Sinnlose Versprechen von Pansy ================================================================================ Kapitel 6: - 6 - ---------------- - 6 - Wie Jason feststellen musste, verging die Zeit wie im Flug. Tagsüber arbeitete er, an den Abenden saß er im Büro und feilte immer mal wieder an seiner Rede oder dachte darüber nach, wie er noch mehr Leute erreichen könnte. Er hatte in den letzten sieben Tagen viele Begegnungen sowohl erfreulicher als auch unerfreulicher Art gehabt. Und nun war es bereits schon wieder Wochenende, Lance war nicht da und er grübelte an seinem Schreibtisch. Aber immerhin konnte er mittlerweile eine zufrieden stellende Tendenz erkennen: Hollys Artikel hatte gut zwanzig Prozent der Bevölkerung auf seine Seite gebracht. Das war zwar noch nicht mal annähernd die gewünschte Mehrheit, doch irgendwie vielversprechend. Ungewollt hatte er nämlich hin und wieder ein paar Gesprächsfetzen auffangen können, die eindeutig davon zeugten, dass dieses Fünftel der Einwohner von Asht-Zero viel daran tat, andere Leute umzustimmen und von seinem Vorhaben zu überzeugen. Natürlich stießen sie dabei wie er auf Ablehnung. Und Jason vermutete leider, dass sich viele davon schnell abschrecken ließen und am Ende ihre Stimme doch einem der anderen Kandidaten geben würden. Dennoch stellte ihn die Zahl vorerst zufrieden. Innerhalb weniger Wochen jede fünfte Personen hinter sich zu wissen, kann einen eigentlich nur bestärken. Bezüglich seiner Kandidatur mochte es vorangehen, seine Beziehung zu Lance schien hingegen immer wieder einen Schritt rückwärts zu machen. Der Schwarzhaarige war immer weniger zuhause und wenn er es denn einmal war, dann ließ er Jason mehr oder minder links liegen. Es war fast schon an der Tagesordnung, dass sie kaum ein Wort wechselten und den anderen ignorierten. Und das war gewiss nicht die Art Partnerschaft, die Jason bevorzugte. Und was ihn obendrein noch störte war die Tatsache, dass er, sobald sie doch mal flüchtige Zärtlichkeiten austauschten, das Gefühl hatte, er könne nicht genug von seinem Freund bekommen. Es wäre ihm lieber gewesen, sein Körper würde nicht derart auf Lance reagieren oder sein Herz würde sich nicht unermesslich nach ihm sehnen. Denn das, was man nicht unvermittelt bekommen konnte, ersehnte man bekanntermaßen noch mehr. Und er vermisste den Älteren und wie! Und doch ließ er sich nicht dazu herab, auf Knien um einen Kuss zu betteln oder sich aus der Politik zurückzuziehen. Beides ging gegen seine Prinzipien. „Grmpf“, knurrte er und legte einen schwarzen Stift beiseite. Immer wenn seine Gedanken ein wenig abschweiften, insbesondere gen Lance, dann war seine Konzentration völlig dahin. Und wenn er ehrlich zu sich selbst sein musste, musste er sich eingestehen, dass er seinen Freund mal wieder inniger spüren wollte als nur als Hauch auf seinen Lippen. Mit einem verkniffenen Gesichtsausdruck stand er auf und ging in den Flur hinaus. Sein Blick traf alsbald den Spiegel über dem Schuhschrank, in dem er sich betrachtete. Selbst wenn er Lance nun suchen wollte, er würde nicht im Geringsten wissen wo. Seit einiger Zeit hatte er keine Ahnung, wo sich der Schwarzhaarige immerzu aufhalten mochte und ob er die Stunden etwaigen damit verbrachte, sich etwas Neues gegen ihn auszudenken. Als er sich seine Gestalt näher betrachtete, sah er immer deutlicher die Niedergeschlagenheit, die ihn zeichnete. Eigentlich sollte der positive Verlauf seiner Karriere – falls man die Entwicklung seiner Kandidatur so nennen konnte – ein Strahlen auf seine Lippen zaubern, aber er tat es nicht. Vielmehr waren seine Züge von reiner Bedrücktheit geprägt. Und das alles wegen einem Mann, der nicht gewillt war, zu ihm zu halten, ihn dazu noch aus unerfindlichen Gründen zu