Dark Age of Camelot von Lanefenu (Llienne's Life) ================================================================================ Kapitel 4: Rebellischer Magen, erster Kampf ------------------------------------------- Mutter war nicht da, und so packte ich ihre Rationen ein, ohne mich bei ihr zu bedanken. Ich wollte gerade die Haustür öffnen, als mit Storvag von draußen zuvorkam. Einen Moment sahen wir uns nur an. In seinem Gesicht war nichts zu lesen, während sich bei mir so etwas wie Abenigung breitmachte. "Gute Reise," meinte er nur, trat an mir vorbei und stiefelte die Treppe zu unseren Kammern hoch. Ich blickte ihm finster nach. Vater stand draußen, von Mutter fehlte weiterhin jede Spur. Mit hochgezogener Braue betrachtete Vater mein Gepäck. "Du willst also wirklick gehen," stellte er fest. Ich nickte. Er tat es mir gleich. "Nun denn...pass auf dich auf und bleib nicht zu lange. Denk an das, was du mir versprochen hast. Immer vorsichtig sein, verstanden?" "Ja, verstanden." Ich blickte ihn einen Moment ratlos an, ehe ich mich schon umdrehen wollte. Da kam Lars um die Hausecke gestürmt. "Warte noch kurz, Llie," keuchte er. "Hier, für dich! hab ich eben selbst noch gepflückt!" stolz hielt er mir eine kleine, gelbe Blume unter die Nase. Sie war unscheinbar, kaum mehr als Unkraut und wuchs so ziemlich überall, wo es sumpfig war. Ich lächelte ihn jedoch breit an, nahm die Blume und steckte sie in meinen linken Zopf. "Danke, Lars." Seine Lippen zitterten, als er zurücktrat. "Gute Reise, Llie." Ich strich ihm über das seidene Blondhaar. "Pass hier auf alles auf. Und gib Mama einen Kuss von mir." Nach kurzem Zögern trat ich auf Vater zu, um ihm den Kuss gleich vor Ort zu überreichen. Er hielt mir seine bärtige Wange hin und gab mir einen Klaps auf den Hintern, als ich mich umdrehte. Ich grinste pflichtschuldig, und wandte mich dann endgültig ab, ehe ich in Richtung Stallmeister ging. Sie winkten mir nach, doch ich winkte nicht zurück. Irgendwie erschien mir das komisch. Ich wollte doch keine Weltreise machen. Ob ich Keena in Aegir überhaupt finden würde? ich hatte überhaupt keine Vorstellung von diesem Ort. Leise summend tastete ich nach der kleinen Ledertasche, die meine Mutter mir zusätzlich zu den Vorräten auf den Tisch gelegt hatte. Ohne Geld würde ich nicht weit kommen, doch auch damit war ich mehr als großzügig versorgt worden. Der Stallmeister, ein großer Nordmann um die vierzig, lächelte mich ein wenig verwirrt an. "Was kann ich für dich tun, Kleine?" ich sah ihn ein wenig ungnädig an. "Ich möchte ein Pferd haben. Für eine Reise nach Galplen, genauer gesagt muss ich nach Nalliten." Der Mann grinste. "Hast du auch deine Eltern gefragt, ob du das darfst, Mädchen?" ich zog eine Grimasse. "Sicher, hätte ich sonst dieses Gepäck bei mir?" "Jemand, der von zu Hause ausreißt, nimmt meistens Gepäck mit." Ich spürte Wut in mir hochsteigen -mein alter Fehler- und wollte dem Kerl gerade meine Meinung sagen, als ein gedrungener Zwerg in einer Kettenrüstung aus der nahegelegenen Schmiede trat. Ich erkannte ihn als den Heiler, der mich vor kurzem behandelt hatte. Er winkte mir lächelnd zu. "Hallo Llienne, wohin des Weges?" ich winkte, ebenfalls lächelnd, zurück. "Nach Galplen, sobald ich hier ein Pferd bekomme," rief ich mit honigsüßer Stimme. Der Pferdehändler sah mich schief an und der Heiler schlenderte in unsere Richtung. "Gibt es Probleme?" fragte er gutgelaunt. Ich scharrte mit der Stiefelspitze und schwieg, doch der Stallmeister zuckte die Schultern. "Die Kleine hier behauptet, sie hätte die Erlaubnis, nach Galplen zu reiten." Ich nickte beiläufig. "Hab ich auch." Der Heiler lachte leise. "Llienne ist ein gutes Mädchen. Wenn sie sagt, sie hat die Erlaubnis, dann kannst du ihr ruhig glauben." Ich nickte wieder, dieses Mal nachdrücklicher. Der Stallmeister grunzte. "Meinetwegen...aber nicht, dass dann irgendwann ihre Eltern vor mir stehen und ihre Tochter vermissen!" ich lächelte. "Bestimmt nicht." Während ich ihm ein paar Silbermünzen in die Hand drückte, warf ich dem Heiler einen kurzen Blick zu. "Ich danke Euch!" der Zwerg strich sich durch seinen wilden Bart und nickte. "Dafür nicht. Aber...wenn mir die Frage gestattet ist...was willst du eigentlich in Galplen, Llienne?" der Pferdehändler drehte ich um und schlurfte zum Stall, um ein Pferd für mich zu holen. Ich sah ihm kurz nach und verstaute dann mein Geld, ehe ich antwortete: "Ich will nicht nach Galplen, sondern nach Nalliten, aber das liegt ja auf dem Weg. Mein Ziel ist Aegirham." Der Heiler machte große Augen und pfiff leise durch die Zähne. "Aegirham, die Stadt der Wilden...Donnerwetter, da hast du dir aber was vorgenommen, Mädchen." Der Nordmann kam zurück, und mit ihm ein massiger, schwarzer Hengst, den er lässig mit einer Hand am Zügel festhielt. "So, Kleine. Du wolltest es so. Brich dir nicht den Hals und bring ihn mir heil wieder." Ich arbeitete mich auf den Pferderücken -was sich bei der Größe des Tiered als gar nicht so einfach erwies und von dem Händler auch mit einem spöttischen Grinsen quittiert wurde- und schenkte dem Zwergenheiler noch einmal mein schönstes Lächeln. "Es wird schon schief gehen. Macht es gut!" Und damit stieß ich dem Tier die Hacken in die Flanken. Es wiehrte und galoppierte los, fort aus Vasudheim, um mich ins Unbekannte zu bringen. Der Ritt war herrlich. Die Sonne schien, es war warm, und nur der Gegenwind pfiff mir um die Ohren. Dieses Gefühl von Freiheit genoss ich sonst nur, wenn ich Kraft meiner Skaldenfähigkeiten wie ein junges Reh durch die Wildnis jagen konnte. Obwohl ich keine besonders gute Reiterin war, bereitete mir der Hengst keine Probleme. Ich lachte, beugte mich ein wenig vor und tätschelte ihm den massigen Hals. Nur zweimal kamen mir andere Reiter entgegen -ein Troll auf einem gigantischen Schlachtross und ein Kobold auf einem schnellen, flinken Pony, der Gegensatz ließ mich leise kichern- doch sie beachteten mich gar nicht. Ich trieb das Tier an und lachte ausgelassen. Was konnte jetzt noch schief gehen? die Antwort bekam ich zwei Sekunden später. Aus dem Wald, rechts von mir, trat ein ausgewachsener Werwolf und sprang knurrend auf den Weg. Das kam so überraschend, dass ich beinahe rücklings vom Pferd gestürzt wäre, denn der Hengst stellte sich laut wiehrend auf die Hinterläufe. Ich krallte mich in die Mähne, da mir der Zügel vor Schreck einfach entglitten war, und schrie, da mir nichts anderes einfiel: "Weiter, weiter, nicht stehenbleiben!" der Hengst, dem meine Worte nichts bedeuteten, verstand zumindest meinen panischen Tonfall, doch das brachte ihn nicht dazu, mir zu gehorchen. Der Werwolf, der sehr viel größer war als der Welpe, der mich damals im Wald angegriffen hatte, kam knurrend und geifernd auf mich zu. "Hau ab, du Mistvieh, verzieh dich!" schrie ich und der die Kreatur stieß einen tiefen, rasselnden Kehllaut aus, der mich an ein höhnisches Lachen erinnerte. Ich tastete nach den Zügeln und stieß dem Hengst erneut die Absätze in die Seite. Dieses Mal gehorchte das Tier, doch der Werwolf fand noch genug Zeit, seine gräßlichen Fänge in meine Wade zu schlagen und tatsächlich ein Stück Fleisch herauszureißen. Ich brüllte laut auf und der Hengst stimmte mit einem schrillen Wiehren ein, ehe er mit den Hinterbeinen ausschlug. Es gab ein ekliges, trockenes Knacken als die Hufeisen ihr Ziel trafen und der Werwolf wurde ein paar Meter zurück geschleudert. Benommen blieb er einen Moment liegen und mit einem gewaltigen Satz stob der Hengst endgültig davon. Mein Bein blutete ziemlich stark, das altersschwache Nietenleder hatte den Zähnen des Werwolfs nicht standgehalten. Verbissen umklammerte ich die Zügel und fragte mich, wie weit es wohl noch sein könnte. "Verdammt," murmelte ich. Dabei hatte alles so gut geklappt. Nun, in Aegir würde ich sicherlich jemanden finden, der mir behilflich sein konnte. Nur...allzuviel Zeit sollte ich mir wohl nicht lassen. Der Schmerz war stechend und intensiv und wenn ich Pech hatte, hatte ich mir sogar noch eine Vergiftung eingehandelt. Der Gedanke ließ mich laut und herzhaft fluchen. Mein Hengst spielte nervös mit den Ohren und schnaubte, doch ich fühlte mich etwas besser. "Weiter, mein Junge," murmelte ich. "Immer weiter..." Nach einer kleinen Ewigkeit -so schien es mir zumindest- kam ich an einer Brücke vorbei. Dort standen zwei Koboldfrauen herum und diskutierten eifrig darüber, wer denn nun stärker