Sinnlose Versprechen von Pansy ================================================================================ Kapitel 12: - 12 - ------------------ - 12 – Unzufrieden lehnte sich Jason auf dem Schreibtischstuhl zurück. Zwei Tage waren seit Lance’ Eingreifen in sein politisches Dasein vergangen, doch seit diesem hatte sich eigentlich nichts verändert. Noch immer herrschte enorme Kühle und Überheblichkeit in dem Verhalten des Schwarzhaarigen vor. Und noch immer begegneten sie sich distanziert und gleichzeitig so heißhungrig auf Berührungen und intimere Handlungen. Nachdem Lance die Reporter erfolgreich abgelenkt hatte, war er zu Jason in die Wohnung getreten und hatte sogleich einen Arzt gerufen. Doch die Zeit, bis ihr Hausarzt erschienen war, war schier unerträglich gewesen. Jason hatte immer noch vor Schmerzen und Fassungslosigkeit auf dem Boden gekauert, während Lance sich ins Wohnzimmer zurückgezogen hatte, um ihn nicht mehr eines Blickes zu würdigen. Minuten voller Anspannung, bedrückendem Schweigen und beißender Stille waren vergangen und erst das Ertönen der Klingel hatte sie beide erlöst. Dem Blonden war mitgeteilt worden, dass zwei Rippen lediglich geprellt waren – keine Brüche, keine anderweitigen schwerwiegenderen Verletzungen, zumindest laut der Diagnose, die Doktor Jensworth bei einem Hausbesuch stellen konnte. Jason hatte versucht, seinen Zustand – und er hatte in der Tat sehr mitgenommen ausgesehen! - mit einem unglücklichen Sturz von der Treppe zu rechtfertigen, doch ein schiefes Lächeln seitens des Arztes hatte ihn die Wahrheit, eher eine Halbwahrheit erzählen lassen. Daraufhin hatte er nicht mehr als einen vernichtenden Blick geerntet, aber trotzdem ein verständnisvolles Nicken. Die Nachricht, dass Father Dest sein Vater gewesen sein sollte, hatte vermutlich auch Doktor Jensworth erreicht. Aber Jasons Wissen nach war der Arzt noch nie ein Mann großer Worte gewesen oder gar ein Verfechter von Klatsch und Tratsch. Wenn etwas von seiner Prügelei in der Zeitung aufgetaucht wäre, dann sicherlich nicht durch Jensworth veranlasst, nicht zuletzt aufgrund der ärztlichen Schweigepflicht. Aber nun, 48 Stunden und zwei Tageszeitungen später, zerriss man sich zwar immer noch den Mund über Jason, doch weder Jeremy noch seine Gang waren auch nur mit einem Wort erwähnt worden. „Feiglinge“, grinste Jason bitter und bettete seinen Kopf auf die Stuhllehne. Die Gang schien zurecht eine Anzeige zu befürchten, falls sie mit ihrer eingebildeten Heldentat zur Presse gehen sollten. Körperverletzung war kein leichtes Vergehen und Jeremy und seine Konsorten waren allesamt strafmündig. Dessen waren sie sich immerhin bewusst, wenngleich ihr IQ nach Jasons Dafürhalten ansonsten mächtige Einbußen aufwies. Holly hatte die Bande bei ihrem ersten Clou verteidigt, doch ob sie das dieses Mal wieder tun würde, wusste Jason nicht. Seit sie zwei Tage zuvor fluchtartig die Wohnung verlassen hatte, hatte er nichts mehr von ihr gehört. Er selbst hatte sich aber auch nicht bei ihr gemeldet, denn sein Ärger, dass sie seinem Vater allerhand zutraute, war immer noch nicht nennenswert verblichen. Kelvin Sartaren alias Father Dest, dass er nicht lachte. Solch ein Wahnwitz konnte einfach nicht der Realität entsprechen. Gerade weil er ein gutes Verhältnis zu seinem Vater innegehabt hatte, hätte er doch irgendwelche