boykottieren. Die Politik würde ihn verändern… Das war Lance Meinung. Doch für wie labil hielt er ihn eigentlich? Befürchtungen – sofern dies welche waren – waren doch vollkommen unbegründet. So leicht würde er sich in seinen Vorstellungen und in seiner Art, Dinge anzugehen, nicht verbiegen lassen. Und dass er sich derart betrübt gerade im Spiegel begutachtete, war auch nur durch die fehlende Zuneigung bedingt! Er lächelte sich selbst an. Doch das gezwungene Verziehen seiner Mundwinkel ermunterte ihn auch kein Stück. Jetzt und hier wollte er Lance um den Verstand küssen, seine Haut an seiner spüren und Laute hören, von denen er schon gar nicht mehr wusste, wie sie klangen! „Aber der werte Herr hat es ja nicht nötig, durch seine Anwesenheit zu glänzen!“, fauchte er sein Abbild an. In dem Moment vernahm er ein Klicken und sein Kopf schnellte herum. Doch die Wohnungstür ging nicht wie vermutet auf. Wäre auch zu schön gewesen, wenn Lance gerade jetzt heimgekehrt wäre. Voller Unmut ging er in die Küche und begann ziellos Nahrungsmittel aus den Schränken zu holen und auf die Arbeitsplatte zu stapeln. Wenngleich er keinen großen Hunger verspürte, war ihm danach seine Hände in irgendeiner Form zu beschäftigen und da ihm gerade nichts Besseres einfiel, kramte er noch eine Pfanne heraus. Wenig später verteilte sich ein angenehmer Duft nach köchelndem Gemüse und gebratenem Fleisch im Raum. Und je mehr er sich schickte, das köstlichste Mahl zuzubereiten, desto mehr drehte sich sein Magen um. Das Essen war nicht einmal fertig, da schaltete er alle Herdplatten ab und ließ sich auf einem Stuhl nieder. Mit dem Kopf in den Händen gestützt, fiel ihm die Tageszeitung ins Auge. Zwar hatte er sie am Morgen bereits gelesen, doch er nahm sie ein zweites Mal an diesem Tage in die Hand und blätterte mehr lustlos als interessiert durch sie hindurch. „Lass deine Finger davon“, meinte er scharf, als er Lance irgendwann die Küche betreten hörte. Er machte sich nicht die Mühe, seinen Freund auf freundliche Art und Weise zu begrüßen. „Warum sollte ich das da auch anrühren?“, kam es verächtlich zurück. „Ach, tust du dich sonst nicht auch an rohem Fleisch gütlich?“ Fragend wandte Jason seinen Kopf nun doch Lance zu. „An welchem denn?“, erwiderte der Schwarzhaarige ernst, blickte Jason provokativ in die Augen und wandte sich anschließend ab. Erst öffnete den Kühlschrank und steckte dann den Kopf halb hinein. „Sag mal“, fing er laut an. „Hast du etwa alles Essbare verhunzt?“ Er bedachte Jason mit einem eiskalten Blick. „Geh doch einkaufen“, zuckte der Blondschopf mit den Schultern. Mit ein paar geschickten Handgriffen schaltete der Ältere die Herdplatten wieder an und nahm den Kochlöffel, der auf der Arbeitsplatte neben diversen leeren Packungen und Biomüll lag, in seine Rechte. Einige Male ließ er das Holz in seine andere Hand schlagen. „Ich habe gesagt, dass du deine Finger davon lassen sollst!“, zischte Jason nun und stand wenige Augenblicke später vor seinem Freund, blitzte ihn förmlich an – und verzehrte sich noch im selben Moment nach ihm. „Lass ich doch“, wurde ihm kalt lächelnd entgegnet. „Und was ist das?“, verwies Jason auf die Pfanne mit leicht köchelndem Inhalt. „Achso, das meintest du“, wehrte Lance mit gespielter Unschuld ab. In Jason brodelte es, denn er erkannte endlich, was Lance gemeint hatte. Er brachte sein Gesicht ganz nah vor das seines Freundes. „Besorgst du dir es wohl woanders? Bist du deshalb kaum noch hier?“ Leise und unterschwellig waren seine Worte. „Wer weiß.“ All der Hohn, der eben noch in Jasons Zügen gelegen haben mochte, löste sich in Nichts auf, wich einem Ausdruck, der Unfassbarkeit widerspiegelte. Obgleich es ihm genau in diesem Augenblick widerstrebte, Lance zu berühren, legte sich eine seiner Hände wie von selbst in dessen Nacken. „Muss ich dir erst zeigen, wo du wirklich zufrieden gestellt wirst?