Wie aus dem Nichts von Pansy ================================================================================ Kapitel 1: Kapitel 1 -------------------- Langsam reichte es! Seit Tagen, nein seit Wochen schon sah er nichts anderes mehr als das griechische Alphabet rauf und runter. Mathematische Formeln und Definitionen, Sätze und Beweise, die sich alle in ihren Voraussetzungen und Folgerungen unterschieden. Er konnte nicht mehr! Er hatte es in der Tat satt. Doch was half seine stetige anwachsende Aversion gegen das Lernen? – Natürlich nichts. Die Diplomprüfungen bestanden sich nicht von alleine, wäre auch zu schön, um wahr zu sein. Inbrünstig stöhnte er auf und fuhr sich mit der Rechten fahrig durchs kurze Haar. Die Ordner und Bücher stapelten sich endlos vor ihm und die Blätter in seiner Linken schienen ebenfalls zentnerschweren Stoff zu beherbergen. So viel Überdruss konnte man doch eigentlich gar nicht entwickeln... Draußen entschied sich der Frühling dafür, endlich seine Pforten zu öffnen und die Sonne warm auf die Erde strahlen zu lassen. Lachende, glückliche Menschen waren in Massen unterwegs, vor Bass strotzende laute Musik drang aus den vorbeifahrenden Autos und genau diese Klänge ließen Jim noch tiefer in sein Bett sinken. Ja, er hatte sein Fenster weit offen stehen, selbst wenn ihn das deprimierte. Doch irgendwie musste man ja Anteil an der Fröhlichkeit der breiten Masse haben, die den Wetterumschwung genoss. Es reichte ja schon, in der kleinsten aller kleinen Wohnungen gefangen zu sein und von einer Heerschar von Büchern umringt zu sein, die alle gelesen und verstanden werden wollen. Ein erneutes Seufzen entrann seiner Kehle, dann schmiss er die Blätter neben sich hin. Achtlos rutschten sie vom Bett und landeten in einem Wirrwarr auf dem Boden. Sollten sie doch dort liegen bleiben! Mehr aneinander gereihte Buchstaben passten eh nicht mehr in seinen Kopf; dieser platzte wahrlich schon vor Definitionen und Zusammenhängen. Warum musste man auch alle Prüfungen auf einmal absolvieren? Solch eine Klausel in den Verordnungen konnte sich auch nur ein Mensch erdacht haben, der sie selbst nicht in Anspruch nehmen musste. Jims Augen fielen zu und selbst in diesem Zustand fühlte er sich vollkommen erschlagen. Wann er das letzte Mal unbeschwert durch die Straßen gelaufen war, wusste er schon gar nicht mehr. Diese Gegebenheit schien schon meilenwert zurück zu liegen und in seinem Gedächtnis gar nicht mehr vorhanden zu sein; verdrängt von den monströsen Gebilden, mit denen er sich auseinanderzusetzen hatte. Eine Prüfung hatte er vergangene Woche hinter sich gebracht, doch die erhoffte Erleichterung hatte sie nicht zur Folge gehabt. Zwar war sie wirklich gut gelaufen, doch auf solchen Lorbeeren konnte man sich wahrlich nicht ausruhen. Sobald man sich irgendwo bewarb, würde sich eine schlechte Zensur negativ auswirken und darauf wollte er es gewiss nicht ankommen lassen. Und doch ersehnte er die Freiheit, die man spürte, wenn man alles hinter sich hatte. Das Aufatmen, wenn man die Tür zum Büro des Professors hinter sich schloss und von sich behaupten konnte, sein Bestes gegeben zu haben. Aber darauf musste er noch gut zwei Wochen warten. Bis dahin würde er wohl weiterhin gute Miene zum bösen Spiel machen und sich zwingen, all den Lernstoff in sich reinzuzwängen und insbesondere zu verstehen. Auswendiggelerntes brachte ihm nicht viel, denn seine Professoren waren mit ihren Fragen darauf bedacht, zu prüfen, ob man wirklich verstanden hatte, was in den Skripten stand. Welche Definitionen in welche Beweise eingingen, welche Sätze wichtig waren etc. Schlecht gelaunt quälte er sich die Augen wieder zu öffnen und die Blätter vom Boden aufzusammeln und gemäß ihrer Nummerierung zu sortieren. Nun konnte das Leid also weitergehen! Endlose Minuten später klopfte es unerwartet an der Tür. Er erwartete keinen Besuch, doch dass jemand mal unangekündigt vorbeikam, war keine Seltenheit. Mürrisch raffte er sich hoch und lief die wenigen Schritte bis zur Zimmertür. Dazu gehörte wahrlich nicht viel Anstrengung, denn rundum bestand seine Wohnung, wenn man diese überhaupt als solche bezeichnen konnte, aus lächerlichen fünfzehn Quadratmetern, das Bad selbstverständlicherweise inbegriffen. Halbherzig griff er nach der Klinke und drückte sie hinunter. Eigentlich war ihm nicht nach Reden zumute und wer sich gerade jetzt seine Laune antun wollte, der tat ihm leid. Als er aber sah, wer darauf erpicht war, ihn in diesem Zustand zu sehen, stockte ihm der Atem. Braune Haare, dunkle Augen, sportliche Statur… Das war doch der Kerl, den er drei Stunden lang heimlich beobachtet hatte. Den er sogar offiziell beaufsichtigt hatte. Den er vorher nie auf dem Campus erblickt hatte und ihm bereits beim Eintreten in den Hörsaal aufgefallen war. Was wollte der denn hier? Und woher wusste er, wo er wohnte? Mit einem Mal schwirrten keine hochkarätigen Formeln mehr in seinem Kopf herum, die waren wie weggeblasen. Als ob sein Gehirn eine Rundumkur verpasst bekommen hätte. „Hi“, meinte der andere. „Hi“, erwiderte er perplex. Gut, er hatte seine Übungsblätter korrigiert und seine Klausur beaufsichtigt, darum musste er seinen Namen kennen, doch warum stand er nun hier vor seiner Tür? Ohne weitere Worte spürte Jim plötzlich zwei Hände auf seinem Oberkörper, die ihn nach hinten drängten. Und ehe er sich versah, fühlte er warme Lippen auf den Seinigen. Was ging hier vor sich? So schnell konnte er gar nicht denken, wie er an die Wand gedrückt und geküsst wurde. Doch als er diese Tatsache realisierte, stieß er den jungen Mann, der ebenso groß war wie er selbst, von sich weg. „Geht’s noch?“ „Das wollte ich schon an jenem Tag tun“, wurde ihm selbstbewusst entgegengebracht. Damit musste wohl der Tag der Klausur gemeint sein. Dunkle, bestimmte Augen sahen ihn an und er spürte wieder dieselbe Verwirrtheit als er ihn das erste Mal erblickt hatte. Vielleicht hatte er sich genau das gewünscht, was eben geschehen war, dennoch kam er sich gänzlich überrumpelt vor. Und außerdem hatte er zu lernen. Die Zeit drängte, zwei Tage waren wirklich nichts für die Massen, die er noch zu büffeln hatte. Gefühlschaos hatte da gewiss nicht oberste Priorität. Zudem, was dachte sich dieser Kerl? Einfach unangemeldet hereinschneien und ihn dann noch dermaßen dümmlich starren zu lassen? „Das gibt dir noch lange nicht das Recht, dir einfach zu nehmen, was du begehrst!“ Begehrst? Jim wunderte sich selbst über diese seine Wortwahl. Er konnte sich nur noch vage an die Zeit mit seinem damaligen Freund erinnern, den er in der Tat begehrt hatte. Aber das war vorbei und er konnte gerade keine Gefühlsduseleien gebrauchen! Die passten sowieso besser zu Mädchen und nicht zu hartgesottenen Männern, selbst wenn er sich eigentlich nicht zu diesen zählte. Aber Prinzip war eben Prinzip! „Hey, du schienst nicht abgeneigt zu sein.“ Erst das unermüdliche Lernen und nun solche lehrreichen Sprüche!? Irgendwie brachte das sein Blut zum Kochen. Die letzten Wochen purer Stress hatten ihn reizbar gemacht und insbesondere launisch. „Kein Wunder, wenn man keine Zeit zum Reagieren hat und man mit seinen Gedanken ganz woanders ist!“ Stille. Unheimliche, groteske Stille. Wann gedachte sein Gegenüber sie zu brechen? Morgen, Übermorgen oder nächste Woche? Die Zeit hatte er partout nicht, also musste er handeln. Wenig dezent manövrierte er den Namenlosen hinaus auf den Gang, doch so einfach ließ er sich nicht abfertigen. „Ich habe doch nicht alle Hebel in Bewegung gesetzt, dich ausfindig zu machen, nur um gleich wieder zu gehen?