Die Kraft der Elemente von ladynin ================================================================================ Kapitel 8: Tsukumo ------------------ Noch vor Sonnenaufgang brachen die fünf auf. Ayumi hatte noch Probleme mit dem Gehen, wollte sich aber nicht tragen lassen, weshalb sie nicht in der gewohnten Geschwindigkeit voran kamen. Alle waren angespannt und so gingen sie schweigend nebeneinander her. Besonders Kiyoshi machte sich Sorgen um seine Schwester, doch auch die anderen schienen zu spüren, dass der entscheidende Kampf kurz bevorstand. Kenzo war wieder voll und ganz der unnahbare Kämpfer, nichts war von seiner Zerbrechlichkeit und Schüchternheit übrig geblieben. Dennoch hielt er sich immer in Ayumis Nähe auf, stets bereit ihr zu helfen, sollte sie fallen oder ihr sonstiges zustoßen. Taro beobachtete sein Verhalten mit Skepsis, der ominöse Mann wurde ihm immer unsympathischer. Irgendetwas stimmte nicht an seiner Geschichte und ihm kam der Gedanke, Kenzo könnte vielleicht gar nicht so hilfsbereit sein, wie er vorgab. Konnte es sein, dass er sogar für die Gegenseite arbeitete? Aber warum konnte er dann das Siegel der Götter tragen? So sehr Taro auch nachdachte, er bekam nur Kopfschmerzen. Zur Mittagszeit machten sie eine Pause. Yukiko und Ayumi fächelten sich gegenseitig Luft zu und der Schweiß stand ihnen auf der Stirn. Hier in der Gegend gab es kaum Bäume und auch keine Berge, weshalb die Sonne gnadenlos auf sie herunterbrannte. Auch Kiyoshi und Taro setzten sich erschöpft nieder und tranken einen großen Schluck Wasser. Nur Kenzo schien die Hitze nichts auszumachen. Mit dem Blick gen Himmel gewandt stand er bewegungslos da und versuchte sich auszumalen, wie sie Tsukumo wohl besiegen konnten. Er wusste ob der großen Macht des Dämons und konnte nur hoffen, dass es ihm noch nicht gelungen war, Chizus Kräfte zu stehlen und sich anzueignen. Er ballte die Hände zur Faust. Sie mussten Chizu so schnell wie möglich befreien. Instinktiv fühlte er, dass nur noch wenig Zeit blieb. Plötzlich erstarrte er zur Salzsäule. Sein ganzer Körper zitterte vor Anspannung und er horchte tief in sich hinein. Aber er hatte sich nicht getäuscht. Eine überaus böse Aura näherte sich ihnen. „Verdammt! Es geht los,“, rief er, „macht euch bereit!“ Sofort zog er Ayumi zu sich, bereit, sie mit seinem Leben zu verteidigen. Auch die anderen sprangen auf und bereiteten sich auf den Kampf vor, auch wenn sie noch kein Anzeichen eines Dämons sehen konnten. Allerdings spürten sie, dass sie Kenzos Instinkt vertrauen konnten. Schon einmal hatte er die Gefahr lange vor ihnen erkannt und so Ayumi das Leben gerettet. Und auch diesmal hatte er sich nicht getäuscht. Wenige Sekunden später fühlten sie, wie die Erde erzitterte. Yukiko versuchte, sich ihre Angst nicht anmerken zu lassen, aber Kiyoshi hörte das Zittern in ihrer Stimme, als sie flüsterte: „Ist das Tsukumo?“ „Nein“, Kenzo schüttelte den Kopf, „aber der mächtigste Dämon seiner Gefolgschaft. Der Dämon der Zerstörung.“ Ayumi fühlte, wie sich ihre Kehle zuschnürte. „Das... das ist doch“, flüsterte sie mit erstickter Stimme. „Der Dämon, der unser Dorf zerstört hat“, endete Taro für sie. Die Zeit der Rache war gekommen, doch war er stark genug, diesen gefährlichen Dämon zu besiegen? Kenzos Körper zitterte vor Anspannung. Sein Blick fiel auf Ayumi, die hinter ihm gekauert vor Angst schluchzte. Ihr Anblick brach ihm beinahe das Herz und er schwor sich, sie nicht sterben zu lassen. Trotzdem wusste er ob der Gefährlichkeit dieser Situation. Die Kraft der vier Elemente war mit dem Fehlen von Chizu aus dem Gleichgewicht geraten und so war es ungewiss, ob auch nur eine der Kräfte einsatzbereit war. „Unter Umständen bin ich der Einzige hier, der etwas ausrichten kann! Aber ohne Chizu sind wir verloren. Ich muss etwas unternehmen!