Hinweise auf solch eine absurde Identität erkennen müssen, auch wenn er nichts von der Existenz Father Dests gewusst hatte. Seufzend fuhr sich Jason durchs dichte Haar und fokussierte eines der Fotos in der hinteren Ecke des Schreibtischs. Kelvin war ein großer, schlanker Mann gewesen mit demselben blonden Haar und einem stets bekümmerten Ausdruck in den hellblauen Augen. So weit sich Jason zurückerinnern konnte, hatte sein Vater niemals vollkommen glücklich gewirkt. Das war ihm bis dato überhaupt nicht gewahr gewesen, wodurch sich seine Unzufriedenheit nur intensivierte. Vielleicht hätte er nicht auswärts ins Berufsleben einsteigen sollen… Doch was-wäre-wenn-Spielchen brachten ihm jetzt auch nichts. Die Vergangenheit konnte er nicht ändern, egal wie groß ein solcher Wunsch auch jemals sein mochte. Die Gegenwart war schon belastend genug, um Vorwürfe vergangener Tage getrost verdrängen zu können. Seinen Zielen, Bürgermeister von Asht-Zero zu werden, war er noch kein Stück näher gekommen. Vielmehr entfernte er sich immer weiter seinen Wünschen, insbesondere dem einen, etwas aus eigenem Antrieb bewegen zu können. Und damit meinte er gewiss nicht das Aufhetzen der ganzen Medien samt Bevölkerung gegen sich! Seit seinem letzten unbedachten ’Ausbruch’ war er nicht mehr unter Menschen gewesen, von Lance einmal abgesehen. Doch der Wortwechsel, den er mit seinem Freund pflegte, beschränkte sich auf ein Minimum. Trotz Lance’ besorgtes – und Jason hoffte inständig, dass er es gar aus Liebe getan hatte – Beistehen hatten sie keine Fortschritte gemacht. Ihre Beziehung bestand aus Ignoranz, spärlichen Berührungen und einer unterkühlten Atmosphäre. Doch sobald sich ihre Münder einmal trafen, herrschte für eine kurze Zeitspanne vollkommene Leidenschaft und Begierde vor. Dermaßen grotesk und das einzige, was ihnen von den letzten Monaten ihres Zusammenlebens geblieben war. und das brachte Jason schier zum Verzweifeln. Es reichte anscheinend nicht, dass sein Leben bis auf die Grundmauern zerstört zu sein schien, auch in Sachen Liebesleben sah er keine Zukunftsperspektive. Da es der Blonde auf dem Stuhl mit Blick auf seinen Vater nicht mehr aushielt, stand er auf und vertrat sich die Beine. Sein Versuch, eine neue Rede – er wollte und konnte einfach nicht vollkommen resignieren – zu schreiben, war ebenso kläglich gescheitert wie sein Versuch an diesem Morgen, Lance dazu zu bewegen, ihm zu sagen, warum er ihm mit einem Mal geholfen, wo er dies doch immer strikt verweigert hatte. ‚Was würden Sie davon halten, wenn Ihr Leben und Ihre Familie plötzlich zerstört werden würde?’, war der einzige Satz, der auf dem weißen Papier stand, das eigentlich voll geschrieben hätte sein müssen. Mehr als dieser bloße Zettel und den Fotos an seinem Ende schmückte den Schreibtisch nicht, an dem der Blondschopf bis eben noch gesessen hatte. Kahles, nacktes Braun stierte ihm entgegen und seine Augen wanderten dennoch immer wieder zu ihm hin. Jason war einfach nicht imstande, seinen Verstand wie einen Computer zu resetten und die Gefühle und Gedanken, die in ihm hausten, ruhen zu lassen. In seinem Zustand konnte er alles Geschehene nicht einfach vergessen. Zu viel war passiert, was er wieder gerade rücken musste. Während er am Fenster Halt machte und einen Blick gen makellos blauen Himmel warf, griff er nach seinem Handy in seiner Jeanstasche und hielt es sich alsbald vor die Augen. Er wusste nicht recht, ob er Holly wirklich dazu nötigen sollte, ihm ihre Theorien seinen Vater betreffend ausführlicher zu erläutern. Endlose Augenblicke starrte er auf das Telefon, letztendlich obsiegte aber sein Wille, nicht länger tatenlos die Welt sich drehen zu lassen und ihn mit durchsichtigen Fäden einzuspinnen, denen er nicht mehr entrinnen konnte. Und ehe er sich doch noch mal umentscheiden konnte, erklang die Stimme der Brünetten: „Hi Jason!“, kam es leise aus der Leitung. Ob der Unerfreutheit, die ihre Stimme begleitete, verkrallte er die Finger seiner Rechten in den Stoff des Vorhangs, der zu beiden Seiten des Fensters durch ein Band fixiert war. das Hellblau grub er fest zwischen Fleisch und Fingernägel. „Hi Holly“, erwiderte er ebenso leise. Bedächtig senkte er die Lider und versuchte sich auf ihr gleichmäßiges Atmen zu konzentrieren. „Ich weiß, du hegst nicht das Bedürfnis, mit mir zu reden, geschweige denn über Father Dest, aber bitte lege nicht gleich auf, ja?“ „Jason, bitte…“ „Nein!“, hakte er sofort ein. „Ich muss einfach erfahren, wie du auf die Idee kommst, dass mein Vater dieser Verbrecher ist. Dieses Halbwissen bringt mich noch um den Verstand!“ Ein Ächzen, dann ein kläglicher Laut, der verdächtig nach einem „Okay“ klang. „Ich werde draußen nicht so gern gesehen“, gab Jason zu verstehen und deutete ihr damit indirekt an, dass sie zu ihm kommen solle. Er verlangte viel von ihr und das ohne jedwede Gegenleistung, aber er musste einfach darauf beharren. Wenn er nicht bald etwas unternahm, würde er sang- und klanglos in die Tiefe stürzen, dorthin, wo ihn weiteres züngelndes Feuer begrüßen würde, aus dem er sich nie wieder emporheben könnte. Er würde schlichtweg verrückt werden. Und das galt es zu verhindern, solange er dazu noch in der Lage war, obgleich er dabei auf die Hilfe seiner Freunde angewiesen war. Freunde… Hoffentlich durfte er Holly, Eddy und auch Lance noch als solche betiteln. Schließlich war er es, der alles aufs Spiel setzte. Plötzlich befiel seinen Körper eine Schwere, die ihn die Schmerzen, die er sich gerade an der Hand zufügte, kaum verspüren ließ. Holly ließ auf ihre Antwort lange warten. „Ich bin in einer Stunde da“, meinte sie aber irgendwann resigniert. „Bis dann“, legte Jason auf. Kein Wort des Dankes. Irgendwie vermochte er nicht zu sagen, ob er wirklich welchen empfand. Zu ungewiss war das, was Holly ihm sagen würde. Nach und nach lösten sich seine Finger aus dem Vorhang und strichen diesen tranceartig glatt. Sein Blick schweifte gen Horizont, der sich allmählich rötlich färbte. Als er eine unerwartete Wärme wahrnahm, die ihn umschloss, schluckte er kräftig. So lethargisch hatte er nie werden wollen und zum ersten Mal begriff er, was sich in den Augen seines Vaters die Jahre über widergespiegelt haben musste. Jason griff nach den Armen um seine Taille und deutete ihnen an, ihn fester zu umschlingen. In diesem Moment grübelte er einmal nicht darüber nach, warum Lance gerade jetzt aufgetaucht war, um seine Nähe zu suchen, vielmehr zu geben. Vielleicht… „… bist du vollkommen…“ unschuldig. Das wollte Jason tief in seinem Inneren glauben, aber er konnte es dennoch nicht. „Mh?