sei...Geisterbeschwörer oder Runenmeister. Als sie mich sahen, hielten sie inne und die Geisterbeschwörerin -ihr Diener, ein schemenhafter, leicht leuchtender Nordmann stand schweigend neben ihr- rief mir zu: "Du bist ja verletzt, Kind. Brauchst du Hilfe?" ich zügelte mein Tier und sah müde zu ihr hinunter. "Ich möchte nur nach Nalliten. Könnt Ihr mir die Richtung sagen?" die beiden sahen sich verwundert an. "Du bist auf dem richtigen Weg. Reite noch fünfhundert Meter und dann bieg da ab," sie deutete mit dem Daumen in die entsprechende Richtung. "Wenn du geradeaus weiterreitest, kommst du nach Galplen." Ich nickte. "Ja, das weiß ich. Seid bedankt." Ich wollte schon weiterreiten, doch die Runenmeisterin rief mir nun zu: "Bist du sicher, dass du so weiterreiten willst?" ich nickte abermals. "Bist Nalliten ist es ja nicht mehr weit." Die Koboldin legte zweifelnd den Kopf schief. "Ich bezweifle, dass es dort gute Heiler gibt." Schief grinsend erwiderte ich: "Mag sein, aber in Aegirham wird es die sicher geben. Lebt wohl!" und ich galoppierte weiter. Dem Rat der Koboldin folgend, zwang ich meinen Hengst nach circa fünfhundert Metern nach links und legte das letzte Stück im Schrittempo zurück. Mein Bein schmerzte mittlerweile höllisch und ich biss mir die Unterlippe blutig. Inzwischen wollte ich nur noch irgendwo hin, wo mir jemand etwas gegen dieses stetige Stechen und Brennen geben konnte, und mir war es völlig egal, ob dieser jemand Keena, ein Albioner oder Bragi persönlich war. Aber zumindest war ich am Ziel. Oder beinahe. Ich hatte wenigstens Nalliten erreicht, dieser kleine Vorort hatte den Namen Stadt wirklich nicht verdient. Alles war ruhig, anders als in Vasudheim liefen hier nirgendwo junge Krieger herum, und auch die vertrauten Stimmen der Händler, die lautstark ihre Waren feilboten, vermisste ich. Ich stieg ab, nahm einen zerknitterten Zettel aus meinem Gepäck und schrieb einige Zeilen darauf, ehe ich das grobe Papier am Sattel befestigte. "Dann danke ich dir für deine Dienste, mein Junge. Nun lauf!" ich gab dem Pferd einen Klaps und wiehrend trabte es in die Richtung zurück, aus der wir gekommen waren. Einen Moment sah ich dem Hengst noch nach, ehe ich mich dem großen, in allen blau- und violetttönen schillernden Portal zuwandte. Ich hatte einen schlechten Geschmack im Mund und mir war schwindelig. Ja, ich sollte mich vielleicht wirklich beeilen. Mühsam humpelte ich auf den magischen Durchgang zu. Jeder Schritt schmerzte und die wenigen Treppenstufen waren eine echte Herausforderung. Doch auch das brachte ich hinter mich und nun trennte mich nur noch eine Armeslänge von meiner Welt und einer, die mir völlig fremd und vielgehasst war. Ich zögerte nicht länger, sondern holte tief Luft und tauchte ein in den bunten Wirbel aus Farben und Leuchten... Ich hatte ganz automatisch die Augen geschlossen, so grell und unangenehm war das vielfarbige Licht, das mich schlagartig einhüllte. Als die Augen wieder öffnete, sperrte ich vor Staunen auch gleich den Mund auf. Ein großer, kreisrunder Platz erstreckte sich vor mir. Links war ein Durchgang, der in eine fremde Graslandschaft führte, ein gutes Stück weiter vorn sah ich Wasser, entweder einen sehr großen See oder vielleicht sogar den Anfang eines unbekannten Meeres. Rechts führten ein paar Treppenstufen zu einem Marktplatz. Nervös steuerte ich auf die Stufen zu, wobei ich immer wieder stehen bleiben und ausruhen musste. Mein verletztes Bein war schon fast taub und etwas Warmes lief noch immer stetig daran hinab. Es herrschte großes Treiben auf dem Markt, und zwischen den vielen Valkyn sah ich auch einige vertraute Gestalten wie Trolle oder Zwerge. Ich blieb stehen und sah mich mutlos um. So viele beschäftigte Seelen...niemand nahm Notiz von mir, obwohl mein blutendes Bein und meine gekrümmte Haltung eigentlich für Aufsehen sorgen müssten. Wie sollte ich Keena hier finden? ausgerechnet hier? ich war dumm und naiv, so etwas hätte ich mir eigentlich denken können...inzwischen bereute ich es schon richtig, hierher gekommen zu sein. "Hey, du da!" Ich hob den Kopf und sah mich verwirrt um. "Ja, genau du!" die Stimme war ein wenig zu schrill, um angenehm zu klingen und sie hörte sich eindeutig verärgert an. Ich ließ den Kopf wieder sinken. Es gab genug andere Leute hier. "Also was ist das denn! sieh mich an, wenn ich mit dir rede, du freche Skaldengöre!" nun ruckte mein Kopf blitzschnell hoch und ich sah eine breit grinsende Koboldin an einer Schmiede stehen, die mir heftig zuwinkte. Ich schaute sie irritiert an und warf rasch zwei Blicke nach links und rechts, doch schon krähte sie wieder los: "Hallo, hier spielt die Musik!" als ich nicht antwortete, hüpfte sie grinsend auf mich zu und blieb nur eine Nasenlänge entfernt stehen. "So," murmelte sie. "So, so so..." ich starrte auf ihren silbrigen Schopf hinab. "Was?" brachte ich nur hervor. Sie sah mich mit ihren keck blitzenden Augen an und ging einmal um mich herum, wobei sie mich an Rücken, Armen, Bauch und sogar Po prüfend betastete. "Finger weg!" raunzte ich und schlug nach ihr, doch die Koboldin duckte sich flink. "So ist das also," meinte sie nochmals. "So ist was?!" explodierte ich. Wollte die mich ärgern? "Es ist so, dass du verletzt bist, dass dir dein Bein weh tut. Das ist so." Sie nickte nachdrücklich. "Ach nein," knurrte ich. "Woher weißt du das nur?" ich drehte mich um und wollte dieses komische Mädchen einfach stehen lassen, doch schon sprang sie mir nach und hielt mich mit erstaunlicher Kraft am Arm zurück. "Aber, aber, wie weit willst du wohl kommen, so, wie es jetzt um dich bestellt ist? keine hundert Meter kommst du weit. So ist das." Ich riss mich los und ballte die Fäuste. "Lass mich in Ruhe!" fauchte ich sie an. Was mich am meisten ärgerte war, dass sie ja eigentlich recht hatte, egal, was für einen Firlefanz sie hier auch veranstaltete. Doch ich hatte Schmerzen, war nervös und erschöpft und dieses quäkende, hüpfende kleine Etwas gab mir nun fast den Rest. "Ich werd dich schon in Ruhe lassen, ja ja, wenn ich meine Pflicht als Schamanin erfüllt habe...und zwar so!" Sie griff mit ihren kleinen Händen zu, packte mein Bein und ich brüllte laut auf. Hinter uns lachte jemand, eine Stimme, die ich nicht vergessen hatte, und ich stellte mein Geschrei schlagartig ein. "Wer hätte das gedacht, Cavia hat wieder mal jemanden gefunden. Hmmm...also Llienne, irgendwie steckst du immer in Schwierigkeiten, wenn wir uns treffen...!" Erneut drang ein Schrei aus meiner Kehle, doch dieses Mal schwangen ihn ihm nur Schrecken und dann freudige Überraschung mit: Breit grinsend, von Kopf bis Fuß in rot gekleidet, stand niemand anderes als Keena vor mir! das Valkynmädchen hatte sich deutlich verändert, ihr Körper war fraulicher geworden und ich erkannte trotz des spöttischen Lächelns einen ernsten Zug um ihren Mund, der mir damals nicht aufgefallen oder einfach noch nicht da gewesen war. Ein ebenfalls roter Umhang bauschte ihr um die Schultern und in den Händen hielt sie locker einen gewaltigen, aber schmucklosen Zweihandstab. "Keena...?" brachte ich nach einem Moment schweigenden Staunens hervor, dabei sogar den Schmerz in meinem Bein und die noch immer spinnengleich tastenden Finger der Koboldin vergessend. Die Valkyn lachte und tat einen Schritt auf mich zu. "Grüß dich, Llienne. Wirklich überraschend, dich hier zu sehen." Ich stimmte in ihr Lachen ein, wobei ich kaum den Blick von ihrem Gesicht lösen konnte. Unter einer wollenen, wie alles andere an ihr rotgefärbten Kappe wallten ihr die honigblonden Haare auf die Schultern und schimmerten im Licht wie geschmolzenes Gold. "Es überrascht mich genauso sehr wie dich, dass ich hier bin...ich werde in zehn Jahren nicht verstehen, wie ich meinen Vater dazu überreden konnte." Sie blinzelte, nickte aber nur und wandte sich an Cavia: "Wirst du ihr helfen können?" die Koboldin blinzelte und machte ein Gesicht, als hätte Keena sie ernsthaft beleidigt. "Naaa, aber sicher kann ich das," schnaubte sie. "So ein lachhaftes Bisswündchen...das wär doch gelacht, wär das!" ich verzog das Gesicht, als der nach wie vor pochende Schmerz nun wieder mein Bewusstsein erreichte. "Dafür tut dieses Bisswündchen aber verdammt weh," grummelte ich, einen raschen Blick auf die Zahnabdrücke werfend. Die Koboldin schnaubte erneut. "Na so was aber auch, entzündet hat sich das, verseucht ist's auch, aber nichts, was eine fähige Schamanin