Dark Age of Camelot von Lanefenu (Llienne's Life) ================================================================================ Kapitel 2: Kühne Sprünge und dunkle Wälder ------------------------------------------ Zischend zerschnitt die alte Axt die Luft und bohrte sich knirschend in meinen Gegner. Ich keuchte, riss und zerrte, doch die Axt rührte sich nicht. "Scheiße!" fluchte ich und rang nach Luft. Der Schweiß stand mir auf der Stirn. "Llie?" Also tat ich das, was ich in solchen Situationen am besten konnte: ich gab diesem elenden Holzklotz einen gehörigen Tritt und stieß mir übel den Zeh an. Abermals fluchend fuhr ich herum. "Himmel, was willst du, Storvag?" grinsend kam er näher. "Oho, die Meisterin bei der Arbeit. Warum zerlegst du das Ding nicht in seine Einzelteile? gäbe hübsches Feuerholz." Interessiert sah er zu, wie ich abermals an meiner schweren, unhandlichen Trainingsaxt herumzerrte. "Geht...nicht....brauch ich noch," ächzte ich. Er grinste noch breiter."Kind, du stellst dich aber auch was an, lass mich mal..." gönnerhaft streckte er die Hand aus und handelte sich prompt einen Schlag auf die Finger ein. "Nichts da," knurrte ich, stemmte mich gegen den Klotz und riss wie wild am Axtstiel. "Was willst du eigentlich?" brummte ich und fluchte gleich darauf nochmals, als meine Bemühungen endlich Früchte trugen und ich samt der Axt auf den Hintern fiel. Lachend beugte sich mein Bruder zu mir herunter und zog mich auf die Füße. "Vater will was von dir, ich soll dich bloß holen. Und lass ihn lieber nicht warten, du weißt, dass er heute schlechte Laune hat." Wann hat er die nicht, dachte ich gallig, behielt dies jedoch für mich. "Und wo ist Lars?" fragte ich stattdessen gelangweilt und pustete die losen Splitter vom bereits arg malträtierten Holzklotz. "Jagen." "Jagen?!" "Jagen," wiederholte Storvag ungerührt. Ich starrte ihn an. "Und das hat Vater erlaubt?" Storvag sah mich seltsam schroff an. "Jagen ist vielleicht das falsche Wort. Erkunden...sagen wir es so." Ich erinnerte mich noch gut an meine erste Begegnung mit einem jungen Werwolf. War das auch schon wieder über ein Jahr her? Vater hatte mich in den Wald geschickt, um Beeren oder Pilze zu sammeln, und dann war das Biest einfach aufgetaucht. "Aber was ist, wenn ihm was passiert?" fragte ich entsetzt. Storvag lächelte mit gutmütigem Spott. "Er ist doch nicht allein unterweg, du Glucke. Die anderen Kinder begleiten ihn." "Na und?! das nützt ihm überhaupt nichts, wenn sie von Bestien angegriffen werden, du Idiot! ich gehe ihn suchen." Entschlossen nahm ich meine Axt auf und verstaute sie an meinem breiten Ledergürtel. "Ja, sicher," grinste mein Bruder und seine Stimme klang nun vollends spöttisch. "Du allein wirst sicher mit allen Bestien Midgards fertig. Bin ich mir absolut sicher." "Leck mich," knurrte ich und wandte mich um, doch er zog mich unsanft am Zopf. "Für so einen Krümel hast du eine ganz schön große Klappe," stellte er fest, doch es klang eher belustigt als verärgert. Ich riss mich mürrisch los. "Tu dich doch mit Leif zusammen," erwiderte ich schnippisch. Leifnir Havocbringer war in letzter Zeit auch hin und wieder bei uns aufgetaucht. Ich hatte erfahren müssen, dass seine und meine Mutter zusammen ihre Ausbildung abgeschlossen hatten. Asleif Havocbringer war eine stille und ernste Frau, die nur selten zu Besuch kam. Ihren Sohn hatte ich damals nie kennen gelernt, doch seit wir das erste Mal in Jordheim aneinander geraten waren, begleitete er seine Mutter und kam sogar noch öfter allein. Mir kam das sehr seltsam vor und es behagte mir auch nicht, mein Vater hingegen schien Leifnir ganz großartig zu finden... Ich schüttelte verärgert den Kopf, wartete Storvags Antwort nicht ab und stürmte zu unserem Haus. Keena, eine junge Valkyn, hatte einmal gesagt, Skalden könnten nur schnell laufen und nichtmal das besonders gut. Sie hatte Unrecht. Ich spürte meine Beine kaum, auch nicht die schwere Axt, die an meiner Hüfte baumelte. Der Wind hingegen rauschte mir in den Ohren, als wolle er mich anfeuern, noch schneller zu werden und ich hatte das Gefühl, ich könnte schweben, wenn ich nur die Arme ausbreiten würde. Ich war nichmal ausser Atem, als ich mein Ziel endlich erreicht hatte. Achtlos stieß ich die Tür auf und polterte in die warme, nach geräuchertem Speck duftende Wohnstube, wo ich zunächst auf den schweren, langen Esstisch zuschlenderte. "Ich bin wieder da!" Meine Mutter lächelte flüchtig, wenn auch etwas besorgt. Sie fand wohl, dass ich seit meiner Ausbildung an guten Manieren und -was noch viel schlimmer war- Respekt eingebüßt hatte. Und nur, weil ich meinen Vater mittlerweile als das akzeptierte, was er war, und ihn nicht mehr ganz so stark fürchtete. Der Gedanke entfachte einen kurzen, aber heftigen Anschwall von Wut in mir, die ich nur mühsam niederkämpfte.Meine Stimme hatte ich scheinbar nicht so unter Kontrolle, denn als ich knapp "Was gibts zu essen?" fragte, sah mich Mutter scharf an. "Brot und Speck," erwiderte sie, ebenso kurz angebunden. "Gut. Packst du mir bitte eine Portion ein? ich gehe Lars suchen." Die Worte kamen beiläufig und veranlassten meine Mutter, die barsche Antwort, die ihr zweifelsohne auf der Zunge lag, wieder herunter zu schlucken. "Du gehst was?" "Lars suchen. Er ist allein im Wald, nur ein paar Kinder begleiten ihn. Storvag hats mir eben erzählt. Und du weißt sicher, wie verseucht die Gebiete derzeit sind..?" ich sah den Ausdruck von Schrecken auf ihrem Gesicht und empfand einen winzigen Moment so etwas wie hämische Befriedigung, die sich aber rasch in Bestürzung wandelte, als sich Mutter kraftlos auf einen grob gezimmerten Schemel sinken ließ. "Bei Odin," flüsterte sie. "Thjoralfs Sohn ging auch in den Myrkwood. Er gilt seitdem als vermisst und das ist schon eine Woche her!" sie zitterte und krallte die Hände in ihr grobes Stoffgewand. Ich fingerte an meiner Axt herum und trat von einem Bein aufs andere. "Ich finde ihn, Mutter. Lass mich gehen, ja?" "Ach was," sagte sie unwirsch. "Du bist selbst noch ein Kind und bleibst schön hier. Storvag wird gehen." "Storvag schert sich einen feuchten Dreck darum," rief ich hitzig. "Ich habe mit ihm gesprochen. Er hat mich bloß ausgelacht und mich 'Glucke' genannt! ich pass schon auf, ich versprechs dir." Sie wollte antworten, doch in dem Moment öffnete sich die schwere Eingangstür ein zweites Mal und Asmund Vardarsson trat ein. Er trug zwei Kaninchen bei sich und schleuderte gerade seine dicke Lederkappe in die Ecke, als er mich erblickte. "Ah, Llienne, da bist du ja. Ich will mit dir reden, denn es geht um dei..." "Vater," fiel ich ihm rasch ins Wort und wunderte mich doch sehr darüber, denn das war ein Vergehen, das mein lieber, alter Papa meistens mit einer saftigen Ohrfeige und einer harschen Ermahnung zu quittieren pflegte...auch jetzt hob er drohend die buschigen Brauen und starrte mich unheilvoll an. Ich ließ mich nicht beirren. "Lars ist im Myrkwood. Mit anderen Kindern! und Storvag meinte wohl, du wüsstest Bescheid und würdest es erlauben." "Was?" schrie er und kam näher. "Der Myrkwood ist gesperrt, nur die Soldaten dürfen ihn betreten! hat Storvag es euch denn nicht erzählt?" ich starrte ihn nun doch ängstlich an."Er hat mir gar nichts erzählt," sagte ich unsicher. Vater atmete schwer und ließ sich in den mit Hirschfell bespannten Sessel sinken, in dem ausser ihm niemand sitzen durfte. "Thjoralfs Sohn wurde gefunden," knurrte er. "Er ist tot. Sah furchtbar aus. Als