“ Er biss die Zähne aufeinander und suchte fieberhaft nach einer Lösung. Doch schon Sekunden später sahen die fünf die Verwüstung auf sich zurasen. Ein riesige tiefe Furche in der Erde, die alles rundherum zerstörte, kam auf sie zu. Kurz vor Kenzos Füßen bremste sie ab und wirbelte so viel Staub auf, dass sie kaum die Hände vor den Augen erkennen konnten. Angestrengt versuchten sie etwas zu erkennen. Plötzlich erhob sich der Staub, konzentrierte sich an einer Stelle und erzeugte einen Wirbel, der die fünf fast von den Beinen riss. Krampfhaft versuchten sie nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Und dann materialisierte er sich. Yukiko schlug die Hände vor den Mund. In den letzten Monaten hatte sie sich so oft den Dämon vorgestellt, der alles, was ihr einmal wichtig gewesen war, ausgelöscht hatte. Alle Schrecklichkeiten hatte sie sich ausgemalt, doch das Bild, das sich ihr nun bot, übertraf ihre schlimmsten Befürchtungen. Vor ihr stand ein Wesen, das wie ein völlig normaler Junge aussah. Doch als er seine Augen aufschlug und sie anstarrte, lief es ihr eiskalt den Rücken hinunter. Sie waren rot wie Blut und schauten völlig leer gerade aus. Es war gar nicht sie, den er anstarrte, nein, er blickte ins völlige Nichts. Gerade dieser Anblick war für sie schlimmer, als wenn ein furchterregendes Monster vor ihr gestanden hätte. Wie sollte sie ein noch halbes Kind töten? „Bastard!“, rief Taro und hob die Hände. Die Wasserfontäne, die hervorkam, war so spärlich, dass sie nur ein paar Meter vor ihm eine kleine Pfütze bildete. Rasend vor Wut starrte er auf seine Hände. Der Dämon lachte auf. „Lächerlich!“ Seine Stimme war so tief, dass Ayumi erschauderte. Bis jetzt hatte sie sich vor jedem Dämon gefürchtet, doch dieser hier ließ ihre Augen vor Panik hervortreten. Unendlich langsam, so dass es Kenzo wie Zeitlupe erschien, drehte der Dämon seinen Kopf und starrte leer in Ayumis Richtung. Als er sah, wie sich seine Lippen zu einem Grinsen verformten, reagiert er. Er zog sein Schwert, bevor die Macht des Dämons Ayumi von den Füßen reißen konnte. Doch nun konnte man sehen, wie Kraft auf Kraft prallte. An der Stelle, wo sich die beiden Mächte trafen, verschwamm die Wirklichkeit. Kenzo biss sich auf die Lippen, sein Körper bebte vor Anstrengung. „Verdammt, ich kann nicht durchziehen!“ Schweiß stand in Perlen auf seiner Stirn. Der Dämon lachte gefährlich auf und einen Moment später flog Kenzo nach hinten und riss dabei Ayumi, die hinter ihm gekauert war, mit von den Beinen und landete unsanft auf dem Mädchen. „Ayumi!“, rief Taro von unbändiger Wut gepackt. Er sah rot vor den Augen und spürte die Kraft in sich strömen. Ohne die Hände zu heben schoss ein Wasserschwall hervor und traf den Dämon in voller Wucht. „Es funktioniert?“, flüsterte er. Diesen Moment der Lähmung nutzte wiederum Kenzo, der sich in der Zwischenzeit aufrappeln hatte können und zog sein Schwert in einer gekonnten Bewegung durch die Luft. Und tatsächlich legte sich plötzlich der Staubwirbel, der den Dämon umgeben hatte und jener schien in seiner Bewegung eingefroren. „Schnell“, rief Kenzo an Yukiko, Kiyoshi und Taro gewandt, „Tsukumos Versteck ist nicht mehr weit. Mein Bann auf den Dämon dürfte noch ein wenig anhalten. Beeilt euch und befreit Chizu! Nur ihr könnt diesen Dämon besiegen!