.“ Sie schaute ihn entsetzt an. Sie begann zu zittern, ihre Zähne schlugen aufeinander. „Nein…“, hauchte sie. Er schluckte. Er wusste nicht warum, aber… aus irgendeinem Grund tat sie ihm jetzt... Leid. Vor ein paar Sekunden, ein paar Wimpernschläge vorher, bis gerade eben noch, war sie ihm egal gewesen… er hatte sie nicht einmal hassen können, für das, was sie ihm angetan hatte… antun wollte… geschweige denn, Mitleid empfinden. Aber jetzt… wie sie so vor ihm lag, hilflos, verletzt, sterbend… bettelnd. Um ihr Leben flehend. Und dieser ängstliche Gesichtsausdruck auf ihrem blassen Gesicht… Er verspürte Mitgefühl… und wusste nicht warum. Wollte es doch eigentlich auch nicht. Sie hatte… sie hatte sein Mitgefühl doch gar nicht verdient. Wirklich nicht. Und dennoch… Er ließ sich neben sie sinken, nahm ihr die Waffe aus ihrer rechten Hand und drückte ihre Finger. Wollte sie beruhigen. Es ihr… etwas leichter machen. „Es… es tut mir Leid, aber - dir kann man wirklich nicht mehr helfen, Sharon. So schnell wie du dein Blut verlierst, kann man es dir nicht zurückgeben, auch nicht durch Bluttransfusionen. Bis das Notfallteam hier unten ist, bist du dreimal gestorben.“ Er seufzte. Die nächsten Worte, die seine Lippen verließen waren sehr leise, kaum zu verstehen. „Die Zeit, die du dir von mir geliehen hast, läuft ab, Sharon. Die Zeit, die ich dir damals in New York geschenkt habe, als ich dir, ohne es zu wissen, das Leben gerettet habe… ist um.“ Er merkte, wie seine Stimme rau wurde und fragte sich, warum. Warum zur Hölle tat sie ihm denn Leid? Warum tat sie ihm so Leid, dass ihm sogar seine Stimme versagte? Sie drückte seine Hand fest, so fest, dass es fast wehtat. „Ich will aber nicht sterben…! Bitte, tu was, ich will nicht sterben! Es muss doch etwas geben, das du tun kannst…!“ Er schluckte. „Das wollte ich auch nicht. Sterben, meine ich. Ich wollte auch nicht sterben. Es war dir egal. Der Grund, warum ich nicht tot bin, bist nicht du, sondern das FBI. Du hättest geschossen. Ohne zu zögern. Du hattest kein Mitleid.“ Ihre Augen weiteten sich. „Ich weiß, du hast Recht. Du hast Recht! Aber… du bist nicht so wie ich, du bist anders… Du bist nicht so kalt, so emotionslos, du kannst mich nicht einfach sterben lassen. Schon allein, dass du hier sitzt, mit mir sprichst, nicht einfach gegangen bist, zeigt das. Bitte… hilf mir…“ Er schluckte. Das hier war eigentlich viel zu viel für ihn. Er saß hier am Boden und leistete seiner Beinahe-Mörderin Gesellschaft beim Sterben. Er merkte, wie ihm der Kopf schwirrte, in ihm das Chaos ausbrach. „Es tut mir Leid, das kann ich nicht, Sharon. Auch wenn ich es will, ich kann es nicht. Niemand kann das. Es… es wird bald vorbei sein… versuch dich zu entspannen, dann tut es nicht so weh…“ Sie schaute ihn fassungslos an. Langsam verstand sie, dass das, was er sagte, die Wahrheit war. Sie spürte, wie sie ihr Leben verließ, mit jedem Tropfen Blut, der durch ihre Finger quoll. Es ging so schnell… Vermouth holte tief Luft; dann lächelte sie sarkastisch. „Dann hatte ich also Recht…“ Sie wollte sich aufrichten, stöhnte schmerzerfüllt auf und ließ sich von ihm wieder zurück auf die Fliesen drücken. Shinichi schaute sie fragend an. „Du bist mein Untergang… du hast mir mein Ende gebracht.“ Er schüttelte den Kopf. „Nein, das war Jodie, nicht ich. Jodie hat den Schuss auf dich abgegeben. Ich war unbewaffnet, das weißt du.