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Dark Age of Camelot

Llienne's Life
von

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Das Mädchen aus Vasudheim: Geschichte einer Kindheit

Midgard, 1. Zeitalter: Llienne
 

Schatten und Feuer. Etwas Gewaltiges regt sich in der Dunkelheit.

"Hhaaah..."

Llienne läuft und läuft...sie flieht vor den Schatten, obwohl sie weiß, dass sie es niemals schaffen wird. Hitze lässt die Luft flimmern, doch das sieht Llienne nicht.

"Hhaaarrhhh...!"

Es ist jetzt schon viel näher und Llienne kann seinen stinkenden, heißen Atem auf ihrer nackten Haut spüren. Sie weiß nicht, was es ist, sie spürt nur die Hitze und die flüsternden Schatten, die ES mit sich bringt. Llienne möchte schreien vor Angst denn sie weiß es...sie weiß, wenn ES sie zu packen bekommt, wird sie zu einem Schatten wie die anderen werden. Erst wird sie sich in Schmerzen winden, während sich das Feuer an ihrem nackten Fleisch labt und dann...

"Hhhaaaarrrghhhh...!!"

ES ist da. Llienne kann den Blick der feurigen, seelenlosen Augen beinahe körperlich im Rücken spüren. Sie will schreien, ihre Angst in die Schatten hinaus schreien, doch sie ist gelähmt vor Furcht, unfähig, auch nur einen Muskel zu rühren. Ihre Kehle ist wie zugeschnürt. ES ist da.

Llienne spürt, wie der Boden unter ihr nachgibt und sie ins Nichts stürzt. ES stößt einen schrecklichen, heulenden Schrei aus, der Mordlust und Enttäuschung wiederspiegelt. Der Jagdschrei der Bestie und nun kann Llienne auch schreien...sie fällt in die Schatten und schreit und schreit und...
 

Llienne! verdammt, was ist es dieses Mal?! wach auf und reiß dich zusammen!"

Ich blinzelte benommen und blickte direkt in ein großes, wild zerfurchtes Männergesicht mit zornfunkelnden, grauen Augen. "Papa?" murmelte ich irritiert. Doch plötzlich richtete ich mich kerzengerade auf, so abrupt, dass ich fast mit Papas Stirn zusammen schlug. Ich war am Leben! und, wie ich nach einem kurzen Blick auf meinen mageren Mädchenleib feststellte, unverletzt. "Was soll dieser Lärm am frühen Morgen?" fuhr mich Papa an. Ich blickte ihn groß an und meine Kehle wurde mir eng. Wie konnte er das sagen, nach der Furcht, die ich durchlitten hatte. Ich blinzelte erneut -mir musste was ins Auge geflogen sein- und murmelte nur: "Entschuldige, Papa." Er war noch nicht besänftigt. "Jede Nacht schlägst du Krach und weckst das halbe Dorf! Mutter braucht Ruhe und deine Brüder müssen jeden Morgen sehr früh aufstehen. Die Einzige, die uns ständig nur Ärger beschert, bist du, Llienne. Ausserdem..." seine Stimme wurde nun erst richtig tadelnd, "fällst du mit elf Jahren noch immer aus dem Bett. Schämst du dich nicht? was soll dein zukünftiger Mann von dir halten, wenn du dich als reife Frau immer noch so aufführst?"

"Es tut mir Leid, Papa."

"Ach ja, ich kann es nicht mehr hören. Nun denn, wo du eh schon wach bist, kannst du genauso gut aufstehen und im Wald etwas Essbares sammeln. Nun aber, mach schnell!"

Ich nickte nur. Wenn Papa in so einer Stimmung ist, sagt man am besten gar nichts. Nachdem er gegangen war -nicht, ohne mich noch einmal böse anzuschauen- raffte ich leise seufzend meine wenigen Habseligkeiten zusammen: ein altes Hemdröckchen aus zerschlissenen Leinen, abgetretene Sandalen aus Hirschleder und ein winziges Beutelchen, in dem ich das verwahrte, was ich einmal von einem sterbenden Streuner im Wald geschenkt bekommen hatte. Meinen einzigen Schatz. Bei der Erinnerung kroch mit eine Gänsehaut den Rücken hinunter:
 

Es war ein grauer Vormittag gewesen und nun beinahe ein Jahr her. Papa hatte mich losgeschickt, um Pilze im Wald zu sammeln. Er hatte mich noch ermahnt, nicht allzusehr zu trödeln. Ich hatte ihm versprochen, mich zu sputen und war gegangen. Tief im Wald hörte ich plötzlich eine entkräftete Stimme. Ich war neugierig, obwohl mir Vaters Worte noch immer in den Ohren nachklangen- ich sollte mich beeilen. Aber diese Stimme klang schwach und hilflos und meine kindliche Neugier war stärker als meine Furcht vor Papas Zorn. Als ich neugierig näherkroch und argwöhnisch durch die Zweige spähte, konnte ich eine zusammengekrümmte Gestalt sehen, die leise keuchend auf dem Boden lag und sich wie zum Schutze unter einen umgestürzten Baum geschleppt hatte. Vorsichtig trat ich näher, jederzeit bereit, die Flucht zu ergreifen. Obwohl ich mich völlig leise bewegte, fragte die Gestalt plötzlich -ihrer Stimme nach zu urteilen war es ein Mann- krächzend: "W...wer ist da...?" ich zuckte leicht zusammen und antwortete zögernd: "Ich bin da."

"W...er ist ich?"

"Llienne."

Er lachte qualvoll und hustete leise. "So, so und wer ist Llienne?" ich trat noch näher und betrachtete ihn. Er war groß, mindestens einen Kopf größer als Papa, der wahrlich kein Zwerg war. Doch er war viel schlanker als Papa und trug ausserdem keinen Bart. Seine Kleidung fand ich besonders seltsam. Papa pflegte immer rauhes Nietenleder und schwere, klobige Stiefel zu tragen, dieser Mann war in eine dunkelblau schimmernde Robe aus feiner Seide gekleidet und trug einen schmalen Stoffgürtel mit kleinen, funkelnden Edelsteinen um die Hüften. Unnatürlich wirkten ausserdem sein langes, violett glänzendes Haar und die abgebrochenen Pfeile, die aus seinem Rücken wuchsen. Ich schrak zusammen und antwortete mit einiger Verspätung: "Ich bin die Tochter von Asmund von Vasudheim, Herr." Er drehte mir schwerfällig den Kopf zu und ich konnte sein Gesicht nun gänzlich sehen. Es war nicht mehr jung, aber auch noch nicht alt genug, um ihn Greis zu nennen. Er wirkte irgendwie...zeitlos, ein anderes Wort fiel mir nicht ein. Seine dunkelblauen Augen waren sanft und schön, doch sie flackerten und ihr Blick verriet mühsam unterdrückten Schmerz. Er runzelte die mit einer goldenen Perlenschnur geschmückte Stirn. "Sagtest du...Vasudheim?" flüsterte er rauh. Als er die Lippen öffnete, rann ein feiner Blutstrom aus seinem Mundwinkel.

"Ja, Herr."

Er musste erneut husten und ich ging zögerlich neben ihm in die Hocke. Er versuchte, mich anzulächeln, doch der Versuch misslang kläglich. "Und was...treibt e...eine hübsche, junge Dame so ganz...ganz allein im Wald?" es sollte wohl nett gemeint sein, aber Papa hatte mir schon immer eingeschärft, dass ich mich 'von keinem Halunken als kleines, niedliches Püppchen' bezeichnen lassen sollte. So erwiderte ich brummig: "Ich bin keine Dame, ich bin eine Kämpferin!" er probierte erneut ein Lächeln. "Oh...sicher, verzeih mir."

Ich blickte ihn ratlos an. "Tut Euch was weh?"

"Es...geht schon."

Ich war zwar ein Kind, aber doch nicht blöd! der Boden um ihn herum und auch seine Kleidung waren durchweicht und rot vor Blut. Obwohl es ein ziemlich furchtbarer Anblick war, erschreckte er mich nicht. Ich hatte oft die rituellen Opferungen im Dorf beobachtet. Da wurden zwar nur Monster und Tiere geschlachtet -so drückte sich Papa aus- doch es floss auch jedes Mal viel Blut. Ich sah zwischen diesem Mann und den Opfern keinen Unterschied. "Ihr seid aber verletzt und blutet. Soll ich ins Dorf gehen und einen Heiler holen?" die Aussicht schien ihn zu erschrecken, denn er stemmte sich kraftlos hoch und keuchte: "N...nein, tu das nicht, es geht schon..." er biss sich auf die Lippen und zuckte zusammen. Der Blutstrom, der zwischen seinen Lippen hervortrat, wurde stärker. Ich erschrak und sagte hastig: "Ist gut, ich mach es nicht!" da mir nichts besseres einfiel, setzte ich mich neben ihn. Er lächelte qualvoll. "Danke, Llienne..."

Ich betrachtete seinen pfeilgespickten Rücken. "Soll ich die Pfeile herausziehen? vielleicht tut es dann nicht mehr so weh?"

Er schüttelte matt den Kopf. "Lass gut sein."

"Wirklich?"

"Ja." Er seufzte leise. "Llienne...ich möchte dass du...dass du jetzt wieder in dein Dorf gehst...und...tust du mir einen Gefallen?" ich nickte freimütig. "Ja, Herr."

Er griff mit zitternden Händen in die Taschen seiner Robe und holte etwas heraus. Ich beugte mich neugierig vor, um den kleinen Gegenstand betrachten zu können: Es war eine Art Kristall, bestehend aus fünf silbrigen Zacken, die wohl im Laufe der Zeit zusammengewachsen waren. Der Kristall schimmerte, als sei Mondlicht in seinem Inneren gefangen. "Sieht schön aus," meinte ich, weil mir nichts anderes einfiel. Er nickte schwach. "Ja...schön und...und kostbar. Hier...nimm ihn." Ich sah ihn zweifelnd an. "Einfach so?"

Er nickte erneut und es schien ihn all seine Kraft zu kosten. "Ich bitte dich...verwahre dies für mich, Llienne...wirst du...wirst du, wenn du erwachsen bist...i...irgendwann ins Grenzland ziehen...?" seine Worte kamen stockend und gepresst, Schweiß perlte auf seiner Stirn. Ich nickte verwirrt. "Natürlich werde ich das. Ich will doch für meine Heimat kämpfen!" dabei glomm kurz ein Funke von Stolz in mir auf. Wie erwachsen das klang! der Mann schien das auch zu finden, denn er lächelte ein letztes Mal. "Dann...ist es gut." Damit schloss er seine schönen Augen und holte rasselnd Luft. Er stieß sie keuchend aus und tat dann keinen weiteren Atemzug mehr. Verwirrt und nun doch etwas verängstigt blieb ich neben der Leiche sitzen. Um überhaupt etwas zu tun, drehte ich seinen Kristall in den Händen und konnte bei näherem Hinsehen feststellen, dass er unten abgebrochen war. Es sah aus, als hätte er einmal in einer Fassung gesteckt, ehe ihn irgendjemand oder irgendetwas mit großer Kraft aus seinem angestammten Platz herausgeholt hatte. Ich ließ den Kristall in den Taschen meines schmutzigen Kleides verschwinden, beugte mich über den Toten und nahm all meinen Mut zusammen, ehe ich ihm zaghaft das seidenweiche Haar aus dem Gesicht wischte. Als ich seine Ohren sah, wich ich erschrocken zurück. Mit einer bösen Ahnung kroch ich um ihn herum und platzierte mich hinter seinem Rücken, aus welchem ich mit einem gewaltigen Ruck einen der mindestens sieben Pfeile riss. Ich wusste, dass der Mann das nicht mehr spüren konnte, darum ging ich nicht allzu vorsichtig vor. Durch die herrische Bewegung spritzte allerdings ein beachtlicher Blutschwall aus der Wunde und besudelte mein Kleid. Davon nahm ich kaum Notiz. Ich starrte den Pfeil an. Es war einer von denen, die die angesehenen Jäger in Jordheim kauften und teilweise auch selbst herstellten. In Vasudheim, was direkt im Schatten der Hauptstadt lag, bot manchmal der ein oder andere Händler ein paar dieser Geschosse feil. Sie waren von bester Qualität, aus seltenem Holz gefertigt, mit perfekt angeordneten Widerharken versehen und für das Gefieder verwendete man nur die Federn mächtiger Wesen aus dem Grenzgebiet. Ich erschauderte und mir wurde eiskalt. Dieser Pfeil war einer von denen, wie sie nur die Elitekämpfer des Reiches benutzten. Und der Mann, der ihnen zum Opfer gefallen war, war ein Elf.

Ich sprang auf und rannte, von Grauen gepackt, ins Dorf zurück. Ein paar Arbeiter starrten mich an -höchstwahrscheinlich wegen meinem blutbespritzten Kleid- und einige riefen mir irgendwelche Worte nach, doch ich hörte sie nicht.

Dabei raste mein Herz vor Angst. Ein Elf, ein Hibernianer...und ich hatte mit ihm gesprochen, ihm gar etwas versprochen. Bei dem Gedanken, was Papa wohl mit mir anstellen würde, sollte er davon erfahren, brach mir der kalte Schweiß aus. Um kein Aufsehen zu erregen, zog ich zu Hause heimlich mein Kleid aus und vergrub es später im Wald. Den neugierigen Männern erzählte ich lässig, dass ich auf der Jagd einen Hügel hinab gefallen sei und mich dabei verletzt hätte und dass es viel schlimmer aussah als es tatsächlich war... jeder glaubte es und keiner fragte mich mehr, die Sache geriet in Vergessenheit. Aber nicht für mich...
 

Diese Gedanken schossen mir nun durch den Kopf und ich verdrängte sie rasch. Einen Moment blickte ich den Beutel noch an und zögerte, doch dann befestigte ich ihn an dem groben Seil, das ich als Gürtelersatz um die Hüften trug. Leise verließ ich die alte Holzhütte, nahm im vorbeigehen einen Korb aus grob geflochtenem Holz an mich und bewegte mich in Richtung Wald. Dabei schweiften meine Gedanken schon wieder ab, hin zu dem toten Elfen. Ob die Jäger seine Leiche wohl irgendwann gefunden hatten? oder hatten sich die Wölfe seiner angenommen? ohne es zu merken, war ich schon ziemlich tief in den Wald vorgedrungen. Ich stellte meinen Korb ab, ging in die Hocke und begann, Pilze zu sammeln. Ich hatte schon ziemlich viele aufgelesen, als hinter mir plötzlich ein Knacken erklang und ich rauhen, leisen Atem im Nacken spürte. Ahnungslos drehte ich mich um- und schrie erschrocken auf. Die Gestalt vor mir war riesig, an die zwei meter oder mehr. Und sie war kein Mensch. Auf zwei Beinen aufrecht gehend und ohne Kleidung, der gesamte, muskulöse Körper mit struppigem, schwarzbraunem Fell bewachsen. Die Kreatur hatte einen Wolfsschädel, die gelben Augen glühten mich unheimlich an. Ich stand langsam auf und wich -ebenso langsam- Schritt für Schritt zurück. Das Wolfswesen knurrte leise und folgte mir im gleichen Tempo, wobei es seine Schnauze öffnete und mir eine Reihe fingerlanger, blitzender Zähne zeigte. Die Warnung war unmissverständlich. Ich blickte gehetzt nach links und rechts. Ringsum Bäume, Sträucher und der ein oder andere Felsen. Das Vieh war ganz sicher schneller zu Fuß als ich und die Bäume hatten keine tiefhängenden Zweige oder Vorsprünge, die eine Flucht in die Wipfel ermöglicht hätten. Ganz abgesehen davon, dass sich das Monster wohl sofort auf mich stürzen würde, sollte ich den Anschein erwecken, fliehen zu wollen. Ich wich noch weiter zurück und der Riesenwolf folgte mir erneut. Das Knurren war jetzt wirklich drohend und mein Blick flackerte vor Angst. Neben mir lag ein abgebrochener, alter Ast und ich griff rasch danach. Das war eine ziemlich erbärmliche Waffe, aber wenn mich dieser Flohbeutel schon in Stücke reißen wollte, würde ich ihm mein Leben zumindest so teuer verkaufen, wie es eben möglich war. Mehr oder weniger kampflustig sah ich den Mörderwolf an und ärgerte mich, dass meine Stimme so sehr zitterte, als ich ihn nun meinerseits anknurrte: "Komm doch her, wenn du Prügel kassieren willst, du Bettvorleger! mir machst du keine Angst!"

Habt Ihr schon mal einen Wolf lachen sehen? nein? ich kann Euch sagen, es ist ein durch und durch bizarrer Anblick. Denn der Bettvorleger, wie ich ihn genannt hatte, riss jetzt das gewaltige Maul auf und gab rauhe Laute von sich, die ganz tief aus seiner Kehle zu kommen schienen. Es klang tatsächlich so, als ob er mich auslachte. Ich blieb einen Moment lang verdattert stehen, ehe plötzlich Zorn in mir hochkochte. Mit einem halbherzigen Kampfschrei stürzte ich vor und schwang den aushilfsmäßigen Prügel. Das Wesen hörte auf zu lachen -sollte es sich denn überhaupt um ein Lachen gehandelt haben- und prellte mir mit einem einzigen, nahezu gelangweilten Hieb den Knüppel aus der Hand. Ich wurde durch meinen eigenen Schwung nach vorne gerissen und schlug hart auf dem Waldboden auf. Bunte Punkte tanzten vor meinen Augen. Im selben Augenblick gab der Wolf seine bis dato eher passive Haltung auf und stürzte sich mit einem kehligen Knurren auf mich, die ich noch immer benommen am Boden hockte. Das wars dann wohl, dachte ich und machte die Augen fest zu.

Doch es geschah nichts. Keine Krallen, die sich in meine Brust bohrten, keine scharfen Fänge, die mir die Kehle zerfetzten. Stattdessen hörte ich den Killerwolf plötzlich zornig aufbrüllen und vernahm gleichzeitig eine zweite Stimme, die mir herrisch zurief: "Nun schlaf nicht ein, verdammt! auf die Beine mit dir!" ich öffnete die Augen und sah erstaunt, welches Bild sich mir bot: das Wolfswesen, knapp über mir, mit geiferndem, weit geöffnetem Maul. Seine Klauen kratzten über die Erde, die Rute schlug wild hin und her. Aus irgend einem Grund konnte es sich nicht bewegen, oder zumindest nur so langsam, dass es sich mühsam milimeter für milimeter vorwärts schob. Und ich war nicht mehr allein mit dem Untier. Hochaufgrichtet stand dort eine junge Frau und fuhr mich nochmals an, endlich aufzustehen. Ich gehorchte rasch und sprang auf, ehe ich erschrocken zurück wich, als das Untier zornig aufjaulte und den Hals lang machte, um nach mir zu schnappen. Dabei schien es noch immer, als sei es am Erdboden festgeklebt, es konnte sich kaum bewegen. "Steh da nicht dumm rum und glotz! komm her, und dann lass uns verschwinden!" schrie die junge Frau zornig.

Ich eilte an ihre Seite, sie fasste mich hart am Arm und rannte auch schon los, wobei ich mühsam hinter ihr herstolperte. Ich war noch immer restlos verwirrt und der Schreck saß mir in den Knochen. "D...danke," keuchte ich im Laufen. Sie schüttelte knapp den Kopf und beschleunigte ihr Tempo. Ihre Stimme klang gehetzt und nicht sehr freundlich: "Bedank dich nicht zu früh, er wird sich nämlich jeden Moment wieder bewegen können und dann haben wir gewaltige Probleme...nochmal kann ich ihn nicht so an der Nase herumführen und wenn er uns erwischt, sind wir fällig. Was hattest du bloß alleine hier zu suchen? weißt du nicht, dass es derzeit verdammt schlimm mit den Askheimern ist?!" ich wusste es nicht. Doch ich fühlte mich zurecht gewiesen und schwieg, zumal ich eh schon aus der Puste war und den wenigen Atem, den ich noch hatte, nicht zum Sprechen vergeuden wollte. Die junge Frau hatte wohl auch keine Antwort erwartet, denn sie lief nur mit ungehaltenem Gesicht weiter und zerrte mich micht. Da war schon der Waldrand und ich atmete erleichtert auf. Zu früh, wie ich eine Sekunde später feststellen musste. Hinter uns erklang ein wütendes Heulen und knackende Zweige sowie wild stampfende Schritte kündeten an, dass der Wolf -Askheimer?- sich wohl aus seiner merkwürdigen Lage befreit hatte. "Lauf schneller!" schrie die junge Frau und ich konnte die Angst in ihrer Stimme deutlich hören. Ich keuchte, japste nach Luft und schaffte es irgendwie, ihrer Aufforderung Folge zu leisten. Trotzdem hätten wir es wohl nie geschafft, wären in diesem Moment nicht die vasudheimischen Stadtwachen am Waldrand aufgetaucht. "Hilfe! helft uns!" brüllte die Frau und die Wachen fuhren herum. Es waren Trolle und ich atmete unendlich erleichtert auf: Die drei riesigen Kreaturen in ihren schwarzen Kettenrüstungen wirkten wie lebendig gewordene Alpträume und die Schwerter und Äxte, die sie bei sich trugen, waren mehr als doppelt so groß wie die Waffen der normalen Milesier. Sie stürzten sich zornig auf den Wolf- doch er wich ihnen geschickt aus, indem er sich mit einem raschen Satz zur Seite rettete. Seine glühenden Augen waren auf die Frau und mich gerichtet, er schien wild entschlossen...das ist doch nur ein Tier!, rief ich mir in Gedanken zu und beobachtete entsetzt, wie er Wolf sich mit einem gewaltigen Satz nach vorne warf.

"Aaahrgh!"

Das Wolfswesen schrie kehlig auf, als sich die Axt und die Klinge des Bastardschwertes der beiden Wächter gleichzeitig in seinen Leib bohrten. Hinter den Hieben steckte eine furchtbare Kraft, Blut spritzte, das Ungetüm stürzte mitten im Sprung nieder und riss mit seinem Gewicht noch die junge Frau zu Boden. Ich kniete mich rasch hin und versuchte, den schlaffen Körper des toten Biestes von ihr herunter zu zerren, aber meine Kräfte reichten dazu nicht aus. Plötzlich wurde ich von zwei gewaltigen, steinernen Armen einfach hochgehoben. Ich sah verdutzt auf und blickte in zwei pechschwarze, glänzende Trollaugen. Der Riese grinste mir zu und stellte mich neben der Frau wieder auf den Boden, während der andere Wächter sich schon schwerfällig hinunter beugte und die Leiche mit beiden Händen mühelos von meiner Retterin hinunter zog. "Ist Euch etwas passiert?" fragte er mit tiefer, rauher Stimme und hielt ihr eine schaufelartige Hand hin. Sie zog sich dankbar hoch und schüttelte knapp den Kopf. "Habt Dank. Es geht schon." Die Wächter nickten und wollten sich schon umdrehen, als die junge Frau rasch fragte: "Auf ein Wort noch! wie kommt es, dass Askheims Ausgeburten sich so nahe bei Vasudheim herumtreiben?" der Troll, der mich hochgehoben hatte, wendete langsam den Kopf. "Schlechte Zeiten," grollte er. "Nirgends ist es sicher. Schlechte Zeiten." Damit ließen sie uns endgültig allein.

Ich blickte ihnen staunend nach und wandte mich dann zu der Frau um. Streng genommen war sie noch gar keine Frau, eher ein junges Mädchen, vielleicht zwei oder drei Jahre älter als ich. Ich hatte dem bisher kaum Beachtung geschenkt, weil ich solche Angst hatte, doch jetzt fiel mir erst auf, was sie eigentlich war. Eine Valkyn. Eine leibhaftige Valkyn aus dem geheimen Land, vermutlich Aegirham. Aus ihrem für die Rasse typisch-herbem Gesicht blickten mich zwei leuchtend gelbe Katzenaugen an, die plattgedrückte Nase schnüffelte und aus einer wilden, schulterlangen Flut honigblonder Haare sah ich ihre spitzen, braunen Katzenohren stechen. Ich blinzelte und mir wurde bewusst, dass ich die Andere anstarrte. Das Mädchen quittierte dies mit einem spöttischen Lächeln. "Satt gesehen?" fragte sie, doch es klang eher gutmütig. Ich nickte verlegen. "Ja." Eine Pause trat ein und das Mädchen musterte mich nun ihrerseits prüfend. Dabei schien sie das Askheimer-Blut, das ihr ärmelloses, braunes Stoffkleid besudelte, nicht im geringsten zu stören. "Du kommst aus Vasudheim?"

"Ja."

"Wie alt bist du?"

Ich blinzelte verwirrt. "Warum fragst du?" sie schüttelte lässig ihre Haare. "Das Vieh eben...das war noch ein Werwolf-Junges. Und du konntest es nicht einmal einschläfern. Darum frage ich, wie alt du bist. Hast deine Ausbildung wohl noch nicht angefangen, wie?"

Ich schnappte nach Luft. Was für eine eingebildete Kuh! "Nein," fauchte ich, "ich fange im nächsten Jahr damit an!" sie grinste breit. "Ach so." "Und ausserdem," ergänzte ich bissig, "hattest du doch eben auch die Hosen voll!"

"Gar nicht wahr!"

"Wetten?!"

Wir starrten uns feindselig an. "Wie heißt du überhaupt?" fragte das Mädchen- in einem Ton, als wolle sie es eigentlich gar nicht wissen, aber sich trotzdem dazu herabließ, das Wort an mich nichtiges Wesen zu richten. Ich schäumte vor Wut. "Llienne Asmundsdottier," fauchte ich. Sie lächelte ob meines patzigen Tones spöttisch. "Aja." Jetzt wartete sie wohl darauf, dass ich sie nach ihrem Namen fragte, doch da hatte sie sich gewaltig geschnitten! dieses fellige Langbein glaubte wohl, ich sei ihr wegen der Rettung vor diesem Wölfchen etwas schuldig. Dabei hatte sie vor Angst selbst geschlottert wie ein kleines Mädchen. Als ich beharrlich schwieg, blinzelte sie und meinte beinahe gönnerhaft: "Ich bin Keena." Ich sagte nichts und sie wurde ungeduldig: "Was ist, bist du jetzt stumm?" ich blickte sie kühl an und ahmte den trockenen, sarkastischen Tonfall meines Vaters nach: "Ich warte nur darauf, dass du fertig wirst, Keena." Plötzlich zuckten ihre Mundwinkel, sie blinzelte erneut- und brach in kehliges Gelächter aus. Ich sah ihr gallig dabei zu. "Ich bin fertig. Also dann, Llienne Asmundsdottier, was hältst du davon, wenn wir nach Jordheim in die Schänke gehen und auf den Sieg über die schlimmste Bestie seit den Chtonrittern anstoßen?" ich wusste nicht, was ein Chtonritter war und die Gesellschaft Keenas suchte ich auch nicht unbedingt, aber ich hatte Durst und die Hauptstadt war immer einen Besuch wert. "Na ja, warum nicht," sagte ich, noch immer ein wenig schmollend. Sie packte mich sogleich am Arm udd hakte sich bei mir unter. "Dann auf."
 

Jordheim war eine gewaltige Stadt. Hoch ragten die Mauern aus uralten, im Laufe der Zeit steinhart gewordenen Eichenbalken in den Himmel empor. Es gab so viele Sackgassen, Irrwege und Abzweigungen, dass ich mich noch heute manchmal hoffnungslos im Inneren der Stadt verlief. Das Dröhnen der Schmiede wehte zu uns herüber und vermischte sich mit dem Gegröle, das aus dem Inneren der vielen Tavernen nach draußen wehte. Händler boten lautstark ihre Waren an und junge Männer und Frauen suchten ihre Ausbilder auf, um an ihren Fertigkeiten zu feilen und Körper und Geist zu stärken. Ich blickte neidvoll zu einer jungen Koboldfrau hinüber, die mit strahlender Miene auf das Haus der Runenmeister zulief. Im nächsten Sommer würde es auch bei mir soweit sein. Dann würde ich die Zunft der ranglosen Wikinger verlassen und mich ausbilden lassen. Papa sagte ja, ich sollte eine Kriegerin werden, doch irgendwie spürte ich, dass dies nicht der Weg war, den ich wählen wollte. Papa würde an die Decke gehen, wenn ich ihm dies sagte...ich verdrängte den Gedanken und wandte mich an Keena. "Du hast doch deine Ausbildung schon angefangen?" Keena nickte und übersah die Blicke einiger junger Skalden, die mit großen Augen auf ihr beschmutztes Kleid starrten und leise tuschelten. Ein wenig ungeduldig fügte ich hinzu: "Und? was bist du?" Keena lächelte mich ein wenig ungläubig an. "Weißt du das wirklich nicht?"

"Nein...was denn?"

Sie schüttelte ob meiner grenzenlosen Unwissenheit den Kopf. "Und du willst im Schatten der Haupstadt leben und bekommst nichtmal die selbstverständlichsten Dinge mit." Ich wollte schon auffahren, doch sie fügte rasch hinzu: "Wir Valkyn können, wenn wir den Weg der Magie gewählt haben, nur Knochentänzer werden, du Dummchen." Knochentänzer...! ich war so erstaunt, dass ich ganz vergaß, wie sie mich gerade genannt hatte. Widerwillig schlich sich Bewunderung in meine Augen und dies entging dem Katzenmädchen natürlich nicht, denn sie fügte hoheitsvoll hinzu: "Dass sich niemand mit der Macht der Knochentänzer messen kann, weißt du ja sicher?" ich nickte langsam, obwohl ich mich selbst darüber ärgerte. Wo sie recht hatte... "Und was wirst du?" ich überlegte nur kurz. Die kleine Gruppe frisch gebackener Skalden stand noch immer an einem Waffenstand und schaute zu uns hinüber. Mir fiel ein Junge auf, der etwas abseits stand und mich -so schien es mir- besonders intensiv anstarrte. Er hatte dichtes, schwarzes Haar und noch bartlose Wangen. Seine grünen Augen hatten irgendwie etwas Beunruhigendes und so wandte ich schleunigst den Blick von seinem Gesicht ab. Gekleidet war der Junge wie all die anderen: von Kopf bis Fuß in rauhes Nietenleder gehüllt und mit dem Geschenk des Skaldenmeisters ausgestattet, dem unverkennbaren, hellblauen Schlachtensänger-Umhang. Ich nickte kaum merklich und hatte meinen Entschluss im Stillen gefasst. "Ich werde eine Skaldin," sagte ich zu Keena. Sie lächelte mit unverhohlenem Spott. "Skalden können nur laufen und ein bisschen singen und nichtmal das besonders gut," versetzte sie abfällig. Ich schnaubte wütend. "Wollten wir nicht in eine Schänke gehen?" "Ja, aber vorher brauche ich unbedingt ein paar neue Klamotten. Kommst du mit oder willst du warten?" welche Frage! doch dann fiel mir wieder ein... "Ich habe kein Geld," murrte ich lustlos. Keena zog mich wieder einmal rücksichtlos am Arm und schleifte mich in Richtung Marktplatz. "Wenns nur das ist," lachte sie. "Wozu hast du eine angehende Knochentänzerin bei dir? ich hab ein paar Silbermünzen dabei, vielleicht finden wir ja irgendwas für Llienne Asmundsdottier, die glücklose Schlachtensängerin!" ich seufzte leise und sparte mir meinen Atem, sondern schaute stattdessen noch einmal vorsichtig zu dem schwarzhaarigen Jungen zurück. Er starrte mich weiterhin musternd an. Wie ein junges Pferd, das er auf Macken prüft, dachte ich mit einem Anflug von Ärger. Unvermittelt rief ich über die Schulter: "Hab ich was im Gesicht? pass nur auf, dass dir nicht die Augen austrocknen, oder hab ich dir vielleicht was geklaut?!"

Seine Freunde brachen in brüllendes Gelächter aus und stießen ihn an. Der Junge jedoch stimmte nicht in ihr Lachen ein. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen und ein Schatten huschte über sein Gesicht. "Ich frage mich nur, was eine Bauerngöre mit so einer wie der da zu schaffen hat!" sagte er und deutete auf Keena. Ich blieb so ruckartig stehen, dass auch die Valkyn verharrte. Der Junge fuhr unbeeindruckt fort: "Dieses räuberische Pack wird hier nicht gern gesehen und auch die da sollte lieber früher als später in die Ecken zurückkriechen, aus denen sie gekommen ist." Einer der jungen Männer berührte seinen Freund an der Schulter. "Leif, meinst du nicht, dass..." setzte er unbehaglich an, doch der Schwarzhaarige beachtete ihn gar nicht. "Wir wollen diese primitiven Diebe hier nicht!" wiederholte er. "Komm weiter," sagte Keena leise zu mir.Von ihrer kecken Art war nichts mehr geblieben. Ich sah sie an und fuhr zusammen: Keenas Blick flackerte- als hätte sie Angst. Ihre spitzen Ohren zuckten und sie hatte die Lippen fest zusammen gepresst. Das schürte meinen Zorn auf eigentümliche Weise. Obwohl sie sich eben alle Mühe gegeben hatte, mich mit ihrer stolzen, hochnäsigen Art zu ärgern, fühlte ich mich plötzlich so, als sei sie meine kleine Schwester, die ich nun vor diesem miesen Knilch in seiner blöden Rüstung beschützen musste. Und das, wo sie einen guten Kopf größer als ich und noch dazu älter war. "Komm, Llienne. Lass gut sein," versuchte es Keena nochmals. Ich starrte in das böse grinsende Gesicht des jungen Skalden, schüttelte Keenas Hand ab und stiefelte auf den Schwarzhaarigen zu.

"Und wer bist du, dass du hier so dein großes Maul aufreißt?" fuhr ich ihn an. Er war viel größer als ich und noch dazu bewaffnet- sein Schwert hing an seiner linken Hüfte. Eine schäbige, schartige Klinge ohne Scheide, aber immerhin eine Waffe. Er grinste nur breit und sah auf mich hinab. Vermutlich kam es nur sehr selten vor, dass ein mageres, braunbezopftes Mädchen in einem schäbigen Kleid ihn so patzig von der Seite anmachte. Doch er antwortete großmütig. "Leifnir Havocbringer heiß ich, Bauerngöre!"

"So, Leifnir Havocbringer, dann lass dir von Llienne Asmundsdottier der Bauerngöre sagen, dass du ein arroganter, aufgeblasener Hammel bist! das da drüben ist Keena und sie wird einmal eine Knochentänzerin, falls du weißt, was eine Knochentänzerin ist. Du kannst von Glück reden, Leifnir Havocbringer, dass Keena heute gute Laune hat, sonst würde sie dich Stück für Stück aus deiner feinen Rüstung prügeln und du könntest in deinen feinen Unterhosen durch Jordheim laufen!" das alles brachte ich in einem Atemzug hervor und stemmte die Arme in die Hüften. Rote Flecken waren auf meinen vollen Kinderwangen erschienen. Die jungen Skalden brüllten erneut los und spendeten mir donnernden Applaus. Eine dickliche Zwergenfrau schielte aus einem Tavernenfenster und sah uns zu. Keena schaute mich groß an. Leif war sprachlos. Wenigstens für einen Moment. Ich schnaubte und rotzte herzhaft auf den Boden- das hatte ich mir bei Papa abgeschaut. "Jetzt siehst du, Leifnir Havocbringer, was Llienne die Bauerngöre von dir hält. Scher dich bloß weg und denk an meine Worte, nächstes Mal kommst du nicht so billig davon. Und..." ergänzte ich spitz und legte all den Spott, den ich aufbringen konnte, in die letzten Worte: "Man sieht, dass du kein primitiver Dieb bist, Leifnir Havocbringer. Dieses bessere Brotmesser, was du führst, hast du ganz bestimmt niemandem geklaut. Schönen Tag noch." Die Jungen krümmten sich mittlerweile vor Lachen und die dicke Zwergin hatte ihren Mann ans Fenster gerufen. Leif war knallrot geworden und fuhr mich wütend an: "Beginn du erstmal deine Ausbildung, du dumme Rotznase! hört auf zu giggeln wie die Weiber und kommt!" schnauzte er danach seine Freunde an und wandte sich mit einem Ruck um. Die Skalden kicherten noch immer, einige zwinkerten mir zu. Dann folgten sie Leif, der schon um eine Hausecke verschwunden war.

Ich blickte ihnen brodelnd nach und drehte mich dann auch um. Die beiden Zwerge in der Taverne schmunzelten und wandten sich dann auch wieder ihrer Arbeit zu. Keena lächelte mich breit an und zum ersten Mal wirkte es ehrlich. "Danke, Llienne."

"Ach was. Ich kanns nur nicht leiden, wenn Jungen sich so aufführen, nur weil sie glauben, ein Mädchen müsse sich alles gefallen lassen. Ausserdem wollte sich dieser Esel nur wichtig machen, um vor seinen Freunden anzugeben. Pah."

Sie kicherte. "Du hättest dein Gesicht sehen sollen. Zum fürchten, wirklich."

"Ehrlich?"

"Ja, wie eine richtige Schlachtensängerin. Einfach...wahnsinn!" meine Miene hellte sich augenblicklich auf und die gute Laune kehrte zurück. Nichts schmeckt besser als Lob, wenn es von jemandem kommt, der selbst stolz ist und schon etwas erreicht hat, nicht wahr? Keena grinste noch immer versonnen, doch ich sah ihr an, dass sie die Worte des Jungen hart getroffen hatten. "Also komm, du mutige Kämpferin, wir wollten uns neu einkleiden."

Wir setzten unseren Weg zum Marktplatz fort und ich wollte schon auf einen großen, muskulösen Händler mit einem wilden Vollbart zusteuern, doch Keena schüttelte den Kopf. "Der bietet nur Niete an." Ich nickte überrascht. "Klar! er hat gute Waren!" Keena gab mir eine kleine Kopfnuss. "Schon vergessen? ich werde eine Knochentänzerin. Diese Zunft trägt edle Stoffgewänder, nur die stumpfen Prügler stürzen sich in unbequemen Rüstungen in die Schlacht!" wieder sickerte ein Hauch von Spott durch ihre Stimme und ich verdrehte die Augen. "Jaja."

Keena bewegte sich zielstrebig auf ein kleines, niedriges Holzhaus zu und ich folgte ihr neugierig. Drinnen standen drei milesische Frauen in prachtvollen Roben aus Seide, Samt und Brokat. Eine webte feine Tücher, die andere nahm sie an sich und bearbeitete sie mit bunten Farben. Die letzte Frau schrieb gerade die Preise für ein paar Umhänge auf. Keena räusperte sich leise. "Zum Gruße." Die Schreiberin sah auf und wie bei Leif huschte ein kurzer Schatten über ihr Gesicht, doch ihre Stimme klang wenigstens halbwegs freundlich: "Die Damen wünschen?" Keena sah sich ein wenig unbehaglich um. Was haben die Leute nur gegen sie? dachte ich verwirrt. Bei Leif war es offene Feindseligkeit gewesen und dass zumindest auch die Frauen hier nicht gerade begeistert über Keenas Besuch waren, war nur allzu offensichtlich. "Ich brauche neue Kleider," sagte Keena. "Welches Material?" fragte die Schreiberin kurz angebunden. "Leinen," gab die junge Valkyn ebenso knapp zurück. Die Frau nickte. "Wartet bitte einen Moment." Sie verschwand hinter einem Vorhang und ich hörte, wie sie dort in den Schränken kramte.

Keena blickte still auf einen imaginären Punkt auf dem Fußboden und ich schaute mich ein wenig um. Viel gab es nicht zu sehen, ein paar Tücher in schlichten Farben hingen zu Dreiecken gefaltet oder ganz ausgebreitet und von Nadeln gehalten an der Wand, ein paar baumelten auch von der Decke und auf dem Tresen standen ein paar Flaschen Farbe in einer Reihe. "So...ein Satz Kleidung aus Leinen. Eine Robe oder eine Weste?" die Frau war zurück gekommen. "Eine Weste, bitte," sagte Keena. Die Frau nicke, stopfte alles in einen grob geflochtenen Weidenkorb und stellte ihn Keena hin. "Das macht..."

"Und noch ein Umhang für meine Freundin hier. In der Farbe, die sie möchte." Ich starrte das andere Mädchen erschrocken an. "Ich brauche keinen Umhang, Keena, spar doch dein Geld." Sie lächelte mich leicht an: "Ich möchte dir aber gern einen schenken. Mit Kapuze oder ohne? nun zieh nicht so ein Gesicht, das sieht selten dämlich aus. Ich weiß schon, was ich mir leisten kann und was nicht." Mein Herz pochte! man wollte mir etwas schenken! Papa und Mama kauften mir nur dann neue Sachen, wenn es sich wirklich nicht mehr vermeiden ließ und selbst dann noch selten- meist bekam ich in solchen Fällen die abgetragenen Hemden meines ältesten Bruders und konnte sie dann als kurzes Kleid benutzen. "Mit Kapuze," sagte ich, ohne zu zögern. Keena lächelte breit. "Und welche Farbe?" ich trat schüchtern vor und stellte mich auf die Zehenspitzen- der Tresen war verdammt hoch. "Was kostet die da?" fragte ich die Frau und deutete auf eine Flasche. 'Karmesinrot' hieß die Farbe. "Dreißig Goldstücke," schmunzelte die Verkäuferin und ich wurde blass. Dreißig Goldstücke...für eine...Farbe?! das war mehr, als Papa in einem ganzen Jahr verdiente! schleunigst zog ich die Hand zurück. "Ehm...äh...und die da? die Hellrote?"

"Zehn Silber."

Ich blickte Keena an und diese nickte der Frau zu: "Ein hellroter Kapuzenumhang kommt noch dazu. Das wäre dann alles. Wieviel?"

"Macht ein Gold und dreißig Silber." Keena zahlte gewissenhaft und nahm den Korb an sich. "Der Umhang braucht noch ein wenig," sagte die Frau. "Wollt Ihr warten?" Keena schüttelte lässig ihre honigblonde Mähne. "Wir gehen in der Zwischenzeit was trinken."

"Gut, eine halbe Stunde, dann ist er fertig."
 

Draußen strahlte ich Keena an: "Danke! obwohl es wirklich nicht nötig war!" sie schmunzelte. "Aber es freut dich trotzdem?"

"Natürlich."

Sie zwinkerte. "Dann wirst du dich gleich noch viel mehr freuen." Als ich sie fragend anblickte, fügte sie hinzu: "Deine beiden Zöpfchen sehen wirklich niedlich aus. Ich würde zu gern mal sehen, wie dir da noch ein Helm steht!"

"Du machst Witze!"

"Nein, keineswegs. Komm, wir gehen zu deinem Nietenhändler zurück. Als angehende Skaldin wirst du sicherlich einen stabilen, beschlagenen Helm einer Wollkappe vorziehen, eh?" ich starrte sie an und konnte nur nicken. Keenas Großzügigkeit war schon fast peinlich. "Aber du kannst doch nicht..." murmelte ich und sie unterbrach mich wieder einmal. Darin war sie wirklich gut. "Ich hols mir irgendwann zurück, Kleine. Wir gehen gleich noch ein hübsches Bier trinken und dann solltest du zusehen, dass du nach Hause kommst!" mir rieselte es eiskalt den Rücken hinab. Natürlich...bestimmt war ich schon lange überfällig. Das konnte nur in einer Katastrophe enden. Mit einem Abend ohne Essen und einer gehörige Standpauke würde ich noch gut wegkommen... "Oh, stimmt ja...Keena. Ich muss weg, mein Vater reißt mir den Kopf ab. Er weiß ja nichtmal, wo ich bin!"

"Unsinn, ich komme noch kurz mit dir und sage, dass es alles meine Schuld war. Mach dir mal keine Gedanken und jetzt los, ich hab Durst!"

Der bärtige Rüstungshändler blickte uns freundlich an. "Womit kann ich dienen?" der Tonfall des Mannes entlockte Keena ein Lächeln. "Meine Freundin ist schon fast eine Skaldin," sagte sie fröhlich. "Und wir fangen an, sie einzukleiden. Mit einem Helm von Euch." Der Mann schmunzelte und betrachtete mich. "Mhmm...dann wollen wir doch mal sehen, was wir für die junge Frau haben." Ich lief vor Stolz rot an. Junge Frau, fast eine Skaldin...! der Rüstungshändler hob einen großen, eisenbeschlagenen Lederhelm von einem gusseisernem Ständer und stülpte ihn mir einfach über. Er rutschte mir sofort über die Augen, lediglich meine dunkelbraunen, geflochtenen Zöpfe, die mir links und rechts über die Schultern fielen, waren noch zu erkennen. Keena brach in lautes Gelächter aus. "Mhm ja...also...der scheint wohl doch eher ungeeignet," murmelte der Mann und kratzte sich verlegen am Bart. Meine Stimme klang ganz gedämpft unter dem Helm: "Na ja, aber fast." Keena lachte noch lauter. Der Mann nahm mir den Helm wieder ab, legte ihn auf seinen Platz zurück und suchte nach einem besseren. Kichernd beugte sich Keena vor und zupfte mir eine Strähne aus dem rechten Zopf. Ich starrte sie böse an und wollte ihr gerade das an den Kopf werfen was sie nur verdiente, als der Mann den gleichen Helm, nur um einiges kleiner, in die Hand nahm und mir hinhielt. "Versuch mal, ob der passt!" ich tat, was er verlangte- und siehe da, der Helm passte perfekt. Fast zumindest. "Ja, der sollte gehen," nickte der Händler zufrieden. "Ich zahle," sagte Keena, noch immer glucksend.

Wenig später schlenderten wir auf die Taverne zu, aus der uns das Zwergenpaar zugesehen hatte, wie ich Leif Beine machte. Meinen Helm behielt ich selbstverständlich auf dem Kopf und bedankte mich wohl hundert Mal bei Keena, die nur immer wieder großmütig abwinkte und mir versicherte, dass sie sich irgendwann von mir zu irgendetwas einladen lassen würde. Ich war glücklich. Ich war wirklich glücklich. Ich hatte eine neue Freundin gewonnen, einen echten, einer Skaldin würdigen Helm erstanden und dann war da noch der hellrote Kapuzenumhang, der auf mich wartete. Und jetzt sollte ich sogar ohne Papa in eine echte Kneipe gehen und das trinken, was normalerweise nur Erwachsene oder zumindest ältere Kinder zu sich nahmen! der Tag war gerettet. Jetzt konnte nichts mehr schiefgehen. Dachte ich zumindest. Aber hätte ich mich da man nicht zu früh gefreut...
 

Die Taverne war hoffnunglos überfüllt. Ich warf nur einen kurzen Blick ins Innere und wollte mich schon wieder umdrehen, doch Keena schienen die vielen Leute, ihre lauten Stimmen und die stickige Luft nich sonderlich zu stören. Energisch schob sie mich weiter, ohne auf mein widerwilliges Gemurre zu achten. "Stell dich nicht an," sagte Keena, "später bietet dir dein Gegner auch keine Verschnaufpause an, nur weil du vielleicht aus der Puste bist." Ich blickte sie feindselig an. Die hatte gut reden! sie war um einiges größer als ich und aus irgendwelchen Gründen machten ihr die Leute sogar noch ein wenig Platz, während ich mich nach Kräften bemühte, nicht von irgend einem hochgewachsenen Troll oder Nordmann zertreten zu werden. Schließlich schaffte Keena das nahezu Unmöglivhe: Sie ergatterte zwei kleine Plätze am Ende des Raumes. Geschickt schlängelte sie sich zwischen einer Koboldin und einem Trollwächter hindurch und winkte mich ungeduldig heran. Mit einem mürrischen Seufzer tauchte ich unter dem Arm des Wächters hervor, stieß mir irgendwo die Stirn und fluchte laut, obwohl mein Helm mich vor einer saftigen Beule bewahrt hatte. Keena grinste mich spöttisch an und ließ sich auf einen unbequemen Holzschemel sinken. "Du guckst nicht gerade begeistert."

"Ach, ist nicht wahr."

Ich machte den Hals lang und blickte zum Tresen, an dem sich die Männer und Frauen drängelten und gegenseitig auf die Füße traten. "Sag nicht, man muss sich da auch noch anstellen?" brummte ich und Keena schlug mir so heftig auf die Schulter, dass ich beinahe von meinem Hocker stürzte. "Erfasst. Und rat mal, wer von uns holen geht? ich will 'n einfaches Bier. Da hast du Geld!" sie drückte mir ihren Beutel in die Hand und winkte übertrieben. Ich knirschte mit den Zähnen, wollte aber nicht undankbar sein -dafür schuldete ich ihr mittlerweile ein bisschen zuviel- und ging lustlos wieder nach vorn. Ein bisschen verloren kam ich mir ja schon vor, wie ich da mit meinem schäbigen Wollkleid und dem neuen Helm stand und all den anderen Gästen nicht einmal bis zur Brust reichte. Meine Laune sank, sofern es denn möglich war, noch tiefer. Ich war klein, selbst für ein Mädchen und selbst für eine Milesian. Papa sagte immer, ich sei einfach zu faul zum weiterwachsen und ich stimmte dann meist mit einem zerstreuten Grinsen zu. Seufzend verdrängte ich den Gedanken einmal mehr und stellte mich auf die Zehenspitzen. Plötzlich bekam ich etwas kaltes, nasses in den Nacken und schrie vor Schreck auf. Wütend wirbelte ich herum und stieß einer Koboldin -die als eine der Wenigen ungefähr genauso groß war wie ich- beinahe den Krug aus der Hand. Vor mir stand -ich schnappte nach Luft- dieser schwarzhaarige Skaldenbubi! in seiner Hand hielt er noch einen Holzhumpen, aus dem das Eiswasser tropfte, das er mir in den Nacken gekippt hatte und das mir jetzt in widerlichen Bahnen langsam den Rücken hinabrann. "Ach...", machte Leifnir gedehnt, "wie klein die Welt doch ist! was willst denn ausgerechnet du hier, Mini? das ist kein Ort für Windelscheißer wie dich." Ich tat das Einzige, das mir in meiner grenzenlosen Wut einfiel- ich trat ihm heftig vors Knie und wurde dafür sofort mit einem kurzen, stechenden Schmerz im Fuß belohnt. Er grinste so breit, als wolle er sich in die eigenen Ohrlappen beißen. "Tja, Satz mit X, das war wohl nix, hm?"

"Was willst du, du blöder Sack?!" fuhr ich ihn an. Er hob die buschigen Brauen. "Wie hast du mich genannt?"

"Blöder...Sack...!"

Ehe ich mich versah, hatte er mich im Genick gepackt. Ein paar Leuten, die jetzt argwöhnisch schauten, erklärte er lachend: "Die Kleine ist meine Schwester. So etwas Ungezogenes gibts kein zweites Mal, ich soll sie nach Hause holen, ist schon gut." Schwester? ich? knurrend versuchte ich nun, ihm statt einen Tritt einen Schlag auf die Nase zu verpassen, doch er fing meine Faust lässig mit der seinen ab und der Schmerz zuckte nun durch meine Fingerknöchel. Keena saß noch immer auf ihrem Platz und hatte anscheinend noch nicht einmal bemerkt, was sich hier gerade abspielte. Und ich würde den Teufel tun und nach ihr schreien. "Was willst du?" zischte ich stattdessen Leif an, der mich noch immer mühelos gepackt hielt. "Draußen," knurrte er.

Unsanft bahnte er sich seinen Weg zur Tür, stieß ein Koboldmädchen roh zur Seite und zerrte mich einfach mit. Mir blieb wohl oder übel nichts anderes übrig, als ihm zu folgen, obwohl ich biss, kratzte, tritt und strampelte.

Draußen atmete er tief ein, sah mich unheilvoll an und zog mich weiter, in eine stille Gasse. Langsam -aber wirklich langsam- bekam ich es mit der Angst zu tun. Was wollte dieser miese Rüpel? ich malte mir aus, wie er mich grob am Zopf zog und mir weh tat...oder wie er mir gar meinen neuen Helm klaute. Der Gedanke machte mich so rasend, dass ich die Hände über dem Kopf zusammenschlug, meinen Helm umklammerte und ihn anfauchte: "Egal, was du willst, du kriegst es nicht. Glaubst du, nur weil du größer und älter bist und deine blöde Ausbildung schon angefangen hast, muss ich Angst vor dir haben?" er starrte mich an, blinzelte- und brach dann in schallendes Gelächter aus!

Ich hatte es allmählich wirklich satt. Keena war in dem Punkt genauso. Wurde ich einmal ernsthaft böse, fiel ihr nichts besseres ein, als mich auszulachen. "Was ist so witzig?!" fauchte ich und wich ein wenig zurück. Vielleicht war er ja verrückt geworden, vollends durchgedreht. Möglich war alles. "Ein laufender Meter und trotzdem so eine Giftspritze...herrlich!", kicherte Leif. Ich schwieg abwartend und erdolchte ihn nur mit meinen mörderischen Blicken. Es verging eine beachtliche Zeit, ehe sich Leif endlich beruhigte, doch das mir inzwischen sehr verhasste Grinsen blieb weiterhin wie gemeißelt auf seinen Zügen. "Also?" fragte ich eisig.

"Hm..?"

"Warum hast du mich jetzt hierher geschleppt? Keena wartet, also mach hin!"

Er schnippte mit den Fingern. "Keena, stimmt, so hieß das Vieh..." ich unterbrach ihn heftig: "Warum bist du so gemein zu ihr? sie hat dir nichts, aber auch gar nichts getan!"

"Sie ist eine Valkyn, das reicht."

"Ach?!"

"Ja, ach."

Wir standen uns gegenüber. Ich ballte die Fäuste und meine braunen Augen blitzten, er hingegen musterte mich nur kühl und hielt wie zufällig die Hand auf dem Griff seines billigen Schwertes. "Du hast mir immer noch nicht gesagt, was du nun von mir willst, oder ist dir nur langweilig? deine Freunde haben wohl keine Zeit mehr für dich, wie?" natürlich wollte ich ihn provozieren. Ich war schon immer schnell reizbar, wie ich an dieser Stelle leider zugeben muss. Aber Leif weckte Aggressionen in mir, die ich mir jetzt und auch viel später nie richtig erklären konnte. Zu meinem Bedauern antwortete er nur ganz gelassen: "Doch, haben sie. Und weil du es gerade so nett angesprochen hast- ich habe wenigstens Freunde. Ich will mit dir über diese Valkyn sprechen. Willst du zuhören?"

"Nein, aber es wird mir kaum was anderes übrig bleiben, stimmts?"

"Wie schlau du doch bist."

Ich spuckte wütend auf den Boden. "Dann leg los, ich bin gespannt." Er runzelte kurz die Stirn, zuckte sachte die Achseln und meinte beiläufig: "Bevor wir anfangen...will ich mich noch bei dir entschuldigen." Ich blinzelte, dies überraschte mich nun doch. Aber ich wollte schnell zu Keena zurück und sagte darum unwillig: "Ist angenommen. So....und?" irrte ich mich, oder blitzten seine Augen kurz zornig auf? zumindest klang seine Stimme ein wenig gepresst, fast so, als bemühe er sich, mich nicht zu packen, zu beuteln und anzuschreien. "So...ich war eben ein bisschen überrascht so ein V...eine von ihnen hier zu sehen." Ich lächelte spöttisch. "Ja, das habe ich gesehen. Und wir alle haben es gehört," fügte ich nach kurzem Zögern wütend hinzu. Er ging nicht darauf ein. "Weißt du, wer sie sind, Llienne...so heißt du doch, oder?" ich nickte mürrisch. "Ja, so heiß ich. Und ich weiß, wer sie sind. Sie leben auf den geheimen Inseln, haben eigene Götter, sind um einiges geschickter und weiser als wir und ihre Kultur..." er fiel mir höhnisch lachend ins Wort: "Kultur? Kultur?! eine interessante Ausdrucksweise, wirklich." Fragend blickte ich ihn an und er fuhr heftig gestikulierend fort: "Rücksichtslose, brutale Räuber sind sie! Mörder! ja, da guckst du, wie? die ziehen nicht wie wir gegen Albion und Hibernia, um ihre Heimat zu beschützen...die haben Spaß am töten! hast du das gewusst? nein, nicht wahr? aber so ist es. Sie feiern gottlose Feste...Orgien wäre wohl besser...und metzeln diejenigen nieder, die mit auf ihren Inseln leben. Durch sie wird es bald keine Morvalt mehr geben und wenn ihnen das nicht reicht, werden deine Ach-so-feinen-Valkyn vielleicht hier bei uns einfallen und weiter töten. Na? was sagst du jetzt?!" Leifs Wangen waren zornrot und er hatte nicht ein einziges Mal nach Luft geschnappt. Dafür war ich jetzt sprachlos und um einiges blasser als sonst. Keena als gnadenlose Mörderin? lächerlich...! oder?... "Woher...willst du das wissen?" fragte ich matt und sah ihn an. Meine Wut war verraucht und hatte tiefer Unsicherheit Platz gemacht. Er lächelte böse. "Da merkt man wieder, dass du bloß ein dummes, kleines Mädchen bist. Jeder weiß das. Und mich würde doch sehr interessieren, was deiner Vater dazu sagen würde, sollte er erfahren, dass du mit so einer durch die Gegend ziehst. Soll ich bei Gelegenheit mal mit ihm sprechen...?" mir wurde abwechselnd heiß und kalt. "Nein!"

Sein gemeines Grinsen war ja schon schlimm gewesen, doch dieses kleine Lächeln, das der Skalde jetzt zur Schau stellte, übertraf so ziemlich alles. Mit einer übertrieben süßen und trotzdem beißenden Stimme fragte er, wobei er beide Brauen hob: "Ach nein, was ist denn das? jetzt schämst du dich plötzlich für deine pelzige, kleine Freundin, hm? ging ja schnell!" ich sah ihn an, als hätte er mich geschlagen. Tränen der Wut brannten hinter meinen Lidern, doch ich hielt sie tapfer zurück. "Du gemeiner, fieser Hund," sagte ich langsam, "geh doch zu meinem Vater und heul ihm was vor, na los! ist mir doch sowas von egal. Und zu deiner großen Rede...selbst wenn auch nur die Hälfte von deinem Gelaber wahr ist, so bist du trotzdem hundert Mal schlimmer als die Ach-so-bösen-Valkyn. Und jetzt entschuldige mich bitte, ich muss kotzen, wenn ich dich noch länger ansehen muss."

Ich drehte mich ohne ein weiteres Wort um und stapfte in Richtung Taverne zurück. Leifs wütende Stimme verfolge mich noch ein gutes Stück: "Schön, renn nur zu deiner kleinen Diebesschlampe. Dein Vater wird sich sicher freuen!"

Ich begann, zu rennen, um seiner scheußlichen Stimme zu entgehen. Zur Taverne zog es mich nicht zurück, obwohl Keena in der Zwischenzeit bestimmt angefangen hatte, mich zu suchen, denn ich war schon relativ lange fort. Sollte sie mich halt suchen, ich wollte nicht gefunden werden, wie ich mich jetzt in einer Gosse an eine hölzerne Hauswand drückte und leise heulte. Papa würde jetzt sicher mit mir schimpfen...ich war immerhin elf Jahre alt und musste mir allmählich abgewöhnen, bei jeder Kleinigkeit in Tränen auszubrechen. Aber trotzdem...ich sah Leifnirs Gesicht vor mir, wie er mich hämisch anlächelte und von brutalen, bösartigen Valkyn sprach. Schniefend wischte ich mir über die Augen, als mich plötzlich eine Hand sanft an der Schulter berührte. Mit einem leisen, spitzen Schrei schnellte ich herum und blickte direkt in Keenas besorgtes Gesicht. "Llienne...was hast du, warum weinst du?" fragte sie ruhig.

"K-Keena...nur so..."

"Ja, sicher. Steht dir aber überhaupt nicht." Sie lächelte leicht und pustete mir eine braune Strähne aus dem Gesicht. Ich hickste, wischte mir nochmals über die Augen und sah beschämt zu Boden. Doch der vermutete Spott blieb aus. Stattdessen fragte sie fast sanft: "Was hat dieser Junge zu dir gesagt?" ich blickte sie überrascht an: "Du weißt...?"

"Hm-hm. Die Wirtin hat gesehen, wie wir beide reinkamen. Und auch, wie dich dieser Skalde wohl gegen deinen Willen mitgenommen hat. Da hielt sie es für klüger, mir Bescheid zu geben."

"Wie nett von ihr."

Das Katzenmädchen nickte sachte. "Ja. Also? wie hat er es geschafft, unsere tapfere Schlachtensängerin derart aus der Fassung zu bringen?" die von ihr erhoffte Wirkung trat dieses Mal nicht ein. Sattdessen nahm ich meinen Helm vom Kopf und drehte ihn bedächtig zwischen den Händen. Er musste bei mir einfach lächerlich wirken. "Lass das doch," brummte ich. "Ich bin keine Skaldin und werde wahrscheinlich auch nie eine werden." Statt mich zu ermuntern, raufte sie sich ihre blonden Wuschelhaare. "Himmel, jetzt hört es aber auf. Selbstmitleid hilft dir kein bisschen weiter und ich kann dir ebenfalls nicht helfen wenn du mir nicht erzählst, was dieser Kerl zu dir gesagt hat. Also reiß dich zusammen oder lass es bleiben, aber stell auch bitte das Gejammer ein, ja?" nun gut, wie sie wollte. Statt sie anzugiften, fragte ich ruhig: "Er hat mir über dein Volk erzählt." Sie ließ die Hände sinken und blickte mich gespannt an. "Ach?" machte sie lauernd.

"Ja. Er sagte, ihr seid nichts als diebische Räuber, die die Mor...valt?", ich brach ab und sie nickte leicht, ohne zu antworten. Mir war nicht entgangen, dass sie bei dem Wort 'Morvalt' heftig zusammengefahren war. "Nun ja, ihr würdet diese Morvalt nur aus Spaß abschlachten. Er sagte auch, dass ihr irgendwann ins Alte Land einfallen würdet um weiter zu töten. W-weil...euch das Töten Freude bereiten würde."

Ängstlich blickte ich sie an und wagte nicht, die Frage zu stellen, die mir so auf der Zunge brannte. Doch sie schwieg noch immer, nur ihr Atem ging etwas rauher als sonst. "Keena?" wisperte ich.

"Mh...?"

Ich nahm all meinen Mut zusammen. "Stimmt das, Keena...?"

"Natürlich stimmt es nicht!", fauchte sie und ich zuckte zusammen. "Entschuldige," murmelte ich und senkte betreten den Blick. Aufgebracht fuhr sie fort: "Dieser kleine Spinner hat doch keine Ahnung...es ist genau anders herum! sie kommen inunsere Dörfer, verwüsten das Land...sie verschleppen junge Männer und Frauen, töten die Alten und Kranken, nehmen sich, was uns gehört...nur dafür habe ich meine Ausbildung begonnen...nicht, um gegen Hibernia oder Albion zu kämpfen," sie schnaubte verächtlich. "Sondern um meine Heimat und mein Volk vor diesen elenden Monstern zu beschützen. Er hat sie nie gesehen, er kann es gar nicht wissen. Er kann nicht wissen, was für Ungeheuer sie sind!" das Katzenmädchen schrie jetzt fast und ich dankte Bragi im Stillen, dass niemand in der Nähe war. "Ist gut, ich glaube dir," sagte ich, entsetzt über ihren Ausbruch. "Bitte verzeih mir, ich wollte nicht...ich habs nicht so gemeint..." sie ließ einen seltsamen, grollenden Laut hören. "Vergiss es," sagte sie schroff. "Du konntest es ja auch nicht wissen. Komm jetzt...wir holen deinen Umhang und dann bring ich dich nach Hause. Für mich wirds auch langsam Zeit."
 

Keena war wütend. Mehr noch, sie brodelte. Starr geradeaus blickend, stapfte sie zum Haus zurück, in dem sie ihre Kleider und den Umhang gekauft hatte. Wer ihr im Weg war, den schubste sie einfach zur Seite, ohne sich um die wütenden Kommentare zu kümmern. Wie ein geprügelter Hund schlich ich ihr hinterher. Im Händlerhaus angekommen, war sie auch nicht viel freundlicher: "Wir bekommen noch einen hellroten Umhang mit Kapuze, ist der jetzt fertig?" blaffte sie die Frau an, die die Tücher färbte. Von ihren glühenden Augen und ihrem herrischen Tonfall anscheinend eingeschüchtert, murmelte die Stoffhändlerin nur etwas, das wie "Ich schaue eben nach..." klang und verschwand in dem kleinen Hinterraum. Ich hörte sie dort unterdrückt mit einer anderen Frau tuscheln und es war klar, dass sie sich über Keena beschwerte. Das Katzenmädchen ließ sich nichts anmerken. Mürrisch blieb sie stehen und wartete, bis die alte Meisterin mit dem Umhang, der jetzt einen hübschen, hellroten Farbton angenommen hatte, zurückkehrte. "Hier, der gehört wohl Euch," sagte sie kühl. Keena nahm ihn, ohne sich zu bedanken. Als sie sich zur Tür wandte, meinte die Händlerin -noch immer mit frostiger Stimme- : "Und bitte...tut mir einen Gefallen. Betretet mein Haus nicht wieder...ich bediene eigentlich keine Valkyn." Ich biss mir auf die Zunge und warf einen raschen Blick zu Keena, doch die zog mich nur energisch weiter, ohne sich umzudrehen. In der Tür schenkte sie der Frau noch ein knappes, verächtliches Lächeln: "Keine Sorge, ich werde nicht wiederkommen. Und ich werde es den anderen Valkyn ebenfalls sagen. Ich kenne ziemlich viele Leute, müsst Ihr wissen." Damit knallte sie die Tür so heftig zu, dass ich die Händlerinnen durch das Holz erschrocken aufschreien hörte. Die, die uns die Sachen verkauft hatte, murmelte zornig: "Nicht zu fassen...verbrennen sollte man dieses Pack..."
 

Wir verließen Jordheim in gedrückter Stimmung. Ich bedankte mich artig bei Keena, als sie mir den Umhang überreichte, konnte mich aber nicht wirklich darüber freuen. Ausserdem war es inzwischen Mittag und ich hatte keine Idee, was ich Papa sagen sollte. Unmöglich die Wahrheit, die würde er mir niemals glauben. Und wenn doch...was wäre, wenn er genau so ein Valkynhasser war wie Leifnir und die Händlerin war? ich musste den Gedanken wohl laut ausgesprochen haben, denn Keena sagte plötzlich abfällig: "Mach dir keine Sorgen, du kriegst keinen Ärger. Das übernehme ich schon." Ich fühlte meine Wangen heiß werden, schwieg aber. So ist es immer am leichtesten, nicht? wenn dir nichts mehr einfällt, halt einfach den Mund, damit kannst du nichts falsch machen. So klappte es auch dieses Mal, denn Keena sagte nichts mehr und wir schwiegen uns den Rest des Weges zu meinem Zuhause nachdrücklich an. Die Vasudheimischen Wachen bedachten Keena bloß mit einem kurzen, desinteressierten Blick und starrten dann wieder nach Norden. Ich war innerlich erleichtert. Noch so eine blöde Bemerkung hätte Keena sicherlich nicht geduldet. Doch die Wächter waren Trolle und ihnen war egal, wie jemand aussah, wo er herkam und wie er dachte. Hauptsache, man hielt sich an die Regeln. Nun gab es kein Zurück mehr. Wir standen vor unserem Holzhaus. Ich schluckte trocken, mein Herz hämmerte krampfhaft. Doch Keena schlug gelassen an die Tür und es vergingen nur Sekunden, ehe sie von innen aufgerissen wurde und ein bärtiger, hochgewachsener Mann nach draußen stürmte. "Llienne! wo zum Teufel warst du so lange, du kleine..." er brach ab und starrte verdutzt Keena an. Sie lächelte leicht, doch es wirkte sehr abweisend. "Zum Gruße, Herr," sagte sie kühl. "Bitte verzeiht Eurer Tochter, dass sie so spät gekommen ist. Das war mein Fehler. Dürfte ich Euch wohl erklären, warum?" er war viel zu überrascht, um zu antworten und nickte nur. "Dürfte ich zu diesem Zweck wohl eintreten?" fuhr Keena höflich, doch mit sichtlichem Ärger fort. Asmund, mein Vater, nickte erneut und fand endlich seine Sprache wieder. Ich starrte ihn überrascht an, als ich ihn sprechen hörte- seine Stimme klang seltsam hölzern und leise, so etwas hatte ich selten bei ihm erlebt. "Sicher...tretet ein. Aslein?" rief er über die Schulter. "Wir...wir haben Besuch. Wärm etwas Suppe und bring uns zu trinken. Llienne?" ich fuhr leicht zusammen. "Ja, Papa?"

"Geh mit Lars raus, spiel etwas mit ihm. Storvag wird dich dann rufen."

"Ja, Papa," murmelte ich und er drehte sich nochmals um. "Lars? wo steckst du, du Racker?" die helle Stimme meines jüngeren Bruders ertönte, sie kam oben aus meiner winzigen Kammer: "Jaaa?" gleich darauf sprang er übermütig die Treppe herunter und blieb vor uns stehen. Ungeniert musterte er Keena aus seinen dunkelblauen Augen. "Du siehst aus wie eine ganz große Katze!" Papa erstarrte, ich schnappte nach Luft- und Keena lächelte erneut, doch nun viel wärmer als zuvor. "Stimmt."

"Lars," brummte Papa, "geh mit deiner Schwester spielen. Lauft nicht zu weit weg und bleibt in Hörweite, verstanden?" er nickte nachdrücklich. "Ja," und wandte sich sofort wieder Keena zu. "Bleibst du zum Essen?" ich musste mir ein Grinsen verkneifen. Lars sprach immer aus, was er dachte und als Einziger aus der Familie empfand er keine Furcht vor Papa. Das Katzenmädchen zuckte leicht mit den Schultern. "Vielleicht...mal sehen," meinte sie schmunzelnd. "Würde ich richtig gut finden!" krähte Lars und zur Abwechslung war ich es nun, die mal jemanden packte und mitzerrte. "Nerv sie nicht, Trollnase. Komm, wir gehen Tannenzapfen sammeln, dann kannst du nachher basteln."

"Au ja, basteln!"

Ich warf Keena noch einen kurzen Blick zu. Sie hob sachte die Hand und ich winkte ebenfalls knapp. Dann drehte ich mich um, drückte den übermütigen Lars sachte an mich und steuerte auf den Marktplatz zu. Ich drehte mich nicht um. Was Keena und Papa wohl zu bereden hatten...ich erfuhr es nie. Die erwartete Standpauke traf nicht ein und Papa verlor niemals wieder ein Wort über die Sache. Doch auch Jahre später erinnerte ich mich noch, dass er an diesem Abend besonders nachdenklich gewesen war und mit Mama weitaus früher als sonst das Schlafgemach aufgesucht hatte. Auch der Mistkerl Leif tauchte trotz seiner bösen Ankündigungen nicht bei uns auf. Und Keena? nun...ich sah sie an diesem Abend nicht wieder, auch am nächsten und übernächsten nicht. Nach mehreren Wochen hatte ich aufgehört, daran zu glauben, dass wir uns irgendwann wieder treffen würden. Und noch später, nach ein paar Monaten, hatte ich sie fast gänzlich vergessen. Denn nun standen mir andere Dinge bevor. Meine Ausbildung sollte beginnen und ich durfte Vasudheim endlich verlassen. Ich würde selbstständig sein und das tun, was ich schon immer tun wollte: Einer Gilde beitreten und mit ihr nach Albion oder Hibernia reisen...mein Leben konnte beginnen.

Kühne Sprünge und dunkle Wälder

Zischend zerschnitt die alte Axt die Luft und bohrte sich knirschend in meinen Gegner. Ich keuchte, riss und zerrte, doch die Axt rührte sich nicht. "Scheiße!" fluchte ich und rang nach Luft. Der Schweiß stand mir auf der Stirn.

"Llie?"

Also tat ich das, was ich in solchen Situationen am besten konnte: ich gab diesem elenden Holzklotz einen gehörigen Tritt und stieß mir übel den Zeh an. Abermals fluchend fuhr ich herum. "Himmel, was willst du, Storvag?" grinsend kam er näher. "Oho, die Meisterin bei der Arbeit. Warum zerlegst du das Ding nicht in seine Einzelteile? gäbe hübsches Feuerholz." Interessiert sah er zu, wie ich abermals an meiner schweren, unhandlichen Trainingsaxt herumzerrte.

"Geht...nicht....brauch ich noch," ächzte ich. Er grinste noch breiter."Kind, du stellst dich aber auch was an, lass mich mal..." gönnerhaft streckte er die Hand aus und handelte sich prompt einen Schlag auf die Finger ein. "Nichts da," knurrte ich, stemmte mich gegen den Klotz und riss wie wild am Axtstiel. "Was willst du eigentlich?" brummte ich und fluchte gleich darauf nochmals, als meine Bemühungen endlich Früchte trugen und ich samt der Axt auf den Hintern fiel. Lachend beugte sich mein Bruder zu mir herunter und zog mich auf die Füße. "Vater will was von dir, ich soll dich bloß holen. Und lass ihn lieber nicht warten, du weißt, dass er heute schlechte Laune hat." Wann hat er die nicht, dachte ich gallig, behielt dies jedoch für mich. "Und wo ist Lars?" fragte ich stattdessen gelangweilt und pustete die losen Splitter vom bereits arg malträtierten Holzklotz.

"Jagen."

"Jagen?!"

"Jagen," wiederholte Storvag ungerührt. Ich starrte ihn an. "Und das hat Vater erlaubt?" Storvag sah mich seltsam schroff an. "Jagen ist vielleicht das falsche Wort. Erkunden...sagen wir es so." Ich erinnerte mich noch gut an meine erste Begegnung mit einem jungen Werwolf. War das auch schon wieder über ein Jahr her? Vater hatte mich in den Wald geschickt, um Beeren oder Pilze zu sammeln, und dann war das Biest einfach aufgetaucht. "Aber was ist, wenn ihm was passiert?" fragte ich entsetzt. Storvag lächelte mit gutmütigem Spott. "Er ist doch nicht allein unterweg, du Glucke. Die anderen Kinder begleiten ihn."

"Na und?! das nützt ihm überhaupt nichts, wenn sie von Bestien angegriffen werden, du Idiot! ich gehe ihn suchen." Entschlossen nahm ich meine Axt auf und verstaute sie an meinem breiten Ledergürtel. "Ja, sicher," grinste mein Bruder und seine Stimme klang nun vollends spöttisch. "Du allein wirst sicher mit allen Bestien Midgards fertig. Bin ich mir absolut sicher."

"Leck mich," knurrte ich und wandte mich um, doch er zog mich unsanft am Zopf. "Für so einen Krümel hast du eine ganz schön große Klappe," stellte er fest, doch es klang eher belustigt als verärgert. Ich riss mich mürrisch los. "Tu dich doch mit Leif zusammen," erwiderte ich schnippisch. Leifnir Havocbringer war in letzter Zeit auch hin und wieder bei uns aufgetaucht. Ich hatte erfahren müssen, dass seine und meine Mutter zusammen ihre Ausbildung abgeschlossen hatten. Asleif Havocbringer war eine stille und ernste Frau, die nur selten zu Besuch kam. Ihren Sohn hatte ich damals nie kennen gelernt, doch seit wir das erste Mal in Jordheim aneinander geraten waren, begleitete er seine Mutter und kam sogar noch öfter allein. Mir kam das sehr seltsam vor und es behagte mir auch nicht, mein Vater hingegen schien Leifnir ganz großartig zu finden...

Ich schüttelte verärgert den Kopf, wartete Storvags Antwort nicht ab und stürmte zu unserem Haus. Keena, eine junge Valkyn, hatte einmal gesagt, Skalden könnten nur schnell laufen und nichtmal das besonders gut. Sie hatte Unrecht. Ich spürte meine Beine kaum, auch nicht die schwere Axt, die an meiner Hüfte baumelte. Der Wind hingegen rauschte mir in den Ohren, als wolle er mich anfeuern, noch schneller zu werden und ich hatte das Gefühl, ich könnte schweben, wenn ich nur die Arme ausbreiten würde.

Ich war nichmal ausser Atem, als ich mein Ziel endlich erreicht hatte. Achtlos stieß ich die Tür auf und polterte in die warme, nach geräuchertem Speck duftende Wohnstube, wo ich zunächst auf den schweren, langen Esstisch zuschlenderte. "Ich bin wieder da!"

Meine Mutter lächelte flüchtig, wenn auch etwas besorgt. Sie fand wohl, dass ich seit meiner Ausbildung an guten Manieren und -was noch viel schlimmer war- Respekt eingebüßt hatte. Und nur, weil ich meinen Vater mittlerweile als das akzeptierte, was er war, und ihn nicht mehr ganz so stark fürchtete. Der Gedanke entfachte einen kurzen, aber heftigen Anschwall von Wut in mir, die ich nur mühsam niederkämpfte.Meine Stimme hatte ich scheinbar nicht so unter Kontrolle, denn als ich knapp "Was gibts zu essen?" fragte, sah mich Mutter scharf an. "Brot und Speck," erwiderte sie, ebenso kurz angebunden.

"Gut. Packst du mir bitte eine Portion ein? ich gehe Lars suchen." Die Worte kamen beiläufig und veranlassten meine Mutter, die barsche Antwort, die ihr zweifelsohne auf der Zunge lag, wieder herunter zu schlucken. "Du gehst was?"

"Lars suchen. Er ist allein im Wald, nur ein paar Kinder begleiten ihn. Storvag hats mir eben erzählt. Und du weißt sicher, wie verseucht die Gebiete derzeit sind..?" ich sah den Ausdruck von Schrecken auf ihrem Gesicht und empfand einen winzigen Moment so etwas wie hämische Befriedigung, die sich aber rasch in Bestürzung wandelte, als sich Mutter kraftlos auf einen grob gezimmerten Schemel sinken ließ. "Bei Odin," flüsterte sie. "Thjoralfs Sohn ging auch in den Myrkwood. Er gilt seitdem als vermisst und das ist schon eine Woche her!" sie zitterte und krallte die Hände in ihr grobes Stoffgewand. Ich fingerte an meiner Axt herum und trat von einem Bein aufs andere. "Ich finde ihn, Mutter. Lass mich gehen, ja?"

"Ach was," sagte sie unwirsch. "Du bist selbst noch ein Kind und bleibst schön hier. Storvag wird gehen."

"Storvag schert sich einen feuchten Dreck darum," rief ich hitzig. "Ich habe mit ihm gesprochen. Er hat mich bloß ausgelacht und mich 'Glucke' genannt! ich pass schon auf, ich versprechs dir." Sie wollte antworten, doch in dem Moment öffnete sich die schwere Eingangstür ein zweites Mal und Asmund Vardarsson trat ein. Er trug zwei Kaninchen bei sich und schleuderte gerade seine dicke Lederkappe in die Ecke, als er mich erblickte. "Ah, Llienne, da bist du ja. Ich will mit dir reden, denn es geht um dei..."

"Vater," fiel ich ihm rasch ins Wort und wunderte mich doch sehr darüber, denn das war ein Vergehen, das mein lieber, alter Papa meistens mit einer saftigen Ohrfeige und einer harschen Ermahnung zu quittieren pflegte...auch jetzt hob er drohend die buschigen Brauen und starrte mich unheilvoll an. Ich ließ mich nicht beirren. "Lars ist im Myrkwood. Mit anderen Kindern! und Storvag meinte wohl, du wüsstest Bescheid und würdest es erlauben."

"Was?" schrie er und kam näher. "Der Myrkwood ist gesperrt, nur die Soldaten dürfen ihn betreten! hat Storvag es euch denn nicht erzählt?" ich starrte ihn nun doch ängstlich an."Er hat mir gar nichts erzählt," sagte ich unsicher. Vater atmete schwer und ließ sich in den mit Hirschfell bespannten Sessel sinken, in dem ausser ihm niemand sitzen durfte. "Thjoralfs Sohn wurde gefunden," knurrte er. "Er ist tot. Sah furchtbar aus. Als hätte sich jemand gefragt, ob man einen Menschen auch umkrempeln kann."

"Asmund!", rief meine Mutter entsetzt, "das muss das Mädchen nicht hören!" ich warf ihr einen schnellen, ungnädigen Blick zu und auch mein Vater schüttelte ungehalten den Kopf. "Sie ist alt genug, die Dinge so zu sehen, wie sie sind. Und die Dinge stehen so, dass der Junge fast unkenntlich war, völlig zerfetzt. Nicht genug, dass man seinen Körper mit fremden Runen entweiht hat. Und es kommt noch schlimmer..." sein Gesicht verdüsterte sich noch mehr. "In Galplen sind vor zwei Tagen fünf Kinder verschwunden. Sie waren alle im Myrkwood, um zu spielen..."

Ich spürte einen glühenden Klumpen im Magen, meine Knie wurden weich. "Lars ist da draußen!" sagte ich entsetzt. Vater nickte grimmig. "Ich werde sofort nach Jordheim gehen und die Soldaten losschicken. Aslein, du gehst nach draußen und verständigst die Stadtwachen, na los!" Mutter nickte angstvoll und rauschte zur Tür. Ich wollte ihr folgen, doch Vater hielt mich mit einer knappen, befehlenden Geste zurück. "Du bleibst hier. Schlimm genug, dass dein Bruder da draußen ist, fehlt noch, dass du auch verloren gehst. Ab in deine Kammer!" ab in meine Kammer, sagte er. Ich sollte also seelenruhig warten, ob sie Lars noch lebend finden würden. Warten und unttätig herumsitzen, während sich mein Bruder irgendwo im Myrkwood Forrest und damit wahrscheinlich in Gefahr befand. Ich sagte, so ruhig ich konnte: "Nein." Asmund, der schon an der Tür war, blieb stehen. "Was?" fragte er leise. Ich schluckte. Ich wünschte mich meilenweit weg. Doch ich wiederholte mit fester, nachdrücklicher Stimme: "Nein, Vater. Ich bleibe nicht hier. Ich könnte mir nie verzeihen, wenn Lars was passieren würde. Du kannst mich nicht zwingen."

"So, meinst du?"

"Du wirst mich ans Bett fesseln und knebeln müssen, denn notfalls rufe ich die Wachen zu Hilfe."

Wir sahen uns an. Er, groß und muskulös mit hellblauen Augen, die jetzt vor Wut und Unglauben verengt waren. Ich, ein zierliches Mädchen in zerschrammten Lederhosen und einer viel zu großen, abgenutzten Trainingsaxt, ging ihm gerade bis zum Bauch und musste den Kopf in den Nacken legen, um seinen Blick zu erwidern. "Du bleibst hier," sagte er leise, gefährlich. "Oder dir ergeht es schlecht, ich versichere es dir. Llienne...ich mache jetzt keinen Spaß mehr. Geh."

Damit drehte er sich erneut um, nahm seine Kappe auf und warf die Tür mit einem lauten Knall hinter sich zu. Ich war allein. Wie betäubt starrte ich auf das schwarzbraune Holz, ehe ich dem erstbesten Schemel einen solchen Tritt verpasste, dass dieser laut krachend umfiel. Das war eine solch himmelschreiende Ungerechtigkeit, dass ich vor Zorn zitterte. Ich sehnte mich nach dem Tag, an dem ich endlich selbstständig und unabhängig sein würde. Bis dahin musste ich noch stillhalten, obwohl es mir von Tag zu Tag schwerer fiel. Wütend hob ich den Schemel wieder auf und ließ mich auf diesen sinken. Die Ellenbogen auf die Tischplatte und den Kopf auf die Hände gestützt, dachte ich nach. Natürlich würde ich Lars suchen und wenn mir dafür der Arschvoll des Jahrhunderts blühte. Nur wie kam ich an den aufmerksamen Stadtwachen und meiner Mutter, die auch noch irgendwo dort draußen lauerte, vorbei? ich biss mir auf die Lippen und hob plötzlich den Kopf. Ich hatte eine Idee, so absurd sie auch war. "Lars," flüsterte ich, "halt noch ein bisschen aus. Deine große Schwester kommt!"

Kurz entschlossen sprang ich auf, und zwar so heftig, dass der Schemel ein zweites Mal umfiel. Ich ließ ihn liegen und stürzte die Holztreppe hinauf, die zu unseren Schlafkammern führte. Oben suchte ich nach dem Lederhelm, den Keena mir damals geschenkt hatte, und stülpte ihn rasch über, ehe ich zum Fenster ging und es aufstieß. Nach einem kurzen Blick in die Tiefe schluckte ich leicht. Das war doch höher, als ich gedacht hatte. Wenn ich mich verschätzte, würde ich mir diverse Knochen brechen- und das war noch das Mindeste, was ich zu erhoffen hatte. Doch dann stellte ich mir Lars vor, der irgendwo im Myrkwood herumirrte. Ich sah ihn blutig auf der sonnengewärmten Erde liegen, den Kinderleib mit fremden Runen entweiht, die unschuldigen Augen schreckgeweitet...ich verscheuchte den Gedanken, löste die Axt vom Gürtel und warf sie aus dem Fenster, ehe ich dieses schloss und die Kammer meiner Eltern aufsuchte, ein Vergehen, das Vater sonst auch angemessen bestrafte. Hier hatten meine Brüder und ich keinen Zutritt. Ich seufzte leise, schloss behutsam die Tür und schleifte den einzigen Stuhl, den es im Raum gab, in die Zimmermitte. Das Besondere am Schlafgemach meiner Eltern war, dass sie ein Dachfenster besaßen. Mutter fand das sehr romantisch, Vater hingegen störte es oft, wenn ihn in Vollmondnächten das Licht am schlafen hinderte, doch er hatte Mutter ihren Willen gelassen und unter anfänglichem Protest schließlich dieses Dachfenster gebaut. Dabei hatte er es absichtlich ziemlich klein werden lassen und ich hoffte, dass mir dies jetzt nicht den Plan vermasselte.

Ich stieg auf den Stuhl, öffnete das Fenster und sprang hoch. Es war eng, verdammt eng und ich klammerte mich fest, wand mich, zog den Bauch ein...endlich gelang es mir, mich durch die schmale Öffnung zu zwängen. Nach Luft ringend, lag ich letztlich auf dem Holzdach und blinzelte in die pralle Mittagssonne. Vorsichtig begann ich, auf dem Bauch vorwärts zu kriechen, argwöhnisch auf irgendwelche Stimmen lauernd, die von der Rückkehr meiner Eltern zeugen könnten. Es war still, und ich robbte mich vorsichtig weiter, Bragi im Stillen dafür dankend, dass wir ein flaches Dach hatten. Endlich gelangte ich zu meinem Fenster und verharrte dort nochmals, doch es regte sich nicht das Geringste. Langsam stand ich auf und trat wieder zurück, während ich mit den Augen die Entfernung vom Dach zum relativ nahe gelegenem Misthaufen maß. Bei Bragi, das könnte klappen, immerhin war ich eine Skaldin!

Ich nahm Anlauf und rannte los. Meine Zöpfe flatterten hinter mir her, die Füße trommelten über das Holz. Nicht stehen bleiben, wenn dich der Mut verlässt und du das Gleichgewicht verlierst, brichst du dir den Hals! das führte ich mir eindringlich vor Augen und dann klaffte auch schon der Abgrund vor mir auf. Einen Herzschlag lang dachte ich wirklich, dass sich meine Füße angesichts dieser Höhe einfach weigern würden, den gewaltigen Sprung zu tun. Doch sie ließen mich nicht im Stich. Ich flog regelrecht durch die Luft, versäumte es, mich zusammenzurollen und rauschte wie ein Pfeil in den frischen Misthaufen. Mit einem schmatzenden 'Blörp!' sackte ich bis über die Hüften in den Mist ein. Das Gesicht zu einer Grimasse verzogen, arbeitete ich mich schnell aus der klebrig-warmen Masse Kot, Stroh und Abfall und atmete halb erleichtert, halb angeekelt auf, wobei ich mir einen Moment Zeit ließ, an mir herunter zu blicken. Na, die Säuberung würde ja ein Akt werden...

Schnell lief ich zu dem kleinen Busch, in dem meine Axt gelandet war, nahm sie an mich und verstaute sie am verschmierten Gürtel. Ich stank wirklich drei Meilen gegen den Wind, aber vielleicht würde das ja sogar die ein oder andere eventuelle, hungrige Bestie davon abhalten, sich auf mich zu stürzen und zu verschlingen. Mit solchen hoffnungsvollen Gedanken umging ich in einem großzügigen Abstand unsere Siedlung, verbarg mich einmal hinter einer Hausmauer, um zwei Trollwächtern zu entgehen und rannte dann in Richtung Myrkwood Forrest...

Von toten Tänzerinnen und seltsamen Angeboten

Schon beim Näherkommen spürte ich, dass mit dem Wald etwas nicht stimmte. Die großen, alten Bäume schienen das Sonnenlicht aufzusaugen und die Wärme zu absorbieren, denn merkwürdigerweise schien es im Waldesinneren kühler zu sein als im Dorf und der nahe gelegenen Umgebung. Selbst die Vögel schienen das Singen verlernt zu haben, es herrschte eine nahezu unnatürliche Stille. Ich ging weiter -wobei nur ich meine Geschwindigkeit als 'Gehen' bezeichnen würde, für jeden Nichtskalden wäre es schon Rennen- und sah mich vorsichtig um. "Lars?" rief ich leise. Keine Antwort. Ich betete insgeheim, dass ihm nichts geschehen war und dass Vater und die Wächter ihn und die übrigen Kinder gesund und heil nach Hause gebracht hatten. Also ging ich weiter, ziellos und besorgt, wobei ich von Zeit zu Zeit nach meinem Bruder rief, ohne aber eine Antwort zu erhalten. Langsam aber sicher spürte ich, wie mein Mut schwand. Ich war nun sicherlich schon eine Stunde unterwegs. "Wie groß ist dieser verdammte Wald?" flüsterte ich mir leise selbst zu. Urplötzlich hörte ich eine leise, zischelnde Stimme, die aus südlicher Richtung zu kommen schien, und die mir ganz und gar nicht gefiel: "Oohh....iihh, schöner, saftiger Menschenbraten, iihh, zart und fein, das wird ein gutes Fresschen, ein gutes Fresschen, iihh, oohh!"

Ich sprang rasch hinter einen Baum und duckte mich, während sich mir die Nackenhaare aufstellten. Was war denn das?! die Stimme klang ein wenig wie die einer uralten Frau, aber gleichzeitig irgendwie...schlangengleich: kalt und lispelnd, mal auf-, mal abschwellend. Wenn die Person zu dieser toten, ekelhaften Stimme passte, dann wollte ich ihr lieber nicht begegnen. Vorsichtig lugte ich aus meinem Versteck- und hielt den Atem an, als ich die übergroße Gestalt erkennen konnte, die da offenbar mit sich selber sprach. Ein Anblick, auf den ich gut hätte verzichten können: das Ding schien tatsächlich eine Frau zu sein, jedenfalls ging es aufrecht auf zwei spindeldürren Beinen, besaß zwei lange, schlackernde Arme, ein Paar dünner, schrumpelnder Brüste und einen durch und durch hässlichen Kopf. Damit hörte aber auch jede Ähnlichkeit mit einem menschlichen Wesen auf. Die Gestalt war nackt, abgesehen von ein paar alten, flatternden Tüchern, die um ihre welken Brüste gewickelt waren und auch von den dürren, verhutzelten Armen hingen. Die Haut der Kreatur, die sich um den unmöglich abgemagerten Körper spannte, besaß einen hellblauen, kränklichen Ton und der gesamte Leib wurde von unschönen Adern durchzogen, die ich selbst auf diese Entfernung schon deutlich erkennen konnte. Entsetzt starrte ich auf die überlangen, krallenbesetzten Finger. Die Natur hatte es wohl für angebracht gehalten, diesem Ding doppelt so viele zu geben, wie Normalsterbliche gewöhnlicherweise besaßen. Am schlimmsten jedoch war das Gesicht: die dünnen, schwarzen Lippen waren zu einer Parodie des Lächelns verzogen und unter dem albernen Seidenschleier, den das Vieh trug, konnte ich ein Paar vorquellender, tiefschwarzer Augen erkennen. Still drückte ich mich wieder ins Gras und atmete so leise wie möglich.

Plötzlich blieb das Wesen stehen und schnüffelte geräuschvoll, wobei es leise in sich hineinzischte: "Iihh...oohh...unschöner Geruch hängt in der Luft, iihh, was kann das sein, was ist das nur?"

Erschrocken sah ich an mir herab. Der Mist war inzwischen getrocknet und die gröbsten Teile waren im Laufen schon abgefallen. Entweder hatte ich mich an den Gestank gewöhnt- oder das Ding besaß eine beachtlich scharfe Nase. Die abscheuliche Frau schwenkte einen leeren Weidenkorb hin und her und zögerte. "Schrecklich, widerlich, abartig, oohh, iihh...beobachtet mich da Einer, rieche ich da Jemanden, iihh..?"

Ich zuckte zusammen und drückte mich flach an den Boden, wobei ich mich fragte, ob das Wesen so stark wie hässlich war. "Mhmm-mhmmm, iihh...nicht gut, nicht gut, Schwestern warten ja, oohh..." das Ding schüttelte seine knochige Faust und ging dann mit unsicheren, hüpfenden Schritten weiter, ehe es irgendwo im Wald verschwand. Ich wartete noch eine Minute und lauschte angestrengt, doch selbst das wehmütige Zischen und Flüstern war verklungen. Schwestern? gab es noch mehr von diesen Kreaturen hier? und vor allem... tat ich der Gestalt Unrecht und sie war eigentlich überhaupt nicht gefährlich, trotz des abstoßenden Äußeren, das ihr die Götter gegeben hatten?

Ich beschloss, das -wenn überhaupt- später herauszufinden, sprang auf und ging vorsichtig den Weg entlang, den die Erscheinung gekommen war, dabei immer misstrauische Blicke nach links und rechts werfend. Das Gelände wurde ungleichmäßig, mal ging es kleine Hügel hinauf, dann wieder schlängelte sich der Weg, der tatsächlich zu einem Trampelpfad geworden war, schräg abfallend zwischen Büschen und Sträuchern hindurch. Ich seufzte leise und verlor langsam wirklich die Hoffnung, als ich plötzlich das Schluchzen hörte. Erschrocken sah ich mich um, konnte aber nichts erkennen. Spielte mir die Phantasie schon einen Streich...? doch da war es wieder, ein verzweifelts, ängstliches Weinen. Eindeutig stammte es von einem Kind! "Lars?" flüsterte ich und ging geduckt den Hügel hinauf, der sich vor mir erhob. Oben angekommen, legte ich mich flach auf den Boden und spähte nach unten. Erschrocken schnappte ich nach Luft als meine Augen das Bild erfassten, welches sich mir bot: unter mir erstreckte sich eine winzige, kreisrunde Lichtung, wo irgendwer -oder irgendetwas- eine Art Siedlung errichtet hatte: runde Strohhütten und Zelte wuchsen überall aus dem Boden und im Zentrum befand sich ein gigantischer Kessel, aus dem es dampfte. Neben dem Kessel stand ein vergitterter, alter Holzwagen und im Inneren befanden sich- Kinder!

Unter ihnen erkannte ich Lars, und ich musste mich zurückhalten, um nicht sofort aufzuspringen und ins Lager zu stürmen. Da stimmte irgendwas nicht... aufmerksam betrachtete ich die Insassen des Käfigs weiterhin und erblickte zu meiner großen Überraschung Leifnir Havocbringer, der sich mit angezogenen Beinen in eine Ecke drückte. Was zum Teufel war hier los...? in dem Moment spürte ich hinter mir eine Bewegung und verharrte erschrocken. Eine Sekunde später legte sich eine schwere Hand auf meine Schulter.

Ich fuhr herum und wollte vor Schreck aufschreien- hinter mir hockte mein Vater, der mir jetzt rasch die andere Hand auf den Mund drückte und mich warnend anblickte. Und er war nicht allein. Hinter ihm kauerten still und bedrohlich zwei gepanzerte Trollwächter, eine ebenfalls in Ketten gehüllte Koboldin und ein furchtbar streng wirkender, grauhaariger Nordmann in kostbaren Seidengewändern. "V...Vater, was machst du denn hier," flüsterte ich fassungslos. "Wir reden später," zischte er und ich empfand das Verlangen, zurückzuweichen. "Scher dich nach hinten, da wartet deine Mutter mit Storvag und den Anderen." Wer denn 'die Anderen' waren, sagte er nicht und ich fragte auch nicht nach. Obwohl er weder schrie noch handgreiflich wurde, wirkte er mit seinem eiskalten Blick und der ebenso schneidenden Stimme mehr als bedrohlich. So nickte ich und ging geduckt an ihm vorbei. "Lars ist da hinten, zusammen mit..." setzte ich leise an.

"Ich weiß. Geh mir aus den Augen."

Betroffen und verletzt tat ich, was er verlangte. Hinter den Bäumen erblickte ich meine vor Angst wachsbleiche Mutter mit einem durch und durch zornigen Storvag an ihrer Seite und sechs Wächtern, die sich aufmerksam nach allten Seiten umsahen. "Ach wie schön, dass wir dich auch mal wiederfinden!" fuhr mich Storvag sofort an. "Mutter war halb verrückt vor Sorge! was hast du dir dabei gedacht?!"

"Im Gegensatz zu dir hatte ich Angst um unseren Bruder," erwiderte ich ruhig und legte das Gewicht auf das kleine Wörtchen 'unseren'. Storvag sah mich einen Moment ausdruckslos an und schlug mir dann ins Gesicht. "Storvag!" rief Mutter entsetzt und ich fuhr zurück. Mein älterer Bruder blickte einen Moment seine Hand an, ehe er bedächtig beide Arme hinter dem Rücken verschränkte. "Tut mir Leid, Llienne..." murmelte er betroffen. "Es...überkam mich." Zerknirscht fuhr er sich durch seine rotbraunen Haare und sah zur Seite. Der Schmerz war gar nicht so schlimm, mich überraschte nur seine Reaktion. Hatte er überhaupt jemals Hand an mich gelegt? wenn, dann war es schon lange her. "Ist gut," sagte ich nur.

"Nicht so laut," grollte einer der Trolle plötzlich warnend und drehte sich schwerfällig zu uns um. Storvag und ich räusperten uns und hielten folgsam den Mund, wobei wir es vermieden, uns in die Augen zu sehen. Plötzlich spürte ich einen feinen Hauch an der Wange und hob reflexartig den Kopf. Hatte ich mich getäuscht, oder war hinter den Wächtern wirklich etwas Weißes blitzschnell zwischen den Bäumen vorbei gehuscht? nun sehe ich schon Gespenster, dachte ich verärgert. Trotzdem blieb das unangenehme Gefühl, beobachtet zu werden. Heimlich betrachtete ich Storvag und Mutter aus dem Augenwinkel. Wenn ihnen etwas seltsam vorkam, so zeigten sie es zumindest nicht. Wahrscheinlich steigerte ich mich schon wieder in irgendetwas albernes hinein und bevor ich mich abermals unbeliebt machen könnte, schwieg ich. Ein leises Zischeln wehte zu mir herüber und ein weißes, schemenhaftes Etwas verschwand hinter Mutter zwischen zwei Bäumen. In dem Moment erfüllte oben auf dem Hügel ein lautes Grollen die Luft und eine gewaltige Kugel aus unirdischem, blauen Licht explodierte, da, wo Vater und die anderen standen. Ich schrie vor Schreck auf und wich zurück, als sich das Schauspiel wiederholte und das Grollen von einem markerschütternden Kreischen abgelöst wurde. "Oh mein Gott," flüsterte Mutter, noch bleicher als zuvor. "Geht zurück," knurrte der Troll, der uns zurechtgewiesen hatte, und stieß gleich darauf einen donnernden Befehl in einer Sprache aus, die ich nicht verstand. Seine Kameraden hoben Äxte, Hämmer und Schwerter, stimmten in den furchteinflößenden Laut ein und stampften wie ein Mann den Hügel hinauf.

"Was geht da vor?" sagte ich und sah den Trollen mit großen Augen nach. "Sie kämpfen...aber ich weiß nicht, gegen wen," meinte Storvag und berührte sehnsüchtig eine seiner beiden Äxte, die am Gürtel ruhten. "Mutter, ich will..." sie unterbrach ihn scharf: "Du bleibst, Vater hat es dir ausdrücklich gesagt." Er starrte sie mit ungehemmten Zorn an, sog scharf die Luft ein- und schlug dann mühsam die Augen nieder. "Ja...Mutter."

Ich beachtete ihn nicht sondern drehte den Kopf und beäugte nun erst recht misstrauisch die Bäume. Hier stimmte etwas nicht, absolut nicht!

Wie um meinen Gedanken zu bekräftigen, ertönte ein zischelndes, schlangengleiches "Hiihh...aah!" und fünf oder sechs hochgewachsene, spindeldürre Schreckensgestalten stürzten zwischen den Bäumen hervor. Ich fuhr erschrocken zurück. Die Wesen sahen genauso aus wie die missgestaltene, lispelnde Albtraumfrau mit ihrem leeren Weidenkorb, die ich gesehen hatte. "Mutter, Storvag...lauft!" rief ich, doch während Mutter vor Schreck scheinbar zur Salzsäule erstarrt war, stürzte sich Storvag mit einem regelrecht erfreuten Schrei nach vorne. Dieser Idiot wollte es mit all den Kreaturen allein aufnehmen! "Storvag!" brüllte ich, setzte ihm nach und riss ihn am Saum des Umhangs zurück. "Was willst du? geh in Deckung!" knurrte mein Bruder, doch ich zerrte so energisch an seinem Arm, dass er selbst mit nach hinten stolperte. Kurz vor seinem Gesicht schlug eine der gräulichweißen Gestalten mit einem irren Kichern die Hände zusammen und leckte sich begierig die schwarzen Lippen. Hinter mir hörte ich einen dumpfen Plumps. Das durfte doch nicht wahr sein...Mutter war in Ohnmacht gefallen! "Hiihh...zarte Kinderchen, zu uns, kommt zu uns, ihr Kinderchen, oohh...aaah!"

"Hiyahh...kleine, liebe Kinderkörper, hhaa..."

"Rriihh, seid artig, Kinderchen, hiih..!"

Zischelnd, betörend kicherten und flüsterten die Frauenfiguren durcheinander und lullten uns mit ihren Stimmen regelrecht ein. Da gab es nur ihre schwenkenden, wogenden Leiber, die langen, gierigen Finger und ihre leisen, frostigen Stimmen. Warum weglaufen, warum kämpfen....so schlimm konnte das alles gar nicht sein...

"Hiihh...Kinderchen, kommt kommt...oohh...brav so, iihh, fein fein!" benommen blickte ich Storvag an und er nickte sachte. Seine Augen waren ganz glasig, seine Haltung schlaff. Ich ließ die Arme hängen und wollte zu den Gestalten gehen, als neben mir plötzlich eine dunkelblaue, leise sirrende Kugel die Luft zerschnitt und die Frau, die mir am nächsten stand und schon im Begriff war, die Arme um mich zu legen, einfach von den Füßen riss. Der abgemagerte Körper wurde gegen einen Baumstamm geschleudert und sank leblos daran zu Boden. Aufkreischend wichen die Kreaturen zurück und ließen die Arme sinken. Im gleichen Moment schwand meine Benommenheit und die Wirklichkeit kam wie mit einem Hammerschlag. Ich stieß einen befreienden Schrei aus, riss reflexartig meine verdreckte Axt vom Gürtel und schleuderte sie ohne groß zu zielen nach dem ersten, kreischenden Ding, was ich erblickte. Der Treffer war wunderbar, die Axt bohrte sich lautlos in das Gesicht meines Ziels und blieb dort stecken. Die erhoffte Wirkung blieb allerdings aus- nicht ein Tropfen Blut spritzte durch die Luft und das Etwas brach auch nicht zusammen. Aber wenigstens hörte das hysterische Geschrei auf. Zumindest für einen Moment- dann waren es gleich mehrere entsetzte Stimmen, die die Luft erfüllten. "Llienne, Achtung!!"

Ich drehte mich um und da bohrte das Unding, was sich laut heulend vor mir aufgebaut hatte, auch schon seine krallenbesetzten Hände in meinen Körper.
 

Mit einem Ruck schlug ich die Augen auf und wollte mich aufsetzen, ehe ein abscheulicher Schmerz durch meinen Leib zuckte. Mit einem kraftlosen Schrei sank ich zurück und presste die Hände auf den Bauch. "Ruhig, ganz ruhig. Bleib liegen!" sagte eine sanfte Männerstimme und gleich darauf spürte ich ebenso sanfte Hände, die mit hauchzarten, flüchtigen Bewegungen meinen bandagierten Oberkörper abtasteten. Ich blinzelte, bunte Flecken tanzten vor meinen Augen. Dann klärte sich mein Blickfeld und ich erkannte zu meinem Erstaunen einen rundlichen Zwerg in der Gewandung der Heiler, der an meinem Bett stand und fachmännisch meinen Körper untersuchte. "Seid gegrüßt," sagte ich matt. Er lächelte mir zu und hob gleich darauf besorgt die buschigen, weißen Brauen. "Wie fühlst du dich?"

Ich bewegte mich vorsichtig und verzog das Gesicht. "Ooch..." er schmunzelte und tätschelte mir leicht die Hand. "Das vergeht wieder. Du hast wirklich riesengroßes Glück gehabt, keine schwerwiegenden, inneren Verletzungen. Eir muss dich lieben, Mädchen!" ich nickte halbherzig. "Vielleicht." Plötzlich fiel mir wieder ein, was geschehen war...ich hatte Vaters Verbot missachtet und war ausgerissen, um Lars zu suchen, der durch den gefährlichen Myrkwood irrte. Nach einer unheimlichen Zwischenbegegnung hatten meine Eltern, die Wachen und Storvag mich gefunden. Und dann wurden wir von namenlosen Bestien angefallen, die Ähnlichkeiten mit Frauen aufwiesen. Eine dieser bizarren Frauen hatte mich verwundet und bei ihrer Berührung hatte ich sofort das Bewusstsein verloren. Ab da war meine Erinnerung ein schwarzes Loch.

Abermals und dieses Mal sehr viel vorsichtiger, richtete ich mich auf und ignorierte die ausgestreckte Hand des Heilers. "Danke, es geht schon...wo ist Lars?" er runzelte fragend die Stirn. "Lars?"

"Mein Bruder. Etwas jünger als ich, blondes Haar und blaue Augen." "Ach so. Dem Jungen geht es gut, er steht zwar unter Schock, trug aber keinerlei Verletzungen davon. Er schläft und deine Eltern sind bei ihm." Mich durchströmten gleichzeitig die unendliche Erleichterung und ein kurzes Gefühl von Niedergeschlagenheit. Sie waren alle bei Lars und sorgten sich, obwohl er gänzlich schadlos davongekommen war, während ich gerade mit großen Augen die Schüssel neben dem Bett betrachtete, in die der Heiler meine alten, blutigen Verbände gelegt hatte. Wütend und beschämt biss ich mir auf die Lippen. So ein Unsinn.

"Kann ich zu ihm?" fragte ich und schwang die Beine aus dem Bett. Man hatte mich von meinen schmutzstarrenden Kleidern befreit und mir ein einfaches, knapp knielanges Wollhemd übergestreift. Gleichzeitig war ich gesäubert und mit wohlriechendem Kräuteröl eingerieben worden. Der Zwerg maß mich mit einem abschätzenden Blick. "Eigentlich solltest du noch ruhen," sagte er. "Bitte...! ich möchte ihn sehen!" ich blickte ihn so flehend an, wie ich konnte, meine dunkelbraunen Augen flackerten. Der Trick versagte selten und klappte auch dieses Mal hervorragend. Der kleinwüchsige Mann raufte sich seufzend die weißen, langen Haare und nickte dann ergeben. "Na schön, dann geh."

Ich lächelte ihm zu und öffnete die Tür- und stieß fast mit meinem Vater zusammen. "Nanu?" machte er halb verwirrt, halb erzürnt. "Du gehörst ins Bett, Llienne!" noch ungnädiger wandte er sich an den Heiler: "Warum lasst Ihr sie schon durch die Gegend spazieren?!" der Zwerg zuckte die Schultern. "Ihr geht es bereits viel besser und sie möchte ihren Bruder sehen." Ich sah den beiden einen Moment schweigend zu und seufzte. Vater schien nur die Tatsache aufzuregen, dass sich der Heiler von einem Kind wie mir beeinflussen ließ, denn nichts anderes hatte ich getan. Es geht ihm nicht um mich, wie immer, dachte ich flüchtig. Seltsam- ich spürte nicht den gewohnten Stich, der mich bei dieser Erkenntnis meistens durchzuckte. Hatte ich mich mittlerweile damit abgefunden?

"Geht. Ich will mit meiner Tochter allein sprechen," sagte Vater. "Mein Sohn Storvag wird Euch Euren Lohn auszahlen." Der Heiler verbeugte sich etwas steif. "Wie Ihr es wünscht." Ohne zu lächeln, verschwand er durch die offenstehende Tür. Auf der Treppe hörte ich ihn leise "Ja? oh...sie ist oben," sagen. Und eine mir wohlbekannte Stimme antwortete: "Gut, danke." Leifnir Havocbringer?

Was will er denn jetzt schon wieder, dachte ich gallig. Sich über meinen Leichtsinn und meine Dickköpfigkeit lustig machen?

Kaum drei Sekunden später klopfte Leifnir gegen die noch immer geöffnete Tür und steckte seinen schwarzen Kopf ins Zimmer. "Zum Gruße!" Vater drehte sich um und lächelte breit. "Oh, der junge Leif. Sei willkommen!" als ich nachdrücklich schwieg, warf mir mein Vater einen warnenden Blick zu und ich seufzte erneut. "Sei gegrüßt," meinte ich nur lustlos. Leif trat vollends ins Zimmer und betrachtete mich intensiv. Ich folgte seinem Blick und stellte fest, dass er mit regelrechten Stielaugen auf meine nackten Beine glotzte. Nachdrücklich drehte ich mich um, legte mich wenig elegant ins Bett zurück und zog die Decke bis zum Hals hoch. Der junge Skalde blinzelte und sein Blick klärte sich. "Soll ich euch zwei alleine lassen?" fragte Vater mit funkelnden Augen. Ich blickte ihn schief an- das waren ja ganz neue Töne! "Nun, wenn es keine Umst..." setzte Leifnir an und ich fiel ihm schnell ins Wort: "Ach was, Papa. Leif will bestimmt eh bald wieder gehen, und ich bin auch ziemlich fertig...!" na wenn das nicht deutlich genug war. Doch beide übergingen die Spitze einfach, sie schienen es mir nicht einmal übel zu nehmen. "Habt Ihr...es ihr schon gesagt?" fragte Leif an meinen Vater gewandt. Der räusperte sich. "Nun, da waren ja diese Zwischenfälle mit meinem Sohn..." ich spürte kurz die Galle in mir hochsteigen. Zwischenfälle! schöne Ausdrucksweise... "...und überhaupt...es war eine ziemlich anstrengende Situation." Leifnir wirkte enttäscht und ich begann, mich zu fragen, was hier eigentlich los war. "Warum sagt mir Leif nicht einfach selbst, was er mir sagen möchte?" schlug ich leicht genervt vor.

Beide sahen mich an. Sahen sich gegenseitig an. Dann räusperte sich der Skalde. "Ja...warum nicht. Llienne?"

"Die bin ich."

"Möchtest du meine Frau werden?"

Ich glaube, ich stand kurz davor, einen Freiflug aus dem Bett zu machen. Seine Frau werden....ich? ich?! einen Moment starrte ich ihn lediglich an und konnte nur den Kopf schütteln. "Was...?" Leifnir wirkte irgendwie leicht beleidigt, als hätte ich ein teures Geschenk abgelehnt. "Na ja, ich fragte dich, ob du mich heiraten willst." Ich musste ein Lachen unterdrücken. Das war einfach zu blöd! ich war knapp dreizehn Jahre alt und Leif vielleicht sechzehn und wir hatten uns seit unserer ersten Begegnung nicht gemocht. Und nun machte Leif, genau dieser Leif, der mich Gott-weiß-wie-oft grob am Zopf gezogen oder mir den Helm vom Kopf gerissen hatte, einen Heiratsantrag!

Endlich hatte ich meine Sprache wieder gefunden. "Dein...ehm....Angebot in Ehren. Aber ich will dich nicht heiraten, nein." Ihr hättet jetzt sein Gesicht sehen müssen, ehrlich. Der junge Skalde starrte mich an, das Blut schoss ihm in die Wangen und er ballte eine Faust. "Du...lehnst ab?" fragte ungläubig. Sein Tonfall machte mich wütend, sehr sogar. Neben Leif sog Vater scharf die Luft ein und öffnete den Mund, zweifellos, um die Situation zu retten. Ich jedoch kam ihm zuvor: "Mach dich einem anderen Mädchen zum Geschenk," sagte ich mit eiserner Selbstbeherrschung. "Vielleicht sollte ich mich glücklich schätzen, überhaupt von einem Mann gefragt zu werden...doch wenn es jemanden gibt, den ich nicht heiraten möchte, dann bist du das."