“ Hörte Jim da Kränkung oder einfach nur reine Enttäuschung? Vielleicht ja beides, was im Endeffekt aber total gleichgültig war. Er brauchte Ruhe und Konzentration und beides war ihm mit einem Schlag genommen worden. Zugegeben, vorher hatte er sich auch schon schwer damit getan, aber nun war es damit vollkommen passé! Und das behagte ihm überhaupt nicht. So sehr er etwaigen einen weiteren Kuss ersehnte, den ersten hatte er nicht einmal ansatzweise genießen können, so sehr war er darauf bedacht, diese Pracht von einem Mann schleunigst loszuwerden. Emotionen löste die Lernerei bereits genug aus, da waren Gefühle anderer Art einfach nur störend. „Dein Pech. Ich muss lernen.“ Das gab es nicht! War dieser junge Mann schwerhörig oder wollte er einfach nicht verstehen, dass er unerwünscht war? Jim war sich nicht sicher, ob er das denn war, doch darüber wollte er sich keine Gedanken machen. Der andere musste weg und das möglichst hurtig! „Derart kann ich mich in dir nicht getäuscht haben“, drang es nun um einiges leiser über die Lippen seines Gegenübers und die dunklen Iriden nahmen einen wehmütigen Ausdruck an. „Und wenn doch?“ So kaltherzig wollte er eigentlich gar nicht klingen und im nächsten Moment tat es ihm bereits leid, doch da war es schon zu spät. Der andere wandte ihm den Rücken zu und verschwand sofort durch die Tür zum Treppenhaus, die sich gegenüberliegend befand. Alsbald war er aus seinem Blickfeld verschwunden. Jim war völlig durcheinander. Er kannte nicht einmal den Namen desjenigen Menschen, dessen Lippen er gerne noch einmal auf seinen spüren würde… Kapitel 2: Kapitel 2 -------------------- Mit dem Kopf schüttelnd schloss er die Tür und legte sich zurück aufs Bett. Er hätte sich zum Lernen gerne an den Schreibtisch gesetzt, doch momentan glich dieser eher einem Müllhaufen als einer Stätte zum Arbeiten. Aufräumen konnte er schließlich auch noch, wenn die Prüfungen überstanden waren. Bis dahin war er froh, sich einen Weg bis zum Bett frei gebahnt zu haben und das reichte immerhin aus, um nachts doch mal ein wenig zu schlafen und tagsüber zu lesen respektive zu lernen. Man musste sich eben mit Wenigem zufrieden geben können, aber seit ein paar Minuten schaffte er auch das nicht mehr. Anstatt sich wieder in die Gefilde der Numerik zu begeben, starrte er an die Decke und ignorierte gekonnt die Haufen an Bücher und Ordner, die das halbe Bett beanspruchten. Er sollte lernen, doch gerade ging das einfach nicht. Er hatte gerade den Menschen hinausgeworfen, der Verwirrung in ihm auslösen konnte. Und das hatte bisher erst eine Person vor ihm vermocht und das wollte was heißen. Obwohl sich die Augen des anderen in sein Gedächtnis zu brennen schienen, rief er sich immer wieder genau dort hinein, dass er etwas anderes zu tun hatte! Nämlich was? – Genau, lernen! Nachdem er sich mit einer Hand selbst eine Ohrfeige verpasst hatte, nahm er ein Buch von dem Stapel und blätterte darin ein wenig herum, bis er die Stelle gefunden hatte, an der er letztens stehen geblieben war. Und schon wieder blickte er auf Buchstaben, die für Mengen, Funktionen oder Parameter standen. Zu allem Überfluss stellte er fest, dass ein großes Fragezeichen am Rand geschrieben stand. Das hieß, dass er dieses Kapitel noch einmal von vorne durcharbeiten durfte, um das Kommende zu verstehen. Seine Freude darüber war unermesslich. Für einen Moment ließ er seinen Kopf zurück ins Kissen sinken, doch dann richtete er sich auf und begann, alle trüben Gedanken beiseite zu schieben und sich wieder aufs Wesentliche zu konzentrieren. Was konnte er schon mit den Gefühlen anfangen, die der andere in ihm auslöste? – Damit konnte er kein Geld verdienen, also her mit der Konzentration und der Muse! Und tatsächlich, es funktionierte. Er brütete die nächsten Stunden fieberhaft über seinem Lernstoff und schaffte sein Pensum für den Tag. Als er das Buch zuklappte, fragte er sich ernsthaft, wie er das hinbekommen hatte. Mit einem Schulterzucken tat er diese Frage aber sogleich ab. Warum nach Antworten suchen, wenn sie unwichtig waren? Es war mittlerweile kurz nach dreiundzwanzig Uhr und durch sein offenes Fenster strömte eine kühle Brise, die ihn zum Aufstehen verleitete. Und mit einem Mal fühlte er die fremden Lippen viel zu präsent, zum einen aus der Tatsache heraus, dass sie nur kurz auf den Seinigen verweilt hatten, zum anderen weil es absurd war, diesem Erlebnis nachzuhängen. Er hatte ihn schließlich hochkantig rausgeschmissen und seine liebenswürdigste Art an den Tag gelegt gehabt, die ihm innewohnte. Der würde sicher nie wieder kommen. Und nun fühlte sich Jim vollkommen mies. Juchu, genau das brauchte er jetzt. Schuldgefühle für seine schroffe Art. Als ob es nichts Schlimmeres auf der Welt gäbe. Und nun fragte er sich obendrein auch noch, ob er ihn wieder sah. Ob der Zufall es gut (?) mit ihm meinte und er ihm auf dem Campus über den Weg laufen würde. Er hatte in weniger als achtundvierzig Stunden Prüfung! Das war das einzige, was für ihn zählen sollte. Kein dahergelaufener junger Mann, der ihm nur die Sinne vernebelte. Darauf konnte er gut und gerne verzichten. Wenn er Befriedigung brauchte, konnte er sie sich anderweitig besorgen. Aber diese Lippen… Das machte ihn ganz verrückt! Stress und noch mal Stress! Zwar in anderer Form, aber Stress! Wie viel davon hielt ein Mensch eigentlich aus? Die Sterne funkelten hoch oben am Himmel, glänzten ebenso wie diese dunklen Iriden… Halt! Ja, vielleicht hatte er heute genug gelernt, zumindest quollen ihm die Formeln schon zu den Ohren heraus, aber das war noch lange kein Grund, sich nun irgendwelchen Szenen hinzugeben, die ab jetzt der Vergangenheit angehörten! Weder der Gegenwart noch der Zukunft; schlicht und einfach der Vergangenheit. Tief sog er die Nachtluft ein und stieß sie wieder aus. Morgen war ein neuer Tag, auch wenn er sich da weiterhin in seinen vier Wänden zu vergraben hatte. Zwei Wochen noch, dann war alles vorbei. Dann konnte er hier weg und endlich wieder etwas anderes sehen als die Universität oder… Nein, daran dachte er jetzt nicht. Dieser Kerl kam ihm jetzt nicht schon wieder in den Sinn und gut ist. Leichter gesagt als getan. Sein Kinn sank auf seine Brust. Wenn er noch halbwegs bei Verstand bleiben wollte, dann musste er sich ablenken und womit ginge das denn besser als mit Tekken? Da konnte er seine Gegner grün und blau schlagen und genau danach war ihm gerade zumute. Ja, das tat wahrlich gut. Er spielte so gut wie schon lange nicht mehr. Im Handumdrehen besiegte er einen Feind nach dem anderen. Und er steigerte sich immer mehr ins Spielen rein, bis er irgendwann alles um sich herum vergaß. Erst als bereits der dritte Obergegner die letzte Lebensenergie verloren hatte, legte er den Controller beiseite, tat dies aber mit einem leichten Lächeln im Gesicht. Das war vielleicht ein Weg zur Stressbewältigung. Man konnte jeden dumm und dusslig hauen, ohne dafür belangt werden zu können. Genial, oder nicht? Zumindest fühlte er sich von zentnerschwerer Last befreit und konnte mal wieder Luft atmen, die nicht schwer im Raum hing. Allmählich realisierte er die Müdigkeit in seinen Knochen, zumal das Adrenalin weitestgehend aus ihm gewichen war. Das würde am nächsten Morgen zweifelsohne wieder kommen… … und genau so kam es auch. Kaum war er aufgewacht, fühlte er schon, wie das Blut in ihm kochte. Die Gedanken an die Prüfung konnte man leider nicht einfach abstellen, denn das Unterbewusstsein