Sorrows and Drugs von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Diese Story habe ich an einen Schreibwettbewerb geschickt, leider war sie nicht unter den Gewinner, doch ich hoffe, sie gefällt euch trotzdem. Eure Asuka Zusammengerollt, meinen bloßen Körper unter der kratzigen Baumwolldecke verbergend, lag ich auf meinem Bett, das verloren in einem viel zu kleinen Zimmer stand. Völlig abwesen starrte ich die gegenüberliegende Wand an, von der an vielen Stellen schon die schmutzig-weiße Farbe abblätterte und die von glibschigen Schimmelpilze durchdrungen war. Meine Familie war nicht sehr reich. Ich hatte es noch gut getroffen, mit meinem Einzelzimmer. Meine Geschwister mussten sich ein Zimmer teilen. Wir waren nie besonders wohlhabend gewesen. Aber wir waren bisher einigermaßen zurechtgekommen, auch mit unseren kleinen oder großen Problemen. Und jetzt das... "Mia, steh auf, du weißt, dass du zur Schule musst!", rief meine Mutter. Immer dasselbe. Jeden Tag. Doch diesen Tag würde es nicht dasselbe sein, das stand für mich fest. Am liebsten wäre ich davongerannt, als ich an diesem grauen, verregneten Montagvormittag vor der Praxis stand. "Dokter Waldberg" stand in schrägen schwarzen Buchstaben auf dem kleinen Plastikschild, das neben der Tür angebracht war. Ich war noch nie gerne zum Frauenarzt gegangen, heute weniger denn je. Doch es musste sein. "Und wie lange ist deine Regel jetzt ausgeblieben?", erkundigte sich Dr. Waldberg, während er mit der Routineuntersuchung begann. "Sie ist seit zwei Wochen überfällig", erwiderte ich tonlos. Mit besorgter Miene setzte er sich mir gegenüber, nachdem er die Untersuchung abgeschlossen hatte. "Eine Schwangerschaft in dem Alter... Du bist jetzt...?" "Vierzehn..." "Das ist eine harte Sache. Hast du schon mit deinen Eltern gesprochen?" Leicht schüttelte ich den Kopf, den Blick auf den Boden gesenkt. "Und der Vater?" Ich hob an, etwas zu erwidern, doch brachte nur ein leises Schluchzen zustande, während ich die Augen zusammenkniff und hoffte, dass ich jetzt auf der Stelle aus diesem Albtraum erwachte. "Hast du schonmal an eine Abtreibung gedacht?" "Natürlich!", antwortete ich mit tränenerstickter Stimme, "Aber es fehlt an Geld! Immer fehlt es an Geld..." Unschlüssig, was er jetzt tun konnte, wog Dr. Waldberg den Kopf hin und her. "Wir werden uns etwas ausdenken. Kommst du vielleicht morgen noch einmal her?" Ich zuckte mit den Schultern und ging. Die Welt da draußen schien dunkel, kalt und bedrohlich. Der stärker gewordene Regen prasselte auf mich nieder, durchnässte meine Kleidung binnen Sekunden, doch ich bemerkte es nicht einmal. Ziellos irrte ich umher, durch die überschwemmten Straßen, durch den Park, dessen Wege sich in morastige Schlammpfade verwandelt hatten, durch die Alleen, in denen sich die schlanken Bäume unter der Last des Wassers gen Boden krümmten und zusammenzubrechen drohten. Wohin? Wohin sollt ich nun? Nach Hause? Nein, bloß nicht. Zu Freunden? Freunde hatte ich keine. Also ging ich weiterhin planlos umher. "Hey, du siehst traurig aus! Hast sicher Probleme, hä?" Eine graue Gestalt, eng im Regenmantel eingehüllt, stand geduckt an der Ecke, an der ich gerade vorbeiging. Ich hatte sie nicht bemerkt. "Was geht denn dich das an..." "Hier, ich hab da was für dich, das wird dir helfen..." Er drückte mir ein Päckchen weißes