wie ich schaffen könnte!" Keena gluckste und beugte sich über mein Bein, die Wunde nun ebenfalls in Augenschein nehmend. "Du meinst wohl 'nicht schaffen könnte'," verbesserte sie. Cavia hüpfte verärgert von einem Bein aufs andere. "Nichts anderes habe ich gesagt, Pelzgesicht!" ich hielt den Atem an, doch Keena schien die unverschämten Worte nicht übelzunehmen. "Sie ist komplett verrückt und unheimlich albern," sagte sie gleichmütig. "Aber heilen kann sie, das muss der Neid ihr lassen." Cavia kicherte und errötete leicht, sofern man das bei einem Wesen sagen konnte, dessen natürliche Hautfarbe an frisch gepflückte Blaubeeren erinnerte. Dann ließ sie ihre doch erstaunlich geschickten Finger wieder über die Verletzung gleiten, murmelte etwas vor sich hin und tastete weiter. Ich sah ihr ein wenig argwöhnisch zu, musste Keena aber insgeheim recht geben: Obwohl man es ihr kaum zutrauen wollte, legte das Koboldmädchen ein Geschick an den Tag, das seinesgleichen suchte. Und wenn ich ehrlich war, war der Schmerz eigentlich gar nicht so extrem, mir hatte es einfach nicht gepasst, von so einer doch sehr merkwürdigen Person betatscht zu werden. Plötzlich glühten Cavias Finger in einem sanften, hellen Licht auf und für eine Sekunde schoss ein alles in den Schatten stellender Schmerz in meinem Bein empor, der aber so schnell verschwand, dass ich nicht einmal Zeit fand, zu schreien oder gar zurück zu zucken. Reflexartig hatte ich die Augen zusammengekniffen und als ich sie nun öffnete, musste ich verblüfft feststellen, dass die Wunde nicht nur zu schmerzen aufgehört hatte, sondern sich sogar langsam, aber sicher zu schließen begann! ich starrte erst Keena an, dann Cavia und diese grinste wie ein kleines Mädchen. "Da biste baff, was? wenn du Glück hast, gibt das nicht mal eine Narbe. Na, bin ich fähig? sag es...sag es!" ich belastete vorsichtig das eben noch verletzte Bein und machte einen Luftsprung. Nichts, der Schmerz war verschwunden. "Du...ähm...bist fähig," sagte ich gehorsam, noch immer reichlich verwirrt. Keena schmunzelte, während Cavia sich in die Brust warf und vergnügt krähte: "Und nun darf die Skaldenlady zwei nette Damen auf ein Bier einladen. Na, ist das ein Angebot?" ich lächelte leicht idiotisch und Keena zwinkerte mir zu, wobei sie mein Lächeln erwiderte: "Weißt du, was ich mal gesagt habe? irgendwann lasse ich mich von dir einladen. Nun, geht das in Ordnung?" ich strahlte und nickte heftig. "Das geht in Ordnung!" Es stellte sich dann als gar nicht so einfach heraus, an ein Bier zu gelangen. Obwohl ich es für absolut unmöglich hielt, war es doch so: In Aegirham gab es keine öffentlichen Kneipen! als Keena mir dies erzählte, hatte ich sie schlichtweg ausgelacht. Wir waren schließlich immer noch in Midgard, und während für Elfen ein Leben ohne Milch und blühende Bäumchen unmöglich war -so dachte ich zumindest damals- war es als vollblütiger Midgarder einfach undenkbar, in eine Stadt zu gelangen, wo kein vernünftiges, echtes Bier ausgeteilt wurde. Mit einem Hauch von Verachtung hatte Keena eine Bemerkung über gewisse, unzivilisierte Barbaren fallen gelassen, die sich in ihr Haar zu kleiden pflegten und mit Axt und Gesöff gleichermaßen stärker verheiratet waren als mit ihren Frauen. Ich hatte sie mit Blicken getötet und dann geschwiegen, während Cavia neben uns wieder in schrilles Gekicher ausgebrochen war. Zuletzt wurden wir dann doch noch fündig, wenngleich wir auch keine Taverne fanden. Ein breitschultriger Nordmann mit nur einem Auge braute sein Bier selbst und verkaufte es in riesengroßen Holzhumpen auch an diejenigen, denen ebenfalls der Sinn danach stand. Ich bezahlte, erstand drei der Humpen und wir zogen uns mit unserer Errungenschaft in eine ruhigere Ecke des Marktplatzes zurück. Während wir genießerisch an unserem Bier nippten, beobachteten wir das rege Treiben und schwiegen eine Weile. Ich betrachtete Keena verstohlen von der Seite, wie sie ihr Trinkgefäß ernst mit beiden Händen festhielt und ohne zu blinzeln zum Tor schaute, das aus Aegir hinaus ins Unbekannte führte. Irgendwie machte sie den Eindruck, als bedrückte sie etwas und ich hätte viel gegeben, um herauszufinden, was es war. Ich war hierher gekommen, um...ja, warum eigentlich? wollte ich mich nach Jahren bei ihr bedanken? für ihre Freundlichkeiten damals, für Lars' Rettung? natürlich, genau dafür... trotzdem wagte ich es nicht, den Mund aufzumachen und das langsam peinlich werdende Schweigen zu brechen, sondern senkte den Kopf und starrte auf meine Stiefelspitzen. Plötzlich rülpste Cavia neben mir so laut und so lang, dass ich vor Schreck beinahe mein Bier fallen gelassen hätte. Eine junge Nordfrau, die gerade vorbeischlenderte, riss die Hand vor den Mund und brach in haltloses Gekicher aus, während Keenas Kopf herumruckte und sie der Koboldin einen schrägen Blick zuwarf. "Geht das nicht noch ein bisschen lauter?" fragte sie, "also am besten noch mit Melodie?" Cavia grinste so breit, dass sie sich in die eigenen Ohrläppchen zu beißen drohte. "Soll ich's mal versuchen, soll ich, soll ich?" sie nahm einen gewaltigen Schluck Bier um zu zeigen, wie ernst es ihr war. Keena verdrehte die Augen. "Tu was Nützliches und bring die Humpen weg, Kleine. Ich möchte mich mit Llienne allein unterhalten." Na, deutlicher ging es eigentlich kaum noch und Cavia protestierte zu meiner Überraschung nicht, sondern sprang mit einem Satz von der Mauer herunter, auf die wir uns gesetzt hatten, trippelte auf mich zu und streckte fordernd die Hand aus. Ich setze den Humpen rasch an die Lippen, leerte den verbliebenen Rest in einem großen Zug und drückte der Koboldin das Gefäß in die Hand. "Danke." Keena wartete geduldig, während sich Cavia übertrieben verneigte und mit den geleerten Humpen davonhüpfte. Leise seufzend wandte sie sich um, steuerte auf den Torbogen zu. Dabei machte sie sich nicht einmal die Mühe, einen Blick über die Schulter zurück zu werfen um zu sehen, ob ich ihr folgte. Überrascht sprang ich ebenfalls von der Mauer und lief hinter ihr her. "Hey," sagte ich, als ich mich wieder an ihre Seite gesellte, "ist etwas passiert?" "Nicht wirklich." Ihre Stimme klang abwesend, uninteressiert. Meine Verwirrung wuchs mit jedem Augenblick- ich war mir eigentlich keiner Schuld bewusst. "Aber irgendetwas stimmt nicht mit dir," fuhr ich hartnäckig fort. "Richte die Augen nach vorne und folge mir." Ich klappte den Mund zu und schwieg, wobei zögerlich der Ärger in mir aufstieg. Da hatte ich den ganzen Weg auf mich genommen um sie zu suchen, wollte ihr danken und nun so etwas. Das Tor hatten wir mittlerweile erreicht und Keena ging stur und noch immer stumm weiter. Ich warf ihr einen sehr langen Blick zu, den sie aber auch gefliessentlich ignorierte. Überhaupt tat sie so, als wäre ich gar nicht da. Als auf diese Weise weitere fünf Minuten vergingen, wurde es mir zu dumm. Ich blieb ruckartig stehen und griff dabei nach ihrem Arm. Keena funkelte mich ärgerlich an und riss sich ohne Mühe los. "Was ist?" fragte sie unfreundlich, wobei ihre seltsamen Katzenaugen wie kleine Kohlenstücke glühten. "Das Gleiche könnte ich dich fragen," gab ich kaum weniger giftig zurück. "Was soll das? wo wollen wir hin und warum tust du so, als hätte ich wer-weiß-was verbrochen? wenn ich hier nicht erwünscht bin, dann sag es und ich bin sofort weg." Mit knatternden Flügeln schwirrte eine Art Riesenmücke an uns vorbei, und während Keena ihr nachsah, nahm ich keinen Blick von ihr. Sie zögerte kurz und holte tief Luft, ehe sie sich einfach ins gut hüfthoch wachsende, von der Sonne ausgebleichte Gras sinken ließ und mir einen müden Wink gab, es ihr gleichzutun. Wortlos gehorchte ich, stütze mich mit einer Hand ab und zog meine Beine an den Körper. Keena rupfte einen Halm aus und begann, darauf herumzukauen. "Es tut mir leid," meinte sie schließlich und ich sah deutlich, welche Überwindung sie dieses Eingeständnis kostete. Überdies fiel mir noch etwas anderes auf: Trauer. Keenas Blick spiegelte Elend, ihr Mund war verkniffen und die Fäuste leicht geballt. Auf einmal fühlte ich mich schäbig, sehr schäbig sogar. Ich rückte etwas näher an das Katzenmädchen heran und tastete nach ihrer Hand. Keena ließ es wortlos geschehen. "Was ist passiert? was ist wirklich passiert?" fragte ich ruhig. Sie antwortete auch dieses Mal nicht, sondern blickte scheinbar nachdenklich ins Gras. Schließlich stellte sie unvermittelt eine völlig