Als ich lächelte von Lichtsonett ================================================================================ Kapitel 5: Das Rieseln des Regens --------------------------------- Es war schließlich an einem Mittwoch, an dem mir eine Idee kam. Die Sonne versteckte sich hiner den dichten Wolken, die mit ihren abwechselnden grau-weiß Tönen ein bevorstehendes Unwetter andeuteten. Ich war gerade dabei, meine Arbeitskleidung abzulegen, als ich hörte, wie etwas aus der Hosentasche fiel. Ich blickte auf den Boden und entdeckte einen kleinen Eisenring, den ich beim Zusammenschrauben vergessen haben musste, und hob ihn auf. Er glitzerte mir entgegen, während ich ihn von allen Seiten betrachtete und dabei überlegte, wo ich ihn wohl vergessen haben musste festzumachen. Plötzlich hatte ich es. Nicht den Einfall, wo er mir entfallen war, sondern die Idee, wie ich Elena sagen sollte, was ich für sie empfand. „Ein Ring“, murmelte ich und blickte durch ihn hindurch. Nur wenige Stunden später schaute ich weiterhin durch, doch dabei handelte es sich um einen Ring, den ich mittlerweile in einem Kaufhaus gekauft hatte. Es war ein sehr schöner Ring: schmal mit Silber überzogen; obendrauf blitzte ein diamantenähnlicher Stein. Ich konnte es kaum erwarten, ihn ihr zu geben. Er würde ihr bestimmt gefallen. Als ich Elena an diesem Nachmittag die Tür öffnete, war jedoch etwas anders. Nicht nur, dass sie später als sonst gekommen war, sondern auch ihr Gesichtsausdruck war nicht mehr mit einem Lächeln verziert, er war ernst und düster geworden und selbst ihre Augen hatten nicht mehr dieses besondere Leuchten. Sie sah sehr blass aus. „Geht es dir nicht gut?“, fragte ich sie vorsichtig und strich ihr sanft über den Rücken. Sie antwortete nicht, entwand sich meiner Geste und schritt auf mein Bett zu, auf dem sie sich dann niederließ. Mit ausdruckslosen Augen starrte sie vor sich hin und schwieg. Ich ging langsam auf sie zu und setzte mich neben sie. Draußen war bereits der niederprasselnde Regen zu hören, der immer wieder von lautem Donnern unterbrochen wurde. „Ich...habe...keinen...Job mehr“, sagte sie plötzlich nach etlichen Minuten des Schweigens. Sofort drehte ich meinen Kopf zu ihr. „Du meinst...im Krankenhaus? Sie haben dir einfach so gekündigt? Aber wieso?“ Sie wandte ihr blasses Gesicht dem meinen zu und schien den Tränen nahe zu sein. Ihre Stimme zitterte, als sie antwortete: „Wieso? Weil ich vielleicht nicht gut genug war, weil sie vielleicht eine bessere für den Posten gefunden haben, weil die Kunden vielleicht nicht mehr mit mir zufrieden waren?!“ Kunden? Wieso sprach sie auf einmal von Kunden? Sie war doch Krankenschwester, da gab es Patienten, aber doch keine Kunden. Ich schaute sie verwirrt an. Wahrscheinlich hatte sie es selbst bemerkt, da sie im nächsten Moment ihre Hände auf den Mund schlug und die müden Augen weit aufriss. Ein erneutes Schweigen trat zwischen uns und dauerte länger als das vorherige. Viel länger. „Ach, was soll’s. Früher oder später kommt es ohnehin ans Licht...“, murmelte sie, mehr zu sich selbst als mir zugewandt. Dabei verfiel ihre Stimme in einen völlig neuen Unterton; etwas Bissiges und leicht Zorniges war aus ihr herauszuhören. So kannte ich Elena nicht. Wie kam es, dass sie sich in so kurzer Zeit so verändert haben konnte? War es nur der verlorenen Arbeit wegen? „Elena, was-?“, fing ich an und legte meine Hand auf ihre Schulter. „Fass mich ja nicht an!