Sinnlose Versprechen von Pansy ================================================================================ Kapitel 5: - 5 - ---------------- - 5 – ’Die Macht der Gemeinschaft! Drei Tage ist die Sensation gerade mal alt: Jason Sartaren – 25 Jahre jung und Anwärter des Amts des Bürgermeisters! Mit Schrecken haben viele von Ihnen die Nachricht aufgenommen, die Zähne gefletscht oder höhnisch gelacht. Keiner kann es Ihnen verdenken, denn in Asht-Zero genießen Stolz und Tradition sehr hohes Ansehen. Sie mögen denken, dass ein junger Mann an der Spitze nur Unheil bringt und die Stadt zugrunde richtet – wenn er dazu die Möglichkeit bekäme. Doch dabei haben Sie gekonnt ignoriert, dass er ganz andere Beweggründe hat als seine Vorgänger. Nun möchte ich damit nicht erst Recht Streitsucht und Hass säen – Gott bewahre. Nein, ich möchte lediglich, dass sie einmal in Ruhe beim morgendlichen Kaffee lesen und vielleicht darüber nachdenken können, was diesen jungen Mann zu einer derart gewagten Tat getrieben hat. Im Vordergrund all seiner Bemühungen stehen das allgemeine Wohl der ganzen Stadt sowie seine Umsetzung durch die ganze Bevölkerung. Nicht einer allein soll die Befugnis haben, Änderungen vorzunehmen oder über irgendeinen Straßenbau zu entscheiden, erst die Stimme jedes Einzelnen soll dies zukünftig möglich machen. Weg mit der nur vorgeschobenen Volksherrschaft! Er ist für eine wahrhaftige Demokratie, eine, bei der wirklich jeder die Chance bekommt, sich zu äußern und mit Sicherheit erhört wird! Jason Sartarens Rolle hierbei mimt lediglich die Funktion des berühmten Steins, der ins Rollen gebracht werden soll. Er ist ein Mann, der uns erkennen lassen wird, wie stark ein jeder ist und wie viel durch uns selbst erreicht werden kann. Unbeirrbar und zielstrebig möchte er das in die Hand nehmen, was schon längst vonnöten war: Wandlung im Interesse aller! Lernen Sie ihn und sein Vorhaben näher kennen, ehe Sie ihn auf schärfste verurteilen oder ihn gar ans Messer liefern. In Ihren Augen mag das alles unbedarft, fromm und surrealistisch klingen, doch sind Sie nicht das Volk, um das es hier geht? Endlich bringt jemand den Mumm auf und lehnt sich indirekt gegen die bisherige Obrigkeit auf. Natürlich verpönen weder er noch ich die Menschen, die bis dato das Geschehen rund um unsere Stadt in die Hand genommen haben, doch es ist an der Zeit, dass der breitflächigen Unzufriedenheit – Sie mögen diese niemals in der Öffentlichkeit zugeben, aber sie ist gewiss existent – entgegengewirkt wird. Wollen wir nicht alle von uns behaupten können, dass wir uns bemüht haben für unsere eigenen Ziele und Vorstellungen eingetreten zu sein? Dass wir sie am Ende sogar erreicht haben? Mir ist bewusst, dass einige von Ihnen weiterhin an seiner Person zweifeln werden, ihn verachten und auch anprangern werden. Aber Ihnen sollte dabei stets klar sein, dass Sie damit gegen sich selbst agieren. Keiner muss sich durch Jason Sartaren uneingeschränkt bevormundet fühlen. Er verlangt lediglich ein wenig Respekt und Ihre Mithilfe. Den Dingen unbeteiligt ihren Lauf lassen war früher, eigenes Engagement und Mitspracherecht sind das heute!’ Stillschweigend lehnte Jason auf den Schultern seines Freundes und hörte die Worte förmlich in seinem Verstand hämmern. Auch Lance hatte sich, seitdem der Blondschopf zu lesen begonnen hatte, nicht mehr gerührt. Doch nun erhob er seine Stimme und klang wie in letzter Zeit immer ziemlich überheblich: „Weißt du eigentlich, dass sich Holly wegen dir in Gefahr begibt?