“, raunte Lance in seinem Nacken. Langsam schob Jason die Arme des Schwarzhaarigen wieder auseinander, drehte sich zu ihm um und hauchte ihm einen Kuss auf den Hals knapp unterhalb seines Ohrs. Wortlos ließ er daraufhin seinen Freund stehen und zog es vor, im Wohnzimmer auf Holly zu warten, deren Erscheinen er nun doch ernsthaft entgegensehnte. Ihre Partnerschaft war so verfahren, sein Leben nahe dem Abgrund und sein Verstand auf Abwegen. Er begriff selbst nicht, warum er Lance eben abgewiesen hatte. Selbst sehnte er sich genauso nach Zärtlichkeiten, nach starken Armen, die ihm vor allem eines gaben: Halt. Doch zum einen kam er sich so verdammt abhängig vor, zum anderen stand noch das plötzliche Auftauchen von Tyrone von Zundersby im Raum, und beides würde Lance in seinem Tun nur bestärken. Fahrig raufte sich Jason die Haare und presste sich ins Sofa, auf dem er sich niedergelassen hatte. Er war dabei, seine ganze Selbstachtung einzubüßen, seinen Stolz, mit dem er vor kurzem noch durch Asht-Zero gelaufen war. Seine Überzeugung, mit der er Bürgermeister hatte werden und dadurch die Bevölkerung zu einem besseren Leben führen wollen. Doch was hatte er bisher erreicht? – Außer Schande, die er über seine gesamte Familie gebracht hatte, nichts! Es war eindeutig an der Zeit, dass Holly auftauchte und ihm zumindest etwas aus der Melancholie half, in die er gewiss nicht hatte manövriert werden wollen. Und dabei hatte er das im Endeffekt auch noch eigens zu verantworten. Hätte er nicht die törichte Idee verfolgt, im öffentlichen Leben mitmischen zu wollen, wäre es nie so weit gekommen. Augenrollend lehnte er seinen Kopf zurück auf die Lehne. Er war doch schon wieder drauf und dran, die Vergangenheit in Frage zu stellen. Aber das Geschehene blieb nun mal unverändert, einerlei wie oft er es anzweifelte. Als es läutete, lösten sich Jasons Hände endlich aus seinen Haaren. Dass er knapp eine Stunde damit zugebracht hatte, sich selbst zu bemitleiden, verdrängte er geflissentlich und ging festen Schrittes zur Tür, um Holly aufrecht zu begegnen. Als er ihr weiches Gesicht erblickte, begann er zu lächeln. Es war wirklich sonderbar. Eine Frau konnte durch ihr bloßes Erscheinen sein Herz erleichtern, das in seinem Schlag merklich an Tempo zunahm. Er freute sich aufrichtig, die Brünette zu sehen. „Dankeschön“, begrüßte er sie und nun verspürte er tatsächlich Dank in seinem Inneren. Eine nette Geste konnte meist genügen, um den Druck zu schwächen, der auf einem lastete. Selbst wenn man dies meist nicht für möglich hielt. „Darf ich reinkommen?“, hob sie eine Braue an. „Oh…“ Er hatte gar nicht bemerkt, dass er ihr den Weg versperrte. „Natürlich“, meinte er und trat zur Seite. „Dass du es auch immer schaffen musst, mich zu ungewollten Taten zu überreden“, grollte sie, während sie höflicherweise ihre Schuhe abstreifte. „Hätte ich gleich gestreikt, müsste ich jetzt nicht hier sein, um dir mehr über meine in deinen Augen völlig abwegigen Theorien zu er…“ „Stopp mal!“, unterbrach Jason sie abrupt und drehte sie sanft an der Schulter, so dass er ihr in die Augen sehen konnte. „Du machst dir aber nicht ernsthaft Vorwürfe!?“ Bekümmert erwiderte sie kurz den Blick, senkte aber dann die Lider und drehte ihr Haupt zur Seite. „Und wenn schon“, murmelte sie. „Ich hätte dir das mit der vorgezogenen öffentlichen Präsenz sofort aus dem Kopf hämmern sollen“, fuhr sie laut fort. „Da stimme ich zu.