“, sagte er, bevor er es überhaupt denken konnte. Das Herz in seiner Brust begann allmählich rhythmischer und heftiger zu schlagen, selbst wenn sich das noch nirgends bemerkbar machte. Seine Haltung war bestimmt, seine Finger, die immer wieder das schwarze Haar aufsuchten, waren beherrscht, und auch seine Stimme glich der Ruhe selbst. Sogar seine braunen Augen funkelten lediglich vor Lust, die in ihm aufkeimte. Er hätte völlig angewidert sein sollen ob Lance’ Bemerkung und doch war er es nicht. „Ich hatte meinen Spaß“, meinte Lance von Spott durchtränkt. Aber Jason kannte ihn besser, um nicht vor Schreck zurückzutaumeln und heulend davonzurennen. Denn er spürte ein leichtes Beben unter seinen Händen, die ihre Wege immer länger werden ließen. Weder Lance’ Oberkörper noch dessen Hintern ließen sie aus und stimulierten den Schwarzhaarigen peu a peu. „Du warst noch nie ein guter Lügner, mein Kleiner.“ Lance hasste es, so genannt zu werden, nicht nur weil er wenige Zentimeter größer war – vier, um genau zu sein -, sondern auch, weil er diese Bezeichnung aus einem Irrtum heraus von Jason verpasst bekommen hatte. Er hatte ihm irgendwann davon erzählt, dass er in der sechsten Klasse lange Zeit jeden Morgen zu spät zur Schule gekommen war, weil er es vorgezogen hatte, mit ein paar älteren Jungs dorthin zu laufen, die aber keineswegs vorhatten, den Lehrern den Gefallen zu tun, pünktlich zum Unterricht zu erscheinen. Mit den Worten ’man bekommt nicht alle Tage die Möglichkeit bei den Großen mitzumischen’ hatte er sich vor Jason verteidigt gehabt, doch der hatte sofort die ultimative Chance ergriffen, seinem Freund einen Spitznamen zu verpassen. Dass Lance größer als ein paar der anderen Jungs gewesen war, hatte den Blondschopf in keiner Weise davon abgehalten, Lance immer mal wieder mit dem Wort Kleiner aufzuziehen. Und bis zu diesem Tag hatte er das schon seit geraumer Zeit nicht mehr getan. Missbilligend verzog Lance den Mund. „Das Fleisch brennt an“, meinte er dann gleichgültig. Es roch bereits verbrannt, was auch Jason nicht entging. „Na und?“ Er nahm seine Rechte von seinem Freund und langte mit ihr hinter diesen und drehte die Platte aus, schob die Pfanne halbherzig von der heißen Stelle weg. Lance rührte sich währenddessen keinen Zentimeter, da Jasons Linke ihn weiterhin neckte. Und zwar hatte sie sich unauffällig in dessen hinterer Jeanstasche eingenistet und spannte immer mal wieder ihre Finger an, deren Nägel sich mal sanft mal grob ins Fleisch unter dem Stoff gruben. „Du loderst noch viel mehr“, fügte der Blondschopf berechnend an. „Und zwar genau dort!“, hauchte er, als er seine freie Hand zwischen ihre Körper grub und auf Lance’ Glied presste. Ein Aufstöhnen dankte es ihm, wodurch er sich eines gemeinen Grinsens nicht verwehren konnte. Dunkle Iriden begannen in ihren Höhlen zu funkeln, die bis eben noch eher von Teilnahmslosigkeit geprägt gewesen waren. Nun konnte Lance seine Erregtheit nicht mehr verbergen und das wollte er auch gar nicht. Gebieterisch legte er seine Hände um seinen Freund und seine Lippen auf das weiche Paar ihm gegenüber. Seine Zunge umrahmte sofort Jasons Mund und begehrte alsbald forsch um Einlass. Der Blonde überlegte einen Moment, ob er ihn gewährte, denn er konnte dem Älteren seine Machenschaften gegen ihn noch immer nicht verzeihen – und würde es wohl nie können -, aber die eigene Gier obsiegte. Ihre Zungen trafen sich hart und fochten einen Kampf wie auf Leben und Tod aus. Selbst der ein oder andere Zahn war involviert und ihr Kuss endete in einem Gemisch aus Seufzen und unterdrückten Schmerzensrufen. „Das heißt wohl, du willst mich nicht nur für dich ganz allein, sondern du lässt mir alles durchgehen“, grinste Lance sein Gegenüber mit geröteten Lippen daraufhin an. „Gewiss wird dem nicht so sein. Auch du kannst dir nicht alles erlauben, Lance.