hatte da immer ein Wörtchen mit zu reden. War das nicht immer so? Immer dann, wenn man sein tiefstes Inneres ausschalten wollte, mischte es sich in die Angelegenheiten ein und bereitete einem nur ungute Gefühle; wie in diesem Fall ein fast schon schlechtes Gewissen. Was heißt eigentlich fast!? Schon ein kleiner Blick auf das Chaos rundherum genügte. Die Lernerei konnte einen ganz kirre machen, aber der Umstand, dass bis zur Prüfung keine vierundzwanzig Stunden mehr vergehen würden, musste all die Abneigung und Lustlosigkeit verdrängen und er sorgte auch wirklich dafür. Jim pellte sich aus dem Bett und stellte sich unter die eiskalte Dusche. Das war DER Weg für ihn, wirklich wach zu werden und nicht beim ersten Satz, den er las, wieder einzuschlafen. Als das Wasser auf ihn hernieder rauschte, legte sich eine wohlige Gänsehaut über seinen Körper, die er groteskerweise auch noch genoss. Es war nicht ganz zehn Uhr und er war bereits wach. Allein dies hätte unter normalen Bedingungen schon ausgereicht, um miese Laune zu haben. Gut, irgendwie hatte er diese auch. Aber nicht wegen der Uhrzeit, auch nicht wegen der Lernerei, sondern wegen etwas ganz anderem. Er spürte eine gewisse Leere in sich. Und durch was ausgelöst? Durch diesen verdammten Kuss, der doch eigentlich gar kein richtiger gewesen war. Gott, langsam hatte er wirklich die Nase voll. Anscheinend meinte es sein Schicksal wirklich nur böse mit ihm. Er hatte genügend Sorgen, da konnte er wirklich nichts mit Schmetterlingen im Bauch oder dergleichen anfangen. War doch eh nur dummes Gerede! So etwas verspürte er nicht mehr und wollte es auch nicht mehr. Gefühle brachten einem lediglich Schwierigkeiten und darauf konnte er gut und gerne verzichten. Aus. Ende. Dieser Kerl konnte ihm gestohlen bleiben! Wenn das nun auch noch sein Körper wüsste, wäre alles bestens. Nein, der musste sich dazu entschließen, allein auf die Gedanken an das gestrige Erlebnis Regung zu zeigen. Hieß es nicht, kaltes Wasser würde Abhilfe schaffen? Vielleicht sollte er den Hebel demontieren, denn der ließ sich partout nicht weiter nach rechts drehen. Kalt war einfach noch nicht kalt genug. Der Tag fing schon perfekt an, so richtig klasse und überaus hervorragend. Ein Morgenständer, ausgelöst durch eine lächerliche, nicht ernst zu nehmende Erinnerung. Okay, was hieß schon ernst zunehmend? Konnte man den Vorfall nicht eher als Spaß bezeichnen, der mit ihm gemacht wurde? Er schüttelte sein Haupt. Wie kam er denn jetzt auf solch absurde Ideen? Nach Spaß hatte sich das rein gar nicht angefühlt. Aber wäre doch eine perfekte Ausrede, um endlich wieder runterzukommen. Klar, warum auch nicht. Es brachte wenigstens etwas Kompensation in seinem Körper mit sich. Er sah das einfach alles als Scherz an und die Welt konnte sich wieder drehen. Nachdem er das mit sich und dem Rest der Welt geklärt hatte, konnte er getrost das Wasser abstellen und zum zweiten wesentlichen Morgenritual übergehen: Frühstück! Irgendwoher musste er schließlich die Energie schöpfen, die er benötigte. Und dazu brauchte er zwei Brötchen und eine große Tasse Kaffee, die ihn von innen heraus aufmöbelte. Während er die braune Flüssigkeit zu sich nahm, zappte er durchs Fernsehprogramm, das wie üblich nichts zu bieten hatte. Als er bei der vierten Talkshow angekommen war, die auch immer früher ausgestrahlt wurden, schnaufte er ein wenig deprimiert und schaltete den Fernseher wieder ab. Die Programmauswahl hatte gewonnen! Aufgrund der Nichtexistenz auch nur eines guten Senders griff er nach dem erstbesten Buch von einem der Stapel, neben, vor und hinter ihm. Zugegeben, ganz so viele waren es auch wieder nicht, kam aber dem Empfinden gleich, das man hegte, wenn man seit Wochen nichts anderes mehr sah. Der gelegentliche Gang zum Supermarkt war auch eher dem Zweck, nicht verhungern zu müssen, entsprungen und keiner noblen Einstellung, sich an der Natur zu erfreuen. Irgendwie war seine Stimmung doch wieder am Tiefpunkt angelangt. Die perfekte Voraussetzung, um geistig wirkungsvoll aktiv zu sein! Metaphorische Luftsprünge vor Begeisterung waren die unabdingbare Folge. In Gedanken vollführte er die wagemutigsten Stunts, die nicht zur Nachahmung geeignet waren. So konnte der Tag beginnen! Gereiztheit en masse. Naja, es half nichts. Er musste sich noch den Rest ins Hirn meißeln, um nicht einen völligen Nervenzusammenbruch kurz vor Prüfungsbeginn zu erleiden. Gut, den hatte er eigentlich schon jetzt, aber das tat ja nichts zur Sache. Der dunkelhaarige Jüngling war aus seinem Gedächtnis gestrichen und selbst die kompliziertesten, mathematischen Ausdrücke würde er auch noch erfolgreich bezwingen. Also auf in den Kampf, hieß seine Devise. Oder anders ausgedrückt: Augen zu und durch! Voller Inbrunst ließ er sich aufs Bett fallen und begann laut vor sich hinredend all das zu wiederholen, an das er sich noch erinnern konnte. Da sein Fenster gekippt war, konnten seine Nachbarn garantiert mithören, was er da von sich gab, doch das juckte ihn nicht. Schließlich trug er damit lediglich zur Weiterbildung auf breiter Ebene bei. Er wusste, dass keiner von ihnen etwas mit Mathematik zu tun haben wollte, aber ein wenig mehr darüber zu wissen, konnte ja nicht schaden. Als er nach einer ganzen Weile bei attrahierenden Mengen angelangt war, betete er auch hierzu die Definition herunter. Attrahierend stand für anziehend und jede Lösung aus einem gewissen Bereich konvergierte gegen diese Menge… Anziehend! Nein, nein, nein, das konnte doch nicht wahr sein! Solche Worte gehörten in der Mathematik, die doch rein aus Logik und rationalem Denken bestand, definitiv verboten! Anziehend gehörte gewiss nicht in das Vokabular einer formalen Sprache! Und formal hatte nichts mit irgendwelchen Adjektiven wie anziehend zu tun! Tja, schön, dass ER diese Erkenntnis hatte, doch leider waren ihre Erfinder nicht so schlau gewesen. Sie hatten wohl nie bedacht, dass man dann an gewisse Menschen denken könnte, die man eigentlich bereits aus seinem Leben gestrichen hatte… Er hätte ihn ja einfach an sich ziehen und ihm seine Zunge aufdrängen können. Wild und hemmungslos und rücksichtslos. Er war ja schließlich auch vollkommen überrumpelt worden und das wäre doch DIE Rache gewesen und eine süße noch dazu. Stopp! Konnte er nicht einfach wieder dazu übergehen und sich auf die Realität beschränken? Gestern war gestern und damit vergangen. Die Historie – übertrieben gesprochen – sollte nicht wieder aufgerollt und mit Leben bestückt werden. Ein Kuss war gar nichts! Und er würde sich auch nicht wiederholen. Ende der Diskussion. Plötzlich begann er zu lachen. Er focht einen Kampf in seinem Inneren aus, der eigentlich gar nicht zu gewinnen war. Gut, dann sollten eben unliebsame Emotionen in ihm wallen, aber sie hatten sich gefälligst soweit zurückzuhalten, dass er vernünftig sein Diplom abschließen konnte. Gefühle kamen und gingen und so würde das auch dieses Mal sein. So schnell, wie sie gekommen waren, würden sie im Endeffekt auch wieder verschwinden. Sollten sie doch Purzelbäume schlagen. Wenn man sie nur lange genug ignorierte, würden sie schon von allein damit wieder aufhören. Da sich sein Magen regte, stand er auf und lief die drei Schritte zum Kühlschrank. Toll, der war natürlich leer, wie sollte es auch anders sein. Wenn das Leben einmal grausam war, dann immer. Genervt zog er sich Schuhe und Jacke an und verließ seine Wohnung. Dass er wie der letzte Penner herumlief, war ihm ebenso gleichgültig wie die Tatsache, dass