“ Sie bewegte den Kopf einmal nach links und einmal nach rechts, das war alles, was sie an Kopfschütteln noch zustande brachte. „Nein. Du warst das. Ich bin nur wegen dir hier. Wäre ich nicht so besessen gewesen von meiner fixen Idee, dir den Tod zu bringen, wäre ich nicht hierher gekommen, hätte dich nie getroffen… dann wäre ich dem FBI auch nicht in die Arme gelaufen. Und du warst es, der mich hier herunter gelockt hat. Du. Du hast mir eine Falle gestellt. Du wusstest, ich würde es nicht wagen, auf dem Gang, unter all den Leuten auf dich zu schießen, wenn ich nicht unbedingt muss, also hast du mich hierher gebracht… mich in mein Verderben geführt…“ Er blinzelte. „Das… tut mir…“ Shinichi biss sich auf die Lippen. Hatte er sich etwa gerade entschuldigen wollen? Entschuldigen dafür, dass er nicht umgebracht werden wollte? Er schluckte den Rest des Satzes hinunter, fing von Neuem an. „Ich wollte nicht sterben. Nicht heute. Nicht wo ich wusste, dass ich noch eine Chance habe…“ Sie nickte verständnisvoll. „Nun, du warst der bessere von uns. Kein Grund, dir einen Vorwurf zu machen.“ Sie hustete. Blut rann ihr aus dem Mundwinkel. Shinichi kramte in seiner Kitteltasche nach einem Taschentuch, fand eins und wischte ihr den roten Tropfen weg. „Danke…“, murmelte sie schwach. „Ich weiß doch, wie eitel du bist.“, meinte er leise. Sie lächelte. „Ja, das war ich immer schon. Aber deine Mum auch, machen wir uns nichts vor.“ Sie schloss die Augen, versuchte ruhiger zu atmen. Dann öffnete sie sie wieder, suchte seinen Blick und fand ihn. „Es tut mir Leid…“, fing sie wieder an. „Das sagtest du bereits…“, wisperte er. Ihre Finger wurden langsam kalt. Er wusste, was das hieß. Eine Träne rann aus ihrem Augenwinkel. Immer mehr folgten ihr. „Und ich meinte es auch. Bitte…Verzeih mir… was ich dir angetan habe. Was ich dir antun wollte…“ Er sog scharf die Luft ein, wandte den Kopf ab. Wie konnte sie es wagen… Wie konnte sie ihn darum bitten, ihr verzeihen? Wie konnte sie glauben, er könnte das alles vergessen? All das Leid, dass er durch ihr Mitverschulden hatte ertragen müssen… die Jahre als Conan Edogawa, die Woche, als er in ihrer Gefangenschaft war, als er sich gestellt hatte… die acht Jahre Zeugenschutzprogramm… und nicht zu vergessen, sie hätte ihn gerade eben beinahe erschossen. Vergebung? „Wieso sollte ich dir vergeben… du bist heute gekommen, um mich umzubringen, um nur mal einen Grund von vielen zu nennen, dir nicht zu verzeihen…“ „Bitte…“ Sie wimmerte leise. „Du verlangst zu viel von mir…“, flüsterte er emotionslos. Dass sie ihre Fehler einsah und Reue zeigte, war ja schön und gut, aber... Sie zog an seiner Hand, brachte ihn damit dazu, sie wieder anzusehen. Ein flehender Ausdruck lag in ihren Augen. „Bitte! Bitte, ich weiß, was du wegen mir durchmachen musstest… ich weiß, dass es dir unmöglich scheint, aber ich sterbe, ich sterbe, Shinichi… Bitte vergib mir… vergib mir… es tut mir so Leid…“ Eine weitere Träne rollte ihr über die Wange, ein schwarzer Tropfen, der seine Bahn zog… ihr Mascara löste sich langsam auf, zeichnete eine dunkle Linie über ihr Gesicht. Er starrte an die Wand gegenüber, merkte, wie es in seinen Augen zu brennen anfing. Himmel, was ist los mit mir? Er hörte sich seine nächsten Worte sagen, ohne dass er begriff, warum er sie aussprach. Sie waren einfach da… und er sprach sie aus. „Also schön.