“ Die drei schauten sich an und nickten sich entschlossen zu. Sie alle wussten, dass ihnen gar nichts anderes übrig blieb, als Kenzo und Ayumi zurück zu lassen. Sie mussten auf die Kraft des jungen Kämpfers vertrauen. Gleichzeitig rannten sie los. Keiner von ihnen wusste in welche Richtung sie laufen mussten, doch instinktiv schlugen sie alle den selben Weg ein, in der Gewissheit, dass es der richtige sein würde. Als Chizu die Augen aufschlug, drehte sich die Decke über ihr. Die Übelkeit hatte sie völlig eingenommen und sie drehte den Kopf auf die Seite und schloss die Augen. Sie wusste, sie war noch immer auf diesem seltsamen Altar gefesselt. Übelkeitserregende Dämpfe stiegen ihr in die Nase und raubten ihr beinahe die Sinne. Doch sie kämpfte mit aller Macht dagegen an, sie wusste, dass wenn sie nachgab, dies ihr Ende sein würde. Sie hatte gehört, dass Tsukumo ihre Kraft rauben wollte und das würde sie nicht zulassen. Doch sie spürte, dass sie immer schwächer, und ihr Wiederstand immer geringer wurde. Tränen rannen ihr über die Wangen, als sie an ihren Bruder dachte. Sie würde nicht aufgeben. Sie spürte, dass er schon auf dem Weg war, ihr zu helfen. Tatsächlich tat sich vor den Dreien in diesem Moment wie von Geisterhand eine Höhle auf. Kein Dämon war zu sehen. Skeptisch schauten sie sich an, doch Kiyoshi war es, der aussprach, was alle dachten: „Irgendetwas stimmt doch hier nicht!“ Yukiko musste ihm beipflichten. „Du hast Recht. Das hier wirkt wie eine Einladung.“ Auch Taro war unheimlich zumute. Würde Tsukumo ihnen sein Versteck auf dem Präsentierteller servieren? Oder waren vielmehr sie es, die sich hier präsentierten? Trotzdem war ihnen bewusst, dass ihnen gar keine Wahl blieb. Und so fassten sie sich an den Händen, was ihnen zumindest ein wenig das Gefühl von Sicherheit gab, und betraten die Höhle. Im Inneren von Tsukumos Versteck konnten sogar sie die Anwesenheit des Bösen fühlen. Je weiter sie kamen, desto mehr verstärkte sich das Gefühl, geradewegs in die Hölle zu marschieren. Es herrschte Totenstille. Doch plötzlich befanden sie sich in einem hell erleuchteten Raum. Ganz hinten sahen sie auf einem Podest eine Gestalt liegen, die sich nicht bewegte. Obwohl sie zu weit entfernt war, um sie genau zu erkennen, wussten doch alle drei, dass es sich nur um Chizu handeln konnte. Doch bevor sie sich auch nur einen Schritt auf sie zu bewegen konnten, tauchten plötzlich vor ihnen unzählige Dämonen aller Art auf. Seine Schwester so nah und gleichzeitig so weit entfernt von sich zu wissen, raubte Kiyoshi schier den Verstand. Mit verzweifelter Kraft versuchten die drei sich durch die Dämonenschar zu kämpfen, doch ihre Fähigkeiten kamen und gingen, und so konnten sie einige Dämonen auf Anhieb erledigen, wurden aber im nächsten Moment von einem anderen wieder zurückgeschleudert oder verletzt. Währenddessen fühlte Chizu, wie sich das Feuer in ihr immer mehr von ihr loslöste. So sehr sie sich auch dagegen wehrte, sie wusste, dass sie keine Chance hatte. Sie schloss die Augen und jeder Wiederstand fiel von ihr ab. Tsukumo lachte auf. „Chizu!“ Kiyoshis verzweifelter Schrei drang über all die Dämonen hinweg an Chizus Ohr. Tränen schossen in seine Augen, als er zu Boden ging. Doch in diesem Moment geschah das Unglaubliche. Chizu, die eben noch bewusstlos gewesen war, öffnete die Augen. Die Welt um sie herum schien still zu stehen und sie neigte leicht den Kopf. War diese rote Flamme, die vor ihren Augen schwebte, wirklich, oder bildete sie sich das nur ein? Doch alles um sie herum fühlte sich wunderbar warm und sanft an. Vor allem aber übte diese Flamme eine seltsame Anziehungskraft auf sie aus. Und dort, die Stimme ihres Bruders, die nach ihr rief. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie nach der Flamme griff. Dann ging alles ganz schnell. Die Welt um sie bewegte sich wieder und ein verzweifelter Schrei verließ ihre Lippen. Nein, sie würde nicht aufgeben, würde nicht ihre Kraft an Tsukumo verlieren, würde nicht ihren Bruder zurück lassen. Und dann stand alles in Flammen. Ihre Fesseln schmolzen und alle Dämonen rings herum verbrannten. Auch Kiyoshi, Yukiko und Taro konnten plötzlich ihre Kräfte wieder richtig einsetzen, was den übrigen Dämonen, die vom Feuer verschont geblieben waren, ein jähes Ende bescherte. Die vier Elemente waren wieder vereint. Nur Tsukumo zog sich unbemerkt zurück. Ein leises Kichern war zu vernehmen. „Ich habe noch lange nicht verloren. Auch zu viert seid ihr nicht stark genug um mich, den mächtigsten aller Dämonen, zu besiegen!“ Doch keiner der vier dachte in diesem Moment an Tsukumo. Überglücklich schloss Kiyoshi seine Schwester in den Arm. Tränen rannen an seinen Wangen hinab und er streichelte ihr sanft über den Kopf. „Wie hast du nur...“, begann er mit zittriger Stimme, konnte den Satz aber nicht zu Ende sprechen. „Dafür bleibt keine Zeit! Wir müssen zurück um Kenzo und Ayumi zu helfen!“, rief Taro dazwischen. „Kenzo?“, warf Chizu fragend ein. „Komm schon! Wir erzählen es dir auf dem Weg zu den beiden!“, drängte Yukiko, die wusste, dass Kenzos Bann den Dämon wohl nicht sehr lange würde in Schach halten können. Noch immer war der Dämon erstarrt und Kenzo hielt sein Schwert kampfbereit. Ayumi, die sich inzwischen hochgerappelt hatte, konnte ihren Blick nicht von dem unheimlichen Jungen wenden. Dies war der Dämon, der ihre Eltern und ihr Dorf vernichtet hatte? Ungläubig betrachtete sie sein zartes Gesicht, das so überhaupt nichts Böses ausstrahlte. Dennoch sagte ihr der Verstand, dass dieses Wesen ohne zu Zögern tötete. Schließlich wusste sie, dass er es getan hatte. Ihr Blick fiel auf Kenzo, der den Dämon nicht aus den Augen ließ. Sein Körper war angespannt und ihm war anzusehen, dass er spürte, dass sein Bann wohl nicht mehr lange halten würde. Ayumi, die sich neben ihn gestellt hatte, legte den Kopf schief und schaute dem Dämon in die Augen. Nichts in ihnen regte sich, sie starrten ins Leere. Mitgefühl durchströmte ihren Körper und sie betrauerte das Kind vor ihr, obwohl sie wusste, dass dies nur eine Hülle war. Zögerlich machte sie einen Schritt nach vorne. Die Augen blitzten auf. Kenzo reagierte. Sein Körper schnellte nach vorne, während sein Schwert auf den Boden aufschlug. Ohne zu zögern hatte er es weggeworfen, denn er hatte seine Wahl getroffen. Kurz versperrte sein Körper ihr die Sicht, bevor sie nach hinten geschleudert wurden. Sie sah, wie Teile seiner Rüstung an ihr vorbeiflogen und im Sand aufprallten. Sein Körper wurde hart gegen ihren gepresst und sie fühlte etwas warmes, das an ihren Körper klatschte und dann zähflüssig an ihm hinab rann. Blut. Sie fielen zu Boden, sein Körper schützend über ihrem. Zitternd erklang seine Stimme an ihrem Ohr: „I... ich... ich beschü... beschütze dich.