“ „Mein Vorname scheint dir immer mehr zu gefallen, Süßer.“ Er beugte sich vor und raunte Jason ins Ohr: „Aber ich werde dir noch beibringen, dass es sich nicht gehört, seinen Liebsten ständig nur beim Namen zu nennen.“ Ein kalter Schauer jagte über den Rücken des Blonden. Die Rauheit, mit der der andere sprach, glitt bis tief in ihn hinein, zentrierte sich in seiner Brust und breitete sich von dort wie ein Schwarm Ameisen aus. Er schluckte, als er festen Druck an seiner Wirbelsäule spürte. „Dann bleibt es eben bei Kleiner“, erwiderte Jason und wusste zugleich, auf welch gefährliches Terrain er sich begab. „Der Größenwahnsinn hat dich anscheinend schon beschlichen“, kam es kühl zurück und doch verbreitete Lance’ Atem eine unermessliche Hitze auf Jasons Hals aus. Einen glühenden Hauch, der den Jüngeren abermals beben ließ. Mit beiden Händen umfasste Jason das Gesicht seines Freundes und presste seine Lippen zwar sicher, aber dennoch ein wenig zitternd, auf das andere Paar. Seine Zunge erkundete kurz darauf die ihm in den vergangen Tagen nicht allzu bekannte Höhle, strich an den Innenseiten entlang und neckte ihr Gegenstück mit wildem Einsatz. Obwohl er alsbald realisierte, dass ihm bald die Luft wegbleiben würde, stoppte er nicht, den anderen immer wieder herauszufordern und zu umwerben. Fast zwei Wochen ohne jegliche intensive Intimitäten zwischen ihnen befand er als vollkommen ausreichend und er wollte die Zeitspanne nicht noch weiter ausdehnen. Die Sehnsucht, die Lance in ihm immer wieder entfachte, war so immens, dass er sie nicht durch andere Mittel stillen konnte. Er liebte diesen leicht überheblichen, sturen und irgendwie gerissenen Kerl einfach. Da konnte er noch so daran rütteln. Es half nichts. Egal, wie er seine Gier nach ihm auch abzuschwächen versuchte, es endete immer damit, dass es ihn noch mehr nach ihm lechzte. Ein letztes Mal umspielte er Lance’ Zunge, ehe er sich zurückzog und ihm keuchend in die Augen blickte. Darin spiegelte sich die Härte seiner Worte nicht im Geringsten wider, stattdessen erkannte er die reinste Lust, genau jene, die er selber empfand. Das brachte ihn zum Lächeln. „Ich werde nur größenwahnsinnig, wenn ich…“ Er unterbrach sich und küsste sich Lance’ Halsschlagader entlang. „… das hier…“ Seine Zunge glitt in die Vertiefung Lance’ Schlüsselbeins. „… mit dir…“ Mit warmen Lippen tastete er sich auf der anderen Halsseite wieder nach oben. „… machen kann.“ Mit Genugtuung fühlte er ein schwaches Beben, das den anderen erneut befallen hatte. „Und doch…“ Mit schwachen Händen drückte sich Lance an Jasons Schultern ab. „… wirst du dich endlich aus dieser verfluchten Politik zurückziehen müssen.“ Wenngleich seine Glieder nicht viel Kraft aufzuweisen schienen, glimmten seine dunkelblauen Iriden nun wie tosendes Meer. Kurz verbiss sich der Blonde in seiner Unterlippe und er verdammte stumm sein Gegenüber. Wie konnte er sich schon wieder – insbesondere in solch einer Situation – erdreisten, ihm derartige Befehle zu erteilen? „Das muss ich unter Garantie nicht!“, erwiderte er bemüht leise. Doch sein Körper versteifte sich merklich. „Dann werde ich mir eben doch wen anders suchen müssen, um auf meine Kosten zu kommen.“ Obgleich Lance ihn nicht losließ, schien Jason ins Bodenlose zu fallen. Die Arme um seine Hüften nahm er kaum mehr wahr und die blauen Augen entfernten sich Stück für Stück, bis sie einem undefinierbaren Gebilde glichen. In seinem Kopf hämmerte es, die Worte wollten ihn anscheinend in Stücke reißen. „Was…?