“ Er schluckte hart, sah sie wieder an. In den letzten anderthalb Minuten war sie noch blasser geworden. Der purpurne See um sie herum wuchs, der Blutstrom aus der Schusswunde in ihrer Brust ließ sich auch von ihrer Hand nicht aufhalten. „Du vergibst mir?“, wisperte sie. „Ja. Ich vergebe dir. An mir soll es nicht scheitern, dass du deinen Frieden findest…“ „Danke…“, antwortete sie. Ihre Stimme war kaum mehr wahrzunehmen, doch die Erleichterung, die in ihr mitschwang, war nicht zu überhören. „Und danke dafür, dass du mir Beistand geleistet hast, jetzt. Das ist mehr, als ich von dir verlangen konnte…“ Sie lächelte schwach. Drückte seine Hand, hustete erneut. „Grüß Yukiko schön von mir… und Ran. Werde... werde glücklich…“ Ihre Lippen zitterten, als sie es sagte. Er nickte nur. Strich ihr eine Haarsträhne, die ihr ins Gesicht gefallen war, aus den Augen. „Farewell… Shinichi…“ Sie blinzelte, atmete langsam und schwer aus… und nicht wieder ein. Er merkte, wie der Druck ihrer Hand nachließ. Ihre Augen starrten glasig und leblos ins Leere, doch ein zufriedener Ausdruck lag auf ihrem Gesicht. Sie war tot. Sharon Vineyard war gestorben. Shinichi atmete tief aus, starrte an die Decke, blinzelte heftig. Warum… so? Warum musste das so enden…? Ich oder du? Er seufzte, fuhr sich mit seiner freien Hand fahrig übers Gesicht und durch die Haare. Dann beugte er sich vor und schloss ihr die Augen. „Lebwohl.“, murmelte er sanft. Shinichi zog seine Hand aus ihrer und legte sie neben ihre linke Hand auf ihren Brustkorb. Ein, zwei Minuten saß er einfach nur da. Versuchte zu verstehen, was gerade passiert war, und damit klarzukommen. Dann stand er auf und wandte sich schließlich um. Auf Jodies Gesicht lag ein Ausdruck von Fassungslosigkeit und Entsetzen. In ihrer ausgestreckten Hand hielt sie immer noch ihren Revolver. Akai stand da und starrte zuerst die blonde Frau an, dann Shinichi. Und in dem Moment schien er seine Stimme wieder zu finden. „Alles in Ordnung mit dir? Verdammt noch mal, sie hätte dich fast erschossen, wenn wir nicht gekommen wären, du könntest jetzt schon tot sein! Du kannst von Glück sagen, das Jodie schneller geschossen hat als Vermouth! Warum bist du nicht im Büro geblieben, so wie ich es dir gesagt habe? Was bildest du dir eigentlich ein, einfach…“, setzte er an, als Shinichi ihn unterbrach. „Mir fehlt nichts. Und was bilden Sie sich ein, einfach über mein Leben bestimmen zu wollen?! Mir Befehle geben zu wollen? Wäre ich oben im Büro geblieben und hätte auf sie gewartet, dann wäre ich entweder jetzt schon tot, oder sie wäre bei ihrem Anblick ausgerastet und hätte sehr wahrscheinlich inklusive von euch beiden und mir wahllos Menschen erschossen, die sich draußen auf dem Gang befanden…“ Akai machten den Mund auf – und wieder zu. Er war sprachlos, was Kudô da sagte, machte durchaus Sinn. „Wie konntest du ihr verzeihen?“, fragte er schließlich mit leiser Stimme. Shinichi hob kurz den Kopf, warf Sharon Vineyard noch einen letzten Blick zu. „Ich weiß es nicht.“, wisperte er. „Ich kann es nicht sagen.“ Shuichi nickte nur, dann trat er neben ihren leblosen Körper und hob ihre Waffe auf. Shinichi trat zu Jodie und nahm ihr den Revolver aus der Hand. „Hey?“ Er legte ihr die Hand auf den Arm. Die blonde FBI-Beamtin blinzelte und schaute ihn an. „Letzten Endes… hast du sie doch gestellt.“ Er schüttelte nur den Kopf. „Wenn ihr nicht rechtzeitig gekommen wärt, wäre ich jetzt tot. Du hast mir das Leben gerettet, Danke…“ Er drückte ihr vorsichtig den Arm. Dann suchte er in den Taschen seines Arztkittels nach Traubenzucker, den er immer bei sich hatte - für seine kleinsten Patienten und gelegentlich auch für Studenten, die ihm während einer Untersuchung umkippten. Er fand ein Stück und reichte es ihr. „Da, iss das mal. Im Mund zergehen lassen. Hilft ein wenig gegen den Schock. Wie fühlst du dich?“ Jodie wiegte nachdenklich den Kopf, wickelte das Bonbon aus und schob es sich in den Mund. „Ich weiß nicht... So lange habe ich mir gewünscht, ihr eines Tages alles heimzahlen zu können, und jetzt…“ Shinichi nickte nur. Er verstand sie. Dann wurden Schritte laut. Dr. Richard Anderson lief um die Ecke, sah eine erschossene Frau am Boden, seinen Diagnosearzt mit einer Waffe in der Hand und zwei dubiose Gestalten- alle in seinem Leichenschauraum. Zuerst blieb er nur wie angewurzelt stehen und wurde kreideweiß im Gesicht. Dann verdrehte er die Augen, würgte ein hilflos klingendes „Wasisnlosier??“ hervor und sackte bewusstlos zu Boden. Akai seufzte. „Na los, hilf mir mal. Wir tragen ihn in dein Büro, und dann müssen wir es ihm erklären. Sonst zeigt er dich noch als Mörder bei der Polizei an.“ Shinichi nickte, dann half er dem Beamten vom FBI, seinen Chef über Hintertreppen und kaum benutzte Personalgänge in sein Büro zu tragen, um nicht allzu viel Aufsehen zu erregen. Ein paar Minuten später saßen sie alle in Shinichis Büro, jeder mit einer dampfenden Tasse Kaffee vor sich, und verdauten die jüngsten Ereignisse. Richard war mittlerweile aufgewacht und saß nun, nachdem er anfangs einen Riesenaufstand gemacht hatte und erst zur Ruhe zu bringen gewesen war, als Jodie und Shuichi ihm ihre FBI-Marken gezeigt hatten, in einem Besucherstuhl. Ungläubig starrte er seinen Facharzt an und sagte nichts mehr. Was für ein Tag… Mord und Totschlag in seiner Pathologie. FBI. Sein Diagnosearzt mit einer Waffe in der Hand...! Was hatte das alles zu bedeuten?! Er massierte sich die Schläfen, als sich ein pochender Schmerz in seinem Kopf breit machte. Er seufzte genervt. Immer wenn er sich aufregte, bekam er Kopfweh. „Nun,“ begann Akai, nachdem er an seinem Kaffee genippt und es sich in Shinichis Bürosessel bequem gemacht hatte, „es ist wohl an der Zeit, Ihnen ein paar Dinge über Ihren Diagnostiker“, er nickte Shinichi anerkennend zu, „zu erzählen.“ Er trank erneut einen Schluck Kaffee. Richard hörte auf, sich den Schädel zu massieren und schaute den schwarzhaarigen FBI-Beamten musternd an. „Nur keine Hemmungen.“, murmelte er. Akai zog die Augenbrauen hoch und räusperte sich. „Gut. Nachdem er selbst ja momentan nicht besonders gesprächig scheint“, er warf Shinichi, der nun doch die Nachwirkungen des gerade Erlebten in Gestalt eines leichten Schocks zu spüren bekam und jetzt auf der Tischkante saß, sich ein Traubenzuckerbonbon nach dem anderen einwarf und in seinen Kaffee starrte, einen prüfenden Blick zu, „werde ich das wohl übernehmen müssen. Nun… Ihr Diagnosearzt ist nicht der, der er zu sein scheint.“ Dr. Anderson schaute seinen Diagnostiker überrascht und gleichermaßen entsetzt an. „Was meint er damit, Shigeru? Was hat das alles hier eigentlich zu bedeuten? Das FBI in meinem Krankenhaus, in unserem Keller liegt jetzt eine Leiche… und du, mit einer Waffe in der Hand…“ „Dick, ich…“, begann Shinichi zögernd. Es war ihm gar nicht recht, dass sein Chef auf diese Art und Weise von seiner Identität erfuhr. Er und Richard pflegten ein Verhältnis, das man wohl fast als freundschaftlich bezeichnen könnte. Sie hegten voreinander großen Respekt und kamen eigentlich glänzend miteinander aus. Aber wie sollte er das hier alles erklären? Bevor er jedoch seine Satz zu welchem Ende auch immer bringen konnte, fiel ihm Jodie ins Wort. „Erstens, entschuldigen Sie bitte, aber in Ihrem Keller liegen immer Leichen, Sir.