“ Tränen schossen ihr ins Gesicht, als sie erkannte, was eben passiert war. Kenzo hatte den Angriff nicht kommen sehen. Er wusste nicht, ob der Dämon die Starre nur vorgetäuscht hatte, um den Eindruck zu erwecken, er wäre noch gebannt, oder ob er tatsächlich in dem Moment, als Ayumi einen Schritt nach vorne gemacht hatte, wieder losgelöst war. Obwohl sich alles innerhalb Sekundenbruchteilen abspielte, hatte er sich entscheiden müssen, ob er das Schwert noch einmal durchzog, aber so riskierte, dass der Angriff Ayumi trotzdem treffen würde, oder ob er sie mit seinem Leben beschützen würde. Sein Körper zitterte und Ayumi rappelte sich unter ihm hervor. Ohne auf den Dämon zu achten, der noch immer in der Luft schwebte und sie aus leeren Augen beobachtete, kniete sie vor Kenzo und streichelte seine Wange. Seine Lippen bebten, als er versuchte etwas zu sagen, doch Ayumi legten einen Finger auf seine Lippen, während sich Tränen an ihren Wangen perlten. „Sprich nicht“, flüsterte sie. Noch nie hatte sie sich so hilflos gefühlt. Hier lag der Mann, der sie beschützt hatte und sie konnte nichts tun. Es gab nichts, das sie dem Dämon hätte entgegensetzen können. Sie spürte seinen Blick auf ihr, hörte sein tonloses Lachen. Sie schloss die Augen, denn sie fühlte, dass dies ihr Ende sein würde. Doch ihre Zeit war noch nicht gekommen. Später wussten sie nicht, wer zuerst seine Kraft eingesetzt hatte. In dem Moment, als der Dämon der Zerstörung seine Kräfte gegen Ayumi einsetzen wollte, trafen Chizu, Taro, Yukiko und Kiyoshi ein. Automatisch hob jeder von ihnen die Hände um anzugreifen. Beinahe gleichzeitig schossen eine Wasserfontäne, ein Feuermeer, ein Windstoß und ein Erdwall hervor und trafen den Dämon mit voller Wucht. Hart schlug der Körper des Jungen auf dem Boden auf. „Das war der Dämon der Zerstörung?“, fragte Chizu und zog eine Augenbraue hoch, während sich Yukiko und Taro vor Ayumi und Kenzo auf die Knie fallen ließen. Kiyoshi hatte sich nicht vom Fleck bewegt, instinktiv spürte er, dass dieser Kampf noch nicht gewonnen war. „Ihr... müsst eure“, Kenzo hustete, „Kräfte vereinigen.“ „Vereinigen?“, Yukiko schaute Taro fragend an, der aber nur unwissend die Schultern zuckte. „Haben wir das nicht gerade getan?“, meinte Chizu. Der Dämon rappelte sich auf. Wieder auf den Beinen sah er aus, als wäre nichts passiert. „Na offensichtlich wohl nicht!“, murmelte Taro und stellte sich vor Ayumi. Im Angesicht des Todes dachte er nicht über sein widersprüchliches Verhalten nach. Es war ihm egal, ob er hier und jetzt sterben würde, aber den Gedanken, der Dämon könnte Ayumi vor seinen Augen töten, konnte er nicht ertragen. „Seid... das Leben“, presste Kenzo hervor, bevor seine Stimme versagte. Sein Atem ging nur noch stoßweise und er fühlte, dass seine Kräfte ihn immer mehr verließen. Plötzlich fiel es Yukiko wie Schuppen von den Augen. „Bildet einen Kreis um Kenzo und Ayumi!“, rief sie und packte Taro an der Hand. Dieser starrte sie verwirrt an, sagte jedoch nichts. Er wusste zwar nicht, was Yukiko vorhatte, aber ihm war klar, dass dies ihre letzte Chance war und so vertraute er dem Mädchen mit dem schneeweißen Haar. Auch Chizu und Kiyoshi fassten sich an den Händen, während sie sich gegenüber von Yukiko und Taro aufstellten. Yukiko schloss die Augen. Sie hatte jetzt keine Angst mehr. „Luft“, flüsterte sie. Taro musterte sie skeptisch. „Wasser“, sagte er schließlich. In diesem Moment klingelte es auch bei Kiyoshi. „Erde!“ Auch er schloss die Augen. „Feuer“, flüsterte Chizu. Im selben Moment erfolgte der Angriff des Dämons. Um sie wirbelten Steine und sogar ganze Brocken herum, als die Energien aufeinander prallten. Doch die vereinten Kräfte der Elemente hüllten den Dämon der Zerstörung ein. Seine Hülle, der Körper eines Menschenjungen, löste sich einfach auch. Von dem mächtigen Dämon, der so viel Leid in ihr Leben gebracht hatte, blieb nichts zurück. Als Yukiko die Augen wieder öffnete, schaute sie in Kiyoshis strahlendes Gesicht. Gleichzeitig ließen sie die Hände, die sie gehalten hatten, los und fielen sich in die Arme. Überglücklich bedeckten sie sich mit Küssen und drückten sich. Ayumi konnte nicht fassen, was sie sah. Kenzo setzte sich auf. Strahlend nahm er sie in den Arm und stand dann auf. „Aber wie...