in China gerade ein Reissack umfiel. Er erwartete nichts von der Menschheit, also sollte sie nichts von ihm erwarten. Erwartungen brachten lediglich Enttäuschungen mit sich und von denen konnte er bereits genug für den Rest seines Lebens verzeichnen. Mit einer Einkaufstüte in der Hand, peilte er den Heimweg an. Er hatte nicht einmal zehn Minuten zu laufen und doch musste er seinen Hunger bereits jetzt stillen, weshalb er sich beim Bäcker noch schnell etwas mitgenommen hatte. Genüsslich kauend setzte er einen Fuß vor den anderen, atmete dabei tief durch, denn die frische Luft und die Natur waren vielleicht doch ein wenig wohltuender als angenommen. Zumindest vermochte sie es, einen halbwegs freien Kopf zu bekommen, und das war genau das, was er brauchte. Einen klaren Verstand. Wenn da ihm sein Schicksal nicht mal wieder einen Strich durch die Rechnung machte… Kapitel 3: Kapitel 3 -------------------- … War wirklich typisch, dass man genau dem Menschen begegnete, den man nicht sehen wollte und obendrein, wie schon zu oft erwähnt, aus seinem Leben gestrichen hatte. Zugelassene Gefühle waren etwas anderes als das, was nun bevorstand. Sollte Jim ihn einfach missachten? Ihm vielleicht ein anrüchiges Grinsen schenken? Wäre doch alles verkehrt. Außerdem wurde er selbst gekonnt ignoriert, wie nicht anders zu erwarten war. Schließlich hatte er ihn des Hauses verwiesen und nicht umgekehrt. Aber sah er ihn da nicht doch heimlich zu ihm sehen? Ganz kurz diese dunklen Augen blitzen? Boah, seit wann konnte er denn selbst nicht die Augen von jemand anderen nehmen und dabei auch noch halb an seinem Brötchen ersticken? In seiner Kehle steckte gerade ein mächtiges Stück Teig und wollte partout nicht die Speiseröhre hinterrutschen. Würgend blieb er stehen und haute sich selbst auf die Brust. Das schlimmste an allem war, dass er sich beobachtet fühlte. Prima, er war am Ersticken und wurde dabei auch noch gemustert. In ein paar Stunden würde er seinem Professor gegenübersitzen, doch das schien gerade meilenweit in der Zukunft zu liegen. Hatte dennoch irgendwas Aufmunterndes an sich, wenn auch nur von kurzer Dauer. Denn der andere kam in Begleitung näher und näher, wild gestikulierend. Sein Freund, Bekannter, Kumpel, was auch immer hörte ihm interessiert zu und schien Jim nicht einmal zu bemerken geschweige denn wahrzunehmen, dass er gerade dabei war, keine Luft mehr zu bekommen. Warum auch anderen helfen, auch wenn ihnen nicht geholfen werden wollte. Das Stück da in seinem Hals würde er früher oder später noch schlucken können. Viel wichtiger war doch, dass er die Aufmerksamkeit einer Person innehatte und er war sich gewiss, dass er sie hatte. Einen Beweis lieferten die immer häufigeren Seitenblicke, die zwar an ihm vorbeizugehen schienen, doch eindeutig ihm galten. Und das reizte ihn auf gewisse Art und Weise. Ja, irgendwie forderte ihn das heraus. Er sah zu, dass er endlich dieses verdammte Brötchen in seinen Magen beförderte, um endlich wieder ein wenig Haltung anzunehmen. Vorhin mag ihm das noch egal gewesen. Als der Dunkelhaarige gerade an ihm vorbeilief und genau in diesem Moment bewusst auf die andere Straßenseite blickte, griff Jim grob nach dessen linken Arm, zwang ihn somit stehenzubleiben und sich nach ihm umzudrehen. Und ehe Jim sich selbst versah, presste er seine Lippen auf den Mund des anderen. Was der konnte, konnte er nämlich schon lange! Mit einem überheblichen Grinsen löste er die Berührung wieder, zwinkerte ihm zu und wand sich zum Gehen. Selbst als er schon einige Schritte gegangen war, spürte er stechende Blicke in seinem Rücken. Na und? Irgendwie war das gerade eine Genugtuung gewesen, die zwar unnötigerweise sein Herzschlag zum Rasen brachte, aber eben auf gewisse Art und Weise reiner Befriedigung glich. Sollte der andere nun doch denken, was er wollte. Er hatte Gleiches mit Gleichem gebührt, mehr nicht… Oder? Wenn da nicht dieses verdammte Herzflimmern wäre, hätte er sich sagen können, dass das Thema damit ein für alle mal gegessen wäre. Mit der Zunge fuhr er sich über seine Lippen und der Geschmack fuhr ihm durch Mark und Bein. Er musste dieses Gefühl schleunigst wieder loswerden, es konnte nämlich nichts Gutes mit sich bringen. Das tat es nie! Kaum ließ man es zu, schon fiel man tief, meist sogar sehr tief. Und er hatte nicht die Muse, noch einmal aus den Untiefen des Seins zu klettern. Jetzt zählten die Uni und ein guter Abschluss! Waren doch genug Vorhaben. Was kümmerte es ihn, dass er mit Blicken durchlöchert wurde und sein Herz meinte durchdrehen zu müssen. Das würde sich schon wieder beruhigen, irgendwann. Alles eine Frage der Zeit. Davon hatte er zwar gerade keine, aber dennoch würde sich dieses kleine Organ wieder einkriegen. Ewig konnte es ja nicht wie verrückt hämmern und auf sich aufmerksam machen. Und? Siehe da, es beruhigte sich allmählich und schon stand er vor seinem Studentenwohnheim. Lief doch alles glatt. Da sollte noch wer sagen, dass sich Probleme nicht von allein lösten, wenn man ihnen keine Beachtung schenkte. Klappte doch grandios… … wenn man sich selbst belog. Aber das kümmerte ihn gerade herzlich wenig. Er sollte einfach zusehen, seinen Verstand wieder zurück auf rational zu schalten und die Gefühlswelt zurück in die Tasche zu stecken, wo es hingehörte. Okay, da würden es weiterhin die stressbedingten, negativen Empfindungen geben, aber damit konnte er letztendlich noch irgendwie klarkommen. Die ließen sich sowieso nicht verpacken und versenden. Er hatte es mal versucht und sie waren postwendend zurückgeschickt worden. Also lief das nur auf sinnlose Zeitverschwendung hinaus und er musste mit ihnen leben, ob er wollte oder nicht. Eher wollte er auch das nicht, aber ihm wurde ja keine Wahl gelassen. Allemal besser, als in einem Kuss zu schwelgen, der nur zum Dampf ablassen fungiert hatte. Hatte er doch! Man konnte sich vieles einreden und schließlich auch das. Achtlos schmiss er das Essen in den Kühlschrank und sich selbst danach wieder aufs Bett. Es mochte nicht gesund sein, den ganzen Tag darin zu liegen, aber er hatte nun mal keine andere Sitzgelegenheit mehr. Alles zugebaut und das würde wohl auch noch eine Weile so bleiben. Er war ja schon froh, wenn seine Wohnung nicht zu schimmeln anfing und die Sporen sich dann überall und noch gar in seiner Lunge verteilten. Kaum etwas Widerwärtiges gedacht und schon ging es ihm besser. Einfach bizarr. Als er so dalag und die Decke betrachtete und je öfter der Zeiger sprang, kippte seine Stimmung wieder. Jetzt war alles aus! Er konnte nun weder lernen noch alles verdrängen, was in den letzten zwei Tagen geschehen war. Das hieß durch die Prüfungen fallen und komplizierte, verworrene Gedanken hegen. Klasse Aussichten. Exmatrikulation und anschließende Inquisition. Stöhnend vergrub er sein Gesicht im Kopfkissen. Er wollte das alles nicht. War denn ein wenig Unbeschwertheit zu viel verlangt? Anscheinend. Aber konnte das Schicksal nicht doch mal eine Ausnahme machen? Und schon hörte er das höhnische Gelächter. Von allein Seiten. Und vollkommen durchdringend. Ohren zuhalten brachte auch nichts, warum auch. Es entstammte ja seinem Inneren. Schallende Laute, die ihn verspotteten. „Ist ja schon gut!