Pulver in die Hand und starrte mich erwartungsvoll an. "Ich...selbst wenn ich es wollte, ich kann es nicht bezahlen..." "Ist nicht schlimm, bezahlste einfach später." "Aber... nee, ich glaub lieber nicht." Ich setzte meinen Weg fort, doch er ließ nicht locker und folgte mir auf dem Fuß. "Nun nimm schon! Is nicht schlimm!" "Lass mich endlich in Ruhe!" "Wenn du das hier nimmst, verzieh ich mich." "Ach...! Na, meinetwegen..." Nachdenklich schenderte ich weiter, es begann langsam zu dämmern; der Abend brach an. So lange war ich schon unterwegs? Um meine Füße rannen kleine Wasserbäche, wegen des immer noch andauernden Regenfalls. Die Welt schien weggeschwämmt zu werden, ein Meer aus sich vermischenden Farben und Grauntönen, das wogte und einen unter sich zu begraben schien. Vor dieser mörderischen Flut flüchtend, lief ich ohne nach rechts oder links zu sehen vorwärts, bog irgendwann in eine Seitengasse ab, um kurz darauf in einem alten Klohäuschen Schutz zu suchen, das schon halb verrottet an einer Backsteinmauer stand. Wenigstens war ich hier einigermaßen vor der Nässe geschützt. Jedoch nicht vor der Kälte, die nun nach und nach in meinem Körper höher kroch. Nachdenklich betrachtete ich die kleine Tüte in meinen Händen, spielte ein bisschen damit, während ich darauf wartete, dass der Regenguss abschwächte. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, so etwas niemals zu probieren. Eigentlich hatte ich mir auch vorgenommen niemals mit einem Jungen zu schlafen, den ich fast überhaupt nicht kannte und dem ich auch egal war. Schon gar nicht ohne Verhütungsmittel. Also was solls? Vorsichtig riss ich das Tütchen an einer Ecke auf und roch daran. Es hatte den Geruch der Plastiktüte, keinen besonderen Eigengeruch. Mit dem Finger das eine Nasenloch zuhaltend, hielt ich das Päckchen Pulver unter das andere und sog tief Luft ein. Es kribbelte nur leicht, mehr nicht. Enttäuscht von dem Ergebnis zog ich auch noch den Rest der Tüte ein, bis sie leer war. Erschöpft spähte ich durch die verbogene, angelehnte Tür, um festzustellen, dass der Regen fast völlig aufgehört hatte. Etwas unsicher auf den Beinen wankte ich nach draußen und sah mich um. Wo war ich hier eigentlich? Auch egal. Von irgendwoher bahnten sich die schrillen Töne irgendeiner Technomusik ihren Weg in meine Ohren. Mal nachschauen, woher das kam... Die Ursache der Musik war bald gefunden; sie kam aus einer Bar, deren Tür weit offen stand. Es schien, als wolle sie sagen: Kommt herein, hier ist es schön warm, hier findet ihr Spaß und gute Mittel gegen Langeweile und Probleme... Magnetisch zog mich diese Bar an, ich konnte einfach nicht widerstehen und trat ein. Drinnen war die Luft dunstig vom Rauch unzähliger Zigaretten, die gepafft wurden; es roch nach Schnaps und Erbrochenem. Ich bemerkte nicht die mürrische Atmosphäre, sah nicht die mitleidigen Blicke, die mir einige kurz zuwarfen, um sich gleich darauf wieder in ihre Angelegenheiten zu vertiefen. Auch die vielen Junkies, die hier ihre Drogen spritzten, rauchten oder in die Nase zogen, fielen mir nicht auf. Für mich war dies einfach ein netter Laden, der mich happy stimmte. Oder war das die Wirkung dieses verdammten Pulvers, das ich genommen hatte? Ach, quatsch und wenn schon! Ich war glücklich und konnte meine Sorgen vergessen, das war die Hauptsache. Den ganzen Abend