“, stotterte Ayumi, die nicht fassen konnte, was sie da sah. Der junge Kämpfer, dessen Körper eben noch vor Wunden gestrotzt hatte, war nun völlig heil. Ein Lächeln umspielte seine Lippen. „Mit der Vereinigung der Elemente habt ihr die stärkste aller positiven Mächten hervorgerufen – das Leben. Yukiko hat das als erste erkannt. Deshalb bin ich auch nicht gestorben, obwohl ich tödlich verletzt war. Seht euch nur um, das Leben ist in diese Gegend, die vom Bösen und der Zerstörung erfüllt war, zurückgekehrt“, sagte er. Tatsächlich, dort, wo eben noch karges Gestein und Sand herumgelegen hatte, wuchsen nun weiches Gras und duftende Blumen. „Du Dummkopf! Beinahe wärst du gestorben!“, rief Ayumi, worauf Kenzo sie an sich zog und sanft küsste. Völlig verdattert blieb sie einfach bewegungslos stehen und starrten ihn an. Taro allerdings kochte innerlich und hätte die beiden am liebsten auseinander gerissen. Nun, da er seine Gefühle gegenüber Ayumi endlich zuließ, lag sie in den Armen eines anderen! Chizu, der die anderen bereits auf dem Weg aus Tsukumos Höhle alles über den jungen Krieger Kenzo erzählt hatten, legte einen Arm auf Taros Schulter. Ihre Vermutung schien sich also endlich zu bestätigen. Die Wut in seinen Augen sprach Bände. „Den Dämon der Zerstörung habt ihr also besiegt, nicht schlecht. Das macht es für mich nur noch spaßiger euch alle zu töten!“ Direkt vor ihnen stand Tsukumo in seiner ganzen Schrecklichkeit. Die sechs Freunde inklusive Kenzo wichen zurück. Die Freude über den Sieg war so groß gewesen, dass sie ihren eigentlich Feind beinahe völlig vergessen hatten. Sofort packte Taro jeweils eine Hand von Kiyoshi und Chizu und auch Yukiko ergriff die Hände von ihren Freunden. Wieder bildeten sie einen Kreis, um erneut ihre Kräfte zu vereinen. Die gebündelte Energie traf mit voller Wucht auf den Dämon, doch dieser malte einen Kreis mit der Klaue seines rechten Arms in die Luft und schon löste sich die Kraft des Seins, nämlich das Leben, einfach auf. Mit einem überlegenen Lachen machte er eine wegwerfende Bewegung und schon wurden sie alle nach hinten geschleudert. Dann hob er die Hand und zeigte auf Taro. Ohne dass dieser sich hätte wehren können, wurde sein Körper in die Luft erhoben und auf Tsukumo zu bewegt. Eine unsichtbare Macht drückte ihm die Kehle zu und der Mann röchelte. Ayumi quollen die Augen vor Entsetzen aus den Höhlen. „Nein!“, schrie sie langgezogen und stürzte nach vorne. Doch es war zu spät, schaurig lachend schleuderte Tsukumo Taros bereits schlaffen Körper direkt auf die Gruppe der Freunde zu. Hart schlug er auf dem Boden auf und rührte sich nicht mehr. „Nein!“, schrie Ayumi noch einmal. Die Wut floss durch ihren Körper, Verzweiflung und Angst nahmen ihren Geist ein. Und da fühlte sie es. Die unbändige Kraft in ihr drohte ihren Körper zu zersprengen. Und da wusste sie, dass Tsukumo ihr nichts würde tun können. „Bei den Göttern!“, rief Yukiko aus, als sie sah, wie Ayumi aufstand und alles um sie herum einfach verschwand. Ihr Haar flatterte im Energiestrom und ihr Kimono war verschwunden. Alles, was ihre bloßen Füße berührten, löste sich einfach auf. Doch das nackte Mädchen schien nichts davon mitzubekommen. Mit gesenktem Kopf setzte sie ein Bein vor das andere und ging langsam auf Tsukumo zu. „Sie ist das Nichts, die Gegenkraft zum Leben“, sagte Kenzo ohne den Blick von Ayumi zu wenden. „Dann wusstest du etwa die ganze Zeit, dass sie doch eine Kraft hatte!“, rief Kiyoshi empört aus. Kenzo zuckte nicht einmal mit der Wimper. „Ja, ich wusste es. Und ich dachte anfangs, ihr wüsstet es auch, schließlich hättet ihr euch selber zusammenreimen können, dass eine Macht, wie die der vereinten Elemente, eine Gegenkraft braucht, damit die Welt im Gleichgewicht bleibt. Aber als ich merkte, dass ihr keine Ahnung hattet, sagte ich nichts, um Ayumi nicht zu verängstigen. Womöglich hätte das alles zerstört und ihr wärt jetzt tot.“ „Gegenkraft? Soll das etwa heißen, Ayumi ist böse?“, rief Taro aus und ballte die Hände zu Fäusten. Nein, das wollte er einfach nicht glauben. Ayumi war die Unschuld in Person, wie könnte sie böse sein? Aber wenn er sie so ansah, wie sie einen Schritt nach dem anderen auf Tsukumo zu machte und dabei die Welt ins Nichts verschluckte, lief es ihm eiskalt den Rücken runter. „Sie ist nicht böse. Sie ist die Gegenkraft zum Leben, das sagte ich doch schon. Sie macht nichts, außer dass sie das Sein ins Nichtssein umdreht. Und das tut sie wahrscheinlich nicht bewusst, sie wird von Hass und Wut getrieben.“ Er senkte den Kopf. „Vielleicht wird sie alles Sein auslöschen.“ In der Zwischenzeit war Ayumi vor Tsukumo angelangt, der wie versteinert vor ihr stand. „Nein, das kann nicht sein!“ Ungläubig starrte er das Mädchen an, das jetzt den Kopf hob und ihm direkt in die Augen schaute. Ayumis Gesicht hatte keinen Ausdruck, weder Hass noch sonst ein Gefühl war in ihren Augen zu sehen. Als ihr Blick den Dämon traf, lösten sich dessen Körper, dessen Aura und alle seine Kräfte auf. Dann stand sie bewegungslos da und senkte den Kopf. Chizu, die vor Angst wie gelähmt war, fragte mit zitternder Stimme: „Wird sie uns jetzt töten?“ „Wenn wir sie nicht stoppen... Ja, ich fürchte, dann wird sie das tun“, seufzte Kenzo. „Dann werden wir sie eben aufhalten!“, rief Chizu. „Du meinst, wenn wir unsere Kräfte noch einmal vereinigen...“, flüsterte Yukiko, die erkannt hatte, worauf Kenzo hinauswollte. „Wenn das Sein und das Nichtsein aufeinander treffen“, überlegte sie, „dann müsste alles wieder ins Lot kommen.“ „Ich weiß aber nicht, was dann passiert. Noch nie trafen zwei so starke und doch ebenbürtige Kräfte aufeinander“, meinte Kenzo, der den Blick einfach nicht von Ayumi abwenden konnte. Auch wenn Tsukumo nicht mehr existierte, war dies hier vielleicht dennoch der Platz, an dem sie alle sterben würden. Und obwohl er um Ayumis Zerstörungskraft wusste, war sie für ihn nie schöner gewesen als in dem Moment, als sie sich umdrehte. Noch immer war ihr Kopf gesenkt, doch er wusste, dass wenn sie ihn hob, sich alles, was in ihr Blickfeld kam oder ihren Körper berührte, sich unweigerlich auflösen würde. Und dann standen sie sich gegenüber. Auf der einen Seite Ayumi, die noch immer den Kopf gesenkt hielt und auf der anderen die vier Vertreter der Elemente, die sich an den Händen hielten und im Hintergrund Kenzo. Taro, dem Tsukumo schwer zugesetzt hatte, konnte sich kaum auf den Beinen halten und keuchte vor Anstrengung. Doch er biss die Zähne zusammen und konzentrierte sich. Mit aller Kraft klammerte er sich ans Leben. „Ayumi“, flüsterte er, als sie aufschaute. Das Sein und das Nichts trafen aufeinander. Dann war es still. Anmerkung der Autorin: Ja, ich weiß, dass es in diesem Kapitel einige Ungereimtheiten gibt, aber ich hab es 3 mal geschrieben und dies hier ist eindeutig die beste Fassung. Meine treue Kritikerin Judichan möge mir verzeihen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)