“, zischte sie auf einmal und schlug sie unsanft wieder weg. „Ich dulde es nicht, von jemandem berührt zu werden, der mein Leben zerstört hat!“ Ihre Augen funkelten mich böse an und zum ersten Mal spürte ich etwas aus ihr heraus, das mir bisher unvorstellbar erschienen war: Hass. Mein Leben zerstört hallte es wiederholte Male in meinem Kopf wider und mit jeder Wiederholung wurde ich mit einem weiteren Messerstich durchbohrt. Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch ich brachte keinen Ton heraus. „Ja, da glotzte, was?! Und rate mal, wer dieser jemand ist? Wie konnte ich nur so blöd sein und mich auf dich einlassen? Wieso musste ich dich damals überhaupt in der Kirche ansprechen? Es war wahrscheinlich das Mitleid, das ich empfand, als ich dich gesehen hatte; wie du dich so heruntergekommen und elend dort hingestellt hattest. So als hätte Gott dich mir geschickt, um mich von meinen sündigen Taten loszureißen. Meine Sünden, die ich jede Nacht, zu jeder Stunde, manchmal länger, manchmal kürzer, mit den unterschiedlichsten Männern beging und die ich mir jedesmal von der Seele beichtete. Aber ich war zufrieden mit meinem Leben gewesen und dachte, alles richtig zu machen. Doch wie es schien, war es Gott nicht gewesen und so hatte er dich mir geschickt! Seit ich mit dir zusammen war, konnte ich mich nicht mehr auf meine Arbeit konzentrieren. Ich war nicht mehr bei der Sache, meine Gedanken schweiften immer ab und immerzu waren sie bei dir. Und das war der Grund, weshalb ich gefeuert wurde, weshalb ich nun orientierungslos durch die Gegend irre, mit keinen Aussichten auf eine weitere Zukunft. Doch eines ist mir klar: Dass ich den Tag verfluche, an dem ich dich zum ersten Mal sah!“ Laut keuchend drehte sie ihren Kopf weg und starrte wütend vor sich hin. Sie hatte sehr laut geschrien und mit jedem Wort hatte sie einen Teil mehr in mir außer Kraft gesetzt, sodass ich am Ende wie eine einfache leblose Hülle dasaß. Ich spürte und hörte nichts mehr und auch meine Arme und Beine waren wie durch einen elektrischen Schock ausgeschaltet worden. Ich bemerkte nicht einmal, wie sie aufstand und mit laut zuschlagender Tür aus meinem Zimmer schritt. In meinen Augen herrschte totale Leere und in meinem Kopf überschlugen sich die Gedanken nahezu. Ich? Schuld daran, dass ihr Leben nun zerstört war? Aber warum? Was hatte ich nur verbrochen? Ich dachte, es sei alles in Ordnung gewesen. Ich dachte, ich machte alles richtig. Wir sahen uns, redeten, vergaßen die Zeit; dann ging sie zur Arbeit und-. Ihre Arbeit. Weshalb hatte sie mir nicht gesagt, dass sie eine Prostetuierte war? Dass sie jede Nacht mit wer weiß wievielen Männern schlief und erst am frühen Morgen nach Hause kam. Wieso hatte sie mich angelogen, indem sie mir sagte, dass sie eine Krankenschwester sei? War das etwa der Beweis dafür, dass sie mir nicht vertraute? Dass auch sie eine der Personen war, die ich nicht interessierte. Ich fülte mich schlecht. Schlecht und elendig. Ich hatte alles Erdenkliche auf mich genommen, um ihr zu gefallen, um sie in meiner Nähe zu haben und nun steltte sich heraus, dass ich dadurch nichts erreicht hatte, bis auf die Tatsache, dass ich ihre Zukunft zerstört hatte. Dafür wollte ich mich entschuldigen. Ich wollte sie nie wieder so zornig sehen, nie wieder schreien hören. Doch zunächst musste ich mich bei ihr entschuldigen. Ich musste ihr sagen, dass ich nie vorgehabt hatte, in ihr Leben einzugreifen. Ich erlangte plötzlich das Gefühl