Herbst von Deepdream ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Mu-Tsu lächelte. Eine Träne rollte über seine rechte Wange. Von unten her drang eine Stimme, die er nicht beachten wollte. Es war Herbst und bereits sehr frisch. Die Gänsehaut auf seinen Unterarmen ignorierte er, als seine Augen die Sterne verfolgten. Die vielen Sterne, die weit über seinem Kopf schwebten. Er schlüpfte mit seinen Händen in die weiten Ärmel seiner Robe. Seine Handrücken streiften den weichen, kalten Stoff. Sein Haar wehte ihm über die Stirn und auf die Wange. Ein Seufzen entkam seinen Lippen, während eine weitere Perle herab glitt. Er spürte den Rand eines Dachziegels, der gegen sein Steißbein rieb. Ein Zittern durchlief seinen Körper und für einen Moment schlugen seine Zähne aufeinander. Wieder zog eine Träne ihre Bahn. Die Stimme unter ihm war verstummt. War er eingeschlafen? Er fühlte eine seltsame Mischung aus Erleichterung und Traurigkeit. Die Finger seiner rechten Hand krallten sich in den linken Unterarm. Ihm tat sein Bauch von dem drückenden Gewicht darin weh. Dieses Gewicht, das mit ihm über die Zeit gewachsen war. „Tropf. Tropf.“ Seine Lippen bargen den Hauch eines verblassenden Lächelns und er schüttelte schwach den Kopf. Kindheitsscherze, Kinderspiele – Spiele aus einem anderen Herbst, mit einem anderen Blick auf die Dinge und einem naiven Trost. Obwohl es damals regnete, waren es zwei Paar Augen gewesen, die neugierig hinausblickten und beobachteten wie Blätter und Äste sich bewegten, wie kleine Spritzfontänen von der Flussoberfläche ausgingen. Das Rauschen des Blätterwerkes, das Platschen der auftreffenden Regentropfen und das Geräusch von Stoff an Stoff. Stoff, der sich an anderen Stoff rieb und faltete. Eine Spätnachmittagssonne schien fahl durch die Wolken hindurch; wie eine müde Taschenlampe durch Pergament. Das kleine bisschen Wärme eines anderen kleinen Körpers. Es war schön gewesen herauszufinden, dass Haar einen streicheln konnte. Und wie warm und weich Kinderlippen auf der Haut waren, insbesondere, wenn der Regen fällt. Damals war es so schön warm gewesen, aber jetzt nicht mehr. Es war immerzu kälter geworden. Die Blätter waren vom Wind davongetragen worden und der Regen hatte seine Magie verloren, weil man ihn nicht mehr teilen konnte. Der Herbst hatte Einzug gehalten. Frühling und Sommer waren vorbei und viel zu kurz gewesen, denn die Zeiten der Kinderküsse, des Unschuldsschmusens und der fahlen Regentage waren vorbei - denn sie waren in einem anderen Herbst gewesen. Da war die Stimme wieder. Begleitet wurde sie von nahen Schritten. „Ich komme“, antwortete er auf die ungestellte Frage, die Knie angezogen und die Arme obenauf gestützt. Er unterdrückte das Zittern nicht. Die Träne rollte. „Okay“, hauchte sie. Es verging ein Moment. Dann verlosch sie und mit dem Nachklang ihrer Stimme auch ihre Schritte. Der Morgen graute. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)