unpassende Gegenfrage: "Möchtest du sehen, was ich in der Zwischenzeit gelernt habe?" ich nickte verwirrt, noch immer sachte ihre Hand haltend. "Klar will ich." Sie machte sich los und stand abermals auf. "Pass auf," sagte sie, spreizte ein wenig die Beine und schloss wie in höchster Konzentration die Augen. Ich schwieg, wartete und passte gehorsam auf. Zwischen Keenas Finger glühte ein seltsames, blaues Licht und ich hielt den Atem an. Was kam denn nun..? sogleich bekam ich die Anwort- in Gestalt eines großen, aufrechtstehenden Skeletts. Mir klappte vor Überraschung die Kinnlade herunter und ich rutschte reflexartig auf dem Hosenboden zurück. Das Skelett trug nicht nur eine uralte Rüstung und einen ebenfalls aus Knochen bestehenden Helm, sondern war sogar noch mit Schwert und Schild bewaffnet. "Was ist das denn?" ächzte ich. "Sei still," erwiderte Keena, schloss abermals die Augen und erneut machte sich Anspannung auf ihrem Gesicht breit. Ich sah fassungslos von ihr zu dem Gerippe, welches lässig die fleischlosen Arme baumeln ließ und sich hinter Keena aufstellte. Ein irgendwie beunruhigender Anblick, und ich wollte schon gerade einen Warnruf ausstoßen, als wie aus dem Nichts ein zweites Skelett erschien. Es war etwas kleiner als das Erste und trug weder Rüstzeug noch Waffen. Trotzdem gab ich einen erstickten Schreckenslaut von mir und sprang auf die Füße. Keena lächelte erschöpft, aber eindeutig triumphierend. "Na? was sagst du?" "Äähh..." 'Äähh' war ungefähr wirklich das, was ich gerade fühlte und sogar noch relativ geistreich. Immerhin kam es nicht alle Tage vor, dass laufende Knochen aus dem Nirgendwo erschienen und scheinbar auf Befehle warteten, denn genau diesen Eindruck machten die beiden Skelette, die ihre Schädel jetzt Keena zuwandten und ihre leeren Augenhöhlen auf ihr Gesicht hefteten. "Ich mache Fortschritte in meiner Ausbildug," erklärte Keena nicht ohne Stolz. Ich starrte sie noch immer irritiert an. "Aber wieso...was sind...was soll..." ich deutete mit dem Finger auf die beiden Gerippe. Sie grinste spöttisch. "Ich bin eine Knochentänzerin, Mädchen. Na, regt sich da irgendwas bei dir?" "Du tanzt mit Knochen?" fragte ich dümmlich. Sie griff sich an die Stirn und stöhnte übertrieben. "Was hast du die letzten Jahre getrieben? gepennt?" fragte sie kopfschüttelnd. "Es wird höchste Zeit, dass wir an deinen Fertigkeiten arbeiten." Sie gab den beiden Knochengestalten einen Wink und ging einfach weiter, wobei ihr ihre stummen Diener gehorsam folgten. Ich tat es ebenfalls, doch nun war meine Verwirrung ins Unermessliche gestiegen. "Ich freue mich ja für dich, aber was hat das bitte mit meiner Frage zu t..." mit einer einzigen Handbewegung schnitt mir Keena das Wort ab. "Später," sagte sie nur. "Komm, ich will sehen, was du kannst." Also seufzte ich nur und fügte mich. Wenn ich Keena nun weiter bedrängte, würde ich bestenfalls gar keine oder nur noch eine patzige Antwort bekommen, dessen war ich mir ziemlich sicher. Ausserdem war ich schon neugierig, was mich erwartete. Und was immer Keena eben bedrückt hatte...jetzt schien es ihr ja wieder besser zu gehen. "Ach übrigens," sagte ich plötzlich und lächelte sie an, "danke nochmals." "Hm? wofür?" "Dass du meinem kleinen Bruder neulich geholfen hast." Sie erwiderte mein Lächeln. "Ach, stimmt ja, da war doch was...der Kleine ist echt niedlich, aber er sollte sich definitiv andere Reisegefährten suchen." Mein Gesicht verfinsterte sich. "Der Reisegefährte war in diesem Falle unser Bruder. Ich weiß nicht, was er im Schilde führt...da ist in der Zwischenzeit schon einmal ein seltsamer Zufall passiert." Keena sah mich interessiert an und bedeutete mir mit einem Nicken, fortzufahren. "Nun, bei uns im Myrkwood Forrest geschahen bis vor kurzem sehr seltsame Dinge. Kinder sind verschwunden, manche blieben bis heute verschollen, andere wurden...wurden gefunden." Ich schluckte leicht. "Da steckten jedenfalls Monster hinter...du hättest sie sehen sollen, wie ertrunkene Frauen, viel zu dürr zum leben, mit schwarzen Augen und..." "Moratänzerinnen," unterbrach mich Keena. "Was?" "Du meinst Moratänzerinnen. Ich kenne sie..." in Keenas Blick spiegelte sich Abscheu. "Sie sind verflucht hinterlistig und extrem gefährlich...Kinder und unerfahrene Krieger verspeisen sie zum Frühstück...im wahrsten Sinne des Wortes. Aber ich hab dich unterbrochen, verzeih mir." Ich winkte nur ab und fuhr fort: "Na ja, diese Moratänzerinnen jedenfalls hatten nicht nur Leifnir Havocbringer...oh ich sehe, du erinnerst dich an ihn?" ich grinste, als ich Keenas Gesicht bemerkte. Sie schaute, als hätte sie in eine saure Zitrone gebissen und danach noch einen Kübel kaltes Wasser in den Nacken geschüttet bekommen. Sie schnaubte nur und nickte abfällig "...Sie hatten also nicht nur diesen Idioten gefangen, sondern noch einige Kinder...und unter ihnen war mein kleiner Bruder. Er hätte zu der Zeit nie im Myrkwood herumlaufen dürfen, doch ausgerechnet Stovag, das ist unser älterer Bruder, hat ihn laufenlassen. Klingt doch seltsam, nicht?" Die Valkyn schüttelte den Kopf. "Nein, das klingt nicht nur seltsam, sondern auch verdammt beunruhigend," sagte sie ernst. "Du solltest nicht nur mit deinem Bruder, sondern auch mit deinem Vater ein paar Takte reden. Sonst könnte es für den Kleinen böse ausgehen." Ich nickte nachdenklich. Keena blieb plötzlich stehen und ich rannte ihr fast in den Rücken. "Grüß deinen kleinen Bruder mal recht herzlich von mir, aber nun zu was anderem...sagt dir Dun Abermenai etwas?" ich blinzelte, musste dem plötzlichen Übergang geistig erst einmal richtig folgen. "Err..." machte ich und kratzte mich am Hinterkopf. Sie seufzte erneut. "Ich beginne mich zu fragen, was du eigentlich weißt," brummte sie. "Aber damit auch du nicht dumm stirbst, versuche ich mal, deine Wissenslücken zu füllen: Neben den Großen Feindes und Grenzländern gibt es noch gewisse...Vorposten." "Vorposten?" "Hm-hm. Insgesamt gibt es vier solcher Posten. Die Albioner, Hibernianer und wir haben jeweils eine kleine Festung in diesem Teil des Landes und es gibt eine neutrale Festung, so gesehen das Herz der Kampfgebiete dort. Wir sammeln in Dun Abermenai, Thidranki, Murdaigean und Caledonia nicht nur erste Erfahrungen für unser späteres Kriegsleben, sondern können an unseren speziellen Fertigkeiten arbeiten. Sehr hilfreich, aber nicht ganz ungefährlich," erzählte Keena. Ich hörte gespannt zu und nickte nur, um sie nicht zu unterbrechen. "Die Jüngsten, wir also, beschützen Dun Abermenai. Wenn man dort über genug Erfahrung und Stärke gesammelt hat, gehts weiter nach Thidranki. Um dieses Gebiet wird neben Caledonia meistens am heftigsten gekämpft. Abermenai und Murdaigean sind eher unbedeutende Stützpunkte und meistens herrscht da Ruhe..." sie brach ab und schwieg, versonnen einen kleinen, von ebenfalls gelblichem Gras bewachsenen Hügel betrachtend. "Und du willst nun nach Dun Abermenai, oder wie soll ich das verstehen?" fragte ich, wobei ich die heftige Aufregung niederkämpfte, die sich in meinem Inneren ausbreitete. Allein die Vorstellung verursachte bei mir einen Hauch von Übelkeit, nicht etwa vor Angst, sondern ungläubiger Faszination: Ich, ausgerechnet ich, sollte in einem Kampfgebiet für mein Land einstehen und um eine Festung kämpfen? mein Leben lang hatte ich davon geträumt, und es war in diesem Moment vollkommen egal, dass es sich hier nur um einen kleinen Stützpunkt für Halbwüchsige und nicht das berühmte Emain Macha handelte! Keena grinste. "Du bist krebsrot, weißt du das?" ich konnte es mir lebhaft vorstellen, doch ich verschränkte nur die Arme vor der Brust, um meine Hände ruhig zu halten, und fragte erneut, wobei meine Stimme vor Erwartung leise zitterte: "Willst du nach Dun Abermenai, Keena?" und als sie nickte, hatte ich das Gefühl, als würde ein glühender Klumpen durch meine Kehle und langsam in Richtung Bauch rutschen. Keena grinste noch breiter. "Pass auf, dass du dich nicht gleich nass machst. Deswegen habe ich dich hierher gebracht- zum üben. Oder willst du gleich bei der ersten Auseinandersetzung mit so einem stinkenden Inconnu den Löffel abgeben?" ich wusste nicht, was ein Inconnu war, doch ich schüttelte heftig den Kopf. "Nein, natürlich nicht!" Keena nickte. "Eben. Also, werte Llienne...du hast viel über sie gehört, man hat dir viel Sch...viel komisches Zeug erzählt und nun wollen wir sie dir endlich zeigen. Lass uns die Morvaltar