“ Sie lächelte ironisch. „Außerdem hat er sie nicht erschossen, ich war das. Er nahm mir nur die Waffe, meine Dienstwaffe, aus der Hand.“ Sie hielt ihren Waffenschein, den sie aus ihrer Brieftasche gezogen hatte und den Revolver hoch, so das man die Seriennummer erkennen konnte. „Wie Sie sehen, ist diese Schusswaffe auf mich registriert. Und ich versichere Ihnen, wenn Sie drauf bestehen, machen wir einen Schmauchspurentest; er wird keine an den Händen oder seiner Kleidung haben, ich dafür genügend. Er hat keinen umgebracht.“ Richard seufzte. „Der Test wird nicht nötig sein. Ich glaube Ihnen auch so. Aber Sie müssen verstehen, es sah etwas fragwürdig aus, gerade eben, in der Pathologie…“ Shuichi nickte und nahm einen weiteren Schluck Kaffee. „Ja, das streitet auch keiner ab... Nun, es dürfte sie interessieren, wer diese Frau ist- oder war. Die Tote in Ihrer Pathologie heißt Chris Vineyard, Schauspielerin und Profikiller. Sie war schon seit Jahren hinter ihm…“, er nickte erneut in Shinichis Richtung, der seinen Kaffee gerade auf Ex austrank, „...her. Sie wollte ihn töten, deswegen war sie heute hier. Was uns zu der wahren Identität Ihres Angestellten führt. Ihr Diagnosefacharzt heißt eigentlich nicht Shigeru Katsuragi, sondern Shinichi Kudô.“ Shinichi stand auf und holte sich eine weitere Tasse Kaffee. Er wusste, dass Richard ihn anstarrte, aber momentan war ihm das egal. Der Schock saß ihm tiefer in den Knochen als er zugeben wollte. Ihm war immer noch eiskalt und seine Hände zitterten. Immer und immer wieder sah er Sharon, die seine Hand drückte und um Hilfe flehte… Sharon, die ihn um Vergebung bat… Sharon, die nicht mehr atmete… Er kniff die Augen fest zusammen, wartete, bis die Tasse voll gelaufen war und schüttete dann, ohne den Löffel dafür zu benutzen, eine Menge Zucker in die schwarzbraune, dampfende Flüssigkeit, rührte um und nippte daran. Er verzog das Gesicht. Viel zu süß, aber es tat seine Wirkung. Langsam ging es ihm besser. Shuichi unterdessen schien das nicht zu stören, oder wenn doch, so ließ er es sich zumindest nicht anmerken. „Naja. Außerdem… begnadeter Arzt, der er ist, so schätze ich doch, dass ich richtig lieg, wenn ich behaupte, dass er, wenn sein Leben in den Bahnen verlaufen wäre, die er sich gewünscht hätte, wohl nie Medizin studiert hätte.“ Dr. Anderson schaute den Mann vom FBI fragend an. „Und wie kommt es dann, dass er, obwohl er eigentlich nicht Medizin studieren wollte und eigentlich ganz anders heißt, doch als hervorragender und äußerst erfolgreicher Diagnostiker mit Namen Shigeru Katsuragi für mich arbeitet?“ „Sie haben doch sicher den Begriff Zeugenschutzprogramm schon einmal gehört?“, mischte sich nun auch Jodie wieder in das Gespräch ein. Anderson blickte zuerst sie, dann Shinichi überrascht an. „Sicher. Wer hat das nicht? Aber…“ Erst jetzt schien es ihm langsam zu dämmern, auf was die FBI-Agenten hinauswollen. Überrascht und ein wenig ungläubig riss er die Augen auf. „Wollen Sie mir damit etwa sagen…?