Leifnir starrte mich noch einen weiteren Herzschlag lang an, ehe er sich umdrehte und mit stampfenden Schritten und ohne ein weiteres Wort aus dem Zimmer stürzte. Ich lehnte mich verärgert zurück, doch mein Zorn war nichts gegen meinen Vater! krachend schlug er die Tür zu und lehnte sich selbst dagegen. "Weißt du, Llienne...ich hätte nicht wenig Lust, dich windelweich zu prügeln!"

"Ich werde dich nicht daran hindern können, Vater."

Mit zwei Schritten war er beim Bett und starrte drohend auf mich herunter. "Weißt du, in welche Verlegenheit du mich gerade gebracht hast?!" brüllte er. "Ich habe es abgelehnt, jemanden zu heiraten, den ich nicht ausstehen kann!" gab ich hitzig zurück. "Du verzogenes Balg! dankbar solltest du sein, dass ein wohlhabender, junger Mann wie Leifnir Havocbringer um deine Hand anhält. Dankbar!" ich schäumte vor Wut. Tausend angebrachte Antworten brannten mir auf der Zunge, doch ich brachte irgendwie das Kunststück zustande, nicht eine einzige in die Freiheit zu entlassen. "Ich will ihn nicht heiraten," sagte ich nur durch die zusammengebissenen Zähne.

"Oh, das wirst du, meine Liebe."

"Du kannst mich nicht zwingen!"

Er lächelte böse. "Das kann ich sehr wohl. Leg dich nicht mit mir an, mein Kind. Du weißt, wer letztlich am längeren Hebel sitzt. Du wirst Leifnir im nächsten Frühjahr heiraten. Ansonsten..." er legte eine bedächtige Pause ein, "hast du die längste Zeit eine Ausbildung zur Skaldin genossen." Ich starrte ihn an. Ich wusste nichts zu sagen. Ebensogut hätte er mich wirklich windelweich prügeln können. Aber dies hier war um einiges schlimmer. Das war die pure Ungerechtigkeit.

Vater drehte sich um, öffnete dir Tür und warf mir noch einmal einen kurzen Blick zu. "Denk in Ruhe darüber nach, Llienne. So lange bleibst du hier drinnen. Und wage es nicht, noch einmal aus dem Fenster zu springen. Aber das dürfte dir bei deinen Verletzungen eh schlecht bekommen." Damit knallte er die Tür zu und ich war endlich allein.

Wütend und mit einem unterdrückten Schrei riss ich mein Kissen an mich und begann, es mit den Fäusten zu traktieren.

"Ich hasse dich," flüsterte ich leise und schleuderte das Kissen auf den Boden. "Ich hasse dich!"
 

Die nächste Zeit wurde sehr eintönig für mich. Ich stelle mich -wie mein Vater- auf stur. Wir wechselten kaum ein Wort miteinander, ich kam nur zum essen nach unten und zog mich danach so schnell wie möglich in mein Zimmer zurück. Dieses erschien mir mit jedem Tag abstoßender- draußen schien die Sonne, tobte das Leben... und ich war eingesperrt. Leifnir kam mich in dieser Zeit zwei oder dreimal besuchen, er war stets höflich, aber sein Blick blieb kühl und gekränkt, wenn er mich ansah. Wegen der Hochzeit fragte er nicht mehr nach. Das trieb mich jedes Mal zur Weißglut. Wir sprachen ernst miteinander, über belanglose Dinge, er wartete insgeheim darauf, dass ich endlich zur wirklich wichtigen Sache käme, ich wünschte mir im Stillen, er möge endlich verschwinden. Eine kranke Komödie.

Eines Tages -ich lag lustlos auf dem Bett und las in einem der wenigen Bücher, die ich besaß- klopfte es an meine Tür und Lars trat ein. "Huhu, Llie," sagte er fröhlich. Ich sah unwillig auf und registrierte, dass er an einem dicken, rotbackigen Apfel kaute und neue, mit extra vielen Taschen besetzte Lederhosen trug. "Hallo, Lars," brummte ich. "Was ist?" er warf die Tür zu und stolzierte zu meinem Lager. "Willst du?" großmütig hielt er mir seinen Apfel unter die Nase. Statt einer Antwort schnellte ich vor und versenkte meine Zähne im festen, süßen Fruchtfleisch. "Hey!", maulte er entrüstet. "Nicht alles!" hurtig brachte er seinen Apfel, der wirklich ein beachtliches Stück eingebüßt hatte, aus meiner Reichweite. Ich kaute genüßlich und fragte nochmals: "Was ist?" wieder sparte er sich eine Antwort und ließ sich stattdessen auf meine dünne Matratze plumpsen. "Was lieste denn da?" ich wälzte mich auf die Seite und starrte zur Wand. "Nichts." Danach herrschte eine gute Minute tiefes Schweigen. Ich hörte, wie Lars seinen Apfel auf den Boden legte und mit seinen klebrigen Fingern anfing, in meinen Haaren herumzuwühlen. "Lass das!"

Er kicherte, nahm eine meiner wellenden Strähnen zwischen Daumen und Zeigefinger und begann, mein Ohr zu kitzeln. Ich schlug nach ihm und verpasste mir nur selbst einen Treffer, was ihn zu noch lauterem Gekicher veranlasste. "Bengel," knurrte ich, "noch einmal, und ich werde dich..." er kitzelte nachdrücklich mein Ohr und ich schnellte herum, ehe ich die Arme um ihn schlang und ihn nach Herzenslust kitzelte, ihm in die Seite piekte und ins Gesicht pustete. Er kreischte auf und strampelte. "Baah, du bist gemein, Llie...l-laaass das!!"

"Du wolltest ja auch nicht aufhören. Sag: Ich bitte dich um Verzeihung, große Schwester!"

"Du stinkst, große Schwester."

Wir kabbelten weiter und drohten, aus dem Bett zu fallen. Erst als sich Lars' bis dato fröhliches Gekrähe in wütendes Schreien verwandelte, ließ ich von ihm ab. "So, Ehre, wem Ehre gebührt. Du bist eine Nervensäge, Lars!", meinte ich und grinste ihn frech an. Er zog eine grauenhafte Grimasse, und ich lachte laut los. Er blickte mich schief an und stimmte nach wenigen Augenblicken in mein Gelächter ein. "Weißt du, Llie..." setzte er an, als wir uns allmählich beruhigten.

"Hmm?"

"Es ist gut, dass du wieder lachst. Ich mag dich gar nicht leiden, wenn du immer so finster guckst." Ich wurde schlagartig ernst. "Lars..." "Nein wirklich," fiel er mit ins Wort. "Warum hast du so schlechte Laune?"

"Das geht dich nichts an."

"Ich wills aber wissen!" seine Augen waren anklagend. Kein schöner Blick. "Papa ist doch böse auf dich? ja, schau nicht so, ich krieg das mit, ich bin doch nicht blöd. Warum habt ihr euch so gestritten?" ich fuhr mir seufzend durch die Haare. Dem Kleinen entging wirklich nichts. "Ich soll heiraten," murmelte ich. Seine Augen wurden riesig. "Heiraten? jetzt schon?" ich nickte. "Und wen?"

"Leifnir Havocbringer."

Seine Reaktion erstaunte mich: Unwillig verzog er das Gesicht und gab ein ablehnendes Schnauben von sich. "Oh. Den mag ich nicht." Mit hochgezogenen Brauen setzte ich mich auf und sah auf ihn hinunter. "Warum? hat er dir was getan?" meine Stimme klang lauernd. Er schüttelte nachdrücklich den Kopf und rappelte sich ebenfalls auf. "Nee. Aber er ist gemein zu den Valkyn und erzählt hässliche Lügen über sie, obwohl er sie gar nicht kennt. Das finde ich fies." "Was?!" fragte ich scharf. Er fuhr leicht zusammen und sah mich unsicher an. "Hab ich was Falsches gesagt?"

"Nein, nein. Erzähl mir mehr. Und vor allem, was du über die Valkyn weißt. Kennst du sie?" meine Stimme klang angespannt. Schlagartig fiel es mir wieder ein. Natürlich musste er zumindest eine Valkyn kennen. Es war zwei Jahre her, da hatte ich eine getroffen und mich zögerlich mit ihr angefreundet. Seltsamerweise hatten wir uns seit unserem Abschied nie wieder gesehen. Weder in Jordheim noch sonst irgendwo war ich ihr begegnet, obwohl ich immer Ausschau gehalten und innerlich ein Treffen herbei gewünscht hatte.

Lars nickte. "Ich hab nicht viele gesehen, zumindest nicht hier. Sie sind hier ja auch nicht Zuhause. Da sieht es in Aegirham schon anders aus." Ich starrte ihn fassungslos an. "Du...warst in Aegirham?! wann? und vor allem...mit wem?" Lars zu Besuch in der Heimat der Knochentänzer und Wilden? eine sehr seltsame Vorstellung... "Mit Storvag," meinte er verwirrt. "Warum?" er bekam keine Antwort. Ich schaute mit gerunzelter Stirn auf einen imaginären Punkt auf dem Fußboden. "Llie?" er zupfte ungeduldig an meinem Ärmel. "Was? oh, entschuldige, war geistig gerade abgelenkt..." "Ja, das hab ich gemerkt. Was hast du denn?" ich lächelte leicht. "Mich würde mal interessieren, wie Storvag dazu kommt, mit dir nach Aegir zu reisen. Das hat doch bestimmt gedauert." Er nickte voller Stolz. "Ja, einen ganzen Tag. Wir sind geritten, Llie, das war klasse! und wir haben Proviant mitgebracht, sind aber trotzdem noch in eine Kneipe gegangen. Da hab ich sogar Bier bekommen, was mir aber gar nicht geschmeckt hat und..." ich stoppte seinen Redefluss mit einer entschiedenen Handbewegung. "Das ist ja alles sehr schön, aber ich möchte wissen, warum Storvag so eine lange Reise mit dir unternommen hat." Er blinzelte ein bisschen beleidigt. "Bist du eifersüchtig?" "Quatsch," brummte ich, obwohl ich mir nicht ganz sicher war, ob dies tatsächlich der Wahrheit entsprach. Er wiegte den Kopf und zuckte mit den Schultern. "Er sagte, jetzt würde ich mal ein zünftiges Abenteuer erleben. Aber..." seine Stimme wurde anklagend, "er war am Ende überhaupt nicht mehr nett, er hat sogar..." plötzlich errötete mein kleiner Bruder und schwieg. Ich sah ihn stirnrunzelnd an. "Nun, was denn? sag es mir ruhig."

"Hm ich weiß nicht, das ist mir peinlich..."

"Lars!"

Er seufzte leise und sah mich halb ängstlich, halb trotzig an. "Er wollte ohne mich weg, hat mich gehauen und gesagt: Viel Spaß, Lars. Und pass auf, dass dich die Wilden nicht fressen. Du wirst hier sicher glücklich werden." Er biss sich auf die Unterlippe. "Und dann hat er ganz gemein gelacht und ist weggegangen, und ich..." er brach nochmals ab und sah zur Seite. Ich spürte, wie ich unfreiwillig die Fäuste ballte. Storvag, dachte ich kalt, allmählich muss ich mich über dich wundern... "Was hast du gemacht?" fragte ich fast sanft. Lars schien verlegen, seine Stimme war mehr ein Nuscheln: "Ich hab geweint. Ich kannte mich da ja gar nicht aus, und da waren nur fremde Leute, Llie." Ich nickte. "Klar. Und?"

"Ich weiß nicht...vermutlich hätte ich irgendwann jemanden gefragt, ob er mir helfen könnte. Aber ich...ich hab nicht nicht getraut. Das waren fast alles nur Valkyn da, und die sahen schon unheimlich aus, groß und zottig und mit gelben Augen..." meine Stimme klang schärfer als beabsichtigt, als ich ihm nun ins Wort fiel: "Du darfst die Leute nicht nur nach ihrem Aussehen beurteilen! Trolle sind...ahem...auch keine Schönheiten. Und wir haben trotzdem keine Angst vor ihnen, oder?"

"Nein. Aber das ist ja auch was ganz anderes..."

"Ist es nicht. Du denkst das, weil du ihren Anblick gewöhnt bist." Ich schlug die Hände zusammen und sah ihn ernst an. Er erwiderte meinen Blick unsicher. "Aber Trolle sind trotzdem anders. Valkyn...sind böse. Sie töten ihre eigenen Leute, weißt du. Und sie sind Kanni....Kannibalen oder so." Ich stieß einen Laut aus, in dem gleichzeitig Empörung und Spott mitschwangen. "Wer hat dir denn den Scheiß erzählt? Leifnir?" fragte ich spöttisch. Er schüttelte seine blonde Mähne. "Nee...Storvag." Schlagartig wurde ich wieder ernst. "Oh..." machte ich nur. Ich würde mich bezüglich dieser Sache nicht weiter auslassen, nicht bei Lars. Darüber sollte ich wohl mit Storvag selbst sprechen. Und das besser unter vier Augen...

"Llie?" fragte er ängstlich und ich blinzelte. "Hm...aha. Weißt du, Lars...glaub ihm lieber nicht, er kennt die Valkyn nicht. Und das...ist jetzt auch nicht weiter wichtig. Erzähl mir lieber, wie du wieder zurück gekommen bist."

Lars lächelte strahlend. "Ich glaub ihm auch nicht, denn es war eine Valkyn, die mich nach Hause gebracht hat. Ich soll dich übrigens von ihr grüßen, sie hofft, dass sie dich bald mal wieder sieht." Mein Herz schlug für einen Moment schneller. "Oh...wer war sie denn?"

"Keena."

Etwas in meiner Kehle machte 'klick' und ich spürte ein kurzes, heftiges Glücksgefühl im Magen. "Prima," meinte ich, darum bemüht, mir meine Begeisterung nicht anmerken zu lassen. "Das ist die Keena, die schon mal hier war, oder?" fragte er neugierig. "Ja," meinte ich und nickte. "Dass du dich daran noch erinnerst...warst ja noch fast ein Baby damals." Er stieß einen empörten Laut aus und boxte mir leicht in die Seite, worauf ich wieder lachte.

Plötzlich klopfte es an die Tür und einen Moment später trat Leifnir ein. Meine Miene wurde schlagartig ausdruckslos und ich hob den Kopf. "Seid gegrüßt," sagte ich knapp, ehe er auch nur den Mund aufmachen konnte. Er nickte sachte und deutete dann mit dem Kopf auf Lars. "Geh raus, Kleiner. Ich will mit deiner Schwester allein sprechen." Lars' Augen verdunkelten sich, doch er rutschte wortlos vom Bett, hob seinen Apfel auf und huschte aus dem Zimmer. Ich sah ihm kurz nach und erhob mich dann. "Das hättest du ruhig freundlicher sagen können," meinte ich kühl. Er winkte ab und setzte sich unaufgefordert auf die Bettkante. "Er wird es überleben. Ich...wollte mich nur kurz von dir verabschieden." Ich schwieg und er wartete einen Moment vergeblich auf meine Antwort. "Ich muss für eine Weile weg," fügte er hinzu und hob die Schultern.

"Aha..."

Zwischen seinen dunklen Brauen erschien eine steile Falte. "Und darüber bist du ziemlich froh, oder?"

"Das hast jetzt du gesagt..."

Er verzog ungeduldig das Gesicht. "Schön. Das heißt, dass das mit der Hochzeit vorläufig nichts wird. Meine Ausbilder braucht mich in Gna Faste." Ich nickte leicht. "Viel Spaß dort."

"Das muss dich ja mächtig freuen, oder?" fragte Leif und sah mich leicht verärgert an. Ich grunzte unwillig. "Warum provozierst du mich? ich hab dir von Anfang an gesagt, dass ich dich nicht heiraten will...wir sind viel zu jung dafür, man. Ausserdem liebst du mich doch nicht mal...oder?" fügte ich bissig hinzu. "Ach, du hast doch keine Ahnung," grollte er und stand ruckartig wieder auf. "Wir sehen uns denn...viel Glück mit deiner Ausbildung."

Ich folgte seinem Beispiel und stemmte wütend die Hände in die Hüften. "Die ist eingestellt, weißt du?" blaffte ich ihn an. "Und rate mal, wer der Grund ist!"

Er wandte sich bereits zur Tür. "Wenigstens dafür kannst du mir danken, MyLady," meinte er höhnisch. "Ich habe mit deinem Vater gesprochen. Vorgestern schon. Er ist über dein Benehmen übrigens nicht gerade erbaut..."

"Das sind meine Angelegenheiten. Und...danke." Ich spie das letzte Wort förmlich aus. Schon wieder eine bizarre, kranke Situation. Warum sollte ich ihm dafür dankbar sein, dass er zumindest eins der vielen Probleme, die ich wegen ihm am Hals hatte, bereinigt hatte? aber wer weiß...vielleicht würde er doch noch zu meinem Vater rennen und nochmals mit ihm sprechen, sollte ich ein allzu großes Mundwerk riskieren. Das musste nicht sein, nicht wirklich.

Er nickte knapp und verbeugte sich steif. "Leb wohl, Llienne. Ich frage dich das nächste Mal. Und ich hoffe, dass du....dass du dich dann einsichtig zeigst."

Ohne große Hast und einen übertriebenen Knall fiel die Tür hinter ihm ins Schloss. Ich wandte mich um, ging gemächlichen Schrittes zu meinem Bett zurück und setzte mich auf die Kante. Ein schiefes, freudloses Grinsen schlich sich auf mein Gesicht. Einsichtig, so so... aber nun sah meine Situation deutlich anders aus. Nun war da nur noch eine Hürde, die dringend aus dem Weg geräumt werden musste. Dann wäre der Horizont wieder ein Stück greifbarer.

"Also dann," sagte ich leise zu mir selbst. "Stolz, machs gut."

Ich stand auf, fuhr mir durch die Haare und ging zur Tür.
 

"Vater?"

Er nickte zum Zeichen, dass er gehört hatte. Ich seufzte innerlich- das war kein guter Anfang. "Tut mir Leid, dass ich mich wie ein kleines Kind benommen habe. Ich wills nicht wieder tun." Er legte den Hammer, den er gerade geputzt hatte, weg und sah mich an. Ich versuchte, so schuldbewusst wie möglich zu blicken und verschränkte die Arme hinter dem Rücken. Er schwieg, und ich sah mich gezwungen, draufzusatteln: "Du hattest Recht. Ich bin einfach noch nicht so weit. Bitte...entschuldige."

"In Ordnung," brummte er nur. Ich grinste unglücklich und sah ihm zu, wie er sich wieder seinem Hammer widmete. "Ähm...Vater?"

"Was ist?"

"Kann ich nach Aegirham reisen?"

Mit einem nachdrücklichen, dumpfen Laut fiel der Hammer zu Boden. Ich biss mir auf die Unterlippe und sah mit großem Interesse einer Fliege hinterher, die träge durch die Stube surrte. "Nach...Aegirham?!" ungläubig, verächtlich klangen die Worte. Ich fummelte an einem meiner Zöpfe herum und nickte, ohne ihn anzusehen. "Ja..."

"Warum?"

Diese Frage hatte ich befürchtet. Sie musste ja kommen. Und ich wusste nun keine Antwort darauf. Wenn mein Vater ebenfalls solche Abneigungen gegen die Valkyn hegte, konnte ich wohl kaum sagen, dass ich eben eine von ihnen besuchen wollte. "Es...es ist wichtig für meine Ausbildung. Leif war hier...er sagte, ich..." ich brach ab und sah ihn mit halbgeschlossenen Augen an. "Darf ich überhaupt weitermachen, Vater?" Er ließ mich nicht aus den Augen. "Willst du es denn?" Ich sah ruckartig auf. "Natürlich!" er schwieg und sah scheinbar nachdenklich aus dem Fenster. So vergingen gut zwei Minuten und ich dachte schon, man hätte mich vergessen. Resigniert drehte ich mich um und wollte das Zimmer verlassen, ehe er scharf sagte: "Llienne!" gespannt drehte ich mich wieder um. "Ja, Vater?"

"Warum sollte ich dir erlauben, da hinzureisen? es könnte gefährlich sein." Ich überlegte mir jetzt jedes Wort genau. Das war eine Probe...oder so etwas ähnliches. Wenn ich es vermasselte,würde ich nicht gehen dürfen. So ließ ich von meinem Zopf ab, obwohl ich jetzt gerne etwas gehabt hätte, um meine Nervosität zu überspielen. "Es wäre...ein Zeichen von Vertrauen," meinte ich vorsichtig. "Und ich könnte dir zeigen, dass ich etwas gelernt habe. Und nicht mehr so leichtsinnig bin." Vater sagte nichts, und ich fuhr ein wenig mutiger fort: "Irgendwann muss ich sowieso gehen, wenn ich erwachsen bin...und das wäre ein guter Anfang. Ich werde mir genug Proviant mitnehmen, ich werde wachsam sein...nicht vom Weg abkommen und mich von Fremden in kein Gespräch verwickeln lassen. Ich will...dir beweisen, dass selbst ich schlauer werden kann." Ich brach ab, sah ihn unglücklich an. Das klang alles haarsträubend und nicht sonderlich überzeugend. Aber es drückte doch das aus, was ich gerade empfand. Ich wollte ihm wirklich zeigen, dass ich aus meinen Fehlern gelernt hatte. Ich wollte endlich weiterkommen. Sah ich kurz so etwas wie Belustigung in seinen Augen aufblitzen? vermutlich war es nur Einbildung. "Hmm," machte er, "hmm..."

Ich sah ihn fest an. Wenn ich schon nicht gehen durfte, wollte ich wenigstens einen gewissen Eindruck hinterlassen. Alles andere hätte darauf hingedeutet, dass ich irgendwo doch noch das trotzende Kind war, was ich nicht sein wollte. Er stand langsam auf und kam auf mich zu. Ich spannte mich ein wenig, sah ihn aber weiterhin aufmerksam an. Seine große Hand senkte sich und legte sich schwer auf meinen Kopf. "Also schön, Mädchen. Wie weit ist es bis Aegirham?" ich überlegte kurz. "Zum Portal...einige Stunden, wenn ich schnell reite." Er nickte. "Gut." Ich blinzelte, war aber klug genug, dies noch nicht als Zustimmung aufzufassen. "Also..." setzte ich an.

"Also?"

"Darf ich gehen?"

Er ließ seine Hand, wo sie war und nickte ganz sachte. "Von mir aus geh, wenn es so wichtig für deine Ausbildung ist." Ich jubelte innerlich, nickte aber nur und lächelte leicht. "Danke, Vater. Dann...werd ich jetzt packen, ja?" er zog die Hand zurück. "Tu das."

Ich wandte mich ab, als mir plötzlich etwas Wichtiges einfiel. "Ach übrigens..." er hatte seinen Hammer erneut aufgehoben und sah mich stirnrunzelnd an. Vermutlich dachte er, dass ich jetzt, wo ich meinen Willen hatte, noch eine Bitte anbringen würde. Doch stattdessen sagte ich: "Du solltest mal mit Storvag reden. Und Lars sollte dabei sein." Damit wandte ich mich rasch um, ohne seine Antwort abzuwarten. Sicher, das war feige und selbstsüchtig von mir. Ich war meinem kleinen Bruder eigentlich mehr schuldig und hätte als große Schwester selbst sagen müssen, was Storvag getan hatte. Aber von uns Kindern hatte Vater Storvag schon immer am meisten gemocht. Der tapfere, prächtige, älteste Sohn, dem doch niemals zuzutrauen wäre, dass er seinem so viel jüngeren Bruder etwas antun könnte. Würde ich solche Dinge behaupten, wäre meine Aegirreise vorbei, noch ehe sie begonnen hatte, das war fast sicher. Ich ging schuldbewusst in mein Zimmer und raffte meine wenigen Habseligkeiten zusammen. Kleider, meinen Skaldenumhang sowie den, den Keena mir geschenkt hatte, Helm und Axt und natürlich den abgebrochenen Kristall, welchen mir vor langer Zeit der sterbende Elf überreicht hatte. Ich drehte ihn fasziniert zwischen den Händen. Er leuchtete, als sei Sonnenlicht in seinem Inneren gefangen. Wunderschön eigentlich, aber fremd und feindlich und aus dem gefürchteten Hibernia. Plözlich klopfte es und ich verbarg den Kristall hastig zwischen meinen Kleidern. "Ja?" Es war meine Mutter, die mit ziemlich unglücklichem Gesicht eintrat. "Hallo, Llienne," sagte sie. Ich drehte mich zu ihr um und musterte sie fragend. "Mutter. Ist etwas passiert?" sie schloss die Tür hinter sich, kam auf mich zu und nahm mich plötzlich fest in die Arme. Ich sah sie höchst verwirrt und auch ein wenig verlegen an. "Mutter...was hast du denn?" sie schüttelte den Kopf und ließ einen langen, klagenden Seufzer hören. "Dein Vater hat mir eben erzählt, was du vorhast. Oh, Llienne...tu das nicht. Es ist so weit und Gefahren gibt es überall. Was soll das denn? deine Ausbildung kannst du gut und gerne hier fortsetzen, es gibt hier doch so viele geeignete Orte und du kannst dich mit jungen Leuten in deinem Alter austauschen, da draußen kennst du niemanden..." ich seufzte ebenfalls, um ihren Redefluss zu stoppen und machte mich ungeduldig los. "Das ist es ja," erwiderte ich gereizt. "Ich komme nie weiter als bis nach Jordheim. Ich muss auch mal auf eigenen Beinen stehen, Mutter. Es ist wichtig für mich und ich werde ja aufpassen, versprochen."

Sie schniefte und schaute zur Seite. "Aber doch nicht so früh," meinte sie leise.

"Mir kann es nicht früh genug sein."

Daraufhin schwieg sie lange und sah mir zu, wie ich aus meinem Wollkittel schlüpfte und meine abgetragene, zerschrammte Nietenlederweste anlegte, die ich seit einiger Zeit besaß. Sie lachte plötzlich traurig und ich warf ihr einen misstrauischen Blick zu. "Meine kleine Llienne wird erwachsen," stellte sie fest. "Ich habe mich immer vor diesem Tag gefürchtet." Beiläufig ließ ich den Elfenkristall in seinem Beutel verschwinden und befestigte diesen an meinem Gürtel. "Aber warum denn?"

"Weil das die erste Tür ist, die sich öffnet. Die Tür, durch die dein Kind geht und sich damit unaufhaltsam von dir entfernt. Du verstehst das nicht, meine Kleine. Noch nicht. Vielleicht, wenn du selbst einmal einen Sohn oder eine Tochter hast." Sie lächelte mich schmerzlich an, gab mir einen Kuss auf die Stirn und wandte sich zur Tür. "Gute Reise, mein Mädchen. Bleib uns nicht zu lange fort." Ich nickte verlegen. "Ist gut...bis bald, Mutter."

Sie war kaum fort, da stürmte Lars in mein Zimmer. "Llie!", rief er entrüstet. "Du gehst weg?" ich grinste ihm zu. "Man klopft an, bevor man in ein fremdes Zimmer geht, du Bengel. Das hab ich dir nun tausendmal gesagt."

"Quatsch, du bist ja nicht fremd." Er warf sich auf mein Bett und sah mich mit seinen hinreißenden, blauen Augen schmollend an. "Warum darf ich nicht mit?"

"Ich hab doch noch gar nicht gesagt, dass du nicht mitdarfst."

"Aber wenn ich jetzt frage, wirst du das sagen." Ich musste lachen. Manchmal war der Kleine nicht mit Gold zu bezahlen. "Stimmt," meinte ich mit gehässigem Grinsen. "Du bist zu klein." Er trommelte mit seinen kleinen Fäusten auf mein Kissen. "Du bist so gemein...du Ziege!" ich nickte bestätigend. "Tja, so ist das Leben...du wirst es noch sehen." Der Junge setzte sich, noch immer mit schmollendem Gesicht, auf. "Ich find das aber nicht gut, dass du gehst," sagte er düster. Ich schmunzelte und schnürte mein Bündel zu. "Ich bleib ja nicht lange."

"Wie lange?"

"Mhmm, vielleicht ein halbes Jahr..."

Seine Augen wurden riesig. "Llie!" ich kicherte und tippte ihm an die Stirn. Daraufhin trat er mir nicht gerade sanft vors Schienbein. "Du doofe Kuh!" es machte immer Spaß, Lars zu ärgern, und die letzte Zeit hatte ich ja nicht wirklich etwas zu lachen gehabt. So schulterte ich mein Bündel und stand auf. "Erst eine Ziege, dann eine Kuh...wollen wir austesten, wieviele Tiere Klein-Lars schon kennt?" er sprang auf, hüpfte wütend auf der Stelle und zerrte dann an meinem Gürtel herum. Plötzlich löste sich der Beutel und fiel zu Boden. Ich sog scharf die Luft ein und griff nach dem Beutel, doch Lars war schneller. Er drehte sich rasch um. "Was ist das, Llie?" fragte er. "Nichts ist das," sagte ich, eine Spur lauter als beabsichtigt. "Gib her!" er kicherte und öffnete den Beutel. Plötzlich verstummte er und nahm den Kristall heraus. Staunend drehte er ihn zwischen den Fingern. "Was ist das denn?" ich machte einen Schritt auf ihn zu. "Gib ihn mir!", fauchte ich. Erschrocken sah Lars auf und gab mir den Kristall. "Entschuldige," murmelte er, kleinlaut und verwirrt. Ich atmete auf und verstaute das Ding rasch wieder in seinem Beutel. "Tut mir leid," meinte ich in viel ruhigerem Ton. "Ich wollte nicht schreien."

"Was ist das denn?" wollte er erneut wissen und sah mich beinahe schüchtern an. Klasse, Llienne, das hast du fein hingekriegt, dachte ich wütend. So legte ich einen Arm um ihn und senkte den Kopf, als wolle ich ihm vertraulich ein Geheimnis mitteilen. Nun, eigentlich war es das ja auch... "Hast du schonmal von Hibernia gehört?" fragte ich leise. Lars nickte eifrig. "Da wohnen Lurikeen...und Kelten. Und Elfen und..." ..."und noch viele andere Wesen, ja," fiel ich ihm ins Wort. "Aber die...ähm...Menschen....Leute aus Hibernia sind unsere Feinde. Das weißt du auch? schön. Sie bekämpfen Midgard und wollen unseren Kriegern Böses. Es gibt viele Magier dort, wie du ebenfalls weißt. Sie benutzen Stäbe...und in manchen sind magische Steine oder Kristalle. Wie dieser hier." Lars sah mich groß an. "Und wenn er nun gefährlich ist? gefährlich für dich?"

Das war eine gute Frage. Bisher hatte das kleine Ding noch keine besonderen Dinge vollbracht. Aber vielleicht würde sich das noch ändern. "Ich glaube nicht," meinte ich. "Er ist...ein Geschenk. Bitte frag mich nicht mehr danach, Lars. Und vor allem...erzähle keinem davon, niemandem! das musst du mir versprechen. Sprich auch nicht mit Storvag oder Mama und Papa darüber. Sonst kriege ich echte Schwierigkeiten."

Der Kleine nickte feierlich. "Ich verspreche es dir, Llie. Ehrenwort, ich sag nix." Das musste reichen und natürlich glaubte ich ihm. Leicht lächelnd drückte ich seine Hand. "Danke, Lars. So...nun muss ich mich allmählich auf den Weg machen. Ach ja...wegen der Sache mit Storvag...geh zu Papa, hörst du? ich hab ihm schon gesagt, dass er mit Storvag sprechen soll." Als ich sein erschrockenes Gesicht sah, fügte ich rasch hinzu: "Ich habe ihn nicht verpetzt. Nur erwähnt, dass du und er zusammen mit Papa sprechen sollten. Trau dich ruhig, Lars. Sag ihm, was passiert ist. Solche Sachen darf Storvag nicht einfach so machen, egal ob es 'n Scherz war oder nicht."

Er nickte leicht, zweifelnd, doch ich bestand nicht noch einmal darauf. Ich hatte jetzt meine eigenen Probleme, und Storvag würde Lars schon nicht gleich im nächsten Fluss ertränken, wenn dieser wegen der Geschichte zu Vater ging. Hoffte ich doch mal. Ich schüttelte unwirsch den Kopf. Wer keine Probleme hat, macht sich welche, nicht wahr?

"Ich sollte jetzt aber wirklich los, sonst schaff ich es am Ende nicht vor Einbruch der Dunkelheit." Lars schmiegte seinen Kopf an meine Brust. "Wie willst du überhaupt reiten?"

"Ich leihe mir ein Pferd und nehm den Weg über Galplen. Nun lass mich los, Kleiner. Ich komm ja wieder." Ich gab ihm einen Kuss und er tat, wie ihm geheißen. "Mama hat dir unten Proviant zusammengestellt," meinte er und folgte mir zur Tür.

"Das ist lieb von ihr."

Ich warf noch einen Blick in mein Zimmer, ehe ich die Tür behutsam schloss.

Rebellischer Magen, erster Kampf

Mutter war nicht da, und so packte ich ihre Rationen ein, ohne mich bei ihr zu bedanken. Ich wollte gerade die Haustür öffnen, als mit Storvag von draußen zuvorkam. Einen Moment sahen wir uns nur an. In seinem Gesicht war nichts zu lesen, während sich bei mir so etwas wie Abenigung breitmachte. "Gute Reise," meinte er nur, trat an mir vorbei und stiefelte die Treppe zu unseren Kammern hoch. Ich blickte ihm finster nach.

Vater stand draußen, von Mutter fehlte weiterhin jede Spur. Mit hochgezogener Braue betrachtete Vater mein Gepäck. "Du willst also wirklick gehen," stellte er fest. Ich nickte. Er tat es mir gleich. "Nun denn...pass auf dich auf und bleib nicht zu lange. Denk an das, was du mir versprochen hast. Immer vorsichtig sein, verstanden?"

"Ja, verstanden."

Ich blickte ihn einen Moment ratlos an, ehe ich mich schon umdrehen wollte. Da kam Lars um die Hausecke gestürmt. "Warte noch kurz, Llie," keuchte er. "Hier, für dich! hab ich eben selbst noch gepflückt!" stolz hielt er mir eine kleine, gelbe Blume unter die Nase. Sie war unscheinbar, kaum mehr als Unkraut und wuchs so ziemlich überall, wo es sumpfig war. Ich lächelte ihn jedoch breit an, nahm die Blume und steckte sie in meinen linken Zopf. "Danke, Lars." Seine Lippen zitterten, als er zurücktrat. "Gute Reise, Llie." Ich strich ihm über das seidene Blondhaar. "Pass hier auf alles auf. Und gib Mama einen Kuss von mir." Nach kurzem Zögern trat ich auf Vater zu, um ihm den Kuss gleich vor Ort zu überreichen. Er hielt mir seine bärtige Wange hin und gab mir einen Klaps auf den Hintern, als ich mich umdrehte. Ich grinste pflichtschuldig, und wandte mich dann endgültig ab, ehe ich in Richtung Stallmeister ging.

Sie winkten mir nach, doch ich winkte nicht zurück. Irgendwie erschien mir das komisch. Ich wollte doch keine Weltreise machen. Ob ich Keena in Aegir überhaupt finden würde? ich hatte überhaupt keine Vorstellung von diesem Ort. Leise summend tastete ich nach der kleinen Ledertasche, die meine Mutter mir zusätzlich zu den Vorräten auf den Tisch gelegt hatte. Ohne Geld würde ich nicht weit kommen, doch auch damit war ich mehr als großzügig versorgt worden. Der Stallmeister, ein großer Nordmann um die vierzig, lächelte mich ein wenig verwirrt an. "Was kann ich für dich tun, Kleine?" ich sah ihn ein wenig ungnädig an. "Ich möchte ein Pferd haben. Für eine Reise nach Galplen, genauer gesagt muss ich nach Nalliten." Der Mann grinste. "Hast du auch deine Eltern gefragt, ob du das darfst, Mädchen?" ich zog eine Grimasse. "Sicher, hätte ich sonst dieses Gepäck bei mir?"

"Jemand, der von zu Hause ausreißt, nimmt meistens Gepäck mit."

Ich spürte Wut in mir hochsteigen -mein alter Fehler- und wollte dem Kerl gerade meine Meinung sagen, als ein gedrungener Zwerg in einer Kettenrüstung aus der nahegelegenen Schmiede trat. Ich erkannte ihn als den Heiler, der mich vor kurzem behandelt hatte. Er winkte mir lächelnd zu. "Hallo Llienne, wohin des Weges?" ich winkte, ebenfalls lächelnd, zurück. "Nach Galplen, sobald ich hier ein Pferd bekomme," rief ich mit honigsüßer Stimme. Der Pferdehändler sah mich schief an und der Heiler schlenderte in unsere Richtung. "Gibt es Probleme?" fragte er gutgelaunt. Ich scharrte mit der Stiefelspitze und schwieg, doch der Stallmeister zuckte die Schultern. "Die Kleine hier behauptet, sie hätte die Erlaubnis, nach Galplen zu reiten." Ich nickte beiläufig. "Hab ich auch."

Der Heiler lachte leise. "Llienne ist ein gutes Mädchen. Wenn sie sagt, sie hat die Erlaubnis, dann kannst du ihr ruhig glauben." Ich nickte wieder, dieses Mal nachdrücklicher. Der Stallmeister grunzte. "Meinetwegen...aber nicht, dass dann irgendwann ihre Eltern vor mir stehen und ihre Tochter vermissen!" ich lächelte. "Bestimmt nicht." Während ich ihm ein paar Silbermünzen in die Hand drückte, warf ich dem Heiler einen kurzen Blick zu. "Ich danke Euch!" der Zwerg strich sich durch seinen wilden Bart und nickte. "Dafür nicht. Aber...wenn mir die Frage gestattet ist...was willst du eigentlich in Galplen, Llienne?" der Pferdehändler drehte ich um und schlurfte zum Stall, um ein Pferd für mich zu holen. Ich sah ihm kurz nach und verstaute dann mein Geld, ehe ich antwortete: "Ich will nicht nach Galplen, sondern nach Nalliten, aber das liegt ja auf dem Weg. Mein Ziel ist Aegirham." Der Heiler machte große Augen und pfiff leise durch die Zähne. "Aegirham, die Stadt der Wilden...Donnerwetter, da hast du dir aber was vorgenommen, Mädchen." Der Nordmann kam zurück, und mit ihm ein massiger, schwarzer Hengst, den er lässig mit einer Hand am Zügel festhielt. "So, Kleine. Du wolltest es so. Brich dir nicht den Hals und bring ihn mir heil wieder." Ich arbeitete mich auf den Pferderücken -was sich bei der Größe des Tiered als gar nicht so einfach erwies und von dem Händler auch mit einem spöttischen Grinsen quittiert wurde- und schenkte dem Zwergenheiler noch einmal mein schönstes Lächeln. "Es wird schon schief gehen. Macht es gut!"

Und damit stieß ich dem Tier die Hacken in die Flanken. Es wiehrte und galoppierte los, fort aus Vasudheim, um mich ins Unbekannte zu bringen.
 

Der Ritt war herrlich. Die Sonne schien, es war warm, und nur der Gegenwind pfiff mir um die Ohren. Dieses Gefühl von Freiheit genoss ich sonst nur, wenn ich Kraft meiner Skaldenfähigkeiten wie ein junges Reh durch die Wildnis jagen konnte. Obwohl ich keine besonders gute Reiterin war, bereitete mir der Hengst keine Probleme. Ich lachte, beugte mich ein wenig vor und tätschelte ihm den massigen Hals. Nur zweimal kamen mir andere Reiter entgegen -ein Troll auf einem gigantischen Schlachtross und ein Kobold auf einem schnellen, flinken Pony, der Gegensatz ließ mich leise kichern- doch sie beachteten mich gar nicht. Ich trieb das Tier an und lachte ausgelassen. Was konnte jetzt noch schief gehen? die Antwort bekam ich zwei Sekunden später. Aus dem Wald, rechts von mir, trat ein ausgewachsener Werwolf und sprang knurrend auf den Weg. Das kam so überraschend, dass ich beinahe rücklings vom Pferd gestürzt wäre, denn der Hengst stellte sich laut wiehrend auf die Hinterläufe. Ich krallte mich in die Mähne, da mir der Zügel vor Schreck einfach entglitten war, und schrie, da mir nichts anderes einfiel: "Weiter, weiter, nicht stehenbleiben!" der Hengst, dem meine Worte nichts bedeuteten, verstand zumindest meinen panischen Tonfall, doch das brachte ihn nicht dazu, mir zu gehorchen. Der Werwolf, der sehr viel größer war als der Welpe, der mich damals im Wald angegriffen hatte, kam knurrend und geifernd auf mich zu. "Hau ab, du Mistvieh, verzieh dich!" schrie ich und der die Kreatur stieß einen tiefen, rasselnden Kehllaut aus, der mich an ein höhnisches Lachen erinnerte. Ich tastete nach den Zügeln und stieß dem Hengst erneut die Absätze in die Seite. Dieses Mal gehorchte das Tier, doch der Werwolf fand noch genug Zeit, seine gräßlichen Fänge in meine Wade zu schlagen und tatsächlich ein Stück Fleisch herauszureißen. Ich brüllte laut auf und der Hengst stimmte mit einem schrillen Wiehren ein, ehe er mit den Hinterbeinen ausschlug. Es gab ein ekliges, trockenes Knacken als die Hufeisen ihr Ziel trafen und der Werwolf wurde ein paar Meter zurück geschleudert. Benommen blieb er einen Moment liegen und mit einem gewaltigen Satz stob der Hengst endgültig davon.

Mein Bein blutete ziemlich stark, das altersschwache Nietenleder hatte den Zähnen des Werwolfs nicht standgehalten. Verbissen umklammerte ich die Zügel und fragte mich, wie weit es wohl noch sein könnte. "Verdammt," murmelte ich. Dabei hatte alles so gut geklappt. Nun, in Aegir würde ich sicherlich jemanden finden, der mir behilflich sein konnte. Nur...allzuviel Zeit sollte ich mir wohl nicht lassen. Der Schmerz war stechend und intensiv und wenn ich Pech hatte, hatte ich mir sogar noch eine Vergiftung eingehandelt. Der Gedanke ließ mich laut und herzhaft fluchen. Mein Hengst spielte nervös mit den Ohren und schnaubte, doch ich fühlte mich etwas besser. "Weiter, mein Junge," murmelte ich. "Immer weiter..."

Nach einer kleinen Ewigkeit -so schien es mir zumindest- kam ich an einer Brücke vorbei. Dort standen zwei Koboldfrauen herum und diskutierten eifrig darüber, wer denn nun stärker sei...Geisterbeschwörer oder Runenmeister. Als sie mich sahen, hielten sie inne und die Geisterbeschwörerin -ihr Diener, ein schemenhafter, leicht leuchtender Nordmann stand schweigend neben ihr- rief mir zu: "Du bist ja verletzt, Kind. Brauchst du Hilfe?" ich zügelte mein Tier und sah müde zu ihr hinunter. "Ich möchte nur nach Nalliten. Könnt Ihr mir die Richtung sagen?" die beiden sahen sich verwundert an. "Du bist auf dem richtigen Weg. Reite noch fünfhundert Meter und dann bieg da ab," sie deutete mit dem Daumen in die entsprechende Richtung. "Wenn du geradeaus weiterreitest, kommst du nach Galplen." Ich nickte. "Ja, das weiß ich. Seid bedankt." Ich wollte schon weiterreiten, doch die Runenmeisterin rief mir nun zu: "Bist du sicher, dass du so weiterreiten willst?" ich nickte abermals. "Bist Nalliten ist es ja nicht mehr weit." Die Koboldin legte zweifelnd den Kopf schief. "Ich bezweifle, dass es dort gute Heiler gibt." Schief grinsend erwiderte ich: "Mag sein, aber in Aegirham wird es die sicher geben. Lebt wohl!" und ich galoppierte weiter.

Dem Rat der Koboldin folgend, zwang ich meinen Hengst nach circa fünfhundert Metern nach links und legte das letzte Stück im Schrittempo zurück. Mein Bein schmerzte mittlerweile höllisch und ich biss mir die Unterlippe blutig. Inzwischen wollte ich nur noch irgendwo hin, wo mir jemand etwas gegen dieses stetige Stechen und Brennen geben konnte, und mir war es völlig egal, ob dieser jemand Keena, ein Albioner oder Bragi persönlich war.

Aber zumindest war ich am Ziel. Oder beinahe. Ich hatte wenigstens Nalliten erreicht, dieser kleine Vorort hatte den Namen Stadt wirklich nicht verdient. Alles war ruhig, anders als in Vasudheim liefen hier nirgendwo junge Krieger herum, und auch die vertrauten Stimmen der Händler, die lautstark ihre Waren feilboten, vermisste ich. Ich stieg ab, nahm einen zerknitterten Zettel aus meinem Gepäck und schrieb einige Zeilen darauf, ehe ich das grobe Papier am Sattel befestigte. "Dann danke ich dir für deine Dienste, mein Junge. Nun lauf!" ich gab dem Pferd einen Klaps und wiehrend trabte es in die Richtung zurück, aus der wir gekommen waren. Einen Moment sah ich dem Hengst noch nach, ehe ich mich dem großen, in allen blau- und violetttönen schillernden Portal zuwandte. Ich hatte einen schlechten Geschmack im Mund und mir war schwindelig. Ja, ich sollte mich vielleicht wirklich beeilen. Mühsam humpelte ich auf den magischen Durchgang zu. Jeder Schritt schmerzte und die wenigen Treppenstufen waren eine echte Herausforderung. Doch auch das brachte ich hinter mich und nun trennte mich nur noch eine Armeslänge von meiner Welt und einer, die mir völlig fremd und vielgehasst war. Ich zögerte nicht länger, sondern holte tief Luft und tauchte ein in den bunten Wirbel aus Farben und Leuchten...
 

Ich hatte ganz automatisch die Augen geschlossen, so grell und unangenehm war das vielfarbige Licht, das mich schlagartig einhüllte. Als die Augen wieder öffnete, sperrte ich vor Staunen auch gleich den Mund auf. Ein großer, kreisrunder Platz erstreckte sich vor mir. Links war ein Durchgang, der in eine fremde Graslandschaft führte, ein gutes Stück weiter vorn sah ich Wasser, entweder einen sehr großen See oder vielleicht sogar den Anfang eines unbekannten Meeres. Rechts führten ein paar Treppenstufen zu einem Marktplatz. Nervös steuerte ich auf die Stufen zu, wobei ich immer wieder stehen bleiben und ausruhen musste. Mein verletztes Bein war schon fast taub und etwas Warmes lief noch immer stetig daran hinab. Es herrschte großes Treiben auf dem Markt, und zwischen den vielen Valkyn sah ich auch einige vertraute Gestalten wie Trolle oder Zwerge. Ich blieb stehen und sah mich mutlos um. So viele beschäftigte Seelen...niemand nahm Notiz von mir, obwohl mein blutendes Bein und meine gekrümmte Haltung eigentlich für Aufsehen sorgen müssten. Wie sollte ich Keena hier finden? ausgerechnet hier? ich war dumm und naiv, so etwas hätte ich mir eigentlich denken können...inzwischen bereute ich es schon richtig, hierher gekommen zu sein.

"Hey, du da!"

Ich hob den Kopf und sah mich verwirrt um. "Ja, genau du!" die Stimme war ein wenig zu schrill, um angenehm zu klingen und sie hörte sich eindeutig verärgert an. Ich ließ den Kopf wieder sinken. Es gab genug andere Leute hier. "Also was ist das denn! sieh mich an, wenn ich mit dir rede, du freche Skaldengöre!" nun ruckte mein Kopf blitzschnell hoch und ich sah eine breit grinsende Koboldin an einer Schmiede stehen, die mir heftig zuwinkte. Ich schaute sie irritiert an und warf rasch zwei Blicke nach links und rechts, doch schon krähte sie wieder los: "Hallo, hier spielt die Musik!" als ich nicht antwortete, hüpfte sie grinsend auf mich zu und blieb nur eine Nasenlänge entfernt stehen. "So," murmelte sie. "So, so so..." ich starrte auf ihren silbrigen Schopf hinab. "Was?" brachte ich nur hervor. Sie sah mich mit ihren keck blitzenden Augen an und ging einmal um mich herum, wobei sie mich an Rücken, Armen, Bauch und sogar Po prüfend betastete. "Finger weg!" raunzte ich und schlug nach ihr, doch die Koboldin duckte sich flink. "So ist das also," meinte sie nochmals. "So ist was?!" explodierte ich. Wollte die mich ärgern? "Es ist so, dass du verletzt bist, dass dir dein Bein weh tut. Das ist so." Sie nickte nachdrücklich. "Ach nein," knurrte ich. "Woher weißt du das nur?" ich drehte mich um und wollte dieses komische Mädchen einfach stehen lassen, doch schon sprang sie mir nach und hielt mich mit erstaunlicher Kraft am Arm zurück. "Aber, aber, wie weit willst du wohl kommen, so, wie es jetzt um dich bestellt ist? keine hundert Meter kommst du weit. So ist das."

Ich riss mich los und ballte die Fäuste. "Lass mich in Ruhe!" fauchte ich sie an. Was mich am meisten ärgerte war, dass sie ja eigentlich recht hatte, egal, was für einen Firlefanz sie hier auch veranstaltete. Doch ich hatte Schmerzen, war nervös und erschöpft und dieses quäkende, hüpfende kleine Etwas gab mir nun fast den Rest. "Ich werd dich schon in Ruhe lassen, ja ja, wenn ich meine Pflicht als Schamanin erfüllt habe...und zwar so!" Sie griff mit ihren kleinen Händen zu, packte mein Bein und ich brüllte laut auf. Hinter uns lachte jemand, eine Stimme, die ich nicht vergessen hatte, und ich stellte mein Geschrei schlagartig ein.

"Wer hätte das gedacht, Cavia hat wieder mal jemanden gefunden. Hmmm...also Llienne, irgendwie steckst du immer in Schwierigkeiten, wenn wir uns treffen...!"
 

Erneut drang ein Schrei aus meiner Kehle, doch dieses Mal schwangen ihn ihm nur Schrecken und dann freudige Überraschung mit: Breit grinsend, von Kopf bis Fuß in rot gekleidet, stand niemand anderes als Keena vor mir! das Valkynmädchen hatte sich deutlich verändert, ihr Körper war fraulicher geworden und ich erkannte trotz des spöttischen Lächelns einen ernsten Zug um ihren Mund, der mir damals nicht aufgefallen oder einfach noch nicht da gewesen war. Ein ebenfalls roter Umhang bauschte ihr um die Schultern und in den Händen hielt sie locker einen gewaltigen, aber schmucklosen Zweihandstab. "Keena...?" brachte ich nach einem Moment schweigenden Staunens hervor, dabei sogar den Schmerz in meinem Bein und die noch immer spinnengleich tastenden Finger der Koboldin vergessend. Die Valkyn lachte und tat einen Schritt auf mich zu. "Grüß dich, Llienne. Wirklich überraschend, dich hier zu sehen." Ich stimmte in ihr Lachen ein, wobei ich kaum den Blick von ihrem Gesicht lösen konnte. Unter einer wollenen, wie alles andere an ihr rotgefärbten Kappe wallten ihr die honigblonden Haare auf die Schultern und schimmerten im Licht wie geschmolzenes Gold. "Es überrascht mich genauso sehr wie dich, dass ich hier bin...ich werde in zehn Jahren nicht verstehen, wie ich meinen Vater dazu überreden konnte." Sie blinzelte, nickte aber nur und wandte sich an Cavia: "Wirst du ihr helfen können?" die Koboldin blinzelte und machte ein Gesicht, als hätte Keena sie ernsthaft beleidigt. "Naaa, aber sicher kann ich das," schnaubte sie. "So ein lachhaftes Bisswündchen...das wär doch gelacht, wär das!" ich verzog das Gesicht, als der nach wie vor pochende Schmerz nun wieder mein Bewusstsein erreichte. "Dafür tut dieses Bisswündchen aber verdammt weh," grummelte ich, einen raschen Blick auf die Zahnabdrücke werfend. Die Koboldin schnaubte erneut. "Na so was aber auch, entzündet hat sich das, verseucht ist's auch, aber nichts, was eine fähige Schamanin wie ich schaffen könnte!" Keena gluckste und beugte sich über mein Bein, die Wunde nun ebenfalls in Augenschein nehmend. "Du meinst wohl 'nicht schaffen könnte'," verbesserte sie. Cavia hüpfte verärgert von einem Bein aufs andere. "Nichts anderes habe ich gesagt, Pelzgesicht!" ich hielt den Atem an, doch Keena schien die unverschämten Worte nicht übelzunehmen. "Sie ist komplett verrückt und unheimlich albern," sagte sie gleichmütig. "Aber heilen kann sie, das muss der Neid ihr lassen." Cavia kicherte und errötete leicht, sofern man das bei einem Wesen sagen konnte, dessen natürliche Hautfarbe an frisch gepflückte Blaubeeren erinnerte. Dann ließ sie ihre doch erstaunlich geschickten Finger wieder über die Verletzung gleiten, murmelte etwas vor sich hin und tastete weiter. Ich sah ihr ein wenig argwöhnisch zu, musste Keena aber insgeheim recht geben: Obwohl man es ihr kaum zutrauen wollte, legte das Koboldmädchen ein Geschick an den Tag, das seinesgleichen suchte. Und wenn ich ehrlich war, war der Schmerz eigentlich gar nicht so extrem, mir hatte es einfach nicht gepasst, von so einer doch sehr merkwürdigen Person betatscht zu werden. Plötzlich glühten Cavias Finger in einem sanften, hellen Licht auf und für eine Sekunde schoss ein alles in den Schatten stellender Schmerz in meinem Bein empor, der aber so schnell verschwand, dass ich nicht einmal Zeit fand, zu schreien oder gar zurück zu zucken. Reflexartig hatte ich die Augen zusammengekniffen und als ich sie nun öffnete, musste ich verblüfft feststellen, dass die Wunde nicht nur zu schmerzen aufgehört hatte, sondern sich sogar langsam, aber sicher zu schließen begann! ich starrte erst Keena an, dann Cavia und diese grinste wie ein kleines Mädchen. "Da biste baff, was? wenn du Glück hast, gibt das nicht mal eine Narbe. Na, bin ich fähig? sag es...sag es!" ich belastete vorsichtig das eben noch verletzte Bein und machte einen Luftsprung. Nichts, der Schmerz war verschwunden. "Du...ähm...bist fähig," sagte ich gehorsam, noch immer reichlich verwirrt. Keena schmunzelte, während Cavia sich in die Brust warf und vergnügt krähte: "Und nun darf die Skaldenlady zwei nette Damen auf ein Bier einladen. Na, ist das ein Angebot?" ich lächelte leicht idiotisch und Keena zwinkerte mir zu, wobei sie mein Lächeln erwiderte: "Weißt du, was ich mal gesagt habe? irgendwann lasse ich mich von dir einladen. Nun, geht das in Ordnung?" ich strahlte und nickte heftig. "Das geht in Ordnung!"

Es stellte sich dann als gar nicht so einfach heraus, an ein Bier zu gelangen. Obwohl ich es für absolut unmöglich hielt, war es doch so: In Aegirham gab es keine öffentlichen Kneipen! als Keena mir dies erzählte, hatte ich sie schlichtweg ausgelacht. Wir waren schließlich immer noch in Midgard, und während für Elfen ein Leben ohne Milch und blühende Bäumchen unmöglich war -so dachte ich zumindest damals- war es als vollblütiger Midgarder einfach undenkbar, in eine Stadt zu gelangen, wo kein vernünftiges, echtes Bier ausgeteilt wurde. Mit einem Hauch von Verachtung hatte Keena eine Bemerkung über gewisse, unzivilisierte Barbaren fallen gelassen, die sich in ihr Haar zu kleiden pflegten und mit Axt und Gesöff gleichermaßen stärker verheiratet waren als mit ihren Frauen. Ich hatte sie mit Blicken getötet und dann geschwiegen, während Cavia neben uns wieder in schrilles Gekicher ausgebrochen war. Zuletzt wurden wir dann doch noch fündig, wenngleich wir auch keine Taverne fanden. Ein breitschultriger Nordmann mit nur einem Auge braute sein Bier selbst und verkaufte es in riesengroßen Holzhumpen auch an diejenigen, denen ebenfalls der Sinn danach stand. Ich bezahlte, erstand drei der Humpen und wir zogen uns mit unserer Errungenschaft in eine ruhigere Ecke des Marktplatzes zurück. Während wir genießerisch an unserem Bier nippten, beobachteten wir das rege Treiben und schwiegen eine Weile. Ich betrachtete Keena verstohlen von der Seite, wie sie ihr Trinkgefäß ernst mit beiden Händen festhielt und ohne zu blinzeln zum Tor schaute, das aus Aegir hinaus ins Unbekannte führte. Irgendwie machte sie den Eindruck, als bedrückte sie etwas und ich hätte viel gegeben, um herauszufinden, was es war. Ich war hierher gekommen, um...ja, warum eigentlich? wollte ich mich nach Jahren bei ihr bedanken? für ihre Freundlichkeiten damals, für Lars' Rettung? natürlich, genau dafür... trotzdem wagte ich es nicht, den Mund aufzumachen und das langsam peinlich werdende Schweigen zu brechen, sondern senkte den Kopf und starrte auf meine Stiefelspitzen. Plötzlich rülpste Cavia neben mir so laut und so lang, dass ich vor Schreck beinahe mein Bier fallen gelassen hätte. Eine junge Nordfrau, die gerade vorbeischlenderte, riss die Hand vor den Mund und brach in haltloses Gekicher aus, während Keenas Kopf herumruckte und sie der Koboldin einen schrägen Blick zuwarf. "Geht das nicht noch ein bisschen lauter?" fragte sie, "also am besten noch mit Melodie?" Cavia grinste so breit, dass sie sich in die eigenen Ohrläppchen zu beißen drohte. "Soll ich's mal versuchen, soll ich, soll ich?" sie nahm einen gewaltigen Schluck Bier um zu zeigen, wie ernst es ihr war. Keena verdrehte die Augen. "Tu was Nützliches und bring die Humpen weg, Kleine. Ich möchte mich mit Llienne allein unterhalten." Na, deutlicher ging es eigentlich kaum noch und Cavia protestierte zu meiner Überraschung nicht, sondern sprang mit einem Satz von der Mauer herunter, auf die wir uns gesetzt hatten, trippelte auf mich zu und streckte fordernd die Hand aus. Ich setze den Humpen rasch an die Lippen, leerte den verbliebenen Rest in einem großen Zug und drückte der Koboldin das Gefäß in die Hand. "Danke."

Keena wartete geduldig, während sich Cavia übertrieben verneigte und mit den geleerten Humpen davonhüpfte. Leise seufzend wandte sie sich um, steuerte auf den Torbogen zu. Dabei machte sie sich nicht einmal die Mühe, einen Blick über die Schulter zurück zu werfen um zu sehen, ob ich ihr folgte. Überrascht sprang ich ebenfalls von der Mauer und lief hinter ihr her. "Hey," sagte ich, als ich mich wieder an ihre Seite gesellte, "ist etwas passiert?"

"Nicht wirklich." Ihre Stimme klang abwesend, uninteressiert. Meine Verwirrung wuchs mit jedem Augenblick- ich war mir eigentlich keiner Schuld bewusst. "Aber irgendetwas stimmt nicht mit dir," fuhr ich hartnäckig fort.

"Richte die Augen nach vorne und folge mir."

Ich klappte den Mund zu und schwieg, wobei zögerlich der Ärger in mir aufstieg. Da hatte ich den ganzen Weg auf mich genommen um sie zu suchen, wollte ihr danken und nun so etwas. Das Tor hatten wir mittlerweile erreicht und Keena ging stur und noch immer stumm weiter. Ich warf ihr einen sehr langen Blick zu, den sie aber auch gefliessentlich ignorierte. Überhaupt tat sie so, als wäre ich gar nicht da. Als auf diese Weise weitere fünf Minuten vergingen, wurde es mir zu dumm. Ich blieb ruckartig stehen und griff dabei nach ihrem Arm. Keena funkelte mich ärgerlich an und riss sich ohne Mühe los. "Was ist?" fragte sie unfreundlich, wobei ihre seltsamen Katzenaugen wie kleine Kohlenstücke glühten. "Das Gleiche könnte ich dich fragen," gab ich kaum weniger giftig zurück. "Was soll das? wo wollen wir hin und warum tust du so, als hätte ich wer-weiß-was verbrochen? wenn ich hier nicht erwünscht bin, dann sag es und ich bin sofort weg." Mit knatternden Flügeln schwirrte eine Art Riesenmücke an uns vorbei, und während Keena ihr nachsah, nahm ich keinen Blick von ihr. Sie zögerte kurz und holte tief Luft, ehe sie sich einfach ins gut hüfthoch wachsende, von der Sonne ausgebleichte Gras sinken ließ und mir einen müden Wink gab, es ihr gleichzutun. Wortlos gehorchte ich, stütze mich mit einer Hand ab und zog meine Beine an den Körper. Keena rupfte einen Halm aus und begann, darauf herumzukauen. "Es tut mir leid," meinte sie schließlich und ich sah deutlich, welche Überwindung sie dieses Eingeständnis kostete. Überdies fiel mir noch etwas anderes auf: Trauer. Keenas Blick spiegelte Elend, ihr Mund war verkniffen und die Fäuste leicht geballt. Auf einmal fühlte ich mich schäbig, sehr schäbig sogar. Ich rückte etwas näher an das Katzenmädchen heran und tastete nach ihrer Hand. Keena ließ es wortlos geschehen. "Was ist passiert? was ist wirklich passiert?" fragte ich ruhig. Sie antwortete auch dieses Mal nicht, sondern blickte scheinbar nachdenklich ins Gras. Schließlich stellte sie unvermittelt eine völlig unpassende Gegenfrage: "Möchtest du sehen, was ich in der Zwischenzeit gelernt habe?" ich nickte verwirrt, noch immer sachte ihre Hand haltend. "Klar will ich." Sie machte sich los und stand abermals auf. "Pass auf," sagte sie, spreizte ein wenig die Beine und schloss wie in höchster Konzentration die Augen. Ich schwieg, wartete und passte gehorsam auf.

Zwischen Keenas Finger glühte ein seltsames, blaues Licht und ich hielt den Atem an. Was kam denn nun..? sogleich bekam ich die Anwort- in Gestalt eines großen, aufrechtstehenden Skeletts. Mir klappte vor Überraschung die Kinnlade herunter und ich rutschte reflexartig auf dem Hosenboden zurück. Das Skelett trug nicht nur eine uralte Rüstung und einen ebenfalls aus Knochen bestehenden Helm, sondern war sogar noch mit Schwert und Schild bewaffnet. "Was ist das denn?" ächzte ich. "Sei still," erwiderte Keena, schloss abermals die Augen und erneut machte sich Anspannung auf ihrem Gesicht breit. Ich sah fassungslos von ihr zu dem Gerippe, welches lässig die fleischlosen Arme baumeln ließ und sich hinter Keena aufstellte. Ein irgendwie beunruhigender Anblick, und ich wollte schon gerade einen Warnruf ausstoßen, als wie aus dem Nichts ein zweites Skelett erschien. Es war etwas kleiner als das Erste und trug weder Rüstzeug noch Waffen. Trotzdem gab ich einen erstickten Schreckenslaut von mir und sprang auf die Füße. Keena lächelte erschöpft, aber eindeutig triumphierend. "Na? was sagst du?"

"Äähh..."

'Äähh' war ungefähr wirklich das, was ich gerade fühlte und sogar noch relativ geistreich. Immerhin kam es nicht alle Tage vor, dass laufende Knochen aus dem Nirgendwo erschienen und scheinbar auf Befehle warteten, denn genau diesen Eindruck machten die beiden Skelette, die ihre Schädel jetzt Keena zuwandten und ihre leeren Augenhöhlen auf ihr Gesicht hefteten. "Ich mache Fortschritte in meiner Ausbildug," erklärte Keena nicht ohne Stolz. Ich starrte sie noch immer irritiert an. "Aber wieso...was sind...was soll..." ich deutete mit dem Finger auf die beiden Gerippe. Sie grinste spöttisch. "Ich bin eine Knochentänzerin, Mädchen. Na, regt sich da irgendwas bei dir?"

"Du tanzt mit Knochen?" fragte ich dümmlich. Sie griff sich an die Stirn und stöhnte übertrieben. "Was hast du die letzten Jahre getrieben? gepennt?" fragte sie kopfschüttelnd. "Es wird höchste Zeit, dass wir an deinen Fertigkeiten arbeiten." Sie gab den beiden Knochengestalten einen Wink und ging einfach weiter, wobei ihr ihre stummen Diener gehorsam folgten. Ich tat es ebenfalls, doch nun war meine Verwirrung ins Unermessliche gestiegen. "Ich freue mich ja für dich, aber was hat das bitte mit meiner Frage zu t..." mit einer einzigen Handbewegung schnitt mir Keena das Wort ab. "Später," sagte sie nur. "Komm, ich will sehen, was du kannst." Also seufzte ich nur und fügte mich. Wenn ich Keena nun weiter bedrängte, würde ich bestenfalls gar keine oder nur noch eine patzige Antwort bekommen, dessen war ich mir ziemlich sicher. Ausserdem war ich schon neugierig, was mich erwartete. Und was immer Keena eben bedrückt hatte...jetzt schien es ihr ja wieder besser zu gehen. "Ach übrigens," sagte ich plötzlich und lächelte sie an, "danke nochmals."

"Hm? wofür?"

"Dass du meinem kleinen Bruder neulich geholfen hast."

Sie erwiderte mein Lächeln. "Ach, stimmt ja, da war doch was...der Kleine ist echt niedlich, aber er sollte sich definitiv andere Reisegefährten suchen." Mein Gesicht verfinsterte sich. "Der Reisegefährte war in diesem Falle unser Bruder. Ich weiß nicht, was er im Schilde führt...da ist in der Zwischenzeit schon einmal ein seltsamer Zufall passiert." Keena sah mich interessiert an und bedeutete mir mit einem Nicken, fortzufahren. "Nun, bei uns im Myrkwood Forrest geschahen bis vor kurzem sehr seltsame Dinge. Kinder sind verschwunden, manche blieben bis heute verschollen, andere wurden...wurden gefunden." Ich schluckte leicht. "Da steckten jedenfalls Monster hinter...du hättest sie sehen sollen, wie ertrunkene Frauen, viel zu dürr zum leben, mit schwarzen Augen und..."

"Moratänzerinnen," unterbrach mich Keena.

"Was?"

"Du meinst Moratänzerinnen. Ich kenne sie..." in Keenas Blick spiegelte sich Abscheu. "Sie sind verflucht hinterlistig und extrem gefährlich...Kinder und unerfahrene Krieger verspeisen sie zum Frühstück...im wahrsten Sinne des Wortes. Aber ich hab dich unterbrochen, verzeih mir." Ich winkte nur ab und fuhr fort: "Na ja, diese Moratänzerinnen jedenfalls hatten nicht nur Leifnir Havocbringer...oh ich sehe, du erinnerst dich an ihn?" ich grinste, als ich Keenas Gesicht bemerkte. Sie schaute, als hätte sie in eine saure Zitrone gebissen und danach noch einen Kübel kaltes Wasser in den Nacken geschüttet bekommen. Sie schnaubte nur und nickte abfällig "...Sie hatten also nicht nur diesen Idioten gefangen, sondern noch einige Kinder...und unter ihnen war mein kleiner Bruder. Er hätte zu der Zeit nie im Myrkwood herumlaufen dürfen, doch ausgerechnet Stovag, das ist unser älterer Bruder, hat ihn laufenlassen. Klingt doch seltsam, nicht?"

Die Valkyn schüttelte den Kopf. "Nein, das klingt nicht nur seltsam, sondern auch verdammt beunruhigend," sagte sie ernst. "Du solltest nicht nur mit deinem Bruder, sondern auch mit deinem Vater ein paar Takte reden. Sonst könnte es für den Kleinen böse ausgehen." Ich nickte nachdenklich. Keena blieb plötzlich stehen und ich rannte ihr fast in den Rücken. "Grüß deinen kleinen Bruder mal recht herzlich von mir, aber nun zu was anderem...sagt dir Dun Abermenai etwas?" ich blinzelte, musste dem plötzlichen Übergang geistig erst einmal richtig folgen. "Err..." machte ich und kratzte mich am Hinterkopf. Sie seufzte erneut. "Ich beginne mich zu fragen, was du eigentlich weißt," brummte sie. "Aber damit auch du nicht dumm stirbst, versuche ich mal, deine Wissenslücken zu füllen: Neben den Großen Feindes und Grenzländern gibt es noch gewisse...Vorposten."

"Vorposten?"

"Hm-hm. Insgesamt gibt es vier solcher Posten. Die Albioner, Hibernianer und wir haben jeweils eine kleine Festung in diesem Teil des Landes und es gibt eine neutrale Festung, so gesehen das Herz der Kampfgebiete dort. Wir sammeln in Dun Abermenai, Thidranki, Murdaigean und Caledonia nicht nur erste Erfahrungen für unser späteres Kriegsleben, sondern können an unseren speziellen Fertigkeiten arbeiten. Sehr hilfreich, aber nicht ganz ungefährlich," erzählte Keena. Ich hörte gespannt zu und nickte nur, um sie nicht zu unterbrechen. "Die Jüngsten, wir also, beschützen Dun Abermenai. Wenn man dort über genug Erfahrung und Stärke gesammelt hat, gehts weiter nach Thidranki. Um dieses Gebiet wird neben Caledonia meistens am heftigsten gekämpft. Abermenai und Murdaigean sind eher unbedeutende Stützpunkte und meistens herrscht da Ruhe..." sie brach ab und schwieg, versonnen einen kleinen, von ebenfalls gelblichem Gras bewachsenen Hügel betrachtend. "Und du willst nun nach Dun Abermenai, oder wie soll ich das verstehen?" fragte ich, wobei ich die heftige Aufregung niederkämpfte, die sich in meinem Inneren ausbreitete. Allein die Vorstellung verursachte bei mir einen Hauch von Übelkeit, nicht etwa vor Angst, sondern ungläubiger Faszination: Ich, ausgerechnet ich, sollte in einem Kampfgebiet für mein Land einstehen und um eine Festung kämpfen? mein Leben lang hatte ich davon geträumt, und es war in diesem Moment vollkommen egal, dass es sich hier nur um einen kleinen Stützpunkt für Halbwüchsige und nicht das berühmte Emain Macha handelte!

Keena grinste. "Du bist krebsrot, weißt du das?" ich konnte es mir lebhaft vorstellen, doch ich verschränkte nur die Arme vor der Brust, um meine Hände ruhig zu halten, und fragte erneut, wobei meine Stimme vor Erwartung leise zitterte: "Willst du nach Dun Abermenai, Keena?" und als sie nickte, hatte ich das Gefühl, als würde ein glühender Klumpen durch meine Kehle und langsam in Richtung Bauch rutschen.

Keena grinste noch breiter. "Pass auf, dass du dich nicht gleich nass machst. Deswegen habe ich dich hierher gebracht- zum üben. Oder willst du gleich bei der ersten Auseinandersetzung mit so einem stinkenden Inconnu den Löffel abgeben?" ich wusste nicht, was ein Inconnu war, doch ich schüttelte heftig den Kopf. "Nein, natürlich nicht!" Keena nickte. "Eben. Also, werte Llienne...du hast viel über sie gehört, man hat dir viel Sch...viel komisches Zeug erzählt und nun wollen wir sie dir endlich zeigen. Lass uns die Morvaltar besuchen!" bei den Worten verdunkelte sich Keenas Gesicht und ihre Stimme hatte einen kalten, berechnenden Ton angenommen. Sie hasst sie, dachte ich, die Valkyn aufmerksam betrachtend. Das ist nichts anderes als echter, ungetrübter Hass. "Gut...lass sie uns besuchen," antwortete ich nur.
 

Der Weg erwies sich als einfach und Hindernisse wurden uns keine in den Weg gelegt. Die wilde, ungezähmte Landschaft Aegirs war einfach nur unglaublich. Eine solch ungebrochene, schlichtweg prähistorische Natur hatte ich noch nirgendwo zu Gesicht bekommen: Wild wuchsen Bäume und Pflanzen, deren Namen ich nicht einmal kannte, neben gigantischen Mammuts tummelten sich auf ein paar Felsen sogar Säbelzahntiger, doch zu meiner leichten Enttäuschung machte Keena einen weiten Bogen um die träge in der Sonne faulenzenden Raubkatzen. "Sie sind sehr aggressiv und greifen oft im gesamten Rudel an," erklärte sie, als ich vorschlug, die schönen Tiere etwas eingehender zu betrachten. "Aber sie wirken nicht gerade aggressiv," beharrte ich und sah zu den dösenden Tigern hinüber. Keena lächelte nur humorlos. "Noch. Wenn sie dich erstmal riechen, werden sie dich unter Garantie zum Mittagessen einladen- und rat mal, wer der Hauptgang ist!" so waren wir also mit einem -meiner Meinung nach- deutlich übertriebenem Sicherheitsabstand weitergewandert und ich begnügte mich damit, wieder die faszinierende Umgebung zu bewundern. "Es ist unglaublich...so viel Freiheit und Platz...," schwärmte ich und sah Keena begeistert an. Die blieb ernst: "Ja, es gehört den alten Trollvätern...und damals, ganz damals...da gehörte es uns." Ihre Stimme klang dabei weder zornig noch verbittert, doch ich senkte den Kopf und schwieg, während ich ein schlechtes Gewissen verspürte. Keena war wirklich ein Buch voller Rätsel. Wieder breitete sich eine Weile unangenehmen Schweigens zwischen uns aus und ich war gerade im Begriff, dieses zu brechen und mich für meine Worte zu entschuldigen, als Keena mir nicht gerade sanft die Hand auf die Schulter legte, leicht zudrückte und einen Finger an die Lippen hob. "Sssh," zischte sie und duckte sich leicht, wobei ich notgedrungen ebenfalls in die Knie gehen musste. "Was ist?" flüsterte ich. Sogar die beiden Skelette -an ihren Anblick hatte ich mich mittlerweile mehr oder weniger gewöhnt- traten ein wenig zurück und senkten die Schädel. "Morvaltar," hauchte Keena, und ein böses Glitzern trat ihr in die Augen. Ich folgte ihrem Blick...und schluckte leicht. Hinter einer Reihe schief gewachsener, dürrer Bäume tummelten sich vielleicht vier oder fünf gedrungene Gestalten. Beim flüchtigen Hinsehen konnte man sie für Valkyn halten, doch ein genauerer Blick brachte die feinen, ausschlaggebenden Unterschiede deutlich zur Geltung. Die Morvaltar wirkten irgendwie...tierischer, ein anderes Wort fiel mir für den Moment nicht ein. Sie gingen gebeugter, trugen grobe, verdreckte Fellfetzen und unterhielten sich nicht in menschlicher Zunge sondern verständigten sich mit grollenden Grunlauten und tiefem Geknurr. Ihre stumpfsinnigen, aber durch und durch boshaften Augen konnte ich selbst über diese relativ große Entfernung erkennen. Ich warf einen raschen Blick auf Keena und zuckte kurz zusammen: Die Augen des Katzenmädchens schienen Funken zu sprühen, ihre behandschuhten Hände krallten sich in den warmen Sandboden und sie hatte die Zähne leicht gefletscht. Was haben diese Wesen ihr getan, dass sie sie so sehr hasst, dachte ich unbehaglich. Kurz, wirklich kurz, schwirrten mir die alten Worte Leifnir Havocbringers im Kopf herum: 'Rücksichtslose, brutale Räuber sind sie! Mörder! ja, da guckst du, wie? die ziehen nicht wie wir gegen Albion und Hibernia, um ihre Heimat zu beschützen...die haben Spaß am töten! hast du das gewusst? nein, nicht wahr? aber so ist es. Sie feiern gottlose Feste...Orgien wäre wohl besser...und metzeln diejenigen nieder, die mit auf ihren Inseln leben...'

Ich schüttelte wütend den Kopf und knirschte mit den Zähnen. Was wusste dieser Schwachkopf schon. Trotzdem rückte ich ein klein wenig von Keena weg, dieser unverdünnte Hass in ihrem Blick machte mir beinahe Angst. "Die schnappen wir uns," zischte die Valkyn. "Eine Sekunde noch..." sie vollführte ein paar rasche Handbewegungen und für einen Moment war sie von einem Schwall hellen, aber nicht unangenehmen Lichtes umhüllt. Ich warf einen raschen, nervösen Blick zu den Morvaltar, doch die schienen noch nichts von unserer Anwesenheit bemerkt zu haben."Bei drei," knurrte Keena.

"Ja, gut..."

"Eins!"

Ich spannte mich ein wenig und tastete nach meiner Axt.

"Zwei...!"

Ich schloss die Finger um den Axtstiel und schickte ein kurzes Gebet zu Bragi. Hilf mir, Herr der Schlachtensänger, nun wirds ernst...

"Drei!!"

Keena sprang mit einer unglaublich schnellen, fließenden Bewegung auf die Füße und stürzte rücksichtlos auf die Morvaltar zu, wobei ihre beiden Skelettdiener ihr ohne zu zögern folgten. Und dann ging alles ganz schnell. Ich merkte kaum, wie ich ebenfalls auf die Beine kam und einen kurzen, kehligen Schrei ausstieß. Sofort fühlte ich mich stärker, Kampfeslust beherrschte mich und wie ein Hitzeschwall durchströmte mich die Kraft. Da gab es nur Keena, mich...und meine Axt. Der Valkyn schien es ähnlich zu gehen, denn sie brüllte mir zu: "Gut, Llienne!" nun hatten die Morvaltar die Köpfe gehoben und starrten zu uns hinüber. Ihre Ohren zuckten und knurrend sprengten sie vor. "Zöger nicht...töte sie, du brauchst die Übung!" rief Keena schneidend, als mich für einen halben Herzschlag doch Zweifel überkamen. Sie hatte Recht. Irgendwann musste ich damit beginnen, vielleicht war das der endgültige Schritt zum Erwachsenwerden. Ein Feind, sei es ein Ungeheuer, ein Albioner oder ein Hibernianer...niemand, niemand würde mich später verschonen. Da zählte nur eins: Auge um Auge, Zahn um Zahn.

Zweifel und Angst verflogen. Ich stürzte mich auf den erstbesten Morvalt und schwang in einem kurzen Bogen die Axt, während ich einen brüllenden Schrei ausstieß, der meinen Gegner vor Schmerz grunzen und ein wenig zurücktorkeln ließ. Ich schrie ihn nochmals an, dieses Mal noch lauter und zorniger als zuvor. Der Morvalt stöhnte, ein Geräusch, in dem sich nur Schmerz und langsam anschwellende Furcht wiederfanden. Ich blickte in das behaarte Gesicht meines Gegners und sah sie, diese Furcht. Und was ich damals sicher empört abgestritten hätte, gab ich später beschämt zu: Es machte mir Spaß. Es erfüllte mich mit einem mir bis dato unbekannten Gefühl von Macht. Ich war ihm überlegen, er hatte mir nichts entgegenzusetzen und ich würde zumindest diesen Kampf siegreich überstehen. Nochmals und mit gnadenloser Wucht zerschnitt meine Waffe die Luft und mit einem gequälten Knurren ging der Morvalt zu Boden.

Neben mir kämpfte Keena gegen gleich drei der Morvaltar auf einmal und obwohl zwei bereits schwer verletzt waren, keuchte sie ebenfalls und musste langsam, aber sicher zurückweichen. Normalerweise hätte mich das Schauspiel sicher abgelenkt und mir eine rasche Niederlage beschert, denn es gab eine Faustregel, die man nie, nie vergessen durfte: Kehre keinem Gegner den Rücken, so lange er noch aufrecht steht.

Keena hatte blutende Wunden, doch seltsamerweise schlossen sie sich immer wieder, wenn ihr Stab, begleitet von einem seltsamen, rauschenden Laut, in regelmäßigem Abstand auf ihre Gegner hinabfuhr. Neben ihr kämpfte ihr gerüsteter Skelettkrieger und zischte jedes Mal zornig, wenn er oder seine Herrin getroffen wurden. Das andere Gerippe hatte sich ein gutes Stück zurückgezogen- und heilte Keena! seine fleischlosen Hände machten beinahe gelassene Bewegungen und spendeten warmes, wohltuendes Licht, was sternengleich auf die Valkyn herabsank und jedes Mal einen tiefen Kratzer schließen ließ, einen Blutfluss stoppte und Bisswunden versiegelte.

Ich nahm meinen nächsten Gegner ins Visier. Meine Kehle schmerzte und ich hatte einen bitteren Geschmack im Mund, doch ich stieß schrille, triumphierende Kampfschreie aus, schwang meine Axt wie im Rausch- und irgendwann war es einfach vorbei. Keiner der Morvaltar war entkommen, erschlagen lagen sie zu unseren Füßen, während ihr Blut den heißen Sandbonden rot färbte. Und schlagartig wich alle Kraft aus meinen Gliedern. Ich ließ meine Axt einfach fallen, taumelte zurück und brach schließlich mit einem erschöpften Keuchen in die Knie. Meine Beine waren wie Gummi und ich war in Schweiß gebadet. Mit dem letzten Rest geistiger Stärke hauchte ich ein mattes Lied und dankte Bragi im Stillen, dass ich noch am Leben war. Keena hatte viel mehr geleistet als ich und sah trotzdem weitaus besser aus. Trotzdem zitterte auch sie leicht, als sie sich neben mir zu Boden sinken ließ. "Das war ein Kampf, was?" sagte sie rauh. Ich blickte sie müde an. "Ja," sagte ich nur und nickte sachte. "Dein erster?" fügte die Valkyn hinzu, als ich wieder in Schweigen verfiel. "Gegen andere Gegner als Baumstämme und Baumspinnen? ja," antwortete ich und rieb mir die linke Schulter. Sie legte kurz die Hand auf mein Knie. "Das war gut."

"Danke."

Wir ruhten uns noch eine Weile aus und ich vermied es, die erschlagenen Morvaltar anzusehen. Keena schien es nicht zu stören, bei ihren Leichen wieder zu Kräften zu kommen- im Gegenteil. Am meisten bestürzte mich der Ausdruck tiefer Zufriedenheit in ihrem Gesicht. Theoretisch hatten uns diese Tiere...oder wie immer man sie nennen wollte...nichts getan. Keena hatte es von sich aus gewollt. Aber nun fing ich ja schon wieder damit an. Ich ballte die Fäuste, so sehr, dass meine Fingernägel schmerzhaft in meine Handflächen stachen. Vielleicht war ich doch zu weich und hatte einfach nicht das Herz einer Kämpferin...?

"Keena?" fragte ich leise.

"Mhm?"

Ich blickte sie ernst an. "Nun mal ehrlich. Und weich mir nicht aus, ja?" ihre Augen verrieten Ungeduld und ein gewisses Misstrauen. "Na was denn, raus mit der Sprache!"

"Warum...hasst ihr euch so? dein Volk und diese Morvaltar. Und warum hasst du sie sogar so sehr, dass es dir Freude bereitet, sie zu töten?" meine Stimme klang ernst, gefasst. Keena warf ihre blonde Mähne in den Nacken. "Du hattest doch auch deinen Spaß, es war kaum zu übersehen," sagte sie spitz. Ich seufzte tief, sehr tief. "Du weichst mir wieder aus." Keena verstummte und ich glaubte schon nicht mehr an eine Antwort, als ich diese dann doch bekam. "Du hast Recht. Du hast vollkommen Recht...entschuldige. Ich bin die letzte Zeit...nicht mehr ich selbst." Das habe ich gemerkt, dachte ich flüchtig, hütete mich aber, das laut auszusprechen. "Warum?" fragte ich nur. Keena senkte den Kopf, so tief, dass er fast zwischen ihren gespreizten Schenkeln verschwand. "Ich hasse sie wirklich," murmelte sie. "Und ich tue nichts lieber, als die zu töten, die auch meine gesamte Familie getötet haben."

Hätte das Katzenmädchen mich geschlagen...mein Schock hätte nicht größer sein können. "Die Mor...sie haben deine Familie...getötet?" wiederholte ich flüsternd. Sie nickte nur, ohne aufzusehen. "Wann?" fragte ich im gleichen Tonfall weiter.

"Vor einem halben Jahr, vielleicht ein bisschen weniger. Damals waren sie mir einfach nicht geheuer...dass sie aber Ungeheuer sind," fuhr sie mit bitterer Betonung hinzu, "habe ich dann doch etwas zu spät gemerkt." Ich hatte wieder diesen schlechten Geschmack im Mund und meine Kehle fühlte sich eng an. Mit einem Entsetzen, dass ich nicht ganz verbergen konnte, blickte ich Keena an. Die junge Valkyn hatte sich wieder aufrecht hingesetzt und ihr Blick schweifte ausdruckslos über die erschlagenen Morvaltar. "Ich habe meine Tränen vergossen," sagte sie einfach. "Doch das bringt die Toten auch nicht zurück." Ich starrte sie weiterhin an. "Bringt es sie denn zurück, wenn du nun jeden Morvalt erschlägst, der dir unter die Augen kommt?" fragte ich, eigentlich ganz gegen meinen Willen. Keena fuhr aber nicht zusammen und ließ mir auch keine scharfe Antwort zuteil werden. Stattdessen blieb ihr Blick weiterhin beinahe nachdenklich an den Leichen hängen. "Nein. Aber ich finde meinen Frieden."

Und dabei blieb es.
 

Unser blutiger Ausflug dauerte nicht mehr sehr lange. Ich wollte nicht mehr, jede Lust war mir vergangen und obwohl ich Keena wirklich verstehen konnte, erschien mir ihre nicht enden wollende Rache sinnlos und scheußlich. Das wollte einfach nicht zu dem kecken Valkynmädchen passen, was ich damals kennen gelernt hatte. Dennoch trafen wir noch zwei weitere Male auf vereinzelte Morvaltar, die uns einmal auch von sich aus angriffen. Keena brachte ihr Werk mit beinahe unheimlich anmutender Perfektion zu Ende und sagte dann selbst, dass sie für heute genug Übung erhalten habe. Mir war das nur recht.

Auf dem Rückweg nach Aegirham warf mir Keena plötzlich einen kurzen Blick zu und lächelte traurig. "Willst du eigentlich noch mit mir verrücktem Weib nach Abermenai ziehen oder bin ich bei dir endgültig unten durch?" ich seufzte und legte ihr statt einer Antwort nur den Arm um die Schulter.

Am Eingang nach Aegir wurden wir bereits ungeduldig erwartet und ich seufzte leicht, als Cavia wie ein Wirbelwind auf uns zufegte. "Heyjaaa!" brüllte sie. "Wo wart ihr so lang, he? ihr wart lange fort und ohne ein Sterbenswörtchen zu sagen oder mich mitzunehmen, tze tze!" Keena grinste sachte. "Du hättest dich eh nur gelangweilt, gab niemanden, an dem du deine Heilkunst hättest testen können." Doch Cavia starrte mich aufmerksam an und krähte erneut los: "So, so, so! und warum sieht das Skaldenmädchen schon wieder aus wie dreimal vom Troll gebissen, he?" der Blick, den sie Keena zuwarf, war alles andere als freundlich. Ich musste zugeben, dass die Koboldin Recht hatte, auch wenn ihre Ausdrucksweise ein wenig merkwürdig anmutete. Ich war Zeit meines Lebens noch nie von einem Troll gebissen worden und konnte diesbezüglich keine Stellung einnehmen. Mein magisches Lied mit den regenerativen Fähigkeiten hatte mir schon sehr weitergeholfen und Keena war von ihrem Skeletthelfer vollständig geheilt worden -das dämliche Etwas hatte sich strikt geweigert, auch mich zu heilen!- doch trotzdem spürte ich jeden blauen Fleck, jeden Kratzer und den Beginn eines gewaltigen Muskelkaters. "Hmm," machte ich nur und Keena grinste wie in alten Tagen: "Also kommst du doch noch zu deinem wohlverdienten Recht. Andere Leute freuen sich über Gold und Schmuck, Cavia ist glücklich, wenn sie jemanden heilen darf- und je schlimmer die Verletzungen, desto besser." Die letzten Worte hatte sie an mich gerichtet und ich kicherte pflichtschuldig. Cavia hingegen zog eine Grimasse. "Pfff," machte sie. "Wenn es sich denn hier wenigstens um vernünftige Verletzungen handeln würde...das sind ja Myggastiche!" Keena prustete los und ich sah die Koboldin finster an. "Mir reicht es." Während sich Cavia mit schmollendem Gesicht um meine vielen, kleinen 'Myggastiche' kümmerte, fragte sie ganz beiläufig: "Wie is'n das eigentlich passiert?" ich hätte beinahe geantwortet, bemerkte aber Keenas warnenden Blick und schwieg verwirrt. Scheinbar wollte die Valkyn nicht, dass Cavia erfuhr, was wir getrieben hatten. Warum, wusste ich nicht, doch ich wollte der Freundin nicht in den Rücken fallen. "Ach, meine eigene Dummheit...hab mit offenen Augen geschlafen," sagte ich achselzuckend. Cavia schnaubte. "Nordländische Trampel eben." Während Keena schon wieder loslachte, sah ich bedächtig auf den geflochtenen Zopf der Koboldin hinab und stellte mir im Geiste genüsslich diverse anregende Dinge vor, die diesem kleinen Etwas passieren könnten. Trotzdem dankte ich ihr mit breitem Lächeln, als sie endlich fertig war, und Cavia murmelte nur: "Immer gerne wieder...und nächstes Mal verletz dich mal richtig, ja?" ich zog es vor, diese Äußerung einfach zu überhören und streckte mich ausgiebig. "Müde?" fragte Keena lächelnd und ich nickte. "Dann lass uns schlafen gehen. Ich habe vor dem Portal beim Atla-Strand ein Zelt aufgeschlagen."

"Du schläfst nicht in Aegir?" fragte ich überrascht. Keena lächelte noch immer. Es scheint ihr ja besser zu gehen, dachte ich erleichtert. "Ich höre gerne das Rauschen des Meeres...und der Sternenhimmel da ist einfach atemberaubend." Ich erwiderte ihr Lächeln und nickte. "Hab ich nix gegen." Cavia schnaubte einmal mehr. "Oh, diese Turteltäubchen," sagte sie mürrisch. Ich streckte ihr die Zunge heraus und Keena tätschelte dem Koboldmädchen spöttisch den Kopf. "Gute Nacht, du Schlumpf. Kommst du, Llienne?"

"Ja, ich komme. Nacht, Cavia."

Die Koboldin rief so laut, dass man es auf dem ganzen Marktplatz hören musste: "Gute Naaacht!" ich verdrehte die Augen und lief eilig Keena hinterher, die schon auf den gespenstisch leuchtenden, magischen Durchgang zuschlenderte.

Dieses Mal waren wir zu zweit, als der Wirbel von Farben uns erfasste und zu verschlingen schien. Abermals kniff ich die Augen zu und hörte Keena neben mir leise lachen- ihre Stimme klang wie aus weiter Ferne und ziemlich verzerrt. Endlich ließ das leicht schwindelerregende Gefühl um mich herum nach und wir standen vor dem Portal, zurück in Nalliten. Die Sonne ging bereits unter und bald würder der Mond ihren Platz am Himmel einnehmen. Ich gähnte leise, spürte nun wirklich jeden Knochen im Leib. Keena knuffte mich boshaft in die Seite und ich machte einen steifen Hüpfer seitwärts. "Warts nur ab, wie es morgen wird," sagte die Valkyn. "Dun Abermenai wartet auf uns, Llienne." Ich nickte, mir grummelnd meine Hüfte haltend. "Aber es wird noch eine Nacht ohne uns auskommen, ich bin total alle."

Keena nickte und gähnte herzhaft, wobei sie ihr beeindruckendes Katzengebiss präsentierte. "Frag mich mal. Komm, mein Zelt steht am Strand. Da sind auch ein paar Vorräte, wenn du Hunger haben solltest." Ich hatte zwar selbst Proviant mit, aber das waren wie immer Pökelfisch- und fleisch und ein paar getrocknete Früchte. "Kommt drauf an, was du mir anbieten kannst," grinste ich. Keena war mir einen spöttischen Blick zu: "Und ich dachte, nordländische Barbaren verschlingen alles." Probeweise trat ich nach ihrem Knie, doch sie brachte sich mit einem deutlich eleganteren Satz in Sicherheit.

Keenas Zelt war groß und gemütlich. Über ein Gerippe aus stabilen Ästen spannten sich mehrere Bahnen von Leinen und über diese hatte die Valkyn Tannenzweige gelegt. Aus der Ferne mochte man glauben, es sei ein eckiger Grashügel, der da am Strand emporwuchs. Der Zeltboden war ebenfalls mit Tannenzweigen ausgelegt und diese wurden von einer Ansammlung Tierfelle bedeckt, was insgesamt eine bequeme und weiche Schlafstatt abgab. Ich kroch ins Zelt hinein und wieder hinaus und war ehrlich begeistert. "So will ich später auch mal leben," verkündete ich Keena, die in einigem Abstand Steine zu einem Ring zusammentrug, um eine Feuerstelle zu bauen. "Dummerchen, ich wohn doch nicht das ganze Jahr in einem Zelt," erwiderte das Katzenmädchen und griff nach einem Feuerstein. "Aber wenn das Wetter es zulässt, bin ich gerne hier. Ich finde es gemütlicher als in der Stadt." Ich kroch abermals aus dem Zelt und begann, trockene Wurzeln und Gestrüpp zu sammeln. "Ich auch. Aber ist es nicht gefährlich hier? so ganz allein in der Wildnis?" Keena nahm mein Gesammeltes in Empfang und schlug ihren Feuerstein mit einem anderen zusammen. Es funktionierte beim ersten Versuch: Ein kleiner Funke ließ die trockenen Wurzeln und Zweige sofort Feuer fangen. "Was soll gefährlich sein?" fragte Keena amüsiert. "Hier gibts nur ein paar Krabben und die in oder andere Ertrunkene Seele." Mir fiel der Proviantbeutel, den ich gerade inspiziert hatte, einfach aus der Hand. "Hier gibts was? Krabben und...Ertrunkene Seelen?" fragte ich schaudernd. Keena suchte mehr Nahrung für das bereits gemütlich flackernde Feuer und nickte ungerührt. "Es sind die Seelen von Seemännern und unschuldig Verschleppten, die keine Ruhe finden. Wenn die Nacht anbricht, kommen sie aus dem Meer und beklagen am Strand ihr Schicksal. Schon unheimlich, aber sie sind harmlos." Ich spürte eine kribbelnde Gänsehaut, während ich gebannt an ihren Lippen hing. "Und?"

"Und was?"

"Was gibts hier sonst noch Gruseliges und Untotets?" Faszination schwang in meiner Stimme mit und Keena musste grinsen. "Nun, eigentlich nichts weiter...oder halt, doch...Fressan."

"Wer ist verfressen?"

Keena grinste und schnippte mir gegen die Stirn. "Das ist auch ein seltsamer Bursche...vor ihm musst du dich tatsächlich hüten. Er sieht aus wie ein Kobold, ist immer in nachtschwarz gekleidet und steht regungslos am alten Wrack, was etwas weiter Richtung Atla am Strand liegt. Bei ihm ist immer ein schrecklich hässlicher kleiner Kerl mit dem Namen Trollki." Ich kicherte leise und Keena musste ebenfalls schmunzeln. "Sie stehen Tag ein, Tag aus am alten Wrack und starren aufs Meer. Schon seltsam, ich hab sie niemals woanders gesehen. Es sei denn, du kommst ihnen zu nahe, dann greifen sie dich plötzlich an. Trollki ist ein Weichei, aber vor Fressan sollte man sich in acht nehmen." Ich nickte. "Ich werde es mir merken."

Bald darauf verschwand die Sonne endgültig hinter dem Horizont und ließ uns nur einen malerischen, blutroten Himmel zurück. Keena und ich aßen nun doch und schauten schweigend und andächtig über das Meer. Dabei gingen wir beide unseren eigenen Gedanken nach. Was Keena jetzt wohl denken mochte, wusste ich nicht. Ihr Gesicht war nachdenklich, aber den unnatürlichen Zorn und die Trauer, die mir vor einiger Zeit noch an ihr aufgefallen waren, schien sie zumindest vorläufig hinter sich gelassen zu haben. Ich lehnte mich entspannt zurück und warf eine Handvoll süß schmeckender Beeren in den Mund. Obwohl mir tatsächlich alles weh tat und ich für heute eigentlich genug Blut vergossen hatte, freute ich mich auf den morgigen Tag. Schon seltsam...ich freute mich darauf, in ein Kriegsgebiet zu ziehen und gegen andere Menschen zu kämpfen. Achselzuckend schob ich den Gedanken beiseite und beugte mich ein wenig zur Seite, um an ein Stück wohlduftenden Käse zu gelangen. Keena sagte plötzlich -und ihre Stimme klang dabei regelrecht friedlich- : "Heute habe ich gesehen, was die Leute meinen, wenn sie von Schlachtensängern sprechen." Ich kaute, schluckte und sah sie an. "Und?"

"Du bist eine solche Schlachtensängerin. Oder zumindest auf dem besten Weg, eine zu werden. In ein paar Jahren werden wir keine Halbwilden mehr töten, Llienne. Wir werden unser Land und alle, die darin leben, beschützen." Ich nickte leicht verwirrt, der unvermutete Ernst und Hauch von Sentimentalität überraschte mich. "Ja. Sicher. Wie kommst du jetzt darauf?" sie lächelte ein wenig und schob sich einen Streifen Pökelfisch in den Mund. "Wirst du Kinder haben?" ich wiegte zweifelnd den Kopf. "Darüber denke ich doch jetzt noch nicht nach...vorher muss ich erstmal meinen Möchtegern-Ehemann abwimmeln."

"Deinen was bitte?!"

Ich zuckte aufseufzend die Achseln. "Ach...ich habe einen Heiratsantrag bekommen." Keena grinste breit. "Ist nicht wahr! wer ist der...hmm...Glückliche?" ich schwieg kurz. Ein seltsames Gefühl sagte mir, dass Keena jetzt noch nicht zu wissen brauchte, dass mein Verehrer niemand anderes als der von ihr nicht gerade geliebte Leifnir Havocbringer war. "Ach...so 'ne flüchtige Bekanntschaft..."

Während wir uns unterhielten, war es allmählich dunkel geworden. Keena reichte mir eine dicke Felldecke, in deren Fülle ich fast ertrank. Dankbar kuschelte ich mich in den leicht dumpf riechenden, aber sehr weichen Pelz und blickte abermals aufs Meer hinaus. Plötzlich sah ich keine hundert Schritt weit eine durchscheinende, leuchtende Männrgestalt über das Wasser schweben! "Was ist denn das?" flüsterte ich und hielt vor Schreck den Atem an. Keena hüllte sich ebenfalls in ihre Decke und zog die Beine an den Körper an. Als sie antwortete, dämpfte sie unwillkürlich die Stimme: "Das ist eine der Ertrunkenen Seelen. Die anderen müssten gleich ebenfalls kommen. Sieh gut hin, wer weiß, wann du nochmal die Gelegenheit dazu bekommst." Ich nickte zweifelnd. Eigentlich konnte ich mir was Schöneres vorstellen, als einer kleinen Armee ruheloser Seelen beim Beweinen ihrer verdammten Existenz zuzuschauen. Tatsächlich verging keine Minute, ehe weitere nebelhafte Gestalten auftauchten. Es waren ausnahmslos Nordmänner, die leise flüsternd und raunend ans Ufer kamen, den Strand auf- und abschwebten und sich ihrem Leid hingaben. Keena saß still und ernst da und sah den Klagenden ruhig zu, mir kroch es abwechselnd heiß und kalt den Rücken herunter. Irgendwann aber verloren wir allmählich das Interesse an den Geistern, als die Müdigkeit stärker wurde und unsere ausgezehrten Leiber ihren Tribut forderten. "Ich glaube, ich mach mal kurz die Augen zu," murmelte ich. Keena kuschelte sich neben mir in die Felle. "Hhmmm," machte sie nur. Kurz darauf waren wir beide eingeschlafen, während die rastlosen Seelen weiterhin über das Ufer glitten, ohne uns zu beachten...

Ein leises Knurren ertönte neben mir und ich wälzte mich unruhig von einer Seite auf die andere. Plötzlich spürte ich einen bitteren, kupfernen Geschmack im Mund- den Geschmack von Blut! ich fuhr verschlafen hoch und blinzelte irritiert. Der Mond stand klar und rund am Himmel und tauchte den Strand von Atla in ein gespenstisches, silberfarbenes Licht. Die Ertrunkenen Seelen waren verschwunden. Komisch, dachte ich und rieb mir die Augen. Der Geschmack war noch immer da, doch es musste wohl daran liegen, dass ich längere Zeit nichts mehr getrunken hatte. Und das Knurren? Einbildung, beruhigte ich mich in Gedanken. Und eben im selben Augenblick ertönte es wieder! ein tiefer, langgezogener Kehllaut. Ob ich Keena wecken sollte? vielleicht, wenn sie mich auslachte, war mir das auch egal. Ich konnte nicht leugnen, dass ich ziemlich nervös war...dass ich Angst verspürte. Ich drehte mich herum, beugte mich über meine Gefährtin und wollte sie sachte an der Schulter rütteln, als Keena im gleichen Moment die Augen öffnete und mich angrinste. Mit einem unterdrückten Schrei fuhr ich zurück- das war nicht Keena, die da neben mir lag. Es war der Morvalt, den ich als erstes erschlagen hatte! sein ohnehin tierisches Gesicht war zerschlagen und blutig, in den Augen glitzerten Hass und eine bösartige Vorfreude. Ich wich panisch zurück...

...und wachte schweißüberströmt auf. Mein Herz raste so sehr, dass ich dachte, es müsse gleich zerspringen. Hektisch sah ich mich nach Keena um, doch die schlief friedlich. Mit zitternden Händen strich ich mir das feuchte Haar aus der Stirn und seufzte matt. Anscheinend war mein erster, richtiger Kampf doch nicht gänzlich spurlos an mir vorbei gegangen. Ein kurzer Blick nach draußen bestätigte mir, dass noch nicht viel Zeit vergangen sein konnte. Die unglücklichen Seelen trauerten noch immer am Strand, und der Mond war gerade erst vollständig in den Himmel aufgestiegen. Gerädert ließ ich mich in die Felle zurück plumpsen, zog die Decke über den Kopf und versank endlich in einen unruhigen, aber traumlosen Schlaf.

Als Keena mich am Morgen weckte, hatte ich das Gefühl, kaum geschlafen zu haben. Mühsam rieb ich mir den Schlaf aus den Augen und setzte mich auf. "Wiespätisses?" nuschelte ich. Keena war guter Dinge. Sie hatte bereits wieder ein Feuer entzündet und in ihrem munteren Gesicht glitzerten kleine Tropfen Meerwassers. "Nochmal bitte," sagte sie amüsiert und reichte mir einen Humpen Bier, den sie vermutlich in Aegir beschafft hatte. Ich griff träge danach und nippte lustlos an der mir heute überhaupt nicht schmeckenden Flüssigkeit. "Ich fragte, wie spät es ist," antwortete ich verständlicher und kroch aus dem Zelt. Keena zuckte die Achseln und schob sich eine mir unbekannte, birnenförmige Frucht in den Mund. "Weiß ich nicht, vermutlich spät genug, die Sonne ist ja schon vor Stunden aufgegangen. Stimmt etwas nicht? du siehst gar nicht gut aus. Schlecht geschlafen?" ich nahm einen erneuten Schluck Bier und nickte nur sachte. Die Valkyn tätschelte mir den Arm. "Wird schon. Nun mach dich langsam startklar, es ist vermutlich wirklich ziemlich spät. Ich wollte dich schon vor einer ganzen Weile wecken, aber du hast wie ein Stein gepennt." Ich grinste schuldbewusst. "Tut mir Leid." Sie winkte gönnerhaft ab und entfernte sich dann diskret ein paar Schritte, damit ich mich umziehen konnte.
 

"Müssen wir da wirklich wieder durch?" mürrisch betrachtete ich das magische Portal in Nalliten. Keena war schon auf der obersten Stufe angelangt und sah mich ungeduldig an. "Sicher, wo liegt dein Problem?" ich schlurfte näher und betrachtete den bereits jetzt schon schwindelerregenden Wirbel aus Farben und Licht argwöhnisch. "Mir wird da immer schlecht drin." Keena stöhnt und verdrehte die Augen. "Ach du, mein Püppchen!", spöttelte sie. "Komm endlich, da wirst du noch sehr, sehr oft durchmüssen." Also fügte ich mich mit einem mürrischen Brummen und trat mit einem einzigen Schritt durch das Portal, ehe Keena Zeit finden konnte, mich noch mehr zu verhöhnen.

Zurück in Aegirham, hielt ich mir leise stöhnend den Bauch. Keena betrachtete mich mit unverhohlener Schadenfreude. "Alles okay?" fragte sie scheinheilig. Ich war ihr einen bösen Blick zu und machte eine bezeichnende Geste an der Kehle, was die Valkyn zu einem breiten Grinsen veranlasste. "Und weißt du was?" fragte sie mit verdächtig sanfter Stimme. Ich blickte sie misstrauisch an. "Na...?"

"Wir müssen uns gleich noch einmal teleportieren lassen...und dann sogar nochmal. Na, kommt da nicht Freude auf?"

Ich fluchte herzhaft und Keena gluckste, während sie mich auf einen ernst dreinblickenden Valkyn zu zerrte, der uns mit leicht gerunzelter Stirn entgegen sah. "Ja?" fragte er leise. "Wir müssen nach Svasud Faste," erklärte Keena, wobei sie die unangebrachte Heiterkeit noch immer nicht ganz aus ihrer Stimme verbannen konnte. Der Teleportmeister warf mir einen kurzen Blick zu. "Geht es Eurer Freundin nicht gut?" erkundigte er sich mit kühler Höflichkeit. Ich grinste ihn nur matt an, während Keena den Kopf schüttelte: "Sie ist das Reisen per Portaldurchgängen und Teleportern nicht gewöhnt." Der Valkyn ließ den Anflug eines Lächelns aufblitzen. "Das wird schon," meinte er, während er Keena zwei schmucklose Silberketten in die Hand drückte und dafür einen kleinen Berg Münzen entgegen nahm. Ich nickte tapfer. "Sicherlich." Der Valkyn hängte uns die Ketten um den Hals. "Na, dann gute Reise!" und als er jetzt seinen Zauber wirkte, der Keena und mich scheinbar durchs Nichts schleuderte, war ich wirklich kurz davor, zu erbrechen.

Unsere Reise, die kein Oben und kein Unten zu kennen schien, dauerte dankenswerterweise nicht lang. Trotzdem war ich ganz blass, als wir endlich festen Boden unter den Füßen hatten und das durchaus beeindruckende Svaud interessierte mich für den Moment überhaupt nicht. Keena packte mich an der Schulter, als ich zu schwanken drohte. "Hey, gehts?" fragte sie mit todernster Miene. Ich streifte ganz langsam ihre Hand ab und nickte. "Klar."

"Hm, und warum bist du dann weiß wie eine Leiche?"

"Bin ich ni..." ich schlug rasch die Hand vor den Mund, als ein neuerlicher Schwall von Übelkeit in mir aufstieg. Stöhnend schloss ich die Augen und Keena tätschelte mir nun mit aufrichtigem Mitgefühl den Arm. "Bald hast du es überstanden, und dann kannst du...hey, sie kommen!" ich blickte sie matt an. "Wer kommt?" sie deutete aufgeregt über meine Schulter. "Stor Gothi Annark und die Gothis von Odin...los beeil dich, hopp hopp..." energisch schob sie mich vor sich her, auf eine kleine, blondbezopfte Nordfrau zu, die uns freundlich entgegen lächelte. "Lasst mich raten...Dun Abermenai?" fragte sie. Keena nickte stolz. "Ja, für uns beide bitte...Llienne, komm endlich her und stell dich nicht so an!" ich wankte an ihre Seite und die Frau musterte mich irritiert, wie der Valkynhändler vor ihr. "Ist dir nicht gut, mein Kind?" ich knurrte innerlich und winkte nur ab. "Alles in Ordnung...bitte...Dun Abermenai..." die Frau nickte erschrocken. "Oh ja, verzeiht mir...hier, bitte sehr!" erneut wurden uns zwei silbrige Ketten um den Hals gehängt und Keena verneigte sich, ehe sie mich hastig an der Hand packte und mitzog. "Gute Reise und viel Erfolg!" rief uns die Händlerin hinterher.

Keenas Ziel stellte sich als großer, perfekter Kreis aus Steinen heraus. Dort saßen oder standen diverse andere Midgarder. Ich bemerkte überrascht, dass keiner von ihnen in unserem Alter war. Die Jüngsten hier mussten mindestens zwanzig Jahre zählen und die Mehrzahl der Anwesenden hatten schon versilbertes Haar, alt-erfahrene Züge und prächtiges Rüstzeug. "Das sind die wahren Helden von Midgard," flüsterte mir Keena gedämpft zu und ich nickte ehrfurchtsvoll, wobei mein Blick an einer hochgewachsenen Skaldin haften blieb, deren rotes Haar bereits erste, graue Strähnen durchzog und die in die prachtvolle Epicrüstung der Schlachtensänger gekleidet war. Diese hatte sie in verschiedene Grüntöne eingefärbt und der ebenfalls grüne Umhang, den sie trug, wallte ihr majestätisch um die Beine. Ich seufzte leicht wehmütig. Bis ich einmal so weit war, würden noch viele Sommer ins Land ziehen. Wenn ich bis dahin überhaupt überlebte. Während ich so nachdachte, hatten sich die Gothis in gleichmäßigen Abständen um den steinernen Kreis aufgebaut. Nur Stor Gothi Annark trat zu uns in den Kreis und hob die Arme. Ich warf ihm heimlich ein paar ehrfurchtsvolle Blicke zu, von denen er allerdings keinen einzigen erwiderte. Und als plötzlich gewaltige Kugeln reinsten Lichtes Svasud Faste in einen gleißenden Schein hüllten, ein unnatürlicher Wind aufkam und Stor Gothi Annark uns mit dröhnender Stimme einen erfolgreichen Kampf wünschte, da war es mit meiner Übelkeit schlagartig vorbei und ich konnte nicht anders, als einen begeisterten Ruf auszustoßen: "Dun Abermenai, wir kommen!"

Unter Feinden...oder?

Neben mir hörte ich Keena spöttisch auflachen und mein Ruf brach schlagartig ab, als sich unwirkliche Dunkelheit wie ein unerbittlicher Schleier über uns legte und zumindest mir für einen winzigen Moment das Bewusstsein raubte.

"Llienne? he, Llienne..." Keenas Stimme kam wie aus weiter Ferne. Ich spürte vage, wie ich an der Schulter gerüttelt wurde und schlug mit einem Ruck die Augen auf. Alles drehte sich um mich herum und ich hatte leichte Kopfschmerzen. "Sind wir...tot?" fragte ich geistesabwesend. Ich lag auf hartem Steinboden und blickte in einen wolkenverhangenen, grauen Himmel. Regen, dachte ich matt. Es wird bald Regen geben. Keena packte mich unter den Achseln und zog mich auf die Füße. "Du warst kurz ohnmächtig, weißt du das?" fragte sie, wobei in ihren Augen eine Mischung aus Spott und Besorgnis glimmerten.

"Wie blöd von mir."

Sie seufzte und betrachtete mich kritisch. "Du verträgst solche Reisen wirklich nicht, was?" ich warf ihr einen finsteren Blick zu und klopfte den Staub von meinem Umhang. "Ich werde mich noch dran gewöhnen," erwiderte ich gallig. Das war schon mehr als peinlich- ich war tatsächlich bewusstlos geworden! doch Keena schüttelte nur den Kopf. "Mir gings anfangs ja nicht anders. Wollen wir kurz warten, bis du dich wieder fit fühlst, oder können wir gleich los?" ich fuhr mir durch die Haare und streckte mich. "Mir gehts gut, meinetwegen können wir." Die Valkyn nickte, trat ein wenig zurück und breitete die Arme aus. Ich beobachtete sie gespannt, und wenig später erschienen wie aus dem Nichts die beiden Skelettdiener. Keena versah sich selbst mit ihrem magischen Schild aus Licht, ehe sie sich ihren Dienern zuwandte und mit leisen, fremdartigen Worten zu ihnen sprach. Auch über die beiden Gerippe senkte sich der Hauch unbekannter Magie und ich erschauderte. Über was für Kräfte mochte Keena wohl sonst noch gebieten? da ich nicht gänzlich tatenlos herumstehen wollte, begann ich, mein wohlklingendstes Reiselied zu singen und spürte Unternehmungslust in mir aufsteigen, während mir die Kraft in die Beine strömte und sie herrlich leicht machte. Das Katzenmädchen rieb sich begeistert über die Oberschenkel. "Was ist los? ich habe das Gefühl, als könne ich bis zum anderen Ende der Welt und weiter laufen!" ich lächelte stolz, während sich meine Ohren leicht rosa verfärbten. "Tja, Skalden können auf jeden Fall eins gut: rennen. Und jedem, der mit ihnen reist, ergeht es ebenso. Nicht schlecht, oder?"