besuchen!" bei den Worten verdunkelte sich Keenas Gesicht und ihre Stimme hatte einen kalten, berechnenden Ton angenommen. Sie hasst sie, dachte ich, die Valkyn aufmerksam betrachtend. Das ist nichts anderes als echter, ungetrübter Hass. "Gut...lass sie uns besuchen," antwortete ich nur. Der Weg erwies sich als einfach und Hindernisse wurden uns keine in den Weg gelegt. Die wilde, ungezähmte Landschaft Aegirs war einfach nur unglaublich. Eine solch ungebrochene, schlichtweg prähistorische Natur hatte ich noch nirgendwo zu Gesicht bekommen: Wild wuchsen Bäume und Pflanzen, deren Namen ich nicht einmal kannte, neben gigantischen Mammuts tummelten sich auf ein paar Felsen sogar Säbelzahntiger, doch zu meiner leichten Enttäuschung machte Keena einen weiten Bogen um die träge in der Sonne faulenzenden Raubkatzen. "Sie sind sehr aggressiv und greifen oft im gesamten Rudel an," erklärte sie, als ich vorschlug, die schönen Tiere etwas eingehender zu betrachten. "Aber sie wirken nicht gerade aggressiv," beharrte ich und sah zu den dösenden Tigern hinüber. Keena lächelte nur humorlos. "Noch. Wenn sie dich erstmal riechen, werden sie dich unter Garantie zum Mittagessen einladen- und rat mal, wer der Hauptgang ist!" so waren wir also mit einem -meiner Meinung nach- deutlich übertriebenem Sicherheitsabstand weitergewandert und ich begnügte mich damit, wieder die faszinierende Umgebung zu bewundern. "Es ist unglaublich...so viel Freiheit und Platz...," schwärmte ich und sah Keena begeistert an. Die blieb ernst: "Ja, es gehört den alten Trollvätern...und damals, ganz damals...da gehörte es uns." Ihre Stimme klang dabei weder zornig noch verbittert, doch ich senkte den Kopf und schwieg, während ich ein schlechtes Gewissen verspürte. Keena war wirklich ein Buch voller Rätsel. Wieder breitete sich eine Weile unangenehmen Schweigens zwischen uns aus und ich war gerade im Begriff, dieses zu brechen und mich für meine Worte zu entschuldigen, als Keena mir nicht gerade sanft die Hand auf die Schulter legte, leicht zudrückte und einen Finger an die Lippen hob. "Sssh," zischte sie und duckte sich leicht, wobei ich notgedrungen ebenfalls in die Knie gehen musste. "Was ist?" flüsterte ich. Sogar die beiden Skelette -an ihren Anblick hatte ich mich mittlerweile mehr oder weniger gewöhnt- traten ein wenig zurück und senkten die Schädel. "Morvaltar," hauchte Keena, und ein böses Glitzern trat ihr in die Augen. Ich folgte ihrem Blick...und schluckte leicht. Hinter einer Reihe schief gewachsener, dürrer Bäume tummelten sich vielleicht vier oder fünf gedrungene Gestalten. Beim flüchtigen Hinsehen konnte man sie für Valkyn halten, doch ein genauerer Blick brachte die feinen, ausschlaggebenden Unterschiede deutlich zur Geltung. Die Morvaltar wirkten irgendwie...tierischer, ein anderes Wort fiel mir für den Moment nicht ein. Sie gingen gebeugter, trugen grobe, verdreckte Fellfetzen und unterhielten sich nicht in menschlicher Zunge sondern verständigten sich mit grollenden Grunlauten und tiefem Geknurr. Ihre stumpfsinnigen, aber durch und durch boshaften Augen konnte ich selbst über diese relativ große Entfernung erkennen. Ich warf einen raschen Blick auf Keena und zuckte kurz zusammen: Die Augen des Katzenmädchens schienen Funken zu sprühen, ihre behandschuhten Hände krallten sich in den warmen Sandboden und sie hatte die Zähne leicht gefletscht. Was haben diese Wesen ihr getan, dass sie sie so sehr hasst, dachte ich unbehaglich. Kurz, wirklich kurz, schwirrten mir die alten Worte Leifnir Havocbringers im Kopf herum: 'Rücksichtslose, brutale Räuber sind sie! Mörder! ja, da guckst du, wie? die ziehen nicht wie wir gegen Albion und Hibernia, um ihre Heimat zu beschützen...die haben Spaß am töten! hast du das gewusst? nein, nicht wahr? aber so ist es. Sie feiern gottlose Feste...Orgien wäre wohl besser...und metzeln diejenigen nieder, die mit auf ihren Inseln leben...' Ich schüttelte wütend den Kopf und knirschte mit den Zähnen. Was wusste dieser Schwachkopf schon. Trotzdem rückte ich ein klein wenig von Keena weg, dieser unverdünnte Hass in ihrem Blick machte mir beinahe Angst. "Die schnappen wir uns," zischte die Valkyn. "Eine Sekunde noch..." sie vollführte ein paar rasche Handbewegungen und für einen Moment war sie von einem Schwall hellen, aber nicht unangenehmen Lichtes umhüllt. Ich warf einen raschen, nervösen Blick zu den Morvaltar, doch die schienen noch nichts von unserer Anwesenheit bemerkt zu haben."Bei drei," knurrte Keena. "Ja, gut..." "Eins!" Ich spannte mich ein wenig und tastete nach meiner Axt. "Zwei...!" Ich schloss die Finger um den Axtstiel und schickte ein kurzes Gebet zu Bragi. Hilf mir, Herr der Schlachtensänger, nun wirds ernst... "Drei!!" Keena sprang mit einer unglaublich schnellen, fließenden Bewegung auf die Füße und stürzte rücksichtlos auf die Morvaltar zu, wobei ihre beiden Skelettdiener ihr ohne zu zögern folgten. Und dann ging alles ganz schnell. Ich merkte kaum, wie ich ebenfalls auf die Beine kam und einen kurzen, kehligen Schrei ausstieß. Sofort fühlte ich mich stärker, Kampfeslust beherrschte mich und wie ein Hitzeschwall durchströmte mich die Kraft. Da gab es nur Keena, mich...und meine Axt. Der Valkyn schien es ähnlich zu gehen, denn sie brüllte mir zu: "Gut, Llienne!" nun hatten die Morvaltar die Köpfe gehoben und starrten zu uns hinüber. Ihre Ohren zuckten und knurrend sprengten sie vor. "Zöger nicht...töte sie, du brauchst die Übung!" rief Keena schneidend, als mich für einen halben Herzschlag doch Zweifel überkamen. Sie hatte Recht. Irgendwann musste ich damit beginnen, vielleicht war das der endgültige Schritt zum Erwachsenwerden. Ein Feind, sei es ein Ungeheuer, ein Albioner oder ein Hibernianer...niemand, niemand würde mich später verschonen. Da zählte nur eins: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Zweifel und Angst verflogen. Ich stürzte mich auf den erstbesten Morvalt und schwang in einem kurzen Bogen die Axt, während ich einen brüllenden Schrei ausstieß, der meinen Gegner vor Schmerz grunzen und ein wenig zurücktorkeln ließ. Ich schrie ihn nochmals an, dieses Mal noch lauter und zorniger als zuvor. Der Morvalt stöhnte, ein Geräusch, in dem sich nur Schmerz und langsam anschwellende Furcht wiederfanden. Ich blickte in das behaarte Gesicht meines Gegners und sah sie, diese Furcht. Und was ich damals sicher empört abgestritten hätte, gab ich später beschämt zu: Es machte mir Spaß. Es erfüllte mich mit einem mir bis dato unbekannten Gefühl von Macht. Ich war ihm überlegen, er hatte mir nichts entgegenzusetzen und ich würde zumindest diesen Kampf siegreich überstehen. Nochmals und mit gnadenloser Wucht zerschnitt meine Waffe die Luft und mit einem gequälten Knurren ging der Morvalt zu Boden. Neben mir kämpfte Keena gegen gleich drei der Morvaltar auf einmal und obwohl zwei bereits schwer verletzt waren, keuchte sie ebenfalls und musste langsam, aber sicher zurückweichen. Normalerweise hätte mich das Schauspiel sicher abgelenkt und mir eine rasche Niederlage beschert, denn es gab eine Faustregel, die man nie, nie vergessen durfte: Kehre keinem Gegner den Rücken, so lange er noch aufrecht steht. Keena hatte blutende Wunden, doch seltsamerweise schlossen sie sich immer wieder, wenn ihr Stab, begleitet von einem seltsamen, rauschenden Laut, in regelmäßigem Abstand auf ihre Gegner hinabfuhr. Neben ihr kämpfte ihr gerüsteter Skelettkrieger und zischte jedes Mal zornig, wenn er oder seine Herrin getroffen wurden. Das andere Gerippe hatte sich ein gutes Stück zurückgezogen- und heilte Keena! seine fleischlosen Hände machten beinahe gelassene Bewegungen und spendeten warmes, wohltuendes Licht, was sternengleich auf die Valkyn herabsank und jedes Mal einen tiefen Kratzer schließen ließ, einen Blutfluss stoppte und Bisswunden versiegelte. Ich nahm meinen nächsten Gegner ins Visier. Meine Kehle schmerzte und ich hatte einen bitteren Geschmack im Mund, doch ich stieß schrille, triumphierende Kampfschreie aus, schwang meine Axt wie im Rausch- und irgendwann war es einfach vorbei. Keiner der Morvaltar war entkommen, erschlagen lagen sie zu unseren Füßen, während ihr Blut den heißen Sandbonden rot färbte. Und schlagartig wich alle Kraft aus meinen Gliedern. Ich ließ meine Axt einfach fallen, taumelte zurück und brach schließlich mit einem erschöpften Keuchen in die Knie. Meine Beine waren wie Gummi und ich war in Schweiß gebadet. Mit