“ Die Bejahung war nicht aus Jasons Mund gedrungen. Mit einer zynischen Bemerkung auf den Lippen sah er zu Lance, der am Türrahmen zum Schlafzimmer lehnte. Doch Jason zog es im letzten Moment vor, diese seinem Freund nicht an den Kopf zu knallen, denn der Schwarzhaarige wirkte ausnahmsweise nicht gänzlich selbstherrlich. „Sie hat sich nicht falsch verhalten“, entgegnete er stattdessen völlig beherrscht. „Doch, habe ich. Und lass es bitte endlich gut sein, Jason. Lance hat Recht und Ende!“ Bestimmt funkelte sie ihn an und schob ihn gen Wohnzimmer. Das belustigte Lächeln seitens Lance’ entging dem Blonden nicht, wofür er ihm einen bösen Blick zuwarf. Er hätte gerne noch einen vernichtenden Satz hinzugefügt, doch da wurde bereits die Tür vor seiner Nase zugeschlagen. „Eure Beziehung ist eh momentan nicht die stabilste, also widerspreche ihm nicht immer. Du kannst aber auch wirklich ein sturer Bock sein!“, fuhr Holly ihn beherzt an. Jasons Kiefer sackte herunter. Und zu allem Überfluss musste er ihrer Aussage einen wahren Kern zusprechen. „Danke für die Blumen“, meinte er gepresst. „Bitte, gern geschehen“, grinste sie nun und legte eine Hand auf seinen bandagierten Brustkorb, übte leichten Druck aus und leitete ihn ins Zimmerinnere. Als er beinahe über den Teppich, der unter dem Glastisch vor der Couch stand, gefallen wäre, dirigierte er fortan selbständig, wohin er lief. Mit einem lauten Seufzen ließ er sich auf dem bequemen Mobiliar nieder und visierte die Brünette an, die anscheinend nicht die Absicht hatte, sich ebenfalls zu setzen. Stattdessen vergrub sie ihre Hände in den Hosentaschen und wippte mit ihrem rechten Fuß, dabei seinen Blick unentwegt erwidernd. „Was möchtest du?“, fragte sie, als sie befand, dass die Stille, die sich zwischen ihnen aufgetan hatte, lange genug gewährt hatte. „Das weißt du“, antwortete der Blondschopf selbstsicher. „Das meine ich nicht“, kam es sofort zurück. „Möchtest du immer noch Bürgermeister werden, egal wie aussichtslos dieses Vorhaben nun ist?“, fuhr sie fort. „Hast du vor, dich allem und jedem zu stellen, um weiterhin an deinen Zielen festzuhalten? Gehst du bereitwillig weitere Risiken ein, selbst wenn sich Dinge ereignen, die du nicht auf der Rechnung hattest?“ Nach einer Sekunde des Zauderns kam bestimmt zurück: „Wenn ich jetzt alles hinschmeiße, gebe ich mich selbst auf.“ Sie nickte. „Das habe ich mir gedacht.“ Nun nahm sie ihm gegenüber doch Platz und bettete ihre Arme auf ihre Beine. „Da du dich entschieden hast, ist es an der Zeit für meinen grandiosen Höhepunkt, der ursprünglich für letzten Samstag anberaumt war.“ Jasons Brauen hoben sich und ein erstmalig zuversichtliches Glimmen überzog das Rehbraun seiner Iriden. „Bevor ich das jedoch in die Wege leite“, fügte sie an, „sollte ich dir mehr über Father Dest erzählen. Vielleicht hältst du es dann nicht mehr für einen Affront, dass ich diese Identität deinem Vater zuschreibe.“ Das Licht, das durch die beiden großen Fenster fiel, wurde von Minute zu Minute schwächer und legte Jasons Gesicht in Schatten. Der Glastisch, der ihn von Holly trennte, reflektierte die letzten Sonnenstrahlen des Tages, die sich auf ihm spiegelten. Obgleich der Raum recht warm war, jagte ein kalter Schauer Jasons Rücken hinab, der eine feine Gänsehaut auf seinem Körper hervorrief. Von der Bandage, die er unter seinem T-Shirt um den Oberkörper trug, glaubte er, sie enge ihn ein, weshalb er mit beiden Händen an ihr herumzupfte. „Ich bin bereit“, meinte er dann gedämpft. „Was würdest du tun, wenn du ein Zeichen setzen wolltest?