"Wahrlich nicht, das muss ich zugeben. Gut...dann wollen wir mal." Keena steuerte auf das grobe Holztor zu, was uns endgültig von unserer sicheren Festung und dem Kriegsgebiet trennte. Aus dem Augenwinkel sah ich ein paar Magier und Soldaten auf den Zinnen der Festung stehen. Sie blickten allesamt aufmerksam Richtung Norden, und nur ein schwarzhaariger Bogenschütze warf einen kurzen Blick zu uns herunter. "Dann macht Midgard alle Ehre, meine jungen Freunde. Und zeigt diesem Pack, was es heißt, sich mit uns anzulegen, verstanden?" er grinste und Keena salutierte zackig. "Aye," machte sie, ebenfalls grinsend. Gutmütig erwiderte der Mann den Gruß und richtete seine Augen dann wieder nach vorn. Ich zappelte vor Ungeduld und nickte nur heftig.

Wie von Geisterhand öffnete sich das Tor und gab knarrend den Weg ins Unbekannte frei. Keena schritt aufrecht hindurch und ich folgte ihr mit klopfendem Herzen. Nun gehts los, dachte ich, wobei ich dieses selbst kaum glauben konnte. Bei Bragi, es geht wirklich los! ein Grollen ließ mich herumfahren und ich rechnete bereits mit dem ersten Feind, doch es war nur ein Vorbote des Gewitters, welches -ganz nach meiner Vorahnung- langsam heraufzog. Keena kicherte leise. "Mächtig aufgeregt, hm?"

"Und wie. Ich glaube, mir wird gleich schon wieder schlecht."

Die Valkyn schluckte die Antwort, die ihr auf der Zunge lang, gerade noch herunter und wurde dann wieder ernst. "Gut, Spaß beiseite nun. Es wird ernst. Bis hier oben wagen sich die Feinde für gewöhnlich nicht hoch, wir könnten erstens zu schnell in die Burg fliehen und zweitens werden die Wächter da oben ziemlich ungemütlich, wenn ihnen so ein räudiger Albioner in Schussweite kommt. Nur vor Schleichern müssen wir uns in acht nehmen."

"Schleichern?"

Keena nickte abfällig. "Sie sind Meister der Tarnung und Heimlichkeit und bewegen sich im Schatten. Du kannst sie praktisch nicht erkennen, selbst, wenn sie neben dir stehen. Sie sind sozusagen die Aasgeier hier...nehmen vorzugsweise Verletzte oder einzeln Herumirrende aufs Korn. Also sei vorsichtig und halt beide Augen offen!" ich nickte eifrig. Heute würde ich Keena mit keinem Wort wiedersprechen, ganz bestimmt nicht. Während wir uns -trotz meines magischen Reiseliedes- langsamen Schrittes den Hügel hinunter wagten, sah ich mich aufmerksam nach allen Seiten um, wobei eine Hand griffbereit an meiner Hüfte lag. Dieses Mal musste es einfach gut laufen. Keine Fehler, Llienne, sprach ich mir in Gedanken eindringlich zu. Und keine Schwäche. Ich warf Keena einen kurzen Blick zu, um zu sehen, ob sie genauso angespannt war wie ich und zu meiner Erleichterung fanden sich bei ihr zumindest deutliche Anzeichen von Nervosität: Ihre Augen blitzten, die Ohren bewegten sich argwöhnisch und sie gab leise, knurrende Laute von sich. Ich sog die nach Regen schmeckende Luft ein und machte meinen Kopf frei von allen Sorgen. Es wird gut ausgehen. Das muss es einfach.

"Ja, das muss es."

Ich warf Keena einen überraschten Blick zu, ehe mir klar wurde, dass ich den Gedanken laut ausgesprochen hatte. "Wie oft warst du schon hier?" wollte ich wissen. "Nicht oft," gab sie zu. Unbehaglich lachend fragte ich: "Und, hast du Angst?" zu meiner Verwunderung kam keine wie gewohnt schnippische Antwort. Stattdessen sah mich das Katzenmädchen mit seltenem Ernst an. "Ich fürchte mich ein wenig, ja. Aber das ist keine Schande. Eine begründete Furcht ist die Grundlage für Vorsicht. Und so musst du dich hier verhalten: wachsam und vorsichtig." Ich rieb mir den Nacken und nickte, ihre Worte überdenkend. Gerade, als ich etwas erwidern wollte, zischte Keena: "Da vorn ist was!"

Ich spürte einen kurzen, heißen Aufschwall im Magen und schluckte trocken. Ein kalter Tropfen zerspritzte auf meiner Nase. Erst einer, dann noch einer. Gleich darauf wurde aus dem zögerlichen Niesel ein echter Regen. Ein tiefes Grollen sowie dunkle, bedrohliche Wolken vervollständigten die düstere Atmosphäre. "Wo?" flüsterte ich. "Ich seh kaum was!" Keenas Ohren bewegten sich nachdrücklicher, sie reckte die Nase in den Wind und schnupperte. "Ich bin nicht ganz sicher," murmelte sie zögernd. "Aber da hinten...bei den Bäumen..." ich ballte die linke Hand zur Faust, ehe ich Keena am Arm fasste. "Komm," sagte ich, von plötzlicher Angriffslust erfüllt. "Sehen wir nach, ich will mich nicht verstecken." Keena sah mich höchst erstaunt an, nickte aber zustimmend. Ich grinste verwegener, als ich mich wirklich fühlte, und hob meine Axt, ehe ich lautlos und wieselschnell auf die von Keena angesprochene Baumgruppe zuflitzte. "Hyaah!", machte ich und schwang die Axt. Knurrend duckte sich mein Ziel, was bei näherem Hinsehen alles andere als ein Albioner oder Hibernianer war: Ein mageres, von hässlich-verfilztem Fell gezeichnetes Etwas, was nur ein besonders hässlicher Hund oder missgestaltener Wolf sein konnte. Ich dachte gar nicht richtig nach und bohrte meine Waffe in die Flanke des Tieres, was diesem ein schrilles Jaulen entlockte. Auf einen scharfen Befehl von Keena hin stürzte sich auch noch ihr kriegerisches Skelett auf die arme Kreatur und setzte ihrem Leben in einer Folge rascher, gnadenloser Schwerthiebe ein jähes Ende. Einen Moment zuckten die Hinterläufe des Tieres noch, dann lag es still. Ich holte tief Luft und steckte meine Axt weg. "Also..." setzte ich verlegen an, ehe Keena mich wütend unterbrach: "...also das war wirklich eine wahnsinns Dummheit. Nun weiß definitiv jeder, dass wir hier sind!" ich schnappte empört nach Luft. "Du hast doch gesagt, dass hier etwas ist!", fauchte ich.

"Ich habe gesagt, dass ich nicht sicher bin! das war jetzt eben die perfekte Chance für jeden Feind, uns feige aus dem Hinterha...argh!" ihr Satz wurde nie beendet, stattdessen lösten sich ihre letzten Worte in einen schmerzerfüllten Schrei auf. Ich fuhr mit einem Satz herum und sah, wie sie sich gequält krümmte. Und noch etwas fiel mir auf...ich blinzelte, um durch den mittlerweile heftig prasselnden Regen genauer erkennen zu können, was uns da angriff. Es war bizarr: Ein blasser, in unmöglich verkrümmter Haltung dastehender Körper schwang die aufgedunsenen Arme und hinter dem Ding schwebte scheinbar schwerelos ein Holzstab in der Luft. "Was ist denn das?" stöhnte ich, die Gestalt anstarrend. Eine Leiche. So unglaublich es klang, da stand mehr oder weniger aufrecht ein bereits von ersten Anzeichen der Verwesung geprägter Toter mit wild rudernden Armen und tat wer-weiß-was, was Keena offensichtlich große Schmerzen zufügte. Der schwebende Stab bewegte sich nach links und rechts, ein zischendes Geräusch erklang und Keena schrie erneut auf. Ich muss ihr helfen, dachte ich wie betäubt. Mit einem rauhen Schrei stürmte ich vorwärts und konzentrierte meine geistige Kraft auf den bizarren Leichnam. "Schlaf eine Runde, du Scheusal!" brüllte ich und ließ meiner Kraft freien Lauf. Sofort stand das Ding still, offenbar wirklich in den kurzen, aber heftigen Schlaf gefallen, in den ich Feinde für eine Weile hüllen konnte.

Jetzt, als ich näher gekommen war, erkannte ich auch, dass der unscheinbare Holzstab alles andere als schwerelos in der Luft hing. Körperlos und wie aus Nebel selbst, schwebte ein unförmiges Etwas in der Luft und umklammerte den Stab mit geisterhaften Fingern. Zwei blasse, seelenlose Augen waren alles, was ich in dem durchscheinenden Gesicht erkennen konnte. Vor Entsetzen erstarrt, glotzte ich auf die Regentropfen, die durch die Gestalt hindurch fielen und den Erdboden nässten. Hinter mir hatte sich Keena wieder aufgerappelt und japste nach Luft. "Ein Nekromant," rief sie. "Das ist ein Albioner!"

Ich ächzte und wich zurück. "Keine Sorge," sagte Keena triumphierend und stellte sich neben mich, wobei sie schon ihren Stab hob. "Als Geist kann er uns nichts tun. Nur sein Diener ist gefährlich. Gut gemacht! und nun...soll er sehen, wie dumm es ist, sich mit uns anzulegen...Attacke!" das letzte Wort brüllte sie, ehe sie sich auf den übel riechenden Leichnam stürzte, mit dem Stab auf ihn eindrosch und ihm dabei in regelmäßigen Abständen Kraft ihrer seltsamen Magie die Lebensenergie -oder das, was das Ding aufrecht gehen ließ- entzog. Ihr Kämpfer tat es ihr gleich und ich schlug ebenfalls auf den Feind ein, wobei ich ihn mit meinen gänsehauterregenden Kampfschreien malträtierte. Das Ding wehrte sich verbissen und der Geist, oder was auch immer es war, fuchtelte wie wild mit dem Stab und fügte Keena blutende Wunden zu, obwohl er sie nicht einmal berührte. Mit wachsendem Schrecken sah ich, dass für jeden feindlichen Hieb, der Keena traf, eine Wunde auf dem scheußlichen Leichenkörper verschwand. "Nein!" brüllte ich und legte alle Kraft und Ausdauer, die ich noch hatte, in meinen letzten Hieb. "Stirb!"

Mit einem gurgelnden, übelkeiterregenden Schrei brach das Unding in die Knie und stürzte auf den schlammigen Boden. Im selben Moment verwandelte sich der stabschwingende Schatten und nahm feste Formen an.

Mit schreckgeweiteten Augen betrachtete ich das Wesen, das mit einem gequälten Keuchen in den Schmutz fiel. Absurderweise war mein erster Gedanke, dass die Evolution sich hier einen Spaß gegönnt und Fisch und Mensch miteinander vereint hatte. Der Fremde -ein genauerer Blick auf seinen Körper ließ mich zu dem Schluss kommen, es mit einem 'Er' zu tun zu haben- besaß spitze, ausgefranste Ohren, eine bläuliche Hautfarbe und große, pechschwarze Augen. Ebenfalls schwarz war das Haar, was dem Knirps, der mir nicht einmal bis zur Brust ging, bis kurz über die Schulterblätter fiel. Neben mir schnaufte Keena erleichtert und ließ ihren Stab sinken. Auffordernd nickte sie mir zu. "Ehre, wem Ehre gebührt. Töte ihn."

Ich betrachtete die vor Schmerz und Erschöpfung zitternde Kreatur, die da wehrlos im Schlamm lag und nicht einmal die Kraft besaß, nach ihrem Stab zu greifen. "Was ist das?" fragte ich, Keenas Aufforderung ignorierend. "Ein Inconnu," erwiderte das Katzenmädchen und sah auf den Albioner herunter, wobei sich ihre gelben Augen vor Abneigung verengten. "Und nun bring es zu Ende." In ihrer Stimme schwangen Wut wie anschwellende Ungeduld mit. Ich ignorierte ihre Worte abermals und ließ mich in die Hocke sinken. "He, du!" sagte ich und streckte die Hand nach dem Inconnu aus, ohne ihn aber zu berühren. "Verstehst du mich?" neben mir fauchte Keena ungläubig auf. "Was soll das jetzt, bitte?!" fragte sie zornig und packte mich an der Schulter. "Er ist ein Feind...ein F-e-i-n-d! er hätte uns ohne zu zögern getötet, hätte er die Möglichkeit dazu gehabt. Lass es nicht dazu kommen, bring ihn um!" ich starrte sie ebenso zornig an und schlug ihre Hand weg. "Du magst ja nur noch an Rache und Töten denken," sagte ich kalt, den kurzen Schmerz in ihren Augen ignorierend, "aber ich nicht. Außerdem ist er besiegt. Er kann uns nichts mehr tun." Der Inconnu schwieg und konzentrierte sich nur darauf, rasselnd Luft zu holen. Keena jedoch stieß einen gotteslästerlichen Fluch aus und sprang ein Stück zurück. "Bist du nun total übergeschnappt?" ereiferte sie sich. "Sobald er wieder auf den Beinen ist, wird er uns angreifen. Erwartest du etwa, dass er sich bei dir bedankt und jedem Albioner erzählt: 'Oh passt auf, Leute, das ist Llienne, bitte lasst ausgerechnet sie am Leben.' Lächerlich!" sie spuckte dem Albioner vor die Füße. Ich ließ mich durch ihren Wutausbruch nicht beeindrucken und ignorierte sie abermals.

"Verstehst du mich?" fragte ich, an den Inconnu gewandt.

Er schwieg, Keena knurrte.

"Ich will dir nichts tun," sagte ich, Keena einen kurzen Blick zuwerfend, "und sie wird dich ebenfalls am Leben lassen." Die Valkyn schnaubte und schüttelte ihre blonde Mähne, dass das Wasser nach allen Seiten davonspritzte. "Und wenn du meine Sprache verstehst, dann sag mir deinen Namen. Ich heiße Llienne und das ist Keena. Also?" erwartungsvoll sah ich ihn an, doch er schwieg nachdrücklich. Da riss Keena der Geduldsfaden. Mit einem Satz war sie bei dem noch immer am Boden Kauernden und riss ihn grob in die Höhe. "Sie hat dich was gefragt, also antworte!" herrschte sie ihn mit gefährlich blitzenden Augen an. Der Inconnu verzog schmerzlich das Gesicht und holte tief Luft. "Ich...verr...stehe euch gut," sagte er stockend und mit einem schweren, fremdartigen Akzent. Keena lächelte geringschätzig und hielt ihn weiterhin gepackt. "Na also, es geht doch. Also...wie heißt du nun?" fragte sie im gleichen Tonfall weiter. Ich verschränkte die Arme vor der Brust und schüttelte ungnädig den Kopf. "Musst du so brutal sein?" fragte ich gelassen. Sie schnaubte und ließ den Inconnu zurück in den Schlamm fallen. Er jammerte leise und hielt sich den linken Arm, brachte aber zugleich das Kunststück fertig, beinahe hoheitsvoll zu Keena aufzusehen. "Mein Name...ist Brrakalu. Warrum wollt ihrr das wissen...tötet mich," sagte er ruhig, als ginge ihn die ganze Sache gar nichts an. Keena fuhr mit einem Satz herum. "Das kannst du gerne haben." Sie gab ihm einen kräftigen Stoß vor die Brust und hob den Stab, setzte ihn nur wenige Zentimeter über seiner Kehle an. "Halt!" befahl ich mit scharfer Stimme. Keena knurrte, ihr Stab fasste an des anderen Hals. "Was ist denn noch? wenn du es nicht schaffst, muss ich es halt selber tun," sagte sie wütend. Ich spürte einen kurzen Stich, ließ mich aber nicht zu einer unbedachten Antwort hinreißen. "Du wirst ihn nicht töten, Keena. Er kommt mit uns."

Einen Herzschlag lang herrschte absolute Stille, nur der Regen peitschte auf uns herab. Ein tiefes Grollen ertönte, und ein Blitz erhellte für einen Moment das Himmelszelt. Keenas Stimme klang beinahe genauso wie das Unwetter, als sie mich nun anstarrte, als sei ich verrückt geworden, und gefährlich leise fragte: "Wie war das?"

"Er kommt mit uns." Ich wunderte mich selbst über meinen vollkommen ruhigen Ton. Der Inconnu bließ mucksmäuschenstill sitzen und sah unbeteiligt zu Boden. Keena legte den Kopf in den Nacken und lachte. Ich sah ihr geduldig dabei zu.

"Du hast 'nen Knall," stellte sie fest, nachdem sie sich beruhigt hatte. "Ehrlich. Ich glaube, nun schnappst du total über." Ich zuckte die Achseln. "Mag sein. Aber du wirst ihn nicht töten, weder heute, noch morgen, noch sonstwann. Er..." ich zögerte, ehe sich ein böses Lächeln auf meinem Gesicht breitmachte. "Er gehört mir. Ich habe dich gerettet und ich habe den letzten Schlag angebracht. Also ist er mein. Und du wirst ihn nicht anrühren, klar?" Keena schwieg und starrte mich nur an, als wäre ich eine völlig Fremde. Innerlich wollte ich mich sofort ohrfeigen und sie um Entschuldigung bitten. Schlimm genug, dass ein anderer Tonfall bei ihr offensichtlich nicht zieht, dachte ich bitter. Brakalu durchbrach die langsam peinlich werdende Stille: "Ihrr solltet euch schnell entscheiden...Feinde kommen." Keena verzog nicht eine Miene und ich sah ihn argwöhnisch an. "So, welche der Deinen, wie?" er schüttelte nur den Kopf und schwieg. Ich drehte mich einmal um die eigene Achse. "Also, ich sehe nichts. Wenn du glaubst, dass ich..." was immer ich sagen wollte, es wurde nie ausgesprochen. Ich spürte nur einen kurzen, sehr heftigen Schlag im Rücken, sah Keenas überraschte Augen und merkte, wie die Welt sich drehte. Einen Moment war noch ein grauer Himmel über mir und Regen, der mir ins Gesicht fiel. Dann nichts mehr.
 

Gibt es Walhalla? gibt es Erlösung?

Was passiert, wenn die Welt nichts mehr ist als ein Spiel flüsternder Schatten, die den Kopf mit schwarzem Nebel füllen?

Ich blinzelte, schaffte es aber nicht, die Augen gänzlich zu öffnen. Gedämpftes Licht und Stimmen, die mit Zungen sprachen, die ich nicht verstand. Neben mir zwei leblose Körper- Keena und der Inconnu. Ich seufzte matt und konzentrierte mich halbherzig auf die Stimmen, die zwar fremd klangen, aber irgendwie beruhigend wirkten. Auf- und abschwellend, ruhig, wie Meeresrauschen.

"Ich glaube, sie wird wach!"

Ich zog die Nase kraus. Nanu, das hatte ich nun doch verstanden, obwohl die wenigen Worte stockend kamen und von einem markanten Akzent begleitet wurden.

"Verstehst du mich, Kind?"

Ich schloss die Augen und die Schatten hatten mich wieder.
 

Ich weiß nicht, wie lange ich bewusstlos in der kleinen Strohhütte gelegen habe und ich kann den Stimmen, die damals zu mir sprachen, heute keine Gesichter mehr zuordnen. Ich weiß nur eines noch: es waren Hibernianer. Und Keena, der Inconnu Brakalu und ich waren als Gefangene im Lande Hibernia, mitten unter Feinden. Ich träumte gerade einen unruhigen Traum, in dem ich wie erstarrt im Schlamm lag und hilflos dem Regen ausgesetzt war, der mir ungehemmt in die offenen Augen fiel. Es war entsetzlich und mein Kopf ruckte wild herum in dem Versuch, mich auch im Traum aus der Erstarrung lösen zu können. Plötzlich schob sich eine feingliedrige Hand unter meinen zerzausten Kopf und hob ihn leicht an. "Sscht," machte jemand. Mit einem Ruck öffnete ich die Augen und wollte mich aufsetzen, doch mein Körper fühlte sich an wie Blei. Leise seufzend sank ich zurück und kämpfe gegen die Wellen des Schlafes an, der mich schon wieder zu überrollen drohte. Was, bei Bragi, war mit mir geschehen? ich nahm mein Gegenüber erst jetzt richtig wahr- und erstarrte nun auch in der Wirklichkeit, allerdings vor Schreck: Die schlanke, hochgewachsene Gestalt, die sich neben ein Lager aus Fellen kniete, war ein Elf. Violettes Haar floss wassergleich den schmalen Rücken hinab und die Augen glitzerten in einem unwirklich anmutenden gelb. Der Mann, der eigentlich kaum mehr als ein Junge und etwa so alt wie Keena sein musste, sah mich forsch an. "Bleib ruhig, dir geschieht nichts." Seine Stimme gefiel mir nicht, obwohl sie nicht unfreundlich klang. Aber wahrscheinlich war das nur auf meine Verwirrung und Angst zurückzuführen. "Wer bist du?" stieß ich hervor und stierte auf seinen von goldenen Spangen geschmückten Arm. Seine Hand stützte meinen Hinterkopf noch immer sachte. Der Elf zog unwillig die Brauen zusammen. "Zaphykel heiße ich," sagte er kühl. "Und du bist Llienne, ich weiß." Ich schnappte nach Luft und starrte ihn mit wachsender Verwirrung an. Woher...? "Woher ich deinen Namen weiß?" fragte er, als hätte ich die Frage laut ausgesprochen. Ich konnte nur nicken und er hob die Achseln. "Du hast im Schlaf gesprochen. Viel sogar. Eigentlich kannst du froh sein, dass du noch lebst, bei all den ketzerischen Worten, die dir über die Lippen gekommen sind. Dankbar solltest du mir auch sein, ich habe Mikata gerade noch daran hindern können, mit ihrem Schwert auf dich loszugehen und dich aufzuschlitzen wie einen Fisch. Sie wollte unbedingt sehen, ob Midgarder ein Herz haben." Ich hörte ihm gar nicht so recht zu, mein Blick schweifte ab. Ich wusste nicht, wer Mikata war. Es wunderte mich nicht, dass der Elf so gut meine Sprache sprach. Ich...wusste gar nichts. Unvermittelt blinzelte ich- und gab mir eine heftige, laut klatschende Ohrfeige. Der Elf wich vor mir zurück, als sei ich verrückt geworden. "Warum verletzt du dich selbst?" fragte er misstrauisch. Ich spürte das heftige Brennen auf meiner Wange und hätte am liebsten aufgestöhnt. Aber ich war nun geistig wieder klar. "Damit ich nicht erneut einschlafe," erklärte ich. Er nickte, sein Blick blieb unverändert argwöhnisch. "Aha." Eine kurze Weile des Schweigens breitete sich zwischen uns aus und ich drehte mich zu Keena herum. Sie schlief, genauso fest wie der Albioner. "Was habt ihr mit uns gemacht?" fragte ich, wobei stückweise die Erinnerung zurückkehrte. "Wir sind hier doch in Hibernia. Warum? wieso habt ihr uns nicht gleich getötet?" der Elf hob die Schultern. "Wäre es nach mir gegangen, hätte ich es sicherlich getan. Aber Rhee wollte unbedingt, dass wir euch lebend hierher schaffen. Sie war schon immer ein bisschen sonderlich." Ich nickte und wusste nicht, ob ich Rhee, wer immer er oder sie war, dankbar sein oder vefluchen sollte. "Warum wachen die beiden nicht auf?" fragte ich weiter und deutete auf Keena und Brakalu. "Was ist mit ihnen?"

Zaphykel verschränkte die Arme vor der schmalen Brust. "Oh, es geht ihnen nicht schlecht. Du hast genauso dagelegen und geschlafen- wie eine lebende Tote. Die Pfeile unserer Waldläufer sind sehr effektiv."

"Waldläufer?" fragte ich verdattert und Zaphykel nickte. "Sie haben euch beobachtet, als ihr- das heißt du und die Valkyn- euch um diesen Albioner gestritten habt. Es ging wohl darum, wer ihm zuerst den Schädel einschlagen darf, ich weiß es nicht. Typisch Midgard, kann ich nur sagen." Ich knurrte und richtete mich ein wenig auf. "Soll ich dir gleich mal was sagen? ich werde..."

"Zaphykel!! sind sie wach?" wie der Blitz stürmte eine kleine Gestalt in die runde Hütte, die unser Gefängnis bildete. Im ersten Moment glaubte ich idiotischerweise, es mit einem Kobold zu tun zu haben, doch das Ding sah eher aus wie eine Miniaturelfe mit großen Augen und einer kartoffelgleichen, knubbeligen Nase. Gekleidet war die Lurikeen, wie man dieses närrische Volk nannte, in eine bunt gefärbte Schuppenrüstung. An der einen Seite ihrer Hüfte hing ein Schild, der bei der Lurikeen eher wie eine ganze Tür wirkte, und ein beidseitig geschliffenes Schwert an der anderen. Ich biss mir auf die Lippen, um nicht in Gelächter auszubrechen, doch meine Empfindungen spiegelten sich wohl ein klein wenig zu deutlich auf meinem Gesicht wieder, denn die Gepanzerte sah mich ärgerlich an. "Hast du ein Problem, Barbarin?"

ich verstummte und erwiderte ihren Blick aus blitzenden Augen. "Ja, dich, wenn du es genau wissen willst." Die Lurikeen sog scharf die Luft ein, trat einen Schritt auf mich zu- und schlug mir kräftig ihre kleine Faust in die Magengrube! ich krümmte mich und fiel auf das Lager aus Fellen zurück, wobei mir erst jetzt auffiel, dass man mich meiner verdreckten Nietenrüstung beraubt hatte. Stattdessen verhüllte nur ein knappes, bis auf die Oberschenkel fallendes Seidenhemd meinen Körper und ließ den Faustschlag ungehemmt seine volle Wirkungskraft entfalten. Ich keuchte und spürte Übelkeit in mir aufsteigen, ebenso eine wilde Wut, dass dieser kleine Knirps es gewagt hatte, mich, ausgerechnet mich zu schlagen. Ächzend wälzte ich mich auf die Seite und die Lurikeen baute sich breitbeinig vor mir auf. "Na, willst du noch mehr?" ich sah zu ihr auf und sah das hämische Lächeln auf ihren Lippen. Wut, dass wir einfach entführt wurden, Angst und Verwirrung ließen den Zorn wie einen Feuerball in meinem Kopf explodieren. Ohne groß nachzudenken, sprang ich auf die Beine und schleuderte der Lurikeen meine geistige Energie entgegen: Ihre Augen wurden erst tellergroß, dann trübte sich ihr Blick und sie schwankte. Es hatte funktioniert, das kleine Biest war hypnotisiert und für den Moment wehrlos. Neben mir sprang Zaphykel ein wenig zur Seite und hob seinen Stab, doch ich wirbelte sogleich herum. "Keine Bewegung," fauchte ich, "wag es nicht!" da man uns selbstredend auch die Waffen abgenommen hatte, blieben mir nichts als meine Hände zur Verteidigung. Die eine ballte ich nun drohend zur Faust, die andere legte ich alles andere als sanft um den Hals der Hilflosen. Der Elf starrte mich an und holte tief Luft. "Du weißt ja nicht, was du tust, Nordmädchen. Das ist sehr, sehr unklug," sagte er beinahe beschwörend und drängte sich an mir vorbei. Ich folgte jeder seiner Bewegungen mit misstrauischen Augen. "Das weiß ich selten, Elfchen!" gab ich schnippisch zurück. "Lass uns gehen!" Zaphykel lachte ungläubig. "Was für ein wunderbarer Witz. Selbst wenn ich euch hier rauslasse, ihr schafft es nichtmal bis nach Ardee, von Druim Ligen ganz zu schweigen. Glaub mir, du begehst gerade einen großen Fehler..."

"Sei ruhig und lass uns hier raus!" ich spürte Panik in mir aufsteigen. Mein Zauber konnte nicht mehr lange andauern, die Lurikeen begann bereits jetzt, sich unruhig zu bewegen. Abgesehen davon hatte das Spitzohr wohl recht. Ich würde keine zehn Schritte weit kommen und außerdem waren Keena und der Inconnu noch bewusstlos. Der Elf schien zu spüren, dass ich geistig kurz abgelenkt war, denn er schrie: "Packt sie!" ich riss die Augen auf und spürte starke Hände, die der Aufforderung sofort Folge leisteten und sich von hinten um meine Schultern, Oberarme und meinen Nacken schlossen. Ich musste die Lurikeen loslassen und begann zu strampeln, zu treten und in meiner Muttersprache zu fluchen. Sofort wechselten die Kelten, die mich festhielten, von der Gemeinsprache ebenfalls in die ihre und gaben mir unter unverständlichem Geschimpfe -ich nahm zumindest an, dass es sich um Flüche und Beleidigungen handelte- einen kräftigen Stoß, der mich ein weiteres Mal auf das Felllager beförderte. Ich wollte aber nicht kampflos aufgeben und sprang mit einem Knurren auf die Beine, die Fäuste hebend. "Kommt, kommt bloß alle zusammen!" spuckte ich und sah wild von einem zum anderen. Zwei der Kelten zögerten, aber einer, ein Kerl mit einer dunkelblauen Gesichtstätowierung, machte einen Schritt nach vorn und schlug nach mir. Ich duckte mich flink und versuchte, ihm zwischen die Beine zu treten. Meine bloßen Füße stießen lediglich auf hartes Metall und ich heulte auf vor Schmerz. Die Gelegenheit nahm der Tätowierte wahr: er schlug erneut zu und seine kettenversehene Faust traf meine Schläfe. Wie vom Blitz getroffen brach ich zusammen und gab keinen Laut mehr von mir.
 

"Kannst du denn gar nichts tun?!"

Die Stimme, die mir wohlbekannt war und zweifellos Keena gehörte, klang höchst verärgert. Doch sie schwoll an und wurde leiser, klang verzerrt und unwirklich. Ich war abermals ohnmächtig geworden und das kurze Licht von Bewusstsein, was mich für einige Sekunden erfüllte, begann nun wieder, zu verblassen. "Oh nein, sie ist gleich wieder weg. Llienne, hörst du mich? verdammt nochmal, mach Platz, Fischkopf." Ich hörte, wie sich mit einem unwilligen Brummen jemand erhob, der gerade noch neben mir gesessen und mir Wärme gespendet hatte. "Nicht..." nuschelte ich. "Bleib...mir...'s kalt." Keena, die ich wie durch einen Nebelschleier sah, riss die Augen auf. "Llienne?!"

"Hier ist eine..."

Keena lachte erleichtert und legte die Hände auf meine Schultern. "Bist du wach?" ich stöhnte ganz leise. "Ich denke, ja." Sie seufzte und zog die Hände zurück. "Gott sei Dank. Wie hast du es nur geschafft, sie so zu reizen?" ich öffnte matt die Augen und blinzelte ein paar Mal. "Schande, ist mir schlecht," flüsterte ich. "Was ist passiert? ich erinnere mich kaum..." die Valkyn strich mir ein paar wirre Strähnen aus dem Gesicht und schüttelte den Kopf. "Ich weiß es selbst nicht genau...wir wurden wohl in Dun Abermenai von Waldläufern angegriffen...auch solche Schattenkriecher, von denen ich dir erzählt habe." Ich nickte nur leicht und machte eine müde Geste, um sie fortfahren zu lassen. "Tja, nun," fügte das Katzenmädchen nachdenklich hinzu, "dann wurden wir hierher verschleppt. Nach Hibernia, du meine Güte...das Fischchen," damit deutete sie auf Brakalu, der sie schmollend ansah, "und ich...wir sind irgendwann einfach so erwacht und fanden uns von einem wahren Regiment umzingelt wieder. Irgendwas hast du gemacht, was sie wohl dazu bewogen hat, uns ein bisschen besser zu bewachen. Wenn man dieser unausstehlichen kleinen Kröte von Lurikeen glauben kann, hast du erst einen Elfen bedroht und dann sie angegriffen." Durch meinen Schleier von Mattigkeit drang ein spitzer Pfeil der Empörung. "Bitte was?! ich habe gar nichts gemacht...die blöde Kuh hat mir zuerst eine verpasst und nicht umgekehrt!" keifte ich entrüstet. Keena hob besänftigend die Hände. "Ist doch gut, ich glaube dir selbstverständlich. Tja, aber nicht zu ändern, wir werden nun annähernd so gut bewacht wie ein Relikt." Sie schnaubte. "Keine Chance, zu entkommen."

"Sehr gut erkannt," bemerkte eine schneidende Stimme. Keena, Brakalu und ich sahen auf und bemerkten die Lurikeen, die mit vor der Brust verschränkten Armen in der offenen Tür stand und uns voller Abneigung musterte. Dabei grenzen besonders die Blicke, die sie mir zuwarf, an Hass. "Was willst du?" fauchte Keena in der Gemeinsprache, die sie beinahe perfekt sprach. Die Lurikeen zuckte nicht zurück. "Am liebsten würde ich euch die Kehlen durchschneiden," zischte sie, "aber der König will vorher mit euch sprechen. Also, bewegt eure Ärsche und folgt mir!" aufreizend langsam ließ sich Keena in ihre Felle zurücksinken und starrte das unverschämte Ding aus ihren gelben Augen intensiv an. Der Blick brachte selbst die hochtrabende Mauer dieser kleinen Giftziege kurz ins Wanken. "Was ist, Pelzgesicht?" knurrte sie. "Steh auf. Und ihr zwei auch, los!" Brakalu ließ sich auf einen Streit nicht ein und trat gehorsam auf die Lurikeen zu, wobei er sie nur ernst ansah. Die junge Frau nickte ihm herrisch zu und winkte dann ungeduldig Keena und mich heran. "Macht schon, oder soll ich wieder die Kelten holen? Ergaron würde sich bestimmt freuen," fügte sie spitz hinzu und warf einen bezeichnenden Blick auf die gewaltige Beule, die meinen Kopf zierte. Ich knirschte mit den Zähnen und stand mühsam auf. "Dann bring uns zu deinem König...!"

Keena wollte durchaus nicht als Einzige in unserer kleinen Hütte zurückbleiben. Sie warf der Lurikeen ein paar tödliche Blicke zu und folgte ihr schweigend. Als wir ins Freie traten, wurde ich beinahe erschlagen von all dem Leben, das hier tobte. Die Stadt, in der wir unfreiwillig wohnten, war nur klein, dafür herrschte jedoch viel Betrieb. Schmiedleute und Händler boten ihre Dienste an, einige Ausbilder betreuten ihre Schützlinge und Barden unterhielten die Anwesenden mit ihrer Musik. Dazwischen liefen Hühner und Katzen friedlich nebeneinander her und von irgendwo wehte Pferdegewiehr zu uns hinüber. "Na? Mag Mell ist ein bisschen hübscher als die lieblosen Trutzburgen, in denen ihr hockt, wie?" fragte die Lurikeen gehässig. Ich biss mir auf die Lippen und schwieg, Keena tat es mir gleich, nur Brakalu zuckte sachte die Achseln. "Sehrr bunt," kommentierte er. Die Lurikeen warf ihm einen finsteren Blick zu und ich grinste leicht. Ein Elf mit einer Laute kreuzte unserern Weg. "Gehst du Gassi mit den Barbaren, Mikata?" fragte er scherzend und sah uns neugierig an. Mikata grinste humorlos zurück. "Mein Vater will mit ihnen reden. Wenns nach mir ginge..." ich horchte auf. Diese Göre war die Tochter des hibernianischen Königs? na, viel Spaß, dachte ich grimmig. Da haben wir gleich noch viel schlechterte Karten. Der Elf kicherte leise und winkte. "Na dann. Aber du weißt, dass wir sie gerne heute abend beim Fest dabeihätten, ja?" Mikata zuckte nur die Achseln. "Geh weiter Lieder singen, Nharin. Du redest zuviel." Keineswegs beleidigt, verbeugte sich der Barde linkisch und zog von dannen. Mikata warf einen ärgerlichen Blick über die Schulter zurück. "Elfen," schnaubte sie. "Bis auf Zaphykel und Rhee können die anderen meinetwegen dahin gehen, wo der Pfeffer wächst." Keena hüstelte und betrachtete andächtig das Gras, und ich grinste breit. "Was ist so lustig?!" fauchte Mikata. Auch der Albioner sah uns stirnrunzelnd an, doch Keena und ich tauschten nur spöttische Blicke und schwiegen. "Na, euch wird das Lachen noch vergehen, das versichere ich euch!" raunzte die Lurikeen. "Beeilt euch gefälligst, hinter dem Hügel liegt schon Tir na nOgh."

Als wir den kleinen Hügel überwunden hatten, fiel mein Blick auf Tir na nOgh. Ich hätte es später niemals zugegeben, doch alles, was ich in diesem Moment verspürte, war Ehrfurcht. Die weißen Türme waren beeindruckend und die große, goldglänzende Kuppel, die automatisch unsere Blicke auf sich zog, hätte jedes diebische Koboldherz heftiger schlagen lassen. Auf Mikatas selbstzufriedenes, arrogantes Schnauben reagierten wir gar nicht, sondern sahen uns satt an soviel Prunk und Protzigkeit. Die Wächter, die am gewaltigen Eingang postierten, sahen uns höchst misstrauisch an und hoben die Waffen, doch Mikata winkte lässig ab. "Schon gut, nehmt die Dinger runter," knurrte sie mit einem kurzen Blick auf die angriffslustig erhobenen Schwerter und Speere. Achtungsvoll neigte einer der Keltenwächter das Haupt. "Verzeiht, meine Prinzessin. Wir...sind es nur nicht gewöhnt, dass Midgarder und Albioner frei in unserem Reich herumspazieren, selbst wenn es noch Welpen wie die da sind," sagte der Wächter beiläufig und deutete mit dem Kopf auf uns. Keena knirschte mit den Zähnen, Brakalu senkte den Kopf und ich musterte den Mann nur feindselig. Mikata lächelte geringschätzig. "Das wird sich bald ändern," sie warf uns einen schwer deutbaren Blick zu, "sehr bald. Und nun kommt!"

Ein Duell und eine Entscheidung

Meine bis dato eher gelassene Stimmung verflog allmählich, als wir Tir na nOgh durchquerten. Die marmorne Stadt stellte an Prächtigkeit so ziemlich alles in den Schatten, was ich in meiner Heimat je zu Gesicht bekommen hatte und Jordheim kam mir mit einem Mal wirklich wie das von Keena so oft höhnisch gerufene 'Barbarennest' vor- plump, primitiv, nicht zu vergleichen mit diesem Bollwerk voller Kostbarkeiten. Es war jedoch nicht das wunderbare Äußere der hibernianischen Hauptstadt, was meine Unruhe und das Gefühl, winzig klein zu sein, stetig wachsen ließ. Stattdessen waren die Furcht und Feindseligkeit, die die Bewohner um uns herum ausstrahlten, beinahe körperlich zu spüren und ich merkte, wie sich ein schwerer Kloß in meinem Hals bildete. Sah ich einmal auf, wandten sie sofort den Blick ab, um mich, kaum dass ich in eine andere Richtung schaute, wieder eindringlich zu mustern. Ihre Blicke brannten regelrecht im Rücken. Ich warf einen kurzen Blick auf Keena und Brakalu und stellte fest, dass sie sich genauso elend fühlten wie ich. Keenas Ohren zuckten nervös, ihre Augen schienen leicht geweitet und blitzten, während der Inconnu den Kopf tief gesenkt hielt und die Lippen fest zusammenpresste, während sich seine rechte Hand wohl eher unabsichtlich zur Faust ballte. So wurde unser Gang zum König zu einem Spießrutenlauf und ich konnte Mikatas überheblich-schadenfrohes Lächeln beinahe ebenso mühelos mit den Händen umschließen wie die tödlichen Blicke der übrigen Hibernianer. Ein Trupp junger Kelten folgte uns sogar ein gutes Stück und ich registrierte bei ihnen nicht nur Angst und Misstrauen, sondern mühsam beherrschten Zorn. Die Waffen, die sie mit sich führten -Schwerter, Keulen und Speere- trugen sie sicherlich nicht zum Vergnügen und ich war sicher, dass sie sich früher als später auf uns gestürzt hätten, wäre die Lurikeen nicht bei uns gewesen. Keena folgte meinem Blick und knurrte leise: "Das gefällt mir nicht, das gefällt mir absolut nicht..."

"Ruhe!", raunzte Mikata, "du machst nur den Mund auf, wenn du etwas gefragt wirst, verstanden?!" der Blick, den das Katzenmädchen ihr zuwarf, war mehr als mörderisch. Zu meiner Überraschung machte Brakalu plötzlich von sich aus den Mund auf: "Was wünscht Euerr König eigentlich von uns?" Mikata brachte ihn mit einer ärgerlichen Geste zum Schweigen. "Das gilt auch für dich, Fischgesicht. Mein Vater wird euch seine Beweggründe selbst erklären. Und nun trödelt nicht und kommt weiter." Ich vergrub die Hand in meiner Tasche und ballte sie zur Faust, damit sie sich nicht in das mir mittlerweile höchst verhasste Gesicht dieser kleinen, herrischen Kröte verirrte. Meine Selbstbeherrschung war nur noch papierdünn, meine Nerven lagen blank. "Wenn wir nicht bald zu diesem Idioten kommen, dreh ich durch," wisperte ich Keena zu und sie nickte nur leicht. Brakalu hüstelte leise und die Lurikeen warf uns einen gereizten Blick zu. "Seid ihr schwerhörig? ihr sollt verdammt nochmal still sein, zum quatschen habt ihr gleich genug Gelegenheit." Ich entspannte meine Faust, ballte sie wieder, entspannte sie- Himmel, das war gar nicht so einfach, doch ich schaffte es erneut, ruhig zu bleiben und ignorierte die andere einfach. Wir stiegen ein paar weiße, matt glänzende Treppenstufen hinauf und Mikata hob die Hand. "Wartet hier," sagte sie ruppig. "Wenn die Leibwachen meines Vaters euch sehen, werden sie euch schon rein aus Reflex euer armseliges Lebenslicht auspusten. Bleibt stehen und denkt nicht mal an Flucht, ihr kommt keine zehn Schritte weit." Als ob wir das nötig hätten, dachte ich gallig und sah der jungen Lurikeen nach. "Ich drehe bald durch," fauchte Keena, kaum dass Mikata außerhalb ihrer Hörweite war. "Dieses unverschämte, alberne kleine Luder, ich werde..."

"Das gibt dann nurr wiederr Ärrgerr," sagte Brakalu verdrossen.

"Wer hat dich denn gefragt, du dämlicher..."

Ich stampfte mit dem Fuß auf. "Bei Bragi, jetzt langt es aber....hört auf, alle beide!" sie schwiegen tatsächlich, Keena mit zornigem Gesicht, Brakalu nur teilnahmslos mit einem kleinen, überheblichen Glitzern in den obsidianschwarzen Augen. Ich schüttelte den Kopf und sah ärgerlich in die Richtung, in die Mikata verschwunden war. Praktisch im selben Moment rauschte sie auch wieder heran und begrüßte uns gleich mit einer kleinen Schimpftirade: "Ihr wollt's wohl wirklich wissen, wie? kaum bin ich weg, veranstaltet ihr einen Lärm, den man noch fast bis nach Ardee hören kann." Ehe mein falscher Mantel der Gelassenheit endgültig zerbrechen konnte, meldete sich hinter Mikatas Rücken eine ruhige Frauenstimme zu Wort: "Entschuldigt vielmals, meine Prinzessin, aber Euer Herr Vater wartet." Die Lurikeen wurde etwas rot um die Nasenspitze und winkte uns ungeduldig näher. Wir betraten den eher kleinen, natürlich ebenfalls marmornen Raum und ich erhaschte einen kurzen Blick auf die Sprecherin: Eine Elfe mit blonden Haaren und saphirblauen Augen, die uns nahezu freundlich, auf jeden Fall aber neugierig musterten. Sie lächelte mir zu und nach kurzem Zögern erwiderte ich ihr Lächeln, erleichtert, dass es wenigstens eine Person zu geben schien, die mir hier nicht nach dem Leben trachtete. "Weiter," drängte Mikata unwirsch und zog damit meine Aufmerksamkeit wieder auf sich, "mein Vater schätzt es gar nicht, wenn man ihn warten lässt." Keenas spöttischer Blick schien zu sagen: Und das wäre in diesem Falle dein Problem, du blöde Kuh. Mikata sah sie an und es schien einmal mehr, als ob sie des Gedankenlesens mächtig wäre: "In diesem Falle absolut euer Problem, denn ihr als Fremde und Feinde habt natürlich erstmal an allem schuld, nicht wahr?" sie lächelte und ehe Keena auffahren konnte, bogen wir rechts in einen kleinen Gang ein. Davor standen zwei hochgewachsene, schwer gepanzerte Elfen, die uns völlig ausdruckslos und mit eiskalten Augen anstarrten. Das ist dann wohl Papis Leibgarde, dachte ich flüchtig und merkte seltsamerweise, dass mir kalt geworden war. Ich fühlte mich tatsächlich so, wie die beiden Elfenwächter wirkten. Sie sahen mich und meine Begleiter nur noch einen halben Herzschlag lang an, ehe sie stillschweigend zur Seite traten und Mikata nur ein ehrfürchtiges Nicken schenkten. Sie erwiderte die Geste ein wenig überheblich. Verwöhntes Gör, dachte ich. Dabei musst du älter als ich sein und stellst dich trotzdem so an. Wie erbärmlich. Ich verdrängte den Gedanken missmutig und sah mich im Thronsaal um. Er wirkte im Gegensatz zu dem Rest von Tir na nOgh mehr als nur bescheiden. Tatsächlich war ich von dem eher kleinen und deutlich schmuckloseren Raum überrascht. Auch der Thron, auf dem der König saß, war wenig mehr als ein einfacher, wenn auch bequem gepolsterter Sessel. Der Herr Hibernias selbst trug ein grünes, mit edlen Stickereien verziertes Gewand. Das spärliche weiße Haar und seine für alle Lurikeen typische zart-kleine Gestalt ließen ihn schwach und schutzbedürftig wirken. Doch die Stimme, die jetzt zu uns sprach, war klar, voll und angenehm: "So seid willkommen in Unserem bescheidenen Palast." Ich musste ein Grinsen unterdrücken, wenngleich mich die seltsame Ausdrucksweise verwirrte. 'majestatis Pluralis' nannte man das, wie ich später erfuhr...Und natürlich war die Bemerkung Absicht gewesen, aber so ganz hatte sie ihre Wirkung nicht verfehlt- ich war jetzt schon beinahe sicher, dass der König so etwas wie Humor besaß. Neben mir räusperte sich Mikata umständlich und starrte mich wütend an. Ich bemerkte erst jetzt, dass sie auf ein Knie herabgesunken war. Schweigend tat ich es ihr gleich und auch Keena und Brakalu folgten meinem Beispiel. Eine kurze Pause sehr unangenehmen Schweigens trat ein und ich sah hilfesuchend zu Keena, doch die zuckte nur unbehaglich mit den Achseln und der Blick des Inconnu blieb so verschlossen wie eh und je. "Sagt etwas," zischte Mikata, offenbar fassungslos über soviel Unhöflichkeit auf einmal. Da es von den anderen beiden Helden keiner schaffte, den Mund aufzubekommen, sagte ich unsicher und etwas zögerlich: "Wir...wir danken Euch, Eure Majestät." Ein Anflug eines Lächelns stahl sich auf das alte Gesicht des Königs und er nickte seinen Wachen, die noch immer wie drohende Schatten hinter uns standen, huldvoll zu: "Es ist gut, ihr dürft Uns allein lassen." Sie verneigten sich tief und zogen sich unverzüglich zurück. Schweigend sah der alte Lurikeen seine Tochter an und es dauerte einen Moment, bis diese begriff: "Vater...ich etwa auch? aber Ihr sagtet..." der König runzelte sachte die Stirn und unterbrach sie sanft, aber bestimmt: "Was Wir sagten, ist Uns durchaus bewusst. Nur möchten Wir nun ein paar ruhige Worte mit Unseren Gästen sprechen- und das allein. Bitte geh, Wir werden dich später hinzurufen." Ich konnte ein schadenfrohes Grinsen nur mit äußerster Mühe unterdrücken und hielt den Kopf tief gesenkt, während Mikata ihren Vater noch einen Moment sprachlos anstarrte und dann wütend hinausrauschte. Ich hörte, wie sie draußen einen der Wächter anfauchte und irgendwem -vielleicht auch demselben Elfen, der das Pech hatte, ihr im Weg zu sein- eine schallende Ohrfeige verabreichte. Ihr Vater sah ihr stirnrunzelnd nach. "Es ist das Vorrecht der Jugend, temperamentvoll zu sein, aber manchmal glaube ich, dass Dalna ihr diesen Kelch ein wenig zu voll geschenkt hat," sagte er mit leisem Seufzen und ich bemerkte, dass sich seine Ausdrucksweise geändert und wieder mir vertraute Formen angenommen hatte. Lächelnd deutete er auf ein paar bunte Seidenkissen zu seinen Füßen. "Bitte, so nehmt doch Platz." Unbehaglich sah ich Keena an, diese zuckte andeutungsweise die Achseln und ließ sich auf einem gelben Kissen nieder. Ich wäre zwar lieber stehen geblieben, nahm aber neben ihr auf einem roten Kissen Platz und auch Brakalu setzte sich zögerlich neben mich. "Nach dem langen Marsch seid ihr sicher durstig?" erkundigte sich der König. Ich nickte scheu und Keena sagte: "Ja, Herr, das sind wir." Er nickte ebenfalls, stand leise ächzend auf und trat an einen breiten Marmortisch heran, auf dem neben Trinkgefäßen auch einige silberne und goldene Schalen mit Leckereien wie Früchten, Nüssen oder Süßigkeiten standen. Ich wunderte mich, dass der König uns höchstpersönlich bediente und keinen seiner Untertanen zu sich rief. Der Lurikeen lächelte flüchtig: "Ich würde jetzt lieber mit euch allein sein und Diener haben die furchtbare Angewohnheit, zu lauschen und Gerüchte in die Welt zu setzen, wobei sie sich in ihrem Bestreben, sie möglichst unglaublich und unsinnig zu gestalten, jedes Mal aufs Neue übertreffen." Da merkte ich, dass ich den Gedanken laut ausgesprochen hatte, und flammende Röte stieg mir ins Gesicht. "Oh, Majestät, das...äh..." er winkte ab und drückte mir einen kostbaren Weinkelch in die Hand, ehe er auch Keena und Brakalu ein fein gearbeitetes Gefäß reichte. Ich drehte den goldenen, mit kleinen Rubinen besetzten Kelch staunend zwischen den Fingern und schnupperte an dem Wein- so etwas hatte ich noch nie gekostet. Und als der König uns aufforderte, zu trinken, verzog ich beim Geschmack der tiefroten Flüssgkeit ganz leicht das Gesicht und stellte fest, dass ich dieses Getränk auch nie hätte kosten müssen. Ich ließ mir allerdings nichts anmerken -das wäre doch höchst unhöflich gewesen- und nippte scheinbar genießerisch an dem Wein, wie es der König ebenso tat. So vergingen einige Minuten und endlich stellte Keena ihren Pokal auf den matt glänzenden Boden, ehe sie den König ernst ansah. "Hoheit...darf ich Euch etwas fragen?" er sah sie über den Rand seines Kelches hinweg ernst an und nickte sachte. "Nur zu." Keenas Ohren spielten nervös. "Nun...wir sind...nicht ganz freiwillig hier."

"Ja, davon bin ich im Bilde."

"Und Ihr wolltet mit uns sprechen..."

"Jawohl, so ist es."

Keena brach ab, von der Art des Königs offenbar leicht aus der Fassung gebracht. Vermutlich war sie aber auch nur nervös wie ich und Brakalu. "Also," setzte sie erneut an, nachdem sie sich wieder gefasst hatte.

"Also?"

Sie sah ihn ernst an. "Sagt uns, was Ihr uns sagen möchtet und fragt, was Ihr wissen wollt. Und dann lasst uns gehen." Sie schwieg und ich sah sie bewundernd an- das war ein durchaus mutiger Zug gewesen. Der König nahm einen tiefen Zug aus seinem Kelch und ließ sich mit seiner Antwort Zeit. "Nein," verkündete er dann schlicht. "Warum?" fragte Keena brüsk und ich biss mir auf die Unterlippe- wie weit mochte die Geduld von Mikatas Vater reichen? wenn er auch nur halb so...aufbrausend war wie sie, war das Maß sicher bald voll. Und außerdem war er der König. Doch er schien der Valkyn ihre Worte nicht übelzunehmen sondern nippte nur erneut an seinem Wein. "Ich kann euch nicht gehen lassen- noch nicht." Dieses Mal schwiegen wir alle, um ihm nicht jedes Wort von der Zunge nehmen zu müssen, woraufhin er seinen Kelch mit beiden Händen umschloss und bedächtig zwischen uns dreien hin- und hersah. "Die Sache sieht so aus- ich brauche euch noch. Ihr müsst mir einen kleinen Dienst erweisen, es ist eventuell für meine Männer eine Herausforderung, aber nicht für euch. Ihr," er senkte die Stimme, "ihr wäret leicht imstande, mein Problem zu lösen."

Ich sah ihn groß an. Was sollten wir, drei fremde Halbwüchsige, schaffen, was für die besten Männer des Königs eine zu schwierige Aufgabe darstellte? der Gedanke war so absurd, dass ich dachte, der Herrscher wolle uns auf den Arm nehmen und ich fragte kühl: "Eure Hoheit...?"

"Ja, du hast mich wohl verstanden," sagte er mit einer Spur von Ungeduld in der Stimme. "Möchtet ihr wissen, was mit euch passieren wird, für den Fall, dass ihr abgeneigt seid, meiner Bitte nachzukommen?" nun klang seine Stimme gefährlich, obwohl sein Gesicht völlig ruhig blieb. Ich spürte, wie das bisschen Symphatie, das ich bereits für ihn entdeckt hatte, zerschmolz wie Butter in der Sonne. Gottergeben antwortete Keena: "Ich persönlich wüsste zunächst gern, was das sein soll, was wir und Eure Leute nicht können." Der König prostete ihr lächelnd mit seinem Kelch zu und ich verfolgte jede seiner Bewegungen mit Argwohn. Innerlich fühlte ich beinahe so etwas wie Enttäuschung. Er hatte einen freundlichen, schon fast vertrauensvollen Eindruck gemacht und nun...ich nahm einen Schluck von dem Wein, der mir so gar nicht schmeckte. Ich war doch wirklich ein naives Schaf- wir waren immer noch Fremde, Feinde sogar, und standen hier dem König -König!- unseres Feindeslandes gegenüber, plauderten mit ihm, tranken seinen Wein und ich nannte seine Tochter insgeheim eine dumme Ziege. Die Gedanken füllten plötzlich meinen gesamten Kopf und verdrängten alles andere. Wie hatte ich nur so ruhig sein können, was war immer mein Traum gewesen? gegen Hibernia zu kämpfen, mein Reich zu beschützen...und nun saß ich hier und...ein tiefes, lähmendes Entsetzen erfasste mich und ich fuhr heftig zusammen, als der feindliche König scheinbar besorgt fragte: "Was hast du, Mädchen? du bist so blass." Ich stellte den Krug, den ich eben zum Mund führen wollte, wieder ab- meine Hand zitterte so sehr, dass ich fürchtete, ich würde den Wein vergießen. "Nichts, Herr....Ihr....Ihr wolltet uns gerade erklären, was das sein soll, was wir für Euch tun können..." meine Stimme klang hölzern und ich starrte ihn an wie ein Wesen von einem anderen Stern. Er erwiderte den Blick stirnrunzelnd und als er antwortete, behielt er mich genau im Auge: "Hier gehen seltsame Dinge vor, Dinge, die mich doch sehr beunruhigen- es wird von Verrat in meinen eigenen Reihen gesprochen." Ich sah ihn verstört an und Keena brummte in ihren Weinbecher: "Und was haben wir...?"

"...was ihr damit zu tun habt? in diesem Falle gar nichts," sagte er, eine Spur schärfer als zuvor. Keena hatte es doch tatsächlich gewagt und war ihm dreist ins Wort gefallen. Sie zuckte zusammen und sah rasch weg, und er fuhr kühl fort: "Was hier am Hofe vor sich geht, kann ich selbst recht gut kontrollieren...doch es gibt einen Teil meines Landes, der scheinbar ausgestorben ist und sich als Schauplatz politischer Intrigen einfach nicht anbietet. Dennoch glaube ich, dass dort etwas faul ist!" erhitzt strich er sich mit der Hand über die Stirn. Ich fragte kleinlaut: "Und welcher Platz soll das sein, Hoheit?"

"Ich spreche von dem Vorposten Murdaigean."

Stille breitete sich im kleinen Thronsaal aus. Murdaigean, Murdaigean...ich durchkämmte mein Gedächtnis. Wo hatte ich das Wort schon einmal gehört? ach ja, Keena hatte erst neulich davon gesprochen. Dun Abermenai -Anfang und Ende unseres ersten Ausfluges ins Kriegerleben, dachte ich bitter- Thidranki, der angeblich sehr verlassene Posten Murdaigean und Caledonia. "Und was genau sollen wir nun tun? nach Murdaigean reisen?" erkundigte sich Keena mit wachsendem Interesse. Der König nickte. "So ist es. Irgendwer spinnt eine Intrige gegen mich und aus den wenigen Quellen, die ich in dieser Sache besitze, ist mir bekannt, dass sich in dem Zusammenhang etwas in Murdaigean abspielt. Warum wird der Posten dauernd für tot erklärt? warum wird er gemieden, obwohl es dort kampftechnisch viel zu sehen und zu lernen gibt? kommt euch das nicht auch seltsam vor?" ich nickte unwillentlich. Das stank förmlich nach Verrat oder zumindest einem großen Abenteuer. Aber die Sache musste doch einen Haken haben...

"Aberr?" fragte Brakalu plötzlich und alle Gesichter wandten sich ihm zu.

"Aber?" wiederholte der König stirnrunzelnd.

Brakalu zuckte ganz sachte die Achseln. "Bei solchen Dingen gibt es immerr ein 'Aberr'," sagte er ernst. Der alte Lurikeen schenkte ihm weder ein Lächeln, noch verwies er ihn in seine Schranken. Nachdenklich legte er den Kopf schräg und betrachtete den Inconnu. "Du hast wohl recht, mein Junge. Es gibt ein 'Aber', wie du es nanntest." Erneut entstand eine kurze Pause und ich spürte ein Kribbeln in meiner Kopfhaut. Eindringlich musterte Mikatas Vater unsere Gesichter. "Ihr werdet nicht als Midgarder oder Albioner losziehen. Nein. Ihr werdet eure Waffen ablegen -ja ich weiß, die besitzt ihr nicht mehr, aber ich hoffe, ihr wisst, wie ich das meine- und in den Rüstungen und Farben Hibernias losziehen. Was das Erlernen unserer Sprache angeht, sehe ich kein Problem- ihr seid jung und damit noch besonders lernfähig. Das wäre dann auch alles."

Erneut herrschte absolute Stille. Brakalu, Keena und ich machten alle drei identisch schockierte Gesicher und mir klappte die Kinnlade herunter. Während ich nach Luft rang, fand Keena als erste ihre Fassung zurück. Als sie antwortete, zitterte ihre Stimme leicht und klang merklich rauher als sonst: "Ihr...Ihr verlangt allen Ernstes von uns, dass wir unsere Existenz aufgeben und zu...zu Hibernianern werden?!" das vorletzte Wort betonte sie mit empörter Ungläubigkeit, und aus großen Augen starrte sie den alten Lurikeen an. Er hielt ihrem Blick mühelos stand. "Nicht doch, nicht doch," sagte er beschwichtigend. "Ihr sollt nicht euer Blut verleugnen, Kinder. Aber so ist die Gefahr, dass ihr in Murdaigean von den Wer-auch-immer nicht sofort aufgegriffen und getötet werdet, weniger groß. Man erschlägt eher einen spionierenden Albioner oder Midgarder als jemanden aus den eigenen Reihen, versteht ihr?" sicher verstanden wir, zumindest glaubte ich, zu begreifen, was der alte Mann da von uns verlangte. Trotzdem war es Wahnsinn und eigentlich eine Unverschämtheit, eine solch irrsinnige Bitte überhaupt an uns zu stellen. Brakalu biss sich auf die Unterlippe und schüttelte leicht den Kopf, während Keena sich nicht mehr zügeln konnte und losbrauste: "Und womöglich sollen wir noch gegen unsere Brüder und Schwestern kämpfen, während wir diese kleine Verschwörung aufdecken?! das könnt Ihr nicht ernst meinen!" sie ballte die Fäuste. Der König seufzte leise. "Ah, ich wusste, dass das kommen würde. Aber es soll euch nicht schlecht ergehen. Ihr bekommt beste Waffen und Ausrüstung und könnt eure Ausbildung problemlos forsetzen, sollte es das sein, was euch zu schaffen macht. Glaubt mir, ich habe einige ausländische Vertraute hier. Zwar keine Meister ihres Faches, da sie sich ihr Wissen größenteils selbst angeeignet haben, statt zu echten Ausbildern zu gehen, aber für euch muss es reichen und sie werden ihr Wissen mit Freuden mit euch teilen. Na?" wir schwiegen alle, doch in meinem Kopf kreiste nur ein kurzes Wort: Nein! ich wollte nicht, ich konnte nicht. Das wäre Hochverrat, nicht nur an Midgard, sondern auch an mir selbst. O nein, niemals. Keena knurrte: "Ich kann nur für mich selbst sprechen. Und das werde ich. Ich will nicht."

Brakalu nickte sachte. "Das gilt auch fürr mich."

Der König schwieg und sah mich ausdruckslos an. Ich schluckte und hob den Kopf. Als ich antwortete, klang meine Stimme ruhig und es schwang beinahe so etwas wie Stolz in meinen Worten mit: "Ich bin eine Midgarderin. Niemals werde ich unter Hibernias Flagge irgendwelche Dienste tun. Ich will auch nicht." Mikatas Vater musterte uns reihum. Er stieß ausnahmslos auf das Gleiche: Stolz, Ablehnung, Ernst. "Und das ist euer letztes Wort?" fragte er leise, ohne eine Spur von Enttäuschung oder Zorn. Wir nickten stumm. "Ah," er seufzte. "Das habe ich mir eigentlich schon gedacht. Nun ja, ich habe euch gesagt, dass ich dagegen vorgehen werde." Ich sah ihn rebellisch an. "Ihr könnt uns gerne töten, aber nicht zu etwas zwingen, das wir nicht wollen. Ich sterbe eher, als mich Euch und Hibernia zu verkaufen, Majestät."

"So ist es," sagte Keena. Der König verschränkte die Arme hinter dem Rücken. "Nun, das ist bedauerlich. Aber vielleicht ändert ihr eure Meinung noch. Ihr werdet genug Zeit finden, um in Ruhe über mein Angebot nachzudenken, das versichere ich euch. Wachen," beim letzten Wort hob er die Stimme und nur einen Moment später betraten die beiden Elfen mit den kalten Augen den Raum, "wie erwartet sind Unsere Gäste abgeneigt, Unserer Bitte Folge zu leisten. Wir wollen jetzt nicht weiter drängen und auf Wiederstand stoßen, sondern ihnen Zeit geben, Herr ihrer Lage zu werden. So wünschen Wir, dass ihr sie Uns nun aus den Augen schafft. Verwahrt sie gut, gebt ihnen zu essen und zu trinken, aber bewacht sie immer. Ihr dürft euch entfernen." Die beiden Wächter verneigten sich tief und fassten Brakalu, Keena und mich nicht gerade sanft am Arm. Dann führten sie uns hinaus. Ich konnte noch einen kurzen Blick auf den König werfen, der uns ohne jeglichen Groll, aber auch ohne ein Zeichen von Erbarmen nachsah.
 

Nun brach eine schwere Zeit für uns an. Ich hörte bald auf, die Tage zu zählen, mein Los kam mir dann nur umso schlimmer vor. Wir wurden wieder in die kleine Hütte gebracht und Tag und Nacht bewacht, wie es der König angeordnet hatte. Einige Male rief er uns noch zu sich und stellte immer die gleiche Frage: "Nun, was sagt ihr?" und wir sagten jedes Mal das Gleiche: "Nein, das werden wir nicht tun." So wurden wir also immer wieder zurück gebracht und harrten dem nächsten Treffen mit dem König, von dem wir genau wussten, wie es ausgehen würde. Die blonde Elfe mit den hübschen blauen Augen, die ich beim ersten Mal gesehen hatte, brachte uns unsere Mahlzeiten. Ich erfuhr, dass es sich bei der jungen Frau um Rhee handelte, diejenige, die dafür gesorgt hatte, dass man uns in Dun Abermenai nicht sofort getötet hatte. Mittlerweile war ich sicher, dass ich ihr wirklich nicht dankbar dafür war. Als Einzige jedoch war sie stets freundlich zu uns, stellte interessiert Fragen bezüglich unseres bisherigen Lebens und nahm regen Anteil an dem, was wir ihr erzählten. Selbstverständlich sprachen wir nur über belanglose Dinge, über höhere Politik und Kriegspläne wussten wir als die Kinder, die wir noch beinahe waren, sowieso nichts. Und selbst wenn es so gewesen wäre, hätten wir geschwiegen, denn Keena hielt Rhee für so etwas wie eine Spionin und erklärte finster, die falsche Schlange wolle uns mit ihrer aufgesetzten Freundlichkeit bloß aushorchen oder vielleicht auch weichklopfen, damit wir endlich taten, was der hibernianische König von uns verlangte. Dem konnte ich insgeheim nicht zustimmen, ich konnte die Elfe verhältnismäßig gut leiden. Aber vermutlich hatte meine Freundin wohl recht. Auch Zaphykel, der Elf, der uns am ersten Tag versorgt hatte, besuchte uns ein paar Mal. Bei ihm war offensichtlich, dass er versuchen wollte, uns endlich umzustimmen, und da er mir eh unsymphatisch war, sagte ich zu ihm einfach gar nichts. Bis zu einem bestimmten Tag:

Ich hatte gerade meine Blase entleert und warf den beiden Kelten, die mich selbst für diese Tätigkeit nicht aus den Augen ließen, einen finsteren Blick zu, als Zaphykel zwischen zwei Hütten auftauchte und mir halbherzig zuwinkte. "Na, machst du immer noch einen auf stur?" ich ordnete meine Kleider und ignorierte den unangenehmen Blick, den er auf meine nackten Schenkel warf. "Was willst du?" fragte ich nur. Zaphykel gab den Wächtern einen Wink, und als sie nicht reagierten, sagte er verärgert: "Es ist gut, ihr dürft gehen. Ich habe Prinzessin Mikatas Erlaubnis." Sie zögerten, und er verdrehte die Augen: "Wollen wir dafür extra zum König gehen und ihn belästigen?" da gab sich der Ältere der beiden endlich einen Ruck: "Nein, seine Hoheit hat heut eine miserable Laune...und wenn Prinzessin Mikata es sagt, soll es für dieses eine Mal in Ordnung gehen. Aber bleib nicht zu lange fort, Zaphykel, und pass gut auf sie auf." Der Elf nickte unwillig. "Das tue ich sowieso. Komm," er warf mir einen auffordernden Blick zu und als ich nicht reagierte, fasste er mich am Arm. "Nun komm schon!"

"Was ist mit Keena und Brakalu, warum dürfen die nicht raus?"

"Kann dir das nicht egal sein?"

"Nein, sag es mir oder ich geh nirgendwo hin."

Er raufte sich die langen Haare. "Du bist ein störrisches Weib, weißt du das?"

Ich nickte ungerührt und er zog verärgert die Schultern hoch. "Ich will mit dir allein reden, die anderen zwei bekommen ihren Ausgang später, sei versichert." Ausgang, dachte ich gallig, als seien wir nichts weiter als bessere Haustiere. Doch ich wollte den Bogen nicht überspannen und wenngleich ich seine Gesellschaft wahrlich nicht suchte, hatte ich gegen einen kleinen Spaziergang in der freien Natur nichts einzuwenden- endlich einmal weg von den immer noch feindselig-furchtsamen Blicken der Dorfbewohner, an die ich mich zwar fast schon gewöhnt hatte, die mir aber nie gefallen würden, und obendrein mal ein neues Stück von Hibernia kennen lernen. So nickte ich leicht. "Na gut."

Wir verließen Mag Mell und steuerten auf ein kleines Wäldchen zu, das hinter der Stadt lag. Zwischen den Bäumen sah ich Wasser glitzern. Als wir die Häuser hinter uns gelassen hatten, ließ der Elf meinen Arm los. Ich erwartete, dass er jetzt wieder wegen der Sache mit Murdaigean anfangen würde, aber zu meiner milden Überraschung geschah dies nicht. Stattdessen führte er mich zum Waldrand und zeigte nach vorn. Ich folgte seinem Blick und runzelte sachte die Stirn. Da stand so etwas wie ein sehr großer Grabstein, um den bleiche Skelette schlichen, die eine gewisse Ähnlichkeit mit Keenas knöchernen Dienern aufwiesen, nur trugen diese hier keine Rüstung oder Waffen. Zwischen den fleischlosen Gestalten stach eine weitere hervor, die entfernt an einen Elfen erinnerte. Nur war die Haut des Mannes gräulich und verwittert, er ging gebeugt und das Fleisch faulte ihm langsam vom hässlichen, feindseligen Gesicht. "Wer oder was ist das?" fragte ich leise. Zaphykel lächelte abweisend. "Wir nennen ihn einfach den Beschwörer. Er kontrolliert diese Jammergestalten da. Keine Sorge, für uns ist er nicht mehr gefährlich, er vergreift sich nur an den ganz Schwachen."

"Warum lasst ihr ihn leben, wenn er das tut?"

Zaphykels Blick wurde noch abweisender, als er den lebenden Leichnam musterte. "Oh, ich selbst hab ihn viele Male erschlagen, doch irgendwie kommt er immer wieder. Seine verfluchte Seele ist wohl an das Grab da gebunden, vielleicht ist es sein eigenes, vielleicht das seines ursprünglichen Bezwingers, ich habe keine Ahnung. Vermutlich ist das seine Strafe, was auch immer er getan haben mag." Ich nickte leicht und folgte der schlurfenden Gestalt mit den Augen. "Und wieso zeigst du mir das?" der Elf wandte sich mit einem Ruck zu mir um und seine gelben Augen blitzten. "Er war wahrscheinlich ein großer Beschwörer damals."

"Aha..."

"Und jeder dieser Zunft trägt als sein Zeichen einen magischen Stab bei sich, die erste Waffe seines Lebens und Symbol aller Magier von Hibernia." Ich runzelte die Stirn und hatte absolut keine Ahnung, was er eigentlich von mir wollte. Als ich nachdrücklich schwieg, kramte er in seinen Taschen und holte etwas heraus. Schweigend zeigte er mir, was er in den Händen hielt. Ich holte überrascht Luft: "Das ist..." wie kam er daran? ich hatte überhaupt nicht gemerkt, dass man mir meinen Beutel mit dem Elfenkristall abgenommen hatte. "Das gehört mir," brachte ich schließlich hervor. Der Elf verzog keine Miene, wedelte mit dem Beutel und machte sich dann daran, ihn zu öffnen. Ich beobachtete ihn aufmerksam. "So? es gehört also dir?" fragte er beiläufig und holte den abgebrochenen Kristall heraus. Im selben Moment ruckte der bezopfte Kopf des verdammten Beschwörers zu uns herum, seine hasserfüllten Augen hefteten sich auf das schimmernde Ding zwischen Zaphykels Händen, und er stieß einen schrecklichen, heulenden Schrei aus, in dem Qual wie Begierde mitschwangen. Ich wich zurück. "Bei Bragi, was...?"

Zaphykel lächelte böse. "Ja, nun leidet er, und das nicht zu knapp. Ihm wird wieder bewusst, dass er ein verfluchter Verräter ist und kein Recht mehr besitzt, dies zu tragen."

"Wie?" fragte ich hilflos. Zaphykel schloss die linke Hand um den Kristall, seine rechte schoss nach vorn und packte mich schmerzhaft am Zopf. "Dieser Kristall gehört nicht dir, wahrlich nicht," zischte er. "Wo hast du ihn her?" ich schwieg, zu verwirrt, um ihm ganz folgen zu können, und er riss heftiger an meinen Haaren. "Wo hast du ihn her?!" endlich gewann ich meine Fassung wieder. "Aua!" fauchte ich wütend. "Lass mich los!"

"Wo du ihn her hast, will ich wissen!" er schrie jetzt beinahe. Ich riss mich los -dabei büßte ich einige Haare ein- und trat einen Schritt zurück. "Ich hab ihn geschenkt bekommen!" keifte ich zurück. "Von einem sterbenden Elfen, der..." ich brach schlagartig ab und starrte den anderen an. Der genauso aussah wie du, schoss es mir durch den Kopf. Aber...konnte es sein, dass... "Geschenkt?" hauchte Zaphykel plötzlich und starrte mich an. Allmählich spürte ich Furcht in mir aufsteigen, ebenso eine leise, wenn auch unglaubliche Ahnung. Konnte es denn wirklich so einen Zufall geben? "Ja," erwiderte ich, tief Luft holend. "Ich habe seinen Besitzer schwer verletzt in unseren Wäldern gefunden. Er hat gesagt, dass ich..." ich runzelte die Stirn und dachte nach. "Ja?" fragte der Elf lauernd. "Geschenkt ist vielleicht doch nicht der richtige Ausdruck," sagte ich zögernd. "Er sagte, ich solle das für ihn verwahren, bis ich einmal ins Grenzland ziehen würde. Aber ich wusste nicht, wieso..." Zaphykel lachte krampfhaft. "Vielleicht weiß ich es," sagte er. "Sein Besitzer, wie du ihn nanntest, war mein Vater."

Ich spürte, wie mir abwechselnd heiß und kalt wurde. "Dein...Vater?" fragte ich ungläubig. Er antwortete nicht, sondern starrte mit glasigen Augen den abgebrochenen Kristall an. "Der Teil, der mir noch fehlt," flüsterte er, mehr zu sich selbst. "Schaft und Spitze...oh Vater..." ich bemerkte mit unbehaglichem Staunen, wie ihm Tränen in die Augen traten. Der Beschwörer, der hinter Zaphykel stand, hatte sein klagendes Heulen eingestellt und kam plötzlich langsam, beinahe lauernd, auf den Elfen zu. "Zaphykel, du..." begann ich, den Beschwörer anstarrend. Der andere ignorierte mich und strich, noch immer mit tränenverschleiertem Blick, über die schimmernde Oberfläche des Kristalls. Da warf sich der verfluchte Beschwörer mit einem erneuten Heulton vor und schloss seine schorfigen, feuchten Finger um den Hals des Elfen. Zaphykel gab einen erstickten Laut von sich und ließ den Kristall fallen, während der Verwesende ihn würgte und schüttelte und dabei sein Leid aus sich herausschrie, die toten Augen gierig auf den Kristall gerichtet und offenbar unschlüssig, ob er zuerst seinen lebenden Gegenpart auslöschen oder das begehrte Zunftsymbol an sich reißen sollte. Ich sah die Fassungslosigkeit in Zaphykels Augen und zögerte nicht mehr, sondern stürzte mich mit meinem Kampfschrei auf den gefallenen Elfen. Dieser krächzte vor Schmerz, die Beine gaben unter seinem Gewicht nach und er stürzte zu Boden. Langsam versuchte er, davonzukriechen und ich stieß meinen zweiten Schrei aus. Wie vom Blitz getroffen brach der Untote zusammen und rührte sich nicht mehr. Ich starrte schnaufend auf seine zusammengekrümmte Gestalt herab und drehte mich dann wieder um. Zaphykel massierte sich die Kele und sah mich mit schwer deutbarem Blick an: In seinen Augen las ich sowohl Fassungslosigkeit, sowie Bewunderung- und seltsamerweise so etwas wie Scham. Ehe er reagieren konnte, bückte ich mich und hob den Kristall auf. Wortlos hielt ich ihn dem anderen hin und als Zaphykel keine Anstalten machte, danach zu greifen, sagte ich: "Vielleicht war es dies, was dein Vater von mir wollte. Dass ich dir irgendwann dein Erbe bringe." Der Elf rang nach Atem. "Du...als Midgarderin willst du...du verspottest mich!" fiel er sich selbst ins Wort. Ich wollte ihn definitiv nicht verspotten, aber ich hatte keine Ahnung, warum ich dies eigentlich tat. "Es war der Wunsch eines Sterbenden," sagte ich ungnädig. "Und es bringt Unglück, wenn man einen solchen Wunsch missachtet. Nimm ihn schon." Zaphykel starrte mich immer noch ungläubig an, während sich seine Hand wie in Trance um den Kristall schloss. "Du..." setzte er wieder an. Ich schüttelte den Kopf, wollte seine weiteren Worte nicht hören. Weder auf seine Dankbarkeit, noch auf eventuelle Anschuldigungen hatte ich Lust. "Können wir bitte wieder zurück? ich möchte sehen, was Keena und Brakalu machen."

"Du willst freiwillig zurück?" er sah mich unverwandt an und verärgert drehte ich den Kopf weg. "Ja."

Er schwieg, scheinbar nachdenklich. Als er antwortete, hatte seine Stimme einen bis dato nie gehabten Klang angenommen- dankbar, beinahe höflich. "Also gut...dann komm. Ach, und...Llienne?" ich wandte ihm verwundert den Blick zu. Bisher hatte er mich noch nicht mit meinem Namen angesprochen. "Mhmm...?"

"Danke," sagte er.
 

Aus dem Tagebuch von Llienne Asmundsdottier, spätere Llienne Havocbringer:
 

..."Wenn ich jetzt darüber nachdenke, möchte ich mich ohrfeigen, und das am besten zwei mal. Ich bin ein viel zu weiches Weib, immer schon gewesen. Was hat mich damals dazu getrieben, erst den Inconnu zu verschonen und dann auch noch einen Elfen zu retten? ich habe meinen Stolz abgestreift wie eine abgenutzte, alte Haut und damals anscheinend vergessen, wer und was ich eigentlich bin. Man kann auch sagen, dass ich mich letztlich doch verkauft habe. Aber ist der Verlust von einigen Prinzipien und ein geistiger Schlag ins Gesicht nicht auch den Gewinn neuer Kameraden wert? ich hätte nur niemals geahnt, dass es ausgerechent solche sein würden, die ich einst als meine Feinde bezeichnet habe. Meinen fortgeworfenen Stolz, Demütigung und die leise Sehnsucht nach Hause kann ich verkraften- niemals aber Verrat. Letztlich haben wir dieses...wie soll ich sagen...Hindernis zwar beseitigt und alles wieder ins Lot gebracht, aber ich glaube, es hat Wunden hinterlassen, Narben, die nicht so schnell und vielleicht niemals heilen. Damit habe ich auch gleich den Beweis erhalten, dass man tatsächlich an gebrochenem Herzen eingehen kann. Und alles nur, weil"...
 

Zurück in Mag Mell, führte mich Zaphykel gemäß meiner Bitte zurück in unsere Hütte. Als die beiden unvermeidlichen Wächter zur Seite traten und ich einen Blick auf meine Mitgefangenen erhaschen konnte, schnappte ich empört nach Luft. "Keena!" ich fuhr herum und ballte die Faust, wobei ich einen der Wächter anfauchte: "Was soll das?!" Keena war halb bewusstlos- zusammengesunken lag sie auf ihrem Lager aus Kissen. Auf ihrer Stirn prangte eine Beule und ihre Lippen schwollen an von einem beachtlichen Schlag, den ihr jemand verpasst hatte. Überdies schlangen sich zwei dünne Eisenketten fest um ihre Fußgelenke und hielten diese zusammen. Der kleinere der Wächter zog die Schultern hoch. "Sie hat Ärger gemacht und wollte fliehen, es half alles nichts. Sie hat sich das selbst zuzuschreiben." Er sprach sehr stockend und langsam, doch der schadenfrohe Ton kam umso deutlicher zur Geltung. Ich fluchte in meiner Muttersprache, beschimpfte ihn als etwas, von dem er es vorzog, es nicht zu verstehen, und beugte mich über meine Freundin. "Hey Keena, noch alles dran bei dir?" fragte ich leise und berührte sie an der Schulter. Sie blinzelte ein paar Mal und sah dann zu mir auf. Statt einer Antwort grunzte sie nur ungnädig und berührte ihre aufgeplatzte Lippe. "Lasst mich Wasser holen, um die Schwellung zu lindern," sagte ich eisig, und als die Kelten nicht reagierten, fauchte ich: "Oder holt ihr halt welches." Sie sahen sich an, zuckten die Schultern und der mit dem schweren Akzent stemmte gehässig die Arme in die Seiten. "Sie hat selbst Schuld. Kein Benehmen, keine Rücksicht." Damit drehten sie sich wieder um und bauten sich links und rechts vor der Tür auf. Zaphykel, der uns bisher teilnahmslos zugesehen hatte, drehte sich um. "Ich werde etwas holen, das ihr Erleichterung verschafft, einen Moment nur." Er drehte sich um und ich hörte, wie er draußen leise und eindringlich auf die Wachen einsprach. "Was hast du denn angestellt?" fragte ich kopfschüttelt und strich Keena mifühlend über die Stirn. Brakalu -ohne Ketten oder Anzeichen von gewalttätigen Handlungen- saß mäuschenstill in einer Ecke, hatte die Beine an den Körper gezogen und betrachtete uns aus seinen beunruhigenden, ausdruckslosen Augen, ohne etwas zu sagen. Ich warf ihm nur einen flüchtigen Blick zu, doch da ich aus ihm wohl niemals schlau werden würde, schenkte ich meine Aufmerksamkeit wieder der verletzten Valkyn. "Also?" sie grinste schief. "Na, du hast es doch selbst gesehen...und auch am eigenen Leib erfahren. Es gehört nicht viel dazu, diese Schwachköpfe zur Raserei zu bringen."

"Ja, ja und du musstest es natürlich herausfordern..."

"Ach, sei doch still."

Eine kleine Pause trat ein, in der ich versonnen über die honigblonden Haare meiner Freundin strich und zur Decke sah. Keena beobachtete mich aufmerksam. "Über was hast du eigentlich mit dem Elfen gesprochen?" fragte sie. "Wollte er dich wieder überreden, diesen verdammten Vorposten aufzusuchen?" ich kehrte blinzelnd in die Realität zurück und erwiderte ihren Blick. "Nein, ich habe etwas Überraschendes herausgefunden." Sie sah mich neugierig an. "Nun machs nicht so spannend!" und ich fing an, zu erzählen. "...Tja, er ist tatsächlich der Sohn des Elfen, den ich vor ein paar Jahren im Wald gefunden habe. Zufälle gibts..." Keena machte große Augen. "Aber...hhmm...woher will er wissen, dass nicht du ihn getötet haben könntest?" ehe ich zu einer empörten Antwort ansetzen konnte, erklang Zaphykels kühle Stimme: "Weil ich nicht glaube, dass mein Vater ihr dann seinen ersten und letzten Schatz überreicht hätte." Keena und ich fuhren leicht zusammen und sahen uns schuldbewusst an. "Wir..." fing ich an, doch er schnitt mir mit einer leichten Handbewegung das Wort ab und ließ sich vor Keena in die Hocke sinken. "Schon gut, das ist ja eine berechtigte Frage. In der Hinsicht vertraue ich dir jedoch, obwohl ich mir natürlich nicht sicher sein kann." Für ihn schien das Thema damit erledigt zu sein und wenn es ihm überhaupt noch nahe ging, verbarg er seine Emotionen zumindest gut. Schweigend stellte er die Schüssel, die er mitgebracht hatte, auf den Boden und tränkte einen Lappen mit der intensiv nach Kräutern duftenden Flüssigkeit. Keena wollte erst protestieren, und als der Elf ihr das Tuch auf die Lippen legte, zuckte sie zusammen. "Halt still, ich weiß, dass es brennt. Trotzdem ist es ein bewährtes Mittel bei solchen Wehwehchen." Keena sah ihn finster an, und gegen meinen Willen musste ich grinsen. Während Zaphykel nun auch die unschöne Beule an Keenas Stirn betupfte, nickte er in Brakalus Richtung: "Sagt der eigentlich auch mal was?" nun war es an uns beiden, Keena und mir, breit zu grinsen. "Selten," meinte ich und Keena fügte voller Bosheit hinzu: "Stumm wie ein...Fisch!" das letzte Wort betonte sie ein bisschen stärker, als nötig gewesen wäre und daraufhin brach ich in echtes Gelächter aus. Zaphykel blinzelte ein paar Mal, ehe er mit einstimmte. Brakalu sah uns finster an. "Viele Narrren endeten nurr am Galgen, weil sie ihrre lose Zunge nicht unterr Kontrrolle hatten," sagte er schnippisch. "Er hat gesprochen," sagte Keena begeistert und ich musste husten. "Nun ist gut, du bist unfair!" der kleine Inconnu musterte uns düster, seine ausgefransten Ohren zuckten leicht. Mitten in die unerwartet eingetretene Heiterkeit meldete sich eine mir wohlbekannte, hochmütige Stimme: "Welch seltsamer Anblick das doch ist! Zaphykel, ich muss sagen, jetzt überraschst du mich!" wir verstummten schlagartig und ich wandte den Kopf, um Mikata einen Blick voller Verachtung zuwerfen zu können. "Was willst du?" sie ignorierte mich und starrte den Elfen an. "Zaphykel?" der Angesprochene strich sich das Gewand glatt und faltete ernst die Hände im Schoß. Gelassen sah er die Lurikeen an. "Prinzessin, Euer Vater will nur, dass wir sie beaufsichtigen, denn er glaubt nach wie vor, dass sie ihre Meinung ändern werden. Abgesehen davon, dient es auch ihrem Schutz," Mikata schnaufte, doch Zaphykel fuhr gelassen fort: "Sie würden zwar niemals gegen unseren Willen fliehen können, aber da draußen würde man sich auf sie stürzen wie ein Rudel toller Hunde, das erschlagen werden muss. Wir sollen sie bewachen, festhalten- aber von seelischer Grausamkeit war doch keine Rede." Eine Rede war allerdings, was der Elf gesprochen hatte, und für sein Wesen sogar eine extrem lange. Ich beobachtete ihn mit gemischten Gefühlen. Mikata sah Zaphykel nur verärgert an: "Hat Rhee dich mit ihrem Unsinn jetzt auch schon eingelullt? seit Tagen läuft sie herum und zieht eine Jammermiene. 'Diese armen Kinder, so weit von zu Hause fort und immer eingesperrt, das würde ich nicht ertragen'," äffte sie die blonde, freundliche Elfe nach. Zaphykel schwieg. "Nun, wie dem auch sei," knurrte Mikata und sah mich an. Ein listiges Funkeln war plötzlich in ihre Augen getreten. "Was hältst du von einem kleinen Übungskampf? echte Skalden," sie grinste mit kaum verhohlener Verachtung, "sind doch einem netten Duell niemals abgeneigt? oder hast du Angst vor einem bisschen Trainig?" ich sog scharf die Luft ein und spürte das Blut, das mir ins Gesicht schoss. Neben mir drückte Keena warnend meinen Arm. Ich beachtete sie nicht, sondern starrte, schäumend vor Wut, die Lurikeen an. Natürlich wollte sie mich provozieren, aber ich wusste beim besten Willen nicht, warum. Ich hatte ihr die letzte Zeit wahrlich keinen Grund dazu gegeben. "Nun komm," sagte Mikata hartnäckig. "Oder traust du dich wirklich nicht? ooch..." ich vergrub die Unterlippe zwischen den Zähnen und musterte abschätzend ihre wie eh und je gepanzerte Gestalt. "Ich habe weder Waffen noch Rüstzeug," sagte ich und imitierte ihren herablassenden Ton. Sie fegte meinen Einwand mit einer ungeduldigen Geste beiseite. "Du wirst ausgerüstet werden, keine Sorge. Fairness gehört zu den wenigen Dingen, die wir beide wahrscheinlich gleichermaßen schätzen."

"Prinzessin Mikata, Ihr solltet das nicht tun," sagte Zaphykel halblaut. "Du hältst dich da raus!" der Ton der Lurikeen war so kalt und schneidend, dass der junge Elf tatsächlich schwieg. Keena knurrte leise. "Da ist doch was faul," sagte sie und machte sich nicht die Mühe, ihren Ton zu dämpfen. Mikata würdigte sie weder einer Antwort, noch eines Blickes. Ihre Augen blieben auf mich gerichtet. Zornrot stand ich auf. "Bring mir die Sachen!" befahl ich wütend. Das Funkeln verstärkte sich und sie nickte. "Abgemacht!" und schon verließ sie zügigen Schrittes unser Gefängnis. Mit zusammengekniffenen Augen sah Keena ihr nach. "Warum besteht sie jetzt darauf? da stimmt etwas nicht, darauf wette ich. Weißt du was, Llienne? lass mich gehen, der werd ich kräftig den Arsch..."

"Nein." Das kleine Wort reichte schon, um meiner Freundin den Mund zu versiegeln. Dabei hatte ich nicht einmal geschrien. Ich blieb regungslos stehen und starrte mit leicht verengten Augen zum Boden. "Es ist ja nur ein Trainingskampf...!"

"Trotzdem, du bist nicht gerade..."

"Lass mich in Ruhe, Keena. Das ist meine Sache. Ich lasse mich nicht dermaßen beleidigen- nicht von der!" ich knurrte beinahe und die Valkyn legte den Kopf schräg. Ohne allen Spott fragte sie: "Wirst du allmählich doch erwachsen, wie?" ich sah sie ausdruckslos an und im selben Moment kehrte Mikata zurück. Erhaben lächelnd winkte sie zwei zum Tragen mitgebrachte, beinahe monströs anmutende Männer mit, die ohne jede Mühe einen kompletten Schuppenpanzer, einen kleinen Schild mit passender Einhand-Axt sowie ihrem größeren, schweren Gegenstück in den Armen hielten. Die irgendwie breitgeschlagen wirkenden Gesichter mit den ausgeprägten Stirnwülsten, ihre dunkle Haut und der mächtige Körperbau kennzeichneten die Männer eindeutig als Firbolg, von denen ich in Midgard schon gelegentlich etwas gehört hatte- stark wie Trolle sollten sie sein, aber über mehr Intellekt verfügen... auf einen knappen Wink von Mikata hin, gingen die beiden ein wenig in die Knie und luden ihre Last vorsichtig ab. Mit einer etwas plumpen Verbeugung zogen sie sich danach zurück. "Ich soll in- und mit hibernianischem Rüstzeug kämpfen?" fragte ich, nicht gerade mit Abscheu, aber allen Zeichen von Unzufriedenheit. Mikata lachte spöttisch. "Willst du dem Fisch vielleicht seine Kleider vom Leib reißen und stattdessen in albionischen Fetzen rumlaufen?" höhnte sie, was ihr gleichermaßen einen bösen Blick von Brakalu und mir einbrachte. "Du kannst natürlich auch nackt gegen mich antreten- dann hätten wir alle mal wieder was zu lachen," fügte die Lurikeen feixend hinzu. "Verschwinde, ich will mich umziehen!" fauchte ich und riss aufs Geratewohl die Beinlinge an mich, ohne sie überhaupt richtig anzusehen. Mikata verneigte sich spöttisch und stolzierte hinaus. Ich war so wütend, dass es mir nicht gleich gelang, die Beinlinge überzustreifen. Keena stand stumm auf und half mir. "Beruhig dich doch," sagte sie kühl. "Es gibt nichts Unverzeihlicheres, als im Zorn in den Kampf zu ziehen- das kann fast sofort eine Niederlage bedeuten und im schlimmsten Fall den Tod." Ich warf ihr einen herrischen Blick zu -sie musste gerade reden!- aber nickte dann widerwillig. "Ja, ja, du hast ja Recht...hilf mir doch mal bitte mit diesem elenden Kettenhemd..."
 

Es war eine völlig andere Llienne, die hoch erhoben ins Freie trat. Ich erkannte mich selbst kaum wieder: Statt dem einfachen Hemd trug ich einen ungefärbten, aber stabilen und relativ leichten Schuppenpanzer, wie es für Hibernias Kämpfer üblich war. Die Äxte allerdings waren anderer Herkunft und wiesen deutliche Gebrauchsspuren auf, obwohl sich jemand die Mühe gemacht hatte, sie wieder herzurichten und zu schärfen. "Hibernia besitzt keine Äxte," flüsterte mir Keena zu, die meinen Blick bemerkt hatte. "Muss von irgend einem Leichenfledderer stammen." Ich verzog das Gesicht, sagte aber nichts, sondern trat Mikata entgegen, die mich schon mit einem gewohnt überheblichen Lächeln erwartete. Innerlich kam ich mir beinahe albern vor, gegen eine Person anzutreten, die soviel kleiner und -auf den ersten Blick- schwächlicher war als ich. Doch ich hütete mich, die Lurikeen zu unterschätzen- dass sie eine schmerzhafte Handschrift besaß, hatte ich ja schon am eigenen Leib zu spüren bekommen. Unser Trainingskampf sollte auf dem Hügel vor Tir na nOgh stattfinden, und als ich der jungen Frau folgte, hörte ich sie leise lachen: "Ich hoffe, du weinst gleich nicht." Ich biss die Zähne zusammen und starrte bedächtig auf sie hinab. "Wir werden sehen, wer heult," sagte ich brodelnd. Sie lächelte nur. Ihren Hohn konnte ich verhältnismäßig gut ertragen, aber ihre so offensichtlich arglose Selbstsicherheit machte mir leicht zu schaffen. Warum befürchtete sie nichts, rein gar nichts? oder war das auch nur Teil ihres Spiels, um mich noch weiter zu verunsichern und sich eventuell Vorteile in unserem nun unausweichbaren Duell zu verschaffen? ich wusste es nicht. "Sag mal...warum hasst du mich eigentlich so?" fragte ich unvermittelt und gegen meinen Willen. Ihre Antwort fiel -welche Überraschung- schnippisch aus: "Ich hasse dich nicht, ich kann dich nur nicht leiden."

"Gut, warum kannst du mich nicht leiden?" und sag jetzt nicht 'Weil ich dich hasse', schoss es mir durch den Kopf- das hätte ich ihr ohne zu zögern auch noch zugetraut. Nichts dergleichen geschah, stattdessen schwieg sie einen Moment und knurrte dann: "Halt die Klappe und konzentrier dich lieber, oder willst du dich vor all dem Publikum zum Gespött machen?" ich blinzelte irritiert, sah mich um und musste schlucken: Mikata hatte recht. Wie auf einem öffentlichen Fest hatten sich mehr und mehr Leute zusammengefunden, um uns zuzusehen. Ein paar halbwüchsige Elfen, zwei Firbolg, die Kelten, die uns tagtäglich bewachten und einige Lurikeen, die ihrer Prinzessin zujubelten. Sie winkte stolz zurück und ich registrierte mit einem faustgroßen Klumpen in der Kehle, wie sie über mich nur verächtlich raunten, eine Lurikeen kicherte verdruckst und ein junger Elfenkrieger hob gar einen Finger an die Kehle und machte eine bezeichnende Geste. Rasch wandte ich den Blick wieder ab. Keena sah sich wütend um, ehe sie so laut brüllte, dass eine Elfe neben ihr fast ihren Jüngsten fallen ließ: "Nun aber, auf, Llienne! du packst das, schäl sie aus ihrer albernen Rüstung und zeig ihr, wie Midgarder kämpfen!" ich konnte nicht anders, als sie breit anzulächeln. Eine kleine Gestalt zwängte sich zwischen zwei merklich empörten Lurikeen hervor, stellte sich neben die Valkyn und sah sich einen Moment um, ehe sie mir aufmunternd zunickte. Ich spürte, wie meine Nervosität nachließ und lächelte Brakalu ebenfalls zu, ehe ich meine volle Aufmerksamkeit Mikata zuwandte, deren Miene sich merklich verfinstert hatte. "So, reicht das jetzt?" fragte sie kalt. Ich grinste humorlos. "Ich warte nur auf dich, Kleine." Ihre Augen verdunkelten sich bedrohlich und ihre Stimme klang schneidend: "Nur ein Trainingskampf!"

Ich nickte. "Ja."

"Also dann..." Mikata stellte sich in Positur, zückte ihr für meine Verhältnisse albernes kleines Schwert und hob gleichzeitig ihren viel zu großen Schild. Ohne ein weiteres Wort gingen wir aufeinander los. Ich umklammerte meinen Zweihänder und führte einen harten Schlag gegen sie, den sie im letzen Moment durch ein Hochreißen ihres Schildes abblockte. Zwar hatte ich nicht getroffen, sah aber befriedigt, wie die Lurikeen unter dem Zusammenprall zurückstolperte. Ich ließ ihr keine Chance, sich wieder zu fangen und setzte mit einem noch stärkeren Hieb nach. Abermals konnte sie blocken, doch dieses Mal verlor sie den Halt und setzte sich unsanft auf den Hintern. Die Menge raunte. "Hast du genug?" fragte ich kühl, die Axt schwingend. "Fahr zur Hölle!" grollte sie und warf sich herum. Mit einem geschickten Satz war sie wieder auf den Beinen- und sprang mich mit erhobenem Schwert an. Ich sah den wirbelnden Stahl, das tödliche Blitzen -Trainingskampf!?- und duckte mich in letzter Sekunde. So trennte die durch die Luft sausende Klinge nicht meinen Kopf, sondern den größten Teil meiner beiden Zöpfe ab. Durch ihren eigenen Schwung wurde Mikata beinahe von den Füßen gerissen und stolperte ohne alle Eleganz an mir vorbei. Mit einem gezielten Tritt half ich der Entscheidung, ob sie fallen sollte, oder nicht, nach. Abermals landete sie auf dem Allerwertesten, doch sie gab mir keine Zeit, zu triumphieren- stattdessen drehte sie sich blitzschnell zu mir herum, ohne sich aufzurappeln, umklammerte ihr Schwert mit beiden Händen und stieß mir die Spitze mit aller Gewalt in den Oberschenkel. Ich brüllte auf vor Schmerz- der Schuppenpanzer nahm dem Stoß zwar einen Teil der Wucht und mein Knochen wurde nicht zertrümmert, aber der plötzlich explodierte Schmerz war dennoch gigantisch. Mikata riss ihre Waffe zurück, sprang nun doch auf und holte zum entscheidenden Hieb aus. Da tat ich das, was schon längst überfällig gewesen war: Ich stieß einen seltsamen Laut aus, beinahe eine Art Zirpen- meine geistige Energie hüllte die Lurikeen ein und versetzte sie schlagartig in einen tiefen Schlummer. Ich trat ein Stück zurück, setzte mich und sang leise eine tröstliches Lied zu Ehren Bragis. Zwar verheilte die Wunde nicht und auch der Blutfluss verringerte sich nur geringfügig, aber ich hatte schon das Gefühl, als könne ich den Schmerz leichter ertragen. Etwas ungelenk rappelte ich mich auf, ehe die Wirkung des Zaubers nachlassen konnte. Voller Zorn starrte ich die schlafende Lurikeen an, trat an sie heran und zertrümmerte mit einem mörderischen Stoß und unter gewaltiger Kraftanstrengung ihren Schild. Klappernd stürzten die Teile zu Boden. Eine Frauenstimme rief irgend etwas, ich verstand die Worte nicht, aber der Tonfall war ängstlich und schrill- in diesem Moment ebenso süße Musik in meinen Ohren wie die von Bragi komponierten Lieder. Ich stimmte ein grimmiges Kampfgemurmel an, ehe ich der Lurikeen meine rauhen Kampfschreie entgegen schleuderte. Schlagartig wich ihre Benommenheit und mit einem schmerzerfüllten Laut wich sie zurück. "Stopp," rief sie, "aufhören! es ist nur ein Trainingskampf- Schluss, sage ich!" ich zitterte vor Zorn und hob die Axt. "Für deine feigene Verlogenheit sollte ich dir den Schädel einschlagen," sagte ich mitleidlos. Sie starrte mich an. "Ich..."

"Du hast verloren, sieh es ein. Gibst du auf?"

Stille war eingetreten. Alle starrten uns an. Brakalu hatte anerkennend die Arme vor der Brust verschänkt und Keena zitterte vor verhaltenem Triumph. Doch das sah ich nicht, meine Augen blieben auf die Königstochter gerichtet, die meinen Blick halb fassungslos, halb zornig erwiderte. "Nun?" fragte ich erneut, die Situation insgeheim auf bösartige Weise genießend, obwohl der Schmerz in meinem Bein noch immer scheußlich war. Mikata spuckte auf die Erde. "Schade," sagte ich kühl und schwang die Axt. Ein paar Leute schrien erregt und Mikata kniff die Augen zusammen. Als sie feststellte, dass ihr Kopf noch ganz war, öffnete sie sie vorsichtig wieder: Die große Axt hatte sich kein Fingerbreit neben ihr in den Boden gebohrt, der Stiel zitterte noch leicht von der Wucht, mit der ich die Waffe ins Erdreich getrieben hatte. "Nur ein Trainingskampf," sagte ich und wandte mich ab. Insgeheim rechnete ich damit, dass die junge Frau einen feigen Angriff von hinten starten würde -ich spannte mich sicherheitshalber- doch Mikata hockte geschlagen auf der Erde. Ohne eine sichtbare Verletzung, aber trotzdem besiegt, ließ sie den Kopf hängen und blickte voller Scham zwischen ihre Beine. Einen Moment war es noch still, dann erhob sich, außer sich vor Wut, die Stimme eines Lurikeen: "Fauler Zauber! Prinzessin Mikata hat noch nie ein Duell verloren!" die Elfe mit ihrem Kind stimme mit ein: "Das war übles Teufelswerk aus Midgard! tötet sie, sie wird von bösen Gottheiten gelenkt!" ich sah mich entsetzt um. Tatsächlich bewegten sich die beiden Firbolg, die Keltenwächter und eine Gruppe Jungelfen auf mich zu. Die meisten hatten keine Waffen, doch in ihren Augen glimmerte die Rachsucht. Völlig aussichtslos für mich. Keena stieß einen entrüsteten Schrei aus. "Feiges, verlogenes Volk, ihr könnt es nur nicht vertragen, dass eure dumme Göre von Prinzessin einmal einen ehrlichen Kampf verloren hat! wahrscheinlich habt ihr sie vorher immer absichtlich gewinnen lassen, darum hatte sie auch so ein großes Maul!" ihre Worte wechselten über in ein schmerzerfülltes Fauchen, als ihr jemand mit dem Handrücken über den Mund schlug. Brakalu sah sich erschrocken um und wurde von einer Seite zur anderen gedrängt, denn die Vergelter traten sich in der Hast, mich zu packen, beinahe selbst auf die Füße. Mit einem Ruck zog ich die Axt aus dem Boden, warf mein kurzes Haar in den Nacken und blickte mich wild um. Wenn mein Leben nun doch ein so jähes Ende finden sollte, dann wollte ich mich wenigstens verteidigen können. Ich war umzingelt, rechnete schon mit dem ersten Angriff, als eine volle, klare Stimme scharf alles andere übertönte: "Ihr hört sofort auf, sofort!"

Augenblicklich erstarrten die Hibernianer. Ein junger Lurikeen fand als erster seine Sprache wieder. "Eure Hoheit, Majestät," setzte er an, doch eine schallende Ohrfeige des Königs schnitt ihm augenblicklich das Wort ab. "Was haben Wir gesagt?" fragte Mikatas Vater mit eisiger Stimme. "Diese jungen Midgarder sind Unsere Gäste. Und wie behandelt ihr sie? zu..." er überblickte kurz seine Untertanen, "gut zwei dutzend Leuten auf einen einzigen Gegner, der nicht einmal ist...das ist erbärmlich, mehr als erbärmlich." Der Geohrfeigte versuchte einen letzten Anlauf: "Bitte, Majestät, es war so, diese Hexe," er deutete anklagend auf mich, "hat Eure Tochter, die königliche Prinzessin Mikata, mit faulem..." erneut hob der alte Lurikeen die Hand und der Jüngere duckte sich ängstlich. "Fauler Zauber sagst du? interessant, sehr interessant. Wir haben den kurzen, aber eindrucksvollen Kampf mitverfolgt, mein Junge. Hier kann von Betrug und schmutzigen Tricks keine Rede sein." Sein ganzer Zorn entlud sich jetzt auf den unglücksseligen Lurikeen und dieser fing sich prompt zwei weitere klatschende Schläge auf die Wange ein. "Geht, geht Uns aus den Augen! alle!" donnerte der König. "Geht in eure Häuser und schämt euch für heute, Hibernianer zu sein. Los, verschwindet, sofort!" sie gehorchten ausnahmlos, schlichen fort wie geprügelte Hunde und ließen die Köpfe hängen. Bald befanden sich nur noch Keena, Brakalu und ich auf dem Hügel. Mikata drehte sich um und wollte den anderen eilig folgen, doch die schneidende Stimme ihres Vaters ließ sie zusammenfahren und stehenbleiben: "Du bleibst hier!" Mikata wand sich wie unter Schmerzen und trottete zu uns zurück. Der Blick, den sie mir zuwarf, war mehr als nur hasserfüllt. Eine ganze Weile musterte der König seine Tochter nur, während mir die Kraft aus dem verletzten Bein wich und mich veranlasste, mich ungelenk ins Gras sinken zu lassen. Ich murmelte erschöpft mein wohltuendes, schmerzlinderndes Lied und betastete gleichzeitig vorsichtig meinen Oberschenkel. Dieses falsche Biest, soviel zu ihrem Trainingskampf. Hätte ich keine Kettenrüstung getragen, hätte mich die Attacke wahrscheinlich das Bein gekostet. Der König folgte meinem Blick, ehe sein Kopf zu der nunmehr sehr niedergeschlagen wirkenden Prinzessin herumruckte. "So, Mikata," sagte er leise und musterte sie aus leicht verengten Augen. "Willst du mir erklären, was du dir nur dabei gedacht hast, Llienne zu einem solch unsinnigen Duell herauszufordern? du hättest sie töten können- und sie dich ebenso. Was, um Himmels Willen, sollte das?" die Prinzessin scharrte unbehaglich mit ihrer Stiefelspitze. "Ich..." setzte sie an, biss sich auf die Lippen und brach wieder ab.

"Nun? sprich ruhig weiter."

Da stieß die junge Frau zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor: "Eure...Eure Gäste, wie Ihr sie nennt, sind unsere Feinde! aber trotzdem leben sie hier, essen unser Brot und trinken unseren Wein...sie...sie kommen hierher und jeder schenkt ihnen Aufmerksamkeit und Ihr bemüht Euch wegen Murdaigean so sehr um sie...warum wollt Ihr Midgarder," sie spie das Wort regelrecht aus, "warum wollt Ihr ausgerechnet Midgarder schicken und nicht mich? das ist nicht fair." Erstaunt sah ihr Vater sie an. "Woher weißt du überhaupt von Murdaigean?" fragte er scharf. Mikata wurde blass und sah schnell zur Seite. "Ich...ich...gut, ich gebs zu, ich habe gelauscht, als Ihr davon gesprochen habt," sagte sie nach einem merklichen Moment des Zögerns. Das war eine Lüge, ich spürte es instinktiv. Warum ich mir da so sicher war, konnte ich nicht genau sagen, aber ich hätte einen Eid darauf geschworen, dass Mikata ihren Vater anlog. "Verstehe ich das richtig? du warst eifersüchtig?" fragte der König ungläubig. Mikata senkte nur reumütig den Kopf. Neben mir hörte ich Keena verächtlich schnauben. Ein kurzer Blick in ihr Gesicht bestätigte mir, dass die Valkyn der Prinzessin ebenso wenig glaubte wie ich. "Hhmmm," machte der König. Stirnrunzelnd sah er auf den demütig gesenkten Schopf seiner durch und durch zerknirscht wirkenden Tochter herab. "Also gut," sagte er versöhnlich. "Es ist ja noch einmal gut ausgegangen. Du wirst dich jetzt bei Llienne entschuldigen und mir schwören, dass du solche Dummheiten nicht wieder machst!" sie drehte sich zu mir um und ihr Gesicht war völlig ausdruckslos, nur ihre Augen schimmerten kalt. Ihre Stimme dagegen war umso reumütiger, als sie kurz das Haupt vor mir neigte: "Bitte verzeiht mir mein Betragen, Llienne. Ich werde Euch nicht mehr belästigen und bitte Euch um Entschuldigung für mein dummes Verhalten." Keena schnaubte nochmals, was ihr einen missbilligenden Blick des Königs einbrachte. Ich hingegen betrachtete abschätzend das Gesicht der Lurikeen. Auch diese Worte waren nicht ernst gemeint, das spürte ich. Sie hasste mich nach wie vor und diese Niederlage war eine Demütigung, die sie mir gar nicht verzeihen konnte- und die höchstwahrscheinlich nicht ungesühnt bleiben würde. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie der König mit einem Anflug von Unmut die Arme vor der Brust verschränkte, und so gab ich nach: "Es ist gut, Prinzessin. Vergessen wir, was war- ich nehme die Entschuldigung an." Mikata nickte und schenkte mir ein Lächeln und einen eisigen Blick. Der König klatschte kurz in die Hände. "Na also, damit wäre das dann doch noch geklärt. Ich verlasse mich auf euch beide," er sah mahnend von Mikata zu mir und wieder zurück, "und ich schätze es überhaupt nicht, wenn mein Vertrauen enttäuscht wird. Nun denn, ich kehre in den Palast zurück. Wehe, ihr geht aufeinander los, wenn ich gerade nicht hinsehe." Er schmunzelte, doch ich war mir nicht sicher, ob die Worte wirklich so scherzhaft gemeint waren. Ich schluckte kurz und starrte ihm nach. Innerlich hatte ich gerade endlich einen Entschluss gefasst. Ich wollte nicht einen Tag länger mit seinem Ungetüm von Tocher verbringen, ich wollte endlich aus diesem fremden Land raus und ich wollte auch die immer beinahe körperlich schmerzenden Blicke der Hibernianer nicht mehr sehen. Es machte mich krank, verfolgte mich sogar in meinen Träumen. Und wenn es nur eine Möglichkeit war, um all dem ein Ende zu setzen...

"Ah...Eure Hoheit?" er blieb stehen und sah mich fragend an. "Mh?" ich holte tief Luft, trat zu ihm und beugte langsam das unverletzte Bein. Keena verfolgte mein Tun mit großen Augen und ich hörte, wie sie leise ein paar Worte mit Brakalu wechselte. Ich beachtete die beiden nicht. "Eure Hoheit," sagte ich mit fester Stimme, "ich habe mich entschieden."

"Ah? und was genau meinst du, mein Kind?"

"Ich habe meine Meinung geändert. Ich werde für Euch nach Murdaigean reisen."

Kindfrau

"Keena, nun warte doch mal..."

"Lass mich bloß in Ruhe!"

"Wollen wir nicht wenigsten versuchen, drüber zu reden?"

"Hau bloß ab."