“ Jason brauchte einen Moment, um das Gesagte aufzunehmen und zu verarbeiten, denn er vernahm noch immer ihre Silben in seinem Kopf. An sich hatte sie wahrlich all das angesprochen, was er bezwecken möchte. „Sie nimmt lediglich deinen Part ein. Also trägst du eine Teilschuld, falls sich deine düsteren Prophezeiungen bewahrheiten sollten“, meinte er zwar gelassen, auch wenn er das nicht war. „Süßer, red’ dich nicht raus. Erst heizt du sie an und verleitest sie zu solchen dummen Aktionen, und dann möchtest du dich aus der Verantwortung ziehen.“ „Ich habe sie nicht im Mindesten darum gebeten. Sie erfuhr zum selben Zeitpunkt von meiner Kandidatur wie alle anderen. Bisher hat sie alles eigenhändig in die Wege geleitet und ich werde ihr auch in Zukunft nichts einreden. Im Gegensatz zu dir steht sie wenigstens zu mir!“ Mit zusammengepressten Lippen stieß er sich von seinem Freund ab und setzte unstet einen Fuß vor den anderen, ließ seinen Blick immer wieder zu dem anderen schweifen. „Fang’ nicht schon wieder damit an, denn ich werde meine Meinung diesbezüglich gewiss nicht revidieren.“ Lance klang keineswegs aufgebracht, vielmehr abgeklärt und vollkommen ruhig, wohingegen der Blondschopf vor lauter Missmut die Hände zu Fäusten ballte. Er hatte die ständigen Vorwürfe satt. „Ach, der Herr würde sich also niemals dazu herablassen, mir ein wenig unter die Arme zu greifen, selbst wenn es die Lage erfordern würde!?“ „Richtig und das habe ich dir bereits gesagt.“ „Also kann mir jeder beliebige Kerl ankommen und mir seine Lippen aufdrängen, nur um mich der Politik überdrüssig werden zu lassen, ja?“ Nicht mal ein solches aus der Luft gegriffenes Beispiel fruchtete. „Verwechsle bitte deine Emotionalität nicht mit Sachlichkeit. Ich habe lediglich behauptet, dass du deine Freundin in Bedrängnis gebracht hast.“ „Gerade du verlangst, dass ich sachlich bin, ja? Dann erkläre mir doch bitte mal, was das Klauen und Zerreißen meiner Plakate mit Sachlichkeit zu tun haben!?“ Mit geröteten Wangen atmete er laut aus. Die aus reiner Freude ausgelöste Benommenheit von vor wenigen Minuten erschien ihm als nie existent. Der Schwarzhaarige tat wirklich alles, um ihn ständig zur Weißglut zu treiben. Anscheinend hatte er sich das zum Lebensziel gemacht. „Ich habe gute Gründe“, kam es schlicht zurück und Jason konnte dabei zusehen, wie er die Zeitung zusammenfaltete und beiseite legte. „Denkst du, ich kandidiere aus Spaß? Damit ich mich an der Macht laben kann, die mir zuteil würde?“ Schnaubend machte er den Kühlschrank auf, spähte nicht einmal hinein und machte ihn wieder zu. Das Adrenalin in seinem Körper beschleunigte seinen Herzschlag und rief so viel überschüssige Energie hervor, dass er nicht wusste, wohin mit ihr. „Macht!“, echote Lance verächtlich. „Zu dieser wirst du niemals kommen, denn vorher wirst du zu Boden gehen.“ „Kannst du mir nicht ein wenig mehr zutrauen?“ „Du magst dich stark fühlen“, zuckte der Ältere mit den Schultern. „Aber bis du einsiehst, dass es nicht so ist, ist es zu spät.“ „Ich verstehe dich nicht! Ich habe ja nicht mal vor, mehr als ein einfacher Bürgermeister zu werden. Und das betrifft ja wohl nur eine Stadt und nicht das ganze Land. Du tust so, als ob ich Terroristen oder Anschläge anderer Art zu befürchten hätte. Dies hier ist nur Asht-Zero, eine Stadt voller Greise und falschem Stolz. Was soll mir schon groß passieren?“ Mit dem Kopf schüttelnd erhob sich Lance und warf seinem Freund einen eiskalten Blick zu. „Warum bemühe ich mich eigentlich“, meinte er im Vorbeigehen. „Willst du so gehen?