“, fragte Holly geradewegs heraus und sah ihn auffordernd an. „Ich würde mir eine Möglichkeit suchen, wie ich die Aufmerksamkeit aller errege“, erwiderte Jason unvermittelt. „Nur sollte man darauf Acht geben, dass man diese nicht durch eine Kurzschlussreaktion bekommt“, fügte er mit einem bitteren Gesichtsausdruck hinzu. Diese Erfahrung wollte er gewiss kein zweites Mal machen. „Welche Möglichkeiten ziehst du in Betracht, wenn sich dir nicht die Chance wie zum Beispiel dir, Bürgermeister zu werden, bieten würde?“, fuhr Holly unbeirrt fort. „Dann würde ich abwarten.“ „Ach ja?“, zweifelte sie, woraufhin Jason entschuldigend lächelte. „Naja“, erklärte er sich. „Manchmal reißt einem eben die Geduld.“ „Und was ist, wenn du befürchtest, die Zeit laufe dir davon?“ Jason kehrte eine kleine Ewigkeit in sich. „Dann würde ich“, meinte er entschieden, „alles auf eine Karte setzen.“ Mit einem seltsamen Funkeln in den Augen suchte er ihren Blick auf. „Würdest du dabei alle Vorsicht außen vor lassen?“ „Mhhh… danke für den Wink mit dem Zaunpfahl“, ächzte er. „Aber falls ich keinen anderen Weg sehen würde“, meinte er weiter, „würde ich zumindest so achtsam vorgehen, dass ich möglichst viel erreiche. Auch wenn ich das zu spät erkannt habe.“ „Ganz recht“, nickte Holly und verstumme. Er deutete mit einer Hand an, dass sie fortfahren solle. „Ich habe die letzten Tage dazu genutzt, um ein paar Nachforschungen anzustellen. Und mein Verdacht hat sich im Grunde bestätigt.“ „Mein Vater?“, entkam es Jason brüsk. Abwehrend hob sie die Hände. „Zunächst ein anderer“, wehrte sie ab. „Father Dests Mahnungen haben in gut neunzig Prozent der Fälle nur Menschen erhalten, die entweder politisch aktiv oder vorbestraft waren, oder aber denen anderweitige Missstände zu Eigen waren.“ „Die wären?“, hakte Jason nach. „Alkoholismus, Drogenabhängigkeit, der Hang zur Brutalität,… Natürlich wurde das nicht wirklich erwähnt, aber eine Stadt kann gar nicht groß genug sein, dass man so was nicht in Erfahrung brächte“, lächelte sie schwach. „Da spricht die Journalistin in dir“, kommentierte der Blonde nun ebenfalls grinsend. „Manchmal ist sie richtig nützlich“, lachte Holly kurz auf. „Jedenfalls“, wurde sie wieder ernst, „handelte es sich bei Father Dests Opfern fast ausschließlich um Kriminelle im entferntesten Sinne.“ „Willst du damit andeuten, dass dieser Mann aus einer Art Gerechtigkeitssinn heraus gehandelt hat?“ „In gewisser Weise ja“, antwortete sie. „Zwar darf man seine Taten nicht verherrlichen, aber er hat eine zielgerade Strategie verfolgt: Denjenigen zu schaden, die anderen Schaden zufügen.“ „Aber als Held muss ich ihn nicht bezeichnen!?“, seufzte der Blondschopf. „Kommt darauf an, wie du deinen Vater siehst“, gab Holly unverhohlen, aber ehrlich zurück. „Wie kannst du diesen Tyrone von Zundersby eigentlich in seinen Anschuldigungen bestätigen?“, herrschte er sie an. Bisher hatte er immer noch keine beweiskräftigen Indizien erkannt. Und dass Kelvin irgendwelche geplanten Anschläge verübt haben soll, ob aus vermeintlich redlichen Absichten heraus oder nicht, lehnte er partout ab. „Zumindest kannst du nicht abstreiten, dass er alleine war und immer eine spöttische Bemerkung auf den Lippen hatte, oder doch? Jason, ich habe ihn auch gekannt, nicht so gut wie du, das steht fest, aber immerhin gut genug, um behaupten zu können, dass er nicht der glücklichste Mensch gewesen war.