für meinen Körper zurück und regte mich. Dabei fiel mir der Ring aus der Hosentasche. Der Ring! Ich hatte doch vorgehabt, ihn ihr zu geben und nun hatte ich es wieder vergessen. Ein wenig verärgert über mich selbst hob ich den Ring vom Boden und mich langsam selbst aus meiner Position und ging zu meinem Schreibtisch rüber, auf dem ein Blatt Papier und ein ärmlich aussehender Bleistift lagen. Ursprünglich hatte ich vorgehabt, damit einen Hassbrief an mein Waisenhaus zu schreiben. Das war bereits fünf Jahre her. Doch als ich das leer weiße Blatt betrachtete, griff meine Hand wie von selbst nach dem Stift und schrieb: Ich hatte nie vorgehabt, dich traurig zu machen. Mein Wunsch war es, dich glücklich zu sehen und dein Lächeln immer in meiner Nähe zu haben. Um dir das zu beweisen, habe ich dir diesen Ring gekauft. Ich wollte dir damit sagen, dass ich dich liebe und dir meine Dankbarkeit zeigen. Doch nun habe ich begriffen, dass ich dir nur Leid und Schmerz gebracht habe. Du musst jedoch wissen, dass ich das nie gewollt habe. Es tut mir leid! Es waren nicht sonderlich viele Worte, die ich aus dem Unterbewusstsein heraus verfasst hatte, doch ich fand bei nochmaligem Lesen alle wesentlichen Dinge erwähnt. Mehr gab es nicht zu sagen. Den Ring legte ich obendrauf und faltete den Brief schließlich zusammen. Dann wandt ich mich um und ging in Richtung Tür, denn vielleicht konnte ich Elena noch erwischen, als auf einmal ein sehr lautes Donnern hinter mir ertönte. Ich blieb sofort stehen. „Seit ich mit dir zusammen war, konnte ich mich nicht mehr auf meine Arbeit konzentrieren. Ich war nicht mehr bei der Sache, meine Gedanken schweiften immer ab und immerzu waren sie bei dir. Und das war der Grund, weshalb ich gefeuert wurde, weshalb ich nun orientierungslos durch die Gegend irre, mit keinen Aussichten auf eine weitere Zukunft. Doch eines ist mir klar: Dass ich den Tag verfluche, an dem ich dich zum ersten Mal sah!“ Elenas Worte waren mit dem Donnern gekommen und drangen unverzüglich in meinen Kopf. Wieder spürte ich Tausende von Stichen von Tausenden von Messern in meinem Herzen. Wieder war ich nicht in der Lage, mich zu bewegen, zu hören oder zu etwas zu sehen. Ein sanft klingender Ton war es, der mich aus meiner erneuten Trance holte. Ich lauschte aufmerksam und entdeckte, dass er vom Fenster her gekommen war. Von draußen also. Mit leisen Schritten lief ich darauf zu und öffnete es. Es war das Rieseln des Regens. Ein wunderbarer Ton, der mit seiner Zärtlichkeit sogar das gröllende Donnern vertrieben hatte. Ich streckte meinen Arm aus, so als ob ich die Melodie einfangen wollte, die meine Ohren beseelte. „Kannst du mich aus meiner Trauer holen?“, rief ich. Es kam keine Antwort. „Kannst du mich aus meiner Trauer holen?!“, wiederholte ich ein wenig lauter. Wieder kam nichts zurück. „Kannst du mein Leben verändern?“ „Jaah, dein Leben verändern...“, rauschte es plötzlich. Ich wollte mein Leben ändern, doch zunächst einmal musste ich herausfinden, durch wen dies geschehen sollte. Ich streckte meinen Arm noch weiter aus- irgendwann würde schon jemand danach greifen, das wusste ich. Ich spürte auf einmal eine gewisse Leichtigkeit in mir. Alle meine Sorgen waren mit einem Schlag verschwunden, ich musste nur noch näher an den mysteriösen Ton herankommen, dann wäre alles anders. Dann wäre mein Leben verändert. Und ich kam ihm auch näher, das spürte ich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)