“ „Ja, genau. Shinichi Kudô hat sich im Alter von siebzehn Jahren mit einer Verbrecherorganisation angelegt, die ihresgleichen sucht. Über fast drei Jahre hinweg hat er den Kampf gegen dieses Syndikat aufgenommen und letztendlich gelang es ihm sogar, ihm das Handwerk zu legen. Eine Leistung, die auch heute immer noch unübertroffen ist. Der Haken an der Sache war der, dass es der Tokioter Polizei und dem FBI damals leider nicht gelungen ist, alle Mitglieder dieses Rings festzunehmen, und er schwebte deswegen in höchster Lebensgefahr. Also beschloss man, ihn zu seinem eigenen und dem Schutz seiner Angehörigen ins Zeugenschutzprogramm aufzunehmen. Shinichi Kudô war damals nicht ganz zwanzig Jahre alt. Er machte hier seinen Abschluss an der High School, seinen Bachelor und absolvierte sein Medizinstudium. Den Rest kennen Sie ja.“ Richard Anderson nickte. Er starrte Shinichi mit einer Mischung aus Mitleid, Erstaunen und Bewunderung an. „Die Frau… sie war also Chris Vineyard? Die berühmte Schauspielerin, Tochter von Sharon Vineyard, ja? Wir reden schon von der, oder?“ Akai und Jodie nickten nur. Dem Chefarzt jetzt auch noch zu sagen, dass Sharon und Chris ein- und dieselbe Person waren, würde zu weit führen. Ihm das jetzt glaubhaft zu machen, wäre wohl ein Ding der Unmöglichkeit gewesen, zumindest in so kurzer Zeit. Nein, so wie es jetzt war, war es gut. Anderson resümierte weiter. „Sie war also ein Mitglied dieser Organisation, die Shig… Shinichi umbringen wollte und hatte ihn also endlich gefunden. Jetzt wird mir einiges klar. Er war im Zeugenschutz… Deswegen verhielt er sich auch immer so seltsam. So verschlossen. So distanziert… fremd.“ Shinichi schaute zu Boden. „Das hier ist nicht dein Zuhause, nicht war? Das war es nie und wird es nicht werden.“ Anderson war aufgestanden um mit seinem Diagnosefacharzt auf gleicher Augenhöhe zu sein. Der schüttelte den Kopf. „Nein, da hast du Recht. Ich hab mich in den ganzen acht Jahren nie heimisch gefühlt. Ich hab’s auch nicht wirklich versucht, mal ganz davon abgesehen…“ Der Chefarzt steckte eine Hand in die Tasche seines Kittels. Mit der anderen schob er sich seine Brille wieder etwas höher auf die Nase. Dann wandte er sich wieder zu den Leuten vom FBI um. „Und darf ich jetzt auch noch wissen, warum Sie hier sind? Wieso haben Sie die Frau nicht vorher festgenommen, wenn Sie doch wussten, dass sie hierher kommt?“, fragte der Chefarzt. Akai trank seinen Kaffee leer, ehe er sich zu einer Antwort bequemte. „Ach ja. Genau. Das hätte ich jetzt doch bald vergessen… Nun, wir wussten es nicht. Dass sie hierher, ins Krankenhaus, kommt, meine ich. Der Tipp, dass Chris Vineyard nach New York unterwegs war, kam buchstäblich in letzter Minute. Wir wussten, sie suchte ihn, aber nicht wo genau. Wir vermuteten, dass sie, woher auch immer, erfahren hatte, wer er war, und da sie… da sie die Letzte ist, die von diesem Verbrechersyndikat noch frei herum lief, dachten wir…“.“ Shinichi durchfuhr es siedendheiß. Das… das bedeutete ja, dass… Er blinzelte. Nein, nicht doch… „Ihr habt mich ohne mein Wissen als Lockvogel missbraucht?!“ Er starrte sie wütend an. Jodie nickte reumütig. „Ja. Wir waren zu deiner Beschattung abgestellt, um dich im Notfall beschützen zu können und sie aufzuspüren, aber das lief irgendwie aus dem Ruder… wir sahen sie ganz kurz in der Innenstadt, und auf einmal war sie weg. Wir konnten nichts anderes machen, als hierher zu kommen, in der Hoffung, schneller als sie zu sein.