“, presste er zwischen seinen Lippen hervor. Wenn dieser Druck noch weiter anwachsen sollte, dann würde er mit Sicherheit durchdrehen. Er brauchte ein Ventil und auch wenn er für die Winzigkeit eines Moments geglaubt hatte, dieses in Form eines Zwangskusses gefunden zu haben, so hatte er sich doch gewaltig geirrt. Das hatte seine Lage nur noch prekärer werden lassen. Aber er hielt dennoch daran fest, dass es ihm eine Genugtuung gewesen war. Sollte der andere doch genauso leiden wie er. Derart überfahren zu werden war nun mal alles andere als angenehm. Nun konnte der am eigenen Leib erfahren, wie das war. Und nun stahl sich ein zufriedenes Lächeln auf Jims Gesicht. Ja, wenn dann litten sie beider gleichermaßen und schon war die Welt wieder ein wenig gerechter. Wie der Stress einen verändern konnte, glich purem Wahnsinn. Jetzt wünschte man schon anderen das gleiche Leid an den Hals. Von guter Erziehung zeugte das nicht gerade. Und ein wenig schämte sich Jim auch dafür. Kaum auszudenken, wie das in einer Woche sein würde, wenn er die erste vermasselte Prüfung hinter sich und die nächste vor sich hatte. Er wagte erst gar nicht sich auszumalen, wie teuflisch er dann denken würde. So diabolisch war er im Grunde doch gar nicht. Er war schlicht und einfach verzweifelt und da kam es doch schon mal vor, dass man gemein und hinterhältig war. Ja? Halbherzig nickte er sich selbst zu, doch viel Überzeugungsarbeit leistete diese Geste nicht. Nun war er also zum boshaften, charakterlosen schwarzen Mann mutiert. Wow, welch Weiterentwicklung! Eigentlich sollte man doch in seiner Entwicklung voranschreiten und nicht zehn Schritte rückwärts gehen. Und das alles nur wegen dem verdammten Stress, der so immens war, dass man nicht mehr mit ihm umgehen konnte. Druck von oben, Druck von außen, Druck von überall. Etwaigen konnte man damit klarkommen, wenn da nicht zusätzliche Störfaktoren wären. Kuss gleich Störfaktor? Er überlegte… … und verneinte die Frage. Aufkeimende Gefühle, die zeitlich einfach nur unpassend waren, verdienten ein ’ja’! Aber Küsse waren ihm eigentlich immer willkommen. Ob mit Zunge, ob ohne, ob vor Leidenschaft sprudelnd oder als Begrüßung. Völlig egal. Nur sollten sie von ihm ausgehen und keine Wirrungen mit sich bringen. Irrungen waren einfach nur lästig, denn man konnte sie nicht kontrollieren. Und Kontrolle über sich zu haben lag in seinem Interesse. Gut, momentan besaß er überhaupt keine mehr, aber Prüfungszeit stellte nun mal einen Ausnahmezustand dar. So nun reichte es aber! Genug im Selbstmitleid versunken! Er presste kurz seine Augen zusammen, schlug mit einer Faust gegen die Wand und richtete sich dann auf. Lernen! Er musste jetzt lernen und nichts weiter. Sich die letzten Details reingravieren, dass er sie morgen auch wusste. Eine Stunde verging, in der er wild in den Ordnern hin- und herblätterte, hier und dort eine Definition oder einen Beweis nachschlug. Ging doch. Man musste nur wollen. Es hieß doch, dass der Wille Berge versetzen konnte. Also warum sollte das dann bei ihm nicht auch klappen? Die Sonne schien allmählich in sein Zimmer. Das hieß, dass sich der Tag dem Ende neigte, denn durch sein Fenster blickte man gen Westen. Erschöpft erhob er sich und schaute hinaus auf die Bäume, auf die warmes Licht fiel. Bald würden sie ihre Blüte erreichen und wenn sie das taten, dann würde er hier weg sein. Weg von der Uni, weg von ihm. Wow, das war doch mal eine gute Zukunftsaussicht. Warum fühlte er sich dann nicht plötzlich beschwingt? Toll, nun begann er auch noch damit, sich selbst widerlich zu finden. Er hatte seine netteste Seite an sich vorgekehrt und damit wohl mehr kaputt gemacht als gewonnen. Der andere, dessen Namen er immer noch nicht kannte, mochte ihn nun für einen debilen, übergeschnappten Penner halten. Vielleicht war er genau das. Das und nichts anderes. Kein Wunder, er war total überlastet. Aber in zwei Wochen war alles vorbei. Und dennoch wirkte dieser Fakt nicht besänftigend. Überall hörte man fröhliche Menschen, die den Frühling in vollen Zügen genossen und keine Ahnung zu haben schienen, wie er sich fühlte. Zum Teil war er ja selbst schuld. Weshalb ließ er sich von ein paar Prüfungen auch so stressen. Noten waren nur eine Momentaufnahme! – Aber leider entscheidend für die weitere berufliche Laufbahn. Das System war einfach nicht nachvollziehbar. Dreißigminütige Prüfungen über Stoff von wie vielen Semestern auch immer, man musste alles parat haben und wurde im Endeffekt nur einen Bruchteil gefragt. Und wenn der Professor genau auf ein Themengebiet stieß, das man nicht wirklich durchschaut hatte, hatte man einfach nur Pech. Es interessierte ja keinen, was man gut und was weniger gut konnte. Jetzt wurde er auch noch zu allem Überfluss von Melancholie überhäuft. Die vollkommenste Mischung in Verbindung mit Stress, die man sich nur irgend vorstellen konnte. Wie war das noch mal mit den imaginären Saltos? Sein Kopf landete an der Wand neben dem Fenster und darauf noch ein paar schmerzliche Male. Yeah, Selbstmassakrierung! Er kam noch ins Buch der Rekorde, wenn er so weiter machte. Erst schlug er sich selbst ins Gesicht, dann malträtierte er seine Hand und nun seine Stirn. Hey, das war es! Morgen mit blauem Auge und Platzwunden erscheinen. Vielleicht erregte das ja Mitleid! Unwillkürlich begann er zu lachen. Er war verrückt geworden. Durchgeknallt. Und je herzhafter die Laute aus ihm drangen, umso mehr sackte er in sich zusammen. Die Prognose stand fest: irre! Es war verflixt noch mal an der Zeit, sich wieder einzukriegen. Das morgen war nur eine Prüfung und der Kerl war nur ein Mensch und keine Gottheit! Also, weshalb dann der ganze Wahnsinn? – Exakt! Er drehte völlig umsonst am Rad. Her mit der Leichtigkeit! Voilà, warum nicht gleich so? Tief atmete er ein und aus und brachte sich nach und nach wieder auf die Beine. Das Leben konnte ihn mal! Er war stärker und basta! Ob das derart funktionierte, wie er sich es vorstellte, sollte er schon bald erfahren… Kapitel 4: Kapitel 4 -------------------- … Kaum dass er voller Freuden festgestellt hatte, dass mehr Stoff in seinem Kopf hängen geblieben war, als er es sich zu träumen gewagt hatte, folgte schon die Dampfwalze, die alles in ihm richtig schön platt machte. Jegliches Glücksgefühl wich sofort aus ihm, als er sah, wer mit einem dreckigen Grinsen auf ihn wartete. Auf ihn wartete? Hatte er etwas verpasst? Nein, das bildete er sich hundert pro gerade nur ein. Sollten die dunklen Iriden ihn doch anfunkeln, der harte Körper sich doch neckend an der Wand räkeln. Das ließ ihn kalt, völlig kalt. Wer’s glaubt, aber er hatte seine Prüfung bestanden und keiner konnte ihm das jetzt zunichte machen. Keiner! Verstanden? Auch nicht er! Besonders nicht er! Wenn er nicht weiterhin Wurzeln schlagen wollte, musste er an ihm vorbei. Warum gab es auch nur einen Weg hier weg? Gute Frage, nächste bitte. Vielleicht sollte er durch das Fenster am Ende des Ganges springen. Ach, die paar Meter hinab würde er schon irgendwie überleben. Sein Verstand spielte eindeutig wieder mal verrückt. Und er kam sich lächerlich vor. Solche Gedanken hegen wegen einem dahergelaufenen Kerl? Besser: Wie konnte man überhaupt solche Gedanken haben!? Allmählich begann er selbst zu grinsen. So idiotisch konnte er doch gar nicht sein. Augen zu und vorbei. Jawohl. So und nicht anders. Gedacht, getan. Hätte auch wunderbar geklappt, wenn er da nicht zwei Arme um seine Taille gespürt hätte und warmen Atem in seinem Nacken. „Lass die Finger von mir!“, brummte er. Er spürte, wie ihn das erregte, und das konnte alles nicht wahr sein! Weg hier! „Ich denk’ nicht mal dran!“ „Wir stehen hier immer noch im Gang voller Büros von Professoren!“, zischte Jim leise. „Du hast es doch nicht anders gewollt.