“, entfleuchte seinem Mund, ohne dass er es hörte noch realisierte. „Du hast schon richtig gehört“, drang es unvermittelt, aber völlig verzerrt in seinen Verstand. „Warum?“, dachte er zu schreien, dabei flüsterte er es lediglich. „Weil…“ Anstelle einer Antwort wurde er unsanft an die Wand weit hinter ihm gedrängt, fühlte noch einmal Lance’ Zunge in seinem Mund, die eine ganze Weile dort verweilte, sich aber dann zusammen mit dem Rest des Schwarzhaarigen zurückzog. Überall dort, wo Lance ihn bis dato berührt hatte, schien sein Körper plötzlich taub zu sein. „Das kannst du nicht machen“, hauchte der Blonde und spürte, wie der andere sich immer weiter von ihm entfernte. Hörte ein schleifendes Geräusch und anschließende groteske Stille. Mit seiner Rechten tastete er das Mauerwerk hinter sich ab, denn er musste herausfinden, ob er sich das alles eben nicht einfach nur eingebildet hatte. Ob das alles nicht eine böse Halluzination, seines wirren Geistes entsprungen, war. Doch seine Finger streiften grob die unebene Wand, den weißen Putz, der verächtlich höhnte. Er konnte das stumm ertönende, schallende Gelächter in seinem Kopf pulsieren hören. Fest kniff er seine Augen zusammen und versuchte, die Melodie des Spotts loszuwerden, den Klang der tiefen Stimme, die eine blutende Seele hinterließ. Ein bitteres Lächeln stahl sich auf seine Lippen, während er seine Lider langsam wieder anhob. „Das wirst du mir büßen“, raunte er in die Leere des Raumes. Mit einem gewaltigen Ruck stieß er sich von der Wand ab und lief aus der Küche. Als sein Blick auf die Garderobe fiel, wo Lance’ Jacke fehlte, lachte er auf. „Feigling!“ Sein Schrei schien hundertfach zu echoen. Es verging eine Weile, in der er einfach nur dastand und den leeren Garderobenhaken anstierte. Bisweilen konnte er ihren letzten Kuss noch immer auf seinen Lippen spüren und auch schmecken. Seine Atmung hatte sich wieder normalisiert und war nun flach, sein Herz schlug gleichmäßig und raste nicht mehr. Und doch rannen ihm kleine, kalte Schweißperlen über die Stirn, Zeugnisse des Verrats, der an ihm begangen worden war. Je länger er sich nicht rührte, desto mehr verhärtete sich sein Gesicht. Alsbald glühten seine Augen vor… Wahnsinn? – Nein, so weit war es nicht gekommen. Aber Lance würde sich in der Tat auf etwas gefasst machen müssen. Nun hatte der Schwarzhaarige seinen Einfluss auf ihn endgültig verspielt. Selbst wenn Asht-Zero gegen ihn sein sollte, so leicht würde er von nun an erst Recht nicht aufgeben. Neben seinem innigen Wunsch, etwas verändern zu können, war ein Wunsch hinzugekommen, der vielleicht nicht ganz rechtens war, aber ihn in seinem Vorhaben nur bestärkte: Er wollte Lance zeigen, wie viel Macht er haben konnte! War es nicht das, wovor er ihn gewarnt hatte? Er würde seinen Prinzipien schon treu bleiben, denn hatte er nicht dazu unter anderem Holly, die ihn sonst, wenn nötig mit Gewalt, auf den Boden der Tatsachen zurückbrachte? Verschwörerisch kaute er auf seiner Unterlippe und das Braun seiner Iriden glimmte fast schon unheimlich. Es war wirklich an der Zeit für eine Veränderung. Nicht nur die Stadt betreffend… Etwa zehn Tausend Menschen standen vielleicht schon hinter ihm, wenn er wirklich davon ausgehen durfte, dass er ein Fünftel der Stimmen innehatte abzüglich der Menschen, die gar nicht erst wählen gingen. Das waren zwar schon eine Menge Leute und doch bei Weitem nicht genug. Offensive stand nun an der Tagesordnung! Eine vorgezogene Rede und mehr öffentliche Präsenz! Er musste seine ganze Propaganda intensivieren. Der Bevölkerung deutlich machen, welchen Willen und welchen Kampfgeist er in sich trug. Die Zeit war reif ihn als neuen Bürgermeister anzuerkennen! Jasons Körperhaltung verlor allmählich an Steifheit und auch an Härte, währenddessen arbeitete es in seinem