Ich ballte die Fäuste und lief hinter meiner Freundin her. Hätte ich gewusst, was meine wenigen Worte für eine Wirkung auf alle Beteiligten haben würden- ich hätte den König um eine persönliche und geheime Audienz gebeten. Mikata sah aus, als hätte ich ihr einen kalten Eimer Wasser über den Kopf geschüttet, der König freute sich wie ein Kind und war gleichermaßen völlig überrascht, Brakalu zeigte nicht direkt Anzeichen von Unmut, aber so etwas wie Enttäuschung, was mich insgeheim doch traf. Aber Keena... ihre Haltung war erschlafft, der gerade noch über meinen Triumph vorherrschende Stolz verpufft- als hätte ich mich plötzlich umgedreht und ihr eine Klinge in den Leib gerammt. Diese stumme Anklage war zuviel für mich und ich konnte ihrem durchdringenden Blick nicht länger standhalten. Wir brauchten nicht einmal eine Wache, die uns zurückbrachte. Keena hatte sich wortlos umgedreht und war in Richtung Gefängnishütte zurückgestürmt. Sehr viel gefasster, aber hoch aufgerichtet und noch unnahmbarer als sonst, war ihr der Nekromant gefolgt. Ich war allein mit Mikata und ihrem Vater. Doch auch die Prinzessin verließ uns nach wenigen Augenblicken. Was sie dachte, konnte ich nicht erraten, sie schien zwar sehr erstaunt, aber merkwürdigerweise nicht mehr zornig zu sein. Warm lächelnd hatte mir der König die Hände auf die Schutern gelegt. "Das war eine gute Entscheidung, mein Kind. Du wirst es nicht bereuen und du glaubst gar nicht, wie unendlich erleichtert ich bin. Aber geh erst einmal deinen Freunden nach, besonders die junge Valkyn scheint ein wenig...aufgebracht zu sein. Vielleicht kannst du sie umstimmen, glaub mir, es wird euch nicht schaden. Und...geh zu Rhee, lass dein Bein behandeln." Ich hätte am liebsten gelacht...Keena umzustimmen, war schon schwierig genug, wenn sie nicht gerade eine Höllenwut auf mich hatte. Doch ich hatte nicht wiedersprochen, sondern nur sachte genickt und mich mit einem kleinen Knicks zurückgezogen. Das strahlende Lächeln des Königs hatte ich noch vor Augen, als ich eine halbe Stunde später die Hütte betrat. Nun stand ich -mein Bein war mit einem straffen Verband versehen worden und der Schmerz war schon fast erträglich- mit dem Rücken zur Tür, verschränkte die Arme vor der Brust und sah Keena zu, die wie ein gefangenes Tier in dem kleinen Raum auf- und abging. "Was ist denn so schlimm daran? ich habe keine Lust mehr, hier gefangen zu sein und mich zu fühlen, als hätte ich wer-weiß-was verbrochen!" Brakalu sah mich mit leicht schräg gehaltenem Kopf an und schwieg, nur ein ganz kleines, höhnisches Lächeln kräuselte seine Lippen. Ich warf ihm einen wütenden Blick zu und wandte mich dann wieder an Keena. "Hörst du mir überhaupt zu?"

"Oh, sicher..."

"Würdest du dann auch deinen Sarkasmus ausstellen und vernünftig mit mir reden?" sie warf ihre blonde Mähne in den Nacken und funkelte mich zornig an. "Vernünftig? das sagst ausgerechnet du?" fragte sie mit leiser, bebender Stimme. "Gut, reden wir, wenn du meine Meinung dazu unbedingt hören willst!" mit zwei schnellen Schritten war sie bei mir, baute sich vor mir auf und brachte ihr Gesicht ganz nahe an meines. "Dann hör mir jetzt mal zu, Llienne Asmundsdottier. Zuerst einmal bist du ein verdammtes Weichei. Wenn mal nicht alles glattläuft, bist du am heulen." Ich zuckte zusammen, sagte aber nichts, sondern erwiderte ihren Blick trotzig. "Dann bist du auch noch so heuchlerisch, dass mir schlecht wird. Von wegen 'ich sterbe eher, als mich Hibernia zu verkaufen'. Das war wieder mal nichts als saudummes Geschwätz. Du hast dich gerade verkauft, meine Liebe, und das auf verdammt billige Weise...hast deine Meinung geändert, dass ich nicht lache. Und nun bist du beleidigt und fühlst dich getreten, noch etwas, das ich an dir nicht leiden kann- du beharrst immer auf die Meinung der anderen, aber wenn du sie hörst, wirst du zum Kleinkind." Ich startete einen schwachen Versuch, mich zu verteidigen: "Das musst du gerade sagen..." harsch fiel sie mir ins Wort: "Und dann kommt sowas, du versuchst, es auf andere abzuwälzen. Aber ich habe keine Lust, mich für diese Idioten zu biegen und zu brechen. Bitte, du kannst es gern machen, aber lass mich damit einfach in Ruhe. Das wars von meiner Seite, ganz so, wie du wolltest. Zufrieden?" ich spürte einen dicken Klumpen im Hals und meine Augen brannten. Langsam drehte ich mich zu dem Inconnu um. "Und, hast du auch noch was dazu zu sagen?" fragte ich. Er zuckte mit den Achseln: "Ich glaube, dass sie Rrecht hat."

Da drehte ich mich um und floh.

Ich stürmte aus der Hütte und rannte beinahe die beiden Kelten über den Haufen, die gerade in diesem Moment zurückkehrten, um ihre Wache wieder einzunehmen. "Heya," entfuhr es dem Älteren überrascht. "Wo willst du hin?" der Jüngere griff reflexartig nach meinem Arm, doch ich schlug seine Hand beiseite und humpelte weiter, so schnell ich das mit meinem malträtierten Bein konnte. Dass ich dabei zielsicher auf das Wäldchen mit dem Grab Des Beschwörers zusteuerte, merkte ich nicht einmal. Ich stolperte weiter, und heiße, salzige Tränen brannten hinter meinen Lidern. Ich fühlte mich schäbig und miserabel und hätte sich Der Beschwörer jetzt auf mich gestürzt, um statt Zaphykel mich zu erdrosseln- ich hätte mich wahrscheinlich nicht gewehrt. Doch der Untote hatte kein Interesse an mir. Er warf mir nur einen kurzen Blick aus seinen seelenlosen, kalten Augen zu und schlurfte dann, von seinen Skeletten begleitet, auf das Seeufer zu. Meine Lippen zitterten und ich sah ihm einen Moment nach- auf bizarre Weise erinnerte mich sein Verhalten an Keena und den Inconnu: Auch sie schienen jegliches Interesse an mir verloren zu haben und kehrten mir den Rücken. Ich schluchzte auf und rutschte an dem Grabstein herab. Was sollte ich denn tun? ich war eben nicht so willensstark und zäh wie Keena, ich besaß nicht die kühle, eiserne Gelassenheit von Brakalu- hatte ich überhaupt irgendwelche herausragenden Eigenschaften?

"Ja, du hast ein gutes Herz," sagte eine leise Stimme und vor Schreck setzte mein Herzschlag einen Moment aus. Ich blinzelte und blickte in Zaphykels Gesicht und benötigte einen Augenblick, um zu begreifen, dass ich die letzte Frage laut ausgesprochen hatte. Schnell wischte ich mir über die Augen und stemmte mich mühsam hoch, wobei ich mein verletztes Bein nach Möglichkeit zu schonen suchte und Zaphykels hilfreich ausgestreckte Hand ignorierte. "Was willst du?" fragte ich ruppig.

"Ich habe gesehen, dass du hierher gelaufen bist und habe den Wächtern gesagt, sie sollen dich in Ruhe lassen."

"Danke."

Wir schwiegen einen Moment und Zaphykel warf mir -so dachte er wohl- unauffällige Seitenblicke zu. Ich war verlegen, trauig und wütend und versuchte, mich in einen patzigen Ton zu retten. "Was ist denn?" raunzte ich. "Ja, ich hab geheult, man sieht's." Zaphykel murmelte irgend etwas und wurde leicht rot um die Nasenspitze, doch ich dachte nicht daran, einzulenken. "Willst du mir jetzt auch noch sagen, was für ein verweichlichtes Kindchen ich bin? spar dir das bitte, ich weiß es selbst." Doch der Elf schüttelte sachte den Kopf. "Ich bin gekommen, um dich zu warnen." Ich stockte, und sah ihn misstrauisch an. "Warnen? wovor?" sein Blick wurde eindringlich, als er mir fest in die Augen sah. "Der König hat seine Gründe, keine Leute mehr nach Murdaigean zu schicken, weißt du?"

"Nein, weiß ich nicht."

Zaphykel ließ sich durch meinen unverschämten Tonfall nicht reizen. Stattdessen huschte ein kurzer Schatten über sein Gesicht. "Geh nicht, Llienne," sagte er leise. "Es ist so...seit Monaten ist keiner, der dort Erkundungen durchführen wollte, zurück gekehrt. Es tauchen keine Leichen auf, aber die Betroffenen werden nie gefunden. Geh nicht!" ich ließ mir einen Moment Zeit, um seine Worte in mich einwirken zu lassen. Dass mir dabei eine kurze Gänsehaut den Rücken hinunterkroch, konnte ich nicht bestreiten. "Aber...wurde denn keine größere Truppe losgeschickt? sicherlich kann eine gut ausgerüstete Gruppe mehr ausrichten als ein oder zwei Personen...?" fragte ich, wobei sich meine Stimme unwillentlich ein wenig senkte. Der Elf schüttelte betrübt den Kopf. "Auch das haben wir versucht. Der König hat acht seiner besten Männer losgeschickt, erfahrene Kämpfer und perfekt aufeinander eingespielt. Ob sie jemals in Murdaigean angekommen sind, weiß niemand- auch sie gelten als verschollen." Ich verstand nicht, worauf er wirklich hinauswollte. "Und warum glaubt er, dass ausgerechnet ich ihm dann helfen kann?" da lachte Zaphykel, und es klang bitter. "Oh Llienne, sei doch nicht so naiv. Das meinte ich, als ich sagte, du hättest ein gutes Herz. Du hast einen Inconnu gerettet, du hast mich gerettet und nun glaubst du sogar das, was dieser durchtriebene alte Mann dir da auftischt." Ich starrte ihn sprachlos an, und er fuhr grimmig fort: "Selbstverständlich bist du keineswegs besser geeignet als irgend einer unserer voll ausgebildeten Krieger, die überdies in Hibernia zu Hause sind, wobei du und die anderen zwei hier als Fremde nicht einmal die Geheimnisse des Innenlandes kennen. Der König hat lediglich die Hoffnung noch nicht aufgegeben, doch das gesamte Geheimnis von diesem Posten entdecken zu können. Nur will er dafür nicht noch mehr wertvolle Kämpfer opfern. Deswegen wollte er dich und deine Freunde benutzen." Ich schnappte nach Luft. "Das..."

"...das ist die Wahrheit, glaub mir. Ihr seid nicht die ersten Gefangenen, die er dafür vorschickt. Es waren schon mehrmals Midgarder und Albioner hier. Ich habe mich am Anfang immer um sie gekümmert, daher kann ich auch eure Sprache so gut. Ich versichere dir, dieser Mann liebt sein Land, aber er geht dafür über Leichen. Und denk doch mal nach...was kann man besser verschmerzen...eine junge, nocht nicht einmal fertig ausgebildete Fremde aus einem feindlichen Reich oder Helden aus den eigenen Reihen?"

Ich hörte ihm aufmerksam zu. Natürlich hatte ich keinen Grund, seine Worte in Frage zu stellen. Im Gegenteil, ich glaubte ihm, und ich hatte sogar das Gefühl, dass es der junge Beschwörer ehrlich mit mir meinte. "Zaphykel, eins noch..."

"Ja?"

Ich musterte ihn prüfend. "Warum erzählst du mir das? ist das nicht schon fast Verrat?" er zuckte unbehaglich mit den Schultern. "Vielleicht. Aber ich war dir eh noch was schuldig. Du hast mir ein wertvolles Familienerbstück zurückgebracht und mich sogar gerettet. Irgendwann werden wir quitt sein." Ich lächelte leicht und spürte wie ein Teil der schweren Last, die auf meinem Herzen lag, verschwand. "Ich danke dir. Aber...ich werde trotzdem gehen. Je früher, desto besser." Zaphykel sah mich fassungslos an. "Aber...warum? und wenn auch du nie wieder zurückkehrst? wenn du stirbst?!"

"Das lass mal meine Sorge sein."

Wir schwiegen eine Weile und jeder hing seinen Gedanken nach. Ich fuhr mir seufzend durch die Haare und suchte einen Moment verwirrt nach meinen fast taillenlangen Zöpfen, ehe mir wieder einfiel, dass sie dank Mikata nun wohl immer noch im von unserem Kampf und den aufgebrachten Zuschauern zertretenen Gras herumlagen. Als meine Gedanken auf diesem Umweg zu der Lurikeen huschten, kam auch das Misstrauen wieder zurück. Ich erinnerte mich gut an ihren Ausbruch und die offensichtliche Eifersucht. Warum also hatte sie eben, als ich bezüglich Murdaigean endlich meine Entscheidung gefällt hatte, so gar keine Regung gezeigt? das war mehr als seltsam. Zaphykel streckte sich, und stieß sich von dem Grabstein ab. Die Sonne ging unter und tauchte die Umgebung in warmes, goldrotes Licht. Ich trat an dem Elfen vorbei und ging zum Seeufer. Die leichten Wellen plätscherten friedlich und in einiger Entfernung konnte ich Land entdecken, wobei ich mir nicht sicher war, ob es sich dabei um eine Insel oder noch Teile vom Festland handelte. "Eigentlich," murmelte ich und steckte die Nase in den kaum vorhandenen Wind, "eigentlich ist es wirklich schön hier. Da vergisst man glatt, dass wir eigentlich Feinde sein sollten." Ich drehte mich um und betrachtete Zaphykel versonnen. Dieser verschränkte die Arme vor der Brust. "Ich hasse Krieg," sagte er zögernd, "und es gibt genug hier, die genauso denken wie ich. Du darfst nicht alle Hibernianer nach Leuten wie Mikata, den Wächtern oder diesen Schaulustigen von vorhin beurteilen!" ich musste leicht lächeln. "Das tue ich auch nicht," meinte ich. "Aber was die Prinzessin angeht...am ersten Tag sah es so aus, als hätte sie viel für dich übrig." Der Elf grinste schief und trat an meine Seite. "Das hat sie für jeden, der sie ausreichend für ihren Mut und ihre Stärke bewundert. Damit will ich nicht sagen, dass sie von Grund auf schlecht ist. Nein...es ist vielmehr, dass ihr als Prinzessin alles zufliegt und es niemand wagen würde, ihr beispielsweise wirklich eine Niederlage beizubringen, so wie du heute."

"Dann macht sie sich ja selbst was vor!"

Der Elf schüttelte den Kopf. "Sie weiß selbst, dass die meisten nur vor ihr das Knie beugen, um nicht bei ihrem Vater in Ungnade zu fallen. Der König liebt seine Tochter wirklich, aber er sieht selbst nicht ein, dass er ihr keinen Gefallen damit tut, wenn er ständig seine Hand über sie hält. Eigentlich kann sie einem doch fast leid tun, oder?" vielleicht mochte Zaphykel recht haben, und wenn ich auch wusste, dass Mikata vielleicht wirklich nicht die gesamte Schuld an dem trug, was aus ihr geworden war- ich konnte für sie kein Mitgefühl aufbringen. "Das sah heute nicht so aus, als würde ich ihr auch leid tun," meine ich spitz und strich über mein verletztes Bein. Zaphykel seufzte. "Nein. Aber lassen wir das fürs Erste ruhen. Vielmehr interessiert mich, warum du nun trotzdem noch nach Murdaigean willst. Hör zu," seine Augen blitzten vor Aufregung, "ich könnte es sicher irgendwie arrangieren, dass ihr drei doch noch nach Hause kommt. Irgendwie bringe ich euch nach Druim Cain, denn unsere Portalfestung Druim Ligen ist tatsächlich unüberwindbar. Lady Glasny würde sich eher von den Zinnen stürzen, als Fremden ihre Kräfte zur Verfügung zu stellen. Irgendwie muss es..." ich schnitt seinem Redefluss mit einer leichten Handbewegung das Wort ab. "Zaphykel, bitte. Ich weiß deine Hilfsbereitschaft zu schätzen, wirklich. Aber ich will es sogar. Ich will nach Murdaigean und sehen, was dort los ist. Nicht für deinen König. Für mich. Du verstehst das vielleicht nicht..." er fuhr mir erregt ins Wort: "Nein, tue ich nicht! du setzt da womöglich dein Leben aufs Spiel," "...aber es ist so. Ich freue mich, dass ich dich hier kennen gelernt habe." Ich zögerte kurz und fuhr dann sachte lächelnd fort: "Und ich bin froh, dass du zu deinem Erbstück gekommen bist, auch wenn ich das Letzte war, was dein Vater gesehen hat, und nicht du. Ich werde jetzt wohl besser gehen. Hoffentlich sieht man sich wieder, Zaphykel. Bitte kümmere dich in der Zwischenzeit um Keena und Brakalu. Wenn ich versage, werden die beiden nicht nach Murdaigean reisen." Ich drehte mich um und er hielt mich mit scharfer Stimme zurück: "Llienne!"

"Ja?" ich wandte noch einmal den Kopf. Der Elf sah mich ernst an. "Pass auf dich auf." Ich nickte. "Das werde ich." Und damit wandte ich mich endgültig um.

Mein Ziel war Tir na nOgh, und ich erreichte es, ohne aufgehalten zu werden. Um die Hütte, in der sich Keena und Brakalu wohl noch immer aufhielten, machte ich einen etwas übertriebenen Bogen. Zwar konnte ich ein schlechtes Gewissen nicht leugnen -sollte ich mich wirklich ohne jede Form des Abschieds davonmachen?- aber wahrscheinlich wollten sie mich gar nicht sehen. So senkte ich nur den Kopf und beschleunigte meine Schritte, bis ich den kleinen Hügel erklommen hatte und Mag Mell damit aus meinem Blickfeld entschwand. Zu meiner Überraschung standen am Tor nicht die schwer bewaffneten Wächter- sondern der König und ein mir unbekannter Elf. Ich runzelte verwundert die Stirn und trat langsam näher. Als ich vor dem alten Lurikeen stand, bekam ich einen schmerzhaften Stich und spürte einen kurzen Schwall von Wut, der jedoch rasch abflaute. Zaphykels besorgte Worte klangen mir noch in den Ohren nach, doch ich ließ mir nichts anmerken, sondern machte einen höflichen Knicks vor dem alten Mann, ehe ich auch seinem Begleiter einen kurzen Blick aus dem Augenwinkel zuwarf. Ich war seltsamerweise nicht erstaunt, als ich sah, dass der Elf noch recht jung war- ich schätze ihn auf anfang zwanzig. Aber wollte denn der König keine seiner Männer mehr nach Murdaigean schicken? ein leises Räuspern lenkte meine Aufmerksamkeit wieder zu dem Lurikeen, der mich jetzt leicht anlächelte. "Ich habe mir überlegt, dass es unverantwortlich wäre, dich allein loszuschicken, wo dir doch deine Begleiter offenbar nicht beistehen wollen. Darf ich bekannt machen? Athriliath, diese junge Dame ist Llienne, von der du zweifellos schon gehört hast. Llienne, das ist Athriliath. Er wird mit dir reisen und dir nach Möglichkeit beistehen." Der Elf lächelte mich sachte an und tat eine kleine Verbeugung, worauf ich meine Verlegenheit niederstreckte und nun auch vor ihm einen Knicks machte. Der König lachte leise. "Wie ich sehe, versteht ihr euch. Na, das ist erfreulich und für euch beide nur von Vorteil. Wenn ihr dort irgendwelchen Gefahren begegnet, müsst ihr unbedingt zusammenhalten. Wann gedenkt ihr aufzubrechen?" er sah zwischen uns beiden hin und her, und als ich ratlos schwieg, sagte Athriliath: "Warum nicht schon morgen, Eure Majestät? je früher wir diesem Geheimnis auf die Spur kommen, desto besser. Oder was meinst du, Llienne?" er lächelte mich leicht an und ich beeilte mich, ihm zuzustimmen. "Ja, das denke ich auch." Der König klatschte in die Hände. "Sehr gut, sehr gut. Nun, dann schlage ich vor, ihr macht euch reisefertig. Ich habe viel zu tun, morgen früh reist ein Botschafter Albions an. Wir wollen über einen eventuellen Friedenspakt diskutieren und dafür brauche ich jetzt erst einmal meine Ruhe..." seine Worte verloren sich im Gemurmel, als er durch das Tor ins Innere der Festung zurückschritt und uns dabei offenbar völlig vergessen hatte. Athriliath sah ihm mit leicht schief gelegtem Kopf nach. "Frieden zwischen Albion und Hibernia? oje, jeder weiß doch, wie solche Konferenzen wieder ausgehen," meinte er schmunzelnd. Ich runzelte die Stirn, war aber zu befangen, um offen nachzufragen. Der Elf sah mich einen Moment an, ehe er leise lachte. "Prinzessin Mikata wird zum Wirbelsturm und der König...hmmm. Es müssen jedes mal neue Trinkgefäße und Bilder herangeschafft werden, seine Majestät lässt an diesen Dingen nur zu gern seine Wut aus." Er blinzelte, und ich musste lachen. "Dann will ich nicht hier sein, wenn das passiert," sagte ich, meine Scheu Stück für Stück verlierend. Athriliath knuffte mich freundlich in die Seite. "Ich auch nicht, dann doch lieber Murdaigean. Wie sieht es aus, möchtest du mir helfen, ein paar Sachen zusammenzupacken?" er grinste gequält und deutete auf seinen linken Arm. "Ich habe bei schweren Lasten manchmal ein paar Probleme." Ich sah ihn erstaunt an, doch es erschien mir unhöflich, nachzufragen oder seine Bitte abzuschlagen. So stimmte ich zu und folgte ihm ins Burginnere. Während wir uns durch die mir mittlerweile recht vertraut gewordenen Gassen schlängelten, nahm ich mir die Freiheit, meinen künftigen Kampfgefährten ein wenig genauer zu betrachten. Was mir in meiner Nervosität eben entgangen war, fiel mir nun auf: Der Elf war hübsch, zwar nicht gerade dem Schönheitsideal einer vollblütigen Nordfrau entsprechend, aber doch mehr als ansehnlich mit seiner schlanken, geschmeidigen Gestalt, den typisch langen, schneeweißen Haaren und den hellblauen Augen. Doch bei letzteren blieb mein Blick haften. Das linke Auge des Elfen wirkte irgendwie trüb und leer, und ich brauchte einen Moment, ehe ich begriff, dass Athriliath auf diesem Auge blind war. Einen Moment lang hielt ich den Zipfel eines vollen Gedankens in der Hand, schien zu begreifen, wieso der König mir ausgerechnet diesen Mann als Begleiter mitgegeben hatte. Doch ehe ich mir wirklich sicher sein konnte, entglitt mir der Gedanke wieder. Und erst jetzt bemerkte ich, dass ich Athriliath anstarrte. Verlegen senkte ich den Blick, doch der junge Elf schien mir nicht böse zu sein. "Ist etwas?" fragte er freundlich. "Nein, ich fragte mich gerade nur, wie du...Ihr..."

"Bleib beim 'du'," unterbrach er mich gut gelaunt.

"Gut, also...nun, ich fragte mich...wie das mit deinem Auge passiert ist," sagte ich schüchtern. Er seufzte halblaut. "Ah, ja...das ist noch ein Überbleibsel eines Kampfes in Thidranki." Ich sah ihn groß an, und er lächelte leicht. "Ich habe vor einigen Jahren eine Ausbildung als Champion begonnen. Nun, ich dachte damals, ich sei schon stark und erfahren genug, um mich in Thidranki zu beweisen. Da habe ich mich wohl überschätzt. Wir kämpften gegen eine Gruppe

von Albionern und leichtfertig und überheblich, wie ich damals war, setzte ich mich einfach ab und erkundete das Ufer der albionischen Festung, während meine Gefährten an einer Brücke ihre Kräfte sammelten."

"Und dann?" fragte ich atemlos. Ich liebte Kampfgeschichten. Athriliath massierte sich den linken Arm. "Die Festung war schon in Sichtweite und mein Herz hämmerte vor Kampfeslust. Doch ich hatte kaum das andere Ufer überquert, da stürzte sich ein Sarazene aus dem Schatten und griff mich an." Er schloss kurz die Augen, als ihn die Erinnerung übermannte. "Er war sehr viel stärker als ich und seine Waffen waren vergiftet. Bei seinem ersten Hieb spritzen einige Tropfen dieses Giftes auf mein Gesicht und zerstörten mein linkes Augenlicht. Ich dachte, ich werde wahnsinnig vor Schmerz, doch es war nichts gegen das Gefühl, als sich zweimal kalter, giftiger Stahl in meinen Arm bohrten und tatsächlich einen Teil des Knochens splittern ließen." Er schwieg einen Moment nachdenklich. "Das Ende war dann sehr unrühmlich. Ich ergriff wankend die Flucht und schrie um Hilfe, während der Sarazene sich davonmachte. Er wusste wohl, dass meine Gefährten in der Nähe waren und wollte keinen offenen Kampf riskieren. Hätte ich mich noch weiter von der Gruppe entfernt, wäre ich zweifellos tot." Ich senkte beschämt den Blick. "Das tut mir leid," murmelte ich. Er winkte ab. "Nein, nein, ich habe damals prompt die Strafe für meine Vermessenheit bezahlt. Ich war der Jüngste meiner Gruppe und hatte doch das größte Mundwerk. Dass sowas nicht gesund ist, wollte ich zu dem Zeitpunkt nicht glauben. Tja, ich wurde rasch eines besseren belehrt." Mittlerweile waren wir in einer steinernen Halle angelangt, von der aus viele Türen in verschiedene Gänge und neue Zimmer führten. Ein paar junge Elfenchampions unterhielten sich hier und warfen uns nur flüchtige Blicke zu. Lediglich einer klappte das Buch, was er gerade gelesen hatte, zu und grinste spöttisch. "Sieh mal einer an. Athriliath hat endlich wieder einen Auftrag bekommen. Und was für einen- er darf für eine fremde Barbarin Kindermädchen spielen. Eine große Aufgabe für einen Krüppel!" Athriliath fuhr sichtlich zusammen, doch ehe ich den Mund aufmachen konnte, ergriff er mich am Arm und zog mich auf einen der Gänge zu. "Lass ihn," sagte er leise. "Er hat für jeden eine dumme Bemerkung übrig. Am ehesten hört er auf, wenn man ihn gar nicht beachtet." Ich warf einen kurzen Blick über die Schulter zurück. Der Elf warf seinen braunen Zopf in den Nacken, schnaubte noch einmal verächtlich und widmete sich wieder seinem Buch. "So ein Idiot," knurrte ich. Athriliath lächelte leicht. "Ja, das ist er. Komm, wir sind da." Er öffnete eine schmucklose Eichentür und bedeutete mir, einzutreten. Das tat ich, und sah mich interessiert um. Der Raum war recht groß, und hell und freundlich eingerichtet. Auf dem Boden lagen weiß-grau gesprenkelte Felle, aufwendig gestickte Wandteppiche fielen mir ins Auge, und es gab mehrere Vasen mit angenehm duftenden Blumen. "Hübsch hast du es hier," sagte ich. Er lächelte sachte. "Wenn du möchtest, kannst du heute Nacht hier schlafen. Ich habe gehört, du hast dich mit deinen Freunden gestritten?" ich seufzte leise und trat an das einzige Fenster, das es gab. Es war doppelt so groß wie die Fenster, die ich gewohnt war, und das Glas war orange und gelb eingefärbt, was ein sanftes Licht und den Eindruck eines immerwährenden Sonnenuntergangs schuf. Die Sonne selbst war inzwischen gänzlich verschwunden und hinterließ nur einen roten Horizont, den ich vom Fenster aus erkennen konnte: Es war das entfernte Seeufer am Beschwörerwald. "Na ja, der Inconnu ist nicht wirklich mein Freund," antwortete ich mit einiger Verspätung. "Ich weiß selbst nicht, wieso ich darauf bestanden habe, ihn mitzunehmen. Und Keena..." ich seufzte erneut. "Ich bewundere sie sehr und habe das Gefühl, dass sie mir in allem überlegen ist. Aber zugleich werde ich nicht schlau aus ihr, und ständig hat sie nur Spott für mich über." Hinter mir öffnete Athriliath einen großen, weißen Holzschrank und hantierte darin herum. "Dein großer Tag wird kommen," sagte er. "Warum deine Freundin so handelt, weiß ich nicht. Aber sicher wirst du der Welt eines Tages zeigen, wer und was du bist." Ich drehte mich zu ihm herum und lächelte leicht. "Vielleicht. Wobei kann ich dir helfen?" leise ächzend förderte Athriliath einen großen, schweren Holzschild aus den Tiefen des Schrankes zutage. "Ich bin kein Musterbeispiel an Sorgfalt. Dieses gute Stück muss dringend gereinigt und geprüft werden, ich weiß beim besten Willen nicht, ob es einem gut geführten Schwertstoß überhaupt nocht standhält. Es ist ja auch schon Jahre her, dass ich kämpfen musste." Die Last war für den Elfen nicht leicht zu tragen, das sah ich auf den ersten Blick. Und wenn die Aussicht, einen fremden Schild von altem Schmutz zu befreien, mich sonst auch nicht gerade begeistert hätte- bei Athriliath machte es mir seltsamerweise nichts aus. Bereitwillig trat ich auf ihn zu und nahm im den Schild ab, der sich wirklich als recht schwer erwies. Athriliath seufzte auf. "Es ist schon ein Kreuz mit mir...ich bin eigentlich kaum noch zu etwas nütze. Und ausgerechnet ich, ein Krüppel, soll dir in Murdaigean beistehen." Missmutig ließ er sich in die Hocke sinken und griff nach einem schmucklosen Langschwert. Versonnen betrachtete ich seinen Rücken und strich über den Schild. "Red doch nicht so. Wir werden das Ding schon schaukeln. Und...ich bin froh, dass du mitkommst," fügte ich nach einem kurzen Moment schüchtern hinzu. Der Elf hob kurz den Kopf und lächelte ein wenig überrascht. "Im Ernst?" ich nickte. Athriliath wollte etwas erwidern, doch in dem Moment erklang hinter mir ein scharfes Klirren und irgendwas schlug auf dem Fußboden auf. Geistesgegenwärtig hatte der junge Champion mich nach vorn gerissen, die Arme um mich gelegt und sich in der gleichen Bewegung gedreht, wodurch die Splitter meinen ungeschützten Rücken verfehlten. Erschrocken schnappte ich nach Luft und wand mich aus seinem Griff. "Was war das? bist du verletzt?"

Athriliath, der in eine leichte Kettenrüstung gehüllt war, schüttelte beruhigend den Kopf und wandte sich um. Auf dem Boden lag ein kleiner Stein, um den ein Stück Pergament gebunden war. "Scheint, als hätte hier jemand keine Lust gehabt, seine Nachricht persönlich bei uns vorbei zu bringen," meinte er trocken und hob das Geschoss mit spitzen Fingern auf. Ich war einen traurigen Blick zum Fenster. "Das schöne Glas..."

"...ist, im Gegensatz zu deinem Körper, leicht ersetzbar. Mach dir nichts draus." Er lächelte zögernd und ich errötete sachte. "Was steht denn da?" fragte ich, um den mir peinlichen Moment zu überbrücken. Athriliath faltete das Blatt auseinander, öffnete den Mund und stockte. Verwundert runzelte er die Stirn. "Was, zum Teufel...ich kann es nicht lesen!" ich streckte die Hand aus. "Darf ich mal bitte?" wortlos reichte er mir die Nachricht. Meine Augen wurden groß, denn im Gegensatz zu Athriliath konnte ich die Zeilen sehr wohl lesen- sie waren in meiner Muttersprache geschrieben. Die Handschrift war sauber und hübsch anzusehen, höchstwahrscheinlich stammte der Text von einer Frau. Athriliath sah mich mit wachsender Verwirrung an, und ich las laut vor:
 

Hör zu, Kindfrau!

Wir werden es nur jetzt und einmal tun, also sieh dich vor! Komm nicht nach Murdaigean, bleib in Hibernia oder geh in dein Reich zurück, aber wage es nicht, einen Fuß nach Murdaigean zu setzen. Du bist gewarnt worden, Kindfrau. Tust du diese Warnung leichtfertig ab und kommst doch, so wirst du sterben. Und dein Freund, der Krüppel, ebenso. Vergiss das nicht!
 

Ich sah Athriliath an, meine Hand schloss sich fest um den Brief. "Das ist alles." Der Elf war eine Spur blasser geworden und biss sich auf die Unterlippe. "Das klang...nicht nett," sagte er gepresst. "Hast du eine Ahnung, wer das geschrieben haben könnte?" ich schüttelte den Kopf. Nein, die hatte ich beim besten Willen nicht. Wer hätte schon einen Grund, mir einen solchen Brief zu schicken? und wer verstand sich auf die midländische Schrift? ich war ratlos. Plötzlich sagte der Elf: "Da, auf der Rückseite, steht noch ein Wort...ist das ein Name?" ich drehte das Blatt- und hatte das Gefühl, als schlüge mir jemand eine unsichtbare Faust in den Magen. Das Wort, das dort stand, war tatsächlich ein Name: Keena.

"Ist etwas?" fragte Athriliath besorgt. "Du bist kreidebleich!" ich war fast im Begriff, die Nachricht zusammen zu knüllen, doch ich riss mich im letzten Moment zusammen und holte tief Luft. "Athriliath, bitte warte hier oder pack schonmal deine Sachen zusammen. Ich...ich habe noch etwas zu erledigen." Er sah mich neugierig an. "Soll ich mitkommen?" irgendwie schaffte ich es, ein etwas verkniffenes Lächeln auf meine Lippen zu zaubern. "Nein, bitte...pack einfach deine Sachen. Ich werd mich beeilen." Ich nickte ihm nur kurz zu, wartete seine Antwort nicht ab und verließ schnellen Schrittes das Zimmer. Während ich durch den Gang und die Halle ins Freie trat, zwang ich mich zur Ruhe und überdachte das eben Erlebte mit nüchterner Vernunft. Keena würde mir kaum einen so drohenden Brief schicken, dazu hatte sie nun gar keinen Grund. Und wenn es sich dabei auch um einen Scherz handelte- diese Art Humor passte nicht zu der Valkyn. Ich konnte Tir na nOgh ungehindert verlassen und steuerte, den Brief fest in der Hand, auf Mag Mell zu. Die beiden Wächter, auf deren Kommentare ich mich innerlich schon vorbereitet hatte, sah ich nirgendwo. Na, umso besser. Leise trat ich ein und brauchte einen Moment, um meine Augen an das schummrige Licht zu gewöhnen. Keena und Brakalu lagen auf ihrem Lager aus Kissen und Decken und schienen zu schlafen. Ich sah abschätzend auf die beiden hinunter, ehe ich mich behutsam neben Keena kniete und sie leicht, aber nachdrücklich an der Schulter rüttelte. "Keena, wach auf. Ich muss mit dir sprechen." Meine Bemühungen wurden von einem unwilligen Brummen begleitet, doch darauf nahm ich keine Rücksicht, sondern schüttelte sie fester. "Wach auf, es ist wichtig!" sagte ich ärgerlich. Endlich öffnete sie die Augen, blinzelte und sah mich an. "Llienne?"

"So ist es."

Noch immer verschlafen, stütze sie sich auf die Ellenbögen auf und musterte mich nicht sehr freundlich. "Ich dachte, du bist gar nicht mehr hier." Ich ignorierte ihre Worte, sondern hielt ihr den Zettel vor die Nase. "Kennst du das?" sie verstummte, kniff die Augen zusammen und las stumm die im Halbdunkel kaum erkennbaren Zeilen. "Was...?" murmelte sie verwirrt. Ich schwieg und sah sie nur abwartend an. Keena schüttelte den Kopf und stand auf. "Ich hab keine Ahnung, von wem dieser Brief stammt. Ich habe ihn nicht geschrieben."

"Nein?"

"Nein, verdammt. Traust du mir sowas wirklich zu? dass ich dich töten will?" sie lachte halb spöttisch, halb ungläubig. "Ich bitte dich!" ich zuckte die Achseln und stieß einen Stoßseufzer aus. "Ich weiß überhaupt nicht mehr, was ich glauben soll," sagte ich beinahe kläglich. "Aber wer wars dann? ich kenne hier niemanden, der unserer Sprache mächtig ist." Keena zwirbelte eine goldfarbene Sträne um den linken Zeigefinger. Durch die Wimpern hindurch warf sie mir einen scheelen Blick zu. "Wie wär es mit diesem Elfen? Zaphykel?" ich schüttelte beinahe automatisch den Kopf. "Ausgeschlossen, das würde er nicht tun.Guck mich nicht so an, ich bin mir sicher. Wir haben...recht viel miteinander gesprochen. Er hat sogar das Gefühl, als wäre er mir was schuldig. Außerdem sieht das nach einer Frauenhandschrift aus." Keena fuhr fort, ihre Haarsträhne zu zwirbeln und grinste leicht. "Na ja, bei ihm würd ich nicht drauf wetten, dass er wirklich 'n Kerl ist..." ich sah sie ärgerlich an. "Das ist überhaupt nicht komisch. Da hat mir jemand mit Mord gedroht, falls du es schon vergessen hast." Ihre Miene wurde schlagartig ernst. "Entschuldige." Plötzlich runzelte sie die Stirn und sah mich prüfend an. "Sag mal...wer ist eigentlich 'Dein Freund, der Krüppel'?" ich merkte, wie mir die Röte in die Wangen stieg. Gleich würden wieder böse Worte fallen, ich ahnte es schon. "Das...ist der Begleiter, den mir der König mitgegeben hat...nach Murdaigean, du weißt schon," antwortete ich unbehaglich. Und gleich darauf übermannte mich wieder das Gefühl, als müsse ich mich vor meiner Freundin rechtfertigen: "Du wolltest ja nicht." Sie zuckte bloß die Achseln. "Darüber haben wir ja schon gesprochen und du kennst meine Meinung. Und nur, weil ich dich jetzt nicht niedermache, habe ich nach wie vor eine Riesenwut auf dich oder besser deine Feigheit." Ich starrte sie an, während sich nebst Betroffenheit auch Zorn in mir breit machte. "Und was willst du stattdessen machen? dein restliches Leben in dieser Hütte eingesperrt sein? das ist für mich kein Trotz," ich verzog das Gesicht, "sondern die Feigheit, die du mir so gerne anhängst. Damit tust du nämlich rein gar nichts, um endlich hier rauszukommen. Na ja, deine Sache. Ich gehe jetzt. Grüß Brakalu, wenn er aufwacht."

"Ich bin schon wach." Der Inconnu hatte sich still aufgesetzt und unserem kurzen Streitgespräch aufmerksam gelauscht. "Ich gebe sowas ungerrn zu...aberr ich glaube, ich habe heute Nachmittag nicht nachgedacht." Keena verdrehte die Augen, doch ich drehte mich stirnrunzelnd zu dem kleinen Nekromanten um. "Was meinst du?" er zuckte sachte die Achseln. "Du hast eben gut gesprrochen. Entschuldige meine Verrachtung." Diese knappen, beinahe kühlen Worte beglückten mich auf eigentümliche Weise und ich musterte ihn nachdenklich, während sich ein leichtes Lächeln auf meine Lippen stahl. "Ist schon in Ordnung. Bitte, das richtet sich jetzt an euch beide...wollt ihr nicht doch mitkommen?" meine Stimme klang weder bockig, noch flehend. "Wir sind zu dritt hier reingeraten, wollen wir nicht auch zu dritt einen Weg hinaus finden?" Keena öffnete den Mund und schloss ihn wieder, Brakalu betrachtete mich nur aus seinen unergründlichen, pupillenlosen Augen. "Ich will nicht allein gehen," gestand ich schließlich. "Nicht nur aus Feigheit..." ich warf Keena einen kurzen Blick zu, "...sondern weil es mir unerträglich wäre wenn ich sterbe und nicht weiß, was mit euch passiert, oder einen Weg nach Hause finde und das in dem Wissen, dass ihr immer noch hier seid." Keena gab sich einen sichtlichen Ruck. Doch gerade, als sie den Mund öffnen wollte, unterbrach sie eine barsche Stimme: "Komm jetzt endlich, Barbarin. Du wirst allein mit diesem Jämmerling gehen, die beiden da hatten ihre Chance." Mikata, natürlich. Langsam drehte ich mich um und musterte die Lurikeen voller Abneigung. "Am ersten Tag hat Euer Vater noch uns allen das Angebot gemacht, nach Murdaigean zu reisen," sagte ich steif. "Und jetzt wären die beiden eventuell bereit, darauf einzugehen. Warum also soll ich alleine gehen?" es kostete mich alle Mühe, meinen Tonfall ruhig klingen zu lassen und sämtliche Aggressivität aus meiner Stimme zu verbannen. Doch ich hätte in der Zwischenzeit eigentlich lernen müssen, dass ich es der Prinzessin niemals recht machen konnte. So erwiderte sie schneidend: "Ich bin mir durchaus bewusst, was mein Vater am ersten Tag gesagt hat, Teuerste. Doch das war, wie du schon treffend bemerkt hast, am ersten Tag. In der Zwischenzeit hat sich seine Meinung geändert. Pech für die beiden, sie hätten eher zusagen können. Also komm!" sie packte meinen Arm. Ich rührte mich nicht und starrte die Kleinere an. "Ich will mit dem König sprechen!" ihr Griff verstärkte sich und wurde schmerzhaft. "Du wirst mit mir kommen, du unverschämtes Weib!" fauchte sie. "Mein Vater ist in einer Besprechung mit einem albionischen Botschafter." Ein boshaftes Funkeln trat in ihre Augen, als sie Brakalu, der sich stocksteif aufgerichtet hatte, einen verächtlichen Blick zuwarf. "Mach dir keine Hoffnungen, Fischkopf. Dieser Idiot weiß nichtmal, dass du hier bist. Ich glaube, sie haben nur kurz über deinen tragischen Tod auf dem Schlachtfeld gesprochen. Und mehr muss der gute Mann ja auch nicht erfahren." Während der Inconnu sichtbar erschlaffte, spürte ich, wie der nur papierdünne Mantel meiner Selbstbeherrschung zu zerreißen drohte. Ich hatte meine Begleiter beinahe so weit gehabt. Wir hätten uns versöhnt, ausgesprochen, wären zusammen nach Murdaigean gereist und danach zusammen in unsere Heimat gegangen. Und nun kam dieses unerträgliche kleine Scheusal und machte binnen weniger Sekunden alles zunichte. Der Frust von Monaten, Wut und Enttäuschung ließen sich nicht länger zähmen. "Du...!" knurrte ich. Sie hob den Kopf- um nur noch meine geballte Faust zu sehen, die ihr zielsicher entgegen eilte. Vor Schmerz aufheulend, hielt sich die Prinzessin mit beiden Händen die Nase und taumelte ein Stück zurück. Ich setzte ihr nach und gab ihr einen kräftigen Tritt gegen das Knie, der sie zu Fall brachte. " Halt bloß die Klappe!" raunte ich drohend. Sie zuckte vor unterdrücktem Schmerz, aus ihrer Nase rann ein feiner Blutstrom. "Keena, hast du irgendwas, um sie zu knebeln?" fragte ich über die Schulter. Eilig zog das Katzenmädchen einen feinen Seidenbezug von einem der Kissen und reichte ihn mir. Ich packte das Stoffstück und riss mit den Zähnen einen unregelmäßigen Streifen heraus. Ehe sich die Lurikeen versah, war sie schon geknebelt und mit den Händen auf dem Rücken gefesselt. Das würde zwar nicht lange halten -ich hatte Mikatas Kräfte schon mehr als einmal unterschätzt- aber vielleicht gerade so lange, um uns einen nötigen Vorsprung zu verschaffen. "Haff hirft fu 'eheuen," brachte die Lurikeen durch den hinderlichen Knebel mühsam hervor. Ihre Augen tränten vor Schmerz und Zorn. Ich sah mitleidlos auf sie hinab. "Du bist nicht gerade in der Position, um mir zu drohen, weißt du?" Keena und Brakalu gingen an ihr vorbei, und Letzterer schenkte der Liegenden ein nie gesehenes, höhnisches Lächeln. Mikata wand sich wie ein Aal auf dem Trockenen. "Hamit 'ommt ihr nisch 'urch," röchelte sie, während sich ihr Gesicht vor Anstrengung rot verfärbte. Keena grinste. "Ich versteh dich so schlecht, was hast du gesagt?" durch das Stoffstück drang ein gotteslästerlicher, halb erstickter Fluch. Ich schüttelte den Kopf, obwohl ich den Genuss dieses Anblicks durchaus noch eine ganze Weile lang ertragen hätte. "Machen wir, dass wir wegkommen. Wenn sie uns erwischen, sind wir fällig." Und ich war ziemlich sicher, dass sie uns erwischen würden, wenn wir noch lange hier herumtrödelten. Die Folgen meines Tuns malte ich mir lieber nicht aus. Hätte ich Mikata in einem fairen Zweikampf niedergestreckt, hätte der König vielleicht noch Verständnis aufbringen können. Doch dies war eine ganz und gar ehrenlose Tat gewesen, noch unritterlicher als der vermeintliche Trainingskampf vor Tir na nOgh. "Tja," sagte Keena plötzlich. "Nun bleibt uns gar nichts anderes übrig, als mitzukommen. Wenn die Herren Wächter das hier sehen, werden sie uns den Schädel einschlagen." Ich musste gegen meinen Willen erleichtert lächeln. "Wir gehen zu dritt?" Keena nickte. "Ich denke, wir gehen zu dritt." Sie warf Brakalu, der sich noch immer am Anblick der Lurikeen waidete, einen fragenden Blick zu. Ohne den Blick abzuwenden, stimmte er zu: "Wirr gehen zu drritt."
 

Unser Abenteuer hätte ein rasches, unrühmliches Ende genommen, wäre es jemand anderes als Zaphykel gewesen, der uns nach wenigen Schritten einholte. Er wirkte beinahe niedergeschlagen und räusperte sich leise. Wir fuhren herum und Keena machte schon Anstalten, sich auf den Elfen zu stürzen, doch ich hielt sie rasch zurück. "Zaphykel," sagte ich stirnrunzelnd. "Was willst du?" er trat langsam näher und musterte uns mit, so schien es mir, einem Hauch von Furcht. "Ich habe eben meine Prinzessin gefunden," sagte er leise. Keenas Gesicht blieb ausdruckslos und Brakalu zog die Brauen zusammen. Ich erwiderte seinen Blick ruhig. "Und nun? willst du uns aufhalten? tu uns beiden den Gefallen und versuch es nicht, Zaphykel. Für deine Hilfe bin ich dir dankbar und will nicht gegen dich kämpfen."

"Ich habe auch nicht vor, gegen dich zu kämpfen, Llienne."

"Sondern?"

Er ließ kraftlos die Arme hängen. "Ich...denke, wir sind nun quitt." Fragend runzelte ich die Stirn. Neben mir scharrte Keena ungeduldig mit dem Fuß, und der Elf sagte beinahe wütend: "Ich habe nochmals gegen meinen König gearbeitet und ihm erzählt, ihr wärt Richtung Tir na mBeo geflohen. Da suchen sie euch nun. Haltet euch an diese Straße, dann kommt ihr in eine Ortschaft namens Ardee. Dahinter fließt ein Fluss, dem folgt ihr, bis ihr eine große Brücke seht. Haltet euch dort verborgen und wartet, bis Athriliath zu euch stößt. Ich denke, er wird Waffen für euch haben." Blass und mit einem Flackern in den Augen, drehte er sich um. Das Ausmaß seines Handels sickerte erst jetzt nach und nach in mein Bewusstsein. Das war reiner, gewollter Verrat gewesen. Für uns, besser für mich, eine Fremde, von der er glaubte, er sei ihr noch etwas schuldig. Impulsiv trat ich von hinten an ihn heran und legte kurz die Arme um ihn, ohne mich um sein Zusammenzucken zu kümmern. "Danke," flüsterte ich ihm ins spitze Ohr. "Ich werde nicht vergessen, was du für uns getan hast. Und ich werde zu Bragi beten, dass er seine Hand über dich hält, bis die Sache vergessen ist." Zaphykel ließ meine Umarmung einen Moment lang geschehen und lächelte ungläubig. "Eine Midgarderin bittet ihren Gott, über mich zu wachen. Du bist ein seltsames Mä...eine seltsame Frau," verbesserte er sich und streifte meine Arme sanft, aber bestimmt ab. "Viel Glück. Ich hoffe, ihr findet, was ihr sucht." Der Elf wandte noch einmal den Kopf, sah uns kurz an und entschwand dann einfach in die Dunkelheit. Ich blieb einige Sekunden stehen, straffte mich und drehte mich dann um. "Ich schätze...wir sollten diese Brücke suchen, oder?" Keena nickte leicht. "Ja. Llienne...?"

"Hm?"

"Kann es sein, dass du heulst?"

Ich schenkte ihr ein trockenes Lächeln und stapfte los, den Blick trotzig nach vorn gerichtet.
 

Gemäß Zaphykels Anweisungen folgten wir der Straße und stießen bald auf die von ihm genannte Stadt. Ardee war klein und beschaulich, es gab nur wenige Häuser und hinter jedem Fenster flackerte ein Licht. Draußen war niemand zu sehen. "Schnell jetzt," zischte Keena. "Wir müssen unser Glück ja nicht heausfordern." Ich nickte stumm und wir schlugen einen großzügigen Bogen um die Siedlung, ehe wir im Laufschritt wieder die Straße ansteuerten. "Was glaubst du, warum hat er das gemacht?" fragte Keena, nachdem wir eine ganze Zeit lang geschwiegen hatten. Ich hob den Kopf und sah sie stirnrunzelnd an. "Was?" sie warf einen kurzen Blick über die Schulter um sich davon zu überzeugen, dass wir immer noch nicht verfolgt wurden. "Warum riskiert er seinen Hals, um uns diese Flucht zu ermöglichen? wenn sie ihn kriegen, wird er in ernste Schwierigkeiten geraten." Ich nickte leicht. "Das wird er wohl. Und frag mich nicht, warum er das Riskio freiwillig in Kauf genommen hat. Vermutlich glaubte er, mir wegen dieser Geschichte mit seinem Erbstück immer noch etwas zu schulden." Keena rümpfte die Nase. "Elfen." Darauf erwiderte ich nichts. Wir setzten unseren Weg -oder besser unsere Flucht- schweigend fort. Bald hörten wir die Geräusche eines Flusses und ich glaubte, in der Ferne bereits die Brücke zu sehen. Plötztlich blieb Keena stehen, so ruckartig, dass Brakalu ihr fast in den Rücken gerannt wäre. Er knurrte unwillig, doch die Valkyn hob rasch die Hand. "Still!" wir gehorchten impulsiv, und das Katzenmädchen ließ sich auf die Knie sinken und legte das rechte Ohr an den Erdboden. So lauschte sie kurz und sprang dann in einer einzigen Bewegung auf die Füße. "Sie kommen," verkündete sie düster. "Und sie haben schnelle Pferde." Ich starrte sie an, packte den kurzbeinigen Inconnu am Arm und rannte unverzüglich los. Hatte man es bis eben noch nicht so bezeichnen können, so war es nun offensichtlich, dass wir wie die Hasen flüchteten. Wir rannten, so schnell wie wir konnten, wobei Keena immer wieder gehetzte Blicke über die Schulter warf und uns zu größerer Eile antrieb. "Tempo, sie sind bald da!" Brakalu grummelte irgend etwas, das ich nicht verstand, doch ich spürte, dass seine Kräfte bereits schwanden und zerrte ihn energisch hinter mir her, auf dass er beinahe das Gleichgewicht verlor. Es wurde ein wahres Wettrennen gegen die Zeit, und wir gewannen es buchstäblich um Haaresbreite: "Da ist die Brücke," rief Keena gedämpft. Ohne groß zu überlegen, sprang sie mit einem kraftvollen Hechtsprung ins Wasser, und ich folgte ihr, wobei ich den stolpernden Inconnu einfach hinter mir herzog. Wir drückten uns in der Dunkelheit gegen den mit feuchtem Moos bewachsenen breiten Pfeiler und hielten den Atem an. Lange brauchten wir nicht zu warten, denn kaum drei Sekunden später näherte sich der Trommelwirbel wilden Hufschlages und unsere Verfolger waren genau über unseren Köpfen. Sie zügelten die schnaubenden Pferde und eine Männerstimme sagte: "Das ist unmöglich, ich war mir sicher, sie eben gesehen zu haben." Ein weiterer Spreche gesellte sich dazu. "Aber sie können sich schlecht in Luft aufgelöst haben!" eine wütende Frauenstimme, die ich nur allzu gut kannte, fuhr den beiden ins Wort: "Dann sucht sie, verdammt noch mal. Und bringt sie mir lebend, vor allem diese nordländische Schlampe! los, eilt euch!" ein vierter Hibernianer mischte sich ein, und ich konnte beinahe hören, wie er Mikata beschwichtigend die Hand auf den Arm legte. "Regt Euch nicht auf, Herrin, wir finden sie schon. Soll ich hier bleiben und Wache halten, falls sie doch noch hier vorbei kommen?" Mikata fauchte eine Zusage und gab dann den Befehl zum Weiterreiten. Die Reiter preschten über die Brücke und der Hufschlag wurde leise, bis er schließlich ganz verebbte. Noch immer wagten wir es nicht, uns zu rühren. Keena drehte mir den Kopf zu und flüsterte beinahe lautlos: "Mit einem sollten wir fertig werden. Bist du bereit?" ich nickte wortlos und sah fragend den Inconnu an. Zu meinem Schrecken hatte er in vollem Konzentrationsaufwand die Augen geschlossen, murmelte stumme Worte und hatte die Arme leicht erhoben. Zwischen seinen Fingern glühte ein unirdisches, blaues Licht- das man in der beinahe völligen Finsternis sicher auch oben auf der Brücke sehen musste. Keena handelte so, wie es ihrer Art entsprach: Sie schlug Brakalu nicht gerade sanft auf die Finger und der Nekromant zuckte zusammen, verlor den geistigen Faden und das Leuchten hörte auf. "Bist du noch ganz dicht?" zischte Keena verärgert. Er sah sie trotzig an und in dem Moment sprang der Hibernianer über uns aus dem Sattel. Offenbar misstrauisch geworden, zog er vernehmlich ein Schwert aus der Scheide. "Prima," flüsterte Keena, wobei sie sich alle Mühe gab, sich möglichst leise zu ärgern. "Hast du gut hingekriegt!" Brakalu sah sie trotzig an und Keena wandte sich verächtlich ab, ehe sie mit einem Satz ans Ufer sprang. Ich folgte ihr, nickte ihr kurz zu und wir schwangen uns mit seinem Satz über die steinere Brüstung. Der Reiter -ich konnte ihn wegen der Ganzkörperrüstung und dem dunklen Kapuzenumhang nicht erkennen- war, obwohl er bereits Verdacht geschöpft haben musste, vollkommen überrascht. Keena hatte weder eine Waffe, noch legte sie Hand an den Mann, doch dieser stieß plötzlich einen halb verwirrten, halb schmerzerfüllten Laut aus und sein Pferd tänzelte nervös. "Leg dein Schwert ab," forderte ich und trat drohend auf ihn zu. Der Reiter fing sich wieder und schlug die Kapuze zurück. Wie zum Schutze hob er die Hände und ich erkannte verblüfft, dass es sich um niemand anderes als Athriliath handelte. "Es ist gut," sagte ich haste und ergriff Keenas Arm. "Er gehört zu uns." Die Valkyn sah den Elfen misstrauisch an. "So?" fragte sie und kniff die Augen zusammen. "Und wer ist das?" ich atmete erleichtert auf und fuhr mir durch die nassen Haare. "Das ist der, auf den wir warten. Wenn ich kurz vorstellen darf," ich nickte in die Richtung des Elfen, "das ist Athriliath. Athriliath, dies sind meine Kameraden, Keena und Brakalu." Der Elf lächelte leicht und neigte den Kopf. Brakalu erwiderte den Gruß stumm, nur Keena rührte sich nicht. Ich stieß sie leicht, aber nachdrücklich in die Seite und räusperte mich, worauf das Katzenmädchen gereizt die Arme hob. "Scheint so, als hast du uns gerade den Hals gerettet," sagte sie unwillig. "Danke." Ich verdrehte die Augen und warf Athriliath einen um Entschuldigung bittenden Blick zu, doch der junge Krieger schien das Benehmen der Valkyn nicht übel zu nehmen. "Zaphykel hat euch gesagt, dass wir uns hier treffen?" erkundigte er sich, während er sich an den gut gefüllten Packtaschen zu schaffen machte. Ich nickte, und nun kam auch die Verwunderung zurück. "Aber wann habt ihr beiden das überhaupt abgemacht? oder war es nur Zufall?" fragte ich, während ich geistesabwesend die silbern schimmernde Axt entgegen nahm, die mir Athriliath reichte. Dieser setzte eine besorgte Miene auf. "Nein, nein, das war durchaus geplant. Teilweise zumindest." Keena griff nach dem mit Runen verzierten Stab, den der Elf vom Sattel löste, und runzelte die Stirn. "Teilweise? was heißt das?" fragte sie ungeduldig, als der andere eine kurze Pause einlegte und tief seufzte. Zum ersten Mal blitzte nun doch so etwas wie Ärger im Gesicht des Elfen auf. "Ihr habt nicht besonders klug gehandelt," sagte er unwirsch. "Wir, also Zaphykel und ich, dachten eigentlich, dass wir Mikata und die Wächter irgendwie ablenken und euch dreien damit eine Möglichkeit geben, in aller Stille zu verschwinden. Danach wären wir euch gefolgt." Er seufzte nochmals und warf mir einen schrägen Blick zu. "Dass ihr die künftige Königin allerdings gleich niederschlagen würdet, konnte keiner von uns vorausahnen." Ich trat verlegen von einen Fuß auf den anderen, doch Keena knurrte nur."Die hat es nicht anders verdient." Athriliath schwieg, doch sein Unmut blieb, während er auch Brakalu einen kunstvoll verzierten Stab reichte. "Und...was ist nun mit Zaphykel?" fragte ich, als der andere keine Anstalten machte, fortzufahren. Athriliath warf mir einen schwer deutbaren Blick zu. "Er ist zurück gegangen und tut vermutlich sehr zerknirscht, weil die Wächter euch trotz seiner standhaften Behauptungen in Tir na mBeo nicht finden werden." Ich sah ihn weiterhin an. "Und was werden sie mit ihm machen, wenn sie rausfinden, dass er...dies alles in die Wege geleitet hat?"

Darauf antwortete Athriliath nicht.
 

Aus dem Tagebuch von Llienne Asmundsdottier, spätere Llienne Havocbringer:
 

"...Es gibt wirklich viel, womit ich recht gut umgehen kann. Angst, Wut oder Enttäuschungen, auch wenn ich in diesem Falle schwer enttäuscht wurde und ich mir durch meine Blindheit wohl einen guten Teil selbst zuzuschreiben habe.Aber es ist beinahe nichts schlimmer als die Gewissheit, durch und durch schuldig zu sein. Ich werde die hohen Damen und Herren, die andere für ihre Ziele wie Schachfiguren einsetzen, niemals verstehen. Wie kann man nur auf den unwissenden Schultern anderer bauen und Pläne schmieden, ohne an diese Schultern und den dazugehörigen Menschen zu denken? ist es überhaupt möglich, einen würdigen Empfang in Walhalla zu bekommen, wenn man bis zu seinem Tod Schuldgefühle gehegt hat?..."
 

Brakalu warf einen nervösen Blick über die Schulter und versuchte die Dunkelheit mit Blicken zu durchdringen. "Wirr sollten forrt von hierr," sagte er leise. Athriliath nickte, warf mir noch einen kurzen, mitfühlenden Blick zu und schwang sich wieder in den Sattel. "Also hört zu. Ich werde jetzt so tun, als hätte ich euch nicht bemerkt. Überquert die Brücke und haltet euch nach links. Allerdings liegt gleich da vorn der Basar, und wenn jetzt auch eigentlich nicht mehr die Zeit dafür ist, seid trotzdem vorsichtig. Am besten schlagt ihr wieder einen großen Bogen. Wenn ihr richtig gegangen seid, werdet ihr die Portalfestung bald sehen können. Und wartet dann, in Danas Namen! versucht nicht, allein dort hineinzukommen. Verstanden?" eindringlich sah er von einem zum anderen. Wir nickten gehorsam. Als ich jedoch Athriliaths starren, beinahe furchtsamen Blick bemerkte, überlegte ich es mir schlagartig wieder anders. "Aber warum eigentlich? sollten wir gefunden werden, könntest du immer noch so tun, als hättest du uns eingefangen. Keiner würde es merken und wir hätten immer noch eine Chance. Wenn wir Mikata aber allein in die Arme laufen, wird sie uns den Schädel einschlagen." Athriliath lächelte säuerlich. "Ob ich dabei bin oder nicht, macht keinen Unterschied. Du willst nicht wirklich wissen, was sie mit euch vorhat, wenn sie euch in die Finger kriegt, glaub mir." Wenn ich an dieses schreckliche, keifende kleine Biest dachte, wollte ich das vermutlich wirklich nicht. Doch mein Entschluss stand fest und ich griff energisch nach den Zügeln. Athriliath folgte der Bewegung mit den Augen, doch er seufzte nur. "Vermutlich warten sie schon in Druim Ligen, sie sind ja in die Richtung geritten. Eigentlich ist es vollkommen zwecklos." Neben mir schniefte Keena übertrieben laut und betrachtete den Elfen spöttisch, doch ich gebot ihr zu schweigen. "Dann warten wir halt," meinte ich gleichmütig. "Mal sehen, wer mehr Zeit hat. Also, was ist nun?" Athriliath stieg mit einem weiteren Seufzer wieder aus dem Sattel. "Wer mehr Zeit hat, kann ich dir sagen, immerhin befinden wir uns immer noch in Hibernia. Aber du gibst anscheinend niemals auf, wie?" ich grinste. "Doch, ab und an schon. Nur heute nicht." Keena scharrte ungeduldig mit dem Fuß und auch Brakalu warf einen weiteren, argwöhnischen Blick nach hinten. Ich nickte stumm, strich kurz über die Waffe an meiner Seite und ging dann entschlossen vor. "Das Pferd wird nur auffallen," warf Athriliath hinter mir ein. Das mochte wohl stimmen, doch was würde Mikata erst sagen, wenn ihr das Tier ohne einen Reiter über den Weg lief. "Das geht schon," antwortete ich deshalb beiläufig und sah mich misstrauisch um. Der Barsar lag tatsächlich wie ausgestorben da, und wenn es hier überhaupt Wächter gab, so waren sie offenbar ebenfalls an der wilden Jagd auf die 'nordländische Schlampe und ihre Kameraden' beteiligt. Hinter einem marmornen Wachturm, zu dem eine geschwungene, mit Efeu bewachsene Treppe hinaufführte, sah ich einen sanft ansteigenden Hügel sowie einen kleinen Wald. "Wenn wir uns hinter dem Hügel bewegen, können wir einfach an ihnen vorbeischleichen," schlug ich vor und setzte mich sogleich in Bewegung, ohne die Antwort meiner Freunde abzuwarten. Athriliath tätschelte sein unruhig schnaubendes Ross. "Ich weiß nicht so recht," sagte er zweifelnd. "Dort treiben sich gelegentlich finstere Gestalten herum. Alpluachras, Pookhas und sogar den Murgar will man gesehen haben." Ich blieb zwar nicht stehen, verlangsamte meine Schritte aber. "Und was sind das für Viecher?" der Elf sah mich an, als hätte ich etwas unbeschreiblich Dummes gesagt. Doch dann besann er sich wieder. "Ich vergesse ständig, dass ihr immer noch Midgarder seid- und Albioner," fügte er hinzu, als er Brakalus missmutiges Gesicht bemerkte. "Nun, über die eben Genannten gibt es nicht viel zu erzählen. Alpluachras werden von Reisenden manchmal für die guten Geister der Lurikeen gehalten. Sie sind aber alles andere als Heilige." Er rümpfte die Nase. "Verschlagene, kleine Diebe, das sind sie. Außerdem zerstören sie mutwillig die Felder der Bauern oder stiften im Basar Unruhe. Egal, wieviele man erschlägt, sie sind eine wahre Plage und kommen immer wieder." Er fuhr sich durch die Haare und seine Spur nahm einen deutlich nervöseren Ton an. "Und die Pookhas...über die weiß eigentlich keiner wirklich Bescheid. Wir nennen sie nur Pferdedämonen. Sie entführen mit Vorliebe Kinder, die nie wieder gesehen wurden. Und der Murgar ist angeblich ihr König. Tja..." unbehaglich hob Athriliath die Schultern. Lurikeenähnliche Bösewichte und unheimliche Pferdedämonen? das war etwas für mich, zweifellos. Ich klopfte auf den Stiel meiner Axt und pustete mir eine der etwas längeren Haarsträhnen aus dem Gesicht. "Dann sollten wir mal vorbeischauen und ihnen eine Lektion erteilen!" sagte ich mit einem nicht ganz echt wirkenden Grinsen. "Du spinnst," brummte Keena. "Wenn es soweit ist, ziehst du doch eh wieder den Schwanz ein." Ich fuhr herum und wollte ihr über den Mund fahren, als Athriliath erschrocken die Hand hob. "Seid ruhig! ich glaube, Mikata kommt zurück. Das nimmt uns die Entscheidung ab, los, zum Hügel!"

Und wieder waren wir auf der Flucht. Brakalu seufzte sehr tief, folgte aber widerspruchslos, als wir in Richtung Bäume hetzten. Der Hügel ging doch steiler nach oben als ich gedacht hatte, und ich begann schon kurze Zeit später, keuchend nach Luft zu schnappend. Trotzdem eilte ich an Athriliaths Seite und half ihm, das sich sträubende Pferd ebenfalls vorwärts zu zwingen. Endlich blieb der Elf stehen, dirigierte das noch immer widerspenstige Pferd hinter zwei großgewachsene Tannen und hockte sich hin. Wir folgten seinem Beispiel, hielten den Atem an und lauschten. Wieder dauerte es nur wenige Herzschläge, ehe ein gutes Stück unter uns die Prinzessin samt ihrer Männer vorbei preschte. An der Brücke zügelten sie die Tiere und drehten sich unschlüssig im Kreis. Was sie miteinander besprachen, konnte ich von hier aus nicht verstehen, doch es war leicht zu erraten: Sie fragten sich, wo ihr zurückgebliebener Kamerad war. "Wie dumm sind die eigentlich," flüsterte Keena gedämpft und verfolgte mit ihren gelb leuchtenden Augen das Geschehen. "Ich hätte meine Leute schon längst in Zweiergruppen aufgeteilt und das Gebiet in alle Richtungen absuchen lassen. So verschwenden sie bloß Zeit." Ich sagte nichts, schon allein, weil ich ihr zustimmen musste. Athriliath jedoch grinste düster. "Mal den Teufel lieber nicht an die Wand," riet er gedämpft. Die Reiter konnten wenigstens keine Gedanken lesen und setzten Keenas Vorschlag nicht in die Tat um. Sie blieben noch etwa fünf Minuten an der Brücke, ehe sie diese überquerten und kurz darauf in der Finsternis verschwanden. Für den Fall, dass Mikata es sich anders überlegte und vielleicht doch noch jemanden zurückschickte, warteten wir jedoch noch eine Weile, ehe sich Athriliath langsam erhob. "Ich denke, wir können jetzt weiter," flüsterte er.

Etwas zupfte mich von hinten an der Schulter.

"Gut," gab ich ebenso leise zurück, ehe ich unwillig mit dem Arm wedelte. "Hör auf, Keena."

"Was mach ich denn?"

"Ach...schon gut."

Athriliath schmunzelte und stand gänzlich auf. Beruhigend legte er seinem Pferd, das ganz offensichtlich immer unruhiger wurde, die Hand auf die Nüstern und streichelte es sanft. "Ssst, ssst, was ist denn, mein Guter. Ihr beide seid wohl nur froh, wenn ihr euch streiten könnt, hm? zeugt aber von einer guten Freundschaft." Keena verzog das Gesicht, ich grinste- und etwas kniff mir unsanft zwischen die Schulterblätter. "Hörst du jetzt wohl auf?" fauchte ich, fuhr herum und sah nur noch zwei kleine Hände, die mir einen derben Stoß vor die Brust gaben. Einen Moment lang kämpfte ich in einer beinahe komisch anmutenden Pose mit beiden Händen um mein Gleichgewicht, ehe ich einen spitzen Schrei ausstieß und rücklings den Hügel hinunter stürzte. Irrte ich mich, oder verschwand da tatsächlich eine kleine Gestalt unter gedämpften Gekicher und albernen Sprüngen hinter der Hügelspitze?

"Llienne!" schrie Keena erschrocken und setzte mir nach. "Hast du dir was getan?" auch Brakalu und Athriliath stolperten mit verwirrten Gesichtern hinter ihr her. Ich selbst lag laut stöhnend im hohen Gras und versuchte die roten Schleier zu vertreiben, die sich über mein Gesicht legen wollten. Alles drehte sich und ich spürte einen unangenehm kupfernen Geschmack im Mund, offenbar hatte ich mir beim Sturz auch noch auf die Zunge gebissen. Dann kniete die Valkyn neben mir und legte besorgt eine Hand unter meinen Hinterkopf. "Was zur Hölle war das? bist du in Ordnung?" ich wollte nicken, überlegte es mir dann aber anders und versuchte, mich aufzusetzen. Dabei wallte schlagartig Übelkeit in mir auf und würgend drehte ich den Kopf zur Seite. Keena seufzte. "Auch das noch. Ja, sie ist noch ganz," sagte sie über die Schulter, als die beiden anderen hinter sie traten. "Aber offenbar," fügte sie hinzu und strich mir über die Stirn, "hat sie sich eine Gehirnerschütterung eingefangen."

"Nein," sagte ich matt.

Keena blinzelte irritiert.

"Nein, ich bin nicht in Ordnung. Scheiße, ist mir schlecht..."

Da musste die Valkyn leise lachen und griff mir unter die Achseln. Da ich keine Rüstung trug, konnte sie mich problemlos stützen, obwohl in mir schon wieder der Brechreiz aufstieg. Athriliath schüttelte verwirrt den Kopf. "Was war das? bist du gestolpert?" fragte er, wobei er meinen linken Arm nahm und ihn sich um die Schulter legte. Ich ächzte leise. "Nein, irgendwas hat mich geschubst." Der Elf war Keena einen kurzen Blick zu. "Hast du was gesehen?" sie schüttelte den Kopf und ging langsam wieder den Hügel hinauf. "Nein, aber wir sollten vorsichtig sein. Man lässt sich ja schlecht zum Spaß nach hinten kippen und riskiert ein Loch im Schädel. Wie auch immer, so kann Llienne nicht weiter."

"Aberr wirr müssen weiterr," warf Brakalu ein. Die Valkyn schenkte ihm einen feindseligen Blick. "Das weiß ich auch," fauchte sie. "Aber sie muss eine Weile ruhen, wenn sie den Mist schon nicht ausliegen kann. Hinter dem Hügel sollten wir wohl sicher sein, und ich pfeif jetzt auf irgendwelche Mikatas oder Alpudingsdas. Kommt!"

Dass wir uns einige Stunden des Nichtstuns eigentlich überhaupt nicht leisten konnten, waren sowohl Brakalu als auch Athriliath klar. Mir eigentlich ebenfalls, doch ich fühlte mich, als wäre eine Horde Trolle über meinen armen Körper getrampelt. Das Kreuz tat mir weh, mir war nach wie vor speiübel und morgen würde ich eine beachtliche Anzahl blauer Flecken vorzeigen können. Dass ich mir nichts gebrochen hatte, kam einem Wunder gleich. Und als ich an die vielen Steine und harten Baumwurzeln dachte, wurde mir klar, dass das Abenteuer sogar noch ein weitaus schlimmeres Ende hätte nehmen können. Trotzdem war ich dankbar, als ich mit Keenas und Athriliaths Hilfe den Hügel überwunden hatte und mich ins Gras legen durfte. Ich war müde, alles drehte sich und ich war schon in einen sachten Halbdämmer geglitten, als sich der Elf und die Valkyn mit gedämpfter Stimme zu streiten begannen. "Wir können uns kein Feuer erlauben," flüsterte Athriliath ungnädig und verschränkte die Arme vor der Brust. "Das weiß ich auch. Aber es ist kalt und sie wird sich was einfangen, wenn sie die ganze Nacht bewegungslos auf der Erde liegt!" Keena stand auf. "Warte du hier," bestimmte sie. "Ich suche Holz und du passt mit dem Inconnu auf Llienne auf. Bis gleich." Und ohne seine Antwort abzuwarten, verschwand sie auf der anderen Seite des Hügels. Ich sah ihr aus halbgeschlossenen Augen nach, ehe ich den Kopf wandte und Athriliaths Blick suchte. Schließlich merkte dieser, dass ich ihn ansah, und wandte sich mir ebenfalls zu. "Ich dachte, du schläfst schon."

"Hab ich auch fast." Er wirkte zerknirscht. "Verzeih, wenn wir dich geweckt haben." Ich winkte leicht ab, versuchte mich aufzusetzen und sank ermattet zurück. "Wer oder was auch immer das war, ich dreh ihm den Hals um," murmelte ich. Vorsichtig betastete ich meinen Hinterkopf. Die leise Berührung tat schon weh und ich ertastete den Ansatz einer prächtigen Beule. "Hmmm...Athriliath?"

"Ja?"

Ich zog fröstelnd die Beine an den Körper. "Wegen dieser ganzen Geschichte...nun...du musst nicht mit uns kommen, wirklich nicht. Es wird dir nur Ärger einbringen. Du könntest mir auf eine andere Art einen viel größeren Dienst erweisen." Er sah mich aufmerksam an. "So?" ich seufzte leise und schloss kurz die Augen. "Verlass uns und schau nach Zaphykel. Ich kann den Gedanken, dass er wegen uns in Schwierigkeiten gerät, nicht ertragen. Geh und sieh, was du für ihn tun kannst. Würdest du das machen?" er sah bedächtig auf mich herab und spielte mit den Fingern. "Ich habe immer noch einen Befehl, nämlich dich nach Murdaigean zu begleiten." Ich lächelte spöttisch. "Und eben hattest du den Befehl, uns einzufangen. Das ist also kein Argument." Der Elf hob die Schultern. "Stimmt. Aber ich will gar nicht zurück, weißt du? ich tue es nicht nur für meinen König. Und auch nicht allein für dich." Sein gesundes Auge funkelte und er kniff die Lippen zusammen. "Zum guten Teil tue ich es für mich selbst. Frag jetzt nicht weiter, bitte. Lass mich einfach mitkommen, ich werde versuchen, dir kein Hindernis zu sein." Ich riss halb empört, halb erschrocken die Augen auf. "Hab ich doch auch nie behauptet!" der Elf wandte ruckartig den Kopf ab. "Das nicht. Aber der Herr hat dir nicht grundlos einen Mann mitgegeben, auf den er noch gerade verzichten kann."

"Athriliath, du..."

"Lass mich, bitte."

Ich hab ihn verärgert, dachte ich betroffen. Auf jeden Fall einen Punkt berührt, der ihn schmerzt. Dass ich dazu kein Recht hatte und es nur fair war, seinen Wunsch zu respektieren, sah ich ein. Trotzdem hatte ich das Gefühl, dass mich der Elf nicht verstand. Ich hatte ihn nicht eine Sekunde lang als hinderlichen Krüppel empfunden, ich wollte nur nicht, dass jemand meinetwegen ins Unglück stürzte. Und Athriliath forderte dies geradezu heraus. Genau wie Zaphykel. Der Gedanke an ihn ließ mich schlucken. Wie es ihm jetzt wohl gerade erging... mitten in meinen Überlegungen kehrte Keena zurück. Sie trug genug Holz für ein wärmendes Lagerfeuer in den Armen und runzelte die Stirn, als sie mich wach und mit kummervoller Miene vorfand. "Warst du schon wach? oder wurdest du geweckt?" fragte sie und warf Brakalu und dem Elfen einen nicht sehr freundlichen Blick zu.

Ich beeilte mich, den Kopf zu schütteln- und wurde abermals mit einer Welle von Übelkeit belohnt. "Bin von selbst aufgewacht," sagte ich gepresst und sog die kühle Nachtluft in tiefen Zügen ein, woraufhin der Drang zu würgen wieder nachließ. "Trotzdem wird man uns meilenweit sehen können," sagte Athriliath bedächtig und musterte den Haufen trockener Äste in Keenas Armen. Diese beachtete ihn nicht weiter, lud ihre Last ab und versuchte, das Holz durch heftiges Reiben von zwei Stöckern zum brennen zu bringen. Athriliath seufzte tief, setzte sich in eine bequeme Position und beobachtete ihre erfolglosen Mühen mit leisem Interesse. Keena fluchte gedämpft, als der erste Stock durchbrach und ihren Daumen ritzte. "Verdammt, das Zeug ist staubtrocken, wieso fängt es kein Feuer?!" in dem Moment stand Brakalu urplötzlich auf und starrte mit leerem Gesicht und schlaff herabhängenden Armen scheinbar gebannt Richtung Norden. "Ist was?" fragte Keena alarmiert und verlor schlagartig das Interesse an dem geplanten Lagerfeuer. Der Nekromant antwortete nicht sondern setzte sich mit langsamen, traumähnlichen Schritten in Bewegung, wobei er weiterhin nach Norden starrte, als könne sich dort gleich die Pforte ins Paradies öffnen. "Hallo, hörst du mir zu?" fragte Keena scharf und packte ihn am Arm. Athriliath war ebenfalls aufgestanden und musterte den Inconnu erstaunt. "Was hat er denn?"

"Ich hab keine Ahnung. Hey, schläfst du?" es gab ein vernehmliches Klatschen, als sie ihn prompt ohrfeigte. Doch auch das schien Brakalu nicht weiter zu beeindrucken, beiläufig schüttelte er Keenas Hand ab und verschwand mit den gleichen, unsicheren Schritten in der Dunkelheit. Keena starrte ihm irritiert nach und schüttelte den Kopf. "Das ist doch..."

"Hol ihn zurück," bat ich, während ich die vollkommene Finsternis mit Blicken zu durchdringen suchte. "Und wenn möglich, ohne ihn grün und blau zu schlagen." Keena grummelte leise. "Was das ´Blau schlagen` angeht, muss ich nicht mehr viel tun," sagte sie lakonisch und folgte dem Inconnu mit energischen Schritten. "Er ist ein bisschen sonderbar, aber das hab ich auch noch nicht erlebt," sagte ich zu dem noch immer verwirrt dreinblickenden Elfen. Er runzelte die Stirn und ließ sich zögerlich wieder auf seinem Platz nieder. "Wie kommt es überhaupt, dass zwei Midgarder mit einem Albioner herumreisen?" ich erzählte ihm unsere Geschichte in knappen Worten und seine Augen wurden groß. "Sehr edelmütig von dir!"

"Vermutlich eher ziemlich dumm. Sowas bringe nur ich. Ich weiß nicht, ob ich darauf stolz sein sollte. Und darüber hab ich mit Zaphykel schon ausführlich diskutiert," fügte ich eine Spur lauter hinzu, als Athriliath den Mund öffnete. Er nickte verständnisvoll und im selben Moment wehte ein halb überraschter, halb erschrockener Schrei zu uns hinüber, der schlagartig wieder abbrach. Ich wurde bleich. "Das war Keena," flüsterte ich und setze mich unendlich vorsichtig auf. Athriliath schüttelte energisch den Kopf. "Warte hier und sei leise. Ich schaue nach."

"Aber ich will nicht..."

"Du kannst jetzt gar nichts machen. Sei vernünftig, Llienne, ich bin gleich zurück." Keine Widerworte mehr hinnehmend, sprang er auf, packte Schild und Schwert und verschwand mit einem einzigen großen Satz in der Finsternis. Ich war allein. Neben mir knackte etwas und ich drehte nervös den Kopf, konnte jedoch nichts erkennen. Beruhig dich, rief ich mich innerlich selbst zur Ordnung, sei kein solcher Hasenfuß. Lautlos und blitzschnell huschte hinter mir irgend ein Schatten vorbei, der nicht zu einem Strauch oder Baum gehörte. "Keena?" flüsterte ich gedämpft in die Dunkelheit. Hinter mir näherten sich leise, scharrende Schritte. Ich schluckte trocken, mein Herz pochte heftig. "Wenn das ein Scherz von euch sein soll, find ich ihn absolut nicht witzig!" verkündete ich finster -zumindest hoffte ich, dass meine Stimme nicht zitterte- und lauschte abermals.

"Iiiyyahaha!"

Ein schrilles, meckerndes Lachen ließ mich vor Schreck ebenfalls aufschreien und eine Sekunde später traff mich etwas Hartes mit voller Wucht am ohnehin schon schmerzenden Hinterkopf. Mein Schrei ging über in ein gequältes Ächzen und dieses Mal konnte ich den Brechreiz nur mit allerletzter Kraft niederringen. "Hiyyahaha!" irgendjemand -oder irgendetwas- wuselte wieselflink auf mich zu und ich riss die Augen auf, während ich vor Schreck wie gelähmt war und mich nicht einmal auf die andere Seite drehen konnte. Ein wütendes, durchdringendes Wiehren übertönte das hysterische Gelächter, ich hörte das Geräusch stampfender Hufe und ein klägliches, eindeutig schmerzhaftes Kreischen. "Hilfe!" brüllte ich, wobei mich die Dunkelheit, die absolut nichts vom Geschehen preisgab, beinahe um den Verstand brachte. Mit einem Mal kehrte wieder Ruhe ein, eine so vollkommene Ruhe, dass ich nichts als mein heftig rasendes Herz und das Rauschen meines Blutes in den Ohren hören konnte. Ich atmete heftig, zog die Beine an den Körper und wagte endlich, den Kopf zu drehen. Ich sah direkt in ein Paar schwarzglänzender, seelenloser Augen und einen winzigen idiotischen Moment lang dachte ich, Brakalu wäre zurückgekommen und hätte den ganzen Aufruhr verursacht. Stattdessen nahm der zu den Augen gehörende Körper rasch eine Form an und ich stellte verwirrt fest, dass es sich um nichts anderes als ein großes, muskulöses Pferd handelte. Ich sah mich irritiert um und hielt nach Athriliaths Reittier Ausschau, doch dies war ebenso verschwunden wie meine drei Gefährten. Das Pferd folgte meiner Bewegung mit dem Kopf, ehe es mich wieder durchdringend anstarrte. Sicher, es war albern, sich von einem gewöhnlichen Pferd aus der Fassung bringen zu lassen, doch irgendetwas an dem Tier versetzte mich in Unruhe. Über was hatte Athriliath noch gleich gesprochen? Pferdedämonen? unter einem Dämon stellte ich mir eigentlich etwas anderes vor. Das Pferd hatte einen herrlichen, rassigen Kopf, glänzend schwarzes Fell, das das spärliche Sternenlicht wiederzuspiegeln schien, und eine volle, leicht gelockte Mähne. Das Einzige, was vielleicht ein wenig dämonisch anmuten mochte, waren die beunruhigenden Augen. Sie hatten nichts mit den irgendwie immer sanft und treu wirkenden Augen der Pferde, die ich kannte, zu tun. Statt dessen schien es mir, als blickte ich in zwei uralte, verstaubte Spiegel. Ich schüttelte nervös den Kopf, versuchte, aufzustehen und verharrte für einen Moment mitten in der Bewegung, als schon wieder ein Feuerwerk glimmernder Punkte vor meinen Augen explodierte. "Geht es dir nicht gut?" fragte das Pferd und verursachte mir damit einen weiteren Beinahe-Herzanfall an diesem Tag. Eine Weile starrte ich das massige Geschöpf nur an, während meine Augen groß wie Murmeln wurden. "W-was...d-du hast...mit mir gesprochen...?" krächzte ich. Das Pferd schnaubte und nickte mit dem Kopf. "Sicher." Ich hatte es endlich geschafft und stand fest auf beiden Beinen. "Aber...das ist..." das Pferd senkte lauernd den Kopf. "Findest du mich komisch?" es scharrte mit den Hufen. "Sag ruhig, wenn du mich komisch findest. Das sagen mir viele Zweibeiner. Das heißt," es unterbrach sich und peitschte kurz mit dem Schweif, "wenn sie mir überhaupt mal was sagen." Dem letzten Satz schwang so etwas wie Bedauern mit, und ich fragte dümmlich -mir fiel einfach nicht ein, wie man am besten mit einem Pferd sprach-: "Du redest nicht oft mit Zweibeinern?" da lachte das Pferd, eine Mischung aus Wiehren und seltsamen Gluckslauten. Es verursachte mir eine Gänsehaut. "He he he, mit Zweibeinern wie euch Menschenwesen nicht, nein. Eher mal mit den kleinen Alpluachras, und meistens geb ich ihnen dann auch gleich einen Tritt in den Hintern."

"Alpluachras? haben die..." das Pferd nickte bestätigend. "Aye, sie haben dich den Hügel hinunter gestoßen und halten in diesem Moment auch diese drei Zweibeiner gefangen." Ich fuhr zusammen. "Welche Zweibeiner?" fragte ich ahnungsvoll.

"Och...eine sehr launische Zweibeinerin vom Volk der Valkyn, ein Elf mit einem schlechten Auge und ein höchst wortkarger kleiner Inconnu. Kennst du sie vielleicht?" ich ballte die Fäuste. "Allerdings, das sind meine Gefährten...und meine Freunde. Weißt du, wo sie sind?"

"Aye."

"Könntest du mich zu ihnen führen?"

"Ah, freilich, ja."

Mit einem Mal machte es mir überhaupt nichts mehr aus, mit einem sprechenden Pferd zu reden. Auch mein Misstrauen war wie weggeblasen. Entschlossen nahm ich die Axt, die ich ins Gras gelegt hatte, wieder an mich. Das Pferd wich ein wenig zurück. "Nimm das weg," zischte es. Ich blickte es erstaunt an. "Was meinst du?"

"Dieses biestige kleine Eisen. Halt mir das ja vom Leib, es macht mich nervös. Kann sehr weh tun, aye." Ich befestigte die Axt mit verwirrtem Gesicht an meinem Gürtel. "Natürlich. Zeigst du mir jetzt, wo die drei sind?" das pechschwarze Geschöpf grinste. Ich hatte nie zuvor ein Pferd grinsen sehen, und wich nun meinerseits ein wenig zurück, als sich die dicken Lippen zurückschoben und ein für ein Pferd völlig untypisches Gebiss entblößten: scharfe, spitze Reißzähne, die viel eher zu einem Raubtier und Fleischfresser zu gehören schienen. "Ich werde dir die Zweibeiner zeigen. Unter einer klitzekleinen Bedingung." Ich tastete unwillkürlich nach meiner Waffe. "So?" fragte ich argwöhnisch. "Welche wäre das?" das Pferd kam näher, noch immer mit gebleckten Zähnen. "Du musst mich einmal richtig fein kraulen," sagte es gedämpft, als würde es sich schämen, diese Bedingung auszusprechen.

"Kraulen?!"

"Aye. Ich hab das so gern und komm mit den Hufen nicht an meinen Rücken, und das ewige Schubbern und Schabbern und Schrubben strengt auf die Dauer sehr an und ich bin doch nicht mehr der Jüngste..." ich konnte nicht anders, ich musste ungläubig grinsen, während ich dem eifrigen Redefluss lauschte. Ich hatte ja mit vielem gerechnet, aber damit nun doch nicht. "Okay, okay," sagte ich. "Ich werde dich kraulen und du führst mich zu meinen Freunden?"

"Klar."

"Gut. Wie wäre es, zeigst du mir erst wo sie sind und ich kraule dich dann? wer weiß, was die Alpuadingsdas mit ihnen anstellen." Das Pferd schüttelte wild den Kopf. "Den Trick kenne ich!" rief es. "Und nachher wirst du es ganz urplötzlich vergessen. Ich bin doch nicht blöd." Ich trat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen. "Ich verspreche...nein ich schwöre dir, dass ich´s nicht vergesse, ja? bitte, nachher tun sie ihnen was an, während wir hier reden." Das Pferd bedachte mich mit einem höchst unzufriedenen Blick und schnaubte. "Also meinetwegen. Aber vergiss es nicht, oder ich beiß dir die Hände ab!" bei den Worten wandte es den Kopf ab und ich konnte seine Augen nicht sehen, doch ich war eh zu aufgeregt, um den beiläufigen Worten eine größere Beachtung zu schenken. "Abgemacht." Das Pferd ließ sich beinahe anmutig auf der Erde nieder und knickte die vorderen Beine ein. "Steig auf meinen Rücken, Menschenmädchen. Das geht schneller." Ich trat zaghaft näher und griff unsicher in die wallende Mähne, das Pferd bockte ungeduldig- und ehe ich mich versah, saß ich auf dem breiten Rücken." "Übrigens," meinte das Tier, während es elegant aufstand. "Du könntest noch ´Danke´ sagen!"

"Wofür?"

"Zum Beispiel dafür, dass ich diesen frechen Alpluachra vertrieben hab, der dir ans Leder wollte."

"Das warst du?"

"Aye, aye."

Ich lächelte schüchtern. "Na, dann herzlichen dank nochmals." Das Pferd schnaufte. "Keine Ursache. Bist du startklar?"

"Bin ich."

Der mächtige Körper setzte sich in Bewegung und ich versuchte, mich seiner Gangart anzupassen, soweit das ohne Sattel und Zaumzeug möglich war. Erst jetzt merkte ich, wie gigantisch das Pferd war- ich hatte das Gefühl, von einem kleinen Berg auf die Erde zu blicken. Athriliaths Ross musste neben diesem Tier wie ein Fohlen wirken. Und wenn mir jetzt Mikata über den Weg laufen würde... ich grinste gehässig in die Dunkelheit, als das Pferd unter mir wieder sein glucksendes Lachen ausstieß. "Sie würde schreiend davonlaufen, das glaube ich auch." Ich schrak zusammen. "Liest du meine Gedanken?" es schnaubte laut und blieb eine Antwort schuldig. Schon gar nicht mehr so vergnügt, hielt ich mich an der dicken Mähne fest und wünschte mir nichts sehnlicher, als mit Keena schnell wieder nach Midgard zurückkehren zu können. Wohin mich das Riesenpferd trug, konnte ich nicht erkennen, die schattenhaften Ungetüme links und rechts waren zweifellos Bäume und ich spürte vage, dass es bergauf ging. "Ist es noch weit?" fragte ich leise.

"Nein, nicht mehr weit. Wir sind gleich da. Genaugenommen jetzt. Wenn ich bitten dürfte..." ich ließ mich nicht zweimal bitten, sondern rutschte eilig vom aalglatten Rücken des Tieres hinunter. Der Ritt war alles andere als unbequem gewesen, im Gegenteil, ich hatte selten ein Pferd mit einem so ruhigen, sanften Gang erlebt. Daran lag es auch nicht, viel eher flößte mir das mysteriöse Wesen echtes Unbehagen an, dessen Ursprung ich mir nicht erklären konnte. Unsere Endstation wurde aus einer großen, ovalen Höhle gebildet, die offenbar in den Berghang hineinführte. Links und rechts thronten die Skelette umgestürzer, verdorrter Bäume. "Dort drinnen?" flüsterte ich unsicher. Aus der Tiefe der Höhle flackerte ein schwacher Lichtschein nach oben. "Aye," sagte das Pferd hinter mir. "Geh schon." Mir war immer noch übel, doch dieses Mal lag es nicht allein an meinem schmerzlich dröhnenden Schädel. Ich setzte unsicher einen Fuß vor den anderen. Mein Unbehagen wuchs. "Nun geh schon!" forderte das Pferd und ich hatte das Gefühl, das Grinsen in seiner Stimme förmlich hören zu können. "Du wolltest doch deine Freunde retten, oder? also sei nicht so feige, Menschlein."

"Ich bin nicht feige," knurrte ich und drehte mich um. Erschrocken zuckte ich zusammen- das Pferd stand kaum eine handbreit hinter mir. "Du traust mir nur nicht?" fragte es spöttisch und zeigte mir wieder sein schreckliches Grinsen. "Das ist auch gut von dir. Du bist ein unhöfliches Menschlein, hast gar nicht nach meinem Namen gefragt. Möchtest du ihn wissen, bevor ich dich esse?" ich erstarrte. "Bevor du mich...was?" das Pferd schnaubte ein paar Mal. "Du hast gelogen, du wolltest mich gar nicht kraulen. Ich habs in deinem Inneren gelesen. Und sowas mag ich nicht. Geh jetzt da runter, oder möchtest du noch einen Schubs?" hinter dem Pferd tauchte eine etwa lurikeengroße Gestalt mir karottenrotem Haar, einem albernen grünen Anzug und einem umso boshafteren Grinsen auf. "Iyahaha," kicherte das Männchen, sprang von einem Fuß auf den anderen und förderte einen Tannenzapfen aus seinen Taschen, den er mir gegen die Brust warf. "Geh runter...sofort!" donnerte das Pferd und schnappte nach meinen Händen. Ängstlich wich ich zurück und stolperte ins Innere der Höhle.

Athriliath erzählt eine Geschichte

"Oh Bragi..." ich starrte mit großen Augen auf meine Gefährten. Wie gigantische Bratenstücke waren sie an drei dünne Baumstämme gefesselt worden, Arme und Beine über den Stämmen gefesselt und knapp über der Erde baumelnd. Hinter ihnen prasselte ein offenes Feuer. "Llienne?" fragte Keena und verdrehte den Kopf, um mich ansehen zu können. Ich fuhr wütend zu dem Pferd -das ich mittlerweile doch als Dämon bezeichnen würde- herum und schrie es an: "Warum hast du mich so hereingelegt? wer bist du?" das Pferd gluckste und scharrte mit den Hufen. "Schön, dass du das endlich fragst. Mein Name ist Murgar." Athriliath stöhnte auf, was der Murgar mit einem hämischen Kichern quittierte. "Aye, jetzt habe ich vier köstliche Kinderchen für morgen Mittag. Welch ein Festmahl. Los! bindet sie zu den anderen. Und dann überlegt euch was Feines. Und reichert sie morgen mit Gemüse an!" laut lachend trabte der Murgar zurück zum gewundenen Gang und war alsbald verschwunden. Auf seinen Befhel hin schwärmten fünf Alpluachras in die Höhle und packten mich. "Madame muss sich leider ein Spießchen mit einem anderen Braten teilen, Platz ist rar, Platz ist rar," verkündete der Anführer, ein besonders albernes Exemplar seiner Art. Sie drängelten mich auf Brakalu zu. "Der ist am kleinsten, hängt sie dazu, hängt sie dazu!" und ehe ich mich versah, schwebte ich schon wenige Zentimeter über dem Erdboden und starrte zur Höhlendecke hinauf. "Wir gehen jetzt Gemüse suchen, hihi. Und danach werden wir euch ein bisschen filetieren. Feines Midgardfilet und zarte Albionlendchen für Meister Murgar. Dazu ein paar Pilzchen aus dem Wald..." sie starrten uns gierig an und ich konnte förmlich sehen, wie ihnen das Wasser im Munde zusammenlief. Brakalu zuckte nervös mit den Ohren und das fiel dem Anführer der Alpluachra sogleich auf. "He he he, ob´s der Meister Murgar sehr übel nimmt, wenn wir schonmal vom Fisch kosten?" fragte er und rückte näher, wobei er auf die ausgefrangsten Spitzohren des Nekromanten starrte. Brakalu wurde eine Spur blasser und drehte den Kopf zur Seite. Der Anführer packte ihn beim Kinn und schnüffelte an seinem Ohr. Brakalu sagte nichts, er zitterte nur leicht. "Lasst ihn zufrieden!" fauchte ich. Sofort wirbelte der Alpluachra herum. "Gegen weiche Mädchenschenkel hab ich auch nichts," zischte er und grabschte nach meinem Bein. Ich schmetterte ihm einen wütenden Kriegsschrei entgegen und er prallte zurück, als hätte er sich die Hände verbrannt. "Komm, komm, sei schon vernünftig, gibt Ärger wenn du sie zerschnibbelst," sagte einer seiner Kameraden beschwichtigend und sie packten ihn und zogen ihn trotz seiner Proteste zum Höhleneingang. "Lasst uns fein sammelm gehn!" kurz darauf waren sie verschwunden, nur vereinzeltes, meckerndes Gelächter wehte in die Höhle hinunter. "Danke," sagte Brakalu leise. Ich riss und zerrte an meinen Fesseln. "Selbstredend. Verdammt, wie konnte ich so dumm sein. Ich dachte wirklich, diese kleinen Kröten hätten euch entführt. Es tut mir Leid." Ich sah zerknirscht zur Decke. Keena seufzte nur. "Pech für uns alle, würde ich sagen. Aber woher solltest du das auch wissen. Nun ja. Lieber ende ich als Filet als hier weiterhin auf der Flucht zu sein." Ich dachte fieberhaft nach. Nein, das konnte nach all den Strapazen nicht unser unrühmliches Ende sein. Plötzlich wurde mir meine Axt bewusst, die noch immer an meinem Gürtel hing. Die schienen die kleinen Bestien einfach vergessen zu haben. "Brakalu, kommst du an meine Waffe ran?" zischte ich, während ich zum gewundenen Gang spähte. Der Inconnu seufzte. "Ich kann dich nicht einmal berrührren." Athriliath wandte den Kopf. "Was versucht ihr?" ich riss nochmals an den Fesseln. Sie waren relativ dünn, aber stramm geknotet und pressten sich schmerzhaft in meine Haut. "Was wohl? wir versuchen, uns loszumachen." Der Elf überlegte einen Moment, ehe sich sein Gesicht aufhellte. "In meiner Brusttasche ist ein kleines Messer. Ursprünglich für einen Freund, der als Nachtschatten öfter mal zu ein paar Tagen in einer Zelle verurteilt wurde, nachdem er...nun ja. Keena, kommst du da eventuell ran? ob es noch schneidet, weiß ich nicht, es ist nur ein Glücksbringer." Keena, die Kopf an Kopf mit dem Elfen hing, grinste ironisch. "Wieviel Glück es uns einbringen wird, zeigt sich jetzt wohl. Mach dich mal ein bisschen länger..." der Elf legte den Kopf in den Nacken und beugte den Oberkörper soweit vor, wie er nur konnte. Keena streckte sich, ihre Gelenke knackten, doch es fehlten nur wenige Zentimeter, die sie von der Brusttasche trennten. "Nur noch ein kleines Stück," sagte ich und verfolgte ihre Bemühungen mit bangen Blicken. "Ich brech gleich in der Mitte durch!" versetzte Keena und keuchte leise. Ihr Gesicht war vor Anstrengung verzerrt, doch sie reckte und streckte sich nochmals- und erwischte die Brusttasche des Elfen mit den Zähnen. Es war ein dünnes, weißes Lederwams, das er über der leichten Kettenrüstung trug, nicht sehr fest, aber dennoch ein würdiger Gegner für Keenas wütend zerrende Zähne. Sie riss nach Leibeskräften daran herum und endlich kapitulierte der kleine Zierstein, der das Leder fest zusammen gehalten hatte. Mit dem Griff voran rutschte ihr das Messer entgegen, gefolgt von diversem Plunder wie zwei kleinen Silbermünzen, einer bunt bemalten Vogelkralle und einem winzigen Beutelchen, das stark nach Kräutern duftete. Keena spuckte die unerwünschten Dinge vorsichtig aus, schloss die Zähne um den Messer griff und stemmte sich ächzend nach oben. Rasch begann sie zu schneiden, indem sie den Kopf vor und zurückschob. Das sah sowohl anstrengend als auch lächerlich aus, doch es war unsere einizige Chance. "Beeil dich," zischte ich und warf einen weiteren, nervösen Blick zum Gang. "Hasch 'ut 'eden," nuschelte Keena und säbelte weiter, "hasch isch 'ar 'icht 'o ein'ach." Schließlich schaffte sie es aber doch und landete mit einem dumpfen Plumps auf dem Hintern. Maulend rappelte sich auf, nahm das Messer aus dem Mund und löste in sehr viel kürzerer Zeit Athriliaths Fesseln. Der Elf seufzte erleichtert und rieb sich die Handgelenke, wo die Fesseln weiße Striemen hinterlassen hatten. Nachdem auch Brakalu und ich endlich wieder auf unseren eigenen Füßen standen, sagte ich wütend: "Eigentlich hat dieses Viech einen Denkzettel verdient." Athriliath lächelte nachsichtig. "Du willst den Murgar rausfordern? lass das lieber und versuch es irgendwann einmal. Noch ist er zu stark und würde dich im wahrsten Sinne des Wortes zum Frühstück verspeisen." Ich warf einen finsteren Blick auf das Feuer, in dem wir beinahe gebraten worden wären. "Ich werde wiederkommen. Wenn ich stärker geworden bin." Und das nahm ich mir fest vor. "Los jetzt," sagte Keena. "Ich will hier endlich weg!"

Eilig sammelten die anderen die Waffen, die dankenswerterweise in der hinteren Ecke standen, auf und hasteten den Gang hinauf. "Vielleicht ist dieser Höllengaul ja so wütend über seine versaute Mahlzeit, dass er die kleinen Knilche statt uns frisst," mutmaßte Keena. Ich stimmte zu, dass sie das durchaus verdient hätten. Während Brakalu sich im Freien einen seiner unvermeidbaren Untoten beschwor, fragte ich Athriliath: "Was ist eigentlich aus deinem Pferd geworden?" das Gesicht des Elfen verdüsterte sich. "Eine kleine Vorspeise hatte dieses Ungeheuer schon."

"Oh nein..."

Der Elf hob die Schultern. "Ich kriege ihn noch. Sobald ich euch nach Murdaigean und nach Hause gebracht habe." Brakalus Gestalt schmolz lautlos zu einem körperlosen Schatten zusammen. "Wirr sollten nicht noch längerr hierr herrumstehen," meinte er. Athriliath nickte. "Durchaus richtig. So, nun werden wir endlich nach Druim Ligen gehen. Wir sind zwar ein gutes Stück vom rechten Weg abgekommen, aber ich finde den kürzesten Weg schon. Lasst uns dieses verdammte Rätsel um Murdaigean lösen und dann geht nach Hause."

Ein roter Schimmer tauchte am Horizont auf- die Sonne würde bald aufgehen. Und plötzlich hatte ich wieder Angst. Warum, wusste ich nicht.
 

Wir gingen eine ganze Weile schweigend, wobei wir die Hauptstraße vermieden und uns im Schatten und Schutze der Bäume bewegten. Nachdem die Stille schon eine ganze Weile vorgeherrscht hatte, lachte Athriliath plötzlich leise. Ich sah ihn fragend an und er wandte das Gesicht der Sonne zu und schloss für einen Moment die Augen. "Ehe ich als Champion anfing, war ich sowas wie der jüngste Barde des Reiches. Und natürlich nicht einmal ein anerkannter, denn Elfen wandeln nicht auf diesem Pfad. Ich hatte aber als kleiner Bengel soviel Spaß an Musik und Geschichten, dass sich meine Freunde diese dauernd anhören mussten. Die letzte habe ich ihnen erzählt, da sind wir hier auch entlang gegangen, und wir haben uns damals genauso davongestohlen, wie wir es heute auch tun." Er grinste, als wäre er wieder ein Kind geworden. "Wir hatten in Tir na nOgh Fisch gestohlen, sehr guten und teuren Fisch. Viel mehr wegen einer albernen Mutprobe als aus echtem Hunger. Und das haben unsere Eltern herausgefunden.Wir hatten solche Angst, dass wir uns nicht nach Hause trauten und beschlossen, die Nacht im Schutze der Portalfestung zu verbringen. Auf dem Weg hierher habe ich meine Freunde wieder mit einer Geschichte unterhalten." Er lächelte nostalgisch und ich schloss mich ihm an. Das klang nicht gerade nach dem Athriliath, den ich kennen gelernt hatte. Keena schien das Gespräch nicht sonderlich zu interessieren, sie musterte den Elfen kurz und heftete den Blick dann wieder nach vorn. Brakalu hingegen sah Athriliath aufmerksam an, wie er es immer tat, wenn jemand das Wort ergriff. "Erzähl uns doch jetzt auch eine Geschichte," schlug ich eher scherzhaft vor. Er sah mir ein wenig erstaunt an. "Willst du eine hören?"

"Öhm...wenn du mich so fragst..."

"Also dann. Zuerst muss ich zur allgemeinen Verständlichkeit ein wenig über die sogenannten Siabra erzählen. Das ist der Teil unseres Volkes, der sich von Hibernia und dem Licht abgewandt hat und dem Bösen dient. Sie sind verdorbene Elfen und ihre wahre Geschichte kenne ich nicht. Ich erzähle dir lieber meine. Pass auf."

Und Athriliath begann zu erzählen:
 

...Lange, bevor junge Helden wie Llienne, Brakalu oder Keena für ihr Land und ihre Ehre kämpften, gab es die ALTEN. Von Zwergen, Nordmännern, Kelten, Bretonen und all den jungen Völkern der drei Reiche hatte noch niemand gehört. Sogar die Feindschaft, die Jahrhunderte später für Tränen, Tod und Krieg sorgen sollte, lauerte damals noch in ihren düsteren Ecken und wartete ihren Zeitpunkt ab. Die Bewohner Hibernias -damals nur bestehend aus den Shar und den Elfen- waren gut Freund miteinander. Tatsächlich stand es so, dass die Königin der Shar, ihr Name war Sh'llel und der Elfenkönig Llawlîen im Begriff standen, im Bund miteinander einzugehen und damit den Frieden zwischen Shar und Elfen auf ewig zu sichern. Aber wie Ihr sicher auch wisst, sind Missgunst und Neid der Wurm, der so manchen schönen Apfel zerstören kann. Und in diesem Fall war der Wurm besonders fett und sein Hunger groß...

"Ich hab gehört, Sh'llel soll eine wahre Schönheit sein," sagte Ranaquél versonnen. Sein bester Freund Sânnas sah ihn verwirrt an. "Eine Shar?"

"Natürlich. Sie kommt morgen abend mit großem Gefolge zu Besuch. Vater freut sich schon sehr auf ihre Ankunft."

"Na, du als des Königs Sohn wirst sie ja wohl zu sehen bekommen..."

"Ich hoffe es." Ranaquél kostete es echte Mühe, seine wahre Erregung zu verbergen. Er hoffte nicht nur, sie zu sehen- er sehnte es mit aller Macht herbei. Es war nämlich so, dass er Sh'llel in seinem Traum gesehen hatte. Sie war tatsächlich eine Schönheit. Gänzlich anders als eine Elfenmaid, aber gerade dieses Exotische ließen sie für den Prinzen geheimnisvoll und begehrenswert werden. Natürlich hatte er niemandem von seinen Träumen erzählt, nicht einmal Sânnas. Es durfte keiner wissen, es war sein Geheimnis, dass seine Träume nicht nur Träume waren, sondern ihm Botschaften -und oft auch Warnungen- schickten, die sich bisher nie als falsch erwiesen hatten. Und was Königin Sh'llel ihm in seinem Traum gezeigt und angeboten hatte, ließ dem Elfen bei der Erinnerung das Blut ins Gesicht schießen. Natürlich war er mit seinen achtzehn Jahren noch kein Erwachsener, aber mit DIESEN Dingen hatte er schon gewisse Erfahrungen sammeln können. Tatsächlich fühlte sich Ranaquél schon so, als teile er mit der Königin die er begehrte -und doch noch nie gesehen hatte- ein glühendes, leidenschaftliches Geheimnis, das keiner Worte bedurfte. Was sie im Traum schon längst waren, würden sie auch alsbald in der realen Welt sein, dessen war er sich ganz sicher.

"Hey Rana, träumst du?" Sânnas packte spielerisch eine silberne Haarsträhne seines Freundes und zog daran. "Ranaquél?"

"Hhmmm...?"

Lachend gab Sânnas ihm einen Schubs. "Ich glaubs nicht, der Prinz persönlich hat sich verliebt!" das riss Ranaquél schlagartig in die Wirklichkeit zurück. "Warum hackst du darauf immer so herum? vielleicht daran, weil Ihr selbst keine abbekommt, Meister Sânnas?" prüfend betrachtete Ranaquél das Gesicht seines blonden Freundes. Dieser beugte sich mit einem neckischen Lächeln vor. "Vielleicht, oh Holde, weil Ihr die Dame meines Herzens seid." Damit küsste er Ranaquél ungestüm auf den Mund und floh lachend, ehe dieser Vergeltung üben konnte. Ranaquél tat nichts dergleichen. Er blieb ruhig sitzen und fuhr sich mürrisch mit dem Ärmel seines teuren Gewandes über die Lippen. Manchmal kostete Sânnas wirklich Kraft... leises Lachen aus dem Hintergrund ließ ihn den Kopf wenden und er rechnete schon fast damit, dass Sânnas in Damenbegleitung -was das anging, genoss er sein Leben in vollen Zügen- zurückkehren würde. Stattdessen sah er vier weibliche junge Shar, die sich ganz offensichtlich einen vergnüglichen Tag machten. Eine knabberte an einem süßen Gebäck, die andere hing ihr lachend eine Kette aus Blumen um den Hals und die anderen beiden unterhielten sich vergnügt. Ranaquél stockte der Atem, als er die Größte unter ihnen erkannte. Es war zweifellos Königin Sh'llel. In dem Wissen, dass dies ganz unmöglich sein musste, stand er auf und sah den jungen Frauen unverblümt entgegen. Doch es bestand kein Zweifel. Diese gleichzeitig erregenden wie beunruhigenden, dunkel purpurnen Augen konnten nur Sh'llel gehörne. Keine Shar teilte diese Augenfarbe, auch das hatte Rana in seinem Traum erfahren.

"Schaut mal, der hübsche Jüngling dort schaut Euch an, als wolle er Euch mit seinen Blicken verschlingen," bemerkte die Shar, die rechts von Sh'llel stand. Sie schmunzelte nur sachte. "Das scheint wohl so."

Ranaquél hatte bemerkt, dass er entdeckt worden war. Natürlich, so, wie er dort stand und sie angaffte, konnte es kaum verborgen bleiben. So fiel ihm nichts anderes ein, als scheu zu lächeln, und sein Herz brannte, als die Königin das Lächeln nach einem kurzen Moment des Zögerns erwiderte.

"Ich glaube, wir gehen uns noch ein wenig in dieser hübschen Stadt umschauen," bemerkte eine der Shar amüsiert und warf ihren Begleiterinnen vielsagende Blicke zu. Diese verstanden, knicksten leicht vor Sh'llel und tänzelten davon. Nun standen sich nur noch die Königin und der Prinz selbst gegenüber.

Ranaquél spürte, wie es in seiner Kehle trocken klickte. Sie hatte ihre Dienerinnen fortgeschickt, was nur eins bedeuten konnte: sie wollte den Moment mit ihm allein genießen. Seine Scheu überwindend, trat er mit Beinen, die nicht die seinen zu sein schienen, auf sie zu und verneigte sich ungeschickt. "MyLady Sh'llel." Sie sah ihn mit ihren entwaffnenden Augen forschend an. "Woher...?" er konnte den Blick kaum von ihrer Gestalt lösen, selbst nicht begreifend, was ihn so sehr in seinen Bann zog. "Ich habe Euch gesehen," sagte er ehrlich.

"Ich Euch auch."

"Nein, das meine ich nicht. Ich habe Euch im Traum gesehen. Uns," verbesserte er nach kurzem Zögern. Sie schlug die Augen nieder und schwieg, und er war sich fast sicher, zu weit gegangen zu sein. "Ich meine, was Ihr meint. Ich habe von uns geträumt. Und ich wusste, dass ich Euch hier finden würde." Sie leckte sich scheinbar nervös über die Lippen und er musste sich beherrschen, nicht die Hand nach ihr auszustrecken. "Möchtet Ihr ein wenig spazieren gehen?" fragte er leise. Ebenso leise erwiderte sie: "Ja, das möchte ich gern."

Und er führte sie fort von der gerade erst erbauten Stadt namens Mag Mell, hin zum Heiligen Wäldchen, wo in kaum zwei Jahren die ersten Beschwörer ihre Riten zelebrieren würden. Unter ihnen übrigens auch ein zukünftiger Verräter, der einst versuchen würde, einen Elfen namens Zaphykel zu erdrosseln, um daran von einer jungen Fremden aus Midgard gehindert zu werden...

"Es ist wunderschön hier," bemerkte Sh'llel und sah sich um. Ranaquél hatte irgendwann ihre Hand ergriffen, und beide ließen das geschehen. "Ihr seid wunderschön," erwiderte er leise. Sie wandte den Kopf und sah ihn stumm an. Was ihre Zunge nicht aussprach, las er in ihren Augen: »Komm, schöner Jüngling. Ich weiß wohl, was du möchtest. Und ich bin gern bereit, es dir zu geben.«

"MyLady, ich..." stammelte Ranaquél. Sie legte ihm sanft einen Finger auf die Lippen. "Sagt nichts. Dieser Moment ist für Worte nicht geschaffen." Und während er an den Bändern fingerte, die ihr schlichtes Kleid hielten, und kurz darauf ihren nackten, sonnenbeschienenen Leib vor sich hatte, da musste er ihr recht geben...

"Ranaquél, du bist heute abend in seltsamer Stimmung. Bedrückt dich etwas, mein Sohn?" Llawlîen sah den Prinzen aufmerksam an. Dieser stocherte lustlos in der Nachtmahlzeit, die er mit seinem Vater zu zweit einzunehmen pflegte. "Darf ich Euch eine Frage stellen, Vater?"

"Soviele du willst."

"Hm. Meine verehrte Mutter ist jetzt schon viele Jahre in Danas Schoß."