verbrachte ich in der Bar, redete viel, lachte und trank, was man mir ausgab. Als der Laden dann in den frühen Morgenstunden schloss, wankte ich mit brummendem Schädel nach draußen. Kalt war es hier, kalt und ungemütlich. "Komm doch mit auf meine Bude, die is nicht weit weg. In dem Zustand kommste bestimmt nicht mehr nach Haus." Wer hatte das gesagt? Egal, Hauptsache ich musste nicht mehr so weit laufen und es war warm. Kopfschmerzen, schreckliche Kopfschmerzen! Als ich am nächsten Tag wieder zu mir kam, fand ich mich in einer heruntergekommenen Hütte wieder; neben mir pennte ein Mädchen, das ein paar Jahre älter als ich zu sein schien. In meinem Kopf pochten so heftige Schmerzen, dass ich dachte, er würde jeden Moment platzten. Als ich aufstehen wollte, um aus dem dreckverschmierten Fenster zu sehen und mich zu orientieren, veranlasste mich ein starkes Schwindelgefühl dazu, diese Absicht schnell wieder zu vergessen. Ich stöhnte, legte mich wieder auf die fleckige, durchgelegene Matratze und schloss die Augen. Was hatte ich da nur wieder getan? Neben mir begann sich das Mädchen zu regen. Woher kannte ich sie nur? Achja, die Bar... Sie reckte und setzte sich auf. "Schon wach?", erkundigte sie sich etwas erstaunt. "Hast gestern doch ziemlich viel mitgemacht." "Wo bin ich hier? Und wie komm ich nach Hause?" "Ich seh schon, das haste noch nicht oft gemacht. Ist dir schlecht?" Erschöpft bejahte ich, woraufhin sie mir das Bad zeigte. Wenn man das Bad nennen konnte... Nachdem ich mich ins Klo erbrochen hatte, dessen Brille wohl irgendwie abhanden gekommen sein musste und welches anscheinend auch lange keine Reinigungsmittel mehr gesehen hatte, wusch ich mir in dem ebenso dreckigen und rissigen Waschbecken das Gesicht. Nun fühlte ich mich etwas besser. "Na, alles in Ordnung?" "Geht. Jedenfalls nicht schlechter..." Das Mädchen - ihr Name war Heike - erklärte sich bereit, mir dieses eine Mal den Weg nach Hause zu zeigen. Dort wurde ich von meinen Elern von einem wahren Gewitter an Vorwürfen und Beschimpfungen empfangen, dass ich mich sofort in meinem kahlen Zimmer einschloss, mich aufs Bett schmiss und einfach drauflosheulte. Was wussten die schon? Mein Vater hämmerte mit der Faust gegen die dünne Holztür, die fast aus den Angeln sprang und zu bersten drohte, während ich mir beide Ohren zuhielt, ein kläglicher Versuch, meine schlimmer gewordenen Kopfschmerzen zu lindern, was jedoch vergebens war. "Mia, mach auf, ich warne dich! Mach sofort die Tür auf!" Wutentbrant schrie meine Vater durch die Tür hindurch. Weg, bloß weg! Wenn ich doch nur könnte... Verzweifelt sah ich mich im Zimmer um. Mein Blick blieb an dem kleinen Fenster aus dünnem Glas hängen, das schon etwas locker in dem langsam vermoderndem Fensterrahmen saß. Ich sprang auf, sah nach draußen und erblickte auf Anhieb das, was ich suchte. Die alte Feuerleiter direkt neben meinem Fenster! Hektisch stopfte ich einige Klamotten in den Rucksack, holte mein mühsam Erspartes aus der bunten Blechdose und packte es dazu. In ausgetretenen Turnschuhen, einer ausgebeulten Windjacke, den Rucksack auf dem Rücken, öffnete ich das quietschende Fenster, während mein Vater noch immer wie wild auf die Tür eintrommelte, die sich mehr und mehr bog. So schnell ich konnte stieg ich die verrostete Leiter hinab; hatte schreckliche Angst, dass sie