Kopf. Mit großen Schritten ging er ins Büro und verbrachte die darauf folgenden Stunden damit, eine kleine Rede zu schreiben. Eine, die die Bürger nicht so schnell vergessen würden. Eine, die er am nächsten Tag auf dem Marktplatz halten wollte. Er würde es schon managen, dass genug Zuhörer anwesend sein würden. Schließlich war es erst früher Nachmittag und der Samstag war noch lang. Nach den ersten geschriebenen Sätzen griff er nach dem Telefon und weihte Holly in alles ein. Nach dem zehnten Seufzer unterließ sie es endlich, ihn von seinem Vorhaben abbringen zu wollen und meinte ergeben: „Okay, ich leite alles in die Wege, auch wenn ich immer noch nicht ganz einverstanden bin. Damit kannst du alles aufs Spiel set…“ Mittendrin brach sie der Blonde barsch ab. „Holly, bitte!“ Danach wurde seine Stimme wieder leiser und auch freundlicher. „Du weißt genauso gut wie ich, dass diese Stadt jemanden braucht, der sie an der Hand nimmt und zurück auf den richtigen Weg bringt. Die Welt dreht sich unaufhörlich, nur Asht-Zero scheint still zu stehen. Möchtest du zulassen, dass die nächsten Generationen weiterhin eine Erziehung voller Vorurteilen und greisem Denken genießen?“ „Nein, aber, wenn sie herausbe…“ „Siehst du. Und ich bin auf deine Hilfe angewiesen. Komm schon, Holly.“ „Hast du ein Glück, dass…“ Dieses Mal beendete sie den Satz aus eigenem Antrieb heraus nicht. „Dass?“ Sie schüttelte den Kopf, was er natürlich nicht sehen konnte. „Nicht so wichtig“, tat sie ab und presste die Lippen fest aufeinander. Für einen Moment herrschte vollkommene Stille in der Leitung. Irgendwann räusperte sich Jason und sagte: „Dann hätten wir das ja geklärt.“ Abermals vernahm er ein lautes Seufzen. „Ich gebe mein Bestes.“ „Das erwarte ich auch gar nicht anders von dir“, grinste er. „Bye“, kam es leise zurück. „Danke, Holly.“ Darauf erwiderte sie nichts mehr, sondern legte auf. Auch er klappte sein Handy zu und legte es neben sich auf den Schreibtisch. Mit einem Nicken beugte er sich über einen schwarzen Laptop – normalerweise schrieb er lieber auf Papier, doch Ausnahmen bestätigten bekanntlich die Regel – und legte seine Finger auf die Tasten. Die Minuten rauschten förmlich an ihm vorbei, während der Text auf dem Bildschirm immer länger wurde. Als zehn dumpfe Schläge von weit her in das Zimmer drangen, lehnte er sich völlig fertig in seinem Stuhl zurück und rieb sich die Augen. Die Arme gen Decke gestreckt stand er auf und gähnte herzhaft. Nach einem letzten prüfenden Blick auf seine Unterlagen verließ er das Büro, sperrte es zum ersten Mal in seinem Leben ab und ging in die Küche, wo er das Knurren seines Magens besänftigen wollte, das in dem Augenblick eingesetzt hatte, als er seine Konzentration vom Computer abgewandt hatte. Ihm war es einerlei, ob Lance in der Zwischenzeit zurückgekehrt war oder nicht. Bisher hatte er nichts von ihm vernommen, aber das hieß noch lange nicht, dass er nicht anwesend war. Und selbst wenn er sich die ganze Nacht irgendwo herumtreiben sollte, konnte und wollte er nichts dagegen unternehmen. Sie waren beide erwachsen und konnten tun und lassen, was sie wollten. Darum erstickte Jason das bedrückende Gefühl, das ihn beschleichen wollte, bereits im Keim. Er drehte die kleine Stereoanlage, die auf dem Kühlschrank stand, so weit auf, dass der Raum alsbald von einer Lautstärke erfüllt war, die selbst die kräftigste Stimme nicht durchbrechen konnte. Nicht umsonst hatte er vor Monaten ringsum Boxen aufgestellt. Ein ordentliches Surround-System war eben Gold wert. Als Linkin Park ertönte, schob er jedwede Gedanken an den Schwarzhaarigen beiseite und richtete sich ein Mahl an, bei dem ihm schon beim Zubereiten das Wasser im Mund zusammenlief. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)