“, rief Jason ihm hinterher. Er konnte es nicht glauben, dass der andere ihn einfach so stehen ließ. Zähne knirschend rückte er den Stuhl, auf dem Lance bis eben gesessen hatte, ruppig an die Tischkante. Als Lance aus seinem Blickfeld verschwand, lief er ihm nach. „Mich zu ächten stellt noch lange keine Mühe dar. Wofür setzt du dich eigentlich so ein, hm? Was soll mir denn groß widerfahren? Dass ich in eine Prügelei verwickelt werde? Mit den Schwachköpfen werde ich schon fertig. Ich kann ebenso austeilen wie ich einstecken kann. Also, was widerstrebt dir so? Kannst du es am Ende nicht ertragen, dass ich über dir stünde?“ Abrupt fuhr Lance um und funkelte ihn an. Er machte den Mund auf, doch sagte nichts. Mit einer flüchtigen Handbewegung wehrte er ab. „Na, komm schon, Lance. Ist es das, was dich in deinem Tun so bestärkt?“ Nach dem letzten Wort spürte er eine Hand an seinem Kragen. Zunächst war er überrascht, doch dann verengte er seine Augen zu schmalen Schlitzen und lächelte bitter. „Möchtest wohl auch mal Hand an mich legen, was?“, meinte er leise. „Sie siegt immer über einen“, erwiderte Lance, für Jason vollkommen aus dem Zusammenhang gerissen. Lange dachte der Blondschopf über die Worte nach. Auch noch, als sein Freund irgendwann die Wohnung verlassen hatte, ohne sich zu verabschieden. Fahrig fuhr er sich durchs Haar und ging zum Wohnzimmerfenster, das er öffnete. Die hereinströmende Luft war warm und roch nach Frühling. Doch das nahm Jason nicht wahr. Selbst die Farbenpracht, die vor dem Fenster vorherrschte, die blühenden Bäume, das strahlende Blau des Himmels bekamen von ihm keinerlei Beachtung geschenkt. Als sein Blick allerdings flüchtig die Wanduhr streifte, riss er die Augen weit auf. „Verfluchter Mist“, knurrte er. Wie von der Tarantel gebissen eilte er in den Flur, schlüpfte in seine Schuhe und rannte hinaus. Dass er Eddy versetzt hatte, schob er auf seinen sich wunderbar um ihn sorgenden Freund. Auf dem gesamten Weg zur Druckerei hatte er ein Bild von Lance vor Augen, auf dem er ihn auslachte und mit dem Finger auf ihn zeigte. Die Tatsache, dass sein Freund tatsächlich nicht hinter ihm stand war schon erschreckend, doch welche Konsequenzen Lance’ Handeln hatte, war noch erschreckender. In Jason hauste unbändige Wut und ebenso viel Enttäuschung. „Hi Eddy“, keuchte er missmutig, als er das mittelgroße Gebäude betrat und einen hoch gewachsenen Mann erblickte. „Es tut mir leid“, fügte er leise an. „Ahh, hi Jason. Sag’ bloß nicht, dass dir der Artikel so zugesetzt hat. Holly hat sich die größte Mühe gegeben und sie meinte, dass du ihn abgesegnet hättest. Das hast du doch, oder?“, wollte er nun ein wenig misstrauisch wissen. Beschwichtigend setzte Jason ein Lächeln auf. „Nein, der Artikel spiegelt genau das wider, was ich mir von diesem Ort hier wünsche. Ich habe nur Kopfschmerzen“, winkte er dann ab. Nach dem Zusammenstoß mit Lance waren sie keineswegs besser geworden, vielmehr hatten sie sich intensiviert. Sein Kopf fühlte sich wie kurz vorm Zerbersten an. „Als du vorhin nicht erschienen bist, dachte ich doch glatt, du würdest in die nächste Bar gehen und mit Holly auf euren ersten großen Schritt zur Wahl anstoßen“, lachte Eddy. Als Jason an Alkohol dachte, wurde ihm ganz übel. Das Stechen zwischen den Schläfen war so schon ausgeprägt genug, dazu bedarf es keiner weiteren Nährung. Doch er ließ sich seine Anwiderung nicht anmerken, sondern überspielte sie weiterhin mit einem freundlichen Lächeln. „Vielleicht mag sie früh voller Vitalität durch die Gegend rennen können, doch nach einem Bier wäre sie platt“, lenkte er von sich selbst ab. „Wie wahr, mein Freund.