hätte sich jemand gefragt, ob man einen Menschen auch umkrempeln kann." "Asmund!", rief meine Mutter entsetzt, "das muss das Mädchen nicht hören!" ich warf ihr einen schnellen, ungnädigen Blick zu und auch mein Vater schüttelte ungehalten den Kopf. "Sie ist alt genug, die Dinge so zu sehen, wie sie sind. Und die Dinge stehen so, dass der Junge fast unkenntlich war, völlig zerfetzt. Nicht genug, dass man seinen Körper mit fremden Runen entweiht hat. Und es kommt noch schlimmer..." sein Gesicht verdüsterte sich noch mehr. "In Galplen sind vor zwei Tagen fünf Kinder verschwunden. Sie waren alle im Myrkwood, um zu spielen..." Ich spürte einen glühenden Klumpen im Magen, meine Knie wurden weich. "Lars ist da draußen!" sagte ich entsetzt. Vater nickte grimmig. "Ich werde sofort nach Jordheim gehen und die Soldaten losschicken. Aslein, du gehst nach draußen und verständigst die Stadtwachen, na los!" Mutter nickte angstvoll und rauschte zur Tür. Ich wollte ihr folgen, doch Vater hielt mich mit einer knappen, befehlenden Geste zurück. "Du bleibst hier. Schlimm genug, dass dein Bruder da draußen ist, fehlt noch, dass du auch verloren gehst. Ab in deine Kammer!" ab in meine Kammer, sagte er. Ich sollte also seelenruhig warten, ob sie Lars noch lebend finden würden. Warten und unttätig herumsitzen, während sich mein Bruder irgendwo im Myrkwood Forrest und damit wahrscheinlich in Gefahr befand. Ich sagte, so ruhig ich konnte: "Nein." Asmund, der schon an der Tür war, blieb stehen. "Was?" fragte er leise. Ich schluckte. Ich wünschte mich meilenweit weg. Doch ich wiederholte mit fester, nachdrücklicher Stimme: "Nein, Vater. Ich bleibe nicht hier. Ich könnte mir nie verzeihen, wenn Lars was passieren würde. Du kannst mich nicht zwingen." "So, meinst du?" "Du wirst mich ans Bett fesseln und knebeln müssen, denn notfalls rufe ich die Wachen zu Hilfe." Wir sahen uns an. Er, groß und muskulös mit hellblauen Augen, die jetzt vor Wut und Unglauben verengt waren. Ich, ein zierliches Mädchen in zerschrammten Lederhosen und einer viel zu großen, abgenutzten Trainingsaxt, ging ihm gerade bis zum Bauch und musste den Kopf in den Nacken legen, um seinen Blick zu erwidern. "Du bleibst hier," sagte er leise, gefährlich. "Oder dir ergeht es schlecht, ich versichere es dir. Llienne...ich mache jetzt keinen Spaß mehr. Geh." Damit drehte er sich erneut um, nahm seine Kappe auf und warf die Tür mit einem lauten Knall hinter sich zu. Ich war allein. Wie betäubt starrte ich auf das schwarzbraune Holz, ehe ich dem erstbesten Schemel einen solchen Tritt verpasste, dass dieser laut krachend umfiel. Das war eine solch himmelschreiende Ungerechtigkeit, dass ich vor Zorn zitterte. Ich sehnte mich nach dem Tag, an dem ich endlich selbstständig und unabhängig sein würde. Bis dahin musste ich noch stillhalten, obwohl es mir von Tag zu Tag schwerer fiel. Wütend hob ich den Schemel wieder auf und ließ mich auf diesen sinken. Die Ellenbogen auf die Tischplatte und den Kopf auf die Hände gestützt, dachte ich nach. Natürlich würde ich Lars suchen und wenn mir dafür der Arschvoll des Jahrhunderts blühte. Nur wie kam ich an den aufmerksamen Stadtwachen und meiner Mutter, die auch noch irgendwo dort draußen lauerte, vorbei? ich biss mir auf die Lippen und hob plötzlich den Kopf. Ich hatte eine Idee, so absurd sie auch war. "Lars," flüsterte ich, "halt noch ein bisschen aus. Deine große Schwester kommt!" Kurz entschlossen sprang ich auf, und zwar so heftig, dass der Schemel ein zweites Mal umfiel. Ich ließ ihn liegen und stürzte die Holztreppe hinauf, die zu unseren Schlafkammern führte. Oben suchte ich nach dem Lederhelm, den Keena mir damals geschenkt hatte, und stülpte ihn rasch über, ehe ich zum Fenster ging und