“ Hatte das Jason nicht auch erkannt? Betrübt strich er mit einer Hand über seinen Oberkörper, über die geprellten Rippen hinweg, die Zeugnis seiner Unbedachtheit waren. Konnte es denn möglich sein, dass sein Vater ähnliche Ziele wie er gehabt hatte, sie nur auf eine andere Weise realisiert hatte? Er sah Holly zu, wie sie zum Lichtschalter ging und ihn betätigte. Das aufflammende Licht der Halogenlampen war grell und ließ ihn zwinkern. Die Sonne war bisweilen untergegangen und hatte nichts weiter als eine graue Welt hinterlassen, die anscheinend Geheimnisse barg, die man manchmal besser nicht lüftete. „Kannst du bitte ausführlicher werden?“, flehte Jason regelrecht, was der Brünetten nicht entging. Sie ließ sich nun direkt neben ihm nieder und suchte seinen Blick auf, um diesen im Folgenden festzuhalten und ihn somit von ihrer Ehrlichkeit zu überzeugen. „Mir ist nie entgangen, wie verbissen er dich erzogen hat“, setzte sie an. „In den letzten Monaten vor seinem Tod, als du bereits wieder in der Stadt warst, habe ich die eine oder andere Situation mitbekommen, in der er dich gewisse Dinge lehren wollte. Dabei war es ihm egal, dass du bereits erwachsen warst. Vielmehr wollte er dir noch bestimmte Lebenseinstellungen mit auf den Weg geben…“ Sie sog die Luft tief und stieß sie langsam wieder aus. „Auch ich habe ihn gemocht“, kam es leise aus ihrem Mund. Plötzlich unterbrach Jason den Augenkontakt und wandte sich ab. In seinem Kopf hämmerten die Bilder, die sich darin auftaten. Erinnerungen, die in diesem Moment einfach nur schmerzten. Es dauerte eine ganze Weile, ehe er sich wieder gefasst hatte. „Er meinte immer“, sagte er erstickt, „er wolle mich aufs Leben vorbereiten. Nur habe ich versagt.“ Es war wirklich nicht leicht, jetzt noch beherrscht zu sein. So viele verwirrende Gefühle auf einmal hatte er noch nie durchlebt. Und er war auch gewiss nicht erpicht auf sie. „Das steht noch gar nicht fest“, wollte Holly ihn beruhigen. Das hätte nicht funktioniert, wenn da nicht dieses verräterische Glimmen in dem matten Grau-Grün gewesen wäre. „Ich weiß, ich habe noch keine stichhaltigen Beweise vorgebracht, dass dein Vater und Father Dest ein- und dieselbe Person sind, aber ich halte das für sehr wahrscheinlich. Denn ich habe herausgefunden“, fuhr sie mit großem Unbehagen fort „dass Tyrone von“, betonte sie verächtlich, „Zundersby wirklich der ist, für den er sich ausgegeben hatte. Und seinen eigenen Rufmord hätte er gewiss nicht veranlasst. Das heißt,…“ „… dass er keine Lügen verbreitet hat“, ergänzte Jason unwillig. Ein undefinierbares Schnauben entfuhr ihm, während er sich durch die Haare fahrend aufstand. „Das muss ich erst einmal verdauen“, meinte er und entschuldigte sich. Er lief geradewegs in die Küche, um sich irgendwas Betäubendes zu suchen. Dabei traf er auf Lance, der mit einem Glas Cola am Küchenschrank lehnend dastand und ihn musterte. Jason sagte nichts, sondern nahm seinem Freund das Glas aus der Hand, leerte es in einem Zug und presste anschließend seine Lippen auf das andere Paar. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)