dem letzten Rest geistiger Stärke hauchte ich ein mattes Lied und dankte Bragi im Stillen, dass ich noch am Leben war. Keena hatte viel mehr geleistet als ich und sah trotzdem weitaus besser aus. Trotzdem zitterte auch sie leicht, als sie sich neben mir zu Boden sinken ließ. "Das war ein Kampf, was?" sagte sie rauh. Ich blickte sie müde an. "Ja," sagte ich nur und nickte sachte. "Dein erster?" fügte die Valkyn hinzu, als ich wieder in Schweigen verfiel. "Gegen andere Gegner als Baumstämme und Baumspinnen? ja," antwortete ich und rieb mir die linke Schulter. Sie legte kurz die Hand auf mein Knie. "Das war gut." "Danke." Wir ruhten uns noch eine Weile aus und ich vermied es, die erschlagenen Morvaltar anzusehen. Keena schien es nicht zu stören, bei ihren Leichen wieder zu Kräften zu kommen- im Gegenteil. Am meisten bestürzte mich der Ausdruck tiefer Zufriedenheit in ihrem Gesicht. Theoretisch hatten uns diese Tiere...oder wie immer man sie nennen wollte...nichts getan. Keena hatte es von sich aus gewollt. Aber nun fing ich ja schon wieder damit an. Ich ballte die Fäuste, so sehr, dass meine Fingernägel schmerzhaft in meine Handflächen stachen. Vielleicht war ich doch zu weich und hatte einfach nicht das Herz einer Kämpferin...? "Keena?" fragte ich leise. "Mhm?" Ich blickte sie ernst an. "Nun mal ehrlich. Und weich mir nicht aus, ja?" ihre Augen verrieten Ungeduld und ein gewisses Misstrauen. "Na was denn, raus mit der Sprache!" "Warum...hasst ihr euch so? dein Volk und diese Morvaltar. Und warum hasst du sie sogar so sehr, dass es dir Freude bereitet, sie zu töten?" meine Stimme klang ernst, gefasst. Keena warf ihre blonde Mähne in den Nacken. "Du hattest doch auch deinen Spaß, es war kaum zu übersehen," sagte sie spitz. Ich seufzte tief, sehr tief. "Du weichst mir wieder aus." Keena verstummte und ich glaubte schon nicht mehr an eine Antwort, als ich diese dann doch bekam. "Du hast Recht. Du hast vollkommen Recht...entschuldige. Ich bin die letzte Zeit...nicht mehr ich selbst." Das habe ich gemerkt, dachte ich flüchtig, hütete mich aber, das laut auszusprechen. "Warum?" fragte ich nur. Keena senkte den Kopf, so tief, dass er fast zwischen ihren gespreizten Schenkeln verschwand. "Ich hasse sie wirklich," murmelte sie. "Und ich tue nichts lieber, als die zu töten, die auch meine gesamte Familie getötet haben." Hätte das Katzenmädchen mich geschlagen...mein Schock hätte nicht größer sein können. "Die Mor...sie haben deine Familie...getötet?" wiederholte ich flüsternd. Sie nickte nur, ohne aufzusehen. "Wann?" fragte ich im gleichen Tonfall weiter. "Vor einem halben Jahr, vielleicht ein bisschen weniger. Damals waren sie mir einfach nicht geheuer...dass sie aber Ungeheuer sind," fuhr sie mit bitterer Betonung hinzu, "habe ich dann doch etwas zu spät gemerkt." Ich hatte wieder diesen schlechten Geschmack im Mund und meine Kehle fühlte sich eng an. Mit einem Entsetzen, dass ich nicht ganz verbergen konnte, blickte ich Keena an. Die junge Valkyn hatte sich wieder aufrecht hingesetzt und ihr Blick schweifte ausdruckslos über die erschlagenen Morvaltar. "Ich habe meine Tränen vergossen," sagte sie einfach. "Doch das bringt die Toten auch nicht zurück." Ich starrte sie weiterhin an. "Bringt es sie denn zurück, wenn du nun jeden Morvalt erschlägst, der dir unter die Augen kommt?" fragte ich, eigentlich ganz gegen meinen Willen. Keena fuhr aber nicht zusammen und ließ mir auch keine scharfe Antwort zuteil werden. Stattdessen blieb ihr Blick weiterhin beinahe nachdenklich an den Leichen hängen. "Nein. Aber ich finde meinen Frieden." Und dabei blieb es. Unser blutiger Ausflug dauerte nicht mehr sehr lange. Ich wollte nicht mehr, jede Lust war mir vergangen und obwohl ich Keena wirklich verstehen konnte, erschien mir ihre nicht enden wollende Rache sinnlos und scheußlich. Das wollte einfach nicht zu dem kecken Valkynmädchen passen, was ich damals kennen gelernt hatte. Dennoch trafen wir noch zwei weitere Male auf vereinzelte Morvaltar, die uns einmal auch von sich aus angriffen. Keena brachte ihr Werk mit beinahe unheimlich anmutender Perfektion zu Ende und sagte dann selbst, dass sie für heute genug Übung erhalten habe. Mir war das nur recht. Auf dem Rückweg nach Aegirham warf mir Keena plötzlich einen kurzen Blick zu und lächelte traurig. "Willst du eigentlich noch mit mir verrücktem Weib nach Abermenai ziehen oder bin ich bei dir endgültig unten durch?" ich seufzte und legte ihr statt einer Antwort nur den Arm um die Schulter. Am Eingang nach Aegir wurden wir bereits ungeduldig erwartet und ich seufzte leicht, als Cavia wie ein Wirbelwind auf uns zufegte. "Heyjaaa!" brüllte sie. "Wo wart ihr so lang, he? ihr wart lange fort und ohne ein Sterbenswörtchen zu sagen oder mich mitzunehmen, tze tze!" Keena grinste sachte. "Du hättest dich eh nur gelangweilt, gab niemanden, an dem du deine Heilkunst hättest testen können." Doch Cavia starrte mich aufmerksam an und krähte erneut los: "So, so, so! und warum sieht das Skaldenmädchen schon wieder aus wie dreimal vom Troll gebissen, he?" der Blick, den sie Keena zuwarf, war alles andere als freundlich. Ich musste zugeben, dass die Koboldin Recht hatte, auch wenn ihre Ausdrucksweise ein wenig merkwürdig anmutete. Ich war Zeit meines Lebens noch nie von einem Troll gebissen worden und konnte diesbezüglich keine Stellung einnehmen. Mein magisches Lied mit den regenerativen Fähigkeiten hatte mir schon sehr weitergeholfen und Keena war von ihrem Skeletthelfer vollständig geheilt worden -das dämliche Etwas hatte sich strikt geweigert, auch mich zu heilen!- doch trotzdem spürte ich jeden blauen Fleck, jeden Kratzer und den Beginn eines gewaltigen Muskelkaters. "Hmm," machte ich nur und Keena grinste wie in alten Tagen: "Also kommst du doch noch zu deinem wohlverdienten Recht. Andere Leute freuen sich über Gold und Schmuck, Cavia ist glücklich, wenn sie jemanden heilen darf- und je schlimmer die Verletzungen, desto besser." Die letzten Worte hatte sie an mich gerichtet und ich kicherte pflichtschuldig. Cavia hingegen zog eine Grimasse. "Pfff," machte sie. "Wenn es sich denn hier wenigstens um vernünftige Verletzungen handeln würde...das sind ja Myggastiche!" Keena prustete los und ich sah die Koboldin finster an. "Mir reicht es." Während sich Cavia mit schmollendem Gesicht um meine vielen, kleinen 'Myggastiche' kümmerte, fragte sie ganz beiläufig: "Wie is'n das eigentlich passiert?" ich hätte beinahe geantwortet, bemerkte aber Keenas warnenden Blick und schwieg verwirrt. Scheinbar wollte die Valkyn nicht, dass Cavia erfuhr, was wir getrieben hatten. Warum, wusste ich nicht, doch ich wollte der Freundin nicht in den Rücken fallen. "Ach, meine eigene Dummheit...hab mit offenen Augen geschlafen," sagte ich achselzuckend. Cavia schnaubte. "Nordländische Trampel eben." Während Keena schon wieder loslachte, sah ich bedächtig auf den geflochtenen Zopf der Koboldin hinab und stellte mir im Geiste genüsslich diverse anregende Dinge vor, die diesem kleinen Etwas passieren könnten. Trotzdem dankte ich ihr mit breitem Lächeln, als sie endlich fertig war, und Cavia murmelte nur: "Immer gerne wieder...und nächstes Mal verletz dich mal richtig, ja?" ich zog es vor, diese Äußerung einfach zu überhören und streckte mich ausgiebig. "Müde?" fragte Keena lächelnd und ich nickte. "Dann lass uns schlafen gehen. Ich habe vor dem Portal beim Atla-Strand ein Zelt aufgeschlagen." "Du schläfst nicht in Aegir?" fragte ich überrascht. Keena lächelte noch immer. Es scheint ihr ja besser zu gehen, dachte ich erleichtert. "Ich höre gerne das Rauschen des Meeres...und der Sternenhimmel da ist einfach atemberaubend." Ich erwiderte ihr Lächeln und nickte. "Hab ich nix gegen." Cavia schnaubte einmal mehr. "Oh, diese Turteltäubchen," sagte sie mürrisch. Ich streckte ihr die Zunge heraus und Keena tätschelte dem Koboldmädchen spöttisch den Kopf. "Gute Nacht, du Schlumpf. Kommst du, Llienne?" "Ja, ich komme. Nacht, Cavia." Die Koboldin rief so laut, dass man es auf dem ganzen Marktplatz hören musste: "Gute Naaacht!" ich verdrehte die Augen und lief eilig Keena hinterher, die schon auf den gespenstisch leuchtenden, magischen Durchgang zuschlenderte. Dieses Mal waren wir zu zweit, als der Wirbel von Farben uns erfasste und zu verschlingen schien. Abermals kniff ich die Augen zu und hörte Keena neben mir leise lachen- ihre Stimme klang wie aus weiter Ferne