"Ja, das ist wahr."

"Wollt Ihr wieder heiraten?" die Frage traf den König offenbar unvorbereitet, denn er verharrte und stellte den Trinkpokal, den er gerade zum Mund geführt hatte, wieder auf den Tisch. "Wie kommt dir denn dies jetzt in den Sinn?" Ranaquél machte eine fahrige Handbewegung. "Ich weiß es nicht. Es fiel mir nur spontan ein."

"Hm. Doch, aber du hast recht. Ich werde mir bald wieder eine Gemahlin nehmen. Das Reich braucht eine Königin, und du brauchst eine Mutter." Llawlîen lächelte leicht und nahm nun doch einen Zug aus seinem Becher. Ranaquél erwiderte das Lächeln nicht. "Wer ist es denn?"

"Die Königin der Shar, Sh'llel lel Rhwin." Ranaquél glaubte für einen Moment, sein Herz würde stehen bleiben. "Oh," machte er nur. Und dann: "Sie ist schon hier, habe ich recht?" Llawlîen sah seinen Sohn höchst erstaunt an. "Bei Dana, wie hast du dies jetzt schon wieder herausgefunden? sie sollte offiziell erst morgen anreisen, aber sie wollte mich überraschen. Das ist ihr gelungen, du hingegen wirkst eher...reserviert. Gefällt sie dir nicht?"

"Doch, sie ist wunderbar."

"Was dann? warum bist du so verstimmt?" Llawlîen sah Ranaquél forschend an, und dieser verspürte das dringende Bedürfnis, einen Trinkpokal zu nehmen und an die Wand zu werfen. Weil ich mit ihr geschlafen habe und sie die einzige Frau auf der Welt ist, die ich haben will, hätte er sagen können. Die Worte, begleitet von einem höhnischen Lachen, brannten ihm auf der Zunge und er schluckte sie nur mit Mühe hinunter. "Es ist nichts weiter. Bitte verzeiht, wenn ich Euch die Stimmung verdorben habe. Mich plagt ein leichter Kopfschmerz und ich glaube, ich werde mich zurückziehen." Nach einer kurzen Verbeugung tat er dies auch.

"Oh Junge, nicht so schnell, macht ein wenig langsamer!"

"Das geht nicht, MyLady, oder ich zerspringe in tausend Stücke. Ich muss Euch haben. Jetzt." Sie lachte und spreizte bereitwillig die Schenkel.

Ranaquél ging nicht in seine Kammer. Viel eher brauchte er jetzt Gesellschaft. Er brauchte Sânnas. Obwohl dieser sein bester Freund war, würde er ihm nicht von seinem Geheimnis erzählen, aber es tat gut, dass jemand da war, jemand, bei dessen Anblick ihm nicht speiübel war. Leise schlich er den dunklen Korridor entlang und klopfte leise an Sânnas' Tür. Dahinter waren leises Rascheln und gedämpftes Murmeln zu hören, doch er wurde nicht hineingebeten. Was solls, dachte er grimmig, ich bin der Prinz. Ich darf hinein, wenn ich es nur will. Und so riss er die Tür auf- und glaubte, der Schlag müsse ihn treffen.

"Ranaquél!" Sânnas sah erschrocken auf und riss die seidene Bettdecke hoch, um seine und Sh'llels Blöße zu bedecken. "Ich..."

"Sei still."

"Rana, du...verstehst das falsch..."

Ranaquél trat langsam näher. "Was gibt es hier bitte nicht zu verstehen?" fragte er tonlos. Sh'llel fand als erste ihre Fassung wieder. Sie zog das seidene Betttuch von ihrem Liebhaber und hüllte ihre schlanke Gestalt darin ein. Der Blick, den sie Sânnas zuwarf, sprach nur Mitleid aus. Ohne ein Wort, die Augen jetzt auf den Boden gerichtet, schwebte sie an Ranaquél vorbei. Sânnas wurde feuerrot und suchte irgendetwas, um seine Blöße zu bedecken. Ranaquéls Blick vermochte er kaum standzuhalten. "Lass das sein," sagte der Prinz leise. Sânnas gehorchte, er seufzte tief. "Ranaquél, nun lass mich erklären..."

"Ich bin gespannt." Der gefährlich ruhige Ton und das steinerne Gesicht gaben dem armen Sünder den Rest. "Du warst doch auch mit ihr im Bett!" rief er hitzig.

"Hat sie das gesagt?"

"Ja."

"Wie bedauerlich."

Ranaquél schloss bedächtig die Tür und zog den Dolch, den er immer an den linken Oberschenkel geschnallt trug. "Es tut mir so leid, Sânnas," sagte er und klang dabei so, als meine er dies auch. "Aber das kann einfach nicht...darf nicht...nun, es tut mir leid. Ich liebe dich, Sânnas. Wie einen Bruder und noch mehr."

"Ranaquél, was tust du?! warte, was machst du? warte...Ranaq...!!"

Der Dolch fuhr herab und ritzte Sânnas' Wange auf, knapp unter dem rechten Auge und bis hin zum Mundwinkel. Ranaquél keuchte leise, Sânnas saß wie erstarrt. Dann wurde ihm bewusst, dass er noch lebte, der Schmerz meledet sich mit reißenden Fängen und der Elf schlug mit einem erstickten Schluchzen, dem wohl eher noch die Fassungslosigkeit des gerade Geschehenen anhaftete, die Hände vor das Gesicht. "Ich will dir was sagen," sagte Ranaquél leise. "Halt den Mund und ich werde auch dich zufriedenlassen. Du bist mein Freund, zumindest glaube ich das. Ich würde dich ungern töten müssen. Hast du das verstanden?" Sânnas sagte nichts, seine Schultern zucken. An diesen packte ihn Ranaquél und schüttelte ihn wie ein Stück Wäsche. "Hast du das verstanden?!"

"J...ja, hab ich..."

"Gut." Angewidert ließ Rana seinen Freund los, ehe abermals ein gefährliches Glitzern in seine Augen trat. "Und wenn ich noch einmal sehe, dass du und sie..." beinahe zärtlich ließ er den Dolch über Sânnas' nackte Hüften zu seinem Oberschenkel und über diesen wandern. "Das möchtest du doch sicher nicht, oder?" Sânnas war leichenblass und konnte nur schwach den Kopf schütteln. Und während Ranaquél wortlos das Zimmer verließ, fragte er sich, was für ein Wahnsinn es sein mochte, der scheinbar langsam aber sicher von seinem besten Freund Besitz ergriff.

Die Königin Sh'llel war in der Zwischenzeit gänzlich anders beschäftigt. Unverzüglich hatte sie das Gemach ihres Zukünftigen aufgesucht und lag nun langgestreckt auf seinem Bett. Sie hatten sich nur ganz kurz vereinigt, Llawlîen wollte durchaus, doch die scheinbar völlig in Gedanken Versunkene unter ihm hatte ihm kaum Beachtung geschenkt und weckte in ihm den Eindruck, als würde sie ihn lediglich aus gelangweilter Großzügigkeit gewähren lassen. Das hatte den König verstimmt und so saß er nun wieder vollständig angekleidet neben ihr und drehte einen Weinkrug zwischen den Händen. Umso erstaunter war er, als Sh'llel plötzlich leise zu weinen begann. "MyLady," sagte er erschrocken und ließ beinahe das kristallene Gefäß fallen, "oh MyLady, was plagt Euch? liegt es an mir? dann bitte ich Euch inständig um..." sie winkte ab, noch immer leise schluchzend. Sie war eine perfekte Schauspielerin. Dann erzählte sie ihm, was ihr widerfahren war.

Sânnas hatte sich gerade wieder angekleidet und einigermaßen beruhigt, als die Tür zu seinem Gemach aufgerissen wurde. Fast schon rechnete er damit, dass Ranaquél zurückgekommen war und es sich anders überlegt hatte, doch die ungebetenen Gäste stellten sich als Soldaten des Königs heraus. "Sirs?" fragte Sânnas halb beunruhigt, halb verärgert. Sein Vater war ein enger Vertrauter des Königs und genoss allseits Respekt und dieser erstreckte sich normalerweise auch auf Sânnas. Ein solch unhöfliches Benehmen war er nicht gewohnt. "Sânnas mab Gwyllon, wir müssen Euch bitten, uns zu folgen." Der junge Elf sah die Männer verärgert an. "Erstens könnt ihr gefälligst anklopfen, bevor ihr hier so einfach..." die Soldaten ließen ihn nicht aussprechen. "Sânnas mab Gwyllon, im Namen des Königs! Ihr seid verhaftet."

Ranaquél lag indes in seinem Gemach und versuchte, die Dämonen aus seinem Kopf zu vertreiben. Sânnas war schuld, dass es ihm so schlecht ging, kein Zweifel. Er hatte ihn mit der Frau betrogen, mit der er seinen Vater betrogen hatte. Dieser Gedanke war so abstoßend und sinnfrei, dass der Elf am liebsten die Hände vor das Gesicht geschlagen und haltlos gekichert hätte. Und natürlich würde dieser blonde Bastard es wieder tun, kein Zweifel. Dazu hatte er Sh'llel einfach zu...gierig angesehen. Und Sh'llel? welches Spiel trieb diese wunderschöne schwarze Witwe mit ihm? in dem Moment riss ihn ein empörtes Gezeter von den Korridoren aus seinen Gedanken. Neugierig schwang er die Beine aus dem Bett, öffnete die Tür und spähte hinaus. Dort stand Sânnas und rang mit drei gerüsteten Kriegern, die ihn offenbar gegen seinen Willen mitzuziehen versuchten. "Was geht hier vor?" fragte er gelassen und trat vollends ins Freie. "Ranaquél, du hast gesagt, du lässt mich..." setzte Sânnas an und brach ab, als ihm einer der Männer quer über den Mund schlug. "Für dich ist er Prinz Ranaquél, du schamloser, widerwärtiger Hundesohn!" Sânnas hob den Kopf, von seiner aufgeplatzten Lippe troff Blut. Er starrte Ranaquél an und aus seinem Blick sprachen Verwirrung sowie tiefe Anklage. "Komm jetzt, der König will dich sehen!"

Ranaquél stand am Fuße der alten Eiche, von dem noch der Rest der abgeschnittenen Schlinge baumelte, an der sie Sânnas noch in der gleichen Nacht aufgeknüpft hatten. Er empfand nichts. Gar nichts. Die Sonne ging auf, langsam und höhnisch tauchte sie den Baum, an dem schon so viele Verräter gebaumelt hatten, in ein rotes Licht. Ranaquél dachte zurück an die folgende Nacht, während er ohne zu blinzeln in den zum Leben erwachenden Tag starrte:

"...Und hiermit gibt es überhaupt keinen Grund, die Worte der Lady Sh'llel anzuzweifeln. Ihr, Sânnas mab Gwyllon, seid schuldig am Verbrechen, das Lady Sh'llel diese Nacht angetan wurde. Das Verbrechen lautet Vergewaltigung und Hochverrat und die Strafe der Tod durch den Strick."

Ich habe ihn getötet, ging es Ranaquél durch den Kopf. Hätte ich die beiden nicht überrascht, hätte Sh'llel nichts gesagt und Sânnas wäre noch am Leben. Er war wie betäubt, zum guten Teil aus Unverständnis. Wieso um alles in der Welt behauptete die Shar-Königin solche Dinge? Rana konnte es sich beim besten Willen nicht erklären. Mit Schuld an seinem tranceähnlichen Zustand war die Tatsache, dass sein Vater Sh'llel unverzüglich zu heiraten gedachte. Keine prunkvolle Feier mit hunderten von Gästen und einem freien Tag für jeden Bauer, keine Blumen aus echtem Gold für die Braut, sondern eine hastige, beinahe überstürzte Hochzeitsfeier, deren bescheidenes Ausmaß einem Paar wie Llawlîen und Sh'llel schon beinahe unwürdig war: es gab lediglich die Vorräte, die derzeit in Tir na nOgh gelagert wurden, keine minderwertigen Sachen, aber eben nicht die Klasse, die ein König und eine Königin erwarten konnten. Und keine Musiker vom anderen Ende Hibernias, nur die Barden der näheren Umgebung. Trotzdem schien das bis auf Ranaquél niemanden zu stören. Die Bewohner der Hauptstadt rannten glücklich und kopflos umher, um das an Prunk herzurichten, was eben herzurichten war. Am allerwenigsten betrübt schien Sh'llel selbst. Wenn die vermeintliche Vergewaltigung ihr noch irgendwo zu schaffen machte, so verbarg sie das meisterhaft. Mit leuchtenden Augen kommandierte sie die Dienerinnen herum, schwang das Szepter und benahm sich schon fast wie die neue Herrin Hibernias.

Die Hochzeit selbst wurde dann trotz ihres bescheidenen Ausmaßes ein rauschendes Fest. Vielleicht lag es gerade an den ungewöhnlichem Umständen, dass sowohl König wie Untertanen bester Stimmung waren. Am Abend gab es in Tir na nOgh kaum jemanden, der noch nüchtern war, abgesehen vielleicht von Sh'llel, die ein zufriedenes, beinahe raubtierhaftes Lächeln auf dem Gesicht hatte, als sie den Blick über die Elfen und Shar gleiten ließ, die sie als ihre alte und neue Königin hochleben ließen. Und mit dem Tag hielt das Unglück Einzug un Hibernia.

"Prinz Ranaquél?"

Er musste sich nicht umdrehen, um ihre Stimme zu erkennen.Sein Herz schlug wieder einmal schneller.

"Habt Ihr ein wenig Zeit für mich?"

Jetzt drehte er sich doch um und betrachtete ihre zierliche Gestalt, die in ein feines, blutrotes Gewand gehüllt war, welches unter den üppigen Brüsten eng geschnürt war und kaum Fragen offen ließ. "Für Euch habe ich immer Zeit, meine Königin." Sie lächelte schwach. "Ist das alles, was ich für dich bin, Ranaquél? deine Königin?" sie glitt leichtfüßig auf ihn zu und er erstarrte. Sie war einfach zu viel für ihn. Er konnte ihrem Zauber nicht widerstehen, war zu schwach dazu, und hasste sich sowie auch sie einen kurzen Moment dafür. "Ihr seid meine Königin und die Frau, die mein Vater liebt," erwiderte er steif. Sie lachte leise. "Und was ist mit dir?" sie kam noch näher, ihre Brust rieb leicht an der seinen. Er stöhnte nur gedämpft. "Warum tut Ihr das mit mir, Sh'llel? wieso...reißt Ihr mir das Herz heraus und zerquetscht es anschließend?" Sh'llel küsste sanft sein Schlüsselbein. "Ich bin ein grausames Wesen, und ich bin selbstherrlich. Ich pflege mir das zu nehmen, was ich möchte. Und weißt du, was ich möchte, Ranaquél?" ihre Hand tastete über seinen Bauch und verschwand unter dem langen Hemd, ruhig, spinnengleich, geübt und erfahren. Der junge Elf erschauderte merklich. "Mein Vater..."

"...ist nicht der, den ich will. Liebster, warum wehrst du dich dagegen? möchtest du mich nicht?" ihre Hand drückte zu, entspannte sich, übte abermals Druck aus. Ranaquél glaubte, er stünde kurz davor, in Stücke zerspringen zu müssen. "Dafür werden sie uns beide töten," keuchte er, während sich seine Hände wie von selbst auf die wiegenden Hüften dieser elenden Verführerin legten. Sh'llel ließ ein sanftes Lachen hören. "Das glaube ich nicht, weil du deinem Vater da nämlich zuvorgekommen bist." Ranaquél riss die Augen auf. "Was meint Ihr...?" Sh'llel zog endlich die Hand zurück. "Kommt und seht selbst, mein Prinz." Ihre Stimme hatte einen kühlen, distanzierten Ton angenommen. Er folgte ihr widerspruchslos und sie führte ihn in das prunkvolle Schlafgemach, das sie mit Llawlîen teilte. Ranaquél trat ein und stieß einen erstickten Schrei aus. "Oh nein...oh bei Dana...!" sein Vater lag auf dem Bett, mit einem glücklichen Lächeln auf dem Gesicht und seinem, Ranaquéls, Dolch in der Brust. Sh'llel stand völlig reglos hinter ihm, die Arme vor der Brust verschränkt. "Das war ich nicht," flüsterte Rana heiser. "Das war ich nicht!" Sh'llel lächelte statuengleich. "Aber es ist dein Dolch, mein Schatz. Deiner. Und komm doch erst einmal zu dir und denke nach. Der König ist tot, lang lebe der König, verstehst

du? hmm?" er sah sie aus glasigen Augen an. "Was..." die Shar trat auf ihn zu und schlang die Arme um seinen Bauch. "Ich bin mit dem König von Hibernia verheiratet. Du bist der König von Hibernia, ich gehöre dir und du gehörst mir. Du hast deinen Vater umgebracht, vielleicht nicht mit deiner eigenen Hand, aber deinen Gedanken, und diese haben sich den passenden Körper dafür gesucht und deine Waffe gewählt, nur deine! du hast zwei Möglichkeiten, Ranaquél." Er starrte sie an und wusste nicht, ob er einen Dämon oder Engel vor sich hatte. "Was für Möglichkeiten?" Sh'llel lächelte leicht. "Als der Mann, der seinen Vater umbrachte, an der Eiche endend, noch dazu mit herausgerissenen Eingeweiden und leeren Augenhöhlen, denn du hast das Schlimmste getan, was du nur tun konntest." Ranaquél glaubte, sich übergeben zu müssen. Seine Beine gehorchte ihm nicht mehr und er sank auf das Bett nieder, genau neben dem Toten. Die Bewegung ließ den Kopf der Leiche zur Seite kippen, die glasigen Augen schauten Ranaquél an und der noch immer lächelnde Mund schien zu sagen: Das hast du nun davon, hast du nun davon...

"Und was wäre die Alternative?" flüsterte er matt. Sh'llel schmiegte sich an ihn. Der Blick, den sie ihrem toten Gatten zuwarf, spiegelte nur Verachtung wieder. "Oder du lässt mich an deiner Seite regieren und wirst der neue Herrscher Hibernias. Was das da angeht..." sie machte eine wegwerfende Handbewegung, "wir werden eine Erklärung finden. Nun, was sagst du, mein wunderhübscher König?" er sah sie ratlos an, seine Eingeweide schienen sich schmerzhaft zusammen zu ziehen. "Das wird niemals funktionieren," sagte er schwach.

"Oh, das wird es, sei unbesorgt. Wenn ich eins kann, dann ein unschönes Problem lösen und das Beste aus der Situation machen." Ja, das habe ich schon gemerkt als du Sânnas so ans Schlachtbeil geliefert hast, dachte er flüchtig, doch seltsamerweise machte es ihm kaum etwas aus. Zwei Bilder tanzten abwechselnd vor seinen Augen:

"Tod dem Verräter!"

"Hängt das Schwein auf!"

"Wir wollen ihn tanzen sehen!"

Männer seines Vaters, die noch vergangene Nacht vor ihm auf die Knie gesunken waren und vor seiner Erscheinung den Blick senkten, die ihn, der er jetzt nichts weiter als ein zerfetztes und verschmutztes Hemd trug, grob an den Schultern packten und auf die Eiche zu zerrten. "Ich war es nicht!" schrie Ranaquél verzweifelt und trat wild um sich. "Hängt ihn auf!" brüllten die Leute -seine Untertanen!- zurück. Und Sh'llel, mit einem schwarzen Schleier auf dem Gesicht, der ein leichtes, zufriedenes Lächeln verbarg.

Das andere war durchaus angenehmer...

"Lang lebe König Ranaquél!"

Die Krone Hibernias auf seinem Haupt, der Thron seines Vaters. Lächelnde Minister, schöne Dienerinnen und alle gingen sie auf die Knie und Sh'llel tat es ihnen gleich, lächelte ihn warm an und flüsterte eine lautlose Liebesbezeugung.

Sh'llel betrachtete sein Gesicht, in dem es fieberhaft arbeitete. "Ich glaube, du kennst deinen Weg?" fragte sie sanft. Rana nickte kaum merklich. "Ich will nicht sterben," gestand er tonlos. Sie küsste ihn behutsam auf die Stirn. "Und ich will auch nicht, dass du stirbst." Er war gerade im Begriff, ja zu sagen, sie zu seiner Königin zu machen, als eine leise, eindringliche Stimme in seinem Kopf befahl: "Ranaquél, nicht!" Ranaquél blinzelte verwirrt, ohne auf Sh'llels fragenden Blick einzugehen. "Wer...?"

"Sag ihr nicht zu, spiel ihr nicht Hibernia in die Hände. Sag nein, Ranaquél. Der Tod ist besser als das, was du dir und Hibernia antun wirst wenn du ja sagst."

"Wer ist da?"

"Ich, dein Freund Sânnas."

"Sânnas ist tot. Ich habe ihn getötet. Du kannst es nicht sein!" die letzten Worte schrie der junge Elf und schwankte wie ein Betrunkener vor und zurück. Sh'llel ohrfeigte ihn, nicht sehr hart, aber doch spürbar. "Mit wem sprichst du?" fragte sie scharf. Ranaquél ignorierte sie weiterhin und starrte mit weit aufgerissenen Augen ins Nichts. "Ranaquél," wiederholte Sânnas' Stimme beharrlich, "mach sie nicht zur Königin. Sie wird Hibernia ins Unglück stürzen und dich mit dazu. Hör mir zu, mein Freund. Ich trage dir nichts nach, du kannst nichts dafür. Ich bitte dich inständig als dein jahrelanger Gefährte..." Sh'llel ohrfeigte ihn wieder, dieses Mal mit mehr Kraft. Der Kopf des Elfen flog zur Seite und der Abdruck ihrer Hand zeichnete sich auf seiner Wange ab. "Sânnas," hauchte Ranaquél.

"Ich bin bei dir. Ich werde dir helfen. Mach die Augen zu...und träume." Ranaquél sank bewusstlos zu Boden.

Wie er erwartet hatte, suchte ihn auch dieses Mal ein Traum heim, und er übertraf in Bezug auf Realität alles, was der Prinz überhaupt jemals zuvor geträumt hatte. Es waren Bilder, die einen normalen Schläfer normalerweise sofort hochschrecken und zittern und nach Luft ringen ließen und auch Ranaquél wollte aufwachen, vor dem fliehen, was sein Traum ihm zeigte. Aber Sânnas ließ es nicht zu:

Mag Mell brannte. Die freundliche Schmiedin vor dem Haus des Heilers, die ihm immer Leckereien geschenkt hatte, als er noch ein Kind war, lag zusammengesunken über ihrem Amboss, aus ihrem Rücken ragte der Griff eines Dolches, den sie einst selbst geschmiedet hatte. Das Haus des Heilers selbst stand auch in Flammen, der vordere Teil war eingestürzt. Im kleinen Wasserbecken vor den Einganstüren trieb ein lebloser Körper. Die Luft war heiß und stank nach Rauch und Ranaquél konnte kaum atmen, so sehr brannte sie in seinen Lungen. Er wollte um Hilfe schreien, doch er brachte nur ein trockenes Krächzen zustande. Sânnas stand still neben ihm, um seinen Hals zog sich ein schrecklicher, rotblauer Ring, sein Henkersmal. Der Elf sagte kein Wort, sondern deutete ernst in Richtung Tir na nOgh. Ranaquél verstand und hetzte los. Überall lagen Tote, viele Bürger, die er gekannt oder zumindest schon einmal gesehen hatte. Das Erdreich war aufgewühlt und brannte an vielen Stellen, zerbrochene Schwerter und Speere steckten im Boden. Und Tir na nOgh...das prächtige, von goldenen Kuppeln gezierte Schloss hatte seine Pracht und Herrlichkeit gänzlich verloren. Die Kuppeln schmolzen zusammen, die Mauern waren zum größten Teil eingestürzt und das mächtige Einganstor aus seinen Angeln gerissen. Und natürlich brannte es auch hier. Ranaquél ging mit weichen Knien um die Toten herum und merkte gar nicht, dass er dabei leise vor sich hinwimmerte. "Sei gegrüßt, mein Prinz. Schön, dass wir uns noch einmal sehen!" er hob den Kopf und prallte zurück. Sh'llel stand mitten im zerstörten Einganstor, sie war in eine nachtschwarze Kettenrüstung gehüllt und ein blutroter Umhang flatterte um ihre Schultern, obwohl es keinen Wind gab. Sie kam langsam näher und Ranaquél wollte fliehen, doch seine Beine versagten ihm den Dienst. Sânnas stand wortlos neben ihm. "Hilf mir," hauchte Ranaquél tonlos und wollte nach dem Arm seines Freundes greifen, doch auch diesen konnte er nicht bewegen. Sânnas sah ihn nur traurig an. Sh'llel hatte ihn erreicht. Mächtig und überhaupt nicht mehr zierlich stand sie vor ihm, und er konnte absolut nicht begreifen, wie er an diesem grausam lächelnden, unirdischen Wesen jemals etwas Verführerisches oder Anziehendes hatte finden können. "Ich möchte dir ein erstes und letztes Geschenk machen, Ranaquél," sagte sie leise. "Du hast es dir redlich verdient, denn keiner war mir eine größere Hilfe als du. Es ist dir vielleicht kein Trost, aber Hibernia wird ein völlig neues Zeitalter erleben und ich werde dafür sorgen, dass sich jeder daran erinnert. Möchtest du mein Geschenk haben?" sie strahlte ihn an, und er hatte Angst, dass ihm die Blase versagte. "Hexe," brachte er gepresst hervor, "widerwärtige Hexe. Du Ungeheuer!" die letzten beiden Worte schrie er ihr ins Gesicht, ehe ihm die Stimme brach und Tränen der Verzweiflung seinen Blick verschleierten. "Na, na," mahnte Sh'llel sanft. "Du warst auch ein gutes Stück naiv, oder? im Prinzip hasst du dich gerade selbst. Wir hatten beide ein Ziel...ich wollte Hibernia und du wolltest den Platz deines Vaters und mich als Bettgefährtin. Ist es nicht so?"

"L-lass mich..."

"Ranaquél. Ist es nicht so?"

"Du sollst mich in Ruhe lassen!!" Sie trat zurück und schnalzte missbilligend mit der Zunge. "Mein kleiner, dummer Siabra." Er wusste nicht, was ein Siabra war, er wollte es auch gar nicht wissen. Er verfluchte sich voller Inbrunst, während die Tränen ungehemmt über seine Wangen strömten. "Also schön," murmelte Sh'llel, die ihm eine Weile zugehört hatte. "Weißt du, was ´Siabra´ auf shar bedeutet? Verrottung. Und da du dich so in die Hölle und noch tiefer wünschst, gebe ich dir, was du möchtest." Sie trat abermals auf ihn zu, schlang einen Arm um seinen Nacken und gab ihm einen innigen, gierigen Kuss. Ranaquél versuchte, sie abzuschütteln, ihr in die Lippe zu beißen, zu schreien- zwecklos. Ihre Zunge schob sich in seinen Mundraum, tiefer und tiefer und er war sich sicher, dass er jetzt sterben müsste, ersticken an ihrem letzten Kuss. Stattdessen biss sie ihm heftig in die Zunge, was ihm ein schrilles, aber halb verschlucktes Wimmern entlockte. Endlich gab sie ihn frei, trat zurück und leckte sich über die Lippen. Sein Blut blieb daran zurück. "Siabra," sagte sie und lächelte.

Mit einem hysterischen Aufschrei schlug Ranaquél die Augen auf. Es war still um ihn herum, von Sânnas oder Sh'llel keine Spur. Sein Leib zitterte wie Espenlaub und ein dunkler Fleck hatte sich auf seinem Untergewand gebildet. "Nur ein Traum," flüsterte er heiser. "Nur ein Traum, ein Traum, ein Traum. Nichts als ein..." er stockte, als er den unverkennbaren Kupfergeschmack von Blut im Mund spürte. Schwankend stand er auf und stolperte zum Schrank. Wollte er das wirklich? wollte er ihn öffnen und in den Spiegel schauen? würde ihm dann das Gesicht eines Mörders entgegen lächeln, womöglich mit blutigen Lippen? "Es war nur ein Traum, ein verdammter, elender Alptraum!" stöhnte Ranaquél.

Seine Träume waren Warnungen und Botschaften, erinnert Ihr Euch? und sie irrten sich nie. Wisst Ihr noch?

Ranaquél riss nun doch die Schranktür auf. Siabra.Verrottung. Das hinterste, schmutzigste Plätzchen in der Hölle, ein Dasein als... er befühlte beinahe neugierig seine schwammigen Wangen und blickte verwirrt auf seine schuppigen Fingerspitzen, an denen ein kleiner Rest Haut zurückgeblieben war. Siabra.

Überraschungen in Murdaigean

Athriliath brach ab, und ich starrte ihn gebannt an. "Und dann?" er lächelte fragend. "Mmhh?" ich hob die Hand, formte sie zu einer Klaue und führte sie an mein Gesicht. Er lachte leise. "Er ist natürlich fortgelaufen, so konnte er ja im Schloss nicht bleiben. Er hat sich in den Wäldern versteckt und ist endgültig zum Siabra geworden, eine leere, verfaulende Hülle, die ihre Seele verloren hat. Macht ist eben nicht alles." Meine Augen funkelten, ich hatte einen schlechten Geschmack im Mund. "Aber das ist nicht wirklich passiert?" er musste abermals lachen und legte mir die Hand auf die Schulter. "Habe ich doch schon gesagt, es ist nur ein weiteres Märchen von vielen, das über die Feindschaft zwischen Shar und Elfen und die Entstehung der Siabra erzählt. Kein Wort davon ist wahr, zumindest wäre mir das neu. Es tut mir Leid, wenn ich dich damit aus der Fassung gebracht habe."

"Oh nein, sie war...eh...na ja der Inhalt war neu für mich, aber sonst...sehr spannend. Und dieses Weib hätte ich erwürgen können." Athriliath sagte nichts, sondern lächelte nur still. Brakalu mischte sich unerwartet in das Gespräch ein. Auf seinem Gesicht lag fast so etwas wie Ekel. "Höchst bizarr," sagte er kühl. "Und es ging viel zu viel um..." er räusperte sich, eine Wangen wurden etwas dunkler und er brach mürrisch ab, offenbar ärgerlich mit sich selbst. Keena grinste breit, offenbar hatte sie der Geschichte zumindest doch mit einem Ohr gelauscht. "Ein prüder Fisch, wie köstlich!" Brakalu sah sie ungnädig an und schwieg wieder. Athriliath strich sich ein wenig verlegen über das zerfetzte Wams. "Nein, nein, das ist seine Meinung und ich kann sie durchaus nachvollziehen. Da ist wohl irgendwas mit mir durchgegangen." Keenas Grinsen wurde immer breiter. "Ach? was denn?" Athriliath blieb eine Antwort erspart, denn inzwischen waren wir, ohne es zu bemerken, an eine große, steinerne Festung gelangt. Es war vollkommen still, weder Wachen noch eine zornentbrannte Mikata warteten auf uns. Athriliaths Gesicht wurde ernst, aufmerksam sah er sich um. "Es hat lange gedauert, aber nun sind wir da. Das ist Druim Ligen."

Wir blickten versonnen zu dem mächtigen Gebilde empor, als Brakalu neben mir halblaut murmelte: "Überrhaupt nicht gut." Ich sah ihn fragend an. "Was ist nicht gut?" er zuckte die Achseln, ohne den Blick von dem massiven Eichenholztor zu nehmen. "Die Geschichte. Das Ende derr Geschichte." Athriliath, der sich ebenfalls zu dem Inconnu umgedreht hatte, schenkte ihm ein durch und durch warmes Lächeln. "Ich mache dir einen Vorschlag. Bevor ihr wieder nach Hause zurückkehrt, werde ich dir die Geschichte richtig erzählen, so, wie sie sein sollte. Was hältst du davon?" Brakalu sah den Elfen nun doch an und musterte abschätzend sein Gesicht, ehe er sachte nickte. "Einverrstanden."
 

Auszug aus einem inzwischen fast vergessenen Kriegslied der Skalden:
 

"...Ehre, Ehre

zu dem, der sie verdient,

Brechende Knochen,

für den, der lieber sühnt:

Brüder, Schwestern, hört mir zu:

Im Kampfe verzeiht man nicht,

nur ich oder du,

Wer weicht, der hat verloren,

verdammt und nicht erneut geboren,

denn in Walhalla ist kein Platz

für kriegsmüde Toren..."
 

"Komm, hilf mir mal!"

"Man wird uns meilenweit hören."

"Vielleicht, aber nur durch rumstehen kommen wir nicht weiter. Fass an!"

Keena stand vor einem schweren, massiven Hebel, der das Tor öffnen sollte. Sie zog daran, doch der Hebel rührte sich nicht. Wütend starrte sie mich an, und ich trat gehorsam an ihre Seite. Zu zweit zerrten wir mit aller Kraft, ehe ein leises Knarren uns verriet, dass wir Erfolg hatten. Entgegen meiner Prognose quietschte weder uraltes Eisen, noch klirrten irgendwelche Ketten: das Tor schwang völlig lautlos auf und präsentierte uns einen verlassenen Burghof, der dem meiner Teleporterfestung Svasud nicht unähnlich war. Athriliath zögerte einen Moment, ehe er entschlossen in den Hof trat und sich umschaute. Es war beinahe beunruhigend still. "Sehr seltsam," murmelte der Elf und winkte uns heran. Keena hielt ihren Stab etwas fester, bereit, sich beim kleinsten Anzeichen von Gefahr ins Getümmel zu stürzen. Doch der große Hof blieb unverändert friedlich, mein Gefühl von Unbehagen hingegen wuchs. Ich hatte mich schon mehr oder weniger darauf vorbereitet, mich mit einer erzürnten Mikata auseinandersetzen zu müssen oder gar die Waffe gegen unbeteiligte Bürger zu richten. Und nun schien es, als könnten wir gemütlich und ohne weitere Scherereien nach Hause spazieren. Wo sich mir gleich der naheliegendste Gedanke aufdrängte: Wie kommen wir hier weg?! Athriliath drehte sich zu uns um und musterte unsere Gesichter. Das junge Morgenlicht präsentierte ihm erschöpfte Züge und ich war mir bewusst, dass mein Körper ein Bad dringend nötig haben musste. Doch das war es nicht, was ihn nun nachdenklich auf der Unterlippe kauen ließ. "Ihr fallt sofort auf, sollte jemand kommen. Vor allem ihr beide werdet aus der Masse stechen wie bunte Hunde," er nickte Keena und Brakalu zu, die seinen Blick ratlos erwiderten. Plötzlich musste Athriliath grinsen. Er löste die Spange, die seinen Mantel hielt, und trat mit dem Kleidungsstück auf Keena zu. Die war ein wenig misstrauisch zurückgewichen, als sie seinen Gesichtsausdruck bemerkte. "Was?" fragte sie argwöhnisch. Athriliath bemühte sich, das freche Grinsen zurückzuhalten und verbeugte sich leicht vor ihr. "Mutter, Euch ist sicher kalt, legt das hier an. Und drückt Euren armen, kleinen Sohn an Eure Brust, damit auch seine Gesundheit keinen Schaden nimmt." Keena starrte ihn einen Moment sprachlos an, ehe sie herrisch nach dem Umhang griff. "Sehr witzig! und Llienne, hör auf zu lachen oder es setzt was!" ich war bei Athriliaths Vorstellung in haltloses Gekicher ausgebrochen und griff mir bei Keenas Worten an den von der vergangenen Nacht noch immer schmerzenden Schädel, ohne auf ihre Forderung einzugehen. "Bitte nicht, Mutter." Ihr Blick machte deutlich, dass sie mir das irgendwann mit Freuden heimzahlen würde, doch sie widersprach nicht mehr, schlang sich den Umhang um die Schultern und stülpte sich die Kapuze über den Kopf, ehe sie Brakalu am Arm packte und zu sich heranzog. "Also komm schon her, mein Sohn," sagte sie ironisch. Der Inconnu, der offenbar der Meinung war, dass wir alle drauf und dran waren, den Verstand zu verlieren, seufzte nur ergeben und drückte sich unter dem Mantel gehorsam an ihren Körper. Athriliath räusperte sich. "Fein. Und du senk einfach den Kopf, Llienne. Ich werde nachsehen, ob Lady Glasny anwesend ist. Wenn alles gut geht, sind wir in zwei Minuten in Murdaigean." Ich sah ihm mit gemischten Gefühlen nach, wie er eine hölzerne Treppe erklomm, die zu einem Wehrgang führte, von dem man den gesamten Hof und das Tor im Auge behalten konnte. "Das ist wirklich komisch, so viel Aufregung und dann kein würdiger Empfang," brummte Keena unter ihrer Kapuze, wobei in ihrer Stimme beinahe so etwas wie Bedauern mitschwang. Ich seufzte nur tief und massierte meinen verspannten Nacken. "Ich bin für die nächste Zeit bedient. Wenn wir in Murdaigean waren, kann Athriliath allein nach Hibernia zurückkehren und sagen, dass ich im Kampf gefallen bin und euch die Flucht gelungen ist. Das wird der königlichen Hoheit vermutlich nicht gefallen, aber sie werden sich damit zufrieden geben, vor allem Mikata. Hoff ich zumindest," setzte ich trocken hinzu und behielt die Treppe im Auge. Und tatsächlich...ich senkte hastig den Kopf, als ich Athriliath in Begleitung einer kleinen Gruppe Elfen die Treppe hinunterkommen sah. Mein Herz begann vor Erwartung ein wenig schneller zu schlagen. Würde unser Schwindel auffliegen? verstohlen beobachtete ich die Elfen durch die Wimpern hindurch. Die Anführerin war eine junge Frau mit einem silbrigen Zopf und einer bodenlangen, türkis schimmernden Robe. Ihre männlichen Begleiter steuerten still auf den steinernen Kreis zu, auf welchem sie gleich ihre Magie wirken würden. Athriliath flüsterte leise mit der Fremden und deutete auf eine leere Ecke des Hofes. Glasny, die Elfe, zuckte die Achseln und drückte ihm vier dünne Silberketten in die Hand. Er verbeugte sich vor ihr, griff nach der Hand, die ihm die Schmuckstücke reichte, und küsste sie formvollendet. Glasny errötete leicht, gab ihm einen sanften Klaps und mit einem Auflachen drehte sich Athriliath zu uns um. "Kommt, wir wollten doch in den Schnee. Nirgendwo bekommt man einen klareren Kopf als an der frischen Luft von Odins Tor." Ich ging auf sein Spiel ein, gähnte herzhaft und schlurfte auf den Steinkreis zu. Jetzt...jetzt würde es sich entscheiden. Meine Handflächen wurden feucht. Unsere Maskerade war mehr als lächerlich, es konnte gar nicht gutgehen...Athriliath beugte sich vor, warf mir einen eindringlichen Blick zu und reichte mir eine der Ketten. "Guck nicht so entsetzt," wisperte er. Ich nickte nur und streifte mir das Schmuckstück über. Er hatte ja gut reden, ihn als Hibernianer würden sie im Falle einer Entlarvung sicher nicht allzu hart bestrafen. Was bei solch einer Unverschämtheit aber aus Keena, Brakalu und mir werden mochte, darüber wollte ich nicht einmal nachdenken. Ich hielt mich dicht hinter Athriliaths Rücken, ließ meine ungleichmäßigen, zerzausten Haare ins Gesicht hängen und schickte ein Stoßgebet zu Bragi. Hinter mir stand Keena, ließ zwei Ketten unter ihrem Umhang verschwinden und täuschte gleichzeitig ein krächzendes Husten vor. Als unter dem Mantel keine Reaktion erfolgte, trat sie Brakalu nachdrücklich auf den Fuß, woraufhin er ein nicht besonders überzeugend kindliches Wimmern ausstieß. Glasny bedachte uns mit einem schiefen Blick, doch vermutlich hatte sie während ihrer Zeit als Portalmeisterin schon seltsamere Gestalten gesehen, so dass wir ihr nicht übermäßig auffällig erschienen. Auf ihren Wink hin spreizten die Magier die Beine und unwirkliches, blaues Licht explodierte, was unsere Körper vollkommen einhüllte und mich wieder einmal nahe an den Rand eines Zusammenbruchs brachte.
 

"...frage mich, wann sie sich das endlich abgewöhnt..."

"Ist sie in Ordnung?"

"Ja, ihr ist nur mal wieder schlecht."

Ich blinzelte, hustete erstickt und riss die Augen auf. Wenig überrascht sah ich die drei Gesichter meiner Gefährten über mich gebeugt. Athriliath wirkte besorgt, Brakalu sah mich an, als wäre ich eine interessante neue Tierart und Keena seufzte genervt. Ich ignorierte ihre hilfreich ausgestreckte Hand und stand in einer einzigen Bewegung auf. "Tut mir Leid, ich hab mir das auch nicht ausgesucht," brummte ich und stimmte, jegliche dumme Bemerkung im Keim erstickend, mein helles Reiselied an. Brakalu konzentrierte sich und machte sich daran, seinen untoten Diener zu sich zu rufen. Keena tat es ihm gleich und Athriliath schulterte seinen Schild. Ernst sah er von einem zum anderen. "Wir machen es so, wie Llienne gesagt hat. Wir schauen nach, was in der Burg los ist und danach helfe ich euch bei der Heimreise. Anschließend kehre ich nach Tir na nOgh zurück und sage, dass der Inconnu und die Valkyn entkommen konnten und du, Llienne, im Kampf getötet wurdest. Es wird alles gut werden." Er lächelte zuversichtlich und ich griff, ohne zu wissen warun, plötzlich nach seiner Hand. Überrascht hob er die Braue, schwieg aber. Ich erwiderte seinen nun ernst gewordenen Blick. "Dir und Zaphykel verdanke ich sehr viel," meinte ich. "Bitte setz dich für ihn ein, wenn du zurückkommst." Er nickte. "Ich verspreche es dir." Plötzlich mischte sich ungefragt eine mir fremde Männerstimme ins Gespräch ein: "Du meinst wohl, wenn er zurückkommen sollte!" wir fuhren herum und brauchten einen Moment, ehe wir den Sprecher ausmachen konnten: Es war ein elfischer Bogenschütze, der sich über uns an die Zinnen lehnte. Auf seinen Lippen spielte ein leichtes, alles andere als vertrauenderweckendes Lächeln. Athriliath legte den Kopf in den Nacken und betrachtete seinen Waffenbruder gelassen. "Wie meint Ihr das?" fragte er. Statt zu antworten, hob der Elfenschütze die Hand, und urplötzlich erschienen auf der Brüstung fünf oder sechs weitere Männer. Sie hatten schlanke Langbögen, die sie alle gleichzeitig spannten und dann zu meinem Entsetzen auf Athriliaths Brust richteten. "Du bist ein Verräter," sagte der Anführer leidenschaftslos, doch in seinen grünen Augen funkelte es bedrohlich, "und Verräter verdienen den Tod." Athriliath blieb ruhig. "Was wirft man mir vor?" der Bogenschütze lachte ungläubig und nun verzerrte sich sein Gesicht doch. "Du hast dich mit Midgardern und einem Albioner eingelassen, du hast deine Prinzessin hintergangen...du hast Hibernia entehrt!" schloss er schneidend und hob die Hand. Doch ehe er einen Befehl aussprechen konnte, erklang ein schlangengleiches Zischen und seine Gestalt wurde für einen Moment von einem schwarzvioletten Licht eingehüllt. Der Elf schrie auf, riss beide Arme in die Luft und schoss, ohne hinzusehen- sein Pfeil flog nutzlos über die Burgmauer. Ich drehte den Kopf und sah Brakalus widerlichen Diener, der sich in eben diesem Moment zu einem weiteren Angriff bereit machte. Und dann brach das Chaos aus. Die Elfen schrien wütend in ihrer Muttersprache durcheinander und feuerten ihre Pfeile auf uns ab. Ich warf mich verzweifelt zur Seite und spürte den Luftzug, als das Geschoss nur wenige Millimeter neben meinem Gesicht funkensprühend auf das Kopfsteinpflaster prallte. Athriliath warf sich vor Keena und hob den Schild, an welchem gleich drei Pfeile abprallten. Der verletzte Elf hatte sich wieder aufgerappelt, ein feines Blutrinnsal floss an seiner Schläfe hinab. "Tötet sie," gellte er, "lasst sie nicht nach draußen!" ich sprang wie der Blitz auf und brachte mich hinter einem hölzernen Pfeiler in Sicherheit, in welchen sich prompt ebenfalls ein paar der tückischen Geschosse bohrten. "Wirr müssen hierr rraus!" rief Brakalu und schwang seinen Stab. Athriliath nickte gehetzt, fasste Keena am Arm und rannte auf das Tor zu. "Llienne," brüllte er, "komm h..." sein Ruf verwandelte sich in einen lauten Schmerzensschrei, als einer der Pfeile seinen Kettenpanzer durchschlug und zwischen den Schulterblättern stecken blieb. Er geriet ins Stolpern und Keena, die geistesgegenwärtig versuchte, ihn festzuhalten, stürzte nach einem kurzen Kampf um die Balance ebenfalls zu Boden. "Lasst den Verräter und das Menschenmädchen leben!" fauchte der Anführer. "Sie gehören dem Herrn. Kümmert euch um die da!" ein reichlich mitgenommen wirkender Bogenschütze kniff die Augen zusammen und zielte. Der Treffer war mehr als kritisch, und mit einem klagenden Laut brach Brakalus Diener zusammen. Schlagartig verließen auch den kleinen Inconnu alle Kräfte und er taumelte kurz, ehe die Beine ihm den Dienst versagten. Unter den Elfen brach Jubel los. "Nein!" schrie ich. "Lauf weg!" Brakalu warf mir einen kurzen, schmerzerfüllten Blick zu, ehe in ein Pfeil mitten in die Seite traf. Mit einem halb erstickten Keuchen stürzte er gänzlich zu Boden und schloss kraftlos die Hände um das Geschoss. Von wildem Zorn ergriffen, brüllte ich mein Schlachtenlied, hob die Axt und stürmte die Treppe hinauf. "Dafür werdet ihr bezahlen!" schrie ich und schlug blind um mich. Die Elfen wichen hastig zurück, doch einen streifte ich dennoch. Der Mann taumelte kurz, schlug beide Hände vor das Gesicht und fiel rücklings über die Mauer, noch immer schreiend. "Ich hab genug von diesem Scheißland! ich hab genug vom Krieg! ich will nach Hause!" warum ich dies sagte, wusste ich selber nicht genau. Und eigentlich sagte ich das auch nicht, sondern brüllte, dass man meinen konnte, es würde mir die Stimmbänder herausreißen. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Keena, die sich mühsam aufgerappelt hatte, wieder zu Boden ging. Sie rührte sich nicht mehr. Das löste so etwas wie einen Kurzschluss in mir aus, wie in Zeitlupe ließ ich die Axt sinken und starrte auf ihren zusammengesunkenen Körper. Die Elfen ließen die Chance nicht ungenutzt verstreichen, und einer hob irgend etwas Schweres hinter mir, was mir einen Moment später kraftvoll auf die Schläfen hinabfuhr. Die Welt explodierte in einem rotem Feuerwerk und ich merkte, dass ich fiel...

...und träumte. Was doch eigentlich völlig unmöglich sein musste, denn ich dachte bis dato immer, dass man in einer echten Ohnmacht nicht träumt. Und überdies auch nicht denkt. Der Gedankengang war so bizarr dass ich im Traum in leises Gelächter ausbrach. Ich lag im Wasser, doch meine Kleidung wurde nicht nass. Ich starrte zu einer Sonne hinauf, die mich nicht blendete. Ich hatte das Gefühl, als besäße ich keine feste Form mehr und mein Gelächter erstarb und machte zögerlich einer mir wohlbekannten Furcht Platz. Plötzlich tropfte etwas auf meine Wange und ich wollte die Hand heben, um es fortzuwischen. Mein Ensetzen wuchs, als ich feststellen musste, dass ich nicht einmal imstande war, mit einer Fingerspitze zu zucken. War ich vielleicht die steinerne Brüstung hinuntergestürzt, hatte mir das Rückgrat gebrochen und setzte mich nun mit den Todesgeistern auseinander, die mir den Rückzug aus dem Leben schwermachen wollten? wieder benetzte etwas Feuchtes meine Wange und rann daran hinab, kitzelte mein Ohr. Ich stieß einen wütenden Laut aus, weil es mir auch nicht gelang, wenigstens den Kopf zur Seite zu drehen. Lautlos fiel neben mir ein Tropfen ins Wasser und vermischte sich mit diesem. Mein Mund schnappte wie der eines Fisches, ehe ich mich in einen kraftlosen Schrei befreite, denn nun hatte ich endlich erkannt, was da gnadenlos auf mich niederregnete: Blut.

Ich schrie noch immer, als mir der Anführer der Elfen abermals ein paar Tropfen kühles Wasser ins Gesicht spritzte. Die anderen standen furchtsam in einigem Abstand um uns herum und sahen ratlos auf meine Elendsgestalt hinab, offenbar unsicher, was sie von der ganzen Sache halten sollten. Der Elfenschütze rüttelte mich halbherzig an der Schulter und versuchte, meine Stimme zu übertönen: "Nun hör auf zu jaulen, verdammt nochmal, du hast doch überhaupt nichts!" ich ignorierte ihn und wimmerte und stöhnte weiter, noch ganz gefangen von meinem Traum. Dabei wusste ich selbst nicht einmal, was mich so in Panik versetzte. Da hatte ich schon viel schrecklichere Dinge geträumt, der letzte lag gar nicht so lang zurück, nur ein paar Jahre. Die Erinnerung durchzuckte mich wie ein Elektroschock:

Schatten und Feuer. Etwas Gewaltiges regt sich in der Dunkelheit. "Hhaaah..." Anstatt endgültig in Hysterie zu versinken, stellte ich mein Geheul ein und starrte den Elfen über mir nur an. Dieser runzelte halb ärgerlich, halb unsicher die Stirn. Mein Sinnungswandel war ihm offenbar unheimlich. "Bist du jetzt friedlich?" fragte er. Ich nickte nur und fühlte beiläufig meine Schläfen. Es tat weh und vermutlich bildete sich dort nicht zum ersten Mal eine prächtige Beule. Aber als ich meine Fingerspitzen einer eingehenden Untersuchung unterzog, sah ich keine Spur von Blut. Das tröstete mich auf eigentümliche Weise. "Ja, ich bin friedlich," sagte ich mit einiger Verspätung. Dann kamm die Erinnerung zurück und ich spürte einen gallebitteren Geschmack auf der Zunge. "Was ist...mit meinen Freunden?" unwillkürlich drehte ich den Kopf und suchte den Schauplatz des vergangenen Kampfes nach den Leichen von Brakalu und Keena ab, konnte aber weder den einen noch die andere finden. Auch von Athriliath fehlte jede Spur. Der Elf verzog das Gesicht. "Oh, mach dir keine Sorgen, sie alle sind noch am Leben." Ich hörte seine Worte zwar, konnte sie aber im ersten Moment kaum begreifen. Mit gerunzelter Stirn starrte ich ihn an. "Sie...leben noch? aber...die Pfeile, sie..." der Bogenschütze erhob sich und sah kopfschüttelnd auf mich, die ich immer noch wie ein Käfer auf dem Rücken lag, hinab. "Du machst dir zuallererst Gedanken um andere, hm? wie töricht." Ich verzichtete auf eine passende Antwort, dazu fehlte mir ganz einfach die Kraft. "Wo sind sie?" fragte ich nur und versuchte, mich aufzurappeln. Dass ich wie ein Wurm vor ihm im Staub kroch, ärgerte mich. Der Elf öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, doch ich hörte ihn gar nicht- ein grauenhafter Schmerz explodierte in meinem Schädel, ich rollte mich auf die Seite und erbrach mich kraftlos. Mein Körper hatte sich erst vor kurzem trotzig mit einer deftigen Gehirnerschütterung auseinandergesetzt doch die zusätzliche Belastung des gemeinen Hiebes auf die Schläfen hatte ihn letztlich doch bezwungen. Der Elf seufzte tief und besah sich angeekelt die Sauerei. "Ich wollte dich gerade warnen. Nun ja, du bekommst bald ein heißes Bad, frische Kleider und ein Bett." Ich starrte ihn aus tränenden Augen an und hätte trotz der erbärmlichen Situation beinahe aufgelacht. "Ihr Hibernianer...seid komisch. Erst...schießt ihr mit Pfeilen auf mich...dann zertrümmert ihr mir fast den Schädel...und nun wollt ihr die zuvorkommenden Gastgeber spielen?" der Anführer machte eine ungeduldige Handbewegung. "Beschimpf mich, so viel du willst, ich habe meine Befehle und mir steht´s nicht zu, diese in Frage zu stellen." Seine Stimme nahm einen schneidenden Tonfall an: "Sei versichert, ich hätte es auch vorgezogen, dich mit Pfeilen zu spicken, glaub nicht, ich würde auch nur eine Sekunde zögern wenn man mir freie Hand ließe. Und nun steh auf, wir haben schon genug Zeit vertrödelt." Ich versuchte, den widerlichen Geschmack auf meiner Zunge zu verdrängen und wischte mir den Mund mit dem Handrücken ab. "Wenn meine Freunde nicht tot sind, wo hat man sie hingebracht?" fragte ich abermals, nun schon sehr viel gefasster. Ich würde nicht sterben und meine Gefährten waren noch am Leben, nur das zählte. Alles weitere würde ich irgendwie auch überstehen. Als meine Beine mir trotz gutem Willen den Dienst versagten, winkte der Elfenführer mit ungeduldiger Geste einen seiner Männer heran. Der Bogenschütze packte mich gehorsam unter den Achseln und zerrte mich auf die Füße. Ich schwankte und wäre um ein Haar wieder gestürzt, doch der Elf griff reflexartig nach meinen Schultern und hielt sie fest. Der Führer bedachte mich mit einem kühlen Blick. "Du wirst sie sehen wenn der Herr will, dass du sie siehst. Los Männer, wir gehen zur Festung Murdaigean." Und jegliche Proteste einfach ignorierend, setzten sich mein Bewacher und Helfer und die übrigen Elfen in Bewegung. Mir blieb nicht anderes übrig, als mich ihrem raschen Schritt anzupassen, obwohl ich mich immer noch so elend fühlte, dass ich mich am liebsten irgendwo eingegraben und die nächsten Tage nicht mehr gezeigt hätte. In einer geordneten Zweierreihe passierten wir das Tor, das wie von Geisterhand aufschwang und die hibernianische Teleportfestung blieb still und verlassen hinter uns zurück. Ich riskierte einen schnellen Blick in das Gesicht des Mannes, der mich zwar energisch, aber nicht böswillig vorantrieb. "Ihr verratet Euer Reich, das wisst Ihr, oder?" fragte ich beiläufig. Im Gesicht des Elfen zeigte sich nicht die geringste Regung. Unbeherrscht fuhr ich fort: "Euer Herr hat inzwischen zwar Wind davon bekommen, dass irgend etwas nicht mit rechten Dingen zugeht, doch ich wette, damit hat er nicht gerechnet." Die Mundwinkel des Mannes zuckten leicht, doch er riss sich zusammen. Ohne zu wissen, wieso ich den Hibernianer dermaßen provozierte, sinnierte ich im aufsässigen Plauderton laut weiter. "Das wird sie alle mehr als nur den Kopf kosten. Wie können die sich bei soviel Verrat eigentlich noch ohne Scham im Spiegel betrachten..." nicht mein Begleiter, sondern der Anführer fuhr wie eine wütende Schlange herum und schrie mich an: "Halt endlich dein verfluchtes Maul, oder ich werde es dir eigenhändig stopfen." Ich grinste leicht. "Oh, meldet sich da das schlechte Gewissen eines unehrlichen Eidschwörers?" Llienne, was tust du, sagte eine entsetzte Stimme in meinem Hinterkopf. Schnappst du nun vollends über? und dieses Mal war ich offenbar wirklich zu weit gegangen, denn der Elf starrte mich einen Moment sprachlos an, ehe er ein langes Rapier von seinem Gürtel löste und mit weit ausgreifenden Schritten auf mich zustapfte. Leise pfeifend bohrte sich genau vor seinen Füßen ein schmaler Dolch in die Erde, und er sprang mit einem überraschten Aufschrei zurück. "Wer wagt es...?!" eine junge Frauenstimme erwiderte gelassen: "Hauptmann Delcari, wie mir scheint, ist auf Euch absolut kein Verlass. Ich gehe doch recht in der Annahme, dass der Zorn gerade Euren Verstand vernebelte und Euch Hand an die Geisel hätte legen lassen, oder etwa nicht?" der Angesprochene sah sich wild um. "Wer seid Ihr? und vor allem, wo seid Ihr?!" fast genau neben mir stand wie aus dem Boden gewachsen eine kleine, schlanke Gestalt mit einem bodenlangen, dunkelgrünen Kapuzenumhang. Ich zuckte überrascht zusammen. Das musste dann wohl einer der Schleicher sein, vor denen Keena mich damals gewarnt hatte. Hauptmann Delcari überwand seine Überraschung schnell. "Und wer seid Ihr, Nachtschatten?" fragte er kalt. "Zeigt Euer Gesicht!" der Neuankömmling, der aufgrund seiner kleinen, beinahe zart anmutenden Gestalt nichts anderes als eine Lurikeen sein konnte, schlug bereitwillig die Kapuze zurück. Ich erkannte ein schmales Gesicht mit sandfarbenem Haar, in dem ein kleines, goldgrünes Abzeichen steckte. "Eine persönliche Späherin von Prinzessin Mikata," rief einer der Elfen überrascht aus. Die Lurikeen nickte knapp. "So ist es. Hauptmann Delcari, Ihr dürft zur Teleportfestung zurückkehren, und Eure Möchtegernhelden nehmt am besten alle mit. Und mir wäre es wirklich lieb, wenn Ihr Euch sofort entfernen würdet." Atemlose Stille trat ein, ehe der Elf wütend die Fäuste ballte. "Persönliche Späherin hin oder her, wie redet Ihr mit mir?!" die Kleine erwiderte seinen Blick unbeeindruckt. "Ihr könnt froh sein, dass Ihr nicht vom Dienst suspendiert werdet, Ihr Narr. Beinahe hättet Ihr eben eine bodenlose Dummheit begangen. Also geht mir schon aus den Augen." Der Elf verlor nun wirklich die Beherrschung. "So sprichst du nicht mit mir, Weib!" fauchte er und tastete nach seinem Rapier. Er führte die Bewegung nicht einmal ansatzweise aus. Fasziniert beobachtete ich, wie die Lurikeen mit beinahe unheimlicher Schnelligkeit auf ihn zuraste und ihm -ohne auch nur eine Miene zu verziehen- in der gleichen Bewegung einen schimmernden Krummdolch in den Bauch trieb. Die Augen des Elfen wurden rund vor Überraschung und Schmerz. Ungläubig tastete er nach der Waffe, die aus seinem Körper wuchs, öffnete den Mund zum Schrei und brachte stattdessen bloß ein rauhes Krächzen hervor. "Ihr...elende...Verr..." er stöhnte dumpf und ging vor der Lurikeen in die Knie, ehe er kraftlos auf die Seite fiel. Die junge Frau betrachtete ihn angewidert, ehe sie sich mit einem Ruck an die vor Schreck erstarrten Elfen wandte. "Wenn ihr euch nicht für den Rest eures Lebens als königliche Gemüseputzer betätigen wollt, nehmt ihr jetzt die Beine in die Hand und bewegt euch zur Teleportfestung zurück. Wer sich beschweren will, kann das später bei Prinzessin Mikata persönlich tun. Und jetzt verschwindet!" die Elfen starrten auf ihren gefallenen Anführer, doch die Aussicht auf das Schicksal als Küchenjungen schien sie weit mehr zu entsetzen als sein rascher, unrühmlicher Tod. Die Philosphie eines Kriegers, dachte ich flüchtig. Nichts ist wichtiger als eine makellose, verdiente Ehre. Und so zögerte keiner der Bogenschützen länger, stattdessen formierten sie sich unaufgefordert wieder in zwei Reihen und stapften mit beinahe fluchtartigen, aber dennoch geordneten Schritten zurück in Richtung Hauptburg. Während ich den Danvonziehenden staunend nachblickte, wurde mir erst klar, was ich da eben gehört hatte. Die Fremde war eine direkte Untergebene von Mikata?! ich drehte mich langsam um und wich einen Schritt zurück. Die Lurikeen verfolgte die Bewegung aus zusammengekniffenen Augen. Ich ballte die Fäuste, doch ich machte mir nichts vor: Würde es zu einer handfesten Auseinandersetzung kommen, hätte ich nicht einmal den Hauch einer Chance. Von der gnadenlosen Präzision des Nachtschattens hatte ich ja eben eine Gratisvorstellung bekommen. "Und jetzt? bin ich schon wieder gefangen?" fragte ich trocken und starrte die andere an. Die Lurikeen hob langsam die Schultern. "Das kommt nur darauf an, wie du dich verhältst, mein Kind. Du kannst ohne

jegliche Unannehmlichkeiten mit mir kommen, oder aber auch in Ketten. Deine Entscheidung." Ich entspannte mich nicht. "Und wohin soll ich mitkommen?" fragte ich in unverändertem Ton weiter. "Derzeit bin ich ja richtig gefragt. Sehr gruselig." Irrte ich mich, oder blitzte es in den Augen der Kleinen kurz belustigt auf? sie ließ sich jedoch nichts anmerken, wandte den Kopf und lauschte einen Herzschlag lang. "Wie mir scheint, musst du sogar überhaupt nirgendwo hingehen. Die, die dich erwarten, kommen bereits." Ich folgte ihrem Blick und sah in der Ferne zwei Gestalten im Gleichschritt auf den Nachtschatten und mich zuschlendern. Die eine war klein und schlank und vermutlich ebenfalls ein Lurikeen, die andere konnte ich irgendwie nicht ganz zuordnen: Für einen Elfen war sie zu klein, bulliger und breiter als ein Kelte aber auch wieder kein Koloss von Firbolg. Als ich mich umdrehte, stellte ich verblüfft fest, dass die Lurikeen verschwunden war. Nur einen ganz kurzen Moment dachte ich an Flucht, gab die Idee dann aber auf, noch ehe sie sich wirklich in meinem Kopf materialisiert hatte. Zermürbt, erschöpft und angeschlagen wie ich war, würde ich wohl keine zehn Schritte weit kommen. So ließ ich die Arme baumeln, setzte eine ausdruckslose Miene auf und sah den beiden Fremden gefasst entgegen. Als sie näher kamen, erkannte ich, dass sie beide bodenlange, verhüllende Mäntel mit Kapuzen trugen. Sie waren komplett schwarz gefärbt, ebenso ihre Kleidung. Das verlieh ihnen etwas ungemein Bedrohliches, was von dem völligen Gleichschritt und der Gemächlichkeit, mit der sie sich bewegten, noch unterstrichen wurde. Ich zögerte kurz, ehe ich ihnen mit entschlossenen Schritten entgegen trat- so hilflos im Irgendwo stehend, fühlte ich mich wie ein Lamm, das man zur Schlachtbank zu tragen gedachte. Als uns nur noch wenige Meter trennten, blieben die beiden Fremden und ich wie auf ein lautloses Kommando hin stehen. Eine Weile betrachtete ich die beiden stumm, doch ein Blick unter ihre Kapuzen blieb mir verwehrt. "Du bist also doch gekommen, Kindfrau," sagte die kleinere der Gestalten endlich. Ich zuckte zusammen. Also doch... "Mikata, ich hätte es mir denken können." sagte ich ausdruckslos. "Was soll dieser ganze Firlefanz? warum jagst du mich wie ein Tier, schickst mir diese albernen Warnungen und...", meine Augen blitzten auf und ich fuhr sie laut an: "...fügst meinen Freunden solches Leid zu?! warum das alles, ich kenne dich nichtmal!" meine Stimme steigerte sich zum Schrei, in dem keine Hysterie, sondern nur echte Wut mitklang. Mikata schlug endlich die Kapuze zurück und schenkte mir einen spöttischen Blick. "Du brauchst nicht so zu brüllen, ich verstehe dich durchaus, wenn du in normaler Lautstärke zu mir sprichst. Überdies hast du nicht ganz Recht, die Warnung stammt nicht von mir. Und auch deine sogenannten Freunde sind mir ehrlich gesagt scheißegal. Frag ihn nach dem Warum," sie nickte ihrem Begleiter zu. Ein leises Gefühl von Unbehagen begann in mir hochzukriechen, doch für den Moment war die ungehemmte Wut stärker. "Mir auch recht. Also? antworte mir!" herrschte ich den Mann an. Dieser schwieg nachdrücklich, drehte mir den Rücken zu und machte eine auffordernde Handbewegung. Ich begriff- ich sollte ihm folgen. Dabei hasste ich nichts mehr, als wenn man eine Frage gefliessentlich ignorierte, vor allem wenn sie wichtig war. Doch vielleicht lag der Schlüssel zu all den Ereignissen ja gar nicht in einfachen Worten, und ich versuchte, meinen Zorn zu bezwingen. Mit einem Ruck drehte ich mich ebenfalls um, ignorierte Mikatas höhnisches Grinsen und folgte dem mysteriösen Fremden, der sich jetzt gemächlich auf einen kleinen Hügel zubewegte, ohne auch nur ein einziges Mal nachzusehen, ob ich ihm denn nun folgte oder nicht. Auf dem Hügel angekommen, deutete er stumm nach vorn und winkte mich heran. Ich gehorchte, und schnappte eine Sekunde später entrüstet nach Luft: Vor mir wuchsen eine kleine Anzahl halb verwitterter Säulen und einstmal weißer, nun mit grünlichem Moos überzogener Marmorbrocken in die Höhe. Und an eine dieser Säulen gefesselt, die Augen geschlossen und halb bewusstlos, hing Athriliath. Der Elf bot einen erbärmlichen Anblick: Das Haar hing ihm wirr ins Gesicht, in welchem die Lippen aufgeplatzt und von vielen Schlägen unschön angeschwollen waren, der Umhang hing zerfetzt um die gebeugten Schultern und der Ringfinger der rechten Hand stand in einem grotesken Winkel nach oben, offenbar hatte man ihn gewaltsam gebrochen. "Oh Bragi...ihr Schweine, was habt ihr getan?" ich stürzte zu ihm, um mich davon zu überzeugen, dass er überhaupt noch lebte. Sein Atem war ein leises Keuchen und er zuckte zusammen, als ich sein Gesicht vorsichtig in beide Hände nahm. "Athriliath, was haben sie mit dir gemacht, hörst du mich?" fragte ich leise, aber eindringlich. Er stöhnte dumpf. "...weg."

"Ich gehe nicht weg, Athriliath, ich helfe dir. Was ist passiert? wo sind Keena und Brakalu?"

"L-lauf weg...er wird dich..."

"Nicht wieder einschlafen! Athriliath!" ich widerstand mit Mühe dem Impuls, ihm eine Ohrfeige zu geben- dafür hatte sein Gesicht schon zu viele unliebsame Bekanntschaften gewalttätiger Hände machen müssen. Ich drehte mich wieder um und starrte Mikata und den Fremden an. "Was wird hier gespielt?" fragte ich heiser, meine Augen glühten vor Zorn. "Was, zur Hölle nochmal? sagt es mir!" statt einer Antwort trat Mikata auf den geschwächten Elfen zu, packte seinen gebrochenen Finger und riss daran. Athriliaths Kopf ruckte hoch und er schrie gequält auf. "Na siehst du, für einen Halbtoten hast du noch eine ziemlich laute Stimme," bemerkte Mikata mit einem spitzen Lächeln. Ohne sich um sein schmerzerfülltes Keuchen zu kümmern, schloss sie ihre schmalen Hände nun um seinen kleinen Finger- und brach ihn mit einem kurzen Ruck, der von einem übelkeiterregenden Knacken begleitet wurde. Athriliath schrie nochmals, nun schon schwächer als zuvor. "Hör auf, du Miststück!" gellte ich und wollte mich auf sie stürzen, als mich plötzlich zwei starke Arme von hinten packten und scheinbar beiläufig festhielten. Ich zerrte und strampelte, doch der Fremde war zu stark für mich. "Lass mich los, du Arschloch, nimm deine Dreckspfoten weg!" brüllte ich. Indes ging Mikata in die Hocke und nahm Athriliaths Schwert auf, das halb versteckt hinter einem der Marmorbrocken lag. "Los, du Weichling, nimm es, und führe es ein letztes Mal," sagte sie angewidert. Ich ächzte vor ungläubiger Wut. "Bist du noch ganz dicht? er kann das Ding nicht mal halten!" Mikata lächelte noch immer, während sie sich abermals hinunter beugte und scheinbar mühelos den Schild des Elfen aufhob. "Das ist dann aber bitter für ihn," verkündete sie unbarmherzig. "Selbst wenn man das bei einem heulenden Krüppel wie ihm kaum glauben mag, ist und bleibt er immer noch ein Krieger, und wenn er sich auch als verfluchter Verräter erwiesen hat, so will ich ihm die Möglichkeit, mit wenigstens ein bisschen Ehre aus dem Leben zu scheiden, nicht vermiesen." Ich starrte sie voll echtem Ekel an. "Oh wie großmütig du doch bist, willst du ein letztes Mal die Klinge mit ihm kreuzen, ja? und um ganz sicher zu gehen, lässt du ihn vorher halbtot prügeln. Du bist so eine feige Ratte, es ist...widerlich." Mikata fuhr zusammen, beherrschte sich aber. "Schon wieder falsch, Schlampe," sagte sie geringschätzig. "Ich werde ganz sicher nicht mit ihm kämpfen..." bedächtig sah sie mich an. Ich erschlaffte förmlich im Griff des Schwarzgekleideten, der mich noch immer ungerührt festhielt. "Du glaubst nicht allen Ernstes, dass ich...?!" sie starrte mich weiterhin an, ehe das breite Grinsen auf ihrem Gesicht sich in ein verächtliches Lachen verwandelte. "Oh ja, ich gebe zu, das hätte einen ganz speziellen Reiz, zumal selbst eine Möchtegernheldin wie du dieses Wrack dort besiegen dürfte. Nein, sei getröstet, vielleicht hetze ich dich mal auf diesen Flohbeutel oder den Fisch, aber heute wartet schon jemand anderes darauf, dir sein Können zeigen zu können. Man könnte sagen..." sie leckte sich genüsslich über die Lippen und waidete sich an meinem Gesichtsausdruck, "du bekommst eine ganz private Vorstellung im größten Kolosseum der Welt. Ein netter Zweikampf in Murdaigean. Du solltest dankbar sein." Ich spuckte ihr vor die Füße. "Fahr zur Hölle." Sie schnellte herum und packte mich bei den kurzen Haaren. Schmerzhaft zog sie meinen Kopf zu sich herunter und fixierte mich aus tückischen Augen. "Vielleicht werde ich das, aber wenn es so weit ist, nehme ich dich mit, verlass dich drauf." Als wäre ich eine räudige Hündin, stieß Mikata meinen Kopf wieder von sich und wandte den Blick abermals Athriliath zu. "Was du aus den letzten fünfzehn Minuten deines verräterischen Lebens machst, bleibt dir überlassen, Elf. Du kannst dich in den Dreck werfen und um Vergebung flehen und damit das letzte bisschen Würde wegwerfen, was du noch hast, oder du stirbst im Kampf mit ihm," sie nickte dem Schwarzen zu. Athriliaths Blick flackerte, doch seine Stimme klang trotz Schmerz und Furcht fest: "Ich ziehe einen ehrenhaften Tod einem Leben in Schande und unter deinen Sohlen vor, falsche Prinzessin," sagte er. Mikata fuhr bei seinen letzten Worten merklich zusammen, doch sie hielt sich noch immer erstaunlich ruhig. "Nicht übel. Aber dafür bist du immer noch ein Hibernianer, alles andere hätte mich fast enttäuscht. Mein Herr," sie nickte dem Schwarzen zu, "bedient Euch. Ich wünsche recht viel Vergnügen." Träge stieß mich der Mann von sich. Ich strauchelte, kämpfte einen Moment um die Balance und fiel dann auf den Hintern. Mikata drehte sich blitzschnell zu mir um. "Und wage es nicht, dich einzumischen, Schlampe," sagte sie mit ihrem abstoßenden, strahlenden Lächeln. "Bedenke, in welchem Zustand du dich befindest. Du möchtest ja sicher nicht, dass man dir noch mehr weh tut, hm?" ich konnte sie bloß entgeistert anstarren. Vor Wut fehlten mir sprichtwörtlich die Worte und ich brachte nur halb erstickte Wortfetzen heraus, die die Lurikeen abermals auflachen ließen. Währenddessen war der Schwarze auf Athriliath zugetreten und hatte ihm mit irgend etwas die Fesseln durchtrennt. Der Elf taumelte und wäre beinahe gestürzt, woraufhin der Mann tatsächlich die Arme ausbreitete und ihn auffing. Sofort wich Athriliath zurück und bückte sich nach seinen Waffen, die Mikata ihm großmütig vor die Füße gelegt hatte. Ich hatte für einen Moment das Gefühl, als würde der verhüllende Mantel des Schwarzen kurz zittern- schüttelte er sich darunter etwa vor unterdrücktem Gelächter? der Gedanke machte mich schier rasend und plötzlich brüllte ich ein rauhes Kriegslied und stand ohne weitere Schwierigkeiten oder Schmerzen auf. "Mach ihm Beine, Athriliath. Los, du schaffst das!" sagte ich beinahe zornig. Der Elf schaffte den Anflug eines Lächelns, doch sein gesundes Auge war groß und dunkel vor Erkenntnis. Er nickte nur leicht, hob endlich Schwert und Schild auf und verneigte sich knapp vor dem Schwarzen. Dieser tat es ihm gleich und stürzte sich dann keinen Herzschlag später auf seinen Gegner. Die Waffen, die er zückte, ließen mich für einen Moment in Missklänge ausbrechen: Zwei gewaltige Streitäxte, so sorgsam poliert und geschliffen, dass sie das schwarz des Mantels förmlich aufzusaugen schienen. Ein einziger kritischer Treffer musste reichen, um selbst einen Ochsen zu fällen, und ich spürte, wie mein Magen sich schmerzhaft zusammenzog. Athriliath stolperte zurück und hob den Schild, und mit einem furchtbaren Krachen prallten die beiden Axtblätter auf das Holz. Es knirschte leise, doch es hielt. Ich hielt den Atem an, zum weitersingen fehlte mir die Konzentration. Los doch, du kannst es schaffen, dachte ich inbrünstig und biss mir auf die Fingerknöchel, hau diesen schwarzen Affen aus seiner Rüstung. Doch Athriliath war zunächst nur damit beschäftigt, zurückzuweichen und nicht von den beinahe perfekt geführten Äxten getroffen zu werden. Er parierte mühsam und ich erinnerte mich daran, was er mir über die Begegnung in Thidranki und die Folgen für sein Augenlicht und seinen Arm erzählt hatte. Entsetzt beobachtete ich, wie der Elf vor Schmerzen den Mund aufriss und mehr durch Glück als Können einer weiteren heimtückischen Attacke entging. Ich konnte da nicht zusehen, ich musste helfen! meine Fäuste ballten und entspannten sich und ich hatte die Lippen fest zusammen gekniffen. Würde ich denn überhaupt etwas tun können, oder brachte ich endgültig Schande über Athriliath wenn ich, ausgerechnet ich halbstarke Skaldin, mich in seinen womöglichen allerletzten Kampf einmischte? so rang ich mit mir selbst, während der junge Elf endlich auch angriff: Er duckte sich ungelenk unter einem vernichtenden Schlag, drehte sich in der selben Bewegung herum und stieß frontal mit dem Schwert zu. Ich stieß einen Jubelschrei aus, um eine Sekunde später feststellen zu müssen, dass ich mich anscheinend zu früh gefreut hatte: Der Schwarze schwankte nicht einmal sichtlich und hatte sich sofort wieder in der Gewalt, Athriliath hingegen wirkte, als könne er sich kaum noch auf den Beinen halten. Nochmals bewahrte ihn sein Schild davor, von den zielsicheren Waffen getroffen zu werden, doch dieses Mal war das gefährliche Knirschen schon lauter, und als eine der Äxte gleich darauf wieder auf das Holz prallte, kapitulierte es mit einem berstenden Laut und Athriliath hielt nur noch einen jämmerlichen Rest in der Hand. Er zögerte nicht sondern warf den zerstörten Schild unverzüglich von sich und umklammerte das Heft seines Schwertes mit beiden Händen. Neben mir lächelte Mikata noch immer, ihre Augen leuchteten vor Begeisterung. Ich wandte mich ab, aus Angst, mich übergeben zu müssen. Praktisch im selben Moment geriet Athriliath abermals ins Stolpern, kämpfte vergebens um sein Gleichgewicht und fiel dann mit einem überraschten Aufschrei auf den Rücken. Sofort war der Schwarze über ihm und hielt ihm eine Axt unter die Kehle, die andere über die Brust. Abrupt trat Stille ein, nur gestört von Athriliaths heftigen, keuchenden Atemzügen. Ich wüsste gern, was für ein Gesicht der Schwarze nun wohl machte, als er ganz langsam zurücktrat und die Äxte hob. Auffordernd nickte er Athriliath zu. Der Elf, halb besinnungslos vor Zorn, Schwäche und Scham, sprang in einem plötzlichen Anflug von Kampfeswillen auf, umklammerte sein Schwert und stürzte sich auf den Schwarzen. Dieser spannte sich, wich halb geduckt zur Seite aus und war in der selben Bewegung hinter Athriliath, um ihm dann -ohne weiter zu zögern- die Äxte in den ohnehin verletzten Rücken zu stoßen. Mein Entsetzensschrei vermischte sich gleichzeitig mit Mikatas höhnischem Gelächter. Ich sah aus geweiteten Augen, wie alle Farbe aus Athriliaths Gesicht schwand, wie er mit fahrigen Bewegungen über seine Schultern tastete, wobei er einen Moment vor- und zurückschwankte und nicht imstande

war, an die Axtstiele zu gelangen, die unbarmherzig aus seinem viel zu schmalen Rücken wuchsen. Dann schloss er mit einem beinahe ergebenen Seufzen die Augen und abermals trat Stille ein. Mikata sah mich triumphierend an. "Wie sagte ich schon, Kindfrau...wenn du herkommst, wirst nicht nur du dafür bezahlen. Du bist schuld an seinem Tod, denn du hast unsere Worte nicht ernst genommen." Sie lächelte dem Schwarzen zu, der gerade dabei war, die blutigen Äxte, die er dem Elfen aus dem Leib gerissen hatte, mit einem dunklen Lederlappen zu reinigen. Ich betrachtete Mikatas grinsende Visage, ihre boshaft funkelnden Augen und dachte nicht weiter nach: Ruhig, beinahe beiläufig schlang ich einen Arm um Mikatas Kehle und drückte sie nachdrücklich, während meine geballte Rechte genau vor ihrem Gesicht schwebte. Ich wusste genau, dass ich sie jetzt töten könnte. Ich musste nur zudrücken oder ihr präzise die Faust zu spüren geben und sie würde sterben. Die Erkenntnis ließ mich zum ersten Mal ebenfalls lächeln, Mikata hingegen war plötzlich erschlafft und starrte fassungslos den Schwarzen an, der mitten in der Bewegung erstarrt war. "Ich schulde dir eine ganze Menge, Prinzessin," sagte ich. Sie machte einen schwachen Versuch sich zu wehren, und sofort übte ich ein wenig stärkeren Druck auf ihre lächerlich kleine Kehle aus. Sie hielt wieder still. "Ich schulde dir wirklich viel, ganz ehrlich. Du warst mitverantworlich, dass ich monatelang in einem stinkenden kleinen Haus wie ein Tier gehalten wurde, du hast mich gedemütigt, du hast meine Freunde gequält und du hast geholfen, Athriliath zu töten, obwohl er dir nie auch nur einen einzigen Schaden zufügte." Ich sah bedächtig auf sie hinab und konnte spüren, wie sie anfing zu zittern. Ein herrliches Gefühl. Plötzlich sagte der Schwarze: "Mach keinen Unsinn, Llienne. Lass sie lieber los." Ich fuhr zusammen und starrte den vermeintlichen Fremdling an. "Du?" flüsterte ich nur, zu geschockt für weitere Worte. Konnte das wirklich wahr sein?

Der Aufstand

Auszug aus einem bösen Spottlied auf die Albioner:
 

"Kommt, ihr Leute, kommt gelaufen

Kommt zu mir in Scharen

Denn nur für euch, da hab ich hier

Geschichten ganz besonderer Plagen:

Ratet mal, wer lieber flieht

Wenn´s Verhältnis hundert zu vierzehn steht

Ganz recht, da hab ich auch gelacht:

Die Albioner in der Schlacht.

Was glaubt ihr wohl, wer einsam bleibt

Weil alle Freunde geh´n im Streit

Da habt ihr Recht, ihr wisst es schon:

Eine albionische Diskussion..."
 

"Bist du es wirklich?" fragte ich fassungslos und merkte kaum, wie sich Mikata rasch meinem plötzlich schlaff gewordenem Griff entwand. Der Mann schlug die Kapuze zurück, schüttelte sein rotbraunes Haar und nickte. "Ja doch," sagte er, "und es freut mich auch, dich wiederzusehen, Schwesterchen." Es war tatsächlich mein Bruder Storvag. Ich starrte ihn an, unfähig, auch nur einen Muskel zu rühren. "Aber du..." sagte ich schwach, "wieso in Bragis Namen bist du..." er grinste leicht. "Wieso ich hier bin? das ist eine berechtigte Frage. Ich werde dir alles erklären. Aber hier ist ein ungünstiger Ort." Ich starrte ihn weiterhin unverwandt an. "Storvag," sagte ich langsam, "warum hast du Athriliath getötet? warum?" meine Stimme wurde gefährlich laut. "Was tust du hier?! steckst du mit ihr unter einer Decke? bist du etwa..." ich brach stockend ab. Storvag grinste weiterhin, keine Bösartigkeit sprach aus seinem Gesicht, nur Spott und Belustigung. "Du kannst mich den Herrn von Murdaigean nennen, Schwesterherz. Ich glaube, das trifft es am besten. Ich bin zwar nicht oft mit Mikata einer Meinung, aber in diesem Falle muss ich ihr zustimmen: du warst sehr, sehr dumm. Llienne, meine kleine, süße Schwester...unbelehrbar, eben doch noch eine Kindfrau." Ich taumelte zurück, als hätte er mich geohrfeigt. Fast behutsam legte er einen Arm um meine Taille, zog mich zu sich heran und holte einen winzigen Zierdolch aus seinem Mantel. Ich wehrte mich nicht, mein Schock saß für den Moment zu tief. "Wirst du mich töten?" fragte ich leise. Er schmunzelte und küsste mich auf die Nasenspitze. "Was denkst du von mir, du bist doch meine Schwester. Ich weiß, man hat dir in letzter Zeit oft gegen deinen Willen das Bewusstsein gestohlen, und ich fürchte, nun werde ich auch damit anfangen müssen." Ich sah ihn aus halbgeschlossenen Augen an und machte immer noch keine Anstalten, mich zu wehren. "Warum, Storvag? sag mir das, nur das. Warum?" vorsichtig steckte er sich den Dolch zwischen die Zähne, griff nach meiner Hand und drehte sie um, dass die Fläche nach außen zeigte. "Später, Llienne, später." Mit einem entschuldigenden Lächeln nahm er den Dolch aus dem Mund und fügte mir einen raschen, winzigen Schnitt zu. Es tat nicht weh, trotzdem riss ich die Finger reflexartig zurück. Immer noch entsetzt und mit einem schwer zu beschreibenden Gefühl totaler Enttäuschung erwiderte ich seinen Blick, ehe eine schwere Müdigkeit meine Beine hinaufkroch und sich in meinem ganzen Körper ausbreitete. Es war nach wie vor völlig schmerzfrei und im Gegenteil ein beinahe angenehmes Gefühl: Mein Körper schien meinem Geiste einfach davonzudriften, eine wohlige Wärme ergriff mich und die Welt zog sich in einen sanften Schleier zurück. Ich schlief.
 

Etwas klapperte leise, als die Welt sich ein paar Stunden später dafür entschied, den Schleier wieder abzulegen. Oder war ich es, die einfach nur langsam erwachte? ich erinnerte mich an kaum etwas und zu meiner leisen Überraschung stellte ich fest, dass mir absolut nichts mehr weh tat. Mein Kopf fühlte sich frei und leicht an, die Beine vielleicht noch ein wenig zu weich, aber ansonsten ging es mir ausgezeichnet. Und noch etwas fiel mir auf: Meine völlig verdreckte Rüstung -oder das, was zuletzt davon übrig geblieben war- war verschwunden und mit einem bodenlangen Seidengewand vertauscht worden. Einen Moment befühlte ich den fliederfarbenen Stoff neugierig zwischen Daumen und Zeigefinger. Ich hatte sehr selten Stoffkleidung getragen und wenn, dann nur grobe Baumwolle oder Mutters abgetragene Leinenhemden, die ich ob meiner geringen Körpergröße als kurze Kleider hatte nutzen können. Dieses Gewand war an den Hüften und Ärmeln geschlitzt und besaß auf der Brust eine feine, dunkelblaue Stickerei. Auch meine unzähligen winzgen Verletzungen waren nicht nur versorgt, sondern nahezu verschwunden, hier musste ein wahrer Meisterheiler am Werk gewesen sein. Ich fühlte mich, wie ich mir eingestehen musste, wie neu geboren. Doch wo war ich? wieder ertönte ein leises Klappern und ich setzte mich behutsam auf. Nun...ein Zimmer für mich allein und ein geräumiges Bett wären dann wohl des Guten zuviel gewesen, und somit passte ich in meiner feinen Kleidung nicht so ganz in die Kerkerzelle, in welche man mich gesperrt hatte. Der Raum war allerdings auf den zweiten Blick sehr viel komfortabler, als ich zunächst gedacht hatte: Es gab fünf schmale Schlafgelegenheiten in Form von zwei Doppelbetten an beiden Wänden und dem fünften quer dazwischen, ein großes Fenster -vor dem natürlich Gitter hingen- ein winziger Kamin, vor welchem ein paar Felle lagen sowie ein oder zwei schlichte Wandteppiche. Ganz rechts in der Ecke gab es eine kleine, eiserne Tür, die vermutlich den Gang zu einem Abort öffnete. Ja, insgesamt war das kein Vergleich mit den Verliesen, von denen man sonst hörte und in denen die Gefangenen an die Wand gekettet in fauligem Stroh und ihren eigenen Ausscheidungen schlafen mussten. Ich selbst hatte, wie ich feststellte, auf dem fünften Bett geschlafen. Und obwohl die Matratze und Steppdecke relativ dünn waren, hatte ich nicht wenig Lust, mich auf die Seite zu drehen und die Augen erneut zu schließen. Obwohl ich mich eigentlich sehr gut fühlte, fehlten mir in der letzten Zeit bestimmt hundert Stunden Schlaf und allein die Hälfte davon, um meinem für all die Strapazen viel zu jungen Körper ein Geschenk zu machen. Doch jetzt galt es erst einmal, herauszufinden wo ich war. Wieder klapperte es und ich sah mich um, um den Verursacher des Geräusches ausfindig machen zu können. Er trat in Form eines Kobolds auf, der mit einem unförmigen, schwarzen Kleiderhaufen am Kamin saß und Suppe aus einer Schale schlürfte. Ich setzte mich gänzlich auf und hätte mich dem Kobold am liebsten an den Hals geworfen- nach all den Monaten endlich wieder ein Midgarder unter den ganzen Hibernianern! ich beugte mich über das Bett und räusperte mich leise. Der Kobold bemerkte es nicht, sondern schlürfe ungerührt weiter. "Ähm...Entschuldigung," sagte ich höflich. Der Kobold schrak zusammen und sah sich um. "Wer, wo, was? ach, die Neue. Na, wie gehts, ausgeschlafen?" ich zog die Beine an den Körper und schlang die dünne Decke um die Schultern. Trotz des Feuers war mir plötzlich irgendwie kalt. "Mhm," machte ich und nickte fröstelnd. Der Kobold klopfte einladend auf ein Schafsfell neben sich. "Magst mir nicht ´n bisschen Gesellschaft leisten? deine Suppe haben sie leider schon wieder mitgenommen, hast ja auch gepennt wie ´ne Leiche, aber ich geb dir was ab, wenn du willst." Ich schmunzelte, irgendwie war mir der andere auf Anhieb sympathisch, und das nicht nur, weil er ein Midgarder war. "Gern," nickte ich und ruschte vom Bett. Tatsächlich fühlten sich meine Beine an wie Pudding, und ich griff hastig nach der Bettkante, um nicht einfach zusammenzusacken. "Hey, hey, alles in Ordnung?" fragte der Kobold erschrocken, sprang auf und legte seinen Arm um meine Schultern. Dass er sich dafür auf die Zehenspitzen stellen musste, sah ungemein komisch aus und ich kicherte leise. Der Kobold blinzelte verstört und ich winkte ab, noch immer glucksend. "Ja...ja, ja, alles in Ordnung, es liegt wohl nur noch an den Nachwirkungen des..." und plötzlich verloren sich meine Worte in einem hilflosen Schluchzer. Sämtliche Erinnerungen der vergangenen Stunden waren schlagartig zurückgekehrt, und ich fühlte mich elend. Athriliath war von meinem eigenen Bruder umgebracht worden, ich war seine Gefangene und gackerte in seinem Kerker wie ein kleines Kind. Unfassbar. "Schon gut," sagte ich, noch immer weinend, "es ist nicht Eure Schuld..." in den anderen Betten bewegte es sich und ich erkannte erschrocken, dass der Kobold und ich nicht allein waren. Und bei wem es sich um die Mitgefangenen auch handeln mochte, ich hatte ihre Ruhe gestört- sowas konnte einem im Gefängnis schlecht bekommen. Der Kobold bemerkte meinen Gesichtsausdruck und winkte beschwichtigend ab. "Die sind alle ganz in Ordnung, auch wenns Albs und ´n Hibbi sind. Mach dir keinen Kopf drum, Wuff hat die auch schon oft genug geweckt und ich hab keinen Ärger bekommen." Ich blinzelte irritiert. Wuff? ein ziemlich komischer Name für einen Kobold. Der andere schien den Gedanken förmlich aus meinem Gesicht zu lesen, denn er grinste noch breiter. "Nein, nein, mein Name ist Nipitas. Das hier ist Wuff," er deutete auf seinen Kleiderhaufen. Ich starrte ihn an. Doch urplötzlich begann das Knäul, sich zu bewegen und ich riss verblüfft die Augen auf: Was ich erst für einen Berg verfilzter Fellkleider gehalten hatte, entpuppte sich jetzt als der wohl hässlichste Köter aller Zeiten. Das Viech schien mehr Wolf als alles andere in sich zu haben, doch fehlte ihm jegliche Schönheit oder Anmut dieser wilden Tiere. Es hatte ein pechschwarzes, zotteliges Fell, krumme X-Beine und einen viel zu buschigen Schwanz. Die rosafarbene Zunge hing ihm aus dem Maul und es hechelte unentwegt. "Öhem," machte ich endlich, was mir in dem Moment doch noch als relativ einfallsreich erschien. Der Kobold war also ein Jäger und Wuff war sein Gefährte und Beschützer. Nipitas grinste stolz, strich sich über seinen spärlichen, dunkelbraunen Bart und streichelte Wuff. Dieser stieß einen einzigen Heulton aus und schnappte nach Nipitas' Hand. "Meine Güte, kannst du das Vieh nicht endlich ruhig stellen?" brummte plötzlich ein Frauenstimme. Ich wandte den Kopf und blickte zu meiner Überraschung in das verstimmte Gesicht einer Inconnu, die im rechten Hochbett geschlafen hatte. Außer Brakalu hatte ich noch nie einen Inconnu gesehen und war mir sicher, dass sie sich irgendwie alle ähnlich sein müssten -ein Fehler, den am Anfang jeder macht, wie ich später erfuhr- doch dem war ganz und gar nicht so. Die Augen der Inconnu waren genauso schwarz wie die von Brakalu, aber ihr Haar sehr viel kürzer, dunkelbraun und mit kunstvoll an den Kopf angeflochtenen Zöpfen durchzogen. Insgesamt wirkte ihre Gestalt ein wenig zarter, das Gesicht offener und feiner und jetzt huschte ob meines offensichtlichen Staunens sogar ein flüchtiges Lächeln über ihre Lippen. "Ist was?" fragte sie, doch es klang weder aggressiv noch herausfordernd. Ich schüttelte mit einiger Verspätung den Kopf. "Ihr habt mich nur gerade an jemanden erinnert," sagte ich und konnte ein tiefes Seufzen nicht unterdrücken. "Einen Freund von mir, der Eurem Volk angehört." Die Inconnu runzelte überrascht die Stirn. "Eine Midgarderin schließt Freundschaft mit einem Albioner? höchst merkwürdig." Ich stellte beiläufig fest, dass die Inconnu nicht nur sehr viel redseliger als Brakalu war, sondern auch die Gemeinsprache um einiges besser beherrschte, man hörte beinahe überhaupt keinen Akzent hindurchsickern. Sollte ich den Kleinen wiedersehen, werde ich ihm von ihr erzählen, dachte ich resigniert. Ehe ich antworten konnte, regte es sich in dem Bett unter der Inconnu und ein dunkelhaariger, noch recht junger Mann schälte sich aus seinen Decken. "Der Krieg schafft die seltsamsten Freunde, Jerali. Das weißt du doch auch gut genug. Und wir bilden hier ja schließlich auch keine Ausnahme, was, Nipitas?" er winkte dem Kobold zu, der den Gruß mit einem breiten Grinsen erwiderte. Meine verwirrung wuchs mit jeder Minute. Der Mann schwang die Beine aus dem Bett, stand auf und streckte sich ausgibig. Er hatte dichtes, schwarzes Haar und einen sorgsam gestutzen Bart, der ihn noch ein paar Jahre älter machte, als er wahrscheinlich war. Das Lächeln, das er mir schenkte, war durch und durch freundlich. "Aber ich finde, wir sollten uns alle einmal vorstellen. Mein Name ist Gindar, Ordensbruder im Reiche Albion und seit neuestem irgendwie Feind von niemandem mehr," er warf der Inconnu einen kurzen Blick zu und beide mussten schmunzeln. Die Inconnu sprang behende aus dem Bett, setzte sich unaufgefordert neben mich und wärmte ihre Hände am Feuer. "Tja, mein Name ist Jerali, Nekromantin von Albion und auf der glücklosen Suche nach meinem Mündel." Ihre Züge verhärteten sich. Ich legte kurz die Hand aufs Herz und senkte den Kopf. "Mein Name ist Llienne." Gindar setzte sich ebenfalls, und wir mussten ein wenig zusammenrücken. "Tja, und welche Geschichte hast zu du erzählen?" fragte er und fiel sich gleich danach selbst ins Wort: "Und wieso zum Henker haben die Pfeifen unsere Suppe wieder mitgenommen, ich komme bald um vor Hunger!" Nipitas grinste und schlürfte nachdrücklich. Gindar hob die Braue, murmelte etwas, das nach 'Gehässiger Schlumpf' klang, und wandte sich mir wieder zu. "Entschuldige." Ich winkte knapp ab. "Meine Geschichte ist eh unrühmlich," sagte ich lustlos. Gindar sah mich neugierig an, drängte mich aber nicht.

Jerali rieb nachdrücklich die Finger über dem Feuer. "Ich glaube, da bist du nichts Besonderes," unkte sie. "Gindar und ich haben uns auch gründlich in die Nesseln gesetzt. Wir sind hergekommen, um unseren Freund zu suchen. Der Kleine ist gleichzeitig mein Mündel und ich hab ihm eigentlich noch nicht erlaubt, alleine in den Kampf zu ziehen." Ihre Fingerknöchel knackten leise, als sie die Fäuste ballte. Ich zog die Decke ein wenig höher. Mehr aus Höflichkeit fragte ich: "Wer ist denn dieses Mündel?" sie seufzte tief. "Wenn sie ihn getötet haben, werde ich diese Festung in Schutt und Asche legen, das schwöre ich. Sein Name ist Brakalu." Ich fuhr leicht zusammen und starrte sie an. "Oh," sagte ich langsam, "ich glaube...dann dürfte euch meine Geschichte vielleicht doch interessieren."

Es fiel mir nicht sonderlich schwer, einen geeigneten Anfang zu finden. Ich berichtete, wie ich mit einer Freundin nach Dun Abermenai aufgebrochen war, wie Brakalu uns angegriffen hatte, von seiner Überwältigung und der anschließenden Gefangennahme durch hibernianische Bogenschützen. Ich erzählte auch von dem unglaublichen Angebot, das uns der alte Lurikeen gemacht hatte und wie ich schließlich dazu gekommen war, es doch anzunehmen. Über Zaphykel, Mikata, die Flucht durch die Nacht, den abscheulichen Murgar und letztlich der Kampf in der Teleportfestung, wo man uns getrennt hatte. Jerali ballte, während ich leise sprach, die Fäuste und hatte mich auch ein- oder zweimal aufgebracht unterbrochen -"Dieses Viech wollte ihn fressen?!"- und als ich endlich schwieg, war sie gar aufgestanden und betrachtete mich mit mühsam unterdrücktem Zorn. "Dann seid ihr beide, du und diese Valkyn, schuld daran, dass er jetzt vielleicht tot ist!" zischte sie und ihre schwarzen Augen glitzerten gefährlich. Gindar drückte ihren Arm herunter und schüttelte mahnend den Kopf. "Gemach, Jera. Wie hättest du gehandelt? unsere Reiche sind nach wie vor verfeindet, was hätten sie tun sollen? außerdem hat Braka die beiden angegriffen und nicht umgekehrt." Sie schnaubte, entspannte aber die Faust wieder. "Pah!" ich senkte tief den Kopf. "Ich wünschte, ich wäre nie nach Aegirham gegangen," sagte ich leise. "Dann wäre das alles nicht passiert." Gindar betrachtete mich mit schwer deutbarem Blick, doch Jerali schnaubte abermals. "Jammer nicht, es ist aber passiert. Alles. Und ich gedenke nicht, hier noch einen Tag länger zu schmoren." Wütend sprang sie auf und stieß dabei Nipitas an, der seine Suppe verschüttete und diese versehentlich auf Wuff spritzte. Der Wolfshund jaulte erneut und schnappte nach Nipitas' Bein. "Hey, hey, hey, mal vorsichtig hier!" quietschte der Kobold erschrocken und zog rasch das Bein zurück. Jerali drehte sich einmal um die eigene Achse und seufzte voller Inbrunst. "In welchem Sauhaufen bin ich hier nur gelandet." Gindar erwiderte meinen leicht hilflosen Blick gelassen und hob die Schultern. "Sie ist verständlicherweise ein bisschen gereizt. Brakalu ist fast wie ihr eigenes Kind und außerdem kann sie so enge Räume schlecht vertragen." Die Inconnu warf ihm einen drohenden Blick zu. "Pass lieber auf, mein Freund, sonst zeig ich dir, was du schlecht vertragen kannst." Gindar verdrehte die Augen, lächelte aber leicht und ließ sich ergeben zurücksinken. Im selben Moment regte es sich auch im letzten Bett, und ein junger, reichlich abgemagerter Elf schälte sich aus den dünnen Laken. Mit großen, dunklen Augen musterte er unsere Gesichter. Schließlich deutete er mit dem Kopf auf mich. "Wer ist das?" der Klang seiner Stimme ließ mich schaudern. Müde, abgekämpft und zugleich schrill, beinahe ängstlich. Um nicht zu sagen wahnsinnig. Gindar und Jerali wechselten einen kurzen Blick, und nur Nipitas schien als Einziger völlig unerschüttert zu sein. Ungnädig leckte er sich die suppenfeuchten Finger ab und schaute auf die Lache, die sich auf dem Fußboden ausgebreitet hatte. "Das ´s Llienne," teilte er großzügig mit. Der Elf starrte ihn verständnislos an, und Nipitas zuckte die Schultern, die verschüttete Suppe beschäftigte ihn mehr als seine neue Zellengenossin. Gindar verschränkte die Arme vor der angezogenen Knien. "Auf dass ihr euch auch kennen lernt...Llienne, das ist Feeyas, seines Zeichens Waldläufer. Feeyas, das ist die Schlachtensängerin Llienne." Ich wusste nicht so recht, was ich darauf erwidern sollte und nickte nur sparsam. Feeyas hingegen grinste breit und ein wenig kindlich. "Fein. Dann wird es hier vielleicht ein wenig lauter. Ich mag die Stille nicht, musst du wissen. Sie macht einem immer so unfreundlich klar, dass man allein ist und nicht wieder fort kann. Irgendwann fängt sie sogar an, dich zu verspotten. Das ist...ganz entsetzlich..." seine Stimme verlor sich, und ich warf Gindar einen erschrockenen Blick zu. Der Ordensbruder legte dem plötzlich heftig zitternden Hibernianer beruhigend die Hand auf die Schulter. "Ist ja gut, Feeyas," sagte er leise. "Wir wollen uns bemühen, dass es nicht leise wird. In Ordnung?" der Elf starrte ihn angstvoll an und konnte nur nicken. Meine Güte, dachte ich bestürzt. Was ein paar dunkle Wände und Gitter aus einem Mann machen können. "Wie lange seid Ihr schon hier?" fragte ich ungeschickt, darum bemüht, das seltsame Gespräch in eine andere Richtung zu lenken. Der Elf warf das dunkelgrün schimmernde Haar zurück und stieß einen tiefen Seufzer aus. "Exakt seit dem Tag, an dem die Herrin Brigit entführt wurde. Weh, weh! das ist Hibernias Strafe. Ein falscher König auf dem Thron hat Dana erzürnt und nun müssen wir dafür bezahlen. Ich kann seit vier Jahren den Wind und die Wälder nicht mehr spüren...ich will hier raus!" er hämmerte mit den Fäusten auf die Matratze ein. Jerali warf Gindar einen flehenden Blick zu, und dieser griff abermals und mit mehr Nachdruck nach den Schultern des leise wimmernden Elfen. "Feeyas, reiß dich zusammen," sagte er ruhig. "Wir wollen alle heim, aber es nützt uns gar nichts, wenn wir darüber den Kopf verlieren."

"Wir kommen nicht heim. Vorher wird er uns töten. Er wird uns töten!"

"Das wird er nicht."

Ich neigte den Kopf und wandte mich flüsternd an Jerali. "Wovon, zum Teufel, spricht er?" die Nekromantin erwiderte ebenso leise: "Er meint den Führer der Rebellen. Den sogenannten Herrn Der Blutigen Drei." Ich zog die Augenbraue in die Höhe. Der Herr Der Blutigen Drei...das klang mir einfach zu sehr nach einer zu oft gelesenen oder gesungenen Geschichte, als dass ich so etwas wie Beunruhigung empfinden konnte. Tatsächlich hörte es sich fast schon ein wenig lächerlich an. Feeyas war da offenbar anderer Meinung, denn er verstummte schlagartig und seine Augen weiteten sich entsetzt. "Ihr...sprecht über ihn?" rückwärts wich er bis an die Wand zurück, als fürchte er, wir hätten eine todbringende Krankheit. Nipitas sah ob der kurzen Stille verwirrt auf, seine Hand ruhte in der kalt werdenden Suppe. "Ist was?" fragte er. Feeyas schlang die Arme um die Knie und wippte sachte vor und zurück, sein Blick wurde abwesend. Gindar ließ von ihm ab und setzte sich wieder auf seinen Platz. "So ist er nicht immer," sagte er mit gedämpfter Stimme, wobei er dem verstörten Waldläufer noch einen kurzen Blick zuwarf. "Aber die Gefangenschaft ist ihm nicht gut bekommen." Ich nickte nur und legte Wuff geistesabwesend die Linke auf den Kopf, um ihn zwischen den Ohren zu kraulen. Der Wolfshund brummte leise und ließ es sich huldvoll gefallen. "Dieser Herr Der Blutigen Drei...wer ist das? seit meiner Gefangenschaft in Hibernia wollte der König nur eins von uns, nämlich dass wir nach Murdaigean reisen und eine Verschwörung aufdecken. Ich jage irgendetwas oder irgendwem hinterher und habe überhaupt keine Ahnung, was hier gespielt wird. Andauernd macht irgendwer eine zweifelhafte Bemerkung oder versichert mir, dass ich alles später erfahren werde. Aber es kommt nie etwas. Ich will jetzt endlich Klarheit." Jerali griff sich ein schweres, schwarzbraunes Fell und legte es sich über den Schoß. Auffordernd nickte sie Gindar zu. "Die letzten Male hab ich erzählt, jetzt bist du dran." Ich sah den Ordensbruder erwartungsvoll an, und der junge Mann spielte bedächtig mit den Fingern, sein Blick hing an den träge flackernden Flammen.

"Eine Verschwörung ist es zweifellos, und gleichzeitig ein Verrat, wie ich ihn mir unverschämter nicht vorstellen kann. Die Geschichte ist allerdings sehr lang und nimmt ihren Anfang mit der letzten Königin Hibernias." Ich nickte auffordernd. "Wir haben Zeit." Gindar lehnte sich noch ein wenig weiter zurück, räusperte sich und begann. "Den größten Teil meines Wissens habe ich auch nur aus dem, was mir andere erzählt haben. Es ist wohl so, dass in Hibernia derzeit die Hölle los ist. Die rechtmäßige Reichsvertreterin ist seit einiger Zeit spurlos verschwunden und ihre Berater haben sich über sämtliche Wünsche und Vorschläge des Hofes und Volkes gestellt und einen unrechtmäßigen Mann auf den Thron gesetzt. Wie ich mitbekommen habe, hast du ihn ja gut genug kennen gelernt." Ich knirschte mit den Zähnen und nickte schweigend, um ihn nicht zu unterbrechen. "Über den Verlauf der Dinge waren wohl einige nicht ganz unbedeutende Personen alles andere als erfreut und entschlossen sich spontan, dem nicht akzeptierten König abzuschwören und ihre eigenen Ränke zu schmieden. Und jetzt kommen wir zum delikaten Teil." Er beugte sich vor, seine dunklen Augen blitzten. "Da so ein kleiner Haufen von Rebellen schwerlich gegen ein gesamtes Reich bestehen kann, blieb ihnen nur ein Ausweg: sie verbündeten sich mit Verrätern aus Albion und Midgard. Es gibt immer irgendwen, dem die Regierung oder die regierende Person nicht gefällt, da stand Hibernia nicht alleine da. Sie versammelten sich klammheimlich im Vorposten Murdaigean, der aus nach wie vor unbekannten Gründen schon seit längerer Zeit unbeachtet blieb, und dort hielten sie lange Beratungen, planten für die Zukunft und einigten sich darauf dass sie, wenn ihre Zahl größer und ihre Position sicherer geworden war, auch in der Öffentlichkeit auftreten würden. Dafür zu sorgen, dass ihnen in Murdaigean niemand auf die Schliche kommen würde, war dann kein großes Problem mehr. Jedes Reich säte Angst unter seinen Landsmännern und festigte den Glauben mit dem ein oder anderen Meuchelmord oder dem spurlosen Verschwinden ganzer Gruppen." Ich nickte langsam und dachte an das, was Zaphykel mir erzählt hatte. Allmählich wurde mir so einiges klar.

"Dieser Lurikeenkönig ist also unrechtmäßig auf den Thron gekommen und jetzt arbeiten seine eigenen Leute gegen ihn? was für eine Ironie des Schicksals." Gindar lächelte zynisch. "Ich würde das mit weit weniger Humor sehen. Was meinst du, warum die Kerker hier so gut gefüllt sind? das sind überwiegend alles tapfere Leute, die allen Warnungen zum Trotz nach Murdaigean reisten, um sein Geheimnis zu lüften. Und man hält sie hier so lange wie Vieh gefangen, bis sie ihren Widerstand aufgeben und sich den Rebellen anschließen. Viele tun es, andere bleiben bis zuletzt standhaft. Na ja und andere..." er warf einen schnellen Blick zu Feeyas, der von dem Gespräch scheinbar nichts mitbekommen hatte. Ich krallte die Hände in mein Kleid und starrte in die Flammen. "Und mein werter Bruder hat es offenbar sogar zu ihrem Anführer gebracht. Die Tochter des hibernianischen Königs nannte ihn ihren Herrn. Wie konnte er nur...so tief sinken." Gindar berührte flüchtig meinen Unterarm. "Das muss schrecklich für dich sein, aber du hast doch keine Schuld daran." Ich sah auf, meine Augen verdunkelten sich vor Zorn. "Ich rechne mit ihm auf meine Weise ab. Da gibt es auf jeden Fall noch etwas, was ich ihn unbedingt fragen muss." Der Ordensbruder sah mich gespannt an, und ich erzählte ihm vom sehr seltsamen Verhalten Storvags gegenüber meinem jüngeren Bruder Lars. Gindar nickte bedächtig. "Das sollte dein Hauptanliegen sein. Deinen kleinen Bruder vor diesem Mann zu beschützen. Was immer ihn vorwärts treibt, euer Bruder wird da vermutlich noch eine tragende Rolle spielen." Unerwartet mischte sich Jerali in das Gespräch ein, ihre Stimme klang hitzig: "Wo wir gerade bei beschützen sind...hast du inzwischen eine Idee, wie wir hier rauskommen? ich will endlich Brakalu zurück haben und aus diesem dreckigen Loch raus." Sie warf ihr Fell angewidert von sich und stand auf. Gindar wollte etwas erwidern, doch das Geräusch von schweren Schritten, die sich langsam unserer Zelle näherten, ließ ihn verstummen. Ich sah auf und gewahrte einen hageren, rothaarigen Mann in den Farben Midgards. "Sind die anderen jetzt wach?" brummte er und hob ein Holztablett, auf dem sich vier kleine Schüsseln voll dünner Suppe befanden. Ich betrachtete ihn und hatte urplötzlich eine ganz und gar unschickliche und vermutlich völlig unsinnige Idee. "Ja, wir sind wach," antwortete ich mit samtener Stimme, erhob mich und stolzierte zur Tür. Der Wärter betrachtete mich argwöhnisch, ging in die Hocke und stellte das Tablett ab. Ich sah ihm lächelnd zu. "Was grinst du so unverschämt?" fragte der Mann gereizt, offenbar war er abgestumpfte oder zornige Gefangene gewöhnt. Ich hob andeutungsweise die Schultern. "Ich habe so lange keinen stattlichen Midgarder mehr gesehen, da konnte ich nicht anders, als Eure Gestalt zu bewundern. Vergebt mir." Der Mann fummelte an seinem Gürtel, an dem ein schwerer Schlüsselbund hing. Er brummelte irgendetwas in seinen Bart und schloss grimmig die Zellentür auf. Ungnädig nickte er auf das Tablett. "Da, heb du es auf." Ich trat folgsam näher, ehe ich plözlich einen halb überraschten, halb schmerzerfüllten Laut von mir gab, das Gleichgewicht verlor und beinahe graziös auf den kalten Boden fiel. Der Wärter fluchte und trat in die Zelle. Wenn er wohl auch zu den Männern gehörte, die die Gefangenen bestenfalls als lästige, kostspielige Maden ansahen, so hatte er seine Befehle. Und ein verletzter Gefangener war für die Rebellen nicht nützlich, sollte er sich doch noch besinnen und die Seiten wechseln.

"Was hast du?" knurrte er unwirsch, ging neben mir in die Hocke und berührte mich an der Schulter. "Au, ich glaube, ich habe einen Krampf. Ich kann das Bein kaum bewegen," sagte ich mit leidener Stimme und hob den Seidenstoff hoch, um es ihm zu zeigen. Der Mann war Midgarder und hatte ein gehöriges Maß an Selbstbeherrschung- so etwas lernte man im rauhen Norden schon im Kindesalter. Doch er war dennoch nur ein Mann und wohl schon ein paar Monate zu lange in diesen düsteren, freudlosen Gewölben, ging es mir sarkastisch durch den Kopf. Seine Augen begannen jedenfalls leicht zu schielen, er öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Ich sah ihn einen Moment lang schweigend an, ehe mein Fuß urplötzlich hochruckte und mit einem nachdrücklichen Laut gegen sein Kinn schlug. Der Mann ächzte und fiel auf den Rücken, sein Kopf landete mit einem neuerlichen Rumms auf dem Tablett mit den Suppenschalen. Für den Moment war es absolut still, ehe ich mit einem triumphierenden Lächeln zu seiner gefällten Gestalt hinüber robbte und ihm die Schlüssel entwand. "Will jemand mitkommen?" fragte ich und stand auf. Jerali trat näher und bedachte den Bewusstlosen mit einem faszinierten Blick. "Und das in deinem Alter!" stellte sich nüchtern fest. Nipitas grinste breit. "Ich glaub, ich sollte auch Gefängniswärter werden. Spezialisiert auf Frauen mit Beinkrämpfen!" ich hob eine Augenbraue und scharrte demonstrativ mit dem Fuß, was sein Grinsen noch ein wenig breiter werden ließ. Indes sprach Gindar leise auf Feeyas ein, der überhaupt nicht zu begreifen schien, was soeben geschehen war. Furchtsam betrachtete er den ohnmächtigen Nordmann und ließ sich nur widerstrebend in richtung Zellentür ziehen. "Das geht nicht gut, oh das geht niemals gut," sagte er nervös. Jerali trat mit großer Umsicht auf den Bewusstlosen und strich sich einen ihrer Zöpfe hinter das Ohr. "Was haben wir denn zu verlieren," sagte sie schroff. "Du kannst dich ja wieder ins Bett legen und weiterjammern." Die Aussicht schien dem Elfen noch weit weniger zu behagen, und er klammerte sich erschrocken an Gindars Arm. Ich betrachtete den Nordmann einen Moment und sah dann an meinem feinen, im Falle eines Kampfes völlig untauglichen Kleid hinab. "Dreht euch doch mal kurz um," bat ich und begann sogleich, die Arm- und Beinschienen des Wärters zu lösen. Gindar sah mich fast entgeistert an, doch Jerali kniete sich unverzüglich neben mich und half mir. "Da haben wir es wieder einmal," sagte sie spöttisch und warf Gindar, Nipitas und Feeyas einen gutmütigen Blick zu. "Männer verkraften wirklich weit weniger als Frauen."

Kaum drei Minuten später lag der beinahe bemitleidenswerte Nordmann in einer Ecke der Zelle, wo man ihn nicht auf den ersten Blick sehen würde. Und gefesselt, geknebelt und im tiefsten Schlafe würde er wohl auch in absehbarer Zeit noch nicht Alarm schlagen. Seine Kleider waren mir selbstredend zu groß und auf die Stiefel hatte ich verzichtet, ganz einfach deshalb, weil sie schon im Falle von eventuellen Kletter- und Fluchtaktionen zu einer echten Behinderung oder gar meinem Verhängnis werden könnten. Soweit, so gut. Doch mein Handeln war eher eine spontane Idee gewesen und nun hatte ich keine Ahnung, wie es weitergehen wollte. "Lasst uns Brakalu und meinetwegen deine geliebte Valkyn suchen und dann von hier verschwinden," zischte Jerali und sah sich nicht zum ersten Mal unbehaglich um. Es musste sicher bald jemand vorbei kommen, schon allein deshalb, weil man den Wärter vermisste. Ich nickte langsam. "Ja. Und die anderen Gefangenen lassen wir auch frei." Gindar riss die Augen auf, und Jerali schnappte nach Luft. "Was? alle?" ich nickte irritiert. "Natürlich, die schmoren hier genauso unschuldig, oder?" die Inconnu schüttelte den Kopf. "Ja, aber...stimmt, natürlich tun sie das, aber hast du eine Ahnung, wie lange das dauert? und vor allem...das schaffen wir definitiv nicht unbemerkt!" ich stampfte leicht mit dem Fuß auf. "Dann sollen sie es halt bemerken. Die Gefangenen werden sicher gern bereit sein, für ihre Freiheit zu kämpfen. Und wie du sagtest," ich nickte Gindar zu, "es sind überwiegend tapfere Krieger. Die Rebellen können es ja gerne versuchen, es mit allen aufzunehmen. Also, noch jemand Einwände?" niemand widersprach. Ich nickte erleichtert. "Nipitas, es wäre wohl besser, wenn du voran gehst." Der Jäger warf sich in die Brust und salutierte zackig. "Logo, mach ich gern. Wuff, gib mir Rückendeckung." Der Wolfshund knurrte ungehalten, und Nipitas setzte sich eilig in Bewegung.

Wir befanden uns offenbar im Keller, denn über uns erklangen mehrmals gedämpfte Schritte und jedes Mal sahen wir uns hektisch nach einem Fluchtweg um. Aber für den Moment blieb das Glück unser Verbündeter- es schien heute keine Neuzugänge zu geben, die Gefangenen hatten ihre Mahlzeiten bekommen und somit bestand für die Aufseher erst einmal kein Grund, in die kühlen, nach abgestandener Luft riechenden Gewölbe hinunter zu gehen. Die erste Zelle, an die wir traten, war weitaus weniger luxuriös als die, die ich mir mit den anderen geteilt hatte. Statt Betten gab es hier nur zwei unordentliche Haufen zerwühltes Stroh. Die Zelle war leer, doch es war anzusehen, dass sie bis vor kurzem noch einen Gefangenen beherbergt hatte: neben dem Lager stand eine halbvolle Schale mit noch frischer Suppe und im Stroh zeichnete sich grob der Umriss eines Menschen ab. Wir schlichen weiter und kamen bald darauf an eine weitere, kleinere Zelle. Nipitas bedeutete uns mit einer knappen Handbewegung, zu warten und trat an die Gitter heran. "Pssst, seid Ihr wach?" ich hörte ein leises Rascheln und eine sehr misstrauische Männerstimme: "Wer seid Ihr und was wollt Ihr?" Nipitas nickte uns zu und ich stellte mich neben ihn, um einen Blick auf den Insassen erhaschen zu können: es war ein junger Nordmann, etwa so alt wie Gindar, aber ein gutes Stück größer und muskulöser. Er hatte hellblondes, recht langes Haar und einen gleichfarbigen Bart, der von zwei kurzen, geflochtenen Zöpfen geschmückt wurde. Seine Augen verengten sich argwöhnisch, als er unsere kleine Gruppe betrachtete. "Bei Modis Eiern, was wird hier gespielt? meine Antwort lautet nein, also schert euch zum Teufel." Ich sah mich nervös um, der Nordmann hatte ziemlich laut gesprochen. "Seid etwas leiser, bitte. Wir sind keine Rebellen, man hat uns hier ebenso eingesperrt wie Euch, aber wir konnten entkommen." Der Blonde hob zweifelnd die buschigen Brauen. "Und wie habt ihr," das Wort betonte er leicht spöttisch, "geschafft, was anderen wackeren Männern nicht gelungen ist?" Jerali bedachte den großen Nordmann mit einem spöttischen Blick. "Manchmal braucht es eben nicht nur die pure Muskelkraft, Berserkerchen." Der junge Mann knurrte drohend. "Pass auf, dass ich dir nicht zu spüren gebe, wie wenig Muskelkraft ich für dich brauche, Fischgesicht." Jerali schnappte empört nach Luft. "Gehen wir weiter, soll dieser Tölpel hier bis zum jüngsten Tag hocken, das ist doch..." ich schnitt ihr rasch das Wort ab. "Wir werden von hier fortgehen, wenn nötig mit Gewalt. Und wir wollen niemanden zurücklassen. Im Gegenteil...wenn es zum Kampf kommen sollte, brauchen wir jedes Paar Hände. Was ist? wollt Ihr als Midgarder noch einen Tag länger hier gefangen sein, oder nach Hause zurückkehren und Euch irgendwann im Namen aller Milesier rächen?" der Blonde lauschte meinen Worten mit leicht gesenkten Kopf. Als ich geendet hatte, war er aufgesprungen und an die Gitter getreten. "Bei Modi, nein. Ich hab diesen Schweinestall hier satt. Holt mich hier raus und ich werde Euch meine Hände und meine Muskelkraft," er warf Jerali einen kurzen Blick zu, "gerne zur Verfügung stellen." Ich nickte und löste die Schlüssel vom Gürtel. Es dauerte nur einen kurzen Moment und der Mann war frei. "Endlich," brummte er. "Ich hab diese elenden Wände schon fast näher kommen sehen. Ah ja...mein Name ist Vewo, Berserker aus Galplen." Wir stellten uns der Reihe nach vor und setzten unseren Marsch fort, wobei wir dem getarnten Nipitas in einem großzügigen Abstand langsam folgten. Der düstere Gang wurde allmählich heller und die Geräusche der Oberwelt lauter. Meine Zweifel kehrten nun langsam auch zurück. Bisher hatten wir beinahe unverschämtes Glück gehabt, schon angefangen bei der grenzenlosen Dummheit des Wärters. Doch wie lange würde es uns hold bleiben?

Auf dem Weg waren wir an viele weitere Zellen gekommen und zu meinem Unverständnis und auch Schrecken hatten sich längst nicht alle Gefangenen bereit erklärt, uns zu folgen. Im Gegenteil- unsere Zahl war bedenklich klein und ein paar der Befreiten zogen es nach langem Hin und Her tatsächlich vor, freiwillig wieder in ihre Zellen zurückzukehren. Jerali packte einen weißhaarigen Inconnu voller Ärger am Arm und riss ihn zurück. "Bei Arawns Meute, was soll das werden? du bist frei und kannst es vielleicht schon bald für immer sein, aber ein bisschen musst du uns schon dabei helfen! was ist nur los mit dir? mit euch allen?!" der Inconnu machte sich rasch los, starrte uns angstvoll an und antwortete in einer schnellen, melodisch klingenden Sprache von der ich kein Wort verstand. Gindar neigte den Kopf. "Er sagt, er glaubt nicht, dass wir Erfolg haben. Tatsächlich ist er noch nichtmal sicher, ob er uns vertrauen kann. Und ehe er das Risiko eingeht, dass sie ihm zur Strafe ein Auge ausbrennen, bleibt er lieber gleich hier. Denn wir werden das sowieso nicht schaffen." Ich lauschte ihm sprachlos und wandte mich an den Inconnu. "Ist das wahr?" doch der Kleine wich hastig zurück, vollführte eine rasche Handbewegung -vermutlich ein albionisches Schutzzeichen- und verkroch sich wieder in seiner Zelle. Vewo grunze ärgerlich. "Albioner!" Jerali warf ihm einen flammenden Blick zu. "Es waren auch genug Nord-Barbaren, die die Hosen voll haben, mein Junge!" Vewo hob drohend die Faust und Gindar drängte sich rasch zwischen die Streithähne. "Verdammt nochmal! geht das nicht noch ein bisschen lauter?! schlimm genug, dass die Leute hier nicht mit uns gehen wollen, müsst ihr beiden euch da auch noch gegenseitig provozieren? denkt mal drüber nach!" Jerali und Vewo sahen das offenbar ein und schwiegen beide, ließen es sich jedoch nicht nehmen, sich böse Blicke zuzuwerfen. Durchaus erschüttert ließen wir die, die uns trotz gutem Zureden absolut nicht folgen wollten, letztlich in ihren Zellen zurück und setzten unseren Weg mit etwas gedämpften Optimismus fort. Der lange Gang war nun schon sehr viel heller und musste bald sein Ende finden. Tatsächlich machte er nach wenigen Schritten eine Biegung und wir warteten, während Nipitas voran schlich. Einen Moment war es ruhig, ehe ein überraschter Aufschrei erklang, der rasch und abgehackt abbrach. "Ich glaube, nun können wir uns die Heimlichkeiten sparen, das muss einfach jemand gehört haben," sagte Jerali finster. Gindar legte ihr besänftigend eine Hand auf die Schulter und wir folgten traten nun ebenfalls um die Ecke. Wie ich beinahe erwartet hatte, befand sich hier ein Wachraum, der derzeit nur von einem Mann besetzt gewesen war. Hierbei handelte es sich um einen silberhaarigen Elfen, der jetzt langgestreckt und aus Nase und Ohren blutend im Stroh auf dem Fußboden lag. Nipitas enttarnte sich genau neben ihm und verbeugte sich. "Ist er tot?" fragte ich und spürte einen Kloß im Hals, als mir die Ähnlichkeit zwischen dem Reglosen und Athriliath auffiel. Nipitas zuckte die Achseln. "Weiß nich, vermutlich pennt er nur ´n Stündchen. Aber was jetzt? das is viel zu riskant, mit der Meute den direkten Weg zu nehmen, da können wir gleich warten, bis die nächste Ablösung kommt. Und außerdem wolltet ihr doch noch wen suchen, oder?" ich drehte mich zu den Männern und Frauen um, die sich uns angeschlossen hatten. Wir sind wirklich wenige, ging es mir durch den Kopf. Viel zu wenige. Und bei Bragi, die scheinen sich alle nur auf mich zu verlassen. "Ich weiß auch nicht, was jetzt die idealste Lösung wäre," gab ich zu, die ausgezehrten, teilweise sehr jungen, teilweise schon älteren Gesichter der Befreiten betrachtend. "Nipitas hat recht, wenn wir den Hauptweg nehmen, wird es im Chaos enden." Vewo räusperte sich. "Llienne, du bist erst seit kurzem hier, ich aber kenne mich recht gut aus. Such deine beiden Gefährten und überlass es mir, sie hier unbemerkt an einen halbwegs sicheren Ort zu führen. Ich werde dir dann jemanden schicken der dir sagt, wo wir uns treffen. Wenn du die beiden gefunden hast, geben wir das Versteckspiel auf. Ich bin es leid, vor elenden Verrätern wegzulaufen." Ich nickte langsam. "Gut, Vewo. Dann führt sie und schickt mir einen Schleicher. Wir," damit deutete ich auf Gindar und Jerali, "werden uns jetzt die oberen Stockwerke vornehmen. Wenn...wenn wir kein Glück haben...dann wartet nicht auf uns, ja?" Vewo nickte, doch in dem Moment mischte sich Feeyas, der bisher die ganze Zeit geschwiegen hatte, voller Empörung in das Gespräch ein: "Ich will aber auch mit euch gehen!" Gindar lächelte dem Elfen kurz zu. "Aber du wirst hier gebraucht, weißt du? vielleicht wird Vewo dich nachher zu uns schicken müssen, wenn wir nicht schnell genug zu euch zurückkehren können. Da wärst du sehr viel wichtiger." Feeyas lächelte strahlend und lenkte sofort ein. "Na gut." Ich nickte Vewo knapp zu. "Bragis Stimme mit Euch." Er legte kurz die Faust ans Herz und erwiderte meinen Blick. "Es wird schon gutgehen. Und wenn nicht...nun, dann haben wir uns unseren Platz in Walhalla zumindest ehrenhaft erkämpft." Damit drehte er sich um und trat in den Gang zurück, in welchem Nipitas bereits wieder verschwunden war. Jerali sah ihm halb verächtlich, halb sorgenvoll nach. "Na, wenn das mal gut geht..." Gindar war schon an der gegenüberliegenden Seite des Raumes. "Aber er hat ja recht. Auch wenn ich nach meinem Ableben höchstwahrscheinlich nicht in...eh...Walhalla enden werde." Jerali schnaubte leise, und nacheinander traten wir durch die Tür.

Zaphykels Vergangenheit

Ich wappnete mich insgeheim schon gegen einen eventuellen unfreiwilligen Besucher, doch noch immer blieb es verdächtig ruhig. "Sind die alle ausgeflogen?" fragte ich beunruhigt. Gindar zuckte die Schultern. "Also ich werde mich nicht beschweren, auch wenn ich dir zustimmen muss. Das ist schon ziemlich seltsam." Zu unserer linken Seite tauchte ein schmales Fenster auf. Wir drängten uns zu dritt an die Öffnung und starrten beinahe gierig ins Freie. Es war inzwischen später Nachmittag und von draußen wehte ein kalter Wind herein, der jedoch wunderbar süß und berauschend in unsere Lungen drang, denn ihm folgte der Geruch von Freiheit. Wir gönnten uns die Aussicht jedoch nur einen kurzen Moment, ehe wir zögernd weitermarschierten. Da war etwas oberfaul, zweifellos. Vielleicht wieder ein bösartiger Schachzug von Mikata und meinem verräterischen Bruder?

Der Gang machte alsbald eine erneute Biegung und verwandelte sich in eine gewundene Treppe, welche endlich nach oben führte. Es geschah so schnell, dass ich vor Schreck beinahe rücklings die Treppe hinunter stürzte. Inzwischen hatte ich mich an die vorherrschende Stille und Menschenlosigkeit fast gewöhnt, zumal weder Schritte, Stimmen oder Waffenlärm von Feinden zeugten. Und nun trat uns urplötzlich doch einer der Rebellen entgegen.

Die Frau, die wohl auch an nichts Böses dachte, trug eine rot und blau gefärbte Plattenrüstung und einen roten Schottenrock. Sie war mindestens ebenso überrascht wie wir, denn sie prallte mit Gindar zusammen, fuhr heftig zusammen und starrte uns einen Moment lang völlig irritiert an. "Wer zum...wer hat euch rausgelassen? Wa..." ehe sie um Hilfe brüllen konnte, legte Gindar ihr rasch die Hand auf den Mund und stieß sie gegen die Wand.

Die Frau trug keinen Helm, und ihr Kopf prallte unsanft gegen den kalten Stein. "Seid still und Euch geschieht nichts," sagte Gindar leise, was seinen drohenden Tonfall nicht entschärfte. Die Frau wehrte sich, doch als Jerali sich vor ihr aufbaute, erstarrte sie und nuschelte irgend etwas, was durch Gindars Finger hindurch nicht zu verstehen war. "Ihr solltet tun, was er sagt, Verehrteste," sagte die Nekromantin mit funkelnden Augen. "Oder wollt Ihr Bekanntschaft mit einem guten Freund von mir machen?" die Highlanderin schüttelte schweigend den Kopf und Jerali nickte zufrieden. "Erst vor einigen Stunden wurden drei neue Gefangene hierher gebracht. Sie," die Inconnu deutete mit dem Kopf auf mich, "eine Valkyn und ein Inconnu. Weißt du davon?"

Nicken.

"Gut, weißt du auch, wo man sie hingebracht hat?" die Frau zögerte und Jerali spreizte die Beine und hob langsam die Hand. Ich konnte die offensichtliche Furcht der Frau nicht nachvollziehen und warf Jerali einen fragenden Blick zu. Die Antwort folgte auf dem Fuße. Die Gestalt der Nekromantin wurde zu einem körperlosen Schatten und neben ihr stand plötzlich die hässlichste Kreatur, die ich je gesehen hatte, dagegen wirkte sogar das abstoßende Leichending von Brakalu anziehend. Ich musste spontan an die schauerlichen Moratänzerinnen aus dem Myrkwood Forest denken. Dieses Etwas war genauso dürr und bleich, bewegte sich unablässig hin und her und griff mit abstoßenden langen Leichenfingern nach Dingen, die ich nicht sehen konnte. Doch wo die Moratänzerinnen leichentuchähnliche Fetzen und bizarre Hüte trugen, war der Beschworene in eine zerfetzte Hose gekleidet, und statt einem Hut zierte ihn ein atemberaubend hässlicher Ziegenbart.

Die Highlanderin wurde drei Nummern blasser und nickte heftig, worauf Gindar die Hand zurück zog. "Ja, ja, ich weiß wen ihr meint und ich weiß, wo man sie hingebracht hat," sagte sie eilig. "Bitte...hetzt nicht dieses...Ding auf mich." Jerali schwebte ein winziges Stück näher. "Das habe ich auch nicht vor," sagte sie eisig. "Sofern Ihr mir sagt oder besser noch zeigt, wo sie sind. Hat man sie zusammen eingesperrt?" die Unglückliche schüttelte schweigend den Kopf und Jerali knurrte leise. "Herr im Himmel! lasst Euch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen..." auf ihren unmerklichen Wink hin kroch das blasse Ding näher, hob die Arme und ließ die schuppigen, feuchten Finger über die Wangen der Highlanderin gleiten. Sie öffnete den Mund zum Schrei und Jerali hob mit einem scharfen "Na, na!" den Zeigefinger.

Ich betrachtete die vor Angst Schlotternde ohne großes Mitgefühl. "Ihr müsst uns nur ein wenig weiterhelfen und könnt danach sofort Eurer Wege gehen. Holt ruhig Verstärkung, schreit ganz Murdaigean zusammen. Aber erst helft Ihr uns, oder..." ich ließ den Satz offen, schon allein weil ich selbst nicht sicher war, wie sich das `Oder´ auswirken würde. Jeralis Diener leckte sich über die verkümmerten Lippen und die Highlanderin stöhnte leise. "Ist ja gut, ich...ich werde euch hinführen. Z-zu wem wollt ihr...zuerst?" die Worte kamen ihr nur schwer über die Lippen, vermutlich schämte sie sich bereits jetzt ihrer eigenen Feigheit. Jerali wirkte höchst zufrieden. "Wer ist näher dran?"

"Der Inconnu."

"Wunderbar! bringt uns hin. Und mein kleiner Liebling wird genau hinter Euch gehen, es wäre also ein denkbar schlechter Moment, es sich jetzt doch anders zu überlegen. Müssen wir oben mit Besuch rechnen?" die Highlanderin schüttelte knapp den Kopf. "Das gesamte Heer ist..." sie biss sich auf die Lippen und brach ab. "Ja?" fragte Jerali drohend. Doch die Frau stöhnte nur erneut, schüttelte den Kopf und schwieg. Ich wollte der Nekromantin die Hand auf die Schulter legen und stellte zu meinem Erstaunen fest, dass sie durch sie hindurchglitt. "Komm schon, sonst sagt sie gleich überhaupt nichts mehr. Erstmal sollten wir die beiden finden, danach sehen wir weiter." Die Inconnu zögerte kurz und nickte dann unwillig. "Ja, du hast recht. Also los, Teuerste." Die Wächterin biss sich heftig auf die Lippen und schluckte das, was ihr zweifellos auf der Zunge lang, mit einiger Mühe hinunter. Ich konnte mir gut vorstellen, welche Qualen sie gerade durchlitt- die Situation war alles andere als ehrenhaft.

Mit steinerner Miene schritt die Frau die Treppenstufen, die sie gerade hinter sich gelassen hatte, wieder hinauf und sah sogar kurz über die Schulter zurück, ob wir ihr folgten. Sie führte uns durch einen nun schon sehr viel freundlicheren Gang, an den Wänden hingen sogar kostbar aussehende Teppiche. "Hier," sagte sie schließlich mit frostiger Stimme. Links von uns war eine doppelte Reihe von Fenstern in den Stein gebaut, doch zu unserer rechten Seite, auf welche die Highlanderin deutete, befand sich eine einzige Tür. "Herzlichen Dank," sagte Jerali lächelnd. "Wir werden uns gleich noch einmal eingehend unterhalten. Und damit Ihr dann noch hier seid, wird er Euch Gesellschaft leisten," sie deutete auf ihre Kreatur, die sich bei ihren Worten scheinbar mit diebischem Vergnügen auf die Highlanderin zubewegte. Die sagte izwischen gar nichts mehr, sondern starrte trotzig zu einem der Fenster hinaus und ballte nur leicht die Fäuste.

Während wir durch die Tür traten, sagte Gindar beinahe bewundernd: "Ich vergesse immer wieder, was für ein Biest du sein kannst." Jerali hob nur leicht die Schultern. "Alles reine Trainingssache, und...oh, bei Arawn!" sie stürzte an Gindar und mir vorbei auf die andere Seite des Raumes zu. Wir folgten in gemäßigtem Tempo. Mich ergriff ein kalter Zorn, als ich die offenbar bewusstlose Gestalt des Inconnu betrachtete, den man mit weit weniger Zärtlichkeit als mich, statt ins Bett zu legen, an die steinerne Wand gekettet hatte. Der Nekromant hatte die Augen geschlossen, der Kopf war ihm auf die Schulter gesunken. Jerali drehte sich herrisch zu mir um. "Los! du hast die Schlüssel!" ich nickte und trat an ihre Seite. "Ich mach ja schon." Die Schlösser, die die metallenen Fesseln um die Handgelenke umschlossen, waren die gleichen wie an den Kerkerzellen. Ein kurzer Ruck, und ich konnte sie Brakalu vorsichtig abstreifen. Gindar betrachtete schweigend die violett glänzenden Spuren, die die nachlässig angebrachten Schellen angebracht hatten, während Jerali ihr Mündel erschrocken auffing und sich mit ihm auf den Boden setzte. "Braka," sagte sie eindringlich, "wach auf, los, wach auf. Es ist vorbei. Ich bins, Jerali! hörst du?" der Nekromant öffnete mühsam die Augen und blinzelte. "Je...ra?" fragte er, wobei bei der Aussprache des Namens plötzlich kein Akzent mehr zu hören war. "Du...hierr?" sie starrte ihn an und hab ihm dann zu Gindars und meinem Schrecken eine nicht gerade sanfte Ohrfeige.

"Du verdammter Idiot! was sollte diese Aktion?! weißt du, welche Sorgen ich mir gemacht habe? meine Güte..." Brakalu blinzelte erneut und sah sie verstört an, ehe er sich mühsam in eine sitzende Pose erhob und das Gesicht an ihrem Hals verbarg. Ich betrachtete die beiden Nekromanten regelrecht gerührt und lächelte leicht. Plötzlich fasste mich Gindar am Arm und deutete zum einzigen Fenster, das es im Raum gab. "Übrigens...wir sind nicht allein."
 

Ich folgte seinem Blick und kniff die Augen zusammen. Tatsächlich, wie hatte ich die hochgewachsene Gestalt, die im späten Nachmittagslicht beinahe zu verschwimmen schien, nur übersehen können? der Fremde erkannte offenbar, dass er entdeckt worden war, stieß sich leicht vom Fensterbrett ab und tat einen Schritt auf uns zu. Gindar spannte sich merklich und auch ich ballte instinktiv die Fäuste. "Wer seid Ihr?" fragte ich argwöhnisch. Die Gestalt hob den bisher tief gesenkten Kopf und betrachtete uns scheinbar desinteressiert. Ich hielt einen Moment unwillkürlich den Atem an- solche Schönheit hatte ich selten erblickt. Der Unbekannte war eine Frau, der übermäßig schlanken und großen Gestalt zu urteilen eine Elfe. Das Haar war in tiefblaues Tuch eingeschlagen, welches auch ihre Stirn bedeckte. Dafür leuchteten die Augen umso heller, klar und scharf wie die eines Fischadlers blieben sie an Gindars und meiner Gestalt hängen. Ihre Gesichtszüge erinnerten mich an jemanden, doch mir fiel nicht ein, an wen.

"Seid nicht Ihr in mein Gemach eingedrungen?" fragte die Fremde mit ruhiger, beinahe gebieterischer Stimme. "Kommt es der Höflichkeit nicht näher, Ihr würdet mir Eure Namen zuerst sagen, ehe Ihr meinen erfragt?" Jerali hob hinter uns den Kopf, ohne Brakalu aus der Umarmung zu entlassen. Argwöhnisch, fast feindselig starrte sie die schöne Elfe an. "Für Höflichkeit haben wir derzeit nicht viel übrig, und auch an Geduld mangelt es uns," sagte sie scharf. Die Elfe wandte ihr langsam den Kopf zu und starrte sie schweigend an, ohne zu blinzeln oder gar zu antworten. Die Nekromantin runzelte halb verwirrt, halb ärgerlich die Stirn, hielt dem durchdringenden Blick jedoch stand.

Schließlich schmunzelte die Elfe leicht und verschränkte die Arme vor der Brust. "Nun gut. Mein Name ist Brigit." Ich öffnete überrascht den Mund und auch Gindar blinzelte verblüfft. "Die...Königin von Hibernia?" fragte er nach einem Moment großen Staunens zweifelnd. Brigit neigte den Kopf und betrachtete den Ordensbruder aus halbgeschlossenen Augen. "Zweifelt Ihr daran?" Gindar entspannte sich und ließ rasch die drohend erhobenen Hände sinken. "Wie käme ich dazu."

Ich betrachtete die Elfe noch immer beinahe ehrfürchtig. Brigit schien mir mein Starren nicht übel zu nehmen, strich eine Falte ihres langen Gewandes glatt und sah uns auffordernd an. Ich brauchte einen Moment, ehe der Groschen fiel, und rasch stellte ich Jerali, Brakalu, Gindar und mich selbst vor. Die Königin nickte. "Wir kennen uns ja schon," sie sah kurz zu Brakalu, der sich noch immer an Jerali lehnte und seine Fassung inzwischen wieder gewonnen hatte. "Und wir haben die Zeit genutzt, ein wenig zu plaudern," fuhr sie fort. "Also ist es wahr? Midgarder, Albioner und Hibernianer tun sich zusammen und ziehen gemeinsam ins Unbekannte. Wirklich interessant." Sie betrachtete uns nachdenklich und ihr Tonfall klang, als fühle sie sich in irgend etwas bestätigt. Ich lauschte unsicher zur Tür- ob die unglücksselige Wächterin wohl Wort hielt und noch immer still dort wartete? nun, Jerali hatte ihr ja einen -meiner Meinung nach- überzeugenden Grund da gelassen.

Brigit bemerkte meine Unruhe nicht, oder ignorierte sie. "Aber wie ich sehe, wart auch ihr nicht erfolgreich. Bald werden sie euch ebenfalls foltern und drohen. Entweder gebt ihr nach, oder ihr bleibt standhaft. Zumindest das kann die einstige Königin Hibernias noch von sich behaupten." Sie ließ ein zynisches Lächeln aufblitzen, und hob die Hände, die schön und feingliedrig waren, doch ich bemerkte, dass ihr an der Linken der Ringfinger und Daumen fehlten, während man ihrer rechten Hand gewaltsam den kleinen Finger genommen hatte. "Grausame Mistkerle," sagte ich erschüttert.

Brigit winkte ungehalten ab. "Jedenfalls ist eure Mission tapfer und beachtenswert, aber vermutlich leider völlig sinnlos. Es sind schon zu viele und die meisten haben Angst. Sie werden sich nicht gegen die Rebellen auflehnen." Ich gestattete mir ein kleines, hoffnungsfrohes Grinsen. "Die meisten haben Angst, da habt Ihr Recht. Aber nicht alle. Wir konnten einige Gefangene befreien und die meisten haben zugestimmt, uns im Kampf gegen den," ich zögerte kurz, "den Herrn Der Blutigen Drei zu unterstützen." Ich betrachtete die leicht zweifelnd dreinschauende Elfe einen Moment, ehe sich meine Augen vor Erkenntnis weiteten. "Und vor allem die Hibernianer werden sicher neuen Mut schöpfen, wenn sie sehen, dass ihre rechtmäßige Königin noch am Leben ist! wenn...wenn Ihr mit uns kommt, werden uns sicher auch alle Hibernianer hier folgen und dann müssen wir einfach gewinnen."

Brigit sagte weder ja noch nein. Sie betrachtete mich und ich konnte mir gut vorstellen, was hinter ihrer Stirn vorgehen mochte: Was machte ein junges Mädchen, das eigentlich noch genau auf der Schwelle vom Kind zur Frau stand, dermaßen vermessen, tapfere Krieger und Kriegerinnen führen zu wollen, die lange vor ihr den selben Auftrag hatten und gescheitert waren? während sie noch zögerte, erscholl von draußen ein überraschter Aufschrei, doch ich hörte sofort, dass er nicht von der Highlanderin stammte.

Jerali hob ruckartig den Kopf und legte Brakalu einen Arm um die Hüften, um ihn mit hochzuziehen, doch der Inconnu gab ein leises Keuchen von sich und schlug reflexartig ihre Hand weg. "Was hast du?" fragte sie verwirrt, während der Jüngere sich die Seite hielt. "Nichts," brachte Brakalu zwischen zusammen gebissenen Zähnen hervor. "Geh nurr." Sie sah irritiert und besorgt auf ihn herab, strich ihm kurz über den Kopf und wandte sich zur Tür. Gindar tat es ihr gleich, winkte mich heran und stiße die Tür dann mit einem Ruck auf. Ich trat hinter den Ordensbruder und blinzelte verblüfft: Genau zu unseren Füßen lag der Waldläufer Feeyas am Boden und starrte mit entsetzten Augen Jeralis Diener an, der sich wie ein Raubtier über ihn beugte und den Blick gierig erwiderte. Von der Highlanderin war nichts zu sehen.

"Du?" fragte Gindar verblüfft, während die Kreatur auf Jeralis ungeduldigen Wink hin eilig von ihm herunter kroch. "Was ist das für ein Ungeheuer?" stöhnte der Elf und starrte das blasse Etwas mit abscheuverzerrtem Gesicht an. "Wo ist die Wächterin hin?" gab Jerali scharf zurück und starrte auf den leeren Gang. "Hat Fersengeld gegeben, als dieses...Ding mich angefallen hat," gab der Waldläufer matt zurück. Jerali schüttelte ungeduldig den Kopf, aber Gindar mahnte sie mit einem ruhigen Blick zur Mäßigung und legte dem verwirrten Elfen die Hand auf die Schulter. "Schickt dich Vewo?" fragte er. Feeyas nickte stolz. "Sie haben sich im Burghof versammelt. Es ist wirklich wie verhext...gab kaum Widerstand. Man könnte meinen, Murdaigean wäre total verlassen." Gindar nickte nachdenklich. "Das ist wirklich seltsam." Feeyas wollte etwas erwidern, doch dann fiel sein Blick auf die Gestalt, die hinter mir durch die Tür trat. Seine Augen weiteten sich, er ließ die Arme sinken und fiel ungeschickt auf ein Knie herab. "Meine...meine Königin!" stammelte er fassungslos. Brigit sah auf den jungen Waldläufer ohne Spott an und ließ den Anflug eines huldvollen Lächelns aufblitzen. "Erhebt Euch." Feeyas rappelte sich mühsam auf, ohne den Blick von der schönen Elfe zu nehmen. In seinen Augen schimmerte es verdächtig, und er wandte rasch den Kopf ab.

"Ich will ja nicht drängen, aber für Sentimentalität ist jetzt wirklich nicht der richtige Zeitpunkt," sagte Gindar behutsam. Ich nickte und schaute schweigend die Elfe an. Brigit erwiderte meinen Blick einen Moment, ehe sie langsam nickte. "In Ordnung. So lange es noch einen Menschen mit Hoffnung gibt, sollte man selbige nicht aufgeben. Ich komme mit euch." Ich unterdrückte gerade noch so einen triumphalen Ausruf und wartete ungeduldig auf Jerali, die nochmals in das Zimmer zurück gegangen war, um Brakalu zu holen.
 

Auszug aus einer Lagerfeuergeschichte der Skalden:
 

"...Und so war es, dass der Krieger stand

Tapfer und mit erhobener Hand

Alleine er aufs Schlachtfeld trat

Jedem Mann ins Antlitzt gestarrt

Und sein Lachen über die Ebene hallte

Wie Meeresrauschen und Donner schallte

Bis hundert Bögen sich nun hoben

Und hundert Pfeile windschnell flogen..."
 

Feeyas führte uns durch die Gänge, wobei er immer wieder ehrfürchtige Blicke zu seiner Herrin warf. Wenn die Highlanderin Alarm geschlagen hatte, so ließ man sich mit der Jagd nach uns Zeit, denn auf dem Weg zum Burghof wurden wir nicht ein einziges Mal aufgehalten. Der Waldläufer stieß eine ovale Eichentür auf und rotgoldenes Nachmittagslicht flutete mir ins Gesicht. Ich blinzelte gegen die Sonne und bekam einen unsanften Stoß in den Rücken, als Gindar durch einen ungeduldigen Schubs von Jerali gegen mich prallte. Ich stolperte ins Freie und sah vor mir all die Männer und Frauen, die wir aus den Zellen befreit hatten. Auf ihren Gesichtern zeigten sich Aufregung und Ungeduld, aber auch eine grenzenlose Erleichterung, endlich dem ewigen Zwielicht der Kerker entkommen zu sein. "He, Llienne!" ich fuhr zusammen und sah mich suchend um. Grinsend löste sich Keena aus der Menge und trat auf mich zu. Wir musterten uns einen Moment beinahe andächtig, ehe die Valkyn lachend die Arme um meine Schultern schlang. Hey, das ist das erste Mal, dass ich sie wirklich gelöst und ohne Spott oder Bittkerkeit lachen höre, dachte ich flüchtig und schloss die Freundin ebenfalls in die Arme.

"Das Bild, was sich mir hier bietet, ist viel mehr als ich zu hoffen gewagt habe," raunte ich ihr leise ins Ohr. "Ich war fast davon überzeugt dass ich dich und das normale Tageslicht nie wieder sehe." Keena drückte sachte meinen Oberarm. "Aber es liegt nicht in deiner Natur, dich mit einem Schicksal einfach so abzufinden." Ich lächelte still und senkte den Kopf, damit sie meine Verlegenheit nicht bemerkte. Keena wandte sich Brakalu zu, der sie ernst betrachtete. "Und dich gibts auch noch, hm?" fragte sie augenzwinkernd. Der Inconnu nickte zögernd. "Die Gastfrreundschaft hierr ließ zu wünschen übrrig." Jerali beobachtete die beiden argwöhnisch und baute sich vor der Knochentänzerin auf. "Du bist also Keena, wie?" fragte sie beinahe herausfordernd. Die Angesprochene erwiderte den Blick verwirrt. "Stimmt." Jerali unterzog sie einer eingehenden Betrachtung, ehe sie sich einfach abwandte. "Die ist in Ordnung," teilte sie Gindar mit. Keena sah mich stirnrunzelnd an und ich biss mir auf die Lippen, um das Grinsen zurückzuhalten. "Ich mache euch später bekannt, okay?"

Die Krieger und Kriegerinnen hatten in der Zwischenzeit offenbar die Waffenkammern geplündert, denn überall lagen Rüstteile, Schilder und Waffen aller Art herum. Vewo löste sich aus einer Unterhaltung mit einem Kelten und einer Koboldin und trat auf mich zu. "Und, bist du zufrieden?" fragte er mit mühsam verborgenem Stolz. Ich lächelte schon wieder. "Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr. Ist auch noch was für mich übrig? ich glaub, ich scheppere bei jedem Schritt. Und außerdem habe ich kalte Füße." Er lachte dröhnend, packte mich am Arm und zog mich zu einem kleinen Berg voller Kettensachen hinüber. "Hier solltest du mal stöbern." Er entfernte sich disrekt ein paar Schritte und ich beugte mich über den unordentlichen Haufen. Ich wurde tatsächlich fündig, und zu meiner leisen Freude handelte es sich bei Kettenpanzer und Axt um Stücke midländischer Herkunft. Ich wählte noch einen einfachen, weißgrauen Umhang mit Kapuze und warf ihn mir über die Schultern, ehe ich zu Vewo zurückkehrte, der inzwischen in eine Unterhaltung mit Gindar, Jerali, Keena und Brigit vertieft war.

"...verstehe Eure Bedenken durchaus, MyLady, aber es ist der einzige Weg." Ich schüttelte mein kurzes Haar und stellte mich zu der kleinen Gruppe. "Hab ich was verpasst?" Vewo schüttelte knapp den Kopf. "Lady Brigit macht sich Sorgen, was passieren wird wenn wir auf offenem Feld von den Rebellen angegriffen werden. Das ist natürlich korrekt, aber wir können uns jetzt nicht einfach aufteilen und Albioner, Midgarder und Hibernianer zu ihren Teleportfestungen zurückschicken. Getrennt sind wir viel verwundbarer." Ich nickte leicht. "Wohl wahr." Brigit, die ihr Kleid gegen einen silber schimmernden Schuppenpanzer und einen bodenlangen, roten Kapuzenumhang getauscht hatte, bedachte Vewo mit einem kühlen Blick. "Und wer wird unsere," sie zögerte kurz, "Armee, oder wie immer Ihr das nennen wollt, führen? Ihr? dieses Mädchen?" sie nickte mir zu. "Bei allem Respekt, ich bin tief beeindruckt von Eurer Tapferkeit und Gerissenheit. Aber meine Leute in die Hände wildfremder Halbstarker zu geben..." sie schüttelte sachte den Kopf und verschränkte die Arme vor der Brust.

Ich war seltsamerweise nicht beleidigt, Keena hingegen schon. "Immerhin haben wir Halbstarken mehr erreicht als Ihr und Eure erwachsenen Helden," entgegnete sie spitz. Brigits Raubvogelaugen verdüsterten sich kurz. "Das habe ich doch gerade selbst gesagt," sagte sie schroff. "Trotzdem. Ich plädiere dafür, dass jedes Reich hier einen Sprecher wählt, welcher für alle einsteht. Ich selbst werde das für meine Leute tun, wem Ihr diese Aufgabe übertragt, bleibt ja Euch überlassen. Und nun sollten wir dieses Tor öffnen und uns einen Lagerplatz suchen- da können wir unser Gespräch gerne fortführen." Sie drehte sich auf dem Absatz um, dass ihr Umhang hinter ihr flog, und trat auf eine Gruppe ihrer Landsmänner zu. Gindar sah ihr in einer Mischung aus Ärger und widerwilliger Bewunderung nach. "Auf jeden Fall eine Frau, die weiß, was sie will," stellte er lakonisch fest. Jerali schnaubte. "Ich nenn das einfach mal Arroganz. Sie kann es halt nur nicht ertragen, dass da jemand besser gehandelt hat als sie, obwohl sie eine Königin ist...oder war, was weiß ich." Ich zuckte die Achseln. "Akzeptieren wir es einfach. Wer soll denn für euch Albioner sprechen?"

Gindar grinste leicht und stieß Jerali verspielt in die Seite. "Sprechen und sich Gehör verschaffen kann kaum jemand besser als sie, davon hast du ja schon mehrere Beispiele bekommen." Jerali funkelte ihn an, sagte aber nichts. "Und nachdem die ganze Rettungsaktion hier deine Idee war, ist es auch nur recht und billig, wenn du den Part für Midgard übernimmst," dröhnte Vewo, schlug mir so heftig auf die Schulter, dass ich ein wenig in die Knie ging, und stapfte zu den anderen hinüber, die sich um das schwere Tor bemühten. "Moment mal..." rief ich ihm nach, doch Keena berührte flüchtig meine Hand, schüttelte den Kopf und grinste. "Lass doch," sagte sie. "Er hat doch recht. Du hast es dir verdient." Ich schüttelte den Kopf. "Ich hab doch überhaupt keine militärischen Fähigkeiten," sagte ich unsicher, doch Keena fegte auch diesen Einwand einfach beiseite. Ich wandte seufzend den Kopf ab und bemerkte aus dem Augenwinkel Nipitas, der offenbar mit größtem Vergnügen versuchte, den schweigsamen Brakalu zu irgend einer -wahrscheinlich unsinnigen- Debatte zu bewegen.

"Man sagt, dass Kobolde und Inconnu sich sehr ähneln. Hast du davon auch schon gehört?" fragte Nipitas eifrig. Brakalu zuckte nur leicht die Achseln. "Ich habe davon gehörrt." Der Kobold setzte sich neben ihn und scharrte mit dem Fuß auf dem Kopfsteinpflaster. "Und? was sagste dazu? wie würd man wohl ´ne Kreuzung zwischen Kobold und Inconnu nennen? Kobonnu? oder Incobold?" ich schmunzelte und trat auf die beiden zu. "Hallo Nipitas." Er sprang auf und verbeugte sich mehr oder weniger galant. "Llienne! hatte dich gar nich so hübsch in Erinnerung!" Brakalu verdrehte leicht die Augen und wollte aufstehen, doch Nipitas drückte ihn grinsend wieder hinunter. "Hey, halt, moment noch. Ich muss dir unbedingt noch jemanden vorstellen, der wird dir gefallen." Er stieß einen durchdringenden Pfiff aus, und kaum drei Sekunden später stürmte Wuff an zwei erschrocken aufschreienden Lurikeen vorbei. Der Wolfshund hechelte begeistert und sprang an mir hoch, und ich grinste breit und kraulte ihm den unschönen Kopf. "Guck mal, Wuff! das ist Brakalu. Er ist ´n Inconnu, wie Jera. Sag mal hallo zu ihm!" Wuff tappte auf den Nekromanten zu, der regelrecht erstarrt war, offenbar vor Schreck. Das konnte man ihm schlecht verdenken, denn seine und Wuffs gelbglühende Augen befanden sich fast auf gleicher Höhe.

Der Wolfshund fand offenbar Gefallen an Brakalu, denn er hechelte begeistert, stürzte sich mit einem Satz auf ihn und brachte ihn mühelos zu Fall, ehe er sich mit den mächtigen Vorderpfosten auf seine Schultern stemmte und die lange Zunge ungestüm über das Gesicht des Nekromanten gleiten ließ. Der Anblick war zuviel für mich, und Nipitas und ich brachen gleichzeitig in lautes Gelächter aus. Endlich ließ Wuff von seinem Opfer ab und trottete schwanzwedelnd wieder davon, als sei nichts gewesen. Noch immer lachend beugte ich mich über den Inconnu und half ihm auf. "Oh man, bitte entschuldige, aber..." Brakalu wischte sich mit steinerner Miene über das Gesicht und löste damit einen erneuten Heiterkeitsanfall aus. "Wie lustig," grummelte er leise, wurde aber von einem triumphierenden Ausruf am Tor unterbrochen. "Es ist geöffnet!" mein Herz begann zu klopfen. "Es geht los. Kommt!" ohne auf die beiden zu warten, marschierte ich zum gewaltigen Tor, das nun tatsächlich weit offenstand und uns förmlich einlud, in die Freiheit zu spazieren.

Ich wandte mich an den erstbesten Mann, der mir gerade gegenüberstand. "Es waren doch ein paar einzelne Wachen in der Burg, was ist mit ihnen?" der Mann nahm Haltung an und konnte ein flegelhaftes Grinsen nicht ganz unterdrücken. "Die schlafen tief und fest, MyLady." Ich betrachtete ihn leicht verstört. Das Gesicht erschien mir vage bekannt, vermutlich hatte ich persönlich geholfen, ihn aus seiner Zelle zu befreien, und wurde nun mit tiefer Verehrung belohnt. Trotzdem machte es mich schrecklich verlegen, so genannt zu werden, und ich nickte nur knapp und wandte mich schleunigst wieder ab. Königin Brigit rief ein paar laute, zackige Befehle und bald marschierte der hibernianische Teil unserer großen Gemeinschaft ins Freie. Jerali nickte mir aufmunternd zu und scharte die Albioner um sich. Auf ihr Zeichen hin folgten sie den Hibernianern, und nur befand sich nur noch der midländische Teil der Gemeinschaft -meine Leute- im Burghof. Ich schluckte schwer, als sich all die Augenpaare erwartungsvoll auf mich hefteten. "Seid wachsam und bleibt dicht zusammen!" rief ich und bemühte mich, meine Stimme fest klingen zu lassen. Dann holte ich nochmals tief Luft, setzte mich an die Spitze des kleinen Zuges und marschierte hoch erhobenen Hauptes in die Freiheit.
 

Wir schlossen uns den Hibernianern und Albionern schnellstmöglich wieder an, denn ich fand nach wie vor, dass Vewo recht hatte: Wenn wir in drei kleinen Gruppen getrennt durch die Gegend marschierten, würden wir leichter zu überrumpeln sein, als wenn wir zusammenblieben. Mit einem seltsamen Gefühl von Zufriedenheit beobachtete ich, wie sich bald hier und da einzelne Angehörige der verschiedenen Reiche aus ihrem Zug lösten und sich zu einem anderen gesellten. Offenbar hatten sich während der eintönigen, gemeinsamen Zeit von Gefangenschaft und Leid die ein oder anderen Freundschaften gebildet. Und nicht nur Freundschaften...fasziniert und gleichzeitig ungläubig betrachtete ich einen jungen Elfen, der eine blonde Bretonin an sich zog, den Kopf senkte und die Lippen auf die ihren legte. Absurderweise kam mir plötzlich mein Vater in den Sinn, mein großer, kampferprobter Vater, der die Hibernianer und Albioner stets verflucht hatte. Wenn er das hier sehen könnte, was würde er wohl tun?

Gindar hatte sich ebenfalls von den Albionern entfernt und trat an meine Seite. "Unglaublich, nicht wahr?" bemerkte er mit einem leichten Lächeln. Ich nickte. "Wirklich unglaublich." Sein Lächeln wurde eine Spur spitzbübischer, während er mich ungeniert betrachtete. "Und?" ich hob fragend den Kopf. "Hm?" er machte eine weit ausholende Geste. "Ist das nichts für dich? eine verbotene Verbindung zu einem anderen Reich, eine Liebesbeziehung, die von niemandem verstanden und von den wenigsten gebilligt wird, eine..." ich hob rasch die Hand, um seinen spöttisch angehauchten Redefluss zu unterbrechen. "Ist ja gut, ich habs verstanden. Und nein, ich glaube, das ist nichts für mich. Außerdem...außerdem bin ich verlobt."

Diese kleine, aber irgendwo nicht ganz unwichtige Tatsache war mir soeben zufällig auch wieder eingefallen. Wenn ich erst einmal wieder nach Hause gekommen war, würde dort nach wie vor ein Leifnir Havocbringer sein. Andererseits war ich nun schon so lange fort, er war jung und beliebt, und wenn ich Glück hatte, war in der Zwischenzeit vielleicht schon eine andere Frau an seiner Seite. Gindars Lächeln erlosch, als er mein düsteres Gesicht bemerkte. "Offenbar ist dein Verlobter nicht so ganz nach deinem Geschmack," sagte er gleichmütig. Ich nickte nur. Die Sache ging ihn nun wirklich nichts an. Er klopfte mir aufmunternd auf die Schulter. "Das wird schon. Und selbst wenn man dich wirklich zur Heirat zwingt- mach das Beste daraus, vielleicht stellt er sich ja als gar nicht so übel heraus." Ich schnaubte ganz kurz. "Es würde mich zwar durchaus wundern, aber es sollen ja noch Zeichen und Wunder geschehen." Der Ordensbruder grinste und kümmerte sich überhaupt nicht um meinen hohntriefenden Tonfall. "Da siehst du´s."

Wir wanderten noch eine ganze Weile weiter, ehe vor uns ein eher spärlicher Wald auftauchte. Die Männer und Frauen hatten lange ohne großartige Bewegung in den Verliesen gehockt, und viele waren durch die ungewohnte Anstrengung bereits jetzt erschöpft. Brigit bestand jedoch darauf, noch ein wenig tiefer ins Unterholz vorzudringen, damit man uns nicht auf den ersten Blick entdecken würde. Natürlich gab sich niemand die Blöße und protestierte öffentlich, außer dem ein oder anderen gereizten Blick oder auch Seufzer tat niemand seine Unzufriedenheit kund. Ich musste aber zugeben, dass die Elfenkönigin recht hatte- wenn wir einen sicheren Platz gefunden hatten, konnten wir immer noch ausruhen. Und das Schicksal schien es gut mit uns zu meinen, bald konnten wir die Burg Murdaigean kaum noch erkennen, über unseren Köpfen erhob sich eine natürliche Wand aus Zweigen und grünen Blättern, und weiches Moos bedeckte den Boden. Der Trupp hielt an, man ließ sich auf umgestürzten Bäumen, Wurzeln oder im Moos nieder, rieb sich die schmerzenden Füße oder streckte die müden Beine aus.

Von hinten wehte ein begeistertes Gemurmel zu mir hinüber und ich wandte neugierig den Kopf. Die diebischen Seelen unter uns -vorzugsweise Lurikeen, Kobolde und Sarazenen- hatten es sich nicht nehmen lassen, neben den Waffenkammern auch gleich die Vorratsräume zu plündern. Jetzt breiteten sie stolz ihre Schätze auf dem blanken Boden aus: Krüge mit billigem Wein, Beutel voller Pökelfleisch- und fisch, harten Käse und getrocknete Früchte. Zwei grinsende Sarazenen verwiesen mit spöttischen Verbeugungen sogar auf ein bauchiges Bierfass, das neben allem thronte. Ich wollte lieber nicht wissen, wie sie sich angestrengt haben mussten, um die Last den ganzen Weg und über alle natürlichen Hindernisse hierher zu schleppen. Beim Anblick der Speisen schien bei manchen der Verstand einfach auszusetzen, und ein massiger Highlander stieß den Zwerg neben sich roh zur Seite und langte gierig nach einem der Krüge.

"Nimm sofort die Finger weg!" brüllte Jerali, und der Missetäter fuhr erschrocken zusammen. Die Inconnu erkundigte sich nach dem Befinden des Zwergs, welcher verlegen abwinkte, und baute sich unheilvoll vor dem so viel größeren Highlander auf. "Wir werden teilen- alle. Jeder hat etwas zu bekommen, und keiner benimmt sich hier wie ein Tier." Nicht nur die Albioner, auch alle Umstehenden stimmten sofort zu. Noch eine Tatsache, die mich faszinierte. Gemeinsame Entbehrungen und Qualen schweißten zusammen und ließen bei allen nahezu die gleichen Gedankengänge entstehen. Jerali nickte zufrieden und wandte sich abermals dem Unglücksraben zu. "Du, mein Freund, siehst mir noch recht stark und bemuskelt aus. Deswegen wird es dich sicher nicht stören, wenn du die erste Wache übernimmst und dich als letzter an diesen großzügigen Gaben gütlich tust." Der Mann starrte sie einen Moment lang fast hasserfüllt an, besann sich aber und stampfte ohne ein weiteres Wort davon. Ich kam nicht umhin, die kleine, herrische Inconnu zu bewundern.

Verstohlen warf ich Keena einen kurzen Blick zu und grinste. Die beiden ähnelten sich wirklich sehr.

Ich ließ mich zurücksinken, bettete meinen Kopf an einen harten Baumstamm und schloss die Augen. Ich konnte wirklich stolz auf mich sein. Auf mich und alle hier. Bis auf den ein oder anderen kleinen Zwischenfall verhielten sich alle absolut vorbildlich. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass die Männer und Frauen so gewissenhaft taten, was man ihnen auftrug, dass sie zusammen statt nebeneinander oder gar gegeneinander arbeiteten. Ich konnte wirklich stolz sein. Der leicht muffige Geruch von getrocknetem Fleisch stieg mir aus nächster Nähe in die Nase und ich öffnete das linke Auge. Keena hockte vor mir und wedelte grinsend mit einem Streifen Pökelfleisch vor meinem Gesicht hin und her. Ich verfolgte ihre Bewegungen eine Weile mit den Augen, ehe ich wie ein Hund vorschnellte und ihr den Streifen aus der Hand schnappte. Lachend ließ sie sich auf den Hintern plumpsen und reichte mir auch einen halbvollen, kleinen Krug mit Bier.

"Eine Kriegerin sollte nicht mit verwässertem Wein bewirtet werden," erklärte sie zwinkernd. "Aber dieses Bier hier schmeckt eigentlich auch nicht viel besser. Warm und süffig, wie Pferdepisse." Unbekümmert stürzte ich das tatsächlich ziemlich abscheuliche Getränk herunter und wischte mir grinsend den Mund ab. "So, so, Keena weiß also, wie Pferdepisse schmeckt. Interessant." Sie schüttelte ihre blonde Mähne und gab mir eine spielerische Kopfnuss. Im selben Moment gesellten sich auch Jerali, Brakalu und Gindar wieder zu uns. "Kaum zu fassen," bemerkte Jerali belustigt, "zwei tapfere Kämpferinnen aus Midgard sitzen hier im Grünen und tollen wie die Kinder." Keena zuckte unbekümmert die Achseln. "Wir haben es uns verdient. Andere schlagen sich zum Zeitvertreib ein paar Zähne aus oder saufen, bis sie in Ohnmacht fallen. Aber erstens sind mir meine Zähne dafür zu schade und zweitens haben wir leider nicht genug zu trinken."

Jerali nickte. "Klingt weise." Sie setzte sich hinter Brakalu und begann, die ohnehin halb aufgelösten Zöpfe auseinander zu zupfen und ihm die wirren Strähnen aus dem Gesicht zu streichen. Ich seufzte tief, faltete die Hände vor dem Bauch und lehnte mich wieder zurück. Versonnen sah ich Jerali zu, die in Ermangelung eines Kamms eine Hand zur Klaue formte, und die Finger vorsichtig durch die langen, schwarzen Haare ihres Mündels gleiten ließ. "Und was werdet ihr tun, wenn ihr wieder daheim in Albion seid?" Jerali überlegte, während sie andächtig weiterkämmte, doch Brakalu murmelte: "Ein Bad nehmen, mindestens eine Stunde lang." Gindar grinste. "Das hast du auch nötig. Wie wir alle, fürchte ich. Na ja abgesehen von baden werde ich...jetzt lacht nicht...ein Haus bauen." Er schloss träumerisch die Augen. "Endlich mein eigenes Haus. Nicht, dass ich etwas gegen die Gasthäuser in Cotswold und Camelot hätte, aber ein eigenes kleines Häuschen, komplett mit Garten und allem...ach ja, das hätte was für sich."

Ich schmunzelte. "Warum nicht, daran ist doch nichts verwerfliches." Keena, die einem Firbolg und einem Nordmann beim Armdrücken zugesehen hatte, runzelte plötzlich die Stirn. "Sag mal Llienne, wo ist eigentlich Athriliath? ich hab ihn schon die ganze Zeit gesucht, aber er ist nicht da." Das Lächeln erstarb auf meinem Gesicht und ich wandte den Kopf ab. "Er ist tot. Der Rebellenführer hat ihn umgebracht." Keena ballte kurz die Fäuste. "Dafür wird er bezahlen." Ich nickte, ohne sie anzusehen. "Ich hoffe, dass er das tut. Vor allem, weil es mein eigener Bruder ist, der uns alle verraten hat." Die Valkyn starrte mich an. "Dein Bruder?!" ich schwieg und starrte verbissen zur Erde. Jerali sah zwischen uns hin und her. "Nützt doch nichts, deswegen jetzt in Melancholie zu verfallen," sagte sie gelassen. "Rechnet mit ihm ab, wenn ihr ihm gegenübersteht. Und dann tut es gründlich." Sie flocht Brakalu geschwind zwei neue Zöpfe und schlang dann die Arme um seinen Bauch, woraufhin der Jüngere heftig zusammenzuckte und ein abgehacktes Keuchen ausstieß. Jerali zog sofort die Arme zurück und starrte ihn an.

"So, und nun wirst du mir sofort sagen, was mit dir lost ist. Das ist nun schon das zweite Mal." Brakalu verzog das Gesicht, löste die Schnürung, die seine Tunika an den Seite zusammen hielt und schob sie unwillig ein kurzes Stück nach oben. Jerali beugte sich vor und zog scharf die Luft ein. Ich lehnte mich über ihre Schulter, um auch einen Blick auf die Verletzung -oder was immer es war- erhaschen zu können. Tatsächlich handelte es sich um die Pfeilwunde vom Kampf in der Teleportfestung. Sie nässte leicht, blutete aber nicht, und die Haut um die Schussstelle herum hatte sich stark gerötet. "Verdammt nochmal, wieso hast du denn keinen Ton gesagt?" fauchte Jerali. Brakalu fühlte sich offenbar zurechtgewiesen und senkte den Kopf. Gindar legte der Nekromantin beschwichtigend die Hand auf die Schulter, schob sie mit sanfter Gewalt zur Seite und nahm ihren Platz ein. "Die Wunde ist verseucht, deswegen heilt sie nicht. Tut vermutlich verdammt weh, aber sie wird ihn nicht umbringen. Du hast in letzter Zeit aber auch gar kein Glück, was, Kleiner?"

Brakalu verzog sarkastisch das Gesicht. "Ja, ich glaube, ich werrde mich beschw..." der Rest des Satzes ging in einem gequälten Keuchen unter, als Gindar prompt die Fingerspitzen auf das entzündete Fleisch presste und in voller Konzentration die Augen schloss. Bald wurde der Atem des Inconnu ruhiger und er ließ sich aufseufzend zurücksinken. "Na, so ist es doch schon viel angenehmer, hm?" sagte Gindar freundlich. "Man muss sich nur helfen lassen. Aber das lernst du auch noch." Er tätschelte dem Nekromanten tröstend die Wange und stand dann auf. "Ich werde dir etwas Wein holen, das kann nicht schaden." Ich spürte ein gewisses Bedürfnis und stand verlegen auf. "Und ich werd mich mal kurz unsichtbar machen. Bis gleich." Eilig entfernte ich mich von der Gruppe und tauchte tiefer in den Wald ein. Hinter einem Baum nestelte ich an den Lederschnallen und ließ die Beinlinge sinken. Während ich mich hinhockte und erleichterte, hört ich zwei gedämpfte Stimmen, die offenbar in einen Streit verwickelt waren. Erschrocken zog ich zog ich mein Beinkleid wieder hoch und duckte mich hinter den Baum. Wann würde ich endlich lernen, dass sich lauschen nicht gehörte? aber wie üblich behielt die Neugier die Oberhand.

Vorsichtig schielte ich hinter dem Baumstamm hervor und sah zwei Gestalten, die sich nur wenige Meter entfernt gegenüber standen und heftig diskutierten. Verblüfft erkannte ich, dass es sich bei den Streithähnen um Vewo und Königin Brigit handelte. Vewo hob gerade die Hände, als wolle er die Elfe beruhigen. Ich spitzte die Ohren- das interessierte mich nun doch. "Brigit, ich weiß, wie du dich fühlst. Aber was glaubst du, was passiert, wenn du da einfach reinspazierst und der versammelten Meute die Situation erklärst? entweder wird man dir überhaupt nicht glauben und du endest ebenfalls am Galgen, oder es wird einen Massenaufruhr geben. Dabei könnten viele sterben, dein Sohn mit eingeschlossen. Und dieser falsche Lump hätte die Gelegenheit, sich im allgemeinen Chaos einfach aus dem Staub zu machen." Brigit hörte sich die fast beschwörenden Worte an, ehe sie wild den Kopf schüttelte. "Das mag ja alles sein, aber was glaubst du, was geschieht, wenn ich gar nichts tue und hier herumsitze? ich muss sofort zurück, am besten noch heute Nacht." Als der Berserker sie unterbrechen wollte, hob sie die Stimme, so dass ich sie nun ganz deutlich verstand.

"Spar dir den Atem, Vewo. Ich weiß, du meinst es gut mit mir, aber Zaphykel ist mein Kind, und ich werde ihn retten." Meine Augen weiteten sich leicht, und hastig zog ich mich wieder hinter den Baum zurück.

Vewo, den ich nun nicht mehr sehen konnte, sagte beschwichtigend: "Brigit, hör mir zu..." die Elfenkönigin antwortete nicht, vermutlich brachte sie den Berserker durch eine herrische Handbewegung zum Schweigen. Einen Moment später sagte sie mit schneidender Stimme: "Mehr habe ich nicht zu sagen. Vor Tagesanbruch bin ich zurück in Hibernia. Du solltest dich jetzt besser ausruhen." Nur das Geräusch ihrer sich entfernenden Schritte war noch zu hören. Ich starrte verwirrt auf den Erdboden und versuchte, einen Sinn in dem nur teilweise

belauschten Gespräch zu finden. Zaphykel als Brigits Sohn? soviel hatte ich verstanden. Aber was meinte Vewo, als er die Elfe vor dem warnte, was geschehen würde wenn sie ´einfach da hinein spazieren und die Situation erklären täte´? ich erhob mich vorsichtig. Das musste ich sofort Keena erzählen. Doch ich hatte kaum zwei Schritte getan, als ich auf einen trockenen Ast trat, der natürlich prompt und mit einem deutlichen Knacken unter meinen Stiefeln zerbrach. Ich erstarrte und hörte das klirrende Geräusch von Eisen, das aus seiner Scheide gezogen wird. "Wer ist da, zeig dich!" knurrte Vewo hinter dem Baum. Während ich noch überlegte, ob ich nicht lieber schleunigst abhauen oder mich reuevoll zu erkennen geben sollte, tauchte der junge Mann schon zu meiner linken Seite auf. Erstaunt starrte er mich an, Schwert und Axt noch immer erhoben. "Llienne, was machst du denn hier?" ich schaute mit scheelem Blick auf die beiden Waffen, die keinen Zentimeter wichen. "Ahem, ich...ich musste mich erleichtern und hab euch zufällig...also, ich wollte nicht..." stotterte ich verlegen.

Vewo folgte meinem Blick, schüttelte kaum merklich den Kopf und ließ hastig seine Waffen sinken. Er sah mich einen Moment prüfend an, ehe er sich mit einem schweren Seufzer an dem Baum hinabsinken ließ. "Setz dich. Ich sehe keinen Grund, warum du es eigentlich nicht wissen solltest. Vielleicht fällt dir ja sogar eine Möglichkeit ein, sie zur Vernunft zu bringen." Ich tat, wie mir geheißen, und kreuzte die Beine übereinander, während ich die Arme vor der Brust verschränkte. "Wen meinst du mit sie? Brigit?" Vewo nickte und sah einen Moment in die Richtung, in die die Elfe entschwunden war. "Hast du verstanden, was du da eben gehört hast?" fragte er. Ich schüttelte sachte den Kopf. "Nicht ganz," gab ich zu. Er seufzte nochmals. "Tja, nun, ich wusste zwar, dass Brigit einen Sohn hat...aber ich dachte, er wäre tot. Genau wie sein Vater." Ich sah ihn schweigend an. Vewos Blick verdüsterte sich noch mehr. "Das ist eine lange Geschichte, Llienne. Und eigentlich geht sie weder mich noch dich etwas an. Aber in diesem Falle ist es wichtig. Ohne Brigit werden wir den morgigen Kampf nicht überstehen." Ich schrak zusammen.

"Von was für einem Kampf sprichst du?" der Berserker deutete vage nach Norden. "Unsere Späher haben sie schon bemerkt. Die Rebellenarmee kehrt zurück und sie sehen aus, als hätten sie schon eine siegreiche Schlacht hinter sich, denn bei ihnen waren Verletzte und Gefangene. Sie rasten nur ein paar Stunden entfernt und wenn sie weiterziehen, werden sie uns entdecken. Und dann," fügte er hinzu und seine Brauen zogen sich zusammen, "dann wird es ein Blutbad geben." Ich blinzelte verstört. "Dann müssen wir Brigit zurückholen, ehe sie ihnen geradewegs in die Arme läuft. Und anschließend sofort von hier verschwinden." Vewo schüttelte sachte den Kopf und zu meiner Verwunderung begann er, gedankenverloren zu lächeln. "Das ist ausgeschlossen. Wenn Brigit einen Entschluss gefasst hat, kann keine Macht der Welt sie davon abbringen, zu tun was sie für richtig hält. Oder glaubst du, es macht einen guten Eindruck wenn wir Hibernias Königin in Ketten zu ihnen zurückbringen? anders würde es nicht gehen." Ich studierte aufmerksam sein Gesicht. "Ihr kennt euch wohl schon länger?"

Vewo schwieg einen Moment und machte damit deutlich, dass er über dieses Thema nicht reden wollte. Doch letztlich nickte er knapp, ehe er nach eine weiteren Moment fortfuhr: "Wie auch immer. Ich muss jetzt ein bisschen weit ausholen, es ist wie gesagt eine lange Geschichte. Sie beginnt dort, wo sich Lugh Lamfhota, König von Hibernia, seine Gemahlin Brigit nahm." Er seufzte einmal mehr und zwirbelte an seinem dichten, blonden Bart. "Anfangs brachten wohl nur politische Interessen die beiden zusammen. Lugh Lamfhotas erste Gemahlin war kinderlos gestorben und es wurde dringend Zeit, dass er einen Erben zeugte. Doch," er senkte die Stimme ein wenig, "die beiden...nun ja, lebten und herrschten schon viele Jahre gemeinsam über Hibernia, aber niemals traf die Nachricht ein, auf die sie alle hofften. Bis es eines Tages dann doch geschah und zwar völlig unerwartet. Der Anfang einer mittleren Katastrophe." Ich starrte ihn gebannt an. "Was passierte?"

Vewo starrte zu Boden, und ich dachte schon, er hätte mich vergessen, als sein Kopf sich ruckartig wieder hob und er mich beinahe herausfordernd anfunkelte- als könnte ich etwas dafür, was immer sich vermutlich lange vor meiner Zeit abgespielt hatte. "Ein Kind wurde geboren, ein Sohn, wie ganz Hibernia es sich wünschte. Das Seltsame war, dass der Kleine seinem Vater absolut nicht ähnlich sah. Das machte viele stutzig, doch man nahm es hin. Als der Knabe heranwuchs, wurden die Fragen um seine Geburt immer drängender, Gerüchte entstanden, wie das nunmal so ist. Und dann begannen einige neugierige Seelen, in Sachen zu schnüffeln, die sie eigentlich nichts angingen." Er holte kurz Luft, und sein Blick wurde noch etwas wilder. "Und dabei wurde dann ein ziemlich schmutziges Geheimnis aufgedeckt. Brigit und Lugh hatten feststellen müssen, dass sie beide zusammen niemals ein Kind haben würden, und dass es auch demnach niemals einen rechtmäßigen Erben ihres Blutes für Hibernia geben würde. Da tat Brigit etwas, was genauso irrsinnig wie tapfer war. Hier muss gesagt werden, dass Lugh Lamfhota noch einen jüngeren Bruder hatte, der das höfische Leben, Politik, Macht und Korruption gleichermaßen ablehnte und eine schattengleiche Existenz mitten unterm gemeinen Volk führte. Und Brigit...ging zu ihm." Ich hob beide Augenbrauen. "Sie hat mit ihm...und dabei...?"

Vewo nickte. "Ja, sie haben das Lager geteilt und endlich wurde Brigit schwanger. Sie erzählte Lugh nichts davon, denn wenn das Reich auch dringend einen Erben brauchte, wäre diese Schande die sie ihrem Gemahl damit einbrachte, sein Genickbruch gewesen. Wie gesagt, Zaphykel wurde also geboren und wuchs als rechtmäßiger Thronfolger auf. Als er aber etwa vier oder fünf Lenze zählte, hatten die besagten Schnüffler endlich konkrete Hinweise. Wie sie daran kamen, wurde niemals bekannt, aber das ist ja jetzt auch unwichtig. Lugh befahl, den Kleinen sofort zu...zu beseitigen. Er selbst zog unverzüglich in eine verfrühte Schlacht gegen Albion, um seine Ehre auf dem Schlachtfeld wieder herzustellen oder auf diesem zu sterben. Letzteres war dann der Fall, aber sein Befehl galt noch immer. Sie kamen in der Nacht und wollten Zaphykel umbringen und Brigit überließ ihn meiner Obhut."

Er schwieg, ein Schatten huschte über sein Gesicht, als die Erinnerungen ihn offensichtlich übermannten. Leise fragte ich: "Und was hast du getan?" Vewo schlang die Arme um den Oberkörper, als wäre ihm kalt. "Ich schaffte ihn aus Tir na nOgh und reiste quasi bis ans hintere Ende Hibernias, wo meine Eltern lebten. Sie waren vor langer Zeit nach Hibernia entführt worden wie du, aber damals gab es noch keine Reibereien in Murdaigean und man behielt sie als Arbeitskräfte im Land. Ich wurde als Kind nach Tir na nOgh gebracht und leistete dort Küchendienst. Nur Brigit, die Königin selbst, hatte ab und an einmal ein freundliches Wort oder wenigstens ein Lächeln für mich übrig und darum hatte ich auch das Gefühl, als wäre ich ihr das einfach schuldig." Er lächelte traurig. "Zaphykel war völlig verängstigt und verwirrt und wir erzählten ihm haarsträubende Geschichten und Lügen. Es war ja zu seinem eigenen Schutz, weißt du? keiner hatte bei dem Aufruhr von Lugh Lamfhotas plözlichem Tod an den Kleinen gedacht und ich konnte mich mit ihm ungesehen davonstehlen. Brigit erklärte, sie selbst habe die Blutschande gerächt und ihren Sohn in Danas Schoß geschickt. Danach ging sie freiwillig ins Exil und wurde nie wieder in Hibernia gesehen. Erst Jahre später konnte man Lughs geflohenem Bruder habhaft werden und verbannte auch ihn. Was aus ihm geworden ist, weiß ich nicht."

Ich senkte den Blick. "Ich schon." Und als er mich groß anblickte, erzählte ich ihm, wie ich den verletzten Elfen in unseren Wäldern gefunden und sein letztes Andenken für seinen Sohn an mich genommen hatte.

Vewo nickte. "Das ergibt damit alles einen Sinn. Zaphykel vergaß seine hohe Herkunft und wuchs bei meinen Eltern auf, und die Verräter, die die ganze Sache aufgedeckt hatten, setzten ihr Oberhaupt auf den hibernianischen Thron." Ich starrte finster auf einen imaginären Punkt am Erdboden. "Mikata und ihren Vater." Vewo nickte erneut. "Tja. Sie müssen Brigit irgendwo aufgespürt haben, und als die ersten Unruhen in Murdaigean losgingen, sperrten sie sie dort ein. Denn es hätte ja immer noch mal die Situation kommen können, wo sie sich als wertvolle Geisel entpuppen würde."

Ich stand umständlich auf und klopfte mir Moos und Blätter von der Rüstung. "Wenn Zaphykel jetzt etwas zustößt, dann ist es nur meine Schuld. Er fühlte sich mir gegenüber zu Dank verpflichtet, bloß weil ich ihm seinen verdammten Kristall zurückgebracht habe. Und darum hat er Mikata aus freiem Willen belogen. Ich werde Brigit nach Hibernia folgen," fügte ich beinahe beiläufig hinzu. Vewo riss die Augen auf. "Du bist verrückt! nach allem, was du mir erzählt hast, besteht Mikatas einziger Wunsch wohl nur darin, dir eigenhändig den Kopf abzuschlagen." Ich schüttelte nachdrücklich den Kopf. "Mag sein, dass ihr das gefallen würde, aber sie wird es nicht tun, dafür sorgt mein Bruder schon. Außerdem hatte sie schon genug Gelegeheiten dazu. Ich will nicht in dem Wissen von hier fliehen, dass jemand meinetwegen den Tod findet."

Vewo schwieg ratlos, ehe er hervorstieß: "Hätte ich das gewusst, ich hätt' meinen Mund gehalten. Erst schaffe ich es nicht, Brigit aufzuhalten, und nun willst du dich auch noch in ein völlig irrsinniges Abenteuer stürzen. Du hast jetzt nach all der Zeit die Chance, nach Hause zu kommen. Nutze sie und sei nicht so eine gedankenlose Närrin!" ich maß ihn mit einem abschätzenden Blick und seufzte tief. "Ich will ja auch nach Hause, Vewo, ich will es wirklich. Aber...ich kann nicht." Der Berserker hatte die Stirn in tiefe Falten gezogen und seufzte erneut, diesmal sehr tief. "Ach zur Hölle damit, ich kann dich ja verstehen. Doch um diesen Irrsinn mit wenigstens dem Hauch einer Chance anzugehen, brauchen wir Brigit." Ich runzelte die Stirn: "Aber du hast doch eben noch gesagt, dass..." ruppig fiel er mir ins Wort: "Das weiß ich. Aber was meinst du, was passiert wenn zwei Midgarder in Hibernia einfallen und..." er unterbrach sich ungeduldig. "Das können wir vergessen." Ehe ich antwortem konnte, wehte aus unserem Lager ein lauter Schrei zu uns herüber: "Die Rebellen! wir werden angegriffen!" Vewo sprang so heftig auf, dass seine Schulter über den Baumstamm schrammte und ein paar kleinere Zweige losriss. "Die Rebellen? jetzt schon?" fragte ich halb entsetzt, halb zornig. Umso besser, zischte eine Stimme in meinem Inneren. Mit etwas Glück würde Mikata dabei sein. Und dann... ich knirschte mit den Zähnen und schloss die Rechte um den Schaft meiner Axt. Mit sturmumwölkten Gesicht folgte ich Vewo, der im Laufschritt unser Lager ansteuerte.

Eins. Zwei. Drei

"Der Regen, das Blut, die Schreie, soviel Schmutz und Elend und überall Stahl und Schreie. Ich glaube, an diesem Tag sind die Götter zu uns gekommen und haben mitgespielt."

Bericht eines Überlebenden aus einem schon vor langer Zeit gekämpften Krieges
 

Der Kampf hatte noch nicht begonnen, als wir eintrafen. Hibernianer, Midgarder und Albioner, die zu uns gehörten, hatten sich auf irgend einen Befehl hin in drei ordentlichen Reihen aufgestellt und blickten starr geradeaus, wo ihnen es die Rebellen gleich getan hatten. Zahlenmäßig würden sich beide Parteien in etwa gleichen, wie ich nach einem prüfenden Blick feststellte. Aber wir hatten überwiegend entmutigte Gefangene, von denen einige sehr lange keine Waffe mehr in den Händen gehalten hatten. Die Feinde hatten gerade eine Schlacht hinter sich und verspürten noch immer Blutdurst, was in ihren in wilder Vorfreude und vor Wut verzerrten Gesichtern recht deutlich zu lesen war. Ich blickte mich um und entdeckte Keena, Brakalu, Jerali und Gindar. Für einen kurzen, unangebrachten Moment schwoll mein Herz vor Zuneigung regelrecht an. Sollten wir alle oder einer von uns fallen, dachte ich beklommen, möchte ich euch in einem anderen Leben wiedertreffen, bitte. Rasch verscheuchte ich den Gedanken und schalt mich in Gedanken eine Närrin: noch stehen wir alle fest auf den Beinen, Mädchen. Reiß dich bloß zusammen. Zauber wurden gesprochen, Waffen gezückt und die Unruhe unter den Männern und Frauen wuchs merklich. Schließlich löste sich eine hochgewachsene, schwarzgekleidete Gestalt aus der vorderen Feindesreihe und trat zwei Schritte vor. Obwohl der Mann eine schwarze Gesichtsmaske trug und die Kapuze übergestülpt hatte, wusste ich, dass es sich um meinen Bruder handelte. "Verräter," sagte der Mann, und obwohl er nicht sehr laut gesprochen hatte, wurde es schlagartig still, so dass auch der letzte seine Stimme vernehmen konnte. "Ihr sollt diese heutige Narrentat bitter bereuen. Es wäre für euch alle besser gewesen, ihr wärt in euren Käfigen geblieben. Nun werdet ihr sterben." In seiner Stimme schwang fast so etwas wie Bedauern mit und ich verspürte eine wilde Wut. Er spricht mit uns, als wären wir verlauste Tiere, dachte ich schäumend. Niedere Existenzen, die er mit dem Stiefel treten kann. Das soll er büßen.

"Und Ihr macht Euch lächerlich, Jungchen," erklang plötzlich die schneidende Stimme einer Frau. Alle wandten den Kopf und sahen Brigit, die ohne eine Spur von Furcht durch die schmale Gasse schritt, die sich durch die fest wie Bäume stehenden Reihen gebildet hatte. In der Mitte blieb sie stehen, drehte sich bedächtig um und betrachtete Storvag, obwohl sie sein Gesicht wohl ebenfalls nicht sehen konnte. "Und du wagst es, das Wort ´Verräter´ in den Mund zu nehmen?" fragte sie spöttisch. Mit einer herrischen Geste wandte sie sich an die Hibernianer, die hinter Storvag standen. "Denn Verräter seid nur ihr. Ich bin die rechtmäßige Königin Hibernias und ihr alle habt mich und euer Land aufs schändlichste enttäuscht." Ihre Worte blieben nicht ganz ohne Wirkung, wie ich erstaunt feststellte: mehr als nur einer der Hibernianer war bei ihren Worten wie unter einem Peitschenhieb zusammengefahren, viele scharrten nervös mit den Füßen und nur die allerwenigsten vermochten ihrem durchdringenden Blick standzuhalten.

Brigit gab ihnen einen Moment, um die Worte zu verarbeiten, ehe sie im selben Tonfall fortfuhr: "Doch Hibernias Königin war und ist nicht bekannt für Rachsucht. Ich biete es euch jedoch nur einmal an. Besinnt euch und tretet an meine Seite. Ich will niemanden bestrafen. Ich will das Land wieder zusammenführen. Der Krieg untereinander soll und muss aufhören. Was sagt ihr?" sie schwieg einen Moment, und die darauffolgende Stille war beinahe unerträglich. "Was sagt ihr?" rief sie erneut, mit einer Stimme so kalt und scharf wie geschliffenes Eis. Storvag lachte höhnisch, doch ganz echt klang es nicht- selbst er blieb von der Autorität Brigits nicht gänzlich unbeeindruckt. "Sie werden gar nichts sagen, Elfe. Du sollst vielmehr spüren, was sie davon halten. Aber du kannst gut reden, Elfe, das muss er Neid dir lassen. Und darum biete nun ich dir etwas an. Lass uns doch testen, wer der Bessere ist. Bist du nach all den Jahren noch stark genug, um überhaupt jemanden zu führen?" seine Stimme wurde lauter und eine Spur gehässiger, sein gesamtes Selbstvertrauen war wieder da: "Komm und kämpfe mit mir, Brigit, ehemalige Herrscherin Hibernias. Nur du und ich, danach sollen unsere Untergebenen selbst entscheiden, ob sie noch eine Schlacht wollen oder nicht." Ich betrachtete Brigit und Storvag mit so etwas wie morbider Faszination. Beide strahlten Kraft und Sicherheit aus. Sie waren vielmehr kaum gezähmte Kräfte als normale Sterbliche und ich wusste nicht zu sagen, wem ich in einem Kampf die größeren Chancen einräumen würde.

"Was ist, Elfe?" fragte Storvag dröhnend, als Brigit einen Moment zögerte. "Verlässt dich da plötzlich der Mut?" Brigits Augen funkelten vor Kriegslust. "Verfluche den Tag, an dem du mich getroffen hast, Bengel," sagte sie kalt. "Denn der heutige wird dein letzter sein." Sie scheuchte die Hibernianer, die sich um sie drängten, mit einer befehlenden Geste zurück. Storvag nahm die Kapuze ab und löste auch die Maske von seinem Gesicht. Wortlos fixierte er die Elfenkönigin und flüsterte einem der Hibernianer knapp hinter sich etwas zu, woraufhin der junge Elf hastig nickte und in der Menge verschwand. "Ich schätze, du möchtest eine Waffe deines Reiches in den Händen halten?" fragte Storvag. Brigit erwiderte seinen Blick starr. "Womit ich dir den Kopf abschlage, ist mir im Prinzip egal," erwiderte sie schlicht. Storvag lachte leise. "Wir werden sehen."

Die Stille hüllte uns ein wie ein Laken aus Nebelschwaden. Langsam wichen sowohl die Gefangenen als auch die Rebellen zurück und bildeten einen großzügigen Kreis, in dessen Zentrum Brigit und Storvag standen. Die Elfenkönigin nahm mit unbewegtem Gesicht einen gewaltigen Zweihänder entgegen, welchen ihr der von Storvag fortgeschickte Elf gesenkten Blickes überreichte. Zu meiner leisen Verwunderung löste Storvag seine midländischen Waffen vom Gürtel, warf sie achtlos hinter sich und ließ sich ebenfalls ein hibernianisches Schwert reichen. Um seinen Mund spielte der Hauch eines Lächelns und in seinen Augen bemerkte ich ein bis dato nie dagewesenes fanatisches Funkeln. Er ist verrückt, dachte ich flüchtig, während eine unsichtbare Hand sich kalt um meine Kehle legte. Vollkommen besessen von diesem Krieg, von dem keiner weiß, wozu er gut ist. "Wir haben lange genug gewartet," sagte Storvag ruhig und verneigte sich, noch während er sprach. Brigit antwortete nicht, vollführte jedoch ebenfalls eine knappe Verbeugung und der Kampf begann ohne weiteres zögern. Storvag stürzte mit einem einzigen Satz auf die Elfe zu, so schnell und geschmeidig, dass er sein leicht schwerfällig anmutendes Äußeres Hohn strafte. Brigit war auf die Attacke jedoch vorbereitet, hob ihre Klinge und parierte den Hieb.

Die Waffen klirrten unter der Wucht und beide Kontrahenten wichen wieder etwas zurück. Langsam, wie Raubtiere, begannen sie sich zu umkreisen, wobei jeder die Waffe fest mit beiden Händen gepackt und angriffsbereit hielt. Ich begriff-sie wollten jeder zunächst nur einen Eindruck vom Können des anderen gewinnen. Storvag stieß einen tiefen, grollenden Ruf in unserer Muttersprache aus und gab seine Passivität auf. Die Klinge leicht hin und her bewegend, trieb er Brigit vor sich her und drängte sie langsam an den Rand des Kreises. Meine Unruhe wuchs und ich spürte kurz ein unagenehmes Ziehen im Bauch. Brigit ließ sich jedoch beinahe ruhig in die von Storvag gewünschte Position manövrieren, ehe sie einen blitzschnellen Ausfallschritt zur Seite tat und sich in der selben Bewegung drehte.

Ihr Schwert blitzte auf, und Fetzen von schwerem, vernarbten Nietenleder flogen in die Luft. Ich blinzelte dümmlich und erkannte erst jetzt, was passiert war: die Elfe hatte den ersten Treffer gelandet, mein Bruder war verwundet. Unter den Gefangenen brach kurz Jubel los, ich hingegen schwieg. Storvag zögerte kurz. Die Verletzung war nicht schwerwiegend, seine Rüstung hatte einen Teil der Wucht abgefangen und die Klinge war lediglich über seine Schulter geschrammt und hatte einen flachen, harmlosen Schnitt hinterlassen. Dennoch wirkte der Berserker über den Umstand, dass er verwundet worden war, milde erstaunt. Mit einem anerkennenden Nicken fasste er sein Schwert fester und setzte Brigit nach- der Kampf wurde ernst.

Ich fuhr jedes Mal zusammen, wenn die schweren Klingen kreischend und funkensprühend aufeinander trafen, wenn die Kämpfenden unter den Stößen ihrer eigenen Wucht zurücktaumelten und sich verbissen wieder attackierten. Ganz wie in den völlig überzeichneten Abenteuergeschichten fauchte plötzlich ein kalter Windzug über den Kampfplatz und der Himmel wurde dunkler- die Luft roch nach Regen. Ich begann zu frösteln, auf Storvags und Brigits Gesichtern hingegen glänzte feiner Schweiß. Wie lange der Kampf inzwischen dauerte, konnten nur die Götter wissen. Und endlich beginn Storvag einen schwerwiegenden Fehler. Brigit hatte ihr Kampftempo merklich gesenkt, parierte schwerfälliger und wich immer häufiger zurück und mein Bruder deutete dies als eindeutige Zeichen von Erschöpfung.

In seinen Augen glomm bösartiger Triumph auf, er hob sein Schwert höher und sprang auf Brigit zu. Die Elfe fixierte ihn aus halbgeschlossenen Augen, ließ ihn gefährlich nahe an sich herankommen- und führte einen Streich, den man mit dem bloßen Auge kaum mehr verfolgen konnte. Storvag grunzte überrascht, seine Augen wurden größer. Ohne alle Eleganz taumelte er an Brigit vorbei- um dann dennoch seine Klinge herumschnellen zu lassen. Die Menge hielt den Atem an, nur ein fernes, dumpfes Grollen erscholl vom Himmel. Brigit stand still und hoch aufgerichtet, ehe ihre linke Hand mit den verbliebenen drei Fingern sich hob und zögerlich über ihre Seite strich, wo die schwere hibernianische Klinge einen gezackten Riss hinterlassen hatte. Storvag schwankte noch immer, presste eine Hand auf die Brust und brach endlich in die Knie. Noch immer war es gespentisch ruhig.

Dann begann die Rebellenarmee wie auf ein unsichtbares Kommando hin bedrohlich zu raunen, es klang nach einer Horde verärgerter Schlangen. Die Gefangengen hingegen blieben still, offenbar starr vor Entsetzen. Nur einer stieß plötzlich einen lauten Schrei aus und ein einzelner Pfeil sirrte aus unseren Reihen, traft Storvag in die Schulter und schmetterte ihn zu Boden. Mein Kopf ruckte herum und ich sah Feeyas, der zwei Schritte aus der Masse hervorgetreten war und meinen Bruder mit weit aufgerissenen Augen anstarrte. Sein Blick ließ mich abermals frösteln- kaum mehr Wahnsinn stand darin, dafür umso mehr Rachsucht. Als wäre dies das endgültige Zeichen gewesen, brach auf dem Platz die Hölle los. "Für die Königin!" brüllten die Hibernianer, die uns begleiteten. In diesen Schlachtruf stimmten die Vertreter der anderen Völker zwar nicht ein, doch auch sie hoben Waffen und Hände und stürzten sich mit grimmigen Gesichtern in den Kampf.

Die Rebellen schienen für einen Moment verdutzt, mit einem solchen Kampfgeist derer, die noch vor kurzem verschüchtert in tiefen Kellergewölben gehockt hatten, hatten sie offenbar wirklich nicht mehr gerechnet. Nur zu schnell wurden sie eines Besseren belehrt. Wie bei Feeyas loderte den Gefangenen der Rachedurst aus den Augen, und ehe die Rebellen wussten wie ihnen geschah, waren die Angreifer unter ihnen und schlugen bereits wütend auf sie ein.

Ein Kelte stürmte, Schwert und Schild angriffsbereit erhoben, direkt auf mich zu. Ich duckte mich unter seinem Hieb und war für einen Moment wie zerrissen. Dies war mein erster wirklicher Kampf und diesmal war es weder ein Spiel, noch ein Rachefeldzug an den Morvaltar oder ein ehrenloser Trainingskampf gegen Mikata. Ich würde jetzt entweder sterben oder kämpfen müssen. Nach einem halben Herzschlag kam ich zu dem Entschluss, dass ich Letzteres deutlich vorzog. Mit fest zusammengekniffenen Lippen schnellte ich wieder hoch und schleuderte dem Mann meine Kriegsschreie entgegen. Er prallte zurück, starrte mich einen Moment an und griff knurrend wieder an. Ich verengte die Augen und schaffte es erneut, einem seiner Hiebe auszuweichen. Er fluchte, holte ein drittes Mal aus- und stürzte mit weit aufgerissenen Augen zu Boden, während sein Mund ein perfektes O formte.

"Was machst du denn da?" schrie Vewo, der ihn niedergestreckt hatte. Er schüttelte kurz den Kopf und verschwand wieder in der Menge. Ich blickte mich wild um und gewahrte für einen Moment Keena, die mit einem Troll und einem Nordmann gleichzeitig kämpfte. Wir tun das wirklich, schoss es mir durch den Kopf. Midgarder bekämpfen Midgarder. Wir bringen uns gegenseitig um! mit einem hellen Schrei stürzte sich eine braunhaarige Elfe auf mich und schwang gleich zwei Schwerter. Ich stolperte nach hinten, während die Klingen pfeifend die Luft zerschnitten, wo noch eben mein Gesicht gewesen war. Die Elfe wollte erneut ausholen, doch eine schimmernde blaue Kugel schoss genau über den Kopf eines Nordmanns hinweg und fegte die Frau einfach von den Füßen. Die Magier, die zu uns gehörten, hatten sich ein Stück vom eigentlichen Schlachtfeld zurückgezogen und wirkten im Hintergrund ihre Zauber. Ein vielstimmiger Aufschrei erscholl, als erneut ein tiefes Grollen vom Himmel kam und mit ihm eine Masse lodernder Speere, welche mit furchtbarer Wucht mitten auf die Wiese stürzten. Die feindlichen Magier folgten dem Beispiel und mir schien es wirklich, als würde die Erde beben. Ich spürte, wie jemand von hinten gegen mich prallte und fuhr mit einem Aufschrei und erhobener Axt herum. Gindar starrte mich aus großen Augen an, er atmete bereits schneller. Vor Erleichterung nickte ich ihm zu und er wurde wieder von der Masse verschluckt.
 

Die ersten Regentropfen fielen vom Himmel und verdampften in den Flammen, die bereits an vielen Stellen das trockene Gras verbrannten. Die Schreie der Kampfeswütigen und die der Verletzten erfüllten die Luft, ebenso das beständige Toben der vielen Zauber und die Geräusche des Himmels, die sich inzwischen zu lauten Donnerschlägen gesteigert hatten. Alles floss ineinander und verschmolz zu etwas Gigantischem, Unbezwingbarem. Plötzlich schienen die Rebellen einen neuen Plan gefasst zu haben, denn sie ließen die Waffen sinken und begannen, sich in Richtung Wald zurückzuziehen. Schreie und Spottrufe wurden laut und ein paar Einzelne, die noch wie besessen vom Blutdurst waren, setzten ihnen nach. Ohne zu wissen, was ich tat, kreischte ich so laut ich nur konnte: "Bleibt hier! das ist eine Falle, verdammt noch mal, bleibt zusammen!" Gindar, Jerali und Brakalu stolperten aus der Masse auf mich zu. Bis auf Kratzer und harmlose kleine Schnitte schienen sie unverletzt. "Verflucht nochmal, was machen diese elenden Idioten da?! Llienne, Llienne...bist du in ordnung?" Keena stürzte auf mich zu. Ihr blondes Haar war wild zerzaust und hing ihr ins Gesicht, und ihr fehlte die oberste Spitze vom rechten Ohr, was sie allerdings gar nicht zu bemerken schien. Ich starrte sie an. "Ja, mir gehts gut, und euch?" Jerali und Brakalu nickten nur, sie waren wieder in Schattengestalt und ihren abscheulichen Dienern schien ebenfalls nichts zu fehlen. Auch Gindar nickte. "Alles nicht der Rede wert. Aber was in Gottes Namen ist denn jetzt los?" während er sprach, wandte er sich unaufgefordert Keena zu und hantierte an ihrem Ohr. Sie zuckte mit demselben, ließ ihn aber gewähren.

"Sie ziehen sich mit ziemlicher Sicherheit in die Festung zurück und von da sind sie uns überlegen," antwortete sie grimmig. Ich stöhnte leise. "Und die Leute rennen ihnen blind nach. Wir müssen sie aufhalten!" Keena lächelte ohne eine Spur von Humor. "Du willst sie aufhalten? sie, die sie grad im absoluten Rausch sind? na, dann mach mal, viel Glück." Ich seufzte tief und Keena klopfte mir auf die Schulter. "Na komm schon, Llienne." Ich nickte, wandte mich aber zögernd wieder dem Schlachtfeld zu. "Ich komme gleich, wartet nicht auf mich." Die anderen schienen von der Vorstellung wenig angetan. "Du weißt nie, wer da noch im Dreck liegt und nur die Leiche spielt!" warnte Jerali. "Sei nicht dämlich und komm mit." Ich funkelte sie an, und zu meiner Überraschung verstummte sie. "Gleich," sagte ich kühl. "Ich hol euch mühelos ein, sei versichert." Und damit ließ ich sie stehen.

Langsam ging ich zum nunmehr verlassenen Kampfplatz zurück. Ich brauchte einen Moment, ehe ich feststellte, dass die leisen, zischenden Geräusche mein schweres ein- und ausatmen waren. Der Anblick war erschütternd. Waffen steckten in der Erde, welche aufgewühlt war und an nicht wenigen Stellen noch immer brannte. Dazwischen lagen überall reglose Körper. Mein Herz hämmerte heftig, als ich einen großen Schritt über den gefallenen Leib eines Trolls tat und mich suchend umschaute. Etwas kratzte an meinem Stiefel und ich schrie leise auf. Zu meinen Füßen lag eine schwach zuckende Keltin. Ihr dunkles Haar war von Blut verkrustet und ihr rechtes Auge starrte mich hilflos an, während das linke überhaupt nicht mehr vorhanden war, stattdessen zeigte sich dort eine scheußliche Wunde, die mit Dreck und Blut zur Unkenntlichkeit verschmiert war. "...hi...fe, bi...te!" krächzte die Frau. Sie konnte sich offenbar nicht mehr rühren, denn ihr Kopf lag ruhig im zertrampelten Gras, nur das verbliebene Auge bewegte sich hektisch und fixierte mich dann wieder. Ich hatte kurz die Befürchtung, mir müsse sich der Magen umdrehen. "Ja," sagte ich leise. "Ich helfe Euch."

Ob die Keltin meine beinahe geflüsterten Worte überhaupt noch verstanden hatte, bezweifelte ich, doch mein beruhigender Ton schien zu wirken- trotz ihrer Qual schlich sich ein verkrampftes Lächeln auf ihre Lippen. Zitternd hob ich meine Axt und tat, was ich versprochen hatte.

Mit einem noch stärker revoltierenden Magen fuhr ich mit der Suche fort, doch ich brauchte dann tatsächlich volle fünf Minuten, ehe ich Storvag zwischen all den Gefallenen gefunden hatte. Er war auf die Seite gefallen, eine Hand hatte sich in ein paar Grasbüschel verkrallt, die andere lag schlaff über seiner Brust, auf der das Blut langsam trocknete. Mit weichen Knien hockte ich mich neben ihn und strich ihm die rotbraunen Haare aus der Stirn. Seine Augen waren geschlossen, das Gesicht wächsern. "Storvag," sagte ich heiser, und danach fiel mir erst einmal nichts Gescheites mehr ein. Ich betrachtete das Gesicht meines Bruders. Jetzt, da es entspannt war und nicht von einem boshaften Lächeln verunstaltet, wirkte es jung. Sehr jung sogar. "Storvag," sagte ich wieder. "Damals trugst du noch keinen Bart. Und damals haben wir auch nicht gegeneinander gekämpft."

Die Worte waren so überaus idiotisch und sinnfrei, dass mir ein trockenes Kichern die Kehle empor kroch, während mein Blick zu verschwimmen begann. Plötzlich näherten sich leise Schritte hinter mir. Ich blieb einen Moment sitzen, federte dann jedoch in einer einzigen Bewegung hoch und wirbelte herum. Meine blutbesudelte Axt war nur Zentimeter von Brakalus Kehle entfernt. Ich gab ein ersticktes Keuchen von mir und ließ die Waffe fallen. Der Nekromant zeigte sich nicht im mindesten erschrocken, sah mich nur ernst an und ließ sich dann neben mir auf der Erde nieder. "Bist du wahnsinnig?" fauchte ich. "Ich hätte dir..." Brakalu hob kurz die Schultern. "Ja. Aberr du hast ja nicht." Fassunglos wandte ich den Blick wieder ab und löste Storvags Hand vom Grasbüschel. Sie war noch warm. "Warum hat er das getan, Braka?" fragte ich leise. "All dies...es war...er wollte es so. Oh verdammt, er ist mein Bruder...war mein Bruder. Und ich kann ihn noch nichtmal in Schutz nehmen. Warum hat er das getan?" statt zu schreien, wurde meine Stimme leise. Brakalu legte den Kopf schräg und betrachtete den Leblosen aus halbeschlossenen Augen. "Ich weiß es nicht," sagte er. "Aberr du hast an all dem keine Schuld." Ich legte vorsichtig Storvags Hand zurück und ließ sie los. "Wirklich nicht?" fragte ich leise. "Ich habe all das angefangen. Der Ausbruch, die Flucht, die...die...alles einfach. Ich bin schuld, dass Athriliath sterben musste, dass du fast sterben musstest, all das...oh..." ich wusste nicht mehr weiter und schlug die Hände vor das Gesicht. Statt mir Trost zu spenden, seufzte Brakalu leise. "Athrriliath wusste, was err tat. Und diesen Kampf solltest du nicht bedauerrn."

Mein Kopf ruckte hoch und nun konnte ich endlich doch schreien. "Ach nein? sollte ich nicht? so viele sind heute gestorben und viele werden heute noch sterben. Mein Bruder ist tot! wie soll ich meinen Eltern jemals wieder unter die Augen treten? einfach alles ist schief gegangen, die ganzen vergangenen Monate, einfach alles!" ich brüllte ihn hemmungslos an und irgendwie tat es gut. Brakalu betrachtete mich aufmerksam. "Wirr und all die Gefangenen aus Murrdaigean haben heute durrch dich ihrre Frreiheit errlangt. Du sagtest doch selbst...es sind tapferre Rrecken. Glaubst du nicht, dass sie den Heldentod hierr dem Dasein im Kerrkerr vorrziehen?" ich stutzte kurz und gab mir Gelegenheit, das Gehörte zu überdenken. Ich begann mich zu schämen, denn der Nekromant hatte Recht. Das hatte ich gesagt, ja. Und vermutlich dachten die nunmehr Befreiten wirklich so. Aber ob es den Heldentod, von dem Brakalu sprach, wirklich gab- das wagte ich inzwischen zu bezweifeln. Vielleicht lag es auch nur an meiner Erschöpfung und dem Umstand, dass es meine erste Schlacht war, nämlich, dass ich einen für eine stolze Midgarderin reichlich untypischen Gedanken pflegte: All die Schlachten zwischen den Reichen sind einfach nur sinnlos. Ich erschauderte und rieb mir über die Augen. "Ja," sagte ich heiser. "Stimmt vermutlich. Bitte entschuldige, dass ich dich angeschrien hab." Brakalu nickte und wollte antworten, doch plötzlich wurden seine Augen groß.

Ich folgte seinem Blick und bemerkte Brigit, die ebenfalls zu Boden gestürzt war. Ich seufzte tief und zuckte in der selben Sekunde zusammen, als die Elfenkönigin sich schwach bewegte und versuchte, sich auf die andere Seite zu drehen. "Meine Güte, sie lebt noch!" ich rappelte mich auf und stürzte zu ihr. Tatsächlich, Brigit hielt die Augen geschlossen, aber ihr rauher Atem ging verhältnismäßig kräftig und ihre linke Hand, die noch immer ihre verletzte Seite umklammert hielt, zuckte schwach. Ich hatte keinerlei Erfahrungen als Heilkundige, doch ich hob vorsichtig ihren Kopf an und winkte Brakalu zu mir herüber. "Pass auf sie auf. Ich werde zur Festung laufen und Hilfe holen." Der Nekromant nickte folgsam, ging in die Hocke und ich bettete Brigits Kopf auf seinen Schoß. "Beweg dich nicht, ich bin gleich wieder da!" sagte ich, stimmte das Reiselied der Skalden an und beeilte mich, in Richtung Festung zu stürzen.

So schnell mich meine Füße trugen, hetzte ich nach Norden.
 

Als ich näher kam, sah ich, dass die Schlacht bereits wieder im Gange war. Der Lärm der Kämpfenden wehte zu mir herüber und von irgendwoher stieg Rauch auf. Die Rebellen hatten sich ausnahmslos ins Innere der Festung zurückgezogen. Nur die Magier erschienen hin und wieder kurzzeitig auf den Zinnen, um sich hastig wieder in Sicherheit zu bringen, da man sie bereits mit einem Pfeilhagel begrüßte. Auch der ein oder andere Schleicher wagte sich dann und wann vor das Tor, um einen heimtückischen Angriff zu starten und wieder wie eine Maus im Dunkeln zu verschwinden. Der Regen stürzte inzwischen mit grimmiger Entschlossenheit vom Himmel und wurde von gelegentlichen Donnerschlägen und Blitzen begleitet. Schlamm spritzte auf, als ich über die offene Grasebene zum Fluss und der darüber führenden Brücke eilte. Unsere Krieger besaßen keinerlei Kriegsmaschinerie wie beispielsweise ein Katapult und das große, beschlagene Einganstor war äußerst widerstandsfähig, doch die Männer und Frauen schlugen wütend mit allem darauf ein, was sie zur Hand hatten. Ich entdeckte Vewo, der sein Schwert gegen eine zweie Axt getauscht hatte und mit beiden Waffen voller Zorn das Tor bearbeitete, in vorderster Reihe.

Sein Gesicht war zur Grimasse verzogen und seine Knöchel traten weiß hervor, so fest umklammerte er die Axtstiele. "Vewo," rief ich über das allgemeine Getöse und bahnte mich durch die Leiber nach vorn. "Vewo!" er wandte nur den Kopf und starrte mich verärgert an, ohne auch nur einen Moment in seiner Tätigkeit inne zu halten. "Verdammt, was ist denn?" fragte er unfreundlich. Er blutete aus einem Schnitt am Mundwinkel und sein linker Oberarm wurde von einer hässlichen, handtellergroßen Verbennung verunziert. "Brigit," keuchte ich, "Brigit lebt noch! ich brauche Hilfe!" er ließ seine Waffen fallen. Wilde Hoffnung glomm in seinen Augen auf. "Sie lebt?" fragte er heiser und packte mich so fest bei den Schultern, dass ich meinte, den Griff durch mein Kettengeflecht zu spüren. "Ja, aber ich weiß nicht, wie schwer sie verletzt ist. Brakalu ist bei ihr." Vewo brüllte irgend einen Namen, und auf seinen Ruf hin erschien ein gedrungener Zwerg in einer dunkelgrünen Kettenrüstung. Er keuchte leise und rote Flecken blühten auf seinen Wangen. "Was gibt es?" Vewo nickte herrisch in meine Richtung. "Die Elfenkönigin lebt noch. Wir müssen sie sofort in Sicherheit bringen und sie behandeln." Der Zwerg nickte."Dann führt mich zu ihr, Beeilung!"

Die magischen Melodien meines Reiselieds fuhren nun auch meinen Begleitern in die Beine und flink wie die Hasen rannten wir über die Brücke und in Richtung Schlachtfeld. Der rote Bart des Zwergs flatterte im Gegenwind und er jauchzte leise. "Aaah, ich weiß schon, wieso ich es liebe, mit den Skalden zu reisen!" seine Worte wurden vom Donnergrollen und dem peitschenden Regen beinahe verschluckt, dennoch konnte ich sie verstehen und musste sachte schmunzeln. Das Grinsen gefror mir auf dem Gesicht, als wir die ersten Toten im Schlamm liegen sahen. Ich kniff die Augen zusammen, schüttelte mir das Wasser aus dem Gesicht und sah mich um. "Es war doch gleich hier, ich verstehe das nicht..." der Heiler stieß einen überraschten Laut aus. "Was ist das?" er deutete nach vorn und ich folgte seinem Blick. Am Waldrand sah ich eine reglose Gestalt liegen, so verdreckt von Schlamm, dass ich ihre Gestalt nicht identifizieren konnte. Daneben hockte -ebenfalls vor Schmutz starrend- Brakalu, der sich wie zum Schutz vor dem oder der Bewusstlosen aufgebaut hatte. Und eine dritte Person, die uns den breiten Rücken kehrte.

Ich hatte eine leise Ahnung, um wen es sich da handeln konnte, aber das war doch völlig unmöglich...Vewo sog zischend die Luft ein. "Das ist Brigit!" er stürmte vorwärts, und der Heiler und ich bemühten uns, ihm zu folgen. "Hey!" brüllte Vewo, kam schlitternd und nach allen Seiten Matsch verspritzend zum stehen und packte den Fremden bei den Schultern. "Was zum Teufel geht hier vor?" Brakalu sah ihn mit großen Augen an, er wirkte leicht desorientiert und blinzelte in einem fort. Mit dem Regen rann ein feiner Blutstrom aus einer üblen Platzwunde an seiner Schläfe. "Achtung," sagte er matt. Der Fremde hob den Kopf, schlug den Kapuzenumhang zurück und betrachtete Vewo abschätzend. Der Berserker fuhr zurück. "Ihr?!" stieß er hervor. "Ich." Storvag nickte ungerührt, doch die herablassende Geste konnte nicht verbergen, dass er entkräftet war und vermuttlich starke Schmerzen litt. Ich starrte ihn fassungslos an und ihm gelang ein schwaches Lächeln. "Hallo, Schwesterchen. Ich musste mich eben wirklich zusammenreißen, du kannst ja überraschend rührselig werden." Hilflosigkeit, gepaart mit eisiger Wut, wallten in mir auf. Ohne nachzudenken, was ich tat, war ich mit zwei-drei Schritten bei ihm und gab ihm eine laut klatschende Ohrfeige.

"Bei allen Göttern, Storvag! was ist nur mit dir passiert?! wieso tust du dies alles? du wolltest mir den Grund nennen. Sag es mir! sofort!!" ich beachtete die anderen überhaupt nicht mehr und packte meinen Bruder bei den Schultern, wobei ich die Pfeilwunde vergaß, die Feeyas ihm beigebracht hatte. Er schrie leise auf und ich sah frisches Blut zwischen meinen Fingern hervorquellen. "Helft ihm," fuhr ich den Heiler an, der ein paar Schritte hinter uns stand und die Szene reichlich hilflos verfolgte. Der Zwerg zögerte, und ich sprang auf. "Los!" meine Stimme knallte wie ein Peitschenhieb und mein Atem kam rauh und keuchend. Vewo nickte kaum merklich. "Tut, was sie verlangt." Der Heiler trat nervös näher, er hatte meinen Bruder sehr wohl erkannt. "Setzt Euch," befahl er unbehaglich. Storvag grinste knapp. "Ich werde es überleben. Die Elfe sollte Eure Hauptsorge sein." Es folgte einen Moment ratloses Schweigen, und ich nickte unwillig. Der Heiler stapfte sofort zu Brigit hinüber und ließ sich neben ihr auf ein Knie nieder. "Hier kann ich sie unmöglich behandeln," sagte er kopfschüttelnd. "Viel zu viel Unrat. Schmutz und Gifte könnten in ihre Wunden gelangen und das Blut verseuchen." Brigit stöhnte leise und schlug plötzlich die Augen auf. Als ein Regentropfen ihr prompt in die selben fiel, knurrte sie protestierend und blinzelte heftig. "Wieso bin ich so dreckig?" fragte sie unvermittelt, wollte sich aufrichten und sank stöhnend zurück. Der Heiler bedeutete ihr mit einer raschen Handbewegung, ruhig zu liegen. "Wir dachten, Ihr wärt tot, MyLady. Dieses Mädchen hat Euch gefunden." Sie folgte seinen Augen und lächelte mich schwach an. "Du schon wieder, hm? allmählich stehe ich...wirklich tief in deiner Schuld."

Ich verzog die Lippen zu einem kurzen, krampfhaften Lächeln und wandte mich dann wieder Storvag zu. "Wie du siehst, müssen wir um unsere Hauptsorge nicht mehr bangen," sagte ich schroff. "Also hast du nun Gelegenheit, mir verdammt nochmal zu erzählen wieso du diesen...diesen dreimal verdammten Irrsinn hier angefangen hast!" meine Augen loderten und ich verspürte wieder einen heftigen Drang, Hand an ihn zu legen, beherrschte mich jedoch. Storvag maß mich von Kopf bis Fuß. "Wie selbstsicher und erwachsen du in all der Zeit geworden bist," sagte er.

"Lenk nicht ab!"

"Tue ich keineswegs, Schwesterchen. Das ist so. Ich bin beeindruckt."

"Storvag!" ich wusste kaum mehr weiter, doch ich befürchtete, gleich an meinem Zorn zu ersticken. Selbst in so einer erbärmlichen Lage schaffte der elende Kerl es noch, mich aus dem Konzept zu bringen. "Sag es mir," sagte ich leise. "Oder..." "...oder?" Storvag betrachtete mich aufmerksam. "Oder ich töte dich," fuhr ich tonlos fort. Er blinzelte und begann dann leise zu lachen. Dabei bewegte er sich, und das Gelächter ging in einen Schmerzlaut über. Verstohlen presste er die Hände auf seinen Oberkörper. "Nun, wenn das so ist," keuchte er, "dann mach. Töte mich." Ich starrte ihn an. "Willst du mich auf die Probe stellen, Bruder?" Storvag hustete leise. "Das ist nicht nötig. Ich kenne dich schon ein paar Jährchen, liebste Schwester." Brakalu, der vorsichtig seine Schläfe betastete, sah mich ebenso vorsichtig an. "Wirr haben keine Zeit," sagte er leise. "Du hältst dich da raus!" blaffte ich ihn an und er schwieg gehorsam. Ich wandte meine Aufmerksamkeit wieder Storvag zu. "Ich zähle jetzt bis drei. Entweder machst du den Mund auf oder ich bringe dich um, du hast mir dafür genug Gründe gegeben." Mein Bruder sagte nicht und seine Miene wurde verschlossen. Ich hob meine Axt.
 

"Eins."

Der Regen peitschte unbeeindruckt vom Himmel, der Heiler sprach leise auf Brigit ein und Vewo und Brakalu starrten mich wortlos an.

"Zwei."

Storvag legte den Kopf ein wenig in den Nacken, schloss die Augen und ließ sich den Regen ins Gesicht fallen,

"Drei..."

