Nächstenliebe von Lanaxylina ================================================================================ Kapitel 1: Nächstenliebe ------------------------ NÄCHSTENLIEBE Es war ein Morgen wie jeder andere: kalt, nass und total entmutigend. Und wäre das nicht Grund genug für meine unmöglich miese Stimmung, trug die Tatsache, dass heute eine Mathematikschularbeit anstand, noch dazu bei. Mit einem muffigen „Morgen“ stürmte ich an meiner Mutter vorbei, zur Tür hinaus – und sah gerade noch, wie der Schulbus um die Ecke verschwand. „So ein Mist!“, fluchte ich lauthals und stapfte mit grimmiger Miene los. In der Schule angekommen, hatte ich nur noch Zeit, mich auf meinen Platz zu schwindeln, schon begann der Professor die Aufgabenblätter zu verteilen. Nach der Stunde, die ich mit Ach und Krach überlebt hatte, fauchte ich meine beste Freundin an. „Wieso hast du nicht auf mich gewartet?“ „Reg dich ab!“, erwiderte sie beschwichtigend, zündete sich eine Zigarette an und begann seelenruhig zu rauchen. Das trieb meine Wut auf den Höhepunkt. „Lass das!“ Ich riss ihr den Stummel aus der Hand und zertrat ihn auf dem nassen Asphalt. „Sag mal, was ich heute bloß los mit dir?“, fragte sie genervt. „Erstens habe ich verschlafen und deswegen den Bus verpasst, zweitens hast du nicht auf mich gewartet und drittens weil ich nichts gelernt habe!, brüllte ich. Die ersten Schüler begannen sich nach mir umzudrehen, doch ich ignorierte sie völlig und ließ meiner Wut nun freien Lauf, bis mich meine Freundin mit kühler Stimme unterbrach: „Lass deine Wut an jemand anderem aus, ich kann nichts dafür.“ Die bösen Worte lagen mir auf der Zunge, doch ich hielt sie zurück, indem ich mich umdrehte und vom Schulgelände rannte. Weder die Schreie meiner Schulkameraden noch das Ertönen einer Hupe oder das Quietschen von Rädern nahm ich richtig wahr, sondern nur einen Ruck, der mich abrupt nach hinten zog. Im gleichen Moment verlohr mein Retter das Gleichgewicht, und ich sah meine Freundin an mir vorbei, direkt in den heranrasenden LKW stürzen. Mein Entsetzensschrei blieb mir im Halse stecken, ich stand nur da, und konnte nicht begreifen. Meine Erstarrung löste sich erst, als ich meine Freundin reglos auf der Straße liegen dah. Ich wollte zu ihr hin, doch jemand hielt mich zurück und einen ruhige Stimme sagte: „Lass sie, Sie ist tot!“ „Nein, sie ist nicht tot! Das... das ist doch nicht wahr...“ Mit einem Mal war die in mir aufgestaute Wut verschwunden, Trauer, Entsetzen und Hoffnungslosigkeit breiteten sich in mir aus. Ich begriff es nicht. Ich begreife es heute noch nicht, obwohl der Unfall nun schon über zwei Jahre her ist. Jede Woche fahre ich zum Friedhof und stehe lange von ihrem Grab meiner Freundin. Hier habe ich Zeit zum Nachdenken, Trauern und hoffen. Sie hat mir das Leben gerettet, und dadurch mit dem ihren dafür bezahlt. Und obwohl ich mich so unendlich schuldig fühle, weil sie meinentwegen gestorben ist, bewundere ich ihren Mut mich zu retten, obwohl ich Unrecht tat. So ungefähr muss Nächstenliebe aussehen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)