“ Er klopfte dem Blonden auf die Schulter. „Sie einmal völlig fertig nach Hause zu tragen, nur weil sie morgens die Finger von ihrem geliebten Wein nicht lassen konnte, befinde ich auch als genug. Abends mag sie vielleicht was vertragen, doch früh“, er schüttelte mächtig seinen Kopf und grinste, „ist der kleinste Schluck zu viel für sie.“ Als Jason nichts mehr erwiderte, fügte er an. „Und du? Jetzt befindest du dich mitten in der Höhle des Löwen“ funkelte er herausfordernd. Jason fand es immer wieder erstaunlich, wie der andere rasendschnell zwischen seiner kindlichen und seiner irgendwie scharfsinnigen Seite wechseln konnte. Dies machte sich auch immer vornehmend in seiner Mimik bemerkbar. Und wenn man genauer darauf achtete, dann konnte man die Wandlung in seiner ganzen Haltung erkennen. Sobald er ernste Themen ansprach, spannte er seinen Körper viel mehr und ließ seine Schultern nicht mehr so durchhängen. „Wie wär’s, wenn wir die kleinen Tiere einfach bändigen?“, entgegnete der Kleinere mit blitzenden Augen. Auch wenn sich so was leicht dahersagte, war das sein voller Ernst. Auch wenn er es nicht nötig hatte, sich vor seinem Freund zu profilieren, wollte er Lance die Augen öffnen. Ihm beweisen, dass er es an die Spitze der Stadt bringen konnte, auch ohne ihn. Abermals klopfte Eddy ihm auf die Schulter und nickte. „Dann hole ich dir mal deine Plakate, damit du den alten Leuten mal so richtig Feuer unter dem Hintern machst.“ Nur wenige Augenblicke später kam Eddy zurück. „Druckfrisch und lodernd heiß“, scherzte er. „Kämpfen wir nicht ein wenig unfair?“, meinte Jason zwinkernd. „Uns ist das schädlichste Element zu Eigen. Und was bleibt ihnen noch? Die Luft, das Wasser?“ „Pass bloß auf, dass sie deine Wohnung nicht überfluten.“ Eddy hielt sich vor Lachen den Bauch. Doch urplötzlich verstummte er und sah sein Gegenüber scharf an. „Lass keine Funken überstieben“, mahnte er sorgenvoll. „Ich werde vorsichtig sein“, winkte Jason ab, konnte aber ein mulmiges Gefühl in seiner Magengegend allzu deutlich spüren. Verheißungsvoll reichte Eddy ihm die Plakate und verabschiedete sich. Er meinte, er habe noch viel zu tun und verschwand sogleich hinter einer Tür, die weiter ins Innere des Gebäudes führte. Jason stand ein wenig benommen im Vorraum und blickte auf das Holz, das eben auf- und wieder zugeschoben worden war. Nach einer schieren Ewigkeit richtete er seine Augen auf die Blätter in seiner Hand und begann wieder zu grinsen. Der Gedanke, die Bevölkerung so richtig einzuheizen, gefiel ihm wirklich sehr. Er brauchte nicht allzu lange, um die Orte aufzusuchen, die er am Vortag dank Lance geflissentlich ausgelassen hatte. Alle Plakate hingen endlich an ihrem angestammten Platz und er konnte sich getrost in einem Schnellimbiss niederlassen und nicht nur das Frühstück nachholen, sondern das Mittagessen gleich mit. Es war schon nach zwei und er hatte den ganzen Tag noch nichts gegessen gehabt. Mitunter hatten natürlich seine Kopfschmerzen dazu beigetragen, die allmählich abklangen, aber in erster Linie schob er sein ungewolltes Fasten auf Lance, der gerade wer weiß wo saß und wer weiß was tat. „Auf dich, Lance“, murmelte er vor sich hin und biss ein großes Stück von einem Burger ab. Nachdem das Tablett vor ihm nur noch ein großer Müllhaufen war, lehnte er sich auf seinem Stuhl zurück und schloss die Augen. Gesättigt sahen die Dinge meist anders aus und er rieb sich genüsslich den Bauch. Doch immer, wenn es am Schönsten war, knallte es. Das Tablett vibrierte heftig und unter ihm der Tisch. Irgendwie hatte er schon mit so etwas gerechnet, weshalb er nicht vor Schreck zusammenzuckte. „Kann ich Ihnen auf irgendeine Weise behilflich sein?“, fragte er mit noch immer gesenkten Lidern. „Schwing deinen Arsch hoch und verschwinde!“, wurde ihm zugeraunt. Nun gab Jason doch das Rehbraun seiner Augen preis und verschränkte die Arme hinterm Kopf. „Weshalb sollte ich dem nachkommen?“, entgegnete er mit undurchsichtiger Miene. „Weil du, verdammt noch mal, hier nicht erwünscht bist!“, spie ihn der etwa Siebzigjährige, fast kahlköpfige Mann an, der drohend eine Hand hob. „Dad“, ertönte es schrill hinter ihm und bald darauf erschien eine attraktive Frau, die ein wenig scheu zu Jason blickte. „Dieser Mann ist weder ein Scheusal noch der Teufel höchstpersönlich, für den du ihn hältst. Er möchte uns die Möglichkeit bieten, dass wir uns für uns selbst einsetzen. Dad, komm wieder mit auf deinen Platz.“ Barsch stieß der Ältere die Hand seiner Tochter beiseite. „Behandle mich nicht immer wie ein Kleinkind, das noch nicht gelernt hat zu laufen! Der hier ist der Grund für das Zerwürfnis mit meinen Kumpanen! Gestern Abend erst haben sie mir den Zutritt zu ihrem Haus verweigert, nur weil ich diesen arroganten, dahergelaufenen Mistkerl nicht ausstehen kann! Er ist das reinste Unheil!“ „Entschuldigen Sie“, wandte sie die langhaarige Brünette an Jason. „Er meint das nicht so.“ „Und ob ich das so meine!“, schrie er und zog spätestens jetzt alle Aufmerksamkeit auf sich. „Diesem Rotzlöffel werde ich niemals meine Stimme geben!“ „Das verlangt auch keiner von dir“, versuchte sie ihren Vater zu beschwichtigen. „Dein Essen wird kalt“, fügte sie bestimmt an. „Zum Teufel mit diesem Fastfood-Fraß! Ich will dem Taugenichts hier einen Tritt in den Hintern verpassen, dass ihm Hören und Sehen vergeht!“ „Dad!“, fauchte die Tochter nun. „Jetzt schwinge du deinen Allerwertesten zurück auf diesen Stuhl“, sie deutete auf einen roten Plastikstuhl in der hinteren Ecke des Raumes, „und komme endlich zur Vernunft!“ Jason beobachtete, wie das Glimmen in den grauen Augen des Älteren stetig zunahm, er aber irgendwann bedächtig nickte. „Schon gut, Fidelia. Hast du meine Tabletten dabei?“, fragte er nun völlig lammfromm. „Ja, du weißt doch, dass ich sie niemals vergesse.“ Keck lächelte sie den Blondschopf an und schob ihren Vater von ihm weg. Selbst als die beiden wieder an ihrem Tisch saßen, spürte Jason immer noch bohrende Blicke auf sich. Langsam sah er jedem einzelnen der Schaulustigen kurz in die Augen, ehe er aufstand und sein Tablett aufräumte. „Ich wünsche allseits noch einen guten Appetit!“, rief er von der Tür aus in den Raum hinein und ging. Mit Wohlwollen konnte er insgeheim vernehmen, wie das Tuscheln nun begann. Natürlich würde ihm davon kein Wort wirklich je zu Ohren kommen, doch die Diskussion rund um seine Person war entfacht. Die Bevölkerung schien sich bereits entzwei zu spalten. Die Schlacht hatte endgültig begonnen. Ob er nun als Sieger oder Verlierer aus ihr hervorgehen würde, war nicht mehr ganz so entscheidend, denn die ersten Leute würden sich nach und nach gegen die bisherigen Strukturen auflehnen. Nur befürchtete er, dass sie nach einer Niederlage seinerseits recht schnell verzagten. Und genau das galt es zu verhindern. Mit einem geschickten Handgriff holte er sein Handy aus seiner Hosentasche und wählte Holly an. „Ja?“, kam es mürbe vom anderen Ende der Leitung. „Du bist genial“, grinste er ins Telefon hinein. Er verschwendete keinen Gedanken mehr daran, was Lance bezüglich ihres Artikels gesagt hatte. Was sollte ihr schon drohen? „Die ganze Stadt scheint wachgerüttelt worden zu sein. Hörst du auch dieses angenehme Surren, das von überall her gleichzeitig zu dringen scheint?“ Die plötzliche Stille in der Leitung ließ ihn die Stirn runzeln. „Holly? Wir haben einen gewaltigen Sprung hinter uns.“ Sie räusperte sich. „Ja, das ist toll.“ „Ein wenig mehr Enthusiasmus hätte ich schon von dir erwartet. Schließlich war der Artikel deine Idee.“ „Doch, doch, ich freue mich ja, dass er dir geholfen hat.“ „Aber?“, fragte Jason irritiert nach. „Ich habe mich heute Nacht zig mal übergeben und fühle mich wie ein ausgelatschter Schuh“, kam es leise zurück. „Warum rückst du erst jetzt damit raus, nachdem ich hier voller Inbrunst deinen Zustand missachtet habe?“ „Das konntest du ja nicht wissen“, entgegnete sie schwach. Allein daran konnte er feststellen, dass es ihr wirklich nicht gut ging, denn unter normalen Umständen hätte selbst dieser Satz mehr Biss gehabt. „Ich bin in einer halben Stunde bei dir“, sprach er ins Handy und legte, bevor sie auch nur ein Widerwort geben konnte, auf. Mit einer Tüte voller frischem Obst und Gemüse, Kräutertee und Zwieback klingelte er an ihrer Wohnungstür. Eine nur im Morgenmantel bekleidete Brünette machte ihm auf und brummte ihn an: „Du kannst es einfach nicht lassen.“ „Irgendjemand muss sich ja um dich kümmern“, erwiderte er verschmitzt und trat ein. Muffige Luft stob ihm entgegen und ein Halbdunkel, das gar nicht zu Holly passte. „Dass du hier noch nicht erstickt bist“, meinte er die Nase rümpfend. Eilig lief er zu einem der Fenster und riss nicht nur dieses, sondern auch alle weiteren auf. Als alle drei offen standen, wandte er sich zufrieden wieder Holly zu. „Wenn du nur gekommen bist, um mich zu maßregeln, dann kannst du gerne wieder gehen.“ Knurrend sank Holly auf ihre Couch und kuschelte sich in eine der vielen Decken, die sich bereits dort angesammelt hatten. „Endlich kommt mal deine wahre Seite zum Vorschein“, neckte er weiter. „Angreifbar und haltlos unterlegen.“ „Reiß deinen Mund nicht zu weit auf“, murrte sie. „Sobald ich wieder irgendwas in meinem Magen behalte, wirst du wieder auf Knien vor mir winseln.“ „Das wollte ich doch nur hören“, erwiderte er sanft und ging geradewegs in die Küche. Mit einem Teller voller klebriger gelb-brauner Masse kam er zurück und hielt ihn Holly unter die Nase. „Das hier wird sicher ein Weilchen länger in dir bleiben.“ Angewidert schob sie seine Hand weg. „Das ist ja ekelhaft.“ „Mag vielleicht nicht so toll aussehen, schmeckt aber gut“, beteuerte Jason. „Du magst Bananen und du magst Zwieback, oder?“ Da sie nichts sagte, lächelte er. „Na also, dann kannst du auch das hier essen.“ „Ich habe aber keinen Hunger.“ „So trotzig warst du schon ewig nicht mehr.“ Er setzte sich neben sie auf die Couch und tunkte den kleinen Löffel in den Brei. „Einen für die kleine Holly“, meinte er und ließ den Löffel immer wieder vor ihrem Gesicht kreisen. „Gib schon her“, grunzte sie und nahm ihm sowohl den Teller als auch den Löffel ab. „Wenn sich Lance wohl schon nicht derart bemuttern lässt, musst du dir anscheinend ein anderes Opfer suchen.“ Laut seufzte sie aus. „Ja, ich weiß!“, fügte sie an. „Du meinst es nur gut mit mir.“ „Hey, irgendwie muss ich mich ja revanchieren“, zuckte er mit den Schultern, unterließ aber ein triumphales Grinsen nicht. „Geh’ da rüber!“, befahl sie und schubste ihn vom Sofa. Sie konnte es nicht leiden, wenn ihr jemand derart durchdringend dabei zusah, wie sie aß. „Gekränkte Frauen sind immer so zickig.“ Ein Löffel voller gelb-brauner Masse landete an seinem Arm, woraufhin er das Gesicht verzerrte. „Still jetzt und hol mir einen neuen Löffel“, wies sie ihn zurecht. „Hier, die Dame“, verbeugte er sich tief vor ihr und reichte ihr das gewünschte Besteckstück, nachdem er sich in der Küche sauber gemacht hatte. „Dankesehr“, meinte sie schlicht. „Bald werde ich nicht mehr unbemerkt durch die Stadt laufen können“, begann Jason nach einer ganzen Weile des einvernehmlichen Schweigens. Bis dahin hatte er darauf geachtet, dass seine Freundin den Teller auch wirklich leerte. „Doch ich glaube, dass immer mehr Menschen auf meiner Seite stehen werden. Aber mir ist durchaus bewusst, dass ich von nun sehr vorsichtig vorgehen muss, denn schon der kleinste Fehler kann mehr kaputt machen als ich je bewirken könnte.“ Seine Stimme trug plötzlich eine Schwere in sich, die er nicht beabsichtigt hatte. „Manchmal weiß man erst im Nachhinein, was das Richtige gewesen wäre“, versank Holly in Gedanken. Irgendwann klärte sich ihr Blick wieder und sie suchte den von Jason auf. „Ich denke, es ist das Beste, wenn du an deinen Zielen festhältst und dich in keiner Weise verbiegst. Trete stolz und konsequent auf und lasse dich nicht zu sehr in Schranken weisen.“ „Stolz ist das, was hier vieles zu dem gemacht hat, was es ist.“ „Es gibt einen großen Unterschied zwischen Stolz und diesem falschen Stolz, der in Asht-Zero Gang und Gebe ist“, widersprach Holly. „Du musst ein wenig erhaben sein, um den Posten des Bürgermeisters zu bekommen. Jemand, der nicht die geringste Würde zeigt, wird lediglich verachtet werden.“ „Ich glaube, ich kann über so einigem drüber stehen.“ Dazu brauchte er sich nur an den Mann im Imbissladen erinnern oder an den Anführer einer dieser Jugend-Gangs. „Und ich halte mein Haupt erhoben. Nur möchte ich mir diese verfluchte Selbstherrlichkeit und korrupte Ader nicht zu Eigen machen. Jeder weiß doch, dass unsere werten Herren nur so lange in den politischen Posten durchgehalten haben, weil sie sich gegenseitig die Scheine zuschieben. Und dann tun sie so, als ob sie alles mit rechten Mitteln und eigener Tatkraft in die Wege geleitet hätten. Obendrein sind sie totale Hitzköpfe und lassen sich in keiner Weise anzweifeln“, knurrte Jason. „Selbst, wenn du es schaffen solltest, Bürgermeister zu werden, werden sie ihre Machenschaften nicht zugeben, geschweige denn offenbaren, dass sie oft gegen die Meinung der Mehrheit agiert haben.“ „Vielleicht kommt mir das zugute.“ „Vielleicht, vielleicht aber auch nicht.“ „Du bist heute die Optimistin in Person“, entgegnete der Blondschopf verdrossen. „Die Realität darf man nie aus den Augen verlieren“, erwiderte sie unverhohlen. „Weißt du was, meine liebe Holly?“ Aufgeweckt sah er sie an. „Ich freue mich, dass du mich gegebenenfalls immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholen kannst.“ „Ich hoffe, du lässt das nie so weit kommen. Denn dafür, dass du irgendwann genauso wirst wie die Alten mit ihrem Denken von früher, setze ich mich gewiss nicht ein!“ Stöhnend ließ sie sich nach hinten sinken und deckte sich bis zum Hals zu. „Keine Sorge, ich pass schon auf, dass das nicht geschieht.“ „Beschrei es nicht!“ „Nicht doch!“, wandte er mit einem schwachen Lächeln ein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)