Ich hob meine Axt und registrierte, dass sie heftig zitterte. Storvag öffnete träge das linke Auge. "Nanu," machte er. "Ich leb ja noch!" Tränen schossen mir in die Augen und ich sank kraftlos in den Schlamm. Die anderen starrten mich betroffen an. Storvag seufzte schwer. "Weißt du übrigens das Neueste, Llie? ach nein, kannst du ja gar nicht wissen. Na, ich werds dir sagen. Mutter ist tot." Die Axt fiel mir aus den Händen und verfehlte knapp meinen Fuß. Storvag nickte ungerührt. "Sie litt monatelang unter Angst und Kummer. Sie war wie besessen in ihrer Sorge um dich, was ja auch irgendwo schon gerechtfertigt ist. Ich meine...meine Tochter sagt mir, dass sie für eine Weile zwecks ihrer Ausbildung nach Aegir reisen will, und dann kommt sie einfach nicht mehr heim. Sie schlief kaum noch, aß so gut wie nichts mehr. Keiner konnte ihr helfen. Sie...verging einfach. Und Vater und Lars sind sich zum ersten Mal seit langem wirklich einig- nämlich darin, dass du Schuld an ihrem Tod bist." Ich robbte mich langsam von ihm weg, meine Augen waren leicht geweitet. "Lügner," sagte ich heiser. "Das ist nicht wahr, das stimmt nicht!" Storvag öffnete nun auch das andere Auge. Sein Blick war kalt und gnadenlos. "Und ob das stimmt. Vermutlich ist es ihnen völlig egal, wenn du hier zusammen mit den anderen verreckst. Nein, nein, fang nicht wieder an zu weinen, Llie. Das solltest du dir jetzt allmählich wirklich abgewöhnen. Oder bist du doch noch ein Kind, he?" ich presste eine schlammverschmierte Hand vor den Mund und wusste nichts zu sagen. "Halt dein schlangengleiches Schandmaul, du verräterischer Bastard!" brüllte Vewo plötzlich und gab Storvag einen so heftigen Tritt, dass der andere diesen trotz seines Nietenleders spüren musste, denn er keuchte leise und krümmte sich. "Llienne, er ist ein niederträchtiger Haufen Scheiße. Dein Bruder, ja, ich weiß, und wenn du ihn deswegen nicht töten kannst, versteh ich das wohl. Lass es mich für dich tun, ich mache es mit Freuden!" er hob seine Waffen, als wolle er meine Antwort auf sein Angebot gar nicht abwarten. Ich schüttelte den Kopf. "Nein, Vewo, nein. Bitte...nein." Ich sah Storvag an, der meinen Blick aufmerksam erwiderte. "Geh," flüsterte ich. "Geh. Ich bete, dass wir uns niemals wiedersehen." Storvag hob lächelnd die Schultern. "Ich fürchte, dazu brauche ich noch ein wenig Zeit zum ausruhen, Llie. Tut verteufelt weh, die Schöne hat einen bemerkenswerten Stil," bei den letzten Worten nickte er kurz in Brigits Richtung. Ich ertrug es nicht, mich auch noch eine Sekunde länger von ihm verhöhnen zu lassen.

"Dann kriech meinetwegen!" schrie ich. "Verschwinde!" Storvag überlegte kurz und nickte dann. "Gut. Ich weiß, du glaubst mir nicht, aber dann geh nach Hause und überzeug dich selbst, Llienne. Vernichte meine Rebellen, im Prinzip ist es mir egal. Vernichte sie und geh nach Hause und überzeug dich selbst." Ich überhörte das. "Geh!" brüllte ich.

Storvag quälte sich trotz seiner Verletzungen auf die Beine, nickte nur und humpelte langsam und schwerfällig in die Tiefen des Waldes davon. Ich starrte ihm mit hämmernden Herzen hinterher und drehte mich ruckartig zu Brigit um. Vewo nahm hastig seinen Blick von mir und sah dem Heiler zu, der Brigit leicht angehoben hatte, damit der Regen den ärgsten Schmutz fortspülen konnte. Brakalu hingegen betrachtete mich noch immer mit der völlig undurchschaubaren Miene, die er dann und wann plötzlich aufsetzte. "Glotz mich nicht so an," raunte ich ihm zu, wobei ich selbst beim Klang meiner eigenen Stimme erschrak. Die peinliche Stille, die für einen Moment folgte, war noch unerträglicher. "Wie geht es Euch?" fragte ich rauh. Brigit zog eine Grimasse und tat, als müsse sie nachdenken. "Ach, den Umständen entsprechend...aber ja, ich hatte schon bessere Tage." Sie stöhnte leise, als der Zwerg fachkundig, aber nicht übermäßig sanft an ihrer verletzten Hüfte hantierte. "Das wird wieder, MyLady. Hättet Ihr diese Rüstung nicht getragen, hätte Euch der Hieb vermutlich halbiert. So werdet Ihr nur eine Narbe davontragen." Die Elfe lächelte zynisch. "Auf noch eine kommt es nicht an. Wie steht es um die Schlacht?"

Vewo warf mir abermals einen kurzen Blick zu. "Es zieht sich hin. Die Rebellen haben sich in die Hauptfestung zurückgezogen und unsere Leute versuchen, das Tor zu öffnen. Brigit nickte, dann seufzte sie tief. Plötzlich ruckte ihr Kopf hoch und etwas sehr seltsames flackerte in ihrem Blick- ich hätte schwören können, dass es sich dabei um Panik handelte. "Wie spät ist es?" fragte sie atemlos. "Wie lange habe ich hier gelegen?" sie wollte aufstehen, doch Vewo hielt sie mit sanfter Gewalt zurück. "Einen Moment noch. Es wird bald Nacht. Und der verdammte Regen lässt endlich nach, wie es scheint." Er warf einen kurzen Blick zum Himmel und durfte feststellen, dass er recht hatte. Der nasse Strom wurde schwächer, das Grollen klang ab und die dicke graue Wolkendecke wies bereits mehrere Löcher auf. "Danach habe ich nicht gefragt!" fauchte Brigit. "Wie lange liege ich hier schon untätig herum? sag es, schnell!" Vewo blinzelte verwirrt. "Vielleicht...eine halbe Stunde. Wie lange die Schlacht dauerte, weiß ich nicht. Warum ist denn das so wichtig?" Brigit wurde bleich. "Ich spüre es," murmelte sie und sprach damit wohl hauptsächlich zu sich selbst. "Was spürst du?" fragte Vewo leise, aber eindringlich und fasste ihre Schulter fester. Obwohl die Elfe die Berührung durch den stabilen Schuppenpanzer hindurch eigentlich nicht fühlen durfte, verzog sie das Gesicht und sah den Berserker mit fest zusammengepressten Lippen an. "Mein Sohn stirbt," sagte sie. "Ich fühle es. Er wird bereits zum Richtplatz geführt und dort werden sie ihn umbringen. Lass mich los!" die letzten Worte schrie sie ihm ins Gesicht, stand den Protesten des Heilers zum Trotz auf und tat zwei oder drei Schritte, ehe sie haltesuchend nach einem Baumstamm griff. Ihr Gesicht verzog sich vor Schmerz.

"Bist du dir sicher?" fragte Vewo entsetzt. Die Elfe nickte nur. Der Berserker sprang auf und löste seinen Umhang, der sich inzwischen mit Wasser vollgesogen hatte und schwer und hinderlich um seine Beine schlabberte. Brigit stöhnte leise und hielt sich die Seite. "Ich muss sofort nach Hibernia. Mein Sohn!" sie wollte ihren Plan unverzüglich in die Tat umsetzen, doch bei dem durch den Kampf bedingten Sturz hatte sie sich offenbar auch noch den Kopf angeschlagen, da sie abermals ins taumeln geriet und reflexartig nach Vewos Hand griff, die der Berserker ihr geistesgegenwärtig hinhielt.

"Du kannst nicht reisen, Brigit, starr mich nicht so an, es ist so. In deinem Zustand schaffst du es nie zur Teleportfestung. Und wenn dich unterwegs irgend eine verdammte Kellerassel aufgreift, dann bist du tot- und diesmal wirklich." Brigit ließ ihn los und blieb ruhig stehen. "Dann erwartest du von mir, dass ich hier seelenruhig abwarte, während sie meinen Sohn ermorden?" krächzte sie. Ich konnte nicht an mich halten und schnitt Vewo, der sofort verstand was ich vorhatte und protestieren wollte, schon im Ansatz das Wort ab. "Ich gehe für Euch, Brigit. Vertraut mir, nur noch dieses eine Mal. Zaphykel und ich...sind so etwas wie Freunde, ich bin ihm eh noch etwas schuldig. Bitte, ruht Euch noch ein wenig aus und folgt mir dann meinetwegen. Wenn ich Erfolg habe, werde ich mit Zaphykel in richtung Basar fliehen, da haben Keena, Brakalu und ich uns schon beim letzten Mal erfolgreich vor dieser kleinen Kröte namens Mikata versteckt." Und sollte es soweit kommen, würde ich dieses Mal nicht auf ein bösartiges Pferd hereinfallen, das von mir verlangte, dass ich ihm den Rücken kraulte, wahrlich nicht.

Brigit starrte mich an, als sei ich wahnsinnig geworden. "Du bist eine Midgarderin. Ich bin die rechtmäßige Königin Hibernias!" ich nickte. "Ja, das ist wahr," sagte ich behutsam. "Aber für die meisten seid Ihr...nun ja...tot. Und der restliche Teil gehört zweifellos zu der Verräterbande, die Euch entführt haben." Brigit schwieg pikiert. Ich nahm kurz ihre Hände und umschloss sie fest mit den meinen. Ernst sah ich sie an. "Ich habe es heute nicht geschafft, meinen Bruder zu töten, der mir so ziemlich alles angetan hat, was er mir antun konnte. Wenn ich es nicht schaffe, Euren Sohn zu retten, dann bitte ich Euch, dass Ihr mich tötet." Meine Worte sorgten für eine neuerliche kurze Pause, die ich als Zustimmung auffasste. Ich drehte mich um, doch Brakalu hielt mich zaghaft am Ellbogen zurück. "Kann ich mit kommen?" seine großen, fragenden Augen entlockten mir ein schwaches Lächeln. Vorsichtig strich ich ihm eine nasse Haarsträhne hinter das ausgefranste Spitzohr. "Ich bin doch nicht wahnsinnig. Was erzähle ich Jerali, wenn dir schon wieder was passiert?" Brakalu sah mich trocken an: "Wenn die uns dorrt errwischen...garr nichts mehrr."

Gegen diese Logik war kein Kraut gewachsen, doch ich schüttelte den Kopf. "Ich bin bald zurück." Und da wir schon wirklich genug Zeit verschwendet hatten und ich nicht gedachte, mich jetzt noch aufhalten zu lassen, nickte ich noch einmal in die Runde und rannte, was meine Beine hergaben.

"Du bist alles, was ich haben möchte"

Es wurde jetzt schnell dunkel. Durch den raschen Lauf waren meine Beine bald bis zu den Oberschenkeln mit Schlamm bespritzt, doch ich bemerkte es kaum. Kurzzeitig rannte ich durch den Wald, wobei ich auf dem unebenen Grund mehr als einmal den Halt verlor und der Länge nach hinschlug. Überdies zerkratzten mir die tiefhängenden Zweige das Gesicht, denn ich hielt mich nicht damit auf, einen bequemeren Umweg zu machen. Als die Teleportfestung endlich wie ein bedrohliches Untier in der jungen Nacht vor mir aufragte, schluchzte ich fast vor Erleichterung. Ich hättes es niemals zugegeben, aber der Marsch durch den dunklen, nassen Wald hatte mich doch mehr als nur in Unruhe versetzt. Und jetzt, wo ich langsam etwas ruhiger wurde, offenbarte sich mir gleich das nächste Problem: Wie überredete ich den Teleportmeister dazu, mich zurück nach Hibernia zu schicken? auf dieser Seite gab es nur Verräter. Andererseits trug ich eine gestohlene, tadellose Rüstung und war bewaffnet. Sich einfach als ein Rebellenmitglied auszugeben, dürfte möglich sein. Ich beschloss, es drauf ankommen zu lassen, strich mir die regennassen Haare hinter die Ohren und setzte einen mürrischen Blick auf. Gemäßigteren Schrittes stapfte ich auf die Burg zu, blieb einen Moment vor dem Einganstor stehen und gab diesem dann einen derben Tritt. Wie von Geisterhand sprang es auf und während ich noch eintrat, schrie ich: "Ich muss nach Hibernia, aber dalli. Ein bisschen schneller hier!" der Portmeister erschien aus einer schmalen Tür und kramte bereits hektisch in einem gut gefüllten Beutel. Ich starrte ihn ungeduldig an, und er wühlte hektischer. Endlich förderte er ein Transportmedallion hervor und hielt es mir hin. Ohne ein Wort des Dankes riss ich es ihm aus den Händen und legte es um meinen Hals. Der Mann grinste scheu. "Lady, Ihr...äh...müsst noch bezahlen." Zum Teufel, das hatte ich vergessen. Finster starrte ich ihn an. "Ich bin mit einem Sonderauftrag des Herrn unterwegs," schnappte ich, wobei ich nicht die leiseste Ahnung hatte, ob Storvag überhaupt Männer und Frauen alleine losschickte. Der Mann schien die Lüge jedoch zu schlucken. "Oh, so ist das. Ja, aber...hmmm...wer bezahlt mir denn dann das Medallion?" fragte er weinerlich. Himmel, ich hatte keine Zeit, mich mit solch trivialem Unsinn aufzuhalten! "Raub mir nicht meine Zeit, du Idiot," fauchte ich. "Es ist wichtig. Der Herr wird dir dein verdammtes Geld später persönlich vorbei bringen und nun teleportiere mich, oder muss ich erst wütend werden?" der Mann konnte einem fast Leid tun, aber eben nur fast. Er wurde um drei Nuancen blasser und nickte heftig. Der verkniffene Gesichtsausdruck, der mich beim betreten des Porterkreises überkam, war nun nicht mehr gespielt, denn ich wusste genau, dass mich gleich wieder ein heftiger Würgereiz überkommen würde. An die Teleporterei würde ich mich wohl in zehn Jahren nicht gewöhnen. "Wie lange braucht Ihr denn noch?" raunzte ich und registrierte mit boshafter Freude, wie der arme Kerl vor unglücklichem Eifer beinahe über seine eigenen Füße stolperte. Das Grinsen gefror ebenso schnell, wie es gekommen war, denn kaum eine Sekunde später bekam ich Recht- die Welt drehte sich in einem unmöglichen Wirbel und meine Kehle schnürte sich zu.

Ich riss mich tapfer zusammen und schaffte es sogar, binnen zwei Herzschlägen wieder auf den Füßen zu sein. Totenstille hüllte mich ein und als ich langsam den Blick wandte, sah ich Lady Glasny und ihre Hilfsmagier, die wohl gerade jemanden teleportiert hatten. Ich schluckte trocken und dachte nur: Oh, verdammt. Glasny war einen Moment völlig überrumpelt und starrte mich an, ehe sie einen lauten Ruf in ihrer Muttersprache ausstieß. Fluchend rannte ich auf das Tor zu, trat so fest dagegen, dass ich den Aufprall durch meine schweren Stiefel spürte und riss gleichzeitig mit aller Anstrengung an dem massiven Hebel, der das Tor öffnen sollte. "Geh auf, verflucht!" brüllte ich. Und ausnahmsweise blieb das Glück auf meiner Seite. Gerade, als sich von der Holztreppe bereits hastiges Fußgetrappel näherte, kapitulierte das Tor und schwang gerade so weit auf, dass ich mich hindurchquetschen konnte. Keine Sekunde zu früh, wie ich einen Moment später feststellte- laut sirrend flog ein Pfeil keine zwei Fingerbreit neben meinem Kinn vorbei und verschwand in der tiefschwarzen Nacht. Diesen Zeitenumschwung nahm ich nur am Rande meines Bewusstseins wahr. In Murdaigean war es auch schon Abend gewesen, aber hier hatte die Uhr einen guten Sprung von vielleicht sechs Stunden nach vorn gemacht. Das Rätsel würde ich später lösen, vorher galt es, am Leben zu bleiben. Ich rannte wie der Teufel und japste dabei hastig mein Reiselied. Die Melodie fuhr mir in die Knochen und einen Moment später flitzte ich gleichermaßen triumphierend wie erleichtert in die Dunkelheit. Ich konnte zwar kaum etwas erkennen, aber ich folgte so gut es ging dem Pfad, den Athriliath erst vor kurzem mit Keena, Brakalu und mir eingeschlagen war. Ich wusste, ich hatte absolut keine Zeit, aber dennoch spürte ich, wie in meinen Beinen eine bleierne Schwere hinaufkroch, die mit dem magischen Lied nichts zu tun hatte. Immerhin hatte ich erst kurz zuvor in einer Schlacht gefochten, und die Anstrengung forderte allmählich ihren Tribut. Reiß dich zusammen, fuhr ich mich in Gedanken selbst an. Du hast es nach Hibernia geschafft, bist im Moment relativ sicher und dann willst du aufgeben, nur weil du müde bist? weiter, los, lauf weiter! ich knirschte grimmig mit den Zähnen und gehorchte meinem eigenen Befehl, wobei meine Orientierung langsam besser wurde- meine Augen begannen, sich an das Dunkel zu gewöhnen. Jetzt brauchte ich nur noch einen genialen Plan, um den Elfen in Anwesenheit von vermutlich halb Hibernia in Sicherheit zu bringen. Ich überlegte einen Moment, mich wieder als schlecht gelaunte Botin auszugeben, verwarf den Gedanken jedoch sofort. Meine komplette Gewandung war midländisch und würde unter den Hibernianern sofort auffallen. Ich nagte konzentriert an der Unterlippe und merkte kaum, wie meine Füße mich langsam in die Nähe der Murgarhöhle trugen. Erst ein leises, sich langsam näherndes Kichern riss mich zurück in die Wirklichkeit und mit einem unterdrückten Fluch hechtete ich hinter einen Baum. Abermals geschah dies keinen Moment zu spät, denn kaum hatte ich mich hinter dem Stamm zusammengekauert, da sah ich auch schon die kleingewachsene Gestalt eines Alpluachras, die sich offenbar auf dem Rückweg zur Höhle befand. In dem Augenblick musste sich mein Denken wohl kurzzeitig abgestellt haben und ich handelte impulsiv und völlig unüberlegt: Mit weit ausgebreiteten Armen sprang ich hinter meinem Versteck hervor und stürzte mich auf den Alpluachra, der von meinem plötzlichen Erscheinen viel zu überrascht war, um entsprechend zu reagieren. Ich stieß einen zirpenden Laut aus und das lurikeenähnliche Wesen begann erst zu schielen, dann leise zu schnarchen. Die Arme noch immer erhoben, schlich ich vorsichtig um die Kreatur herum, sah mich nach eventuellen weiterem Gegnern um und packte den Kleinen, um ihn unsanft hinter den Baum zu zerren. Als ich ihn so unsanft anpackte, wachte der Alpluachra schlagartig wieder auf und riss den Mund zu einem Hilfeschrei auf. Diesen unterdrückte ich rasch, indem ich dem Kerl meine Hand vor den Mund hielt. Der Kleine zappelte und wand sich wie ein Aal und versuchte, als seine Bemühungen erfolglos blieben, in meine Finger zu beißen. Es knirschte vernehmlich, als die splitterigen Zähne des Wesens auf meine Kettenrüstung trafen, und die Kreatur stieß ein gedämpftes Heulen aus. "Sssch," machte ich und drückte ein wenig fester zu, "halt die Klappe und dir passiert nichts. Ich werd dich jetzt loslassen, aber wenn du schreist oder wegrennst," vorsichtig klopfte ich mit der anderen Hand auf den Schaft meiner Axt, "dann wird dir das verdammt schlecht bekommen. Verstanden?" der Alpluachra nickte und glotzte mich mit

großen, feuchten Augen entgeistert an. Angewidert gab ich ihn frei, und er schniefte dreimal. "Mei, mei, Madame ist aber höchst brutal, da kriegt der arme Flapp Angst, große Angst. Bitte tu mir nichts, Madame, tu dem armen Flapp nichts." Ich sah auf die schnüffelnde Kreatur hinab und setzte ein finsteres Gesicht auf. Wie heimtückisch die kleinen Kerle waren, hatte ich am eigenen Leib erfahren und ich ließ mich nicht zum Narren halten. Grob packte ich ihn am Kragen, und er quietschte entsetzt auf. "Sei ruhig und halt still," zischte ich und begann seine Sachen zu durchwühlen. Der Alpluachra gehorchte und wandte nur vorsichtig den Kopf, um einen abgebrochenen Zahn ins Gras zu spucken. Ich erleichterte ihn um zwei Feuersteine, ein seltsames, nach Ruß riechendes Päckchen, einen zweifellos gestohlenen Beutel voller hibernianischer Gold- und Silbermünzen und ein schwarzes Stück Schnur. Ohne zu wissen, was ich mit dem Tand anfangen sollte, ließ ich alles in meiner schweren Ledertasche verschwinden. "So," sagte ich leise, "dein Name ist Flapp?" der Kleine nickte furchtsam. "Jep, Madame." Ich grinste finster. "Fein. Du wirst mir jetzt ein wenig weiterhelfen, Flapp." Der Alpluachra wimmerte misstönend. "Ich hab doch gar nix, Madame. Armer Flapp ist eine arme Kirchenmaus und nun hat er gar nix mehr, hast mir doch schon alles weggeno..." Ich presste ihm abermals die Hand auf den Mund und deutete auf die Höhle. "Ist dein Herr da? der...Murgar?" in den Augen des Wesens blitzte es alarmiert auf. "Was will Madame vom Herrn?" ich schüttelte den Kopf und meine Hand kroch wie beiläufig zur Axt. "Ja, ja, ja! ja, der Herr ist da. Bitte nicht weh tun, bitte, ich bin brav, ich schwörs." Ich gab ihm einen unsanften Stoß. "Wenn du auch weiter brav bist, werd ich dir nicht weh tun. Du kannst mir noch einen Gefallen tun." Flapp krümmte sich wie unter Schmerzen. "Mach ich, Madame, aber bitte..." ich unterbrach ihn, denn ich spürte, dass mir die Zeit davonlief. "Sammel trockenes Holz. Soviel du tragen kannst. Und beeil dich. Wenn du abhaust, werde ich dich finden. Und du weißt ja, was dann passiert." Lässig klopfte ich ein weiteres Mal auf meine Axt und wunderte mich im Stillen selbst ein wenig über die Kaltblütigkeit, zu der ich plötzlich wieder fähig war. Flapp nickte schaudernd und stob davon. Ich selbst ging rasch in die Knie und riss trockene Grasbüschel aus. Als ich schon einen kleinen Haufen vor dem Höhleneingang aufgeschichtet hatte, kam ein unter seiner Holzladung ächzender Flapp zurück. "Was nu, Madame?" schnaufte er leise. Ich deutete auf das ausgerupfte Gras. "Leg es dort hin." Er tat, was ich befohlen hatte. "Was wird denn das, Madame?" fragte er kläglich. Ich grinste finster. "Das wirst du gleich sehen. Gib mir dein Wams." Flapp blinzelte, das Geschehen wurde ihm ganz offensichtlich immer unbegreiflicher. "Äh?" machte er. Ich streckte zornig die Hand aus. "Du strapazierst meine Geduld, Flapp. Her mit dem Wams oder..." er beeilte sich, das grün gefärbte Kleidungsstück über den Kopf zu ziehen. "Schon gut, schon gut, hier isses ja." Ich riss es ihm aus der Hand, tastete nach den gestohlenen Feuersteinen und schlug sie vorsichtig gegeneinander. Nichts passierte. Ich versuchte es ein zweites und drittes Mal, worauf ein zögerlicher Funke aufblitzte, der so rasch verschwand, wie er gekommen war. Der Alpluachra begann zu begreifen, was ich vorhatte, und er sprang von einem Bein aufs andere, wie jemand, der dringend einem Bedürfnis nachgehen müsste. "Was macht sie denn da, das geht doch nicht, und der böse Flapp ist schuld, mei, mei!" jammerte er, aber vorzugsweise so leise, dass ich keinen Grund hatte, ihn abermals mit meiner Axt zu bedrohen. Endlich hatte ich Erfolg und die Funken gingen auf das trockene Gras und Holz über.

Ich wartete einen Moment, ehe ich das Wams an mich nahm um damit die Luft aufzuwirbeln, was die gierig züngelnden Flammen rasch größer werden ließ und darüber hinaus für eine Menge stinkenden Rauch sorgte. "So," sagte ich angespannt, ohne mich um den vor Entsetzen heulenden Alpluachra zu kümmern. "Murgar," rief ich laut. "Zeig dich!" es vergingen kaum drei Sekunden, ehe unten aus der Höhle verwirrte und zornige Stimmen laut wurden. Ich fächerte dem Feuer mehr Luft zu, und dicker Rauch drang in die Tiefen der Höhle. Die Stimmen schwollen an, und ich hörte zufrieden, wie sich der Ärger der Bewohner langsam in Panik verwandelte. Hustend und schnaubend tauchte dort unten der schwarzgelockte Pferdekopf des Murgars auf. Er blinzelte mit seinen silbrigen Augen und blähte dann die Nüstern, als er mich erkannte. "Duuu?" entfuhr es ihm, ehe er abermals mächtig husten musste. "Ja, ich," bestätigte ich kalt. Rasch griff ich hinter mich und zerrte den in höchsten Tönen jammernden Flapp zu mir heran. Die an staubige Spiegel erinnernde Augen des Murgar verengten sich gefährlich. "So, so, ein Verräter aus meinem eigenen Haus. Dafür werde ich dich höchstpersönlich zu meinem nächsten Mittagsmahl machen, aye!" Flapp begann zu kreischen und ich gab ihm einen kurzen Schlag auf den Hinterkopf. "Wenn du nicht ein paar Kleinigkeiten für mich erledigst, wirst du gar nichts mehr tun, Murgar. Aber Mittagsmahl ist keine schlechte Idee. Geröstetes Pferdefleisch gehört zu meinen Leibgerichten." Der Murgar ächzte. "Was willst du, Menschenmädchen? sag es, was willst du? rasch, rasch!" ich hob rasch die Hand. "Einen Moment. Wenn wir uns hier unterhalten, wirst du ersticken und ich selbst vermutlich auch gebraten. Schwör mir, dass wir uns vernünftig unterhalten, dann muss keiner von uns unnötige Scherereien haben. Abgemacht?" der massige Pferdedämon brüllte zornig. "Garstiges, unverschämtes, dreistes kleines Gör! du weißt ja nicht, wer ich bin. Ich mache mit keinem Menschen Geschäfte!" ich zuckte bedauernd die Achseln. "Dann schau ich morgen zur Mittagszeit nochmal vorbei. Leb wohl." Ich wandte mich langsam ab, und der Murgar hustete erstickt. "Aye, bleib stehen. Na schön, gut, ich schwöre es, ich werde dir nichts tun. Mach das verdammte Feuer aus!" ich nickte und bemühte mich, mir meine Erleichterung nicht anmerken zu lassen. Nun wurde es auch höchste Zeit- das Feuer wurde allmählich zu groß, um es noch unter Kontrolle zu halten. Rasch trat ich es auseinander und trampelte auf den einzelnen Flämmchen herum, während ich mich gleichzeitig bückte und Erde auf die rauchenden Überreste warf. Das Kettengeflecht unter meinen Füßen wurde schwarz und unangenehm heiß, doch ich ignorierte es. Erwartungsvoll blickte ich dem Murgar entgegen, der zusammen mit einem halben Dutzend Alpluachras aus der Höhle torkelte. Flapp stürzte an mir vorbei und warf sich vor seinem Meister auf den aschebedeckten Boden. "Meister, verzeih mir, ich wollt es nicht, ich schwöre es, ich wurd gezwungen..." der Murgar betrachtete die vor ihm kauernde Gestalt, stieg wortlos über den Alpluachra hinweg und gab ihm beinahe beiläufig einen gewaltigen Tritt in den Hintern. Der Unglückliche jaulte laut auf und kugelte ins Innere der Höhle.

Ich selbst war zwei Schritte zurück getreten und betrachtete den Pferdedämon wachsam. Das einstmal seidige, nachtschwarze Fell wirkte gräulich, das konnte ich sogar in der Dunkelheit erkennen, und die Mähne hing ihm unordentlich in die breite Stirn. Der Murgar erwiderte meinen Blick prüfend und trat nachdrücklich einen letzten, glimmernden Rest verkohlten Holzes aus. "Wirst du mir zuhören?" fragte ich eisig. Der Pferdedämon schnaubte. "Ich bin gespannt." Ich erzählte ihm in kurzen Sätzen von meinem Problem. Der Murgar hörte schweigend zu und senkte seinen mächtigen Hals, bis der Kopf beinahe zwischen den Vorderbeinen ruhte. Sein unangenehmer Blick löste sich jedoch nicht ein einziges Mal von meinem Gesicht. "So, so, du versprichst also etwas, was du nicht halten kannst und dann kommst du zu mir und legst ein widerliches, böses Feuer vor meiner Höhle?" ich fuhr wütend zusammen. "Was du auch verdient hast. Du hast mich belogen und wolltest mich auffressen."

"Pah."

"Das Thema regeln wir später, im Moment habe ich jedenfalls dieses Problem. Und ich denke, du könntest mir dabei helfen. Das würde einen guten Teil wieder wett machen."

"Ah, ich wüsste nicht, wieso ich dir helfen sollte, Menschenmädchen."
 

Ich starrte ihn zornig an. "Ich muss diesen Elfen retten, aber alleine schaffe ich das vermutlich nicht. Darum warne ich dich- wenn du mir nicht hilfst, wird deine verdammte Höhle brennen, das schwöre ich dir." Murgar lachte glucksend und in seinen Augen blitzte es kurz auf. "Ich gebe zu, ich habe nicht damit gerechnet, dich wiederzusehen und war auf so einen heimtückischen Überfall nicht vorbereitet. Jetzt bin ich es. Was hindert mich daran, dich hier und jetzt aufzufressen, mh?" ich ballte die Fäuste. "Dein Wort," sagte ich mit eiserner Selbstbeherrschung. Der Murgar lachte wieder. "Befehlen lasse ich mir nichts, Menschenmädchen. Da musst du schon etwas einfallsreicher sein." Ich sah ihn schräg an. "Zum Beispiel? soll ich dich wieder kraulen?" fragte ich zynisch. Der Pferdedämon grinste breit und entblößte seine scharfen Raubtierzähne. "Aye, das wäre eine willkommene Abwechslung." Ich schaffte es irgendwie, das Grinsen zu erwidern. "Das letzte Mal wolltest du mir nur die Hände abbeißen, weißt du?" Murgar schüttelte ein paar Mal den Kopf und schnaubte. "Das stimmt, Menschenmädchen. Weil du das von anfang an nicht vorgehabt hast. Du hast mich nur benutzt. Und widersprich nicht, so war es," fügte er etwas lauter hinzu, als ich aufbegehren wollte. Er schwieg einen Moment nachdenklich und blinzelte zum ersten Mal. "Beim letzten Mal warst du schwach, schwach und unsicher. Heute erlebe ich dich nicht viel stärker, aber du hast da etwas an dir, so etwas Verschlagenes...bist doch eine Skaldin, he? hättest mal über eine Karriere als einer dieser heimtückischen Schleicher nachdenken sollen. Passt auch nicht schlecht zu dir. Aye, das gefällt mir irgendwie..." ich trat urplötzlich näher, legte meine Hand auf den breiten Rücken des Dämons und begann, diesen zu streicheln und zu kratzen. Der Murgar seufzte und grunzte tief- und schnellte plötzlich mit dem Kopf herum, um nach meiner Hand zu schnappen. Reflexartig tauchte ich unter seinem Bauch hinweg, kam an der anderen Seite wieder hoch und kraulte einfach weiter, ohne mich um das leise Zittern meiner Hand zu kümmern. Der Pferdedämon lachte schallend. "Blitz und Donner, das gefällt mir sogar sehr." Er schwieg eine ganze Weile, ich kraulte weiter. "Hm," machte ich gleichmütig und konzentrierte mich ganz darauf, den mächtigen

Leib des Murgars zu kosen. Meine Angst war plötzlich in den Hintergrund gedrängt worden, und auch von dem anfänglichen Zorn war nicht viel geblieben. Stattdessen erfüllte mich eine schon beinahe unheimliche Ruhe- als wäre es völlig normal, in tiefster Nacht mit einem menschenfressenden Dämon zu kuscheln. Sehr viel langsamer als zuvor drehte mir der Murgar mir seinen mächtigen Schädel zu. "Dann lass mal hören, was du dir ausgedacht hast." Ich grinste leicht und erzählte ihm, was mir in den letzten fünf Minuten eingefallen war.
 

Der Platz, den man sich für Zaphykels Hinrichtung ausgesucht hatte, war schnell gefunden- die Büger sprachen von nichts anderem mehr. "Wie schade," seufzte eine pausbäckige Keltin, "so ein hübscher junger Elf! wie können sie das nur tun." Ihr Gemahl schnaubte missbilligend und kratzte sich am Bart. "Bedenke aber, dass er ein Verräter ist. Und da er der engste Vertraute von Prinzessin Mikata war, ist der König ihrer Bitte nachgekommen und hat ihr persönlich die Aufsicht über die Hinrichtung übertragen. Arme Prinzessin, sie hat ihm doch so vertraut..." ich knirschte leise mit den Zähnen, mahnte mich aber innerlich zur Ruhe. "Komm, gehen wir, Liebste. Bei einer Hinrichtung gibt es immer lohnende Überraschungen," sagte der Kelte und fasste seine Frau am Arm. Ich verbarg mein Gesicht im Schatten der Kapuze und verdrängte die Abscheu, die sich in mir breitmachte. Ich werd dir schon eine Überraschung bereiten, du ekelhafter Fettsack, dachte ich bei mir und folgte dem sensationslüsternen Pärchen in einigem Abstand. Dass ich so viel Zeit in der hibernianischen Gefangenschaft verbracht hatte, zahlte sich jetzt aus- ich verstand schon den größten Teil der Landessprache, wenngleich ich sie selbst noch nicht besonders gut sprechen konnte. So erfuhr ich, dass die Hinrichtung vor der Hauptstadt stattfinden sollte, genauer gesagt auf dem Hügel, auf dem Mikata und ich vor schätzungsweise einer Million Jahren ein unrühmliches Duell ausgetragen hatten. Ich schlängelte mich zwischen den wartenden Hibernianern hindurch und postierte mich in der vordersten Reihe. Unruhig stellte ich mich auf die Zehenspitzen und spähte über die Köpfe einiger Lurikeen zum Tor von Tir na nOgh. Lange musste ich nicht warten. Die Masse teilte sich und bildete eine schmale Gasse, um die erbärmlich aussehende Gestalt eines dunkelhaarigen Elfen durchzulassen, welcher von wenigstens sechs Kelten und zwei Firbolg bewacht wurde. Mein Herz machte einen kurzen Sprung, als ich Zaphykel in der ausgezehrten, erschöpften Kreatur erkannte. Mikata hatte ihn nicht so übel zugerichtet wie Athriliath, tatsächlich schien er bis auf die geschwollenen Lippen und die vielen blauen Flecke an Schultern und Oberkörper unverletzt. In seinen Augen jedoch stand die gleiche Hoffnungslosigkeit, das Haar hing ihm in wirren Strähnen ins bleiche Gesicht und er wurde mehr von den Wachen geschubst, als dass er selbstständig ging. Ich hielt den Atem an, zwang mich neuerlich zur Ruhe und wartete ab.
 

Zaphykel sah mit leerem Blick auf den Galgen, den man extra für diesen Tag aufgestellt hatte. "Geht weiter," brummte einer der Firbolg und gab ihm einen leichten Stoß zwischen die Schulterblätter, der jedoch ausreichte, den Elfen ins Stolpern zu bringen. Ein leises Raunen ging durch die gespannt wartende Menge. Abermals machten sie Platz, diesmal für Prinzessin Mikata, die eine tiefblaue Kettenrüstung und einen nachtschwarzen Umhang trug. "Zaphykel mab Llew-Llaw Gyffes, Ihr steht hier heute wegen eines unverzeihlichen Verbrechens an Eurem König," begann sie mit lauter Stimme und die gierigen Zuschauer verstummten, um ja nichts zu verpassen. "Dieses Verbrechen, was Euch vorgeworfen wird, Zaphykel mab Llew-Llaw Gyffes, ist nicht mehr und nicht weniger als Hochverrat in seiner schändlichsten Form. Ihr seid dafür verantwortlich, dass drei wertvolle Gefangene midländischer und albionischer Herkunft entkommen sind, diese habt Ihr aus freien Stücken aus der Obhut der Wachen entlassen und dann noch schamlos gelogen, indem Ihr Eure eigenen Reichsgefährten wissentlich in die Irre geführt habt. Außerdem tragt Ihr die Schuld am tödlichen Unglück, das unseren treuen Bruder Athriliath mab Lectithion ereilt hat. Die Strafe für diese Vergehen muss hart ausfallen, und der Rat von Tir na nOgh hat beschlossen, dass in diesem Falle nichts anderes als der Tod angemessen ist. Habt Ihr dazu etwas zu sagen, Zaphykel mab Llew-Llaw Gyffes?" Zaphykel hob den Kopf, und ein Hauch des früheren Stolzes kehrte in seine bernsteinfarbenen Augen zurück. "Dass ich den Gefangenen zur Flucht verholfen habe, kann und werde ich nicht abstreiten. Der Grund, warum ich dies tat, ist schnell gesagt. Ihr, Prinzessin, und auch Euer Vater, ihr wolltet die beiden Midgarderinnen und den Albioner dem völlig irrsinnigen Murdaigean-Plan opfern. Dies hielt ich für feige und meinem König und seiner Tochter nicht würdig." Er musste kurz abbrechen, denn zornige Stimmen wurden unter den Zuhörern laut. Einer klaubte einen Stein auf und warf ihn wütend nach dem Elfen. Zaphykel machte nicht einmal Anstalten auszuweichen, als der spitze Kiesel an ihm vorbeisauste und einen blutigen Schnitt in seiner Wange zurückließ. "Was den Vorwurf bezüglich des Mordes an meinem Reichsgefährten Athriliath mab Lectithion angeht, so sei auch dies schnell gesagt," fuhr er im gleichen beinahe königlichen Tonfall fort, "Nun, Ihr sprecht die Unwahrheit. Ich habe ihn nicht getötet. Und mehr kann ich dazu nicht sagen, außer, dass ich zu dem stehe, was ich getan habe." Seine Augen funkelten und er schwieg. Mikata starrte ihn böse an. "So, so. Habt Ihr Zeugen, die beschwören können, dass Ihr am Todestag von Athriliath mab Lectithion hier in Mag Mell wart?"

"Nein, Prinzessin."

"Habt Ihr Zeugen, die beschwören können, dass sie Euch am Todestag von Athriliath mab Lectithion überhaupt irgendwo gesehen haben?"

"Nein, Prinzessin."

"Habt Ihr irgendwelche Zeugen?!"

Zaphykel straffte sich ein wenig, obwohl Mikatas Worte auf ihn niederfuhren wie Peitschenhiebe. "Nein, Prinzessin, ich habe keine Zeugen. Aber," seine Augen verdunkelten sich und seine Stimme zitterte ein wenig vor Furcht und Zorn, "habt IHR denn jemanden, der das beschwören kann, was Ihr mir vorwerft?" Mikata erbleichte vor Zorn. "Du unverschämter kleiner Hundesohn," zischte sie und nickte dem Kelten, der unmittelbar hinter Zaphykel stand, herrisch zu. Der Mann versetzte Zaphykel einen kurzen, heftigen Schlag, der dem Elfen ein ersticktes Stöhnen entlockte und ihn noch ein stück weiter auf den Galgen zutaumeln ließ. "Im Namen des Königs und dem des Hohen Rates spreche ich Euch schuldig, Zaphykel mab Llew-Llaw Gyffes. Wegen Beihilfe zur Flucht, Mord- und Majestätsbeleidigung," fügte sie schäumend hinzu. Abermals nickte sie den Wächtern zu. "Hängt den Verräter." Zaphykel erbleichte noch mehr, seine Lippen zitterten und bebten, doch er jammerte oder bettelte nicht, was Mikata zweifellos erwartet hatte. Der Kelte, der den jungen Elfen geschlagen hatte, verbeugte sich tief vor diesem, führte ihn mit sanfter Gewalt an den Galgen heran und bedeutete ihm, auf den bereit gestellten Holzhocker zu steigen. Zaphykel gehorchte stumm und ließ die Augen über die ungeduldig wartende Menge schweifen. Gerade als der Kelte die Schlinge um den Hals des vermeintlichen Verräters legen wollte, löste sich eine recht kleingewachsene Gestalt aus der vorderen Reihe, trat zu dem Kelten und flüsterte ihm so leise etwas zu, dass es außer dem Mann niemand verstehen konnte. Die Augen des Kelten weiteten sich, er öffnete den Mund- und stieß plötzlich einen heiseren Schrei aus, während er nach hinten fiel und dabei das Heft des Dolches umklammerte, welcher aus seiner Brust wuchs. Die kleinwüchsige Gestalt war ich.
 

Zaphykel erkannte mich zunächst gar nicht. Völlig fassungslos starrte er auf den gestürzten Kelten, ehe er ein ungläubiges "Was zur Hölle-" hervorbrachte. Ich packte ihn und stieß gleichzeitig einen lauten, schrillen Pfiff aus. Die Gaffenden hatten sich inzwischen auch von ihrem Schrecken erholt und brüllten nun zornentbrannt durcheinander, wobei es ihnen wohl eher um das betrogene Schauspiel als den Kelten ging, wie ich angewidert feststellte. Im Grunde waren Hibernia, Albion und Midgard wirklich nicht sehr verschieden- floss Blut, wurden Mann und Frau gleichermaßen zu Bestien. Gerade als die ersten schon Vergeltung üben wollten, erklang plötzlich ein schriller, wiehrender Schrei und die Umstehenden drehten sich um- um nun selbst aufzuschreien: Von Tir na nOgh her näherte sich eine pechschwarze Masse von... "Pookhas! bei Dana, sind das Pookhas?" eine junge Elfe riss in fliehender Hast ihr Kind an sich und stürzte Richtung Mag Mell davon. Und tatsächlich, die kleine Armee von schaurigen Pferdegestalten waren tatsächlich Pookhas. An ihrer Spitze galoppierte ihr Anführer, der Murgar. Und nicht genug, auf jedem Pferderücken saßen ein, manchmal sogar zwei Alpluachras und schnatterten und krähten wild durcheinander. Die Menge stob auseinander wie Spelt im Wind. An die Hinrichtung dachte keiner mehr. Der Murgar stürmte auf mich zu und neigte den Hals. Ich griff in seine Mähne, schwang mich mit einem makellos eleganten Satz auf seinen Rücken und zog Zaphykel in der gleichen Bewegung hinter mich. Noch immer schien der Elfenprinz völlig verstört und begriff offenbar gar nicht, was hier vor sich ging. Ich schüttelte die Kapuze meines Umhangs ab und sah mich nach Mikata um. Sie wehrte sich gegen gleich zwei Alpluachras, die ihr in die Ohren schrien, sie bespuckten, an den Haaren rissen und versuchten, sie zu Boden zu ringen. Dennoch schien sie meinen Blick zu spüren und sah auf. Als sie mein Gesicht erkannte, klappte ihr die Kinnlade herunter. "Du?!" krächzte sie. "Das darf nicht wahr sein!" ich riss einen hibernianischen Dolch von meinem Gürtel und schleuderte ihn ihr vor die Füße. "Nimm ihn und bewahre ihn auf, bis du den Mumm hast, dich mir in einem fairen Zweikampf zu stellen, Miststück," sagte ich. "Und merk dir diesen Tag. Die Zeit deiner Scheinherrschaft ist vorbei, finde dich besser schnell damit ab, falsche Prinzessin." Ich trat dem Murgar in die Flanken, als wäre er ein gewöhnliches Reittier und kein Dämon. Der Murgar jedoch stieg in einer imposanten Geste auf die Hinterläufe, ließ ein gänsehauterregendes Wiehren hören und stürmte dann davon. An eine Verfolgung dachte niemand, denn die Eindringlinge hatten ganz offensichtlich jede Menge Spaß, und die Luft war erfüllt von erschrockenen Schreien, Gewiehr und dem hysterischen Gelächter der Alpluachras. Als die Angreifer sich kaum drei Minuten später genauso schnell zurückzogen, wie sie gekommen waren, waren Zaphykel und ich schon längst verschwunden.
 

Der Ritt auf dem Rücken des Murgars verlief eine ganze Weile schweigend. Ich passte mich der Gangart des Pferdedämons an und genoss das Gefühl der sehnigen Muskeln, die ich unter mir spüren konnte. Dabei sickerte nur langsam durch mein Bewsstsein, was so schnell und so leicht geschehen war- Zaphykel war befreit, er war bei mir und für den Moment in Sicherheit. Das Hochgefühl pulsierte noch immer in mir, als der Murgar vor seiner Höhle zum stehen kam, schnaubte und ein wenig in die Knie ging. Ich glitt von seinem Rücken und half Zaphykel, ebenfalls abzusteigen. Danach wandte ich mich wieder an den schwarzen Pferdedämon und wusste plötzlich nicht genau, was ich zu sagen hatte. Der Murgar bemerkte meine Verlegenheit und schnaubte kurz. "Aye, das war ein ziemlicher Spaß, was?" bemerkte er und ließ seine spitzen Zähne aufblitzen. Ich merkte, wie Zaphykel neben mir zusammenfuhr, und legte ihm beiläufig die Hand auf den Arm. "Ja, das war es. Das Gesicht dieser kleinen Kröte werde ich niemals vergessen. Ich...ich danke dir. Ohne dich hätte ich es niemals geschafft." Der Murgar nickte ein paar mal heftig. "Aye, das ist wohl wahr. Aber gelohnt hat es sich, oh, das hat es sich wahrhaftig. Du gefällst mir, kleine Skaldin, gefällst mir sogar sehr. Wenn ich es mir recht überlege, wärst du sogar viel zu schade, um gefressen zu werden. Aye, du kannst gut kraulen und die kleine List da hätte von mir stammen können. Aber das war das erste und einzige Mal, Menschenmädchen," fügte er mit verändertem Tonfall hinzu. "Normalerweise mache ich keine Geschäfte mit gewöhnlichen Zweibeinern, das hab ich dir gesagt. Aber du hast mich durchaus beeindruckt. Nun geh, hier könnt ihr nicht bleiben. Nicht wegen dieser garstigen kleinen Lurikeen," der Dämon grinste noch breiter, "aye, nein, sonst gerate ich doch noch in Versuchung. Schmackhaft siehst du nämlich schon aus, und wenn wir das Spitzohr da ein wenig mästen, könnten wir auch aus dem was besseres als einen mageren Suppenknochen machen." Ich nickte schnell und verneigte mich vor dem Murgar, es erschien mir einfach angebracht. "Ich werde dich nicht wieder belästigen. Ebensowenig werde ich mich nochmal deiner Höhle nähern oder welche der Deinen je angreifen. Nochmals danke und leb wohl." Zaphykel sah mich fassungslos an. "Wir...dürfen gehen? einfach so?" flüsterte er. Der Murgar lachte gackernd. "Wenn du bleiben willst, Elfchen, halte ich dich nicht zurück. Ich würde dich gerne zum Mittagessen einladen." Die seelenlosen Silberaugen des Pferdedämons funkelten gierig, und ich beeilte mich, Zaphykel am Arm zu packen und davonzueilen.

"Tja," begann ich, als wir die Höhle ein gutes Stück hinter uns gelassen hatten. Zaphykel sah mich stumm an, und ich strich mir unbehaglich über das Kinn. "Tut mir Leid, wenn ich dich aus der Fassung gebracht habe, ich wusste mir keinen anderen Weg, als..." ich stockte und brach ab, als der Elf die Arme um meine Schultern schlang und sich kurz an mich drückte. Verlegen und verblüfft schielte ich zu ihm empor, er war ein gutes Stück größer als ich. "Danke," flüsterte er rauh. "Ich weiß nicht, ich dachte...ich würde..." seine Stimme verlor sich und unbeholfen klopfte ich ihm auf den Rücken. "Ist ja gut. Ich hatte nie vor, dich im Stich zu lassen. Irgendwie hab ich gespürt, dass sie dich erwischen würden. Ich hatte schon eine ganze Weile vor, hierher zurückzukehren, aber...hmm...das war nicht so ganz einfach. Ich will dir gern alles erzählen, aber zuerst brauchen wir ein Versteck. Kennst du einen sicheren Ort?" nur zögernd gab mich Zaphykel frei und wischte sich beschämt über die Augen, wobei er meinen Blick mied. "In der Nähe von Darkness Falls ist eine Waldlandschaft. Dort ist nie jemand." Ich nickte und ergriff scheu seine Hand. "Dann führ mich hin. Da können wir reden." Ich summte mein Reiselied und folgte Zaphykel, der gehorsam voranging. Während des Marsches betrachtete ich ihn verstohlen von der Seite. Er wirkte wirklich sehr ausgezehrt, offenbar hatte man hier die psychische Folter der physischen vorgezogen. Blass und verletzlich und in halb zerfetzten Kleidern hatte er wenig mit dem ernsten, stolzen jungen Elfen gemein, den ich hier kennen gelernt hatte. "Zaphykel, nur damit du eins weißt," sagte ich leise, aber eindringlich, und er wandte mir den Kopf zu. "Es wird jetzt alles wieder gut. Klar?" er betrachtete mich einen Moment und ließ dann den Kopf hängen. "Ja," antwortete er nur. Ich seufzte im Stillen und überlegte fieberhaft, wie ich ihm die derzeitige Situation erklären sollte. Und wo sollte ich anfangen? erst hier wurde mir wieder einmal bewusst, wie lange sich diese bizarre Geschichte schon hinzog. Ich hatte überhaupt keine Lust, noch ein weiteres Mal tief im Strudel meiner Erinnerungen zu suchen. Noch einmal wirklich alles erzählen, mich rechtfertigen, drum herum reden, wo ich mir ziemlich sicher war, wie Zaphykels Reaktion ausfallen würde? ich ließ mich schwerfällig auf den Rücken fallen und blinzelte zum bereits wieder aufgehenden Mond. Nachdem ich den Murgar überredet hatte, mir ein paar seiner gestohlenen Rüstungsteile und Waffen zu borgen und mir zu helfen, hatte ich tatsächlich eine unruhigen Tag in seiner Höhle verbracht. Dieser war allerdings wie gesagt sehr unruhig ausgefallen -so weit traute ich dem Pferdedämon ganz bestimmt nicht, als dass ich es wagen täte, in seinem Reich ins Koma zu fallen, obwohl mein Körper dies sicher begrüßt hätte- und ich schloss gerädert die Augen. Auf der Geschichte mit dem Murgar ritt ich nicht weiter herum, viel dringender war die Frage, wie ich Zaphykel erklären sollte, dass ich rein zufällig seine leibliche Mutter wieder gefunden hatte und er ganz nebenbei noch der rechtmäßige Thronfolger dieses Landes war. Bei dem Gedanken wurde mir ein wenig übel. Der Elf schien zu spüren, dass ich höchst nervös und unruhig war. "Ist sonst noch irgend etwas...Schlimmes passiert?" fragte er leise. Ich drehte ihm den Kopf zu, betrachtete sein blasses, mutloses Gesicht und schloss abermals die Augen. Ich brachte es nicht über mich. "Jede Menge ist passiert. Viel zu viel sogar. Und...und es tut mir schrecklich leid. Ich weiß nicht, wieviel Schuld ich an dem Unglück hier trage, aber ich wünschte, all das wäre nie passiert, wirklich," sagte ich tonlos. Zaphykel rückte ein Stück näher und tastete nach meiner Hand. "Was meinst du, Llienne? kannst du es mir nicht erzählen?" seine Stimme klang so ehrlich, so unwissend und abermals schauderte es mich bei dem Gedanken, wie dieses Gesicht aussehen würde, wenn er erfahren müsste, dass sein ganzes Leben auf Lügen aufgebaut worden war. "Später?" bettelte ich beinahe. "Kann ich es dir später erzählen?" meine Stimme zitterte, und er drückte meine Hand etwas fester. Ich konnte das durch das Kettengeflecht hindurch nicht spüren, aber ich fühlte mich ein klein wenig getröstet. "Ja, sicher," sagte er leicht verstört. Ich schlug die Augen nieder und wälzte mich schwerfällig auf die Seite, ihm den Rücken kehrend. Sicher, das war feige, und der kleine Aufschub zögerte das Unvermeidliche nur heraus, aber ich war für den Moment erleichtert. Natürlich könnte ich es mir auch einfach machen und ihm eine weitere Lüge auftischen. Aber das würde ich nicht tun, niemals. Eher schneidest du dir die Zunge ab, sagte ich mir in Gedanken und knirschte leise mit den Zähnen. Abermals breitete sich Schweigen aus und ich merkte, wie ich trotz der missligen Lage im Begriff war, einfach wegzudämmern. Meine Beine fühlten sich erneut bleischwer an, meine Augenlider schienen Tonnen zu wiegen und ich hatte einen unangenehmen, piepsenden Ton im linken Ohr. Ich war schon fast in den Schlaf geglitten, als eine warme, schmale Hand eine unordentliche Strähne aus meinem Gesicht strich und sanft über meine Schläfen fuhr. Ich biss mir erschrocken und verwirrt auf die Lippen und blieb ruhig. Die Hand fuhr mit ihren Liebkosungen fort, strich über meine Wange und suchte sich ihren Weg in Richtung meiner Lippen. "Ich weiß, dass du wach bist, Llienne," sagte Zaphykel leise. Schamesröte stieg mir ins Gesicht und ich wandte langsam den Kopf, wobei es nun beinahe aussah, als würde ich mein Gesicht auch noch absichtlich in seine warme Handfläche schmiegen. Ich sagte nichts und sah ihn nur fragend, mit einem unguten Gefühl im Bauch an.

Zaphykel zögerte, dann legte er den freien Arm um meine Schultern und zog mich behutsam wieder hoch. "So schön...und so tapfer," murmelte er, wohl mehr zu sich selbst als zu mir. Das ungute Gefühl wurde drängender, und eine innere Stimme warnte mich, dass ich seine Hand beiseite schlagen und ihn zur Rede stellen sollte. Aber ich tat nichts dergleichen. Zaphykel sah mich aus halbgeschlossenen Augen an und senkte langsam, beinahe furchtsam den Kopf. Ich blieb weiterhin völlig passiv, zuckte nicht zurück und verwies ihn auch nicht in seine Schranken. Ich war nicht gerade entsetzt, aber dennoch sehr überrascht, vor allem von mir selbst. Wenn ich mir vorstellte, dass Leifnir Havocbringer mich so anfassen würde...die Gedanken lösten sich in Rauch auf, als der Elf seine Lippen auf die meinen legte, nur ganz flüchtig und sehr behutsam. Das brach den Bann. "Zaphykel," flüsterte ich rauh, "was soll das werden, wenn´s fertig ist? wir können und dürfen nicht..." ich verstummte, als die Hand, die meinen Nacken stütze, diesen sanft zu streicheln begann. Eine kurze Gänsehaut überzog meinen Rücken. Ich will das nicht, hätte ich protestieren mögen, hör auf, was immer du dir vorstellst, es ist absolut nicht recht. Zu meiner eigenen Überraschung öffnete ich stattdessen ein klein wenig die Lippen und legte meinerseits die Arme um seinen Nacken. Ich trug noch immer meine schlammbespritzte Kettenrüstung und er ein zerfetztes Stoffgewand, und wir beide waren erschöpft und entkräftet von den letzten Tagen. Dennoch schienen all die Probleme, die wir noch hatten, plötzlich ein wenig in den Schatten gerückt zu sein. "Darf ich das, Llienne?" wisperte er und ich spürte seinen warmen Atem auf meinem Gesicht. "Darf ich es?" ich erkannte mich beinahe selbst nicht wieder, als ich ein wenig näher an ihn heranrückte. "Du darfst es."

Er löste sich vorsichtig von mir, beugte sich vor und küsste mich abermals, während seine geschickten, schlanken Finger wie Spinnenfüße über die Lederschnallen meiner Kettenrüstung huschten und diese ohne größere Schwierigkeiten lösten. Der Mond stieg teilnahmslos zur Gänzlichkeit in den Himmel auf und beleuchtete Stiefel, Kettenhemd, Handschuhe, Helm und Umhang, die verstreut im Gras herumlagen- kurz darauf gesellte sich auch eine grauweiße, zerrissene Leinenrobe dazu. Wir geben sicher keinen hübschen Anblick ab, dachte ich flüchtig, als ich im Mondlicht einen kleinen Bluterguss betrachtete, der sich auf Zaphykels nackter

Schulter abzeichnete. Ich selbst musste auch mit Narben, frischen Kratzern und blauen Flecken übersät sein. "Warum, Zaphykel?" fragte ich leise. "Warum gerade ich?" er sah mich eine ganze Weile schweigend an, vergrub eine Hand in meinem noch immer ziemlich kurzen Haar und strich mit der anderen über mein Schlüsselbein. "Du bist alles, was ich haben möchte, tapfere junge Kämpferin aus dem Norden," sagte er ernsthaft. Ich blinzelte, nickte aber leicht. Beinahe scherzhaft fragte er: "Und warum darf gerade ich dich so berühren?" ich ließ den Abklatsch eines verwegenen Grinsens aufblitzen. "Du bist heute das, was ich haben möchte, schöner

junger Elf aus dem grünsten Land," antwortete ich. Einen Moment lang starrte er mich groß an, dann lachte er leise, zog mich wieder an sich und küsste mich erneut, dieses Mal deutlich stürmischer. Ich stellte das Denken ab, wischte die noch immer nagenden Zweifel fort und erwiderte den Kuss, ließ zu, dass seine Zunge, die sich wie eine kleine Schlange in meinen Mundraum stahl, die meine aufdringlich umspielte. Seine Hand schloss sich vorsichtig um meine noch knospende Brust, wog und drückte sie sachte. Ich krallte eine Hand in sein langes, dunkles Haar und streichelte mit der anderen seinen Rücken hinab. Langsam, als würde es ihn große Mühe kosten, löste sich Zaphykel aus dem Kuss. Seine Brust hob und senkte sich ein wenig schneller als gewöhnlich, und seine Stimme klang heiser: "Bist du wirklich sicher, Llienne? ich...ich will dir nichts aufzwingen." Ich legte einen Finger an seine Lippen. "Ich bin sicher." Und während ich ihn wieder zu mir hinunterzog, leuchtete der Mond unbeeindruckt weiterhin hell und klar vom nächtlichen Himmel.

Hibernia muss verrückt sein

Sehr viel später wachte ich auf und blinzelte desorientiert. Die Nacht neigte sich ihrem Ende zu, am Horizont tauchte bereits zögerlich ein heller Streifen auf. Perplex bemerkte ich, dass ich komplett nackt war. Und dass da jemand neben mir lag. Ich drehte träge den Kopf und war mit einem Schlag hellwach, während die Erinnerung mit der Gewalt eines Hammerschlags zurückkehrte. Neben mir lag Zaphykel, ebenso nackt wie ich und mit einm kleinen Lächeln auf dem entspannten Gesicht. Der Elf schlief noch tief und fest und mir stand nicht der Sinn danach, ihn zu wecken. So leise ich konnte, stand ich auf und fuhr mir durch das zerzauste Haar, um geistesabewens ein verirrtes Blatt heraus zu zupfen, ehe ich mich ein paar Schritte entfernte. Mit der Erinnerung kam zwar keine Verlegenheit, aber ein durch und durch ungutes Gefühl. Was würde passieren, wenn dies herauskam? rein moralisch gesehen hatte ich keine größeren Bedenken. Aber wenn man einfach alles Geschehene beiseite schob, blieb da doch die Tatsache, dass er und ich eigentlich Feinde waren. Eine gefangene Midgarderin und ein Hibernianer, noch dazu nicht irgendwer, sondern der legitime Thronerbe. Oh schande. "Llienne?" ich fuhr fast aus dem nichtvorhandenen Fell und schnellte herum. Keine zwei Schritte hinter mir stand Zaphykel mit leicht schräg gelegtem Kopf und immer noch nackt, wie die Götter ihn geschaffen hatten. Ich schluckte ein wenig und bemühte mich, nicht tiefer als bis zu seiner schmalen Brust zu blicken. "Ja?" brummte ich mit einiger Verspätung. Der Elf trat an meine Seite und legte mir einen Arm um die Schultern. Beinahe reflexartig stieß ich ihn weg und die gelblichen Augen des jungen Mannes wurden eine Spur größer. "Was ist denn?" fragte er langsam. Ich schwieg, blickte zu Boden und wusste nichts zu sagen. "Llienne? hab ich dir weh getan, hast du Angst, dass du schwanger wirst, oder was ist los?" ich knurrte, nun doch peinlich berührt, und blickte kühl zu ihm auf. "Ich werde nicht schwanger werden," erwiderte ich knapp. Über den fraulichen Körper und das Geheimnis der Empfängnis wusste ich nicht allzu gut Bescheid, aber ich hatte den Heilerinnen von Jordheim das ein oder andere Mal flüchtig zugehört, und irgend etwas Besonderes war da doch mit der ersten Blutung und der Fruchtbarkeit. Ob ich fruchtbar war, konnte ich nicht sagen, aber eine Blutung ohne Verletzung hatte ich noch nicht gehabt...

"Und was ist es dann?" bohrte der Elf hartnäckig weiter. "Traust du mir nicht, oder bist du insgeheim vielleicht doch so etwas wie eine Priesterin? ich dachte, um so etwas scheren sich nur Albioner." Es sollte wohl eine Art Witz sein, aber er wirkte nicht mal ansatzweise. "Ich traue dir....glaube ich," sagte ich langsam. Er hob eine Augenbraue und ich fuhr rasch fort, um mich nicht unterbrechen zu lassen: "Das ist überhaupt nicht komisch, Zaphykel. Hast du dir mal überlegt, was passieren wird, wenn das herauskommt? rein theoretisch sind wir beide nämlich Feinde. Wir kennen uns doch kaum. Und außerdem bist du..." ich biss mir auf die Lippen und sah weg. "Ja?" fragte Zaphykel, als mich der Mut verließ und ich abermals schwieg. "Du wolltest mir doch eh etwas erzählen," erinnerte sich der Elf und maß mich mit einem nachdenklichen Blick. Ich seufzte, schloss die Augen, öffnete sie wieder. Gut, ganz wie er wollte. Ich war es leid, fremde Geheimnisse und Schicksale auf meine schmerzenden Schultern zu laden. "Ich habe die Wahrheit über dich herausgefunden," begann ich. Er wollte etwas sagen, doch ich schnitt ihm mit einer beinahe herrischen Kopfbewegung sofort das Wort ab. Ich wollte mich nicht unterbrechen lassen. Und ich wollte es schnell hinter mich bringen. "Die Leute, bei denen du aufgewachsen bist, sind nicht deine Eltern, Zaphykel. Und du bist auch viel mehr als nur ein Übersetzer von Mikata und den ausländischen armen Teufeln, die hier schuften müssen. Du bist..." Zaphykel hob nun seinerseits die Hand. "Das weiß ich doch," sagte er leicht ungeduldig. "Meine Mutter starb bei meiner Geburt, meinem Vater wurde ein schreckliches Unrecht angetan und er musste fliehen. Du selbst hast mir die Kristallspitze seines ersten Stabs gebracht, weißt du nicht mehr?" ich schüttelte seufzend den Kopf. "Das ist aber nicht alles. Deine Mutter ist nicht tot, Zaphykel. Sie ist verschollen. Oder war es. Du bist der rechtmäßige Thronfolger dieses Landes und Königin Brigit ist deine Mutter. Der Lurikeen und seine Tochter, die hier das Szepter schwingen, sind hingegen nur Verräter." Ich schwieg und betrachtete, was ich angerichtet hatte. So viel war es eigentlich gar nicht. Die gelblichen Augen des jungen Mannes wurden noch eine Spur größer, auch der letzte Rest Farbe wich aus seinen Wangen und seine Lippen bebten ein wenig. Aber er brach wenigstens nicht in Tränen auf oder schrie mich an. "Was redest du da?" murmelte er und ich war erleichtert, dass er mich nicht gleich eine Lügnerin nannte. "Ich war in Murdaigean," erklärte ich sanft. "Ich hab auch rausgefunden, was dort vorgeht." Und ich erzählte ihm von den Gefangenen, den Verrätern aller drei Reiche, auch von Mikata, dem Berserker Vewo und meinem Bruder.

"Oh, bei Dana," sagte Zaphykel heiser. Seine Beine wurden ihm offenbar zu schwer und er setzte sich. Zögerlich folgte ich seinem Beispiel und zog die nackten Knie an den Körper. "Bist du nicht wütend?" fragte ich plötzlich. Er sah überrascht auf. "Wütend? auf dich? warum sollte ich denn. Du kannst ja nichts dafür. Und...und du hast mir nur die Wahrheit überbracht, die mir meine eigenen Leute nicht sagen wollten." Seine Stimme klang verständlicherweise bitter und ich legte ihm flüchtig eine Hand auf den Unterarm. "Du solltest versuchen, sie zu verstehen. Sie wollten dich nur schützen. Der Bruder deines Vaters, der rechtmäßige König, hatte damals befohlen, dich zu töten. Ganz streng genommen hat deine Mutter ihn ja mit deinem Vater betrogen. Aber sie hat den König geliebt. Und...sie liebt auch dich." Zaphykel betrachtete mich mit bangen Augen. "Ist das wahr? hast du mit ihr gesprochen?" fragte er leise. Ich nickte nur. "Und kommt sie zurück?" ich hob die Schultern. "Sie war verwundet, mein elender Bruder und sie haben einen Zweikampf ausgetragen, Storvag hat es aber schlimmer erwischt. Ich glaube, die Murdaigan-Rebellion ist zerschlagen, denn die Gefangenen sind frei und wenigstens in einem Punkt sind sich die Albioner, Midgarder und Hibernianer einmal einig: dass ihnen furchtbares Unrecht angetan wurde und ihr Heimatland davon erfahren wird. Und wenn das geschieht, wird Mikata wohl die längste Zeit Prinzessin gewesen sein." Zaphykel nickte seufzend. "Ich lege keinen großen Wert darauf, Prinz zu sein, weißt du? ich will nur meine wahre Mutter kennen lernen. Was ist denn nun eigentlich mit dir?" fügte er unvermittelt hinzu. Ich blinzelte. "Was soll mit mir sein?" der Elf strich mir zaghaft über die Schulter. "Bist du dann immer noch gefangen, oder lässt man dich gehen?" ich schloss kurz die Augen, genoss das Gefühl seiner schlanken, kühlen Finger und dachte an zu Hause. "Ich denke nicht, dass deine Mutter mich hier fest halten wird." Zaphykel zog mich vollkommen unvermutet an sich und schloss die Arme um meinen Oberkörper. Ich errötete spontan und blickte verwirrt zu ihm auf. "Zaphykel...?" der Elf schüttelte den Kopf und sein langes, dunkles Haar verwehrte mir einen Blick auf seine Augen. "Geh nicht," bat er so leise, dass ich ihn nur mühsam verstehen konnte. Ich starrte ihn an und er fuhr mit dem Zeigefinger über meine linke Brustwarze, welche sich prompt ein wenig verhärtete und mir eine kurze Gänsehaut über den Rücken jagte. "Geh nicht zurück nach Midgard. Bleib hier. Es wird sich alles ändern. Du verstehst unsere Sprache doch inzwischen fast perfekt, du wirst sie ebenso rasch lernen. Was hast du denn daheim? nach allem, was du erzählt hast, ist deine Mutter tot, dein Vater ein gewaltiger Mistkerl und dein Bruder ein elender Verräter. Bleib hier...bei mir." Ich wollte ihn spontan wegschieben, entschied mich jedoch im letzten Moment dagegen und befreite einen Arm aus seiner Umklammerung, um die violetten Haarsträhnen zur Seite zu schieben. "Zaphykel, das geht nicht. Du bist der hibernianische Prinz und ich gehöre nicht hierher. Meine Ausbildung..." "...kannst du ebenso gut hier fort setzen. Lern das Waffenhandwerk, du musst doch nie gegen Midgard in den Krieg ziehen." Ich schüttelte traurig den Kopf. "Von wem sollte ich hier die Skaldenkünste lernen? und was hätte ich hier? ich wäre immer eine Fremde, Zaphykel. Das würde sich nicht dadurch ändern, dass ich deine Sprache lerne." Der Elf sah mich an und ich fühlte mich an ein trotziges Kind erinnert. Genau so siehst du vermutlich auch aus, wenn du dich vor Keena oder Vater rechtfertigst, ging es mir überrascht durch den Kopf. "Du hättest mich," sagte der Pinz und seine Stimme klang tatsächlich ein wenig eingeschnappt. "Ist das noch weniger als nichts?" abermals fuhren seine Fingerkuppen über meine empfindlichen Brüste und ich erschauderte.

"Es geht nicht," sagte ich leise. "Ich hätte dich, aber ich wäre unglücklich. Und du würdest über kurz oder lang auch unglücklich werden. Der Faden meines Schicksals ist nicht mit deinem verknüpft." Er sah mich wortlos an, offenbar bestürzt über meine Direktheit, doch diese erschien mir als bester Weg. Ich tastete nach seiner Hand und verflocht meine Finger mit den seinen. "Es muss ja kein Abschied für immer sein," fuhr ich gedämpft fort. "Ich werde dich besuchen, wenn es geht. Wir könnten uns im Grenzland irgendwo treffen. Und ich könnte dir schreiben." Zaphykel nickte langsam, mied dabei aber meinen Blick. Ich reckte den Kopf und küsste ihn, zwar nur kurz, aber doch sehr zärtlich. Er war wirklich schön. Zwar ein magerer Elf, aber schön. Auf viele Arten. Ich musste leicht lächeln und nach einem kurzen Moment tat es mir Zaphykel gleich. "Aber wir müssen nicht sofort zurück, oder?" fragte er hoffnungsvoll. "Ich fürchte mich ein wenig," gestand er, als ich ihn fragend anblickte. "Es wird sich so viel ändern." Ich grinste verwegen und piekte ihn in den entlößten Bauch. "Jetzt sofort sowieso nicht. Täusche ich mich, oder war da unten ein Fluss? ich brauche dringend ein Bad. Und so nebenbei bemerkt...du auch." Er lachte und zog mich auf die Füße. Kurz darauf gingen wir nebeneinander zum Fluss.
 

Es war ein herrliches Gefühl, sich den Schmutz und Schweiß vom Körper zu waschen. Zwar war das Wasser noch morgendlich kalt, aber auch wunderbar belebend und erfrischend. Ich watete nackt über den sandigen Grund, stellte mich unbewusst auf die Zehenspitzen, als das kalte Nass die kritische Grenze meines Bauches erreichte und nahm dann meinen Mut zusammen, um mich mit ausgebreiteten Armen nach vorne plumpsen zu lassen. Prustend, schaudernd und blinzelnd tauchte ich alsbald wieder auf und drehte mich zu Zaphykel um, der anmutig am Ufer saß, mit den Zehen im Wasser plantschte und mir grinsend zusah. "Was ist? kannst du nicht schwimmen, oder waschen sich Elfen nicht? und ich dachte, so etwas sagt man nur uns midländischen Barbaren nach," zog ich ihn unbekümmert auf. Der Prinz hob spöttisch eine Augenbraue. "Wann komme ich denn schon dazu, besagten Barbaren beim Baden zuzuschauen. Geben alle Midgarder Geräusche wie schnaubende Kühe von sich?" schnaubende Kühe? ich richtete mich mit unheilschwerer Miene auf, watete auf den Elfen zu und spritzte ihm ohne zu zögern eine gewaltige Ladung Wasser ins arrogante Gesicht. Zaphykel blinzelte heftig, und während er damit noch beschäftigt war, packte ich ihn ziemlich rücksichtslos am Bein und zerrte ihn zu mir ins seichte Wasser. Sein angedeuteter Protest wurde auf wirksame Weise erstickt, als ich seinen Kopf mit beiden Händen nach unten zwang. Erst als Zaphykel mir recht unsanft eine leicht geballte Faust in die Rippen stieß, ließ ich von ihm ab. "Heimtückisch bist du also auch noch," keuchte er und sah mich durch die langen, nassen Haarsträhnen hindurch entrüstet an. Ich grinste. "Nein, du bist nur zu langsam." Ich hatte den Satz noch nicht beendet, da schlang mir der Elf einen Arm um die Schultern und schob mir den anderen unter die Kniekehlen, um mich mühelos aus dem Wasser zu hieven. Einen kleinen Moment erstarrte ich und sah ihn an, wobei sich mein Herzschlag um eine Winzigkeit beschleunigte. Er erwiderte den Blick und ein angedeutetes Lächeln spielte um seine Lippen. Ich dachte schon, dass er mich jetzt abermals küssen würde und meine Wangen verfärbten sich rosa- da warf mich der verdammte Kerl ganz nonchalant von sich und mit einem Fluch tauchte ich unter.

Zwanzig Minuten später lagen wir im hohen Gras und ließen uns von der zögerlich aufgehenden Morgensonne trocknen. Auch unsere Kleider hatten wir notdürftig gewaschen- zwar sah Zaphykels zerfetzte Robe schon halb zerlumpt aus und auch mein Untergewand, welches ich unter der Kettenrüstung getragen hatte, hing zum Teil in Fetzen, aber wir konnten schlecht die ganze Zeit nackt durch die Gegend spazieren. Es herrschte einvernehmliches Schweigen, bis mein Magen unvermutet und sehr lautstark zu knurren begann. Ich strich mir verlegen über den Bauchnabel und mir wurde bewusst, wie lange ich schon nichts mehr gegessen hatte. Zaphykel richtete sich auf die Ellenbogen auf. "Du hast recht," sagte er nachdenklich, "ich könnte auch ein Frühstück vertragen. Was hältst du davon, wenn ich uns Beeren und Pilze beschaffe und du versuchst, ein paar Fische zu fangen?" ich sah ihn trocken an. "Wie soll ich das denn anstellen? hast du zufällig eine Angel oder reicht es, wenn ich die Viecher freundlich bitte?" Zaphykel verdrehte die Augen. "Bau dir einen Speer und hoffe auf Glück, oder versuch's doch mal mit deinen Kampfschreien. Ich gehe jetzt jedenfalls auf Obstjagd, bis später." Er griff nach seiner ausgebreiteten Robe, streifte sie über und schauderte, als der nasskalte Stoff seine sonnengewärmte Haut berührte. Mit einem letzten spöttischen Grinsen schlenderte er die Böschung hinauf und verschwand kurz darauf im Wald.

Ein wenig verdattert blickte ich dem Elfen hinterher und schnaubte dann. "Unhöfliches Spitzohr," brummelte ich, richtete mich aber dennoch auf und schlurfte ans Ufer zurück. Tolle Idee, ich war eine Schlachtensängerin, vom Angeln hatte ich so viel Ahnung wie vom Stricken. Und der Gedanke, meine magischen Lieder und Schreie zum trivialen Fischfang zu benutzen, war doch wohl mehr als entwürdigend. Ich schnaubte abermals und blickte auf den glasklaren Flussgrund. Gab es hier überhaupt Fische? wenn ja, hatten Zaphykel und ich sie mit unserem Herumgetobe bestimmt sowieso verscheucht. Aber während ich das noch dachte, schwamm keine drei Schritte vom Ufer entfernt plötzlich seelenruhig ein Barsch vorbei. Meine Augen wurden schmal, als ich ihm hinterher starrte. Ach, was soll's, dachte ich verdießlich und meine befehlende Stimme füllte mit einem zirpenden Laut die Morgenluft. Ich konnte meine leise Belustigung nicht verhehlen, als der Fisch tatsächlich mitten in der Bewegung erstarrte. Würde es den Zauber brechen, wenn ich ihn einfach aus dem Wasser hob? vermutlich nicht, ich musste nur vorsichtig sein und ihm keine Schmerzen zufügen. Mit langen Schritten stieg ich ins kühle Nass zurück, ergriff den schlüpfrigen Leib und balancierte ihn vorsichtig zwischen den Händen. Dabei kräuselte ein stolzes Grinsen meine Lippen. Zaphykel würde Augen machen, denn ich war fast sicher, dass sein Vorschlag nur darauf abgezielt hatte, mich zu ärgern. Die magische Betäubung ließ alsbald nach und das bedauernswerte Tier zappelte im Gras herum. Eigentlich solltest du es von seinem Leiden erlösen, dachte ich missmutig, aber ein Hieb mit der Axt würde vermutlich Matsch aus meinem baldigen Frühstück machen. Da fiel mir wieder ein, dass ich immer noch eine Skaldin war und ich holte tief Luft, um einen durchdringenden magischen Kampfschrei auszustoßen. Ein kurzes, ruckartiges Zucken durchlief den silbrig geschuppten Körper, dann lag er still. Ich schimpfte mich in Gedanken eine Närrin, hier so herum zu brüllen -Zaphykel hatte zwar gesagt, dass dieser Ort meist verlassen war, aber gewiss war das natürlich nicht- und lehnte mich zurück. Die Ehre, aus der grätenreichen Kreatur etwas Essbares zu machen, wollte ich dem Elfen überlassen. Wo blieb Zaphykel überhaupt? ich drehte den Kopf in die Richtung, in welche er verschwunden war und kniff die Augen zusammen. Herrje, nun mach dich nicht selbst verrückt, wies ich mich im Stillen energisch zurecht. Du bist schließlich nicht seine Amme, und Beeren pflücken sich auch nicht in fünf Minuten.

Aber Zaphykel kam auch in zehn Minuten nicht zurück.

Eine Viertelstunde verging und wurde zu einer Halben und langsam, ganz langsam erfasste mich Unruhe. Ich nahm mein noch klammes Untergewand und streifte es über, ehe ich rastlos am Ufer auf und abging. Inzwischen mussten bestimmt fünfundvierzig Minuten vergangen sein und meine Nervosität wuchs mit jedem Moment mehr. Ich wartete noch einen Augenblick, dann hatte ich es satt. Sollte er mich auslachen, wenn ihm der Sinn danach stand, aber ich hatte nicht den Murgar und seine Dämonendiener auf die Hibernianer gehetzt und ihn vorm Galgen gerettet, um mit dem Gedanken leben zu müssen, dass sie ihn schlussendlich doch noch erwischt und getötet hatten. Ich nahm meine Axt auf, behielt sie in Ermangelung eines Gürtels in der Hand und stapfte mit grimmiger Miene und bloßen Füßen auf den Waldrand zu, ehe ich vor Schreck einfach erstarrte: leise Stimmen wehten zu mir herüber und ich konnte sogar einzelne Wörter wie "das Mädchen" und "irgendwo hier" heraus hören. Panikerfüllt hechtete ich hinter den nächsten Baum und duckte mich. Jeder Muskel in meinem Körper war bis zum Zerreißen angespannt. Die Stimmen kamen bereits näher und ausgerechnet aus der Richtung, in welche Zaphykel verschwunden war. Ich spürte meine Hände feucht werden, als wenigstens fünf hibernianische Wächter unvermittelt zwischen den Bäumen auftauchten. Drei elfische Schwertmeister, ein Firbolg-Fian und eine keltische Championesse. Aussichtslos. Ohne eine Rüstung hätte ich es vermutlich nicht einmal mit einem von ihnen aufnehmen können, bei fünf Gegnern gleichzeitig konnte ich ebenso gut sofort die Axt in den Fluss werfen. Ich presste die Lippen zusammen und knirschte leise mit den Zähnen. Zaphykel war ihnen bestimmt schon ins Netz gegangen. "...Sie wird sich freuen, sie zu sehen," meinte die Keltin und ich hörte das Grinsen in ihrer Stimme. Oh ja, dachte ich gallig. Mikata wird sich ganz bestimmt freuen, mich zu sehen. Vor allem wird es sie freuen, mir endlich die Kehle durchschneiden zu können. Die Wachen kamen noch näher und ich dachte fieberhaft über eine wirkungsvolle Lösung nach. Mein Versteck war alles andere als gut, ein Kampf kam nicht in Frage, wohin sollte ich also fliehen? so leise wie möglich richtete ich mich auf und schlich geduckt und rückwärts vom Baum und den Hibernianern weg. "Ich bin sehr gespannt, was sie sich für die Kleine einfallen lassen," sinnierte einer der Elfen. Er und seine Gefährten wirkten beinahe fröhlich und ich spürte neben der Angst auch Wut in mir empor kriechen. Daraus wird nichts, du sensationsgeiles Spitzohr, dachte ich hitzig. Noch habt ihr mich nicht...so leise wie möglich vergrößerte ich den Abstand, tat nur kleine Schritte und da ich rückwärts ging, übersah ich die Brennnesseln, die hier fröhlich mit Gras, Efeu, Dornenbüschen und Blumen um die Wette wuchsen. Ein schneidender Schmerz schoss mir durch die nackten Füße und Waden und ehe ich mich noch zurück halten konnte, schrie ich kurz und nachdrücklich auf. Wie auf Kommando ruckten die Köpfe der Wachen in die Höhe und alle starrten in meine Richtung. Ich starrte mit aufgerissenen Augen zurück, drehte mich um und rannte los, den Schmerz einfach ignorierend, ebenso die Tatsache, dass der Waldboden mit Stöckern und spitzen Steinen regelrecht übersät war. "Heh...!" machte der Firbolg blöde, doch die Elfen und die Keltin überwanden ihre Überraschung erschreckend schnell und setzten mir nach. "Warte, Mädchen, bleib stehen!" rief ein blonder junger Elf mit beschwörender Stimme. Den Teufel würde ich tun. Obwohl meine bloßen Fußsohlen bereits bluteten, hetzte ich weiter und hörte, wie die vier sich ebenso rücksichtslos wie ich durch die Büsche schlugen. Zwar trugen sie Rüstungen, aber mit ihren Stiefeln kamen sie viel schneller und sicherer voran, während ich ein ums andere Mal strauchelte. Ich blickte über die Schulter und sah, dass sich mein Vorsprung drastisch verkürzt hatte. Als wäre das noch nicht genug, stieß die Championesse plötzlich einen hohen, summenden Ton aus und mir war, als steckten meine Knöchel plötzlich in zähflüssigem Schlick. Ich kam nur noch langsam und schwerfällig voran, mühsam ruderte ich mit den Armen, als würde ich gegen einen unsichtbaren Sog ankämpfen. "Nein!" schrie ich frustriert, da waren die Wächter auch schon heran und packten mich.

Ich wehrte mich wie toll, fauchte, kratzte, versuchte zu beißen. Einer der Elfen, ein hochgewachsener Mann mit einem kurzen, dunkelgrünen Zopf, zwang mir die Arme auf den Rücken und presste mich an sich und bis auf wildes Fluchen konnte ich nun gar nichts mehr tun. Der blonde Elfenschwertmeister, der zuerst gesprochen hatte, sah mich streng an: "Hör auf damit, Mädchen. Beruhige dich." Mich beruhigen? aufhören? ich wusste etwas viel Besseres. Mit einem sehr derben Wort in meiner Muttersprache hob ich den Kopf und spuckte ihm ins makellose Gesicht. Die Augen des jungen Mannes verdüsterten sich merklich und mit steinerner Miene fuhr er sich über die getroffene Wange, ehe er seinem Gefährten knapp zunickte. "Wir gehen zurück, lass sie nicht entwischen." Der Elf erwiderte nichts und zog mich mit gleichgültigem Gesicht hinter sich her und mir blieb nichts anderes übrig, als mich seinen schnellen Schritten anzupassen. Bei Bragi, wie ich das hasste. Hilflos erdulden zu müssen, wie mich diese elenden Rindenraucher herum schubsten. Wieder einmal. "Wo ist Zaphykel?" fragte ich unvermittelt und noch immer ziemlich atemlos. Der blonde Elf kehrte mir wortlos den Rücken zu, aber der Dritte, ein noch sehr junger Bursche mit großen blauen Augen und Haaren der gleichen Farbe, öffnete bereitwillig den Mund. Er kam jedoch nicht dazu, auch nur ein Wort zu sagen, denn die Keltin unterbrach ihn schneidend: "Sei still!" der Elf fuhr kaum merklich zusammen und seine Augen funkelten trotzig, doch er gehorchte. Ich schloss verzweifelt die Augen. Ich war schon wieder gefangen, meine Freiheit vorbei, noch ehe ich sie richtig ausgekostet hatte und wer konnte schon sagen, ob ich Zaphykel jemals lebend wieder sehen würde. Ich wurde sehr still und hörte auf zu zappeln. Schweigend stolperte ich zwischen den Wächtern her, die natürlich den Rückweg in Richtung Tir na nOgh einschlugen. Mikata und ihr Vater würden mich bestimmt schon sehnsüchtig erwarten und sich die Hände reiben. Bei dem Gedanken wurde mir tatsächlich beinahe schlecht.
 

Ich verlor sehr bald mein Zeitgefühl, doch viel länger als zwei Stunden konnten wir insgesamt nicht unterwegs gewesen sein. Die Sonne schien inzwischen kraftvoll vom Himmel und es wurde angenehm warm. An der Brücke von Basar, wo ich mit den anderen auf Athriliath gestoßen war, machten meine Wächter eine kurze Pause. Ich setzte mich dankbar und als der Elf, der mich festhielt, sah, dass ich keine Anstalten machte erneut zu fliehen, ließ er mich auf ein kurzes Nicken des blonden Anführers hin zögernd los. Der etwas begriffsstutzige Firbolg hatte uns rasch eingeholt und bedachte mich mit scheelen Blicken, doch die Keltin, die ihrem elfischen Gefährten eben noch so eisig über den Mund gefahren war, kam nun zu mir und stellte ein durch und durch freundliches Lächeln zur Schau. "Verstehst du mich?" fragte sie in ihrer Muttersprache. Ich nickte widerwillig. "Ja, manches verstehe ich," erwiderte ich unbeholfen auf gälisch, doch statt mich Spott zu bedenken, wurde das Lächeln noch eine Spur wärmer. Sie warf das lange rote Haar über die Schulter und zauberte ein Stück Leinen hervor, welches sie zuvor in den kühlen Fluss getaucht hatte. "Zeig mir deine Füße," befahl sie in der Gemeinsprache, welche sie wiederum nur stockend sprach. Ich gehorchte und streckte die Beine aus. Dort, wo mich die Brennnesseln gestreift hatten, war die Haut gerötet und von hässlichen kleinen Quaddeln übersät und meine Füße boten ebenfalls einen durch und durch unschönen Anblick- verdreckt, zerkratzt und mit schorfigem Blut verkrustet.

Mit großem Geschick und mehr Sanftheit, als ich erwartet hatte, entfernte die Keltin Dornen und winzige Steinchen aus meinen Fußsohlen, ehe sie diese mit dem blütenweißen, kühlen Stoff sauber wusch. Das brannte und stach nicht schlecht, doch ich biss mir auf die Lippen und unterdrückte auch den kleinsten Schmerzlaut. Nachdem sie mir auch noch die von den Nesseln hervorgerufenen Schwellungen gekühlt hatte, kam ich nicht umhin, die Frau ebenfalls scheu anzugrinsen. "Danke." Sie winkte großmütig ab und stemmte sich wieder hoch. "Wir wollen ja nicht, dass sich deine Wunden entzünden, nicht wahr. Und wir sollten nicht unnütz trödeln." Über die Schulter hinweg nickte sie ihren Kameraden zu und der blonde Elf klatschte in die Hände: "Es geht weiter!" mein Lächeln verschwand, als habe es jemand weggewischt. Ich hatte wohl einen Moment vergessen, wie es um mich stand. Doch ich sah auch ein, dass ich mir einen weiteren Fluchtversuch getrost sparen konnte. Ich war viel zu nahe an den hibernianischen Dörfern und mit dem gemeinen kleinen Zauber der Championesse würde ich mich wieder nur wie eine Schnecke bewegen können. Seufzend rappelte ich mich auf und zischte nun doch- jetzt, wo die harmlosen kleinen Verletzungen versorgt waren, schmerzten sie deutlich stärker als zuvor. Die Keltin sah mich an, doch ich mied ihren Blick und straffte die Schultern. "Es ist nicht mehr weit," erklärte der blauhaarige Elf überflüssigerweise und klopfte mir beinahe tröstend auf die Schulter. Ich knurrte leise- wollten die mich alle auf den Arm nehmen oder was sollte dieses schleimige Getue? nichts davon brachte ich zur Sprache und ging schweigend neben den Hibernianern her. Da ich brav in ihrer Mitte schlenderte, wurde ich auch belohnt und nicht mehr gepackt und vorwärts geschubst. "Was blüht mir denn?" fragte ich scheinbar lässig, aber mit einem angespannten Unterton. "Werden sie mich nur aufhängen, wie sie's mit Zaphykel tun wollten, oder werde ich vielleicht gevierteilt?" die Wächter tauschten bedeutsame Blicke und ich hatte das Gefühl, dass sie ein einheitliches Grinsen unterdrückten. "Oh, das wirst du sehen. Ich bin sicher, es wird dir gefallen," sagte der blonde Elf, der die Gemeinsprache beinahe fließend beherrschte. Ich genehmigte mir ein leises Schnauben und schwieg. Es dauerte nicht lange, und wir erreichten Ardee. Zu meiner leisen Verwunderung war die winzige Stadt wie ausgestorben, doch die Wächter schienen nicht überrascht und setzten ihren Weg ohne einen weiteren Zwischenstopp fort. Nun kam Mag Mell in Sichtweite und mein Magen zog sich unbewusst ein wenig zusammen- ich wusste, dass ich hinter dem Hügel schon die Goldkuppen von Tir na nOgh würde sehen können. Und Tir na nOgh war derzeit der Ort, zu dem mich nichts, aber auch gar nichts hinzog. Beim Näherkommen stellte sich heraus, dass Mag Mell genauso ausgestorben wie Ardee war. Lediglich ein paar einsame Hühner liefen herum, aber ich sah weder Kaufleute, noch Kinder oder die Ausbilder der Jugendlichen. Meine Neugier überwog die leise Furcht und ich sah mich verblüfft um, ehe ich mich an die Keltin wandte: "Was ist denn passiert? wo sind die ganzen Leute?" sie lächelte nur einmal mehr und antwortete nicht.

Wir stiegen den Hügel hinter der Stadt hinauf und mir fiel die Kinnlade herunter. Das kleine Tal vor den Toren der Hauptstadt war nicht mehr leer. Im Gegenteil, ganz offensichtlich hatte sich hier halb Hibernia versammelt. Zumindest alle Bewohner Ardees und Mag Mells und -da war ich fast sicher- auch die aus Mardagh und Tir na mBeo. Ich fuhr ein wenig zusammen, als sich jetzt ein großer Teil des Kopfmeeres zu uns umdrehte. In den wenigsten Augen las ich offene Feindschaft, vielmehr wirkte die Menge neugierig und seltsam erregt. "Was, bei Bragis Eiern..." entfuhr es mir, doch der Elfenführer stubste mich nachdrücklich in den Rücken und ich ging wie eine Schlafwandlerin weiter. Es bildete sich eine natürliche Gasse, durch welche wir uns schlängelten und der Klumpen in meiner Kehle wurde größer und größer. Ich fühlte mich von den ganzen Blicken beinahe erschlagen und das allgegenwärtige Geraune schwoll an und glich drohendem Bienengesumm. "Ruhig," murmelte die Keltin mir zu und ergriff mich am Arm, um mich mit sanfter, aber unerbittlicher Gewalt weiter zu ziehen. Ruhig? ich hätte nun wirklich nichts dagegen gehabt, die Rollen zu tauschen: statt Hibernia in Midgard mit Hunderten von Midgardern, die ihr und den anderen den Weg zum Spießrutenlauf machen würden. Der Gedanke tröstete mich nicht wirklich und für mehr blieb auch keine Zeit, denn nun hatten wir das prächtige Haupttor erreicht und durchquerten es. Im gleichen Moment brach die Menge hinter uns in lauten Jubel aus und ich blickte kurz vollkommen verdattert über die Schulter zurück. Drehten die nun alle völlig durch oder freuten sie sich über die Aussicht, dass sie mich mit großer Wahrscheinlichkeit soeben zum letzten Mal in einem Stück gesehen hatten? "Was wird hier eigentlich gespielt?" fragte ich halblaut. "Was soll dieser Zirkus?" die Keltin maß mich mit einem schwer deutbaren Blick, der sicherlich kühl gewesen wäre, hätten ihre Augen nicht so mutwillig gefunkelt. Auch die Elfen hatten undurchschaubare Mienen aufgesetzt und aus dem groben Gesicht des Firbolgs konnte ich eh nichts deuten. "Nichts was Ihre Majestät tut, dient dazu, dich oder sonst jemanden hier zu belustigen, damit das klar ist, Nordmädchen!" mischte sich der blonde Elf ungehalten ein. Diesmal war der Stoß zwischen meine Schulterblätter noch unsanfter und ich fluchte lästerlich, als sie mich weiter voran trieben.

Auch in Tir na nOgh herrschte reger Betrieb, alle wirkten erwartungsvoll, aufgeregt und beinahe euphorisch. Was zum Geier läuft hier bloß, dachte ich verwirrt, doch ich spürte, dass jede Frage in die Richtung zu keiner befriedigenden Antwort führen würde und so fasste ich mich in Geduld, obgleich ich noch immer schrecklich nervös war. Ich dachte, man würde mich nun unverzüglich nach Alainn Cuir zum Thronsaal bringen, doch zu meiner grenzenlosen Verwunderung zerrte mich der blonde Elfenschwertmeister plötzlich aus unserer kleinen Gruppe und steuerte auf ein winziges Haus zu. "He...!" protestierte ich überrascht, während ich ihm hinterherstolperte. Der Elf schwieg, schloss die Tür auf und schubste mich über die Schwelle. Das Haus bestand nur aus einem einzigen großen Raum und einer Treppe, die wohl zum Dachboden führte. Alles war sauber, aber sparsam eingerichtet- bis auf ein Bett, einen Wandschrank, einen hölzernen Schemel und ein Regal mit Geschirr gab es nicht viel zu sehen. Was sollte das jetzt werden...? argwöhnisch sah ich den Wächter an und der Mann deutete mit dem Kopf auf das Bett. "Nichts da!" fauchte ich und wich rückwärts zur gegenüberliegenden Wand zurück. "Fasst mich an und ich...trete sie Euch ein!" warnte ich mit bebender Stimme. Der Elf stand hoch aufgerichtet, mit leicht gespreizten Beinen und in die Hüften gestemmten Armen vor der Tür und sah mich einen Moment lang einfach nur an, ehe er den Kopf zurück legte und laut auflachte. Ich fletschte die Zähne. Glaubte dieses baumlange, nietenledertragende Elend, ich würde scherzen? selten war mir weniger nach einem Scherz zumute gewesen. Und ich wusste, ich würde wirklich ganz bestimmt nicht still halten, wenn er auf den Gedanken verfallen sollte, irgend eine Dummheit zu begehen. "Herrlich, herrlich," kicherte der junge Wächter und meine Miene wurde noch finsterer. "Was ich eigentlich sagen wollte...", der Elf räusperte sich amüsiert, "ich muss für eine Weile fort und wir können dich im Moment nicht gebrauchen. Leg dich ein wenig hin und ruh dich aus, im Schrank findest du auch Kleidung. Ich werde später jemanden schicken, der dir etwas zu essen bringt. Versuch gar nicht erst, aus dem Fenster zu klettern, man wird dich im Auge behalten." Er verbeugte sich spöttisch, fuhr schwungvoll herum und zog die Tür hinter sich zu. Ich hörte das leise Geräusch des Schlüssels, der im Schloss herum gedreht wurde.

Mit einem frustrierten Laut warf ich mich bäuchlings auf das Bett und bohrte eine Faust ins Kissen. Ein verwirrendes Gefühl aus Erleichterung, Scham und Neugier durchflutete mich. Die vergangene Szene war mir nun schrecklich peinlich, aber ich konnte doch recht zufrieden sein. Für diesen Moment wollte mir weder jemand an die Wäsche, noch an die Kehle, ich bekam etwas zu essen -mein leerer Magen schrie inzwischen lautstark Verrat- und ich war trotz der Ungewissheit und Unsicherheit gespannt, was mich denn nun erwarten würde. Die hibernianische Bevölkerung, meine Wächter eingschlossen, benahm sich reichlich merkwürdig.

Klärende Worte

Meine Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt. Ich blieb wohl eine halbe Stunde auf dem Bett liegen und zählte imaginäre Punkte an der Decke, ehe ich laut und tief seufzte und die Beine über die hölzerne Kante schwang. Ich fühlte mich ein wenig wie ein Tier im Käfig, als ich nun rastlos im Raum auf- und abging. Dass draußen immer mal wer einen langen Hals machte und mich begaffte -besonders drei Lurikeenkinder drückten sich an der Glasscheibe die Nase platt- verstärkte das Gefühl noch. Ich hörte das gedämpfte Kichern der drei Früchtchen und wandte ihnen ärgerlich den Blick zu. Ein Mädchen mit kurzen blauen Haaren streckte mir die Zunge heraus, ein rothaariger Junge schnitt eine scheußliche Grimasse und alle drei lachten. Ich knirschte lautlos mit den Zähnen und kehrte ihnen wieder den Rücken zu. So weit, dass ich wegen ein paar Gören die Nerven verlieren würde, war ich noch nicht. Da hatte ich hier im immergrünen Hibernia schon ganz andere Dinge erlebt. Die Zeit kroch träge dahin und mein Magen knurrte immer lauter, als sich wie auf ein Stichwort hin das Geräusch schwerer Schritte näherte. Nur einen kleinen Moment später wurde die Tür aufgeschlossen und ein massiger Firbolg trat in den Raum. Der Mann musste den Kopf ein wenig einziehen und balancierte ungeschickt ein hölzernes Tablett mit einer Schale, der ein köstlicher Duft entstieg, sowie einem Stück Brot, einem Becher und einer kleinen Kanne. "Ihre Majestät bedauert, dass es so lange gedauert hat," brummte der Hibernianer mit seiner Bassstimme. "Iss und beeil dich. Ich werde warten." Er stellte das Tablett in Ermangelung eines Tisches auf den Schemel und stampfte dann aus dem Zimmer, ohne meine Antwort abzuwarten. Ich trat hastig näher und betrachtete, was man mir gebracht hatte. Einen wirklich kleinen und nur halb gefüllten Teller mit dünner, aber appetitlich riechender Suppe, ein winziges, aber frisches Stück Brot und einen Becher voll verdünnten Wein. Warum der Firbolg eine Karaffe bereitgestellt hat, war mir nicht ganz klar, denn das Gefäß war leer. Nun ja, dass die Halbriesen nicht viel mehr Intellekt als ein Troll besaßen, hatte ich ja schon festgestellt. Ich zog den Schemel zum Bett, ließ mich auf dessen Kante nieder und beugte mich gierig über meine magere Mahlzeit. So wenig es auch war, es war doch köstlich. Die Suppe schmeckte nach Rindfleisch und Gemüse, der dünne Wein war süß und gut gekühlt und eine Wohltat für meine trockenen Lippen und die ausgedörrte Kehle. Ich aß wie ein Tier, weil es keinen Löffel gab, umfasste ich den Teller mit beiden Händen und schlürfet lautstark, wobei mir ein wenig Suppe aus den Mundwinkeln rann. Sorgsam leckte ich jedes Tröpflein fort, wischte den Teller mit dem Brot aus und verspeiste es, ehe ich alles mit einem letzten Schluck Wein hinunterspülte und einen herzhaften Rülpser ausstieß. Guckte ja schließlich keiner.

Danach seufzte ich bedauernd. Es hatte mir gut geschmeckt, aber es war längst nicht genug, um meinem Hunger gänzlich die Stirn zu bieten. Für ein Mädchen -selbst für eines aus Midgard- hatte ich einen bemerkenswert guten Appetit, der in der letzten Zeit viel zu selten gestillt worden war. Ich wollte mich gerade erneut auf dem Bett ausstrecken, als die Tür abermals aufschwang und mein Wohltäter, der Firbolg, ins Zimmer trat. "Bist du fertig?" brummte er. Ich nickte nur- gut, dass er nicht gefragt hatte, ob ich satt wäre. Ich hätte vermutlich noch einen halben Ochsen auf Brot vertilgen können. "Gut. Komm mit." Die knappe, knurrige Art des Hünen ärgerte mich ein wenig, doch ich gehorchte und trat auf ihn zu. "War das meine Henkersmahlzeit?" erkundigte ich mich und schaffte es nicht, die Bemerkung allzu humorvoll klingen zu lassen. Der Firbolg grunzte, antwortete nicht und packte mich am Arm, woraufhin ich die Zähne zusammenbiss und einen Schmerzlaut unterdrückte. Ich stellte mich darauf ein, jetzt nach Alainn Cuir gebracht zu werden, und abermals lag ich falsch. Der Firbolg schleppte mich hinter das Haus und ich sah ein paar ordentlich gefaltete Kleider im Gras, ebenso mehrere Holzeimer. Während ich noch verwirrt die Stirn runzelte, fuhr der Hibernianer herum und bellte die Lurikeenkinder an, die uns kichernd und giggelnd gefolgt waren. Kreischend stoben sie auseinander und rannten Richtung Nordausgang davon. Ich wollte meinen Begleiter gerade fragen, was denn nun wieder kommen würde, da japste ich schon nach Luft, als der Kerl einen Eimer verflucht eisigen Wassers über meinem Kopf entleerte. "Aufhören," spuckte ich, "ich habe schon geba..." natürlich hörte er nicht auf, aber die nächste Wasserladung war wenigstens warm. Das dünne, zerfetzte Untergewand klebte mir unangenehm am Körper und stellte ihn zur Schau und ich trat verlegen von einem Fuß auf den anderen, doch der Firbolg schien nicht im Mindesten beeindruckt. "Zieh die Lumpen aus," grollte er, "sie stinken." Ich starrte ihn an, halb beleidigt, halb ungläubig. "Hier, mitten in der Stadt, soll ich... Ihr spinnt wohl!" der Firbolg knurrte voller Ungeduld. "Zieh sie aus, oder ich werde dir dabei helfen...!" ich ballte die Fäuste und der Mann tat es mir gleich. Blieb da noch der kleine Unterschied, dass seine so groß und breit wie Schaufeln waren. Bebend vor Zorn und Verlegenheit drehte ich ihm den Rücken zu und schälte mich aus dem Kleiderrest und der Firbolg trat resolut näher und schüttete mir einige weitere Eimer warmen Wassers über den Kopf. "Hier," sagte er und drückte mir doch tatsächlich ein gelbes Stück Seife in die Hand. Bei Bragi, was hab ich getan, dachte ich zähneknirschend und seifte mich mit hastigen Bewegungen ein. Je mehr ich mich beeilte, desto schneller war die unwürdige Behandlung vorbei. Warum mussten Hibernianer eigentlich überhaupt dauernd baden?! so eine übertriebene Sucht nach Reinlichkeit war nur etwas für Mimosen und gezierte Schnösel. Zweimal im Monat reichte doch vollkommen aus und wenn es jemandem wirklich einmal unangenehm war, konnte er auch eine Handvoll Schnee nehmen und...der Gedanke entglitt mir, als mich wieder warme Wassermassen trafen. "Das reicht!" fauchte ich und blinzelte mir das Wasser aus den Augen. "Ich fange schon an zu schrumpeln, verdammt nochmal." Irrte ich mich, oder blitzte es in den kleinen Augen des Mannes kurz belustigt auf? er deutete auf die Kleider im Gras. "Hast du im Haus nichts Passendes gefunden? probiere das dort. Ansonsten musst du nackt vor Ihre Majestät treten." Ich funkelte ihn zornig an, verdeckte mit einem Arm meine Scham und mit dem anderen die Brüste und trippelte auf den Haufen zu. "Ich werde die ganze Zeit herumgeschubst," sagte ich langsam und ging in die Hocke, einen Arm sinken lassend und den Haufen durchwühlend. Der Firbolg wartete schweigend. "Und mir gibt ja eh keiner eine vernünftige Antwort," fuhr ich mit mühsam unterdrücktem Ärger fort, wobei ich ein grünes, grausam kitschig verziertes und besticktes Kleid beiseite warf, "aber ich versuche es trotzdem. Wo hat man den Elfen Zaphykel hingebracht?" der Firbolg sah mich sehr seltsam an. Er kniff die Augen zusammen, grinste kurz und dann wurde sein Gesicht plötzlich wieder so ausdruckslos wie eine zerfurchte Maske. "Du wirst ihn sehen. Vielleicht. Wenn sie es wünscht." Ich wollte eine schnippische Bemerkung fallen lassen, doch er schnitt mir mit einer Handbewegung das Wort ab. "Genug jetzt. Zieh dich an, ich warte vorne."

Während der Firbolg davonstapfte, spürte ich plötzlich wieder den innigen Wunsch, in Tränen auszubrechen. Das alles war so unfair, ich war nur auf der Flucht, zappelte und strampelte wurde dabei geringschätzig wie ein Tier behandelt. Was ich hier auch angefangen hatte, es war schief gegangen. Meinen scheußlichen Bruder hatte ich nicht besiegen können, was aus Keena, Brakalu und den anderen geworden war, würde ich wohl nie erfahren, und Zaphykel...resigniert missbrauchte ich das alberne Kleid als Handtuch, rubbelte mir die kurzen Haare trocken und wählte dann ein Paar schwarz gefärbter Leinenhosen, hohe Lederstiefel und eine ärmellose, weiche Samtweste. Skaldin hin oder her, ich hatte für den Moment keine Lust, mich wieder in eine Rüstung zu werfen. So eine war ohnehin nicht verfügbar. Missmutig schlenderte ich zur Vorderseite des Hauses und der Firbolg, der mir schon abwartend entgegen blickte, nickte zufrieden. "Nun siehst du wieder vorzeigbar aus. Ich denke, wir können Ihrer Majestät jetzt einen Besuch abstatten."
 

Ich schwieg, ließ es mir aber nicht nehmen, dem Hünen hinter seinem Rücken eine respektlose Grimasse zu schneiden. Als ich mir das kurze, noch immer feuchte Haar auswrang und dem Firbolg mit hängenden Schultern folgte, erfüllte mich eine Ihr-könnt-mich-alle-gern-haben Stimmung, die tatsächlich beinahe tröstlich war. Ich war gescheitert, so sah es aus. Ich hatte alles versucht und am Ende nichts gewonnen. Seltsamerweise war es mir beinahe egal, zumindest für den Moment. Zwar brannten meine Augenlider und der Druck der unvergossenen Tränen war in den letzten Minuten nur stärker geworden, aber ich wollte mich nicht mehr aufregen oder weinen. Dazu könnte ich wohl noch genug Gelegenheit bekommen, wenn Ihre hochgeschätzte Majestät Mikata sich mit befassen würde. Eigentlich war es schin ein wenig verwunderlich, dass man nicht von 'Seiner Majestät' sprach, aber Mikatas greiser Vater hatte es an Autorität nie mit seiner Tochter aufnehmen können. Ich seufzte leise. "Du machst so ein betrübtes Gesicht, Menschenmädchen," bemerkte der Firbolg beinahe friedlich, obwohl er sich nicht einmal umgedreht hatte. "Ja, ich wundere mich auch," versetzte ich mit halblauter Stimme, die jedem Essig Konkurrenz gemacht hätte. "Fragt mich nicht wieso, aber Hibernia und seine Bewohner haben irgendwie eine stimmungshemmende Wirkung auf mich. Besonders die Dame, die bei euch auf dem Thron sitzt."

Mit einer Schnelligkeit, die man ihm wohl kaum zugetraut hätte, drehte sich der Firbolg um und packte mich vorne an der Weste. "Spotte nicht über unsere Herrin, Mensch!" grollte er, wobei sich seine kleinen Augen drohend verengten. Ich war bei der unvermuteten Berührung unmerklich zusammengezuckt, doch nun blickte ich meinem Begleiter beinahe herausfordernd ins grobe Gesicht, schwieg dazu jedoch. Nach einem kleinen Moment stieß der Mann ein Schnaufen aus und stellte mich mit einem Ruck wieder auf die Füße. "Midgarder," knurrte er nur und setzte seinen Weg in Richtung Thronsaal fort.
 

Wissen bedeutet, seinen Gegner zu kennen. Wer seinen Gegner kennt, hat das Wissen um den Sieg

-midländisches Sprichwort-
 

Mein Herz klopfte nun doch, als wir wenig später an der Schmiede vor Alainn Cuir standen. Der Firbolg trat plötzlich zur Seite und machte eine einladend wirkende Handbewegung: "Nach dir." Ich sah ihn beklommen an und der Firbolg grunzte halb ungeduldig, halb belustigt. "Ihre Majestät möchte dich sehen, nicht mich. Darum gehe vor." Ich wollte am liebsten weglaufen, aber natürlich war allein der Gedanke schon blanker Irrsinn. Hier, in der Hauptstadt Hibernias, hätte ich mir keinen schlechteren Ort für eine Flucht aussuchen können. Ich durchquerte die mit Teppich ausgelegten Gänge und registrierte nur am Rande, dass nirgendwo ein Händler herumstand. Sogar der Siegelmacher, den für gewöhnlich nichts und niemand von seinem angestammten Platz vertreiben konnte, war verschwunden. "Wo sind denn alle?" stieß ich gegen meinen Willen hervor. Die ganze Angelegenheit wurde immer seltsamer. Waren die Bewohner Tir na nOghs auch alle bei der Massenversammlung vor den Toren der Hauptstadt zusammen gekommen? und wenn ja: warum? der Firbolg lächelte nur ein wenig und sagte nichts. Etwa vier Schritte vor den mächtigen, geschlossenen Eichentüren blieb er stehen und nickte mir auffordernd zu. Mit bleischweren Beinen und einem faustgroßen Klumpen in der Kehle, aber wenigstens hoch erhobenen Hauptes, schritt ich an ihm vorbei und streckte die Hände aus, da öffneten sich die Türen wie von Geisterhand selbst und gaben den Blick auf den Gang frei, welcher in den Thronraum führte. Ich nahm allen Mut zusammen und trat ein.

Es waren nur einige Schritte, die ich gehen musste, ehe ich am Ende des Ganges erstarrte und das wohl fassungsloseste Gesicht aller Zeiten machte. Jubel schlug mir entgegen, schlichte, ungetrübte Begeisterung. Ich blickte in die feindlichen -feindlichen?- Gesichter und konnte ganz einfach nicht begreifen, was hier vor sich ging. Dort saßen gut dreißig Elfen, Lurikeen und Kelten neben Firbolgs und ein paar vereinzelten Shars und Sylvanern an einem gedeckten Banketttisch und jubelten mir zu, als wäre ich eine siegreiche Heldin ihres Reiches. Und am Kopf der Tafel saß..."Was...Ihr?" murmelte ich beinahe verstört und starrte die Elfe an. Brigit nickte lächelnd. Sie war kaum wieder zu erkennen. Ihr Gesicht war frei vom Schmutz und den unzähligen kleinen Schrammen, die sie beim Kampf in Murdaigean davongetragen hatte. Das lange Haar trug sie in einer kunstvollen Hochsteckfrisur und ihre Kleidung bestand aus einer meisterhaft gefertigten, dunklen Schuppenrüstung und einem prachtvollen Umhang. Der einzige Schmuck bildete ein schmaler goldener Stirnreif. "Was...aber...wie seid Ihr..." stammelte ich im hoffnungslosen Versuch, aus dem innerlichen Chaos etwas halbwegs Vernünftiges zustande zu bringen. Brigit schmunzelte schuldbewusst. "Ich sehe, du bist verwirrt und du hast ja auch jeden Grund dazu. Meine Lieben," sie nickte den anderen Anwesenden zu, "seid so gut und lasst mich für eine Weile mit meinem Gast alleine." Die Hibernianer erhoben sich sofort, verbeugten sich vor der Elfe und verließen dann in einer feierlichen Reihe den Thronsaal, wobei mir immer noch das ein oder andere Lächeln zuteil wurde. Ein Kelte mit blauen Tätowierungen im Gesicht klopfte mir sogar auf die Schulter und eine Lurikeen umarmte mich rasch, ehe sie grinsend ihrem Gefährten nacheilte.

Außer Brigit war nur noch ein Elf am Tisch zurückblieben. Er saß ganz am Ende der Tafel und hatte mir bisher den Rücken gekehrt, doch als der letzte Hibernianer den Raum verlassen hatte, drehte er den Kopf, strich sich mit einer nachlässigen Geste das lange dunkle Haar aus der Stirn und sah mich an. Es war Zaphykel. Ich machte ein Gesicht wie eine Kuh und glotzte zwischen Mutter und Sohn hin- und her.