“ Shinichi seufzte entnervt. „Das fasse ich nicht. Ich fass’ es einfach nicht. Wie konntet ihr nur… Zuerst dieses ewige Misch-dich-nicht-ein-Gefasel und dann- dann lasst ihr mich einfach so ins Messer laufen… ohne mir auch nur einen Ton zu sagen! Ihr hättet mir davon erzählen müssen! Wisst ihr, wie ich mich gefühlt habe, als ich in mein Büro kam und sie in genau dem Sessel saß, in dem Sie sich gerade breit machen?! Ihr hättet es mir sagen müssen, ich hätte ein Recht darauf gehabt!“ Shuichi hob die Hände von den Lehnen und besah sich den Stuhl. „Wirklich? Hier saß sie?“ Shinichi stöhnte frustriert auf. „Ja, verdammt! Genau da! Vor Ihnen auf dem Tisch ist noch das Brandloch, das sie mit ihrer Zigarette reingemacht hat!“ Akai beugte sich interessiert vor. „Die Gute hatte einfach keine Manieren. Obwohl… du hast ja keinen Aschenbecher hier, wo sollte sie also hin damit.“ Er grinste, blies die Asche vom Tisch und berührte mit dem Zeigefinger den Brandfleck. Shinichi beherrschte sich nur mühsam. Was glaubte dieser Mensch eigentlich, wer er war? Er stemmte sich mit den Händen auf seinem Schreibtisch ab, seine Rechte immer noch die Kaffeetasse umklammernd, und starrte Akai zornig an. „Was habt ihr euch dabei gedacht?!“, fauchte er. „Nun,“ meinte Akai, „bevor du jetzt gleich wütend aus dem Raum rennst oder andere unüberlegte Sachen tust… wie gesagt…“ Ein breites Grinsen breitete sich plötzlich auf dem Gesicht des ansonsten so unterkühlt dreinblickenden Mannes aus. Er stand auf. Shinichi wich unwillkürlich zurück, nahm die Hände wieder vom Tisch. „Sie war die Letzte. Es gibt jetzt keinen Grund mehr, dich noch länger hier festzuhalten. Du kannst wieder nach Hause, nach Tokio, mit einem Pass, in dem dein Name unter deinem Bild steht. Wir haben die Papiere schon dabei, weil wir hofften, dass wir Vermouth diesmal kriegen…“ Ein lautes Klirren ertönte. Shinichi schaute zuerst auf die Scherben seiner Lieblingstasse, die ihm gerade aus der Hand geglitten war, dann in das Gesicht von Shuichi Akai. „Wenn das ein Scherz ist…“, begann er leise. Seine Stimme war kaum zu hören. „Ist es nicht.“ Jodie lächelte ihn an. Shinichi schluckte schwer. Sein Mund fühlte sich seltsam trocken an. „Ich… ich darf nach Hause? Jetzt gleich?“ „Nun, “ sagte Akai, „wenn du einen Flieger findest, der jetzt gleich fliegt und dein Chef dir jetzt gleich freigibt, dann ja, du kannst jetzt gleich heim. Das heißt, heute noch, nicht jetzt gleich, denn zuerst müssen wir dir deine Unterlagen noch aushändigen.“ Shinichi legte den Kopf in den Nacken und starrte an die Decke. Kraftlos sank er auf die Tischkante. Sein Magen fühlte sich flau an und er wusste, wenn er jetzt versuchen würde, wieder aufzustehen, würden seine Beine unter ihm nachgeben. Dann fiel sein Blick auf den mit weißen Blüten übersäten Bonsai. Junischnee… Schnee im Juni. Er dachte an den Brief, den er ihr geschrieben hatte. Den, den er ihr damals, am Flughafen gegeben hatte… Ich werde die Hoffnung nicht aufgeben, eines Tages doch wieder zu dir zurückkehren zu können. Auch wenn die Hoffnung auf ein Wiedersehen so winzig ist wie die Wahrscheinlichkeit auf Schnee im Juni… Was als bloße Metapher gedacht war… schien plötzlich Realität zu werden. Er seufzte leise. „Nach Hause…“, murmelte er nur. Akai nickte. Dann huschte ein Lächeln über sein Gesicht. Er gönnte es Kudô. Er gönnte es ihm wirklich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)