Seelenfänger von Drachenwind ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Der lebendige Wahnsinn dieser Welt, dachte Kim, liegt im Krieg. In diesem Kampf umtänzelten sich keine zwei misstrauischen Gegner, die versuchten mit Finten den anderen zum Fall zu bringen- sie kannten keine Technik, keine Eleganz. Dieser Kampf wurde allein von Verzweiflung, Furcht und Lethargie bestimmt. Der Wahnsinn hatte sie alle berührt und eingesogen in eine formlose Masse von Leibern, die sich gegeneinander drängten, blind nach Freund und Feind schlugen, deren Lärm fast schon beruhigender war als die Stille, die sich um manche verbissen Kämpfende gelegt hatte. Sie spürte wie der Staub sich in ihrer Kehle festsetzte und instinktiv würgte ihr Körper wegen des süßlichen Geruchs frischen Blutes. Mit schlafwandlerischer Sicherheit wich sie den Schwertern ihrer Gegner aus, parierte Stöße und ohne eine Empfindung zuzulassen, schwang sie ihre eigene Waffe gegen andere Zwerge. Dabei offenbart die oberirdische Welt mehr Schönheit, als ich jemals zu glauben bereit gewesen war. Ihre Gedanken schweiften umher, während sie alles in Zeitlupe beobachtete und ihre Magie sie durchströmte, sie jede Bewegung vorausahnen ließ. Sie war dankbar für ihre Gabe die Zeit zu verlangsamen, bis ihre Umgebung fast nur noch kroch und dankbar für den Drill ihres Vaters, der sie gelehrt hatte die Waffe zu führen und jede Empfindung auszublenden. Auch wenn sich die Tage scheinbar ins Unendliche zogen, spürte sie ihren entkräfteten Körper kaum. Während das Elend gegen ihr Bewusstsein brandete, schien ihr eine Barriere zwischen sich und der Welt. Der Sonnenuntergang, der alles in rotes Licht tauchte, war wirklich, aber nicht der verbitterte Kampf um sie herum. Disziplin ist eine der höchsten Tugenden der Induschiet, ob in der Magie oder all ihrem Schaffen und Streben. Mit der Geburt ist uns Verantwortung gegeben und auch wenn wir unser Lebenslicht vor Jahrhunderten hergaben, ruht immer noch die Macht in uns. Wir sind die Träger der magischen Möglichkeit unseres Volkes, die Seele der Tunnel. Stumm rezitierte sie die Worte ihres Vaters, versuchte das Gefühl von Ehrfurcht herauf zu beschwören, das sie einst empfunden hatte, aber es wollte nicht zu der wogenden Menge um sie passen, nicht zu dem Schrei, als sich ihr Schwert in den Körper ihres Gegenübers bohrte. Hattest du das für uns vorhergesehen Vater, als du uns unterwiesen hast? Aus den Augenwinkeln nahm sie eine unglaublich langsame Bewegung wahr und fast lässig reagierte sie darauf, gleichermaßen unendlich langsam. Hast du gewusst, dass wir die Tunnel würden verlassen müssen, um gegen andere Zwerge zu kämpfen? Brüder unseres Blutes? Sie sollte etwas empfinden, wenn sie an ihren Vater zurückdachte oder an die Tunnel. Wenn auch nur gedämpft sollte es doch einen Nachhall wecken, eine Erinnerung. Es sprach für ihre eigene Erschöpfung, dass sie nichts dergleichen verspürte. Weder die Sehnsucht nach den oberen Tunneln, der Heimat aus der man sie vertrieben hatte um das System zu versiegeln, noch den Gram über das ungewisse Schicksals ihres Vaters. Er war am Anfang des Krieges ausgezogen, als dieser Konflikt die Familien nicht mehr gekostet hatte als Väter und Söhne, die ins Ungewisse auszogen, entschlossen für ihr Volk und ihr Reich zu kämpfen. Kein einziger Zwerg aus seinem Regiment war jemals zurückgekehrt, noch gab es Nachricht über ihren Verbleib. Neben ihr ging ein Zwerg in die Knie, ein Schwert ragte aus seinem Leib. „Für die Freiheit…“ Der Schrei kippte ab und verlor sich im Krachen der aufeinander prallenden Schwerter. Kim sah, wie jemand einen Streich gegen sie führte, aber ihr Blick blieb auf dem Zwerg verhaftet, unfähig sich loszureißen. Kurz durchfuhr sie Zorn, so heiß und mächtig, dass er ihre Konzentration brach. Die Zeit entglitt ihrem Griff, ihre Umgebung warf sie schmerzhaft zurück in die Wirklichkeit. Die Reflexe ihrer Ausbildung retteten sie, als sie sich duckte und den scharfen Schmerz fühlte, der durch ihren Arm fuhr. Entsetzen drohte sie zu lähmen und diesmal benutzte sie ihren Zorn, um die Panik beiseite zu schieben. Zorn darüber, vertrieben worden zu sein und kämpfen zu müssen, Zorn, weil sie im Namen der Freiheit die oberen Tunnel zerstörten, Flüsse vergifteten, Familien auseinander rissen, Kinder zu Waisen machten und einander niederschlachteten. Zu müde um erneut die Zeit in ihre Gewalt zu bringen, zwang Kim ihre Muskeln zum Gehorsam, stellte sich ihrem Gegner. Sie konnte die Überraschung in den grauen Augen lesen. Ob über ihre Jugend oder die offensichtliche Ausbildung blieb ihr fern. Entschlossen führte sie eine Reihe von Angriffen, aber ihr Körper gehorchte ihr nicht in den gewohnten, geschmeidigen Bewegungen. Zu langsam und ungewandt, Schreie von Verwundeten und Sterbenden lenkten sie ab. Bewegungen knapp neben ihr ließen ihren Blick für Bruchteile eines Augenblicks zur Seite irren. Zynisch beobachtete sie, wie ihr Gegenüber nahezu lässig auswich und selbst Angriff führte. Kälte breitete sich in ihr aus, die Erkenntnis ihren Tod gefunden zu haben. Zwischen all den nur halb ausgebildeten Zwergen hatte sie einen Kampfgelehrten aufgespürt. Ungeschickt wich sie zurück und rutschte auf einer Blutlache aus. Sie warf sich zur Seite und das gegnerische Schwert streifte nur ihre Stirn. Noch während ihre linke Hand nach oben fuhr, um den Schnitt zuzuhalten, zog sie ihr Schwert nach oben. Krachend schlugen beiden Schwerter aufeinander und drohten sie zu Boden zu werfen. Ihre linke Hand fuhr zurück und sie stützte sich gegen einen leblosen Körper, der am Boden lag. Hektisch suchten ihre Finger nach Staub, den sie schleudern könnte, um ihren Gegner kurzzeitig zu blenden, während ihr eigenes Schwert immer weiter gegen ihren Körper gedrängt wurde. Mochte es die Angst sein oder etwas anderes, der Zwerg zögerte den tödlichen Schlag zu führen. Sie glaubte Bedauern in dem zerfruchten Gesicht lesen zu können, seine Augen schienen um Verzeihung zu bitten. Innerlich war Kim wie erstarrt, tastete mit Hand und Geist fahrig nach etwas, womit sie werfen könnte. Ein schriller Pfiff hallte über das Kampffeld. Kraftlos ließ sie sich zurücksinken, unternahm weder etwas gegen das Zittern in ihren Gliedern, noch hielt sie es weiterhin für nötig ihren Gegner anzusehen. Die Augen geschlossen versuchte sie einfach nur zu begreifen, dass sie nicht gestorben war und heute nicht mehr sterben würde. Sanft aber bestimmt umschloss der Ältere ihre Schulter und mühsam raffte sie sich auf, dankbar für die Hilfe und den Halt. Nah zusammen standen sie beide nebeneinander und gedachten der ewigen Finsternis, während die Sonne die Gipfel im Westen berührte. Stumm beendeten beide das kurze Gebet für die Nacht, dankbar den Schrecken des Tages für kurze Zeit hinter sich lassen zu können. Zu Ehren der ewigen Finsternis erhob kein Zwerg sein Schwert gegen einen Angehörigen seines Volkes, wenn die Sonne das Gebirge im Westen berührte und die Waffen schwiegen so lange, bis die Dämmerung am Morgen ihre Herrschaft über die Welt missmutig abtrat. Ein trügerischer Frieden. „Bist du nicht ein wenig zu jung, um bereits in den Krieg zu ziehen?“ Überrascht sah sie auf und musterte das abgewandte, ältere Gesicht. Im gewissen Sinne erinnerten die Züge sie an ihre Großmutter, ihre Lehrmeisterin unter den Induschiet. Es lag der gleiche zynische Wehmut in dem Blick. Sie war zu müde um zu antworten und wahrscheinlich erwartete er auch keine. Endlich wandte er den Kopf, um sie eindringlich zu mustern. „Aus dir könnte etwas werden, aber du kannst diesen Wahnsinn nicht überleben. Bleibe nicht länger hier, wende dich von diesen Narren ab.“ Sie sollte sich umsehen, sollte sich versichern, dass keiner das Gespräch bemerkte. Stattdessen sackten ihre Schultern nach vorn und sie betrachtete die Berge als Vorwand, nicht dem bittenden Blick begegnen zu müssen. Er würde sie töten müssen, nicht heute oder morgen, aber irgendwann, wenn sie weiter hier blieb und es war ihr, ihnen beiden, bewusst. „Ich kann nicht.“ Ihre Stimme war überraschend tief und klar. Kritisch musterte er die magere Gestalt, wusste das Hunger und Erschöpfung sie genauso quälten, wie fast alle Angehörige ihres Lagers, kannte den Gram, der ihre Gesichter zeichnete, den harten Ausdruck um Mund und Augen, die in den ausgemergelten Zügen noch gespenstischer wirkten. Sie konnte kaum mehr sein als ein entwachsenes Kind, aber die Entschlossenheit hinter ihren Worten war ebenso groß wie die Erschöpfung in ihrem Körper. „Könnte ich doch nur begreifen, was euch täglich hierher treibt, wer euch zwingt, kaum mehr als Kinder, zu Waffen zu greifen. Bei uns ist das anders.“ „Noch. Irgendwann werdet Ihr ebenfalls wählen müssen. Ich kann meine Familie nicht zurücklassen.“ Fast glaubte er, sie wolle sich dafür entschuldigen. „Borus. Du würdest bei uns nicht abgewiesen werden. Solltest du es dir anders überlegen, dann frage nach Borus.“ Kaum merklich neigte sie den Kopf, bevor der schrille Laut der Sammelpfeifen sie auseinander riss. Er sah der gebeugten Gestalt nach, wie sie auf das Schwert gestützt über die Verletzten und Toten stolperte. Kinder erschienen hinter den Hügeln, schwirrten über das Feld wie Fliegen. Borus musste seine Abscheu unterdrücken, während er sie beobachtete, wie sie neben den Toten niederknieten und ihre kundigen Finger nach Brauchbarem suchten. Eine zierliche Gestalt gesellte sich zu Kim und trottete langsam neben ihr her, als würde seine bloße Anwesenheit sie schon stützten. Ein Mädchen kniete neben jedem Gefallenen nieder und ihre Beharrlichkeit hatte etwas Beängstigendes. Als sie sich wieder erhob, hatte sie ein Schwert aufgenommen und schleppte sich nun mit der Waffe zu den Hügeln zurück, ohne sich noch einmal umzusehen. Ihre Haltung verriet nichts über den neuerlichen Verlust und Borus ahnte, dass er auch sie wieder sehen würde. Morgen unter den Toten. Die Totenklage wurde angestimmt, aber die Kinder ließen sich nicht vertreiben. Sie schwärmten weiter über das Feld, bestrebt etwas Brauchbares zu finden. Schaudernd wandte er sich ab. Er musste mit Juur sprechen. Diese Kinder hatten kaum noch etwas mit Zwergen gemein. Unter den Hügeln mochte sich das fünfte Fürstentum der Zwerge erstrecken, aber es war kaum mehr als ein ersterbendes Lied, das zitternd verklang. Irgendwann würden sie das Land überrennen, ein Land aus dem die Seele und der einstige Reichtum gewichen waren. Nichts mehr, um auch ihre Verluste auszugleichen, ihre Reihen wieder zu schließen und zu versorgen. Je schneller sie diesem Schrecken ein Ende brachten, umso mehr würden sie vielleicht retten können. Aber sein Herz war ihm schwer, während er zurücktrottete und den vorwurfsvollen Blicken der Toten auswich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)