und ziemlich verzerrt. Endlich ließ das leicht schwindelerregende Gefühl um mich herum nach und wir standen vor dem Portal, zurück in Nalliten. Die Sonne ging bereits unter und bald würder der Mond ihren Platz am Himmel einnehmen. Ich gähnte leise, spürte nun wirklich jeden Knochen im Leib. Keena knuffte mich boshaft in die Seite und ich machte einen steifen Hüpfer seitwärts. "Warts nur ab, wie es morgen wird," sagte die Valkyn. "Dun Abermenai wartet auf uns, Llienne." Ich nickte, mir grummelnd meine Hüfte haltend. "Aber es wird noch eine Nacht ohne uns auskommen, ich bin total alle." Keena nickte und gähnte herzhaft, wobei sie ihr beeindruckendes Katzengebiss präsentierte. "Frag mich mal. Komm, mein Zelt steht am Strand. Da sind auch ein paar Vorräte, wenn du Hunger haben solltest." Ich hatte zwar selbst Proviant mit, aber das waren wie immer Pökelfisch- und fleisch und ein paar getrocknete Früchte. "Kommt drauf an, was du mir anbieten kannst," grinste ich. Keena war mir einen spöttischen Blick zu: "Und ich dachte, nordländische Barbaren verschlingen alles." Probeweise trat ich nach ihrem Knie, doch sie brachte sich mit einem deutlich eleganteren Satz in Sicherheit. Keenas Zelt war groß und gemütlich. Über ein Gerippe aus stabilen Ästen spannten sich mehrere Bahnen von Leinen und über diese hatte die Valkyn Tannenzweige gelegt. Aus der Ferne mochte man glauben, es sei ein eckiger Grashügel, der da am Strand emporwuchs. Der Zeltboden war ebenfalls mit Tannenzweigen ausgelegt und diese wurden von einer Ansammlung Tierfelle bedeckt, was insgesamt eine bequeme und weiche Schlafstatt abgab. Ich kroch ins Zelt hinein und wieder hinaus und war ehrlich begeistert. "So will ich später auch mal leben," verkündete ich Keena, die in einigem Abstand Steine zu einem Ring zusammentrug, um eine Feuerstelle zu bauen. "Dummerchen, ich wohn doch nicht das ganze Jahr in einem Zelt," erwiderte das Katzenmädchen und griff nach einem Feuerstein. "Aber wenn das Wetter es zulässt, bin ich gerne hier. Ich finde es gemütlicher als in der Stadt." Ich kroch abermals aus dem Zelt und begann, trockene Wurzeln und Gestrüpp zu sammeln. "Ich auch. Aber ist es nicht gefährlich hier? so ganz allein in der Wildnis?" Keena nahm mein Gesammeltes in Empfang und schlug ihren Feuerstein mit einem anderen zusammen. Es funktionierte beim ersten Versuch: Ein kleiner Funke ließ die trockenen Wurzeln und Zweige sofort Feuer fangen. "Was soll gefährlich sein?" fragte Keena amüsiert. "Hier gibts nur ein paar Krabben und die in oder andere Ertrunkene Seele." Mir fiel der Proviantbeutel, den ich gerade inspiziert hatte, einfach aus der Hand. "Hier gibts was? Krabben und...Ertrunkene Seelen?" fragte ich schaudernd. Keena suchte mehr Nahrung für das bereits gemütlich flackernde Feuer und nickte ungerührt. "Es sind die Seelen von Seemännern und unschuldig Verschleppten, die keine Ruhe finden. Wenn die Nacht anbricht, kommen sie aus dem Meer und beklagen am Strand ihr Schicksal. Schon unheimlich, aber sie sind harmlos." Ich spürte eine kribbelnde Gänsehaut, während ich gebannt an ihren Lippen hing. "Und?" "Und was?" "Was gibts hier sonst noch Gruseliges und Untotets?" Faszination schwang in meiner Stimme mit und Keena musste grinsen. "Nun, eigentlich nichts weiter...oder halt, doch...Fressan." "Wer ist verfressen?" Keena grinste und schnippte mir gegen die Stirn. "Das ist auch ein seltsamer Bursche...vor ihm musst du dich tatsächlich hüten. Er sieht aus wie ein Kobold, ist immer in nachtschwarz gekleidet und steht regungslos am alten Wrack, was etwas weiter Richtung Atla am Strand liegt. Bei ihm ist immer ein schrecklich hässlicher kleiner Kerl mit dem Namen Trollki." Ich kicherte leise und Keena musste ebenfalls schmunzeln. "Sie stehen Tag ein, Tag aus am alten Wrack und starren aufs Meer. Schon seltsam, ich hab sie niemals woanders gesehen. Es sei denn, du kommst ihnen zu nahe, dann greifen sie dich plötzlich an. Trollki ist ein Weichei, aber vor Fressan sollte man sich in acht nehmen." Ich nickte. "Ich werde es mir merken." Bald darauf verschwand die Sonne endgültig hinter dem Horizont und ließ uns nur einen malerischen, blutroten Himmel zurück. Keena und ich aßen nun doch und schauten schweigend und andächtig über das Meer. Dabei gingen wir beide unseren eigenen Gedanken nach. Was Keena jetzt wohl denken mochte, wusste ich nicht. Ihr Gesicht war nachdenklich, aber den unnatürlichen Zorn und die Trauer, die mir vor einiger Zeit noch an ihr aufgefallen waren, schien sie zumindest vorläufig hinter sich gelassen zu haben. Ich lehnte mich entspannt zurück und warf eine Handvoll süß schmeckender Beeren in den Mund. Obwohl mir tatsächlich alles weh tat und ich für heute eigentlich genug Blut vergossen hatte, freute ich mich auf den morgigen Tag. Schon seltsam...ich freute mich darauf, in ein Kriegsgebiet zu ziehen und gegen andere Menschen zu kämpfen. Achselzuckend schob ich den Gedanken beiseite und beugte mich ein wenig zur Seite, um an ein Stück wohlduftenden Käse zu gelangen. Keena sagte plötzlich -und ihre Stimme klang dabei regelrecht friedlich- : "Heute habe ich gesehen, was die Leute meinen, wenn sie von Schlachtensängern sprechen." Ich kaute, schluckte und sah sie an. "Und?" "Du bist eine solche Schlachtensängerin. Oder zumindest auf dem besten Weg, eine zu werden. In ein paar Jahren werden wir keine Halbwilden mehr töten, Llienne. Wir werden unser Land und alle, die darin leben, beschützen." Ich nickte leicht verwirrt, der unvermutete Ernst und Hauch von Sentimentalität überraschte mich. "Ja. Sicher. Wie kommst du jetzt darauf?" sie lächelte ein wenig und schob sich einen Streifen Pökelfisch in den Mund. "Wirst du Kinder haben?" ich wiegte zweifelnd den Kopf. "Darüber denke ich doch jetzt noch nicht nach...vorher muss ich erstmal meinen Möchtegern-Ehemann abwimmeln." "Deinen was bitte?!" Ich zuckte aufseufzend die Achseln. "Ach...ich habe einen Heiratsantrag bekommen." Keena grinste breit. "Ist nicht wahr! wer ist der...hmm...Glückliche?" ich schwieg kurz. Ein seltsames Gefühl sagte mir, dass Keena jetzt noch nicht zu wissen brauchte, dass mein Verehrer niemand anderes als der von ihr nicht gerade geliebte Leifnir Havocbringer war. "Ach...so 'ne flüchtige Bekanntschaft..." Während wir uns unterhielten, war es allmählich dunkel geworden. Keena reichte mir eine dicke Felldecke, in deren Fülle ich fast ertrank. Dankbar kuschelte ich mich in den leicht dumpf riechenden, aber sehr weichen Pelz und blickte abermals aufs Meer hinaus. Plötzlich sah ich keine hundert Schritt weit eine durchscheinende, leuchtende Männrgestalt über das Wasser schweben! "Was ist denn das?" flüsterte ich und hielt vor Schreck den Atem an. Keena hüllte sich ebenfalls in ihre Decke und zog die Beine an den Körper an. Als sie antwortete, dämpfte sie unwillkürlich die Stimme: "Das ist eine der Ertrunkenen Seelen. Die anderen müssten gleich ebenfalls kommen. Sieh gut hin, wer weiß, wann du nochmal die Gelegenheit dazu bekommst." Ich nickte zweifelnd. Eigentlich konnte ich mir was Schöneres vorstellen, als einer kleinen Armee ruheloser Seelen beim Beweinen ihrer verdammten Existenz zuzuschauen. Tatsächlich verging keine Minute, ehe weitere nebelhafte Gestalten auftauchten. Es waren ausnahmslos Nordmänner, die leise flüsternd und raunend ans Ufer kamen, den Strand auf- und abschwebten und sich ihrem Leid hingaben. Keena saß still und ernst da und sah den Klagenden ruhig zu, mir kroch es abwechselnd heiß und kalt den Rücken herunter. Irgendwann aber verloren wir allmählich das Interesse an den Geistern, als die Müdigkeit stärker wurde und unsere ausgezehrten Leiber ihren Tribut forderten. "Ich glaube, ich mach mal kurz die Augen zu," murmelte ich. Keena kuschelte sich neben mir in die Felle. "Hhmmm," machte sie nur. Kurz darauf waren wir beide eingeschlafen, während die rastlosen Seelen weiterhin über das Ufer glitten, ohne uns zu beachten... Ein leises Knurren ertönte neben mir und ich wälzte mich unruhig von einer Seite auf die andere. Plötzlich spürte ich einen bitteren, kupfernen Geschmack im Mund- den Geschmack von Blut! ich fuhr verschlafen hoch und blinzelte irritiert. Der Mond stand klar und rund am Himmel und tauchte den Strand von Atla in ein gespenstisches, silberfarbenes Licht. Die Ertrunkenen Seelen waren verschwunden. Komisch, dachte ich und rieb mir die Augen. Der Geschmack war noch immer da, doch es musste wohl daran liegen, dass ich längere Zeit nichts mehr getrunken hatte. Und das Knurren? Einbildung, beruhigte ich mich in Gedanken. Und eben im selben Augenblick ertönte es wieder! ein tiefer, langgezogener Kehllaut. Ob ich Keena wecken sollte? vielleicht, wenn sie mich auslachte, war mir das auch egal. Ich konnte nicht leugnen, dass ich ziemlich nervös war...dass ich Angst verspürte. Ich drehte mich herum, beugte mich über meine Gefährtin und wollte sie sachte an der Schulter rütteln, als Keena im gleichen Moment die Augen öffnete und mich angrinste. Mit einem unterdrückten Schrei fuhr ich zurück- das war nicht Keena, die da neben mir lag. Es war der Morvalt, den ich als erstes erschlagen hatte! sein ohnehin tierisches Gesicht war zerschlagen und blutig, in den Augen glitzerten Hass und eine bösartige Vorfreude. Ich wich panisch zurück... ...und wachte schweißüberströmt auf. Mein Herz raste so sehr, dass ich dachte, es müsse gleich zerspringen. Hektisch sah ich mich nach Keena um, doch die schlief friedlich. Mit zitternden Händen strich ich mir das feuchte Haar aus der Stirn und seufzte matt. Anscheinend war mein erster, richtiger Kampf doch nicht gänzlich spurlos an mir vorbei gegangen. Ein kurzer Blick nach draußen bestätigte mir, dass noch nicht viel Zeit vergangen sein konnte. Die unglücklichen Seelen trauerten noch immer am Strand, und der Mond war gerade erst vollständig in den Himmel aufgestiegen. Gerädert ließ ich mich in die Felle zurück plumpsen, zog die Decke über den Kopf und versank endlich in einen unruhigen, aber traumlosen Schlaf. Als Keena mich am Morgen weckte, hatte ich das Gefühl, kaum geschlafen zu haben. Mühsam rieb ich mir den Schlaf aus den Augen und setzte mich auf. "Wiespätisses?" nuschelte ich. Keena war guter Dinge. Sie hatte bereits wieder ein Feuer entzündet und in ihrem munteren Gesicht glitzerten kleine Tropfen Meerwassers. "Nochmal bitte," sagte sie amüsiert und reichte mir einen Humpen Bier, den sie vermutlich in Aegir beschafft hatte. Ich griff träge danach und nippte lustlos an der mir heute überhaupt nicht schmeckenden Flüssigkeit. "Ich fragte, wie spät es ist," antwortete ich verständlicher und kroch aus dem Zelt. Keena zuckte die Achseln und schob sich eine mir unbekannte, birnenförmige Frucht in den Mund. "Weiß ich nicht, vermutlich spät genug, die Sonne ist ja schon vor Stunden aufgegangen. Stimmt etwas nicht? du siehst gar nicht gut aus. Schlecht geschlafen?" ich nahm einen erneuten Schluck Bier und nickte nur sachte. Die Valkyn tätschelte mir den Arm. "Wird schon. Nun mach dich langsam startklar, es ist vermutlich wirklich ziemlich spät. Ich wollte dich schon vor einer ganzen Weile wecken, aber du hast wie ein Stein gepennt." Ich grinste schuldbewusst. "Tut mir Leid." Sie winkte gönnerhaft ab und entfernte sich dann diskret ein paar Schritte, damit ich mich umziehen konnte. "Müssen wir da wirklich wieder durch?" mürrisch betrachtete ich das magische Portal in Nalliten. Keena war schon auf der obersten Stufe angelangt und sah mich ungeduldig an. "Sicher, wo liegt dein Problem?" ich schlurfte näher und betrachtete den bereits jetzt schon schwindelerregenden Wirbel aus Farben und Licht argwöhnisch. "Mir wird da immer schlecht drin." Keena stöhnt und verdrehte die Augen. "Ach du, mein Püppchen!", spöttelte sie. "Komm endlich, da wirst du noch sehr, sehr oft durchmüssen." Also fügte ich mich mit einem mürrischen Brummen und trat mit einem einzigen Schritt durch das Portal, ehe Keena Zeit finden konnte, mich noch mehr zu verhöhnen. Zurück in Aegirham, hielt ich mir leise stöhnend den Bauch. Keena betrachtete mich mit unverhohlener Schadenfreude. "Alles okay?" fragte sie scheinheilig. Ich war ihr einen bösen Blick zu und machte eine bezeichnende Geste an der Kehle, was die Valkyn zu einem breiten Grinsen veranlasste. "Und weißt du was?" fragte sie mit verdächtig sanfter Stimme. Ich blickte sie misstrauisch an. "Na...?" "Wir müssen uns gleich noch einmal teleportieren lassen...und dann sogar nochmal. Na, kommt da nicht Freude auf?" Ich fluchte herzhaft und Keena gluckste, während sie mich auf einen ernst dreinblickenden Valkyn zu zerrte, der uns mit leicht gerunzelter Stirn entgegen sah. "Ja?" fragte er leise. "Wir müssen nach Svasud Faste," erklärte Keena, wobei sie die unangebrachte Heiterkeit noch immer nicht ganz aus ihrer Stimme verbannen konnte. Der Teleportmeister warf mir einen kurzen Blick zu. "Geht es Eurer Freundin nicht gut?" erkundigte er sich mit kühler Höflichkeit. Ich grinste ihn nur matt an, während Keena den Kopf schüttelte: "Sie ist das Reisen per Portaldurchgängen und Teleportern nicht gewöhnt." Der Valkyn ließ den Anflug eines Lächelns aufblitzen. "Das wird schon," meinte er, während er Keena zwei schmucklose Silberketten in die Hand drückte und dafür einen kleinen Berg Münzen entgegen nahm. Ich nickte tapfer. "Sicherlich." Der Valkyn hängte uns die Ketten um den Hals. "Na, dann gute Reise!" und als er jetzt seinen Zauber wirkte, der Keena und mich scheinbar durchs Nichts schleuderte, war ich wirklich kurz davor, zu erbrechen. Unsere Reise, die kein Oben und kein Unten zu kennen schien, dauerte dankenswerterweise nicht lang. Trotzdem war ich ganz blass, als wir endlich festen Boden unter den Füßen hatten und das durchaus beeindruckende Svaud interessierte mich für den Moment überhaupt nicht. Keena packte mich an der Schulter, als ich zu schwanken drohte. "Hey, gehts?" fragte sie mit todernster Miene. Ich streifte ganz langsam ihre Hand ab und nickte. "Klar." "Hm, und warum bist du dann weiß wie eine Leiche?" "Bin ich ni..." ich schlug rasch die Hand vor den Mund, als ein neuerlicher Schwall von Übelkeit in mir aufstieg. Stöhnend schloss ich die Augen und Keena tätschelte mir nun mit aufrichtigem Mitgefühl den Arm. "Bald hast du es überstanden, und dann kannst du...hey, sie kommen!" ich blickte sie matt an. "Wer kommt?" sie deutete aufgeregt über meine Schulter. "Stor Gothi Annark und die Gothis von Odin...los beeil dich, hopp hopp..." energisch schob sie mich vor sich her, auf eine kleine, blondbezopfte Nordfrau zu, die uns freundlich entgegen lächelte. "Lasst mich raten...Dun Abermenai?" fragte sie. Keena nickte stolz. "Ja, für uns beide bitte...Llienne, komm endlich her und stell dich nicht so an!" ich wankte an ihre Seite und die Frau musterte mich irritiert, wie der Valkynhändler vor ihr. "Ist dir nicht gut, mein Kind?" ich knurrte innerlich und winkte nur ab. "Alles in Ordnung...bitte...Dun Abermenai..." die Frau nickte erschrocken. "Oh ja, verzeiht mir...hier, bitte sehr!" erneut wurden uns zwei silbrige Ketten um den Hals gehängt und Keena verneigte sich, ehe sie mich hastig an der Hand packte und mitzog. "Gute Reise und viel Erfolg!" rief uns die Händlerin hinterher. Keenas Ziel stellte sich als großer, perfekter Kreis aus Steinen heraus. Dort saßen oder standen diverse andere Midgarder. Ich bemerkte überrascht, dass keiner von ihnen in unserem Alter war. Die Jüngsten hier mussten mindestens zwanzig Jahre zählen und die Mehrzahl der Anwesenden hatten schon versilbertes Haar, alt-erfahrene Züge und prächtiges Rüstzeug. "Das sind die wahren Helden von Midgard," flüsterte mir Keena gedämpft zu und ich nickte ehrfurchtsvoll, wobei mein Blick an einer hochgewachsenen Skaldin haften blieb, deren rotes Haar bereits erste, graue Strähnen durchzog und die in die prachtvolle Epicrüstung der Schlachtensänger gekleidet war. Diese hatte sie in verschiedene Grüntöne eingefärbt und der ebenfalls grüne Umhang, den sie trug, wallte ihr majestätisch um die Beine. Ich seufzte leicht wehmütig. Bis ich einmal so weit war, würden noch viele Sommer ins Land ziehen. Wenn ich bis dahin überhaupt überlebte. Während ich so nachdachte, hatten sich die Gothis in gleichmäßigen Abständen um den steinernen Kreis aufgebaut. Nur Stor Gothi Annark trat zu uns in den Kreis und hob die Arme. Ich warf ihm heimlich ein paar ehrfurchtsvolle Blicke zu, von denen er allerdings keinen einzigen erwiderte. Und als plötzlich gewaltige Kugeln reinsten Lichtes Svasud Faste in einen gleißenden Schein hüllten, ein unnatürlicher Wind aufkam und Stor Gothi Annark uns mit dröhnender Stimme einen erfolgreichen Kampf wünschte, da war es mit meiner Übelkeit schlagartig vorbei und ich konnte nicht anders, als einen begeisterten Ruf auszustoßen: "Dun Abermenai, wir kommen!" Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)