Brigit weidete sich einen Moment an meinem grenzenlosen Erstaunen, doch noch immer gab sie mir nicht die ersehnte Erklärung und schnippte stattdessen laut mit den Fingern. Ein Türflügel schwang auf und ein überdurchschnittlich groß gewachsener Lurikeen huschte herein. Er verbeugte sich linkisch vor den beiden Elfen, zwinkerte mir zu und begann dann, die bereits geleerten Teller und Schüsseln samt Besteck einzusammeln. Es sah zwar einmalig aus, wie sich das Kerlchen mit dermaßen viel Geschirr belud, ohne dabei auch nur einen Löffel fallen zu lassen, doch für solche profanen Dinge hatte ich für den Moment keinen Blick übrig und starrte immer noch Zaphykel und seine Mutter an. Letztere fasste sich jedoch in Geduld und strapazierte die meine bis auf ein beinahe unerträgliches Maß, während Zaphykels Gesicht seltsam ausdruckslos blieb. Der Lurikeen verschwand, wobei er ein wenig wie ein vergoldeter kleiner Turm wirkte, und kam wenig später mit sauberen Gedecken für drei Leute zurück. Mit einer weiteren Verbeugung stellte er Teller, Schüssel, Besteck und einen frischen Trinkpokal zuerst vor Brigit hin, ehe er Zaphykel und dann mir ein Gedeck vorsetzte. Eine letzte Verbeugung und der Lurikeen huschte hinaus, wobei wie von Geisterhand die Tür hinter ihm ins Schloss fiel. Brigit, die das absichtlich zu machen schien, schmunzelte und goss uns edlen Wein ein. "Llienne. Wie geht es dir? wir haben uns seit der Schlacht ja nicht mehr gesehen." Ich schüttelte fassungslos den Kopf. "Ihr seid wieder da?" fragte ich dümmlich, meine Verblüffung war einfach zu groß. Doch die Elfe nickte ernst. "Ja. Weißt du nicht, wieviel Zeit vergangen ist?" ich stutzte und rechnete kurz. Nun, das war nicht viel. Nach der überstürzten Teleportrückreise aus Murdaigean war mir schon aufgefallen, dass die Zeit im Innenland nicht ganz mit der des Schlachtfeldes überein stimmte, doch ich hatte höchstens mit ein paar Stunde gerechnet. Ob meiner Erschöpfung hatte ich eine Nacht in der Höhle des Murgar geschlafen, Zaphykel quasi im letzten Moment vom Galgen entführt und eine weitere Nacht -meine Wangen röteten sich ein wenig- mit dem Elfenprinzen verbracht. "Doch nur ein paar Tage?" tippte ich unsicher und noch immer nicht ganz Herrin meiner selbst.

Brigit lächelte, doch ihre Augen blieben ernst. "Es waren etwas über zwei Wochen, Llienne. Und in diesen zwei Wochen ist viel geschehen. Der Verräter und seine Tochter sind geflohen und nicht jeder hier ist mit meiner Rückkehr einverstanden." Sie wiegte nachdenklich den Kopf. "Dabei bin ich nicht die Einzige, die zurückkehren wird." Ich sah, wie sich Zaphykel bei den Worten seiner Mutter versteifte und seine Miene noch kühler wurde und vermied es, eine entsprechende Frage zu stellen. Brigit sprach bereits weiter, ihr Ton war ruhig und sachlich: "Ich kann es ihnen nicht einmal verübeln. Ich selbst habe das Exil gesucht und Hibernia ohne eine Führunsgkraft zurückgelassen, genau wie mein Mann, der sich Schlachtfeldern und unserem geliebten Schleier zugewandt hat. Wir haben das Reich im Stich gelassen." Ich schwieg ratlos, denn tatsächlich dachte ich nicht anders. Doch ich wollte dazu nichts sagen, Hibernias Politik war nicht die meine, Elfen waren allesamt eh ein wenig seltsam und ich besaß bezüglich Brigit und Lugh Lampfhota durch den Berserker Vewo viel mehr Wissen, als ich eigentlich haben durfte. Was hatte der einstige Küchensklave gesagt- Zaphykels Onkel sei angeblich auf einem seiner Schlachtfelder gefallen? nein, ich stellte die Frage lieber nicht.

Doch die alte und neue Herrin Hibernias schien direkt in mich hineinzublicken. "Wenn du Fragen hast, Llienne, dann stelle sie. Ohne dich wäre ich heute nicht hier." Ich räusperte mich, warf einen kurzen Blick zu Zaphykel und nahm einen Schluck Wein. Er schmeckte süß und lieblich und war angenehm kühl. "Wo sind meine Freunde?" wollte ich wissen. "Irgendwo im Schloss, denke ich. Sie dürfen sich natürlich frei bewegen. Diese junge Valkyn, Keena, sie hat immerzu nach dir gefragt. Und auch die Albioner waren sehr besorgt." Brigit schloss lächelnd die Augen. "Wirklich merkwürdig," murmelte sie. Ich blickte sie fragend an und die Königin öffnete beinahe träge ein Auge. "Wie ich schon einmal sagte, eine Freundschaft zwischen Midgardern und Albionern ist nichts Alltägliches. Davon könnt ihr noch euren Kindern erzählen. Dies wird man zumindest bei uns tun." Ihre Stimme nahm einen beinahe feierlichen Unterton an, als sie sich vorbeugte und mich sehr ernst anblickte. "Du bist kaum mehr als ein Kind, Llienne. Und doch stehe ich tief in deiner Schuld. Ich glaube, du weißt gar nicht, was du und jene, die dir folgten, vollbracht haben. Du kannst durchaus stolz auf dich sein und wenn es irgend etwas gibt, das ich für dich tun kann, dann zögere bitte nicht, es mir zu sagen." Ich nahm verlegen einen weiteren Schluck Wein und blickte kurz zu Zaphykel hinüber. Dessen Schweigen war mir suspekt und der Ausdruck leiser Traurigkeit in seinem Gesicht verwirrte mich. "Ich...möchte nach Hause," sagte ich stockend und biss die Zähne zusammen, als der Elf die schlanken Hände so fest um seinen Trinkpokal schloss, dass die Fingerknöchel unter der Haut weiß hervortraten. Brigit schien davon nichts zu bemerken. "Natürlich seid ihr nicht länger Gefangene und dürft gehen, wann immer ihr wollt. Ich kann mich für das, was du hier erleben musstest, nur entschuldigen. Sofern du es annehmen willst, biete ich dir als Königin meine Freundschaft." Sie hob warnend den Zeigefinger, als ich etwas sagen wollte. "Versteh mich nicht falsch, Llienne. Hibernia und Midgard sind noch immer verfeindet und daran wird sich in nächster Zeit nichts ändern. Der Krieg geht weiter. Und es wäre töricht, dir zu versprechen, dass du von nun an vor keinem der Meinen mehr etwas zu befürchten hast. Dein Name wird sich herumsprechen, einige werden dich sicherlich erkennen. Doch wenn du auf dem Schlachtfeld stehst, stehst du in erster Linie Feinden gegenüber." Die Elfenkönigin seufzte und fürte ihren Becher an die Lippen. "Ich würde dir gerne versichern, dass du hier willkommen bist und nach Belieben bei uns ein- und ausgehen kannst. Aber dem ist nicht so. Ich gebe dir eine Eskorte mit, die dich nach Hause bringen wird. Meine Dankbarkeit gehört dir, und...verzeih mir, ich will nicht überheblich klingen, aber sofern du zu Hause in ärmlichen Verhältnissen lebst, lass mich dir auch Gold und ein paar kleine Geschenke mitgeben."

Ich lächelte verlegen, obwohl mich Zaphykels Blick mit Unwohlsein erfüllte. Die bernsteinfarbenen Augen des Elfen wirkten traurig und beinahe vorwurfsvoll und das schmerzte, wenngleich ich mir keiner Schuld bewusst war. "Ich danke Euch, Brigit, aber Ihr seid mir nichts schuldig." Die Königin wedelte meine Worte mit einer kurzen Handbewegung wie einen üblen Lufthauch beiseite. "Reden wir später darüber, du hast hier alle Zeit der Welt und sollst keine Gefangene mehr sein, sondern mein Gast, so lange du es möchtest." Sie hob den vergoldeten Deckel einer Platte und köstlicher Bratenduft wehte mir entgegen. Ein peinlich lautes Knurren entrang sich meinem durch die Suppe nur vage angefüllten Magen, woraufhin ich rasch eine Hand auf den Bauch presste und verlegen in meinen Weinbecher starrte. Brigit lachte leise und sogar Zaphykel rang sich ein Lächeln ab. Wollte ich auch keine Geschenke annehmen, eine zünftige Mahlzeit musste sein. Doch ich konnte mich nicht mit ungetrübtem Genuss an gebratenem Geflügel, saftigem Schweinebraten, jungem Gemüse und den exotischen Saucen laben- immer wieder huschte mein, so hoffte ich, beiläufiger Blick zu Zaphykel, dessen Gesicht nun wieder kühl und abweisend geworden war.
 

Kein Wunder, dass alle Elfen so magersüchtig wirken, die ernähren sich ja wirklich überwiegend von Luft, dachte ich, als ich mir ein Stück zartes Entenfleisch in den Mund schob. Brigit und Zaphykel aßen eher sporadisch, mehr aus Höflichkeit, aber ich war ja erst später hinzugestoßen, bestimmt hatten die Beiden schon etwas gehabt, beruhigte ich mein Gewissen. Was mich betraf, so futterte ich wie ein Pferd. Ein ganzer Haufen gedünsteter Möhren- und Kartoffelstücke, eine Entenbrust, saftiger Schweinebraten, frisch gebackenes Brot und dazu der köstliche Wein. Besser konnte es wohl auch in Walhalla nicht sein. Eigentlich könnte ich jetzt wahrhaft glücklich sein. Ich war hier nun zu Gast, statt gefangen gehalten zu werden, die rechtmäßige Herrscherin saß auf ihrem Thron, Keena und die anderen waren noch am Leben. Aber Zaphykel ging mir nicht mehr aus dem Sinn. "Ich hoffe, du bist satt geworden," riss mich die Stimme der Elfenkönigin aus meinen Gedanken. Ich leckte mir verlegen einen letzten Rest Sauce von den Lippen und betrachtete die Platten und Schalen, die unter meinem mörderischen Appetit doch ziemlich gelitten hatten. Aber satt war ich, eigentlich konnte man das schon überfressen nennen.

Zufrieden seufzend tätschelte ich mir den Bauch und ignorierte den gutmütig-spöttischen Ausdruck in Brigits Augen. "Satt ist gar kein Ausdruck. Vielen Dank, das war köstlich." Die Elfe schmunzelte. "Du erwartest jetzt sicher eine kleine Ewigkeit staubtrockener Konversation, wie das bei Hofe nach einem guten Essen nunmal üblich ist, oder?" ich war ein wenig verwirrt über den plötzlichen Themenwechsel und die Direktheit, nickte aber wahrheitsgemäß. Brigits Lächeln wurde noch eine Spur wärmer. "Aber ich gehe auch recht in der Annahme, dass du viel lieber deine Freunde wiedersehen möchtest?" ich starrte leicht verlegen auf meinen Teller "Also..." die Elfe lachte leise und nippte an ihrem Weinkelch. "Tu dir keinen Zwang an. Reden können wir später, wir haben alle Zeit der Welt. Wenn du deine Valkyn und die Albioner suchst, ich glaube, sie sind in der Taverne. Zaphykel wird dich sicher gerne dorthin bringen," sie nickte dem Prinzen zu und dieser fuhr unmerklich zusammen. Ich sah fragend zwischen Mutter und Sohn hin und her, doch während Brigits Gesicht bis auf ein seltsames kleines Lächeln gänzlich ausdruckslos blieb, nickte Zaphykel nach kurzem Zögern sachte. "Gerne," bestätigte er tonlos und brach damit endlich sein eigentlich schon unhöfliches Schweigen. Ich stand auf und machte einen ob meines vollen Magens etwas ungelenk wirkenden Knicks vor der Elfe, ehe ich zur Seite auswich, um Zaphykel den Vortritt zu lassen. Der Elfenmagier sah mich nur kurz an und ging dann an mir vorbei.

Schweigend, Seite an Seite, verließen wir den Thronsaal. Die Halle war bis auf wenige Ausnahmen noch immer verlassen, zwei elfische Wächter hatten ihren Stammplatz wieder eingenommen und grüßten uns mit ehrfürchtig gesenktem Kopf. Auch der Siegelmacher war wieder da, doch statt etwas zu sagen, bedachte er uns lediglich mit einem strahlenden Lächeln. Zaphykel ließ der gänzlich neue Respekt offensichtlich ziemlich kalt, mir hingegen war die plözliche Ehrerbietung regelrecht unangenehm und ich war nicht unglücklich, als wir Alainn Cuir endlich hinter uns ließen. Unangenehm war auch Zaphykels seltsame Stimmung. Ich warf ihm einen Sitenblick zu -sein Gesicht hatte starke Ähnlichkeit mit einer Steinstaue- und hielt es dann nicht mehr länger aus. "Sag mal, was ist eigentlich los mit dir? hab ich dir irgendwas getan?" Zaphykel schwieg und mied dabei meinen Blick und ich wurde urplötzlich regelrecht wütend. Wir waren gerade am derzeit verlassenen Alchimietisch vorbeigegangen, als ich mich ihm in den Weg stellte und seine Schultern packte. "Zaphykel!" der Elf schüttelte den Kopf und sah mich mit dieser Mischung aus Traurigkeit und Vorwurf an. "Ich will nicht..."

"Was willst du nicht?"

"Das weißt du doch."

"Dann halt mich für dumm, aber ich weiß im Moment nicht, warum du mich stur anschweigst!"

"Ich ertrag' es nicht. Ich will nicht, dass du gehst."

Einen Moment herrschte Stille, dann ließ ich unbehaglich von dem Elfen ab und verknotete die Finger ineinander. "Zaphykel, du...darüber haben wir doch schon gesprochen," murmelte ich. Mit einem Ruck hob Zaphykel den Kopf, welchen er bei den letzten Worten gesenkt hatte. "Ja, ich weiß, natürlich haben wir das, aber ändert sich dadurch etwas? nenn mich kindisch, nenn mich selbstsüchtig. Vielleicht hast du Recht. Trotzdem, ich kann's eben nicht ändern," beinahe wütend fügte er hinzu: "Dass ich dich liebe, meine ich. Ganz schön dumm von mir, oder?" ich fühlte mich, als wäre ich gegen eine Backsteinmauer gerannt. Vollkommen überrumpelt glotzte ich ihn an. Eine unverhüllte Liebeserklärung hatte ich noch niemals zu hören bekommen. "Tha gràdh agam ort," murmelte der Elf in seiner Landessprache, ergriff mich nun seinerseits bei den Schultern und drängte mich sanft gegen die nächste Hauswand.

"Ich weiß nicht, wie du das geschafft hast, so etwas ist mir wirklich noch nie passiert. Aber ich liebe dich. Wenn du nicht bleiben willst, dann...lass mich mit dir gehen." Jetzt fehlten mir die Worte, wenn auch nur für einen Moment. "Du weißt ja nicht einmal, was du da redest," versetzte ich lahm und nicht wenig schockiert. "Nach Midgard? du..." wieder einmal brachte er mich zum Schweigen, wenngleich auch ohne eine Handbewegung. Und ich wehrte mich nicht, als er sich nun vorbeugte und seine Lippen auf die meinen legte. Ich war inkonsequent, irgendwie schon. Er war ein Hibernianer, ein Elf, ein Fremder und ich liebte ihn überhaupt nicht. Oder? beinahe gegen meinen Willen hob ich nun eine Hand und vergrub sie in seinem langen Haar, derweil seine Zungenspitze liebkosend über meine Lippen fuhr, die Mundwinkel kitzelte und mit leisem Nachdruck Einlass begehrte. Willig gewährte ich ihm auch dies und sog beiläufig den eigentümlichen Duft des Elfen ein- Lavendel, so etwas wie würziges Baumharz und ein Hauch von Moschus bildete eine fremdartige Mischung, so faszinierend wie der junge Mann selbst.

Geduldig ließ ich Zaphykel meinen Mundraum erforschen, ehe ich ihm ebenfalls zögerlich entgegen kam. In solchen Dingen konnte ich keine Erfahrung vorweisen und unsere gemeinsame Nacht hatte daran nur wenig geändert. Aber ganz offensichtlich machte ich meine Sache nicht unbedingt schlecht. Der Prinz schloss für einen Moment die Augen und sein Gesicht zeigte neben tiefem Wohlbehagen auch eine gewisse Ruhe, als wäre das einvernehmliche Spiel unserer Zungen nach all dem Ärger und den Lügen nun diese Art von Frieden, die er vorher nicht hatte finden können.

Zaphykel wurde sichtlich mutiger und schloss eine Hand um meine linke Brust, während die andere über meine Hüften fuhr und sich dann beiläufig zwischen meine Schenkel stahl. Kürzlich am Fluss hatte ich schon darüber nachgedacht, was ein zufälliger Besucher dabei wohl denken mochte, aber die Gefahr war dort viel geringer gewesen als hier, inmitten der hibernianischen Hauptstadt. Offenbar hatte ich wirklich den Verstand verloren. Das änderte aber nichts daran, dass ich die Wärme des Elfen selbst durch den Stoff meiner Weste hindurch zu spüren glaubte und ein Schaudern durchlief meinen Körper, als sich nun auch meine Brustwarzen beinahe schmerzhaft verhärteten und die Wärme zu sinnlicher Hitze wurde. Seine Worte klangen mir noch in den Ohren nach, er liebte mich, und dieser Zauberspruch war stärker als die leise Stimme der Vernunft, die in meinem Unterbewusstsein panisch darauf bestand, dieser Sache ein rasches Ende zu bereiten.

Mit dem Handballen und einer gehörigen Portion Geschicklichkeit ließ mich Zaphykel beinahe vergessen, dass zwischen meiner Haut und seinen tastenden Fingern noch der dünne Stoff der Leinenhose lag. Undeutlich hörte ich mich selbst ganz leise in den Kuss hinein keuchen und verfestigte den Griff in seine Haare, während ich den Rücken bog und selbst das Gefühl der steinernen, rauhen Hauswand in meinem Kreuz genoss. "Zaphykel...wenn uns...jemand sieht...!" ich konnte nur stockend sprechen. Ohne zu antworten oder sich aus dem atemlosen Kuss zu lösen, packte mich der Elf und hob mich hoch. Zu unserem Glück war die Tür der kleinen Hütte nicht verschlossen. Was noch viel besser war: auch hier waren die Bewohner ausgeschwärmt, um die Rückkehr ihrer Königin zu feiern.
 

Beinahe eine Stunde später stahlen wir uns mit geröteten Gesichtern und einem Hauch von schlechten Gewissen aus dem Haus. Wir hatten das zerwühlte Bettzeug wieder in seinen ursprünglichen Zustand versetzt und uns aus der auf einer Kommode stehenden Wasserschale bedient. Nun schritten wir wieder Seite an Seite in Richtung Taverne und man hätte glauben können, dass nichts geschehen war. Für Zaphykel hatte sich natürlich auch jetzt nichts geändert, doch wir hatten im Anschluss einen guten Teil dieser Stunde dafür genutzt, um uns ernst und ungestört zu unterhalten. Ich war dem Elfen sehr dankbar, dass er mich nicht direkt gefragt hatte, ob seine Gefühle bei mir auf Gegenseitigkeit beruhten. Denn zu meiner leisen Beunruhigung konnte ich dies nicht genau sagen. Hartnäckig wollte ich mich immer noch an die Tatsache krallen, dass uns zu viele Dinge wie etwa die Herkunft und der Stand trennten, doch dieser Umstand erschien mir als zunehmend lahmer werdende Ausrede. Um ehrlich zu sein, fürchtete ich mich vor meinen eigenen Gefühlen. Wir hatten abgemacht, uns nach Möglichkeit heimlich zu treffen. Wie Brigit schon ganz richtig bemerkt hatte, konnte ich nicht damit rechnen, hier nun wie selbstverständlich ein- und aus zu spazieren. Auch die Möglichkeit von abgerichteten Tauben wollten wir nutzen. Ich hatte Zaphykel auch erzählt, dass zu Hause eventuell noch Leifnir auf mich wartete. Eventuell. Wer wusste schon, ob die Zeit nicht nur in den hiesigen Schlachtfeldern, sondern auch in den Ländern verschiedenen Gesetzen folgte. Während ich hier ein gutes Jahr festgehalten worden war, mochte in Midgard vielleicht ein Jahrzehnt vergangen sein, wer konnte das schon wissen.

Die gelblichen Augen des Elfen hatten sich bei Leifs Beschreibung merklich verengt und beinahe schmerzhaft hatte er meine Hand gepackt: "Wenn er dich schlecht behandelt, Llienne, dann sage mir das, verprochen? das gilt auch für deinen Vater. Und wenn dich dein verräterischer Bruder heimsucht, dann möchte ich auch dies wissen, in Ordnung?" ich hatte ihm mein Wort gegeben und war bestürzt, als seine Augen wie Prismen zu schimmern begangen. Offensichtlich baute also nicht nur ich in jüngster Zeit verdächtig nahe am Wasser. Nach einer inbrünstigen Umarmung und leisen, aufmunternden Worten hatten wir dieses Thema in stillem Einverständnis fürs Erste begraben. Ich würde mich mit ihm treffen, sicherlich. Aber nicht mehr.

"Tir na nOgh ist so groß, was machen wir, wenn Keena und die anderen nicht in der Taverne sind?" fragte ich, um die neu aufgezogene Mauer des Schweigens einzueißen. Zaphykel hob gleichmütig die Schultern. "Meine M... Königin Brigit wird es wissen." Ich beobachtete ihn aufmerksam, wagte es aber nicht, eine entsprechende Frage zu stellen. Der Elf lächelte halbherzig, als hätte ich meine Gedanken laut ausgesprochen. "Es mag sich ja komisch anhören, aber eine Fremde als Mutter zu bezeichnen, fällt mir nicht besonders einfach. Vermutlich werd ich mich daran gewöhnen." Ich nickte flüchtig. "Du hast Zeit." Zaphykel sagte nichts dazu und kurz darauf hatten wir die Taverne erreicht. Gesang, Flöten- und Lautenspiel wehte uns entgegen, als wir durch die einladend geöffnete Tür traten. Ein paar Besucher blickten neugierig auf, doch ich suchte nach ganz bestimmten Gesichtern. Und ich hatte Glück. Dort, an der Bar, erkannte ich auf Anhieb einen langen, schlanken Rücken, der zur Hälfte von wilden blonden Haaren bedeckt wurde. Ich dachte an unser erstes Wiedersehen in Aegir, das mir schon eine Ewigkeit her schien. Ein freudiges Grinsen stahl sich auf mein Gesicht, als ich nun die Arme in die Hüften stemmte. "Typisch," rief ich über den allgemeinen Lärm hinweg. "Jedes Mal, wenn wir uns treffen, ist Keena irgendwie am Saufen." Die Valkyn fuhr blitzschnell herum und mein Grinsen wurde noch breiter. "Llienne?!" Keena sprang auf und eilte mir mit zwei Riesenschritten entgegen. "Llienne, alte Heulboje, du bist noch in einem Stück!" sie schloss mich so fest in die Arme, dass meine Rippen beinahe knackten. Ich lachte und schlang meinerseits die Arme um die Freundin. Erfreut bemerkte ich, dass auch Brakalu, Jerali und Gindar anwesend waren. Etwas langsamer, aber nicht minder herzlich gesellten sie sich zu uns und Gindar trat neben Keena und schlug mir kräftig auf die Schulter. "Ich habe es ihnen ja gesagt, du kommst wieder!" Jerali lachte und auch Brakalu ließ ein Lächeln sehen. "Was hast du getrieben? wohin bist du nach der Schlacht eigentlich verschwunden und warum kommst du erst jetzt?" sprudelte es aus Keena heraus. "Lass sie doch erstmal zu Atem kommen," grinste Jerali und Gindar wandte sich mit einem auffordernden Klatschen an den Schankwirt. "Eine Runde Bier, auf meine Kosten." Im Gegensatz zu Zaphykel, der mit unserer rauhen Herzlichkeit offenbar nicht allzuviel anfangen konnte, fühlte ich mich selig. Bier, endlich. In dem Punkt war ich trotz monatelangem hibernianischem Einfluss eine Midgarderin geblieben.

Zurück in die Heimat

Schankwirt Hurley schmunzelte und nickte gutmütig. Während er das frisch gebraute hibernianische Bier zapfte, bestürmte mich Keena abermals mit Fragen. "Rückt mal etwas zusammen," befahl sie und zog zwei der wackeligen Schemel vom Nachbartisch heran. Es war nicht zu übersehen, dass Zaphykel von der Aussicht auf eine Plauderstunde auf solch engem Raum nicht besonders begeistert war, aber darauf konnte ich nun keine Rücksicht nehmen. Mit vor Wiedersehensfreude leicht geröteten Wangen quetschte ich mich zwischen Keena und Jerali und strich mir die kurzen, noch etwas feuchten Haare hinter die Ohren. "Also, ich versuch jetzt mal, mich nicht verwirren zu lassen," begann ich. "Königin Brigit meinte, die Zeit wäre hier anders verstrichen als drüben im Schlachtfeld. Na ja, das würde den Tag-Nachtwechsel erklären, als ich nach dem Teleport wieder hier im Innenland war." Doch ich wartete noch einen Moment, als eine stämmige, rothaarige Keltin uns das Bier brachte. Ernst nahm ich einen der hölzernen Humpen auf und sah meinen Gefährten in die Augen. "Zuerst aber will ich euch sagen, dass ich mich freue, euch wieder zu sehen. Ich hab euch ehrlich vermisst." Gindar lächelte warm, doch Jerali und Keena wechselten einen Blick, seufzten dann theatralisch und verdrehten die Augen. "Sie wird ja richtig rührselig," meinte die Inconnu. "Zuckerschock, ich glaub, ich bekomme einen Zuckerschock!" setzte Keena noch einen drauf. Schmollend zog ich die Nase kraus und nahm einen gewaltigen Schluck Bier. "Ach, geht doch zum Teufel." Die Beiden lachten und Keena wuschelte mir durch die Haare, als wäre ich noch ein Kind. "Ist gut, aber erst erzählst du. Ich platze vor Neugierde." Ich brummte unverbindlich, nahm dann aber einen weiteren Schluck, um meine Kehle vorsorglich anzufeuchten und begann zu erzählen. Nicht alles, wahrlich nicht. Die expliziten Details um Zaphykel und mich ging ja nun wirklich niemanden etwas an und ich bemerkte, dass der Elfenprinz sich unmerklich etwas versteift hatte, als ich bei der Erwähnung der Hilfe durch den Murgar angelangt war. Befürchtete er, ich würde ihn in Verlegenheit bringen und etwas ausplaudern? ich wusste nicht so recht, ob ich nicht tatsächlich ein wenig beleidigt sein sollte. Meine Freunde unterbrachen mich nur selten, wenn, dann durch ein überraschtes "Ist nicht wahr!" oder "Oha!". Keena konnte sich ein anzügliches Pfeifen nicht verkneifen, als ich mit finsterer Miene erzählte, wie der Elfenwächter mich in das Haus gesperrt hatte und was ich ihm da zugetraut hatte. "Ach komm schon," feixte sie. "Du bist doch bloß enttäuscht, dass dir das entgangen ist." Aus dem Augenwinkel sah ich einen dezenten Rotschimmer auf Zaphykels Wangen erblühen und musste mir ein schadenfrohes Grinsen verbeißen. "Wie auch immer. Nachdem dieser Klops, Entschuldigung," ich warf einen kurzen Blick auf den Firbolg-Schankwirt, "der Bolg mich dann beinahe ertränkt hat, durfte ich endlich zur Königin. Ihr könnt euch das nicht vorstellen, ich dachte, ich werde nun gevierteilt oder Mikata haut mir höchstpersönlich den Kopf ab. Und dann saß da Brigit auf dem Thron!" Gindar schmunzelte und führte seinen Humpen an die Lippen. "Scheint so, als hätten sie dich mit größtem Vergnügen verschaukelt."

"Hm. Und dann auch noch unmittelbar nach dem ganzen Ärger. Gut, dass ich meine Axt nicht dabei hatte."

"Nun hör auf, ohne Hektik und Abwechslung langweilst du dich doch zu Tode."

"Na, du musst es ja wissen."

So wurde noch eine Weile weiter geflachst und wir nahmen unsere zweite Runde Bier im Empfang. Zaphykel jedoch lehnte einen weiteren Humpen ab und erhob sich. "Ihr habt euch sicher noch eine Menge zu erzählen und ich muss auch noch einige Dinge erledigen," meinte er gelassen. "Wir sehen uns dann sicher noch später, spätestens, wenn ihr...," er vermied es, mich anzuschauen, "wenn ihr abreist. Auf bald, und danke für das Bier." Kurz neigte der Elf den Kopf, schob seinen Schemel zurück und verschwand mit ausgreifenden Schritten aus der Taverne. Jerali sah ihm verblüfft nach. "Was denn, ist ihm schlecht?" Keena hob grinsend die Schultern. "Vielleicht ist ihm auch das Bier auf die Blase geschlagen. Diese Spitzöhrchen können doch nichts vertragen." Ich sah nachdenklich zur Tür und unterdrückte ein Seufzen. Von den anderen hatte offenbar niemand den tief deprimierten Ausdruck im Gesicht des Hibernianers bemerkt. Überhaupt hatten sie ihn, der er während unserer fröhlichen Unterhaltung so gut wie gar nicht den Mund aufgetan hatte, kaum zur Kenntnis genommen. War vermutlich besser so, sonst wären doch noch unangenehme Fragen aufgekommen und ich war eine miserable Lügnerin. "Also," sagte Keena und rieb sich die Hände, "so schick es hier ist, ich kann dieses Giftgrün und den ganzen Rosenduft nicht mehr ertragen. Vermutlich bin ich schon so verweichlicht, dass ich Frostbeulen bekomme, wenn wir wieder nach Hause gehen. Aber das soll mir recht sein. Wann brechen wir auf?" Jerali legte Brakalu einen Arm um die schmalen Schultern. "Ich vermisse Albion auch. Nicht nur Annwn, sogar die gräßlich sonnigen Hügel von Camelot, und das will schon was heißen." Ich hob die Schultern. "Wir können gehen, wann immer wir wollen, sagt die Königin." Brakalu sah mich aufmerksam an. "Besonderrs glücklich wirrkst du aberr nicht," bemerkte er. Ich sah ihn überrascht und beinahe ein wenig erschrocken an. "Wie kommst du darauf? natürlich will ich ebenfalls nach Hause, ich habe für lange Zeit genug von Hibernia." Der kleine Nekromant zuckte flüchtig die Achseln. "Dann habe ich mich eben geirrrt." Ich sagte lieber nichts dazu. Natürlich wollte ich heim, schon allein um zu sehen -und bei dem Gedanken zog sich mein Magen schmerzhaft zusammen- ob mein Bruder Storvag auf dem Schlachtfeld die Wahrheit gesprochen hatte. Ich musste mich selbst davon überzeugen, ob meine Mutter noch lebte. Nichts hielt mich hier. Oder?

"Na, wenn wir uns eh alle einig sind, lasst uns doch sofort gehen," schlug Keena vor. "Warum bis morgen warten? ich hab hier kein Gepäck. Ihr etwa?" die anderen schüttelten den Kopf und ich folgte ihrem Beispiel mechanisch. "Llienne, du bist doch erwiesenermaßen unser Sprachrohr hier und hast die besten Kontakte zur Königin. Wie wäre es, wenn du hingehst und ihr Bescheid sagst, dass wir abreisen?" meinte Gindar. Ich war davon wenig angetan. "Jetzt?" fragte ich lahm. Der Ordensbruder runzelte die Stirn. "Jetzt oder in einer Stunde, ist das wichtig? was ist los mit dir?" ich sah ihm fest in die Augen. "Nichts," erklärte ich ruhig. "Du hast schon recht. Ich werde mit der Königin sprechen. Und zwar jetzt." Energisch stand ich auf. "Wartet ihr hier auf mich? ich beeil mich." Sie stimmten zu und wirkten voller Tatendrang und Ungeduld. Sie hatten wirklich keine Sorgen als die, schnellstmöglich ihre lang entbehrte Heimat wieder zu sehen. Beinahe beneidete ich sie ein wenig darum und spürte das altbekannte Selbstmitleid in mir aufsteigen. Schnell wandte ich mich ab und zur Tür. Lediglich Brakalu sah mir ernst und mit einem Hauch von Mitgefühl hinterher.
 

Ich fühlte mich nicht ganz wohl dabei, mutterseelenallein durch Tir na nOgh zu streifen. Wenn die Königin mir auch ihre persönliche Freundschaft versichert hatte, gab es sicherlich noch genug Hibernianer, die in mir nichts anderes als das sahen, was ich war: eine Reichsfeindin, die Fremde aus dem eisigen Norden. Es war zwar nur selbstverständlich, aber der Gedanke brachte einen leisen Hauch von Bitterkeit mit sich. Scheißkrieg, dachte ich resigniert und schlich durch die marmornen Gassen. Und dann passierte es tatsächlich.

Ich spürte einen kräftigen Schlag im Rücken, der mir die Luft aus den Lungen trieb und mich erschrocken aufkeuchen ließ, derweil ich haltlos nach vorne stolperte und den Kampf um die Balance nach einem kurzen Moment verlor. Als ich auf die Knie fiel, hörte ich Schritte hinter mir und sah eine kräftige Hand, die die Holzkeule aufhob, welche meinen Rücken getroffen hatte. "Es ist eine Schande, dass der Abschaum plötzlich lustig durch unsere Hauptstadt marschieren darf," hörte ich eine verächtliche junge Männerstimme. Ich wandte den Kopf und sah dort einen schwarzhaarigen Kelten mit blauen Tätowierungen im Gesicht, eine knorrige, rotäugige Sylvanerin und einen Lurikeen mit honigfarbenem Flaum am Kinn. Sie wirkten alle noch recht jung, Gesichter, die ich mir gut in den niederen Schlachtfeldern vorstellen konnte. Ich versuchte aufzustehen und der Kelte hieb mir abermals zwischen die Schulterblätter. Ächzend sank ich zurück. "Wer hat gesagt, dass du hochkommen sollst, Barbarin? solche wie ihr sollten so nahe wie möglich beim Straßendreck bleiben." Ich holte tief Luft und sah mich flüchtig um, doch bis auf die drei Unruhestifter war niemand in Sicht und selbst wenn, war die Chance auf Hilfe denkbar gering. So versuchte ich es mit Vernunft. "Ich bin auf dem Weg zu eurer Königin. Lasst mich bitte vorbei, dann werdet ihr uns nie mehr zu Gesicht bekommen, denn wir wollen ohnehin abr..." ein Tritt in die Nieren ließ mich verstummen. "Hör auf zu quatschen, dein Gekrächze tut meinen Ohren weh," sagte die junge Sylvanerin angewidert. Der Kelte ging neben mir in die Knie und griff unsanft eine Handvoll meines kurzen Haares. "Mein Vater ist euretwegen gestorben," zischte er mir ins Ohr. "Weil ihr unsere Relikte und unsere Festungen rauben wolltet. Ihr seid blutgieriges Gesindel. Und was ihr uns nicht wegnehmen könnt, das verbrennt oder tötet ihr." Sein Griff verfestigte sich und wurde schmerzhaft. "Und nun lauft ihr auch noch mit der größten Selbstverständlichkeit durch mein Heimatland. Das kann nicht wahr sein!" ich stöhnte leise, denn es fühlte sich an, als wolle er mir die Haare büschelweise ausreißen. "Es tut mir Leid um deinen Vater," presste ich hervor, "aber dafür kann ich nichts. Auch nicht dafür, dass unsere Reiche im Krieg liegen." Das war natürlich richtig, aber sicherlich nicht das, was der Kelte hören wollte. Roh riss er meinen Kopf zurück, so dass ich meine Nackenwirbel protestierend knacken hörte. "Mynlin, hast du zufällig ein Messer?" fragte der Schwarzhaarige im Plauderton und der Lurikeen fummelte eilig an seinem Gürtel, ehe er seinem Gefährten eine kurze Klinge reichte. Ich sah sie gebannt an. "Was meinst du," wollte der Kelte leise wissen, "ob's dir gefallen würde, wenn wir uns auf eure nordischen Barbarenmethoden verlegen? soll ich dir die Nase abschneiden? ein Ohr vielleicht? oder einen Finger?" er nickte auf meine rechte Hand. Ich spürte mein Herz ein wenig schneller klopfen. "Du wirst sie loslassen, und zwar augenblicklich," erklang eine leise, vertraute Stimme. Hoffnungsvoll sah ich auf und blickte direkt in Zaphykels Gesicht. Der Kelte gehorchte, wenn auch nur widerwillig. "Eure...," er zögerte merklich, "Hoheit. Sie ist doch nur..." Zaphykel hob die Hand, und der Schwarzhaarige verstummte. "Sie ist unser Gast. Wenn ich noch einmal sehe, dass einer von euch Hand an sie oder ihre Gefährten legt, werde ich euch auspeitschen lassen. Ich hoffe, ihr habt das verstanden." Sie zogen die Köpfe ein, doch funkelte vor allem in den Augen des Kelten mühsam beherrschter Zorn, gepaart mit Trotz. Sie akzeptieren ihn nicht, dachte ich beiläufig. Noch nicht. Zaphykel schien das auch zu merken. Kurz angebunden ruckte er mit dem Kopf. "Geht schon." Und endlich taten sie, was der Elf verlangte. Nicht, ohne mir noch einen wahrhaft mörderischen Blick zuzuwerfen, ließ sich der Kelte von der Sylvanerin und dem Lurikeen fortziehen.

"Danke," sagte ich leise. Zaphykel streckte die Hand aus, zog sie dann aber wieder zurück. "Ist alles in Ordnung mit dir?" gab er ebenso leise zurück. Ich nickte. "Ich wollte..." Zaphykel wandte den Blick ab. "Ich weiß, wohin du wolltest. Ich...ich schätze, ich werde dich besser begleiten." Er hielt mir nun doch die Hand hin, und nach kurzem Zögern ergriff ich sie, um mich mit einem Schwung auf die Füße ziehen zu lassen. Schweigend gingen wir nebeneinander her. Innerlich wartete ich nur darauf, dass mich der Elf abermals bitten würde, hier zu bleiben, doch nichts dergleichen geschah. Ein vorsichtiger Seitenblick präsentierte mir einen regelrecht gefrorenen Gesichtsausdruck und ich hielt das Schweigen lieber aufrecht. So dauerte es nicht lange, und wir standen vor dem Thronsaal. "Du kommst zurecht?" fragte Zaphykel. Ich nickte wortlos. "Gut." Er sah kurz zu Boden. "Dann...sehen wir uns später noch einmal, hoffe ich." Ohne eine Antwort abzuwarten, wandte er sich rasch ab und verschwand hinter der nächsten Biegung. "Ja," murmelte ich, halb zu mir selbst und starrte betrübt in die Richtung, in welche der Hibernianer geflüchtet war. Erst das leise Räuspern der Palastwache riss mich aus meinen Träumereien. "Du willst zur Königin?" fragte sie überflüssigerweise. "Wenn das möglich wäre? oder ist sie gerade beschäftigt?" ich klang beinahe ein bisschen schüchtern und ein Lächeln huschte über das Gesicht der Elfenwächterin. "Ich glaube, das ist sie, aber das macht es nicht unmöglich," meint sie mit einem kleinen Zwinkern und öffnete mir die Tür. Ich grinste zurück und huschte durch den schmalen Spalt. Das gerade Erlebte hatte mit deutlich gemacht, dass ich hier wirklich nicht länger bleiben konnte. Zaphykel würde nicht immer da sein, um mich zu retten. Und Keena hatte schon Recht- Hibernia war einfach kein Ort für uns, mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit würde ich bei meiner Heimkehr in Midgard nicht nur Frostbeulen davontragen, sondern auch noch schneeblind werden. Mit solcherlei rosigen Aussichten tappte ich vorsichtig in den Thronsaal und fand Brigit in reichlich unköniglicher Haltung, die Beine so weit gespreizt auf dem Thron sitzend, dass sich jede Dame mit Grauen abgewandt hätte. Sie hatte einen Stapel von Pergamentbögen neben sich und einen in der Hand. Mit gerunzelter Stirn und mürrisch verkniffenem Mund las die Elfe den Inhalt der Dokumente und wirkte so vertieft, dass ich nicht recht wusste, ob ich überhaupt bemerkt wurde oder reichlich ungünstig kam. Als annähernd dreißig Sekunden verstrichen, machte ich schon den Mund auf, um auf mich aufmerksam zu machen, als Brigit das Wort ergriff: "Was kann ich für dich tun, Llienne?" ich kratzte mich ein wenig beklommen am Ohr und trat näher, ehe ich ungeschickt vor der Herrscherin knickste. "Also, ich wollte nur Bescheid geben. Meine Freunde und ich würden gerne aufbrechen...nach Hause, wenn das möglich ist." Unter dem leicht verwirrt anmutenden Blick Brigits geriet ich ins Stocken. "Schon so früh?" fragte die Elfe und klang tatsächlich beinahe ein wenig enttäuscht. "Natürlich habt ihr meine Erlaubnis, aber ich dachte, ich könntet noch ein wenig bleiben. Ich muss mich noch für so viele Dinge erkenntlich zeigen." Die Worte erfüllten mich mit Verlegenheit und unsicher scharrte ich mit einem Fuß. "Das müsst Ihr nicht. Wir haben uns gegenseitig geholfen, und..." Brigit wedelte die Worte wie einen üblen Lufthauch beiseite. "Ohne deine Freunde und dich würde ich immer noch in Murdaigean festsitzen und mein Sohn wäre vermutlich tot," sagte sie leise. "Also beschäme mich bitte nicht weiter und hör auf, so bescheiden zu sein." Ich hob den Kopf und erwiderte ihren freundlich-eindringlichen Blick fest. "Dann helft mir jetzt und bringt uns sicher zum nächsten Teleporter. Das wäre der größte Gefallen, den Ihr mir und auch meinen Freunden tun könntet." Die Elfe lehnte sich seufzend zurück. "Also schön. Ich weiß, für all die Strapazen, die du erleiden musstest, ist das ein jämmerlicher Ausgleich, aber erlaube mir, meinem Schatzmeister Bescheid zu geben, dass er dich und deine Freunde so angemessen entlohnt, wie es Jeder tun würde, dem ihr so viele Dienste erwiesen hättet." Ich dachte kurz über den Vorschlag nach und nickte dann. Mir persönlich bedeutete Gold nichts, aber ich wollte nicht abgerissen und bettelarm zu Hause aufkreuzen und meine Familie hatte notgedrungen immer sehr sparsam gelebt und konnte ein wenig Unterstützung sicher gut gebrauchen. Die Königin nickte huldvoll, stand auf und trat an einen kleinen Tisch heran, um schwungvoll eine Notiz unter einen der Pergamentbögen zu schreiben. "Mein Sohn wird dich sicher vermissen," bemerkte sie dabei beiläufig und obwohl ihre Stimme keineswegs lauernd klang, fuhr ich unmerklich zusammen und vermied es, Brigit anzuschauen. Hatte man uns bemerkt und ihr davon erzählt? bei dem Gedanken wurde mir heiß und kalt. "Er ist sehr freundlich," krächzte ich völlig aus dem Zusammenhang gerissen und stellte noch in der selben Sekunde fest, wie unglaublich dämlich das klang. Die Elfenherrscherin schien ähnlich zu denken und hob ganz kurz eine Augenbraue, enthielt sich dann aber dankenswerterweise jeglichen Kommentars. "Ich lasse das hier zum Schatzmeister bringen und werde euch Kleider und Nahrung bereitstellen lassen. Bitte finde dich mit deinen Freunden in einer halben Stunde am Haupttor von Tir na nOgh ein." Damit war ich wohl entlassen und ließ ein schnelles Nicken sehen, ehe ich abermals knickste und den Thronsaal verließ.

Draußen atmete ich tief und so geräuschvoll ein, dass die Wächterin neben mir leise auflachte. "Dein Kopf ist so rot wie eine Tomate, Mädchen," meinte sie nicht unfreundlich. "Ich bin eine Tomate," erwiderte ich geistreich. "Treulos und doof." Hastig verließ ich Alainn Cuir, das Lachen der Plastwache in den Ohren.

Während ich mich beeilte, zu meinen Freunden zurück zu kehren, um die Nachricht von unserem bevorstehenden Aufbruch zu überbringen, bemerkte ich nicht, dass mich eine kleinwüchsige Gestalt, die nur ein Lurikeen sein konnte, mit schier brennenden Blicken verfolgte.
 

Dark Age of Camelot, Part 3
 

Ich saß an dem schlichten Grab und spielte gedankenverloren mit meinem schulterlangen Zopf. Ein resigniertes Seufzen kam mir über die Lippen, denn ich war schon lange nicht mehr hier gewesen, wie ich schuldbewusst feststellte. Ein kurzer Krampf durchzuckte meinen Unterleib und ich kniff kurz die Augenlider zusammen. Seit mein Körper endgültig der einer Frau geworden war und mich monatlich unter heftigen Schmerzen bluten ließ, hatte ich einige Bedenken, mich so oft still und heimlich zu Odins Tor zu schleichen, wo ich mich dann mit Zaphykel traf. Der Gedanke verstärkte das schlechte Gewissen noch. Was würde wohl geschehen, wenn ich doch noch schwanger werden würde? "Mutter," murmelte ich mit leiser Melancholie und strich mit den schwieligen Fingern über die schwarze Graberde. Storvag hatte nicht gelogen, auch wenn die Umstände ihres Todes ein wenig anders gewesen waren. Sicher, sie war von Sorge zerfressen gewesen, aber was sie schließlich das Leben gekostet hatte, waren gleich zwei Dinge: eine Vergiftung, die vom Verzehr einiger schwarzer Beeren her rührte, die sie wohl verwechselt haben musste, und eine entzündete Wunde am Bein, der meine Mutter erst dann die nötige Aufmerksamkeit gewidmet hatte, als sich ein roter, ominöser Strich wie eine überlange, dünne Schlange über ihr Bein in Richtung Herzen wand.

Und Storvag war verschwunden.

Ich dachte oft an den Tag meiner Heimkehr, auch wenn dieser schon wieder drei Jahre zurücklag:

Die Hibernianer hatten Brakalu, Gindar, Keena, Jerali und mich mit allen Ehren verabschiedet und Königin Brigit versicherte uns noch einmal ihrer persönlichen Freundschaft. Als die Kraft der Teleportmagie uns ins eisige Midgard zurückschickte, bekam ich erstmals Gelegenheit, nach der ganzen Aufregung die ersten Anzeichen von Panik zu verspüren. Hatte ich vor gar nicht so langer Zeit geglaubt, mein Zuhause niemals lebend wieder zu sehen, so war es nun unvermutet zum Greifen nahe. Ich gewährte mir noch ein wenig Aufschub, indem ich mit Keena zusammen Brakalu, Gindar und Jerali so weit an die Reichsgrenzen begleitete, wie wir es wagen konnten. Der Abschied fiel mir wirklich schwer, denn ich hatte die drei Albioner tiefer ins Herz geschlossen, als mir vorher bewusst gewesen war. Wir versprachen uns, uns nicht gänzlich aus den Augen zu verlieren und dann standen Keena und ich nebeinander und sahen unseren ehemaligen Feinden nach, wie sie hoch aufgerichtet am Horizont und damit vorübergehend aus unserem Leben verschwanden. "Ich werde die beiden Fische vermissen," meinte das Katzenmädchen wehmütig. "Und Gindar war ja irgendwie auch ein feiner Kerl. Verdammt, ich hasse es, rührselig zu werden, aber ich könnte glatt heulen. Alles dein schlechter Einfluss, Llienne!" lächelnd drückte ich ihre Hand und bemerkte dabei, dass meine Finger leicht zitterten. Das registrierte auch Keena. "Machst du dir Sorgen wegen deiner Familie?" fragte sie leise. Ich nickte fahrig. "Sorgen ist kein Ausdruck, ich mach mir fast in die Hose," gestand ich halblaut. Sie erwiderte den Druck meiner Hand. "Ich bringe dich heim. Und wenn etwas ist, dann komm zu mir." Ich nickte erneut, fühlte mich aber nur minimal besser.

Das alles war nun überstanden. Statt grün und blau geprügelt und anschließend aus dem Haus geworfen zu werden, hatte mich mein Vater zunächst nur wortlos angestarrt. Sein Anblick war erschreckend- die blonden Haare wiesen nun sehr viel mehr Grau auf, tiefe Falten zerfurchten sein Gesicht und er ging leicht gebeugt. Der große, stattliche Nordmann, der immer ein unerschöpflicher Quell aus Wut und Stärke gewesen zu sein schien, war mit einem Mal ein alter Mann geworden, der den Verlust von Frau und einem Sohn betrauerte und statt seinem Frieden eine gänzlich aus der Art geschlagene Tochter zurückbekommen hatte. Tatsächlich schlug er mich seitdem nie mehr, brüllte mich auch nicht an und verlangte -sehr zu meiner Erleichterung- nicht, dass ich mein altes Problem namens Leifnir Havocbringer heiratete. Wir lebten nebeneinander her und seine zerstreute, desinteressierte Art, die mir deutlich zu verstehen gab, dass ich geduldet, aber keineswegs mehr erwünscht war, begann mir alsbald mehr auf die Nerven zu fallen als sein früherer Jähzorn.

"Llie!" rief eine Stimme und ich hob den Kopf. Mein jüngerer Bruder Lars stapfte gemächlich auf mich zu und ich kam nicht umhin, bei seinem Anblick stolz zu lächeln. Lars war mächtig gewachsen und versprach schon jetzt, der Stolz des Hauses zu werden. Er trug die dichten blonden Haare so lang, wie es bei einem Mann -oder eher Jungen- gerade noch erlaubt war und bemühte sich auf rührende Weise, sich mehr wie ein Erwachener als ein Kind zu verhalten, auch wenn es dazu eindeutig noch zu früh war. "Was ist?" gab ich zurück und rutschte ein wenig zur Seite, woraufhin er sich neben mir nieder ließ. "Hast du schon das Neuste gehört?" wollte er wissen und ich zuckte die Schultern. "Ich höre über den Tag verteilt 'ne Menge Neuigkeiten." Er schnaubte unanständig. "Ist klar. Aber weißt du auch, weswegen ganz Jordheim diesmal in Aufregung ist?" er begann, mir auf die Nerven zu gehen. "Und?" brummte ich. Plötzlich fiel die Lässigkeit von ihm ab und mein Bruder rückte noch etwas näher an mich heran. "Etwas Schreckliches ist passiert," zischte er, als hätte er Angst, jemand könne ihn hören. "Verräter spinnen eine Intrige gegen den König. Und die müssen total verrückt geworden sein, denn sie...sie haben Behemoth frei gelassen!" meine Augen weiteten sich ein wenig. "Bei Bragis Eiern," sagte ich entsetzt, "weiß Vater das schon?" Lars zuckte mit den Schultern. "Der kriegt doch eh kaum noch was mit. Was wird passieren, Llie? wie weit ist Darkness Falls von hier entfernt?" ich blickte mich um, als erwartete ich, jeden Moment die furchterregendste Kreatur dieses verfluchten Loches hinter mir aufragen zu sehen. "Ziemlich weit," erwiderte ich schließlich. "Ich denke, ich gehe mal nach Jordheim und höre mich um." Ein kurzer, beißender Krampf grub sich in meine Eingeweide und mit einem gepressten Knurren ergänzte ich: "Sobald ich ein bisschen von diesem widerlichen Tee getrunken habe, den die Händlerin von neulich mir gegeben hat."

Was sich neckt, das liebt sich

Ich ließ Lars am Grab stehen und eilte Kraft meines magischen Reiseliedes nach Hause. Auf mein etwas lautstarkes "Hallo, bin wieder da!" erfolgte keine Reaktion und daraus entnahm ich, dass Vater wohl nicht daheim war. Vermutlich hatte auch er sich auf den Weg nach Jordheim gemacht. Ich ging in die Kochecke, nahm eine etwas verbeulte, gusseiserne Kanne von einem Haken und füllte sie mit Wasser aus dem Fass, das vor der Haustür stand. Danach schüttete ich eine Handvoll der wenig appetitlich riechenden -und schmeckenden, bäh- Kräuter in das Wasser und schlurfte zum Kaminfeuer, um das Gebräu zu erhitzen. Während ich mich auf einen Schemel sinken ließ und abwesend in die leise knisternden Flammen blickte, dachte ich nach. Behemoth...einer der gefährlichsten, nein, der gefährlichste Gegner überhaupt, auf den man in Darkness Falls treffen konnte. Ich war schon in diesem unterirdischen, steinernen Labyrinth gewesen. Inzwischen konnte ich mich mit Fug und Recht eine Skaldin nennen, zwar noch lange nicht so erfahren wie die großen Schlachtensänger, die ihre Zeit nur noch im Grenzgebiet verbrachten, aber doch weit entfernt von dem blauäugigen Kind ohne Rüstung, als welches ich meine Karriere begonnen hatte. Bestimmt würde ich trotzdem keine Heldengruppe finden, die man zweifellos aussenden würde, um Behemoth zu vernichten oder wenigstens wieder einzusperren. Der Gedanke ärgerte mich. Ich trainierte hart, und das jeden Tag, ich übte mich mit wachsender Begeisterung in den Alchimiekünsten und ich besuchte auch die Schlachtfelder.

Auch hier wurde mir schmerzlich bewusst, wie schnell sich in so kurzer Zeit etwas ändern konnte. In dem Falle meinte ich meine Gefangenschaft in Hibernia, die ungezählte Monate angedauert hatte. Ich wusste nicht, wie genau es passiert war, und auch nicht, wann. Ein Reich -auch hier entzog sich meiner Kenntnis, welches- hatte nach der geglückten Rebellion gegen die Verschwörer von Murdaigean Appetit auf Rache entwickelt und war losgezogen, um das Verräternest bis auf die Grundfesten nieder zu brennen. Die Blutdurstigen waren wie im Rausch und kampfeslustig weiter gezogen, um auch in Caledonia zu wüten. Ehe die momentanen Besetzer der dortigen Burg wussten, wie ihnen geschah, fanden auch sie sich von Feuer umgeben. Es musste furchtbar gewesen sein und bei einem der seltenen Zusammenschlüsse dreier Boten der verfeindeten Reiche war man überein gekommen, die Ruinen gänzlich nieder zu reißen und für die ungestümem Nachwuchshelden neue 'Spielplätze', wie sie spöttisch genannt wurde, zu bauen. So ganz konnte ich mir diese neuen Schlachtfelder nicht merken und ich sah auch keinen tieferen Sinn darin. Thidranki gab es noch, das wusste ich ganz sicher, und die Region, in der ich mich momentan herum trieb, nannte sich Molvik. Mit einiger Selbstgefälligkeit dachte ich an meinen letzten Besuch: ich hatte ein wirklich ehrenhaftes Duell gegen einen bretonischen Waffenmeister gehabt und dieses auch mit beinahe unheimlicher Deutlichkeit gewonnen. Der junge Mann war demütig auf die Knie gesunken und hatte mir mit Gesten zu verstehen gegeben, dass er aufgab und um sein Leben bat. Da ich -und die Erkenntnis wurmte mich auch weiterhin- nach wie vor eine entschiedene Abneigung gegens Töten hatte, hatte ich huldvoll genickt und war zurück getreten. Der junge Mann war dankbar aufgestanden, trank rasch einen Heiltrank und begann dann sehr hässlich zu grinsen. Ehe ich noch wusste, wie mir geschah, griff er mich erneut an- zusammen mit einem Infiltrator, der mir plötzlich an die Kehle sprang. Voller Zorn wurde mir klar, dass meine Gutmütigkeit mich nun wirklich ins Grab befördern würde, da durchflutete mich plötzlich unerwartete Stärke, ich spürte meine müden Beine wieder flink werden und schlug deutlich schneller und präziser zu. Ein fremder Schamane hatte mir mit seinen Zaubern das Leben gerettet, sandte eine Wolke giftiger Sporen auf die beiden Albioner und Walhalla musste letzlich doch noch ein wenig auf mich warten. Unnötig zu sagen, dass ich dem Bretonen, der sogar die Frechheit besaß, sich abermals vor mir auf die Knie zu werfen, am liebsten kräftig zwischen die Beine getreten hätte, aber leider trug er eine etwas zu stabile Plattenrüstung.

So in meine Gedanken vertieft merkte ich kaum, wie mich plötzlich zwei starke Arme von hinten umschlangen und dementsprechend erschrocken schrie ich auf und ließ reflexartig meinen Ellenbogen nach hinten schnellen. Ich war schon immer etwas schreckhaft gewesen und dies schien sich mit jedem Besuch in den Schlachtfeldern noch zu verstärken.

Ein leises Keuchen verriet mir, dass ich wohl getroffen hatte und die Arme lösten sich von meinem Oberkörper. Ich wirbelte auf dem Schemel herum und blickte direkt in das Gesicht von Leifnir Havocbringer. "Oh," machte ich wenig begeistert, "was suchst du denn hier?" mein ewiger Verlobter rieb sich mit grimmigem Gesicht den Bauch und funkelte mich ärgerlich an. "Blöde Kuh. Ich wollte dich besuchen. Hätte ich gewusst, dass du dich wie ein aufgescheuchtes Huhn benimmst, hätt' ich mir doch eine Kettenrüstung angezogen." Ich grinste dünn. "Du wagst dich also nur schwer gepanzert an Hühner heran. Das wundert mich wirklich so überhaupt nicht." Leif knurrte und deutete dann anklagend auf die Kanne, die noch immer über dem Feuer hing. "Was kochst du da? das stinkt wirklich erbärmlich." Ich erhob mich, nahm ein nur mäßig sauberes Tuch von einem Haken und holte die Kanne aus dem Feuer. "Hobgoblin-Fußzehtee. Er schmeckt genauso, wie er riecht, aber er hilft sehr gut, wenn ich wieder Besuch vom roten Beserker bekomme." Leif wurde knallrot, wie ich mit diebischem Vergnügen bemerkte. Ich nutzte jede Gelegenheit, um ihn aufzuziehen. Der junge Skalde war mir noch immer nicht besonders sympathisch, aber ich hatte mich an ihn gewöhnt und manchmal, wenn er einen besonders guten Tag hatte, konnte er direkt zuvorkommend sein und für eine Weile darauf verzichten, sich wie die personifizierte Arroganz zu benehmen. Umso amüsanter, dass diesen jähzornigen, kriegslustigen Burschen solche simplen Dinge wie das monatliche Problem aller Frauen dermaßen in Verlegenheit stürzte.

"Was ist?" fuhr ich gnadenlos fort, "willst du auch ein Tässchen?" der Schwarzhaarige gab ein unanständiges Geräusch von sich. "Hast du Bier?" ich nickte in Richtung Essecke und er verschwand brummelnd. "Hast du's schon gehört?" rief er über die Schulter. "Die Rebellen werden mit jedem Tag dreister, aber wie verrückt muss man sein, um Behemoth frei zu lassen?" ich pustete in meinen dampfenden Holzbecher und nahm einen winzigen Schluck, wobei mich der widerwärtige Geschmack eine kurze Grimasse schneiden ließ. "Gäbe er Reichspunkte, würdest du ihn bestimmt auch raus lassen," gab ich trocken zurück, während sich Leif mit einem Humpen Bier auf einen zweiten Schemel sinken ließ. "Sehr witzig," kommentierte er mürrisch. "Ich bin immer wieder geschmeichelt, was für große Stücke du auf mich hältst. Als ob ich es für ein paar beschissene Reichspunkte in Kauf nehmen würde, dass unschuldige Frauen und Kinder von dieser Ausgeburt der Hölle umgebracht werden." Ich blickte verlegen in meine Tasse. Eins zu null für Leif. Der Skalde schien meine Betroffenheit zu bemerken und zuckte mit den Schultern. "Na ja, was solls. Ich wollte dich fragen, ob du Lust hast, mit mir zusammen nach Darkness Falls zu gehen. Und nicht nur das." Seine Stimme wurde um eine Nuance leiser und ich seufzte innerlich. Wenn er mich jetzt wieder fragte, ob ich seine Frau werden wollte, würde ich ihm meinen ekelhaften Tee ins Gesicht kippen und dafür auch einen ganzen Abend voller Unterleibsschmerzen in Kauf nehmen.

"Na was denn?" fragte ich lustlos. Leif beugte sich vertrauensvoll zu mir herab, brachte die Lippen nahe an mein Ohr- und pustete dann wie ein verspieltes Kind hinein. Ich zuckte zusammen, woraufhin mir ein wenig brühheißer Tee in den Schoß schwappte. "Iyahh!" brüllte ich und sprang wie gestochen auf. "Bist du noch zu retten?" er lachte schadenfroh. "Ganz sicher. Nein, es geht um diese verfluchten Rebellen. Ich wollte zu König Eirik persönlich. Es heißt, er sucht mutige Männer und Frauen, die in seinem Namen losziehen und diese Verschwörung aufdecken. Wem es gelingt, dem winken Gold und Reichtum." Er grinste mich an: "Und wer das besitzt, bekommt schöne Frauen gratis dazu." Ich fluchte und pustete auf meinen Handrücken, der ebenfalls einen ordentlichen Schluck Tee abbekommen hatte. "Ich würde sogar eine Moratänzerin nehmen, bevor ich mich mit dir einlasse," giftete ich und ließ mich dann wieder auf den Schemel sinken. "Was für eine Verschwörung meinst du überhaupt?" fügte ich dann geistreich hinzu. "In letzter Zeit scheint sich das zu häufen. Sind die Leute nur noch glücklich, wenn sie sich gegenseitig bespitzeln, verraten und hintergehen können?" Leif hob eine dunkle Augenbraue. "Tut mir Leid, dass ich nicht voller Anteilnahme deine Schulter zum Ausweinen spielen kann," erklärte er sarkastisch. "Du erzählst ja nie von deiner Zeit in Hibernia, demnach kann ich dazu auch keinen Kommentar abgeben." Ich funkelte ihn böse an. "Du wärst auch der Letzte, dem ich mich zum Sprechen anvertrauen würde," eröffnete ich ihm streitlustig. "Von Ausweinen ganz zu schweigen!" er kam mit einem großen Schritt näher und ich versteifte mich ein wenig. Leif ließ sich in den letzten Jahren viel mehr Frechheiten von mir gefallen als damals. Das machte mich meistens sehr schnell wütend, denn ich hasste es, verspottet zu werden. Er sah in mir keine Frau, die ihm ebenbürtig war, sondern nur eine weitere Trophäe, auf die er einen begehrlichen Blick geworfen hatte. Dass ich offenbar Verbindungen zum hibernianischen Königshaus hatte -natürlich war das nur ein Gerücht- und mich wie eine kratzbürstige Taigakatze sträubte, spornte ihn nur zusätzlich an. Leider war Leif auch oftmals genauso launisch wie ich und wenn einer von uns den Bogen überspannte, wurde es für beide ungemütlich. "Du bist das vorlauteste Weib, das ich je gesehen habe," meinte der junge Skalde halb überrascht, halb zornig. Grob griff er nach meiner Schulter und wartete wohl darauf, dass ich zusammenzuckte, aber nichts geschah. "Kein Wunder, dass dein Vater dich verleugnet," fuhrt er fort und wartete auf einen Wutausbruch, dem ich ihm aber nicht gönnte. Leif schob die Unterlippe vor, eine Geste, die mich oftmals gegen meinen Willen zum Grinsen brachte- dann wirkte er wirklich wie ein trotziges Kind, das seinen Willen nicht bekam. Wäre er wenigstens hässlich und unattraktiv, würde es mir bestimmt leichter fallen, ihn so wenig zu mögen, wie ich mir vorgenommen hatte. Meine eigene Oberflächlichkeit ärgerte mich. "Vielleicht," meinte Leif wütend, "will ich dich gar nicht mehr heiraten und du kannst dich in Vausdheim als Hure durchschlagen. Als Skaldin bist du nämlich eine absolute Niete!"

"Du willst mich nicht mehr heiraten? versprochen? kriege ich das schriftlich?"

Mit einem Fluch ließ Leif meine Schulter los und rieb sich den Nacken. Ich starrte ihn abwartend an. "Bei Bragi," seufzte der junge Schlachtensänger. "Können wir nicht wenigstens versuchen, uns wie Freunde zu benehmen? auch wenn du ein echtes Miststück sein kannst, kann ich dich trotzdem ganz gut leiden."

"Oh, wärmsten Dank."

"Was soll ich machen, damit du endlich aufhörst, dauerhaft beleidigt zu sein? ich bin eigentlich gar kein so schlechter Kerl, ehrlich."

Ich musste unwillkürlich grinsen und biss mir auf die Lippen, um es zu unterdrücken, aber Leif hatte es natürlich schon gesehen und lächelte triumphierend. "Also gut," seufzte ich. "Geh mal kurz nach oben und bring mir frische Leinentücher, ja?" ich legte demonstrativ meine Hände auf den schmerzenden Unterleib, während ich ihn mit mutwillig funkelnden Augen betrachtete. Leif verdrehte angewidert die Augen, nickte zu meiner Überraschung jedoch ergeben und stapfte nach oben. Ich war ein bisschen perplex und irgendwie überrumpelt. Während ich noch darüber nachdachte, ob ich meine eigentlich schon zur Gewohnheit gewordene Ablehnung nicht doch ein wenig lockern sollte, kam er bereits wieder und warf mir die sauberen Tücher zu. "Erwarte aber bloß nicht, dass ich dir auch noch behilflich bin," murrte er verlegen. Ich grinste breit und scheuchte ihn mit einer Handbewegung zur Tür: "Du glaubst doch nicht, dass ich mich um diese Tageszeit schon vor dir ausziehe. Raus, ich komme gleich, dann können wir nach Jordheim."
 

Zehn Minuten später war ich fertig, flocht mein Haar noch geschwind zu einem Zopf und trat dann nach draußen. "Bin soweit." Er nickte und stimmte sein magisches Reiselied an. Neidvoll musste ich feststellen, dass er in den Schlachtgesängen schon sehr viel fortgeschrittener war und wir jagten -zumindest kam es mir so vor- mit annähernder Pfeilgeschwindigkeit durch den Wald. "Nun erzähl doch mal," rief ich gegen den leichten Wind, der uns ins Gesicht peitschte, "was meintest du eben mit König Eirik und den Rebellen?" "So genau weiß ich das auch nicht," brüllte er zurück, "ich hab's auch nur über drei Ecken erfahren. Der König tobt, heißt es. Erst lassen ein paar Irre diesen Behemoth frei und dann rebellieren seine eigenen Untertanen mehr oder weniger öffentlich gegen ihn. Du hast ja mitbekommen, dass die Herrscher der drei Reiche erst vor kurzer Zeit wieder wie aus dem Nichts aufgetaucht sind?" ich nickte. Das war auch so eine Geschichte, die mich mit Schrecken und Verwirrung erfüllte. Jetzt im Nachhinein wusste ich auch, was Brigit gemeint hatte, als sie sagte, dass sie nicht die Einzige sei, die zurückkehren würde. Seltsam, dass Zaphykel die Rückkehr des rechtmäßigen Königs -und gleichzeitig seines Onkels- mit keiner Silbe erwähnt hatte. Bei unserem nächsten Treffen würde ich ihn darauf ansprechen. "Warum eigentlich?" rief ich Leif zu, und ergänzte bei seiner fragend gerunzelten Stirn: "Warum sind die drei Könige erst jetzt wieder aufgetaucht? wir liegen seit Jahren im Krieg und nun kommen sie mal eben so und besteigen den Thron, ohne sich in irgend einer Form zu erklären. Ist doch kein Wunder, dass da einige empört reagieren!" mein Begleiter schnaubte ungläubig. "Das klingt fast wie Verrat, was du da redest. Ich hoffe doch sehr, du gehörst nicht zu diesen Aufständischen." Ich funkelte ihn erzürnt an. "Blödsinn." Im Rennen hob Leif gleichmütig die Schultern. "Wir werden sehen, da hinten ist Jordheim. Und du wirst mir wohl zugestehen, dass ich bei dir ein bisschen misstrauisch bin, Liebes." Sein Grinsen wurde nun wieder so spöttisch, dass mir schier die Galle hochkam: "Wer ein solches Geheimnis um seinen Aufenthalt in Hibernia macht, der kann doch auch in anderer Form was zu verbergen haben."

Während wir das mächtige Holztor der Hauptstadt passierten, dachte ich darüber nach, meine Abneigung vielleicht doch bei zu behalten.

Kleine Geheimnisse

"Was hältst du davon, wenn wir vorher ein Bierchen trinken gehen?" fragte Leif. Ich hob eine Augenbraue. "Hattest du es nicht eilig?" der junge Schlachtensänger zuckte lässig mit den Schultern. "Das habe ich nicht gesagt. Und außerdem gehen wir so selten zusammen aus, da dachte ich, ich ergreif die Gelegenheit beim Schopfe." Ich seufzte kurz. "Meinetwegen."

Wir suchten eine Taverne auf und ich erkannte mit gemischten Gefühlen, dass es genau die Schänke war, in welcher Leif und ich damals unseren Streit um Keena und die Valkyn hatten. Wieviel Zeit war seitdem vergangen. Damals war ich ein kleines, mageres Mädchen gewesen, eingeschüchtert vom Schatten meines Vaters, täglich davon träumend, aus Vasudheim heraus zu kommen und etwas von der Welt zu sehen. Und ich war dem Krieg mit einer naiv-romantischen Schwärmerei begegnet, die heute kalter Ernüchterung gewichen war. Ich war nun fast erwachsen, hatte getötet, Feuer gerochen, in feuchtem Morast geschlafen und gesehen, wie Burgen und Hoffnungen zerfielen.

"Was ist los?" drang Leifs Stimme an mein Ohr. "Du machst so ein finsteres Gesicht." Ich grinste ein wenig, blinzelte und schüttelte die Gedanken wie ein erdrückendes Kleidungsstück von mir ab. In dieser Beziehung würde ich mich wahrscheinlich auch in hundert Jahren nicht ändern: eine ewige Zweiflerin, manchmal schier bedrängt und eingesperrt von den eigenen Gedanken, die in der Regel immer das machten, was ich nicht wollte und sich viel zu oft im Kreis drehten.

"Ich dachte nur gerade daran, dass du mich hier einmal mit Wasser begossen hast," erklärte ich. "Und du hast mich vor meinen Freunden lächerlich gemacht," konterte Leif. "Weil du dich wie ein Idiot benommen hast. Und wenn es um Valkyn oder generell um alles geht, was nicht Nordmann heißt, tust du das auch heute noch," gab ich zurück. "Pah," machte Leif mürrisch und damit hatte ich gewonnen. Die Wirtin, eine vollbusige Nordfrau mit dicken roten Flechten, brachte uns zwei überschäumende Humpen mit starkem Bier. Ich bemerkte missbilligend den unbestreitbar lüsternen Blick, den Leif auf den Ausschnitt der Frau abschoss und nippte an meinem Bier, derweil ich die Gäste beobachtete, die sich in dem ziemlich überfüllten Schankraum tummelten. Alle waren guter Dinge, die meisten sahen aus, als kämen sie geradewegs aus dem Grenzgebiet, und hier und da tropfte tatsächlich noch Blut von so mancher Klinge. Ich sah einem Frostalf und einer Nordfrau zu, die sich vorne um Getränke bemühten. Der Mann, der wie ein Donnerkrieger aussah, legte ihr, die in die Stoffgewänder einer Zauberin gekleidet war, einen Arm um die Hüften und wandte den Kopf, um sie zu küssen.

Ich wusste selbst nicht genau, warum mir dieser Anblick einen unvermuteten Schwall schlechter Laune bescherte. "...Champion des Reiches werden und...sag mal, hörst du mir überhaupt zu?" ich hatte gar nicht bemerkt, dass Leif schon wieder gesprochen hatte. "He?" machte ich abwesend und sah mit schmalen Augen zu, wie der Donnerkrieger zärtlich über die Taille seiner Gefährtin strich. "Warum muss ich in letzter Zeit eigentlich alles zweimal sagen, ehe du reagierst?" fragte Leif gereizt. "Was ist los, hat dir irgend so ein Barde eine neue Art von Daueramnesie verpasst?" ich stand auf und drückte ihm eine Münze in die Hand. "Sei mal so gut und zahl für uns, ich lade dich ein." "Wohin gehst du?" wollte er überrascht wissen, als ich mich schon an einem Zwergenkrieger vorbei quetschte. "Ich muss noch eine Besorgung machen, Gunhild Mörlisdottir hat mich gebeten, ihr ein paar Heiltränke zu bringen. Hab ich ganz vergessen." Leif sah mich entnervt an. "Großartig. Du vergisst seit Neuestem ziemlich viel," klagte er und trank wütend einen Schluck Bier. Irrte ich mich, oder wirkte er tatsächlich enttäuscht? "Und was wird nun aus unserem Besuch beim König?" fuhr er schlecht gelaunt fort. Ich verdrehte die Augen. "Hör auf zu jammern, wir waren doch gar nicht angemeldet. Wir gehen morgen, versprochen."

"Sicher?"

"Skaldenehrenwort. Also bis dann."

Er nickte, keineswegs wirklich besänftigt, und ich machte, dass ich wegkam. Natürlich war meine Erklärung erstunken und erlogen, ich hatte Gunhild Mörlisdottir schon seit Wochen nicht mehr gesehen, und eigentlich musste Leif das auch wissen, aber vermutlich war er viel zu sehr mit sich und seiner Sammlung an Ehrentiteln und schönen Weibern beschäftigt, als dass er für solche Dinge Augen und Zeit gehabt hätte, dachte ich ärgerlich. Draußen löste ich meinen etwas zerzausten Zopf, neigte den Kopf und schüttelte meine halblangen Haare aus, die sich dann gleich einer Löwenmähne auf meine Schultern wellten. Seit wann war ich überhaupt so überreizt und hochnäsig wie die albernen Großstadtgänse, die ich eigentlich nur aus großer Entfernung ertragen konnte und meist mit einem spöttischen Schmunzeln bedachte? was war mein Problem?

"Scheiße," murmelte ich lustlos. Ohne es zu merken, hatten mich meine Füße zum Markt getragen und, einem plötzlichen Impuls folgend, kaufte ich grobkörniges Pergamentpapier, Tinte und eine neue Gänsefeder. An genannten Dingen hatte ich in letzter Zeit einen enorm hohen Verschleiß. Ich gönnte mir auch ein Stück gesalzenes Weizengebäck und schlenderte in Richtung Stadttor, während ich meine brezelförmige Nascherei verzehrte. Mit einem Mal kam ich mir ein bisschen schäbig vor, als meine Gedanken, ohne dass ich es selbst so recht merkte, kurzzeitig zu Leifnir zurück kehrten. Es war nicht zu leugnen, dass er sich in der letzten Zeit enorm um mich und meine Gunst bemüht hatte und trotz all meiner mürrischen Nörgeleien und Zurückweisungen erstaunlich hartnäckig und vor allem geduldig geblieben war. Viel langmütiger als ich ertrug er meine Stimmungsschwankungen und versuchte sogar noch, mir auch dann entgegen zu kommen, wenn ich ihm absichtlich vor den Kopf stieß.

"Unsinn," murmelte ich und versprühte dabei Krümel. "Sobald er dich weich gekocht hat, sucht er sich eine neue Eroberung." Mein schlechtes Gewissen murrte kurz und gab nicht wirklich Ruhe. Ich seufzte tief, wischte mir über den Mund und stimmte mein magisches Reieslied an, um den Rückweg nach Hause anzutreten.

Lars war daheim, saß am gescheuerten Esstisch und verzehrte einen Brei, der nach Äpfeln, Milch und Nüssen aussah. "Hej Llie," begrüßte er mich mit vollem Mund. "Bist du schon wieder da?" ich nahm meinen Umhang ab und hängte ihn in eine Ecke. "Wie man sieht." Er schaufelte sich mit großem Appetit eine weitere Ladung Brei in den Mund. Ich konnte nur fassungslos staunen, wieviel der Junge in letzter Zeit verdrückte. Drei dicke Scheiben grobes Roggenbrot, zwei Hühnereier, eine halbe Kanne Milch und eine ganze Schüssel Kartoffelbrei mit Fisch zum Frühstück waren bei Lars noch eine Mahlzeit der kleineren Sorte. Ich wunderte mich, dass er nicht fett wurde, aber vermutlich war das in seinem Alter normal: auch seine Freunde fraßen ihren Familien die Haare vom Kopf.

"Un haschu 'as üher 'Ehemoth gehört?" fragte Lars mit vollem Mund, derweil ich schon zur Treppe ging. "Mach du erstmal den Mund leer," gab ich streng zurück. Seit ich zurück gekommen war, versuchte ich unterschwellig, für meinen kleinen Bruder eine Art Mutterersatz zu sein. Er schluckte gehorsam. "Hast du was über Behemoth gehört?" wiederholte er verständlicher, woraufhin ich kurz den Kopf schüttelte. "Ich will morgen mit Leifnir Havocbringer zum König, da werden wir mehr erfahren." Lars verdrehte die Augen. "Warum ist der eigentlich ständig hier? du magst ihn doch gar nicht. Und ich auch nicht!" ich lächelte dünn. "Tja, ich weiß auch nicht." Damit ließ ich ihn endgültig allein und ging nach oben in mein Zimmer.

Der Raum war viel ansehnlicher geworden als damals. Nachdem ich damit begonnen hatte, eigenes Geld nach Hause zu bringen und mir diverse Dinge selbst zu erarbeiten, hatte ich angefangenen, das karge Stübchen zu verschönern und auszubessern. Die steinerne Wand war nun hier und da mit Teppichen verziert und das Fenster hatte ich austauschen lassen. Vor einem halben Jahr war einem meiner Freunde bei begeisterten Übungen mit der Wurfaxt versehentlich ein Beil aus der Hand gerutscht, aber das kam mir nur gelegen- beim alten Fenster pfiff in einem fort der Wind durch und ständig klapperte und knarrte irgendwo etwas. Vor meinem Bett lag ein eher mäßig sauberers Schafsfell und auf dem etwas wackeligen Holzgestell, das mir als Ablage für alle unmöglichen und möglichen Dinge diente, lagen seltene Steine, Andenken und Geschenke von Freunden und selbst gebasteltes Spielzeug wie eine Strohpuppe, die ich nicht wegwerfen mochte.

Ich schlüpfte aus den Stiefeln und legte mich auf mein Bett, breitete das zerknitterte Pergament aus und begann zu schreiben:
 

Hej Kjæreste,

Zaphykel, seit unserem letzten Treffen ist schon wieder einige Zeit verstrichen und ich möchte dich sehen. Als Treffpunkt schlage ich den Ort vor, den wir immer wählen. Schick mir bald eine Nachricht.

Bragi möge dich beschützen, ich freue mich.

Hei så lenge,

Llienne
 

Ich betrachtete die kurze Nachricht, rollte sie zusammen und schwang die Beine aus dem Bett. Von meiner windschiefen Regalwand nahm ich den Reststummel einer Kerze und trug sie zusammen mit meinem Brief nach unten. Lars aß immer noch, aller Wahrscheinlichkeit seine zweite Portion. Er blickte auf und sah stirnrunzelnd zu, wie ich zur Feuerstelle tappte, die Kerze entzündete und sie einen Moment brennen ließ, um flüssiges Wachs zu erhalten. "'Asch maschu da?" fragte mein Bruder, erneut mit vollem Mund. Diesmal verzichtete ich darauf, ihn zurecht zu weisen.

"Ich schreibe jemandem," erwiderte ich kurz angebunden. Lars schluckte das, was er im Mund hatte, herunter und verzog das Gesicht. "Das sehe ich doch selbst. An wen? an Keena?" ich warf ihm einen ungehaltenen Blick zu. "Sei nicht so neugierig, das ist meine Sache." Der Junge grinste, stand auf und sprang auf mich zu. "Los, zeig mal her! Llie hat Geheimnisse, Llie spioniert für Hi-ber-ni-aaa!" er verfiel in einen provokanten Singsang, und ehe ich mich versah, packte ich ihn so hart an der Schulter, dass Lars schmerzhaft das Gesicht verzog. "Aua!" schrie er. "Das tut weh! lass das!" ich achtete nicht darauf. "Wie kommst du darauf?" fragte ich scharf. "Wer sagt, dass ich für Hibernia spioniere?" in dem Punkt verstand ich keinerlei Spaß. Zu oft war mit dem Finger auf mich gezeigt worden und getuschelt, natürlich dezent, aber doch gerade so, dass ich es auch ja nicht übersehen konnte. Lars schossen die Tränen in die Augen. Er war schon zwölf Jahre alt, benahm sich aber oftmals immer noch wie ein trotziger Sechsjähriger. "Weiß ich nicht," fauchte er, "die Leute eben. Ich hab doch bloß Spaß gemacht, Llie. Lass mich los!"

Ich knurrte unartikuliert und gab meinen Bruder frei. Die Gelegenheit nutzte er, um mir mit einem kurzen Ruck das Pergament zu entreißen. "Du...!" setzte ich wütend an und griff nach ihm, aber Lars tauchte geschickt unter meinen zupackenden Händen hindurch, rollte das Papier auseinander und überflog die kurze Botschaft. Warum nur hatte ich ihm das Lesen beigebracht.

"Hallo Liebster...," murmelte Lars, blinzelte erstaunt und grinste mich dann breit an. "Ist ja nicht wahr! Llienne ist verliebt! Llienne ist total verliebt! wer ist denn Zaphykel, hm? erzähl doch mal!" meine Wangen waren heiß geworden und vermutlich wies ich verblüffende Ähnlichkeit mit einem gekochten Hummer auf. "Her damit!" keifte ich und riss so wütend an dem Brief, dass ich eine Ecke zerfetzte. Lars reichte mir das arg zerknitterte Blatt und wich vorsichtshalber zurück, aber er grinste noch immer. "Erwischt!" meinte er genüsslich. "Nun weiß ich, warum du in letzter Zeit immer so abwesend und schlecht gelaunt bist. Du hast Liiiiebeskummer!" ich rollte den Brief grimmig wieder zusammen und hielt die Kerze schräg, um einen Wachsklecks darauf tropfen zu lassen. "Unsinn," erwiderte ich knirschend. "Das ist anders, als du denkst."

"´Hallo Liebster`? was ist es denn dann, he?"

"Anders. Und nun halt den Mund, oder ich prügel dich von hier bis nach Jordheim."

Lars schwieg, aber er hörte nicht mit seinem entnervenden Grinsen auf. Ich stampfte wieder nach oben, stieg in meine Stiefel und kehrte dann in den Wohnraum zurück, wo ich meinen Umhang an mich nahm und zur Tür rauschte. "Wehe, du sagst auch nur irgendwem ein Wort davon," drohte ich. "Das ist mein Ernst, Lars. Du hast keine Ahnung und du könntest mich in echte Schwierigkeiten bringen." Lars blinzelte und als er keinerlei Amüsement in meinem Gesicht fand, wurde er endlich wieder ernst. "Ich sag nichts," versprach er eine Spur leiser. "Aber, Llie...jetzt mal ehrlich, Zaphykel, wer ist das? der Name klingt kein bisschen nordisch." Eine innere Stimme in mir schrie alarmiert auf und befahl mir, einfach kommentarlos zu gehen, aber dann bestand die Gefahr, dass Lars doch noch etwas ausplauderte. War seine Neugier gestillt, so war auch die Chance, dass er das Interesse an der Geschichte verlor, groß genug. "Er ist auch nicht aus Midgard," erwiderte ich mit ein wenig Verspätung widerwillig. Lars' Augen wurden groß. "Er kommt aus Hibernia!" das war halb Frage, halb Feststellung. Ich wandte mich endgültig ab. "Kann schon sein. Und denk dran, halt bloß den Mund, oder ich bekomme den größten Ärger aller Zeiten."
 

Sehr missvergnügt verließ ich das Haus und schlug abermals den Weg in Richtung Jordheim ein, auch wenn das Risiko, zufällig auf Leif zu stoßen, einigermaßen groß war. Kurz überlegte ich, ob ich erst nach Mularn reisen und mich dann still und heimlich von der anderen Seite in die Stadt schleichen sollte, aber auf den Umweg hatte ich eigentlich keine gesteigerte Lust. Ich zog die Kapuze meines Umhangs über den Kopf und fühlte mich ein bisschen wie eine schlechte Diebin, die auf der Flucht vor ihren Häschern war.

Mit zunehmend schlechter werdender Laune verfluchte ich im Stillen diesen blöden Elfen, der es irgendwie doch noch geschafft- und mich dazu gebracht hatte, mich in ihn zu verlieben. Zumindest sprach doch alles dafür, wenn ich beim Anblick zweier wildfremder Liebender in missgünstige Resignation verfiel und an den hibernianischen Thronfolger dachte, oder? "Meine Güte, Llienne, du bist einfach nur schlimm," unkte ich mir leise selbst zu, wobei ich wenigstens genug Verstand besaß, erst dann in meinen nicht vorhandenen Bart zu brummeln, als ich mir sicher sein durfte, dass sich keiner in meinem Radius befand, der lauschen konnte. "Lässt dich mit einem Elfen ein, einem Feind, dem Sohn der Königin des Feindeslandes. Ist das nicht absolut bescheuert?" ich blieb so nachdrücklich, als wolle ich meine eigene Dummheit wirklich bis zum Letzten auskosten.

Dennoch suchte ich zielstrebig den Falkner auf und sprach ihn leise an. "Oh, die junge Llienne!" polterte der Mann, ein beleibter Zwerg, und wirkte dabei ehrlich erfreut. "Meine liebste Stammkundin!" ich sah mich hastig um. "Könntet Ihr vielleicht etwas leiser sprechen?" bat ich verlegen. "Ich möchte gerade nicht unbedingt erkannt werden, hier ist jemand unterwegs, auf den ich heute verzichten kann," erklärte ich auf den fragenden Blick des kleinen Mannes hin. Der Zwerg nickte willig. "Ist Recht," sprach er. "Derselbe wie immer?" ich löste meine Geldkatze vom Gürtel. "Derselbe wie immer," stimmte ich zu und schüttelte dem Händler ein paar Münzen in die Hand. Er machte sich nicht einmal die Mühe, sie zu zählen. Tatsächlich hatte er in mir wohl eine seiner treuesten Kundinnen gefunden. Der Zwerg wandte sich ab und streifte sich im Vorbeigehen einen ledernen Handschuh über.

Der Falke, den er brachte, war ein wunderschöner gesprenkelter Sperber, dem er nun die Haube vom Kopf zog. "Bitte sehr," meinte er lächelnd. Ich strich dem Vogel kurz vorsichtig über den weichen Kopf, was sich das Tier huldvoll gefallen ließ und nur träge blinzelte. Schnell befestigte ich die Nachricht an seinem Fuß. "Sie wird voraussichtlich morgen wieder da sein, wie immer," versprach ich. Der Zwerg nickte erneut. "Vielleicht frage ich Euch irgendwann noch einmal, wohin meine Schöne hier eigentlich immer fliegt," meinte er verschmitzt. "Ich bin ehrlich neugierig. Warum kauft Ihr Euch nicht selbst einen Falken, Llienne? das wird auf die Dauer sicher preiswerter. Ich könnte mich vielleicht sogar dazu überreden lassen, Euch Schneefried zu überlassen." Er bedachte den Sperber mit einem liebevollen Blick. "Ich werde es mir überlegen," erwiderte ich zögerlich. Wenn nicht gerade Lars und mein Vater gewesen wären, hätte ich keine Sekunde gezögert. Ich war von Tieren fasziniert und hätte gerne einen eigenen Falken gehabt, aber das würde sicher zu neugierigen Fragen zu Hause führen. Schlimm genug, dass Lars mich heute erwischt hatte. "Ist Recht," meinte der Zwerg friedlich- eine seiner Lieblingsantworten. Er warf den Sperber hoch in die Luft und mit einem leisen Schrei flog Schneefried davon. Ich blickte ihr nach, bis sie zu einem kleinen Punkt zusammen schrumpfte, dann verließ ich den Markt.

Das Monster

Ich wollte unverzüglich nach Hause zurückkehren, denn ich hatte schon seit einer geraumen Weile ein nagendes Hungergefühl, was durch das etwas wässrige Bier nur wenig besänftigt worden war. Doch schon nach zehn Minuten Fußmarsch -dank meines Zauberliedes eher Rennerei- fiel mir auf, dass etwas....nicht stimmte. Im ersten Moment wusste ich nicht, wie ich mir das selbst besser erklären konnte. Vielleicht das stille schlechte Gewissen? rechnete ich jeden Moment mit Leif und einer handfesten Predigt, so wie ein Dieb ebenfalls ständig hektisch über die Schulter lugt?

Eigentlich nicht. Ich hatte in der letzten Zeit so etwas wie einen sechsten Sinn entwickelt, wenn es darum ging, banale Dinge voraus zu sagen. Klopfte es etwa an die Tür, drehte ich mich oftmals um und brüllte Lars zu, einer seiner Freunde sei gekommen, um mit ihm zu trainieren. Davon musste ich mich nicht einmal an der Tür überzeugen und amüsierte mich dann über die allgemeine Verblüffung, wenn ich mit meiner Vermutung wieder einmal ins Schwarze getroffen hatte. Leifs Anwesenheit 'spürte' ich hingegen nicht, stattdessen fühlte ich einen unerklärlichen Schwall von Unruhe über mich hereinbrechen. Und ich bemerkte auch, wie still es auf einmal geworden war. Dank der Kälte hielten es in Midgard generell nur wenige Vögel aus, aber das ein oder andere pfeifende Lied hörte man immer. Nun war es still, gespenstisch still. Nein, doch nicht. Hinter mir knackte und krachte es und das Geräusch wurde rasch lauter. Ich fuhr herum, eine Hand tastete über meinen Rücken, über welchen ich meine schwere Axt geschnallt trug. Vor mir teilte sich das Laubwerk und eine Schar Rehe und Kaninchen preschte aus dem Unterholz, dicht gefolgt von -ich war geneigt, meinen Augen zu misstrauen- einigen struppigen Wölfen, einem Bärenpaar, Füchsen, Mardern und Dachsen. Nicht gerade die Art von Tieren, die normalerweise zu einem gemütlichen Spaziergang aufbrachen und es war auch nicht schwer zu erkennen, dass sie auf der Flucht waren. Aber wovor?

Ich sprang hastig zur Seite, um nicht einfach umgerannt zu werden, denn die Tiere waren vollkommen in Panik. Verdattert blickte ich in die Richtung, aus welcher die Vierbeiner gekommen waren, und erstarrte, als ich eine Vielzahl von geifernden Askheimern und Moratänzerinnen erkannte, die genau in meine Richtung stürmten. Was hatten diese Kreaturen hier zu suchen? normalerweise hielten sie sich nie in diesem Teil des Landes auf, was also hatte sie hierher getrieben?

Mit bebenden Händen umfasste ich meine Waffe fester und spreizte die Beine ein wenig, um festen Stand zu haben, während ich mir mit einem drohenden Kriegslied selber Mut zusang. Das Gesicht, das ich machte, als die Monster -ohne auch nur für eine Sekunde Notiz von mir zu nehmen- an mir vorbei rasten, konnte man wahrscheinlich nur als dämlich bezeichnen. Und ich begriff fast zu spät, was dies alles bedeutete. Ein ungeheures Knarren und Krachen erklang und wie hypnotisiert starrte ich einige in noch relativ großer Entfernung stehende Bäume an, die zitterten und wankten und dann von irgend einer mächtigen Kraft und einem formlosen schwarzen Schatten einfach zur Seite gerissen wurden. "Was, bei Bragis stinkendem Hosenstall..." ich blinzelte idiotisch, als sich das Unterholz teilte und ich den Grund für die Massenflucht erkannte.

Er war unglaublich groß und unglaublich hässlich. Natürlich war ich schon in Darkness Falls gewesen und hatte dort gegen die grässlichen gepanzerten Unholde gekämpft, aber noch nie hatte ich eines dieser Monster gesehen, das auch nur annähernd so groß wie dieser gewesen war. Der Unhold schob sich ob der ganzen natürlichen Hindernisse geduckt und beinahe wühlend vorwärts und wenn er sich aufrichten würde, musste ich vermutlich den Kopf in den Nacken legen, um ihm in die tückischen Augen blicken zu können. Im Gegensatz zu seinen so viel kleineren Verwandten war er nicht erdbraun, sondern besaß dicke schwarze Panzerplatten, die auch einem massiven Axthieb mühelos stand halten mussten. Obwohl ich, die ich bewegungslos da stand, wohl kaum größer als die Hand dieser Bestie war, hatte mich der Koloss sogleich bemerkt und öffnete ein kreisrundes, sabberndes Maul, das mit einem ganzen Haufen mehr als fingerlangen Zähnen bestückt war. Ich stand Behemoth gegenüber, diese Erkenntnis durchzuckte mich wie ein Blitzschlag, ließ mich vor Entsetzen aufschreien, herum wirbeln und wenig heldenhaft losrennen.

Natürlich machte ich mir nichts vor. Nur ein Wahnsinniger würde sich diesem Ungetüm im Alleingang stellen und ich war nur verwirrt, dass man das Monster noch nicht aufgespürt und überwältigt hatte, so nahe vor der Hauptstadt. Übersehen konnte man es ja nun wirklich nicht. Hinter mir bebte die Erde, als Behemoth mit einem dumpfen, gierigen Brüllen zur Verfolgung ansetzte. Ich quietschte vor Furcht, als sich ein überlanger Arm herab senkte und eine gewaltige Klaue nach mir griff. Wie ein Haken schlagendes Kaninchen wich ich aus und hetzte tiefer in den Wald hinein. Meine anfängliche Idee, die nämlich besagte, ich könne das Viech ja einfach nach Jordheim locken und den Wachen ans Messer liefern, hatte ich bereits verworfen. Die wirklichen Helden, die vielleicht eine Chance gegen den Riesenunhold hatten, trieben sich beinahe ausnahmslos in den Grenzgebieten herum. Bis auf ein paar wandernde Waffenschmiede, Bannzauberer und andere wurzellose Händler war Jordheim von einfachen Leuten wie etwa Bauern bevölkert und die Wächter hatten nie größere Herausforderungen, als etwa einen betrunkenen Taugenichts nach Hause zu bringen oder einen tollen Hund zu erschlagen. Wenn ich Behemoth nach Jordheim brachte, verurteilte ich die unwissenden Stadtbewohner zum Tod. "Also dann," murmelte ich mir im Rennen zu, während ich wild nach links und rechts sprintete, um meinen Verfolger zu irritieren, "lock das Biest in die Wälder." Ich riskierte einen Blick über die Schulter und musste schlucken, als ich sah, wie dicht Behemoth trotz meiner Magie durchwirkten Füße heran gekommen war. Dennoch holte ich nun tief Luft und brüllte der Bestie spottend zu: "Ganz schön langsam, du Riesenkröte. Aus deiner Haut werd ich mir eine schöne Tasche machen!" Ich war sogar mutig -oder irre- genug, im Laufen einen Stein aufzuklauben und ihn über die Schulter zu werfen. Mit einem dumpfen 'Plonk' traf das Geschoss Behemoths Bein, denn höher kam ich nicht. Obwohl der Dämon meine Worte kaum verstehen konnte und den jämmerlichen Treffer durch seine dicke Hornhaut sicher nicht einmal gespürt hatte, brüllte er dennoch zornig auf und grabschte erneut nach mir, um mich unverschämten Wurm in die Klauen zu bekommen. Bragi sei Dank bewegte sich das Untier ob seiner gewaltigen Größe recht behäbig und so fiel es mir nicht besonders schwer, den trägen Attacken auszuweichen.

Unter anderem Umständen hätte mir das Spiel vielleicht sogar noch morbiden Spaß gemacht, doch Behemoth war nicht eines der eher harmlosen kleinen Biester, die ich manchmal tatsächlich aus reiner Gehässigkeit piesackte und dann so lange hinter mir herrennen ließ, bis sie hechelnd und keuchend aufgaben. Ich musste ein Versteck finden, ehe ich zu nahe ans nächste Dorf heran kam. Und tatsächlich fand ich die Rettung schneller, als ich gedacht hatte: eine sehr schmale, flache Höhle, die wohl noch unter die Erde führte.

Ich blickte über die Schulter zurück und kam zu dem Entschluss, nicht länger warten zu können. Während ich jedem natürlichen Hindernis ausweichen musste, walzte Behemoth umgestürzte Bäume einfach nieder und scherte sich auch nicht um die zahllosen Löcher, in denen ich mir vermutlich einen Fuß gebrochen hätte. Mein Vorsprung war schon wieder kleiner geworden. Hastig löste ich eine kleine Axt von meinem Gürtel, die zufällig noch die wunderbare Eigenschaft besaß, bei Benutzung in einem flammengleichen, violett-blauen Licht zu glühen. "Hey!" schrie ich, "hey!" ich schwenkte die Waffe wie eine Fackel und warf sie dann in hohem Bogen nach links. Und meine Rechnung ging auf: der riesige Unhold besaß definitiv mehr Muskeln und Zähne als Hirn, stieß einen beinahe quakenden Schrei aus und wandte sich in die Richtung, in die der flimmernde Leuchtpunkt geflogen war. Den Moment der Unachtsamkeit nutzte ich, um noch ein bisschen schneller zu rennen und mich mit einem reichlich gedankenlosen Kopfsprung mitten in die Höhle zu stürzen. Ich stieß mir irgendwo hart die Stirn an, schmeckte Staub auf der Zunge und erschrak fürchterlich, als mich eine Stimme anfauchte: "Pass doch auf!"
 

Blinzelnd wischte ich den Schmutz aus meinen Haaren, der bei dem Zusammenprall mit der Höhlenwand auf mich herab gerieselt war. In dem dämmerigen Loch roch es feucht und ein wenig muffig und ich war ganz offensichtlich nicht die Einzige, die die Höhle für ein gutes Versteck gehalten hatte. Nur wenige Schritte entfernt hockte ein Mädchen in einer ziemlich abgetragenen Nietenlederrüstung und musterte mich misstrauisch. Die Fremde war vielleicht ein oder zwei Jahre jünger als ich, besaß einen wilden Schopf schwarzbrauner Locken und durchdringende grüne Augen. "Wer bist du?" fragte ich, während ich einen letzten Rest Schmutz aus meinem Gesicht wischte.

"Gute Frage," antwortete die Dunkelhaarige. "Ich geb sie zurück. Warum hast du ihn hierher geführt? nun bringt er uns Beide um." Ich spürte sofort einen Schwall von Abneigung und betrachtete das Mädchen ausdruckslos. "Mein Name ist Llienne. Tut mir Leid, ich wusste nicht, dass du diese Höhle gekauft hast. Hättest du draußen ein Schild aufgestellt, wäre ich woanders hingegangen." Die Augen der jungen Nordfrau blitzten auf, ob nun vor Ärger oder unfreiwilliger Belustigung, konnte ich nicht sagen. "Witzig," murrte sie. "Mein Name ist Teneran Oleifsdottir. Wie lange verfolgt er dich schon?" ich riskierte einen Blick zum Eingang und musste schlucken: Behemoth tobte. Offenbar hatte er begriffen, dass ich ihn zum Narren gehalten hatte. Brüllend, schnaufend, quakend und heulend riss er einen Baum aus, mühelos, wie ich ein Blatt von einem Zweig gezupft hätte, und schleuderte ihn von sich, ehe er mit beiden Klauen begann, das Erdreich umzugraben. "Weiß nicht, vielleicht zehn Minuten. Oder ein bisschen mehr," erwiderte ich mit einiger Verspätung. Tenerans Augen wurden rund vor Überraschung. "Wie hast du das gemacht?" ich zuckte die Achseln. "Skaldenlieder machen so Manches möglich." Sie grinste verstehend und lehnte sich zurück. "Ach so, eine Schlachtensängerin. Ich jage lieber." Sie deutete auf einen schweren Bogen, der neben ihr auf einem alten Moosbett lag. Plötzlich legte das Mädchen den Kopf schief und fasste mich scharf ins Auge. "He, ich glaube, ich kenne dich sogar. Warst du nicht mehr als ein Jahr in Hibernia gefangen?" ich unterdrückte mit Mühe ein genervtes Seufzen. Wie oft hatte ich diese Frage schon gehört. Mir stand generell nicht der Sinn danach, mich über diese Episode meines Lebens ausfragen zu lassen, schon gar nicht, wenn nur wenige Meter von mir entfernt ein wütender Höllendämon den halben Wald auseinander nahm. "Das ist richtig," erwiderte ich mit gewollt kühler Stimme. Teneran störte das nicht. "Und?" fragte sie fasziniert, "wie war's da?" ich grunzte missgelaunt. "Bunt," erwiderte ich nur. Das andere Mädchen grinste halbherzig. "Bist wohl nicht besonders redselig?" ich warf ihr einen raschen Blick zu. "Normalerweise schon, nur das Thema kann ich nicht mehr hören." "Ist mir auch Recht," erwiderte sie einlenkend. "Im Moment würde mich sowieso viel mehr interessieren, wann der Dicke da drüben aufgibt." Ich grinste humorlos: "Tja. Spannend wird es auch, wenn er uns findet."
 

Behemoth fand uns nicht. Mangelnde Ausdauer konnte man ihm allerdings nicht vorwerfen, denn als der Dämon sich endlich eingestehen musste, dass seine Beute für ihn verloren war, riss er noch einen letzten Baum aus der Erde, stieß einen langgezogenen, quakenden Schrei der Frustration aus und verschwand mit hin- und herpendelnden Armen. Insgesamt hatten Teneran und ich bestimmt eine halbe Stunde in der niedrigen Höhle gehockt und uns mehrmals verwundert gefragt, warum der Unhold nicht auf die Idee kam, das verräterische Erdloch bei den Felsen zu durchsuchen.

Wir warteten sicherheitshalber noch weitere zehn Minuten, ehe wir aus der Höhle krochen und uns gegenseitig Staub und trockene Blätter aus den Haaren zogen. "Wir sind ganz schön tief im Nirgendwo," stellte Teneran missmutig fest und überblickte das Chaos, das Behemoth angerichtet hatte. "Ja, und ich hoffe nur, dass das Biest nicht auf die Idee kommt, seinen Ärger an einem Dorf auszulassen," meinte ich besorgt. Die andere Nordfrau schüttelte den Kopf. "Glaub ich nicht. Mein Vater sagt, er hält sich von den Städten fern. Vielleicht hat er Angst, wieder eingefangen zu werden." Ich nickte kurz. "Hoffen wir's. Soll ich dich noch nach Hause bringen? das geht schneller." Teneran sah mich erfreut an. "Das wäre nett. Ich wohne in Jordheim." Ich stimmte mein magisches Reiselied an und zusammen verließen wir den Wald.
 

Als wir Jordheim erreicht hatten, knickste Teneran linkisch vor mir und strich sich die wilden Locken aus der Stirn. "Das war sehr nett von dir. Ich vergesse immer wieder, was für ein tolles Gefühl es ist, mit Skalden zusammen zu reisen."

"Kein Problem. Man sieht sich."

"Ja, bestimmt." Die Dunkelhaarige zwinkerte mir zu. "Ganz bestimmt sogar." Ich sah ihr ein wenig verwirrt nach, wie sie in einer Gasse verschwand, tat die Bemerkung dann aber mit einem flüchtigen Achselzucken ab und wandte mich in eine andere Richtung, wo ich auf eine riesengroße Trollwache zusteuerte. Der Krieger war in eine geschwärzte Kettenrüstung gehüllt und trug ein Schwert auf dem Rücken, das bestimmt länger als ich selbst war. "Entschuldigt," sagte ich und wartete, bis mir der Hüne träge den Kopf zuwandte. "Ich habe Behemoth getroffen. Draußen in den unbewohnten Wäldern. Das ist kein Scherz, ich schwöre es Euch." Der Troll blinzelte mit seinen kleinen Knopfaugen. "Und du lebst noch?" knirschte er in der sehr kurz angebundenen Art, wie sie diesem gigantischen Volk zu eigen war. Ich nickte ernst. "Ich konnte ihn überlisten und mich verstecken. Er ist in Richtung Norden verschwunden. Wenn Ihr mir nicht glaubt, fragt das Mädchen, das eben bei mir war. Sie ist da lang gegangen," ich deutete über die Schulter und in die entsprechende Richtung, doch der Trollwächter schüttelte knapp den Kopf. "Ich glaube dir," grollte er. "Geh heim. Ich sage dem König Bescheid. Vielleicht wirst du später noch gebraucht." Ich nickte erleichtert, machte einen höflichen Knicks und wandte mich in Richtung Haupttor, um gegen meinen Willen ein wenig zusammen zu zucken: dort stand Leif, mit lässig vor der Brust verschränkten Armen. Als er mich erkannte, zog er eine Augenbraue hoch. "Bist du schon fertig mit deinem Auftrag?" fragte er argwöhnisch. "Eh...," machte ich, doch er fuhr mit zunehmend stärker werdendem Misstrauen fort: "Ich meine sogar, dich vorhin beim Falkner gesehen zu haben." Ich sah an ihm vorbei. "Tatsächlich?" erwiderte ich lustlos. Eine ziemlich dümmliche Bemerkung. "Hm, hör doch auf," sagte Leif kühl. "Du brauchst mir nichts vorzuspielen. Ich weiß Bescheid." Mein Magen zog sich beinahe schmerzhaft zusammen. War er bei mir zu Hause gewesen? hatte Lars geredet? bei Bragi, bitte nicht.

"Was...denn?" fragte ich mit ziemlich heiserer Stimme. Leif wandte ärgerlich den Kopf ab. "Du hasst mich," maulte er. "Ich könnt mir ein Bein ausreißen und du würdest deine vorgefasste Meinung über mich trotzdem nicht ändern." Ich atmete unhörbar aus und fühlte mich sehr erleichtert. "Unsinn," erwiderte ich unwirsch. "Ich hatte nur wieder Bauchschmerzen, deswegen war ich beim Falkner. Ich habe Keena einen Brief geschickt, die hat mit diesem Mist nie Probleme und ich dachte, vielleicht kann sie mir ein paar Ratschläge geben. Danach hatte ich einfach keine Lust mehr, noch irgend etwas zu tun." Die Lügen kamen mir sehr flüssig von den Lippen, trotz des leisen schlechten Gewissens, das sich bereits wieder meldete. Leif sah mich zweifelnd an. "Dann," murrte er, "sag mal ganz offiziell, dass du mich nicht hasst." Obwohl ich im Stillen ein wenig angewidert von mir selbst war, legte ich dem anderen Skalden kurz lose die Arme um den Nacken und sah ihn spöttisch an. "Leifnir Havocbringer, ich hasse dich nicht, ich mag dich nur nicht besonders. Und wenn du dir ein Bein ausreißen würdest, würde ich dich eher für deine Blödheit bemitleiden. Okay so?"

Er blinzelte und starrte mich einen Moment verdattert an, ehe er leise lachte. "Du bist wirklich schlimm." Ich gab ihm einen leichten Klaps auf den Hinterkopf. "Stimmt. Und nun gehe ich nach Hause, mein Unterleib bringt mich um. Du kannst dir ehrlich nicht vorstellen, wie sich das anfühlt, als ob dir jemand einen glühenden Schürhaken quer..." "Ist ja gut, ist ja gut," unterbrach mich Leif hastig. "Hau schon ab, ich will das gar nicht hören, verdammt!" lachend löste ich mich von ihm und trat den Rückzug an.
 

Auszug aus dem Tagebuch von Llienne Asmundsdottir, spätere Llienne Havocbringer:
 

Du kannst dir nicht vorstellen, wie sich das anfühlt.

Ekel vor dir selbst und vor der Welt, die dich nie wollte und die auch du nicht willst.

Ich weiß, dass das albern ist, albern und lächerlich, aber ich kann nichts dagegen tun. Ich habe keinen Grund dazu. Im Moment geht es mir sehr gut, ich habe genug zu essen, ein Dach über dem Kopf, und meine Ausbildung geht gut voran. Trotzdem ist da dieses Gefühl von Leere. Ich habe das Gefühl, mich selbst und alle um mich herum zu belügen. Vielleicht sollte ich nach Molvik gehen und mich waffenlos vor die Festung setzen, mal sehen, was passiert.

Ach, ich bin so eine Närrin. In spätestens einem Jahr werde ich über diesen Eintrag lachen, aber im Moment habe ich das Gefühl, Hauptdarstellerin einer ganz besonders schlechten Geschichte zu sein.
 

"Bin wieder da," rief ich, schon rein aus Gewohnheit und schlug die schwere Holztür hinter mir zu. Wie so oft war keiner zu Hause. Mein Vater sinnierte sicherlich mit ein paar Altersgenossen in irgend einer verräucherten Spelunke über Sittenverfall und den Reichskrieg und Lars stieß sich mit anderen Grünschnäbeln die Hörner ab und trainierte. Mit solchermaßen spöttischen Gedanken ging ich hinauf in mein Zimmer, um nach einer Schale zu suchen, die ich mit kaminwarmem Wasser füllen konnte. Nach der Jagd durch den Wald und dem Aufenthalt in der Höhle fühlte ich mich ziemlich staubig und außerdem tat ich nun ein wenig mehr für die -mir immer noch lästige- Körperhygiene, seit Zaphykel einmal gesagt hatte, ich rieche immer gut, aber der Duft einer Rosenblüte würde ihm noch mehr zusagen als das liebliche Misthaufenaroma, das mich bisweilen auch umgab.
 

Zwei Tage später klopfte es an meine Tür.

Ich saß gerade wenig bekleidet auf dem Bett, bürstete meine wellenden Haare und genoss den faulen Tag. Draußen goss es in Strömen und ein heftiger Wind ließ das gesamte Haus ächzen und seufzen. "Mhm?" machte ich und nahm die bunten Wollbänder aus dem Mund. Ich hatte vorgehabt, mir einen ganzen Haufen dünner Zöpfe zu flechten und diese dann mit einem einzelnen dicken Stoffstreifen zu umwickeln, aber schon nachm dem sechsten Zopf hatte mich die Lust verlassen. Lars trat ein, warf nur einen kurzen, eher uninteressierten Blick auf das gräulichweiße lange Hemd, das mein einziges Kleidungsstück darstellte, und schnippte mir dann zwei Pergamentrollen aufs Bett. "Für dich," erklärte er überflüssigerweise. Ich legte den aus Knochen geschnitzten Kamm fort und griff stirnrunzelnd nach den Briefen. "Von wem?" "Woher soll ich das wissen?" maulte Lars. "Ich hab sie ja nicht aufgemacht." Ich warf ihm einen finsteren Blick zu. "Sei gefälligst nicht so vorlaut. Ich kann auch nichts dafür, dass es heute wie aus Eimern pisst und deswegen das Treffen mit deinen Freunden ins Wasser fällt." Der kleine, eher schwache Wortwitz entlockte mir ein knappes Grinsen, Lars hingegen zog eine Grimasse. "Mann, bist du wieder witzig, Llie. Bestimmt, weil dir dieser Hibernianer geschrieben hat, in den du so verkn..." ich hechtete nach vorne, packte ihn grob beim Handgelenk und verdrehte es, wodurch der Rest des Satzes in ein protestierendes, schmerzerfülltes Keuchen überging.

"Ich hab dir genau gesagt, du sollst die Klappe halten," zischte ich ärgerlich. Mein kleiner Bruder riss sich los und funkelte mich böse an. "Vielleicht sag ich es irgendwann doch noch," schnappte er trotzig. Meine Augen wurden schmal. "Das würde ich mir überlegen, oder du kannst dir jemand anderes suchen, der künftig deine dreckigen Sachen wäscht und deinen Krempel in Ordnung hält," erklärte ich langsam. "Die werden mich nämlich umbringen, wenn sie davon erfahren. Willst du das?" Lars ließ die Schultern hängen, als sei alle Spannung aus seinem Körper gewichen. "Natürlich nicht," sagte er unbehaglich. "Sei nicht böse, Llie. Ich hab's nicht so gemeint." Ich nickte versöhnlich. "Ist gut." Er erwiderte das Nicken und ließ mich allein.

Ungeduldig brach ich das erste Wachssiegel auf und begann zu lächeln, als ich die Nachricht überflog:
 

Fàilte, mo cridhe,

vielen Dank für deinen Brief. Ich habe dich ebenfalls vermisst und hatte die gleiche Idee, wäre deine Nachricht nicht gekommen, hätte ich in den nächsten Tagen selbst eine geschrieben.

Sofern du Zeit hast, würde ich dich gerne treffen und zwar an Samhain. Da gibt es einige Dinge, die du unbedingt sehen musst. Schick mir eine Nachricht, ob du kommen kannst, ich warte.

Slàn,

Zaphykel
 

Ich faltete den Brief zusammen und verbarg ihn unter meinem strohgefüllten Kissen. Ausgerechnet an einem so wichtigen Tag wollte mich Zaphykel sehen? ich warf einen Blick nach draußen. Das Fest zum Ende des Sommers fand in weniger als drei Wochen statt. Für mich als Midgarderin war das kein besonderes Ereignis, wir feierten Samhain nicht, so würde es sicherlich keine Schwierigkeiten bereiten, am besagten Tag heimlich ins Grenzgebiet zu schleichen. Bevor ich jedoch eine Antwort schrieb, griff ich zunächst nach der zweiten Pergamentrolle und staunte nicht schlecht, als ich den dicken Wachsklecks anstarrte: er trug das Siegel von König Eiriks Hof.



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Kommentare zu dieser Fanfic (1)

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Von:  ai-lila
2007-09-15T17:08:25+00:00 15.09.2007 19:08
Spannend geschrieben.^___^
Aber so viel Stoff durch zu lesen, ist echt anstrengend.
*konnte nicht aufhören mit lesen* ^^
Es geht auch mal ohne Yaoi. Wie man sieht.d^^b

lg deine ai



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