Herbert von Krolock von Peaches_chan ================================================================================ Kapitel 6: Ich flehe dich an ---------------------------- Kapitel 5 – Teil II / Ich flehe dich an Madrid, Mailand, Paris, London, Edinburgh,... es war eine Reise gegen die Zeit. Zeit von der Rikarda mittlerweile viel zu viel hatte. Kopenhagen, Oslo, Stockholm, Helsinki,... verflucht sei Paolo Sánchez! Was war wohl aus ihm geworden? Dresden, Warschau, Moskau, St. Petersburg,... wann würde dieses Leben ein Ende haben? Wie viele Menschen müsste sie noch töten? 468 Jahre waren bisher vergangen. Eine lange Zeit, eine Zeit die Rikarda ausschließlich mit Reisen verbrachte, und töten. Töten, um selbst weiter leben zu können. Oh, wie sie es hasste! Sie würde alles dafür tun, wenn es nur eine andere Möglichkeit gebe, weiter zu leben, ohne dafür Menschen töten zu müssen. 'Sieh die Vorteile', dachte sie sich immer wieder im Stillen, 'du lebst ewig, du wirst nicht alt und deine Haut schrumpelig. Viele Frauen würden dich beneiden, wenn sie in deinem Alter noch so jung aussehen würden. Und du siehst viel von der Welt. Du könntest mehr als nur eine einzige Weltreise machen. Und du lernst ganz viele Menschen kennen -Warum muss das Blut nur so unwahrscheinlich köstlich sein?- Oh,und du lernst andere Vampire kennen, die dir deine Zeit versüßen und dich auf einem Teil deiner Wege begleiten. Und du kannst im Dunkeln sehen, das konntest du früher nicht...' Früher, früher ist lange her. Früher konnte Rikarda die Sonne sehen. Damals hatte sie noch keine panische Angst und war durchgedreht, sobald sich nur ein Sonnenstrahl ihr näherte. Früher freute sie sich, die Sonne zu sehen, wie sie den Tag erhellte und den Menschen fröhlich zulachte. Und die Menschen lachten der Sonne fröhlich entgegen. Das tun sie heute noch, nur Rikarda war kein Mensch mehr, sie war ein Vampir. Die Sonne würde sie vernichten, weil sie schlecht war, sie war böse, die Sonne hatte keinen Grund einer menschenfeindlichen Kreatur entgegen zu lachen. Wenn überhaupt nur auslachen und qualvoll die Haut des Vampirs verbrennen mit der Hitze, die sie abgab. Es schauderte Rikarda bei ihren Gedanken. Alleine die Vorstellung, zu verbrennen löste in ihr Panik aus. Transylvanien. So lange wie Rikarda nun schon untot war, hatte sie viele Geschichten gehört über Vampire. Wie man sie vernichten konnte, was es doch für abscheuliche Wesen waren. Sie wollte am liebsten lauthals lachen, wenn sie in einer Gaststätte war und den Gruselgeschichten der Menschen lauschte. Kruzifixe, in der Tat hübsch anzusehen. Knoblauch, riecht nicht gut, aber es ist auch nichts, was sie sofort in die Flucht schlagen würde. Glaubten diese Menschen denn alles, was man ihnen weiß machen wollte? Nun, immerhin glaubten sie an Vampire, das taten sie zu Rikardas Zeit noch nicht. Sie selbst hatte nicht im Traum daran gedacht, jemals selbst einer zu sein. Es war Nacht. Die Vampirin betrat eine Gaststätte. Ganz in rot und schwarz gekleidet, mit ihrem leicht gewellten schwarzen Haar, das ihr sanft über die Schulter fiel, bemerkte man sie augenblicklich. Sie hatte das Gefühl, die Blicke dieser Leute würden sie fast schon aufspiesen. Und in der Tat fixierte man sie, prüfte man, ob von ihr eine Gefahr ausginge. Die Leute hatten Angst, man merkte ihnen ihre Anspannung an. War in diesem Ort etwas vorgefallen, was sie so in Angst und Schrecken versetze? Etwas das jeden der hier hereinkam zu einer Gefahr machte? In der hintersten Ecke der Gaststätte fand Rikarda eine ruhige und dunkle Sitzgelegenheit. Im Licht würde ihre helle und unnatürliche Haut zu sehr auffallen. Sie bestellte sich ein Glas Wein. Wenn man nichts trank und nichts aß, fiel das ebenso zu schnell auf. Die anderen Gäste mussten nicht gleich ahnen, das von ihr tatsächlich eine große Gefahr ausging. Es würde nur leider auch auffallen, das ihr Glas voll blieb und sich nicht leerte. Rikarda wartete ab, bis die anderen Gäste sie zusehends ignorierten, erst dann konnte sie ihr Täuschungsmanöver in die Tat umsetzen. Ausversehen fiel ihr ein Ring herunter. Sie beugte sich unter den Tisch um ihn aufzuheben und biss sich dabei ins Handgelenk. Nun musste es schnell gehen, bevor sich die Wunde wieder schloss. Ihre Hände glitten über das Glas, während sie ihren Ring wieder ansteckte, das Blut tropfte aus der Wunde direkt ins Glas. Ohne, dass es einem der anderen Gäste auffiel. Zugegeben, die unauffälligste Art war es nicht. Es war lediglich Täuschung. Ein Trick, den Rikarda in Schottland von einem älterem Vampir gelernt hatte. Setze dich in die dunkelste Ecke, warte bis keiner mehr Notiz von dir nimmt und dann kannst du fast schon tun und lassen was du willst. Man könnte sogar einem Menschen das Blut aussaugen, sie würden es alle nicht bemerken. Ist nicht jeder nur mit sich selbst beschäftigt? Und sollte es auch nur einen Augenzeugen geben, würde man ihm glauben? Einen Nachteil hatte es, wenn ein Vampir Wein mit Blut trank. Es hatte die gleiche Wirkung, die Alkohol allein auf Menschen ausübte. Wein ohne Blut, ungenießbar und bereitet nichts weiter als Übelkeit. Mit Blut vermischt allerdings stellte der Wein eine Köstlichkeit dar, ein süchtig machendes Gemisch, das selbst dem besten Vampir mit der Zeit die Sicht vernebelte. So erging es in dieser Nacht auch Rikarda. Immer wieder und wieder. Es schmeckte einfach zu gut. Und es machte Spaß, die anderen Gäste immer wieder und wieder zu täuschen. Sie merkten einfach nichts! Die Vampirin konnte den selben Täuschungsversuch die ganze Nacht durchführen. Wie erbärmlich und unfassbar naiv diese sterblichen Wesen doch waren, sie alle, die dort in der Schenke saßen, lachten, sauften und einfach nicht sahen, das sich mitten unter ihnen eine Mörderin befand. Rikarda hatte die Schenke mittlerweile verlassen und setzten ihren Weg nun weiter Richtung Norden fort. Mit nicht mehr ganz geradem Gang – nebenbei bemerkt. Es wurde Zeit, das sie einen Unterschlupf fand, wo sie sich nicht nur vor der Sonne verstecken, sondern auch ihren Rausch ausschlafen konnte. Nicht mehr lange, dann würde die Dämmerung eintreten, die Sonne langsam zu ihrer vollen Schönheit finden. Und sie würde diese verdammten Menschen glücklich machen! Warum nur? Warum durfte die Sonne sie nicht mehr glücklich machen? Leichte Verzweiflung machte der Vampirin zu schaffen, es waren so viele Jahre vergangen in denen sie keinen einzigen Sonnenstrahl sehen durfte, sehen konnte. Nur Dunkelheit. Der Mond spendete wenigstens ein bisschen Licht und ihre Augen waren der Dunkelheit angepasst. Dennoch, ihr Leben spielte sich nur noch in der Dunkelheit ab, wenn alle anderen schliefen. Weiter irrte Rikarda durch den tiefen Wald, die Dämmerung hatte begonnen. Konnte sie nicht doch die Sonne sehen? Sollte sie es ausprobieren? Ihre Gedanken schweiften zu dem Tag zurück, an dem Paolo sie zu dem gemacht hat, was sie heute ist. Wie die Sonne sie damals gequält hat. Wie sie in Panik verfallen war. Würde es dieses mal wieder so ausgehen? Oder würde sie dieses Mal verschont werden? Würde die Sonne sich ihr gnädig zeigen, und ihr, einer Mörderin, nur einen einzigen Tag gewähren? Einen einzigen, einen... „Bitte! So öffnet doch! Lasst mich rein! Ich habe Angst! Jemand ist hinter mir her! Ich werde verfolgt! Bitte! Öffnet!“, wild hämmerte Rikarda gegen das große Eingangstor. Sie mussten schon wach sein, die Leute, die in diesem Schloss wohnten. Wie konnte die Vampirin auch nur so dumm sein, zu glauben, sie konnte am Tage durch den Wald spazieren? Es war vorauszusehen, dass die Sonne das nicht duldete, und ihre Strahlen die Vampirin verfolgten, um sie zu vernichten. Einer Mörderin Gnade erweisen und ihr ein Geschenk machen? Das wäre eine Wohltat zu viel. Qualen. Schmerzen. Qualen. Panik. Schmerzen. Angst. Verzweiflung. Schmerzen. Das ist nicht fair? Was ist nicht fair? Du tötest, nur um zu Leben, das ist nicht fair! Verrückt... Graf Breda von Krolock, der Besitzer dieses Schlosses persönlich, schritt zum Eingangstor. Er hatte vor, den Eindringling und morgendlichen Ruhestörer eigenhändig fortzuschicken. Und sollte dieser Ruhestörer es wagen wiederzukommen, so würde er zu drastischen Mitteln greifen. Einfach unerhört, dieses Verhalten der Bauern! Er riss das Tor auf und sah in die panischen Augen einer jungen und attraktiven Frau. Was die Frau weniger attraktiv machte, waren die zerfetzte Kleidung und die Wunden, die sie trug.Obwohl das ihrer Schönheit eigentlich weniger Schadete. Scheinbar muss in ihrem kleinen Haus ein Feuer ausgebrochen sein, das sie so schlimm zurichtete. „Oh bitte! Helfen Sie mir!“, Rikarda sank gegen den starken männlichen Körper, krallte sich in der adeligen Kleidung des Mannes fest, um den Halt nicht zu verlieren, „ich weiß nicht, wo ich mich verstecken kann. Die Sonne, sie folgt mir, egal wohin ich auch gehe. Immer sind sie da, ihre Strahlen! Kein Schatten. Bitte! Haben Sie keine Angst vor mir. Ich bin ein böses Geschöpf der Nacht, aber ich tue ihnen nichts. Nur einen Tag! Ich flehe Sie an! Sperren Sie mich ein. Halten Sie nur bitte die Sonne von mir fern!“ Von Krolock wusste nicht, wie ihm geschieht. Sollte er der scheinbar Verrückten helfen? Die das Feuer in ihrem Haus wohl für die Sonne hielt. Oder, sagte sie die Wahrheit? Gab es kein Feuer, und die Sonne fügte ihr tatsächlich diese Qualen zu? Und was meint diese Frau mit 'ein Geschöpf der Nacht'? Das alles ergab für den Grafen keinen Sinn. Außer das diese Frau nicht ganz bei Sinnen war. Zudem auch noch sehr aufdringlich. Er löste ihren Griff aus seiner Kleidung und stütze die Frau stattdessen, indem er ihr unter die Arme griff. „Gut dann. Ich habe heute einen meiner guten Tage und helfe den Dorfbewohnern doch gerne. Einen Tag! Heute Abend, sowie die Sonne am Horizont verschwunden ist, verschwinden sie ebenso und gehen wieder zu ihrer Familie ins Dorf. Sie werden Sie sicher vermissen. Womöglich macht sich ihre Familie schon große Sorgen und vermutet sie unter den Trümmern ihres Hauses begraben...“ Trümmern? Haus? Familie? Rikarda verstand kein einziges Wort. Was faselte dieses gräfliche Wesen da? Oh, der Wein machte sich wieder bemerkbar. Nur leider verstand es das Gemisch von Blut und Wein nicht, Schmerzen zu lindern. Dennoch war Rikarda erleichtert. Sie hatte gewonnen. Und sie würde wieder gegen die Sonne gewinnen und irgendwann kann ihr die Sonne nichts mehr anhaben. „Hatte ich ihnen nicht ausdrücklich gesagt, sie verschwinden, sobald die Sonne nicht mehr zu sehen ist?! Gehen sie, gehen sie wieder zurück zu ihrer Familie!“, harschte Breda von Krolock die junge Frau an. Freundlichkeit und nette Worte waren lange nicht mehr die Stärken des Grafen. Er war zunehmend in sich gekehrt, seit seine Frau gestorben ist. Ach Dina, mit ihr wollte er eine Familie gründen. Und diese Verrückte hier, hatte sicher eine Familie, zu der sie unbedingt zurück gehen sollte. Familie, etwas so wichtiges in seinem Leben, sollte man nicht wegwerfen. Rikarda stand auf einem der vielen Gänge des Schlosses an einem Fenster, und sah nach draußen, als der Graf sie ansprach. Ihr Blick fiel dabei auf den Friedhof und so richtete sie eine Bitte an den Grafen, die ihr Leben und das von Krolocks entscheidend verändern sollte: „Graf von... ich habe keine Ahnung. Es ist mir bereits aufgefallen, das wir Vollmond haben. Meine Familie ist vor über 400 Jahren – ist es tatsächlich schon so lange her, man vergisst langsam die Jahre zu zählen – verstorben. Ich habe sie verschont, als in meinem Dorf der Tod herrschte, aber sie leben mit Sicherheit nicht mehr. Graf, ich möchte ehrlich zu ihnen sein, da Sie so freundlich waren mir Unterschlupf zu gewähren. Seit über 400 Jahren bin ich kein Mensch mehr, sondern ein 'Geschöpf der Nacht', ein Vampir. Und ich habe noch eine Bitte an Sie. Ihr Friedhof dort draußen, hinter dem Schloss. Ich möchte ihn.... bewohnen.“ „Ein Vampir?“ „Ja, das bin ich wohl.“ „Ihre Kleidung ist noch zerrissen, aber ihre Wunden...“ „Verheilt. Es geht alles sehr schnell.“ „Ein Vampir also?“ „Ja, das sagte ich doch bereits.“ „Wie ist ihr Name?“ „Rikarda... einfach nur Rikarda.“ „Graf von Krolock. Auf angenehme Nachbarschaft.“ Mit blutroten Tränen in den Augen und schmunzelnd, dachte Rikarda an damals zurück. Wenn das Gespräch damals wirklich so verlaufen wäre, wäre es wohl zu einfach gewesen. Aber eine doch lustige Vorstellung. Breda von Krolock freut sich über einen vampirischen Bewohner seines schlosseigenen Friedhofs. Nein, es war bei weitem nicht lustig. Es hatte sie viel Überredungsgeschick gekostet, und sie musste dem Grafen einige Versprechen geben. Letztendlich lebte sie nun schon einige hier, bewohnte den Friedhof und brachte ab und zu neue Vampire hierher, die den Friedhof ebenso bewohnten oder Rikarda auch mal nur besuchten, wie der alte Vampir aus Schottland. Raphael McDawson, nur vom vampirischen Alter alt, vom menschlichen Alter gesehen ein Jungspund. Warum nur hatte Breda seine Familie verlassen? Seinen kleinen Sohn? War Herbert nicht sein ein und alles? Rikarda ließ sich auf einer der Treppenstufen sinken und lehnte den Kopf gegen die Wand. Wie viele Jahre war Breda nun schon fort, irrte allein als Vampir durch die Weltgeschichte? Würde er jemals wiederkommen? Erneut so viele Fragen, die keiner zu beantworten vermag, außer Breda von Krolock selbst. Herbert von Krolock, ein fröhlicher, mittlerweile sechs Jahre alter Junge und der Sohn eines Grafen verbrachte die meiste Zeit seines bisherigen Lebens ohne seinen Vater. Dafür standen ihm Igor und die Vampirin zur Seite. Doch nichts kann einen Vater ersetzen, nichts kann die Familie ersetzen. Und auch wenn Herbert es nicht gerne zugab und lieber hinter der fröhlichen Miene verbarg, er vermisste seine Eltern schrecklich und fühlte sich doch mitunter einsam und allein. Der Grafensohn lief gerade die Treppe hoch, als er Rikarda auf der Treppe sitzend entdeckte, und setzte sich wenige Stufen so vor sie hin, das er ihr in die Augen sehen konnte und die blutroten Tränen bemerkte: „Rikarda, du blutest ja!“ Irgendwann würde auch Herbert die Wahrheit erfahren müssen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)