mich nicht tragen könnte, denn wie alles in diesem Haus hier, war auch die Feuerleiter ein Fall für den Schrotthändler. Mit einem Ziehen im Bauch und bis zum Hals klopfendem Herzen lief ich über den harten Asphalt des Bürgersteigs, ohne jede Richtung, einfach drauflos. Irgendwo würde ich schon ankommen... Erst als die heftigen Seitenstiche immer schlimmer wurden und ich kaum noch nach Luft ringen konnte, hielt ich inne. Stoßweise stieg mein Atem in kleinen Dampfwölkchen vor mir auf; das Einzige, was ich hörte, waren meine Schritte, die durch die wie leergefegten Straßen hallten, als ich langsam weiterging. Nirgendwo hin. Schließlich blieb ich an einer Eisenbahnbrücke gelehnt stehen und ließ den Blick schweifen: über die grauen Betonhäuser, die ohne jegliches Leben waren, die regennassen Straßen und Bürgersteige, den blau-schwarzen Himmel, immer noch mit schweren, dunklen Wolken verhangen und die spärliche Vegetation, die auch, wie alles andere hier, traurig und farblos wirkte. Ich betrachtete die blanken Eisenbahnschienen tief unter mir. Schlank und geschmeidig bahnten sie sich ihren Weg; scheinbar unaufhaltsam. An einigen Stellen waren die Holzbohlen fast völlig unter Moos und wucherndem Unkraut verschwunden, welches sich wie eine Decke ausbreitete. Unbewusst durchforsteten meine Hände die Taschen meiner Jacke; stockend hielt ich inne, als sie auf ein Päckchen stießen, das eigentlich nicht in diese Tasche gehörte. Verwundert förderte ich es zum Vorschein und stellte fest, dass es sich dabei um ein Tütchen mit weißem Pulver handelte. Es musste wohl gestern per Zufall in meine Jacke geraten sein, als alle schon ziemlich weggetreten waren. Unschlüssig starrte ich auf meine Hand. Was tun? Wenn ich es mir recht überlegte, konnte ich eine kleine Ablenkung jetzt gut gebrauchen... Noch während ich mir das weiße Zeug durch die Nase zog, wurde mir schlagartig klar, dass ich ganz unten angekommen war. Ich trug ein Kind in mir, an dessen Vater ich mich noch nicht einmal klar erinnern konnte; ich war von zu Hause abgehauen und konnte nicht erwarten, einfach so wieder aufgenommen zu werden und zu allem Überfluss drohte ich nun auch noch langsam und qualvoll im Drogensumpf zu versinken! Was würde wohl als nächstes kommen?, dachte ich verzweifelt. Würde ich auf den Strich gehen müssen, um mir weiterhin dieses Teufelszeug beschaffen zu können? Ich krallte mich am kalten Stahlgeländer fest, um den Halt nicht zu verlieren, weil ein heftiger Schwindelanfall mich umzuwerfen drohte. Das war doch alles total beschissen! Mein Leben war im Eimer! Schon halb im Rausch erklomm ich den Brückenrand, der einen vor dem Herunterstürzen bewahren sollte. Was würde wohl sein, wenn ich einfach sprang? Wen würde das stören? Tausende dieser Fragen schossen mir durch den Kopf, während meine Sicht sich langsam vernebelte und ich nur mühsam das Gleichgewicht halten konnte. Der harte, schneidende Wind schlug mir ins Gesicht, als ich auf die Erde hinab sah, die tausende Meter entfernt schien. Ich könnte mich einfach fallenlassen und wäre alle meine Sorgen los. Es war so einfach. Ich breitete die Arme aus, als ob ich fliegen könnte. Ich brauchte mich nur fallenzulassen. Alles würde vorbei sein. Im Jenseits kannte man keine Sorgen. Warum also noch groß nachdenken? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)