es aufstieß. Nach einem kurzen Blick in die Tiefe schluckte ich leicht. Das war doch höher, als ich gedacht hatte. Wenn ich mich verschätzte, würde ich mir diverse Knochen brechen- und das war noch das Mindeste, was ich zu erhoffen hatte. Doch dann stellte ich mir Lars vor, der irgendwo im Myrkwood herumirrte. Ich sah ihn blutig auf der sonnengewärmten Erde liegen, den Kinderleib mit fremden Runen entweiht, die unschuldigen Augen schreckgeweitet...ich verscheuchte den Gedanken, löste die Axt vom Gürtel und warf sie aus dem Fenster, ehe ich dieses schloss und die Kammer meiner Eltern aufsuchte, ein Vergehen, das Vater sonst auch angemessen bestrafte. Hier hatten meine Brüder und ich keinen Zutritt. Ich seufzte leise, schloss behutsam die Tür und schleifte den einzigen Stuhl, den es im Raum gab, in die Zimmermitte. Das Besondere am Schlafgemach meiner Eltern war, dass sie ein Dachfenster besaßen. Mutter fand das sehr romantisch, Vater hingegen störte es oft, wenn ihn in Vollmondnächten das Licht am schlafen hinderte, doch er hatte Mutter ihren Willen gelassen und unter anfänglichem Protest schließlich dieses Dachfenster gebaut. Dabei hatte er es absichtlich ziemlich klein werden lassen und ich hoffte, dass mir dies jetzt nicht den Plan vermasselte. Ich stieg auf den Stuhl, öffnete das Fenster und sprang hoch. Es war eng, verdammt eng und ich klammerte mich fest, wand mich, zog den Bauch ein...endlich gelang es mir, mich durch die schmale Öffnung zu zwängen. Nach Luft ringend, lag ich letztlich auf dem Holzdach und blinzelte in die pralle Mittagssonne. Vorsichtig begann ich, auf dem Bauch vorwärts zu kriechen, argwöhnisch auf irgendwelche Stimmen lauernd, die von der Rückkehr meiner Eltern zeugen könnten. Es war still, und ich robbte mich vorsichtig weiter, Bragi im Stillen dafür dankend, dass wir ein flaches Dach hatten. Endlich gelangte ich zu meinem Fenster und verharrte dort nochmals, doch es regte sich nicht das Geringste. Langsam stand ich auf und trat wieder zurück, während ich mit den Augen die Entfernung vom Dach zum relativ nahe gelegenem Misthaufen maß. Bei Bragi, das könnte klappen, immerhin war ich eine Skaldin! Ich nahm Anlauf und rannte los. Meine Zöpfe flatterten hinter mir her, die Füße trommelten über das Holz. Nicht stehen bleiben, wenn dich der Mut verlässt und du das Gleichgewicht verlierst, brichst du dir den Hals! das führte ich mir eindringlich vor Augen und dann klaffte auch schon der Abgrund vor mir auf. Einen Herzschlag lang dachte ich wirklich, dass sich meine Füße angesichts dieser Höhe einfach weigern würden, den gewaltigen Sprung zu tun. Doch sie ließen mich nicht im Stich. Ich flog regelrecht durch die Luft, versäumte es, mich zusammenzurollen und rauschte wie ein Pfeil in den frischen Misthaufen. Mit einem schmatzenden 'Blörp!' sackte ich bis über die Hüften in den Mist ein. Das Gesicht zu einer Grimasse verzogen, arbeitete ich mich schnell aus der klebrig-warmen Masse Kot, Stroh und Abfall und atmete halb erleichtert, halb angeekelt auf, wobei ich mir einen Moment Zeit ließ, an mir herunter zu blicken. Na, die Säuberung würde ja ein Akt werden... Schnell lief ich zu dem kleinen Busch, in dem meine Axt gelandet war, nahm sie an mich und verstaute sie am verschmierten Gürtel. Ich stank wirklich drei Meilen gegen den Wind, aber vielleicht würde das ja sogar die ein oder andere eventuelle, hungrige Bestie davon abhalten, sich auf mich zu stürzen und zu verschlingen. Mit solchen hoffnungsvollen Gedanken umging ich in einem großzügigen Abstand unsere Siedlung, verbarg mich einmal hinter einer Hausmauer, um zwei Trollwächtern zu entgehen und rannte dann in Richtung Myrkwood Forrest... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)