“ Bitte? Könnte er das noch einmal wiederholen? Wann bitteschön hatte er denn danach gelechzt, vor Professoren und Doktoranden derart betatscht zu werden? Unwirsch riss er sich los und funkelte den anderen böse an. „Lass mich einfach in Ruhe!“ Ein Schritt, zwei Schritte, drei Schritte… Wie? Er kam davon? „Keinen Schritt weiter, sonst…!“ Wusste er es doch! „Sonst was?“ Wütend fuhr Jim um. Was sollte das denn nun schon wieder? Er hatte keine Lust auf solche Spiele. Wie gesagt, die Initiative musste von ihm ausgehen, etwas anderes wollte er nicht mehr! „Wir sind erwachsene Menschen, also geh’ und lass mich in Ruhe. Noch einmal sage ich dir das nicht.“ Blödes Herz. Das raste schon wieder. Sicher nur aus seinem Zorn heraus. Ganz wahrscheinlich sogar. Selbstbetrug war wirklich was feines. „Dann erkläre mir, was das gestern sollte.“ „Da gibt’s nichts zu erklären. Außerdem steckte garantiert nicht derselbe Grund dahinter wie hinter deiner Aktion!“ Weshalb war er denn dermaßen aufgebracht? Dieser Kerl konnte ihm sonst wo vorbeigehen! Toll, nur tat er es nicht. Blödes, blödes Herz! Wo war noch mal der Schalter auf ’kalt, stumpf, abgebrüht, cool, gleichgültig, betäubt’? Er musste ihn schleunigst finden, sonst würde er hier gleich noch Sachen tun, die er im Nachhinein bereute. Obwohl,… Festen Blickes trat er auf den anderen zu und packte ihn grob an den Schultern. „Auf nimmer Wiedersehen!“, hauchte er ihm überaus galant ins Ohr. Bevor sich seine eigene Gänsehaut ausbreiten konnte, ließ er ihn wieder los und verschwand, so schnell er konnte. Weg! Verdammt noch mal, weg hier! Als frische Luft sein Gesicht umspielte, begann er zu rennen. Wohin war ihm dabei vollkommen gleichgültig. Hauptsache rennen und all das hinter sich lassen, was ihm gerade noch klarer geworden war. Er wollte das nicht und solange das einzig sein Verstand begriff, würde er sich weiterhin dagegen wehren. Hey, er hatte einen guten Grund, glücklich zu sein. Es lag nur noch eine Prüfung vor ihm und bisher hatte er sich eine gute Ausgangsposition erarbeitet. Das war doch Anlass genug, sich gut zu fühlen. Aber er rannte. Vielleicht hätte er dies schon viel früher tun sollen. Rennen, bis man vor Schmerzen am Boden lag. Er spürte bereits, wie ihm der Atem abhanden kam, wie seine Seite zu stechen anfing, aber es tat schlicht und einfach gut. Und er genoss es tatsächlich. Kurz schloss er die Augen… … was die dümmste Idee auf Erden war, denn er stieß mit einem Radfahrer zusammen. Als er hart auf den Boden prallte, hörte er den anderen laut fluchen. „Es tut mir leid“, meinte er und besah sich dabei erst einmal selbst. Arme und Beine waren noch dran, hier und da ein wenig Blut, aber es schien nichts gebrochen zu sein. „Idiot!“, wurde ihm noch entgegengebracht, bevor er plötzlich allein auf weiter Flur stand. Er spürte die rote, zähe Flüssigkeit, wie sie Knie abwärts rann. War er denn von allen guten Geistern verlassen? Er war wirklich verrückt geworden. Die Augen schließen, grandioser Einfall! Auf so etwas konnte aber auch nur er kommen. Dummheit musste bestraft werden und genau das war eben geschehen. Weswegen war er eigentlich wie ein Irrer durch die Gegend gerannt? – Das lag auf der Hand: Dieser Typ erregte ihn und das gegen seinen Willen. Er wollte das nicht. Nein. Nicht mehr. Davon hatte er für den Rest seines Lebens genug. Wenn er Zärtlichkeiten brauchte, dann würde er sie sich anderweitig zukommen lassen. Aber nicht durch ihn! Langsam trottete er nach Hause. Irgendwie war ihm nicht nach feiern zumute, obwohl er an diesem Abend mit ein, zwei Kumpels genau das hätte tun müssen. Prüfung bestanden und dennoch miese Laune. Tolle Kombination. So konnte der Stress ab morgen getrost weiter gehen. Er schickte ein Dankesgebet gen Himmel und verdrehte voller Ironie die Augen. Wie er sich benahm, schloss eindeutig darauf, dass er nicht mehr bei Verstand war. Der war ihm nun vollends geraubt worden. Was dachte sich dieser Kerl eigentlich dabei, einfach dort herumzustehen und ihn dann auch noch anzufassen? Wie so ein Klammeraffe? Danach stand ihm nicht der Sinn, okay? Ab morgen hieß es wieder büffeln und Punkt. Kein emotionales Gedenke, keine Küsse! Und vor allem nicht ER! Dumm nur war der Fakt, dass es erst Mittag war und er gerade nicht wusste, wie er den Rest des Tages zubringen wollte. Lust hatte er zu gar nichts, doch er befürchtete, wieder dem Typen nachzuhängen, wenn er sich einfach in sein Bett legen würde. Darum beschloss er in die Mensa zu gehen, denn er brauchte was zu essen. Mit vollem Magen konnte man vieles besser verkraften und dann würde er schon wieder normal werden. Bizarrerweise war das Essen heute sogar genießbar. Gut, er stellte schon gar keine Ansprüche diesbezüglich mehr und aß es ohne groß darüber nachzudenken, aber irgendwie begeisterte es ihn und hob seine Stimmung von minus unendlich zumindest auf annähernd Null. Ein Hoch war noch weit, weit entfernt, aber besser als nichts. Es war ein Anfang und zwar ein ziemlich vielversprechender. Die Geräuschkulisse um ihn herum schwoll zunehmend an und er sah sich ein wenig um, ob er nicht den einen oder anderen kannte. Irgendwie war ihm mit einem Mal nach sinnlosem Gerede zumute, denn auf diese Weise konnte man endgültig auf andere Gedanken kommen. Aber er hatte Pech, denn es waren sogenannte Semesterferien und die meisten im Urlaub oder arbeiteten. Dann eben nicht. Dann unterhielt er sich eben weiterhin mit sich selbst. War doch auch eine Form der Konversation. Gerade als er sich damit abfand, hörte er eine Stimme ganz dicht neben seinem Ohr, die verächtlicher gar nicht klingen konnte. „Ich wundere mich nicht, dass du hier ganz alleine sitzt.“ Erste Reaktion: Augen weit aufreißen. Zweite: Nach Luft schnappen. Dritte: Die Augen zu schmalen Schlitzen verengen und den Kopf wenden. Doch da war der andere bereits weg. Und Jim reichte es. Auf diese Art konnte dieser Kerl nicht mit ihm umspringen! Das war sein Metier, aber das hieß nicht, dass er ebenso behandelt werden wollte. Er erblickte ihn. Lässig saß er auf seinem Stuhl von lauter unbekannten Leuten umringt und lächelte hämisch. Aus Reflex ballte Jim seine Hände zu Fäusten und er wäre gern zu ihm gegangen und hätte ihm gern eine reingehauen. Aber so viel Anstand besaß er immerhin noch, es nicht zu tun. Genervt stand er auf und räumte sein Tablett auf. Er warf keinen Blick mehr zurück, obwohl es ihn danach verlangte. Wieso eigentlich? Laut stöhnte er auf und fuhr sich durchs Haar. Es war an der Zeit, diesen Kerl auf Dauer aus dem Kopf zu bekommen. Ein Tag verging. Sogar zwei. Und er steckte wieder mitten im Buchstabengewirr, das komischerweise immer einen Sinn hatte, wenn man genauer darüber nachdachte. Er hatte es mittlerweile vorgezogen, in der Bibliothek zu lernen, um nicht in den eigenen vier Wänden, die enger aneinander standen als einem lieb war, zu verrotten. Und da nicht viele Studenten den gleichen Gedanken hatten, hatte er ein ruhiges Plätzchen und konnte sich da in die Untiefen der Mathematik fallen lassen. Je mehr er in ihr versank, desto klarer wurde ihm alles. Das Beste daran war: es baute ihn auf. Mit jeder Stunde, die verstrich, fühlte er sich wieder mehr wie ein Mensch und weniger wie ein Volltrottel. Wenn die Tatsache nicht wäre, sich körperlich erschöpft zu fühlen, hätte er von sich behaupten können, dass es ihm schon wieder richtig gut ginge. Aber nun hatte ihn der Ehrgeiz gepackt. Es gab nur noch eine verdammte Prüfung und die würde er auch noch erfolgreich hinter sich bringen. Nachdem er ein schweres Kapitel durchgearbeitet hatte, sah er auf und schaute aus dem Fenster direkt vor ihm. Die Bib hatte Keller- und Fensterplätze, doch die ersteren hätten ihn zu sehr an seine eigene winzige Wohnung erinnert, weshalb er einen der letzteren ausgewählt hatte. Gut, er hätte die ersteren wählen sollen, denn das, was er sah, als er hinausblickte, war nicht das, was er gerne sehen wollte. Das gab es nicht. Das konnte es nicht geben. Er träumte. Er hätte gerne geträumt. War das jetzt eine Art fieser Demonstration, oder was? An dem Baum, direkt in seiner Sichtlinie, saß ER, mit einem Buch in der Hand. Kurz lachte Jim auf. Das war einfach nur abstrus. Hatte er es sich zum Lebensziel gemacht, ihm aufzulauern, und nun obendrein einen Sitzstreik zu veranstalten? Eine Wirkung hatte es: Jim hatte mit einem Mal vergessen, in der Bibliothek zu sitzen. Seine Augen wanderten über den Menschen dort draußen, besahen sich jedes noch so kleine Detail. Und bis er sich dessen bewusst wurde, war es zu spät. Der andere schaute auf und ihm geradewegs in die Augen, forschend und herausfordernd. Vor lauter Schreck wäre er umgefallen, wenn er nicht sowieso schon gesessen hätte. Eiskalt erwischt. Das würde er ihm büßen! Er stand auf, verließ die Bib und lief schnurstracks zu dem Kerl, der es wagte, mit ihm solche Spielchen zu spielen. „Was führt dich denn hierher?“, meinte der am Baum Sitzende betont verwundert, beherbergte aber das fieseste Grinsen auf seinen Lippen, das man sich irgend vorstellen konnte. Jim packte ihn am Kragen und riss ihn auf die Beine. Das war eindeutig zu viel des Guten gewesen. Darauf hatte er keinen Bock und das würde er ihm jetzt ein für allemal reinprügeln! „Schlag ruhig zu!“, forderte ihn der andere auf, hauchte das aber so nah an seinem Nacken, dass Jim für einen Moment schwarz vor Augen wurde. Wut kroch durch seine Glieder ebenso ein Gefühl, das einfach unbeschreiblich war. Schlag schon! Na, mach schon! Auf was wartete er denn? Er holte aus und… … schlug statt den Kerl, den er immer noch grob festhielt, auf den Baumstamm direkt hinter ihm. „Verfolgst du mich, oder was?“, brachte er ihm zornig entgegen. „Ist es verboten, an einem Baum zu lehnen und zu lesen?“ Hohn! „Es gibt so viele Bäume hier, warum gerade dieser hier, hm? Keine Antwort parat, was? Dann verschwinde!“ Warum machte ihn dieser Typ eigentlich immer so fuchsteufelswild? „Du willst es doch auch“, flüsterte der andere ihm ins Ohr. Nachdem er ihn ja noch immer festhielt, standen sie dazu auch dicht genug beieinander. Sein Puls beschleunigte sich nur noch mehr. Das machte ihn richtiggehend rasend! „Dich schlagen? Dich vermöbeln? Oh ja, komm’ lass es uns endlich damit beginnen.“ „Warum eigentlich so aggressiv?“ „Weil du mich noch irre machst!“ Ups. Der Satz war eindeutig zweideutig und er hatte leider den falschen Sinn gemeint. Nämlich den, dass er ihn scharf machte. Wurde er gerade ein klein wenig rot? Unsicher senkte er den Blick, aber nur für einen Moment. Dann funkelte er ihn an. „Geh’ mir einfach nur aus den Augen!“ „Dazu müsstest du mich aber loslassen.“ Mit hoch gezogenen Brauen musterte der andere Jim, der endlich seine Hände von ihm nahm. „Noch eins: Steh nie wieder vor meiner Tür, sprich mich nie wieder an und schau mich nie wieder an!“ Seine Stimme klang viel lauter als beabsichtigt. Gott, er war verzweifelt und das trieb nur noch mehr Wut in seinen Körper. Einen klitzekleinen Moment dachte er sogar darüber nach, sich den Typen noch mal zu krallen und ihn zur Bewusstlosigkeit zu küssen. Als er dessen aber gewahr wurde, drehte er sich um und lief wieder in Richtung Eingang zur Bibliothek. Alles in ihm vibrierte. Er HÖRTE sein Herz schlagen. Er fühlte sich wie in eine andere Welt versetzt… Kapitel 5: Kapitel 5 -------------------- … Wie in Trance saß er im Vorraum der Bibliothek mit einer Flasche Cola in der Hand und blickte in die Leere. Ins weite verschleierte Nichts der gegenüberliegenden Hauswand. Die Kälte der Fassade schmiegte sich perfekt in sein Befinden ein, obwohl sie eher den krassen Gegensatz zu seinem Inneren darstellte. Es brodelte in ihm, auch wenn er dies nach außen hin nicht zeigte. Er musste es sich endlich eingestehen, ob er wollte oder nicht. Sonst würde er sich selbst an den Rand des Wahnsinns treiben. Ja, verdammt noch mal! Er begehrte ihn! Er wollte ihn! Er wollte ihn mit jeder Faser seines Körpers spüren! Gott, er war einfach verrückt nach ihm. Sollte er noch einmal hinausgehen, zu ihm? Und sich damit noch lächerlicher vor ihm machen? Das kam gar nicht erst in Frage! Nein, und nochmals nein! Gefühle konnte man unterdrücken und irgendwann wieder loswerden und Ende! Denn es gab zur Zeit Wichtigeres für ihn. Schon vergessen? Er hatte noch eine Prüfung zu bestehen und das sollte alles sein, was zählte! Um den Rest konnte man sich später immer noch kümmern. Es musste ja nicht immer alles auf einmal erledigt werden. Recht so. Genauso musste das gehen! Eins nach dem anderen, peu a peu, Schritt für Schritt. Immer sachte. Mit einem plötzlichen Glimmen in den Augen sprang Jim auf und ging hastig zurück in die Bibliothek. Solange er diese Gedanken hatte, würde er sie nutzen müssen. Wer weiß, wie lange sie anhielten und was sein ach so tolles Schicksal als nächstes für ihn parat hielt. Wow, der Kerl hatte sich tatsächlich weg bemüht. Welch Freude. Irgendwie war Jim erleichtert, doch eben nur irgendwie. Denn nun spürte er wieder diese Leere in sich, die ihm überhaupt nicht behagte. Ihm kam sein Leben mit einem Mal völlig inhaltslos vor, obgleich die Bücher und Ordner vor ihm das Gegenteil bewiesen und deutlich die Worte ’Studium, Beruf, Karriere’ ausstrahlten. Toll, nun war ihm auch noch dieser Sinn seiner Existenz genommen worden. Warum bekam man auch immer solche komischen Hirngespinste, wenn man sich verliebt hatte? Eine Minute… nein, mindestens fünf Minuten lang starrte er in die Luft. Dieses Wort! Von dem er nie wieder Gebrauch machen wollte… und nun war es wieder da. Von jetzt auf nachher. Und er war darauf nicht wirklich vorbereitet. Liebe. Ein Wort, das immense Bedeutung in sich trug. Jim schüttelte sich. Unablässig rief er sich in den Kopf, dass er zu lernen hatte. Sich in die Gefilde der Mathematik zu versetzen hatte. Dass das aufregend war und seine gesamte Aufmerksamkeit verlangte. Und dann schloss er die Augen. Er war innerlich total zerrissen. Ein Teil von ihm wollte den Kerl suchen gehen, um mit ihm endlich das anzustellen, nach dem sein Körper seit dem ersten Kuss lechzte, der andere Teil, wohl die Vernunft, wollte die vergangenen Tage und Stunden streichen und das Studium als oberste Priorität erachten. Konnte man denn nicht einfach beides miteinander verbinden? Natürlich konnte man das. Wenn man es denn wollte. Und genau über diese Gegebenheit war sich Jim noch immer nicht im Klaren. Einerseits wollte er nichts lieber als das, andererseits hatte er seine Prinzipien, die er sich nicht umsonst auferlegen hatte. Vielleicht waren diese aber doch vollkommener Nonsens und er machte sich gänzlich unnötig derart verrückt? Warum musste auch immer alles dermaßen kompliziert sein? Okay, man verkomplizierte sich das meiste selbst, aber dennoch. Es könnte doch alles so einfach sein… … Und genau aus diesem Grund musste er nun endlich seinen Kopf frei bekommen und lernen. Aus. Ende. Schluss. Erst die Prüfung, dann der ganze Rest. Anders ging es nicht. Und fertig. Eigentlich hätte er sofort über sich selbst lachen können. Wie idiotisch war das denn alles? Die Frage war zum Glück rein rhetorischer Natur, sonst hätte er sich nur wieder selbst belügen müssen. Und danach stand ihm erst Recht nicht der Sinn. Es war an der Zeit, einmal gegen die Wand zu rennen, um DIE Gehirnzellen abzutöten, die ihm das ganze einbrockten. Naja, vielleicht ein Stück des Herzens gleich mit, um auf Nummer sicher zu gehen. Jetzt lachte er wirklich los, nur um sich noch dümmer vorzukommen. Er ging jetzt da raus und schnappte sich diesen Typen! Alles andere war doch eh vergebene Liebesmühe! Auf, auf! Und warum gehorchten ihm seine Beine nun nicht? Es war zum Scheitern verurteilt. Das ganze Gehader mit sich und der Welt. Egal, was er sich in den Kopf setzte, es war unmachbar. Was war denn nun richtig und was falsch? Eins wusste hier: Das, was er gerade tat, war eindeutig falsch! Sich allein über so etwas Gedanken zu machen, war inkorrekt. Manchmal sollte man einfach das beim Schopf packen, was man sich erwünschte! Genau das würde er jetzt machen! Sich diesen Kerl krallen und… Ja und dann? Er hatte das doch gerade endgültig vermasselt. Käme wirklich einem Wunder gleich, wenn er auch nur noch irgendetwas mit ihm zu tun haben wollte. Gut, dann müsste Jim es eben auf einen Versuch ankommen lassen. Rückzieher waren was für Weicheier und er zählte sich partout nicht zu diesen… … und schon war er draußen unterwegs und klapperte den gesamten Campus ab. Keine Spur von ihm. Toll, wenn er wenigstens seinen Namen wüsste, doch nicht einmal den hatte er sich jemals sagen lassen. Nein, viel lieber hatte er ihn gleich angeschrieen und weggejagt. Prima. Er hätte gerne jener Wand geglichen, an der alles abprallte. Dann würde er jetzt nicht orientierungslos durch die Gegend irren und sich damit womöglich nur noch mehr zum Deppen machen. Wie spöttisch die Sonne doch auf ihn hernieder schien. Die ganze Umgebung schien ihn auszulachen, selbst der seichte Wind in den Bäumen spielte sein verachtungswürdigstes Lied. Er hatte es wohl nicht anders verdient. Und wieder einmal landete seine Faust an dem heutigen Tage an einem Baumstamm. „Mist!“, fauchte er ihn an. Nun WOLLTE er ihn sehen, da war er unauffindbar. Wie sollte es auch anders sein. War doch völlig typisch. Das war doch immer so im Leben. Ein reibungsloser Verlauf wäre ja auch zu schön, um wahr zu sein. Vielleicht auch ein wenig zu langweilig. Aber etwaigen stand er gerade auf langweilige Sachen? Es musste ja nicht alles dermaßen zum Haare ausreißen sein! Ödes Leben, komm her! Wo bist du? Komm’ doch her! Jetzt komm’ schon!!! Komm… Man, warum denn nicht? Ein tiefes Brummen entwich seiner Kehle und er ließ sich am Baum hinab gleiten. Mit verschränkten Armen sackte dann auch noch sein Kopf dagegen und er schloss die Lider… … nur um auf einmal einen dunklen Schatten über sich wahrzunehmen. Erwartungsvoll riss er die Augen weit auf. Toll, auch das hätte er sich sparen können. Blöde Wolke, die sich vor die Sonne schob. Prächtig. Zum Totlachen. Und er hatte auch noch gedacht, ER stünde vor ihm! Wie bescheuert konnte man denn sein, so etwas anzunehmen? – Aber bestand denn nicht wenigstens der Hauch einer Chance? – Nein! Nein! Und nochmals nein! Er musste ihn sich aus dem Kopf schlagen, um endlich wieder zur Vernunft zu kommen! Ach ja und nicht zu vergessen: aus dem Herzen! Schalter, wo bist du? Schrei mal ’hier’! Bevor er weiterhin solch hirnrissige Gedanken spann, senkte er seine Lider wieder und gab sich der Ruhe hin, die ihn umgab. Leises Rauschen, stetes, friedvolles Rascheln, hier und da ein Summen. Von den paar Autos, die die Geräuschkulisse durchbrachen, konnte man mal großzügig absehen. Eigentlich war diese harmonische Atmosphäre doch herrlich, okay ein wenig trügerisch, aber sie hatte was. Und so vergingen einige Minuten, in denen er sich tatsächlich mal wieder entspannte. Und je mehr Zeit verstrich, desto deutlicher spürte er die Müdigkeit und die Ermattung seines Körpers. Erneut wurde der Sonne ihr Licht geraubt und Dunkelheit über ihn gelegt. „Zisch’ ab!“, raunte er kraftlos. „Selbst im Halbschlaf noch mürrisch.“ Bitte? Seit wann konnten Wolken reden? – R-e-d-e-n! Plötzlich hellwach fuhr Jim hoch und sah den anderen entgeistert an. Und mit einem Mal fehlten ihm die Worte. Sein Mund klappte auf und wieder zu, stumm wie ein Fisch. Konversation! Weshalb beherrschte er diese gerade nicht und schnappte stattdessen wie ein Wahnsinniger nach Luft? „So wortkarg kenne ich dich ja gar nicht“, wurde seine Benommenheit belustigt kommentiert. Gegen das Licht sah der andere noch anziehender aus als sonst. Gott, er musste ihn sich hier und jetzt krallen. Noch einmal konnte er ihn sich nicht durch die Lappen gehen lassen. Doch bevor Jim irgendwas in dieser Richtung unternehmen konnte, fühlte er zwei Hände, die ihn grob gegen den Baum pressten, sah in dunkle Augen, die ihn süffisant anfunkelten. „Du wirst gleich um Luft betteln.“ Und schon spürte Jim heiße Lippen, die ihn von Beginn an herausforderten und eine wilde Zunge, die ihn ohne seine Mundhöhle zu erforschen schon halb verrückt machte. Als er realisierte, was gerade vor sich ging, erwiderte er den Kuss. Voller Leidenschaft und Temperament. Allmählich merkte er wie angekündigt seine Lunge schreien und er wollte sich von dem anderen lösen, doch dieser ließ nicht locker. Immer intensiver kreiste die bis dato fremde Zunge in ihm. Wow, das war einfach unbeschreiblich. Sollte seine Lunge doch nach Luft begehren, was kümmerte ihn das. Solange er DAS hier erleben konnte! Lautes Hupen durchbrach ihre Zweisamkeit und Jim blinzelte. Je öfter er die Augen öffnete und wieder schloss, desto mehr veränderte sich sein Gemütszustand. Er zwang sich, die Augen endlich gänzlich aufzuhalten und was er da sah, gefiel ihm ganz und gar nicht. Nichts! Da war nichts! Gar nichts! Ja, Gras und Bäume, aber das war’s auch schon. Auf die hätte er auch verzichten können. Sein Herz schlug in wilden Rhythmen. Pah, wenn das nur ein Traum gewesen war, dann war er der neue Bundeskanzler!... Okay, er sollte gleich mit der Kandidatur beginnen. Auf geht’s in den Wahlkampf! So wirklich konnte sich ein Traum doch gar nicht anfühlen… oder doch? Kapitel 6: Kapitel 6 -------------------- Sag’ mal, war das denn alles eigentlich noch fair? Erst dieser Überhand nehmende Lernstress und dann noch unüberwindbare Gefühle, die man sich dann auch noch eingestand, am Ende aber gar nicht ausgelebt werden durften? Echt wunderbar dieses Leben. Sollte zum Mond geschossen werden und dort vergammeln. Würde eh keinen stören, auch Jim nicht. ERST RECHT nicht Jim. Schließlich war er es doch, der hier wie ein Verrückter nach rechts und nach links schaute, um vielleicht doch noch festzustellen, dass er nicht geträumt hatte. Hah, natürlich hatte er geträumt. Wie sollte es auch anders sein!? So viel Gutes widerfuhr ihm nicht. Nie und nimmer. Ihm doch nicht. Weshalb auch? Resigniert ließ er sich zurück an den Baumstamm sinken, schlug dabei seinen Kopf absichtlich hart an. Vielleicht half Selbstmassakrierung ja. Ein Versuch war es wert. Physische Schmerzen waren wirklich angenehm im Gegensatz zu all der Wut, die in ihm hauste. So eindeutig und prägnant. Keine Wirrungen, kein Chaos; nein, einfach Schmerzen, deren Verursachung klar auf der Hand lag. Weder kompliziert noch in anderer Weise komplex. So sollte es sein! Eine klar strukturierte Folge: Kopf anhauen, Schmerz spüren. Einfach zu begreifen und schnell abzuhaken. Nur war das nicht auf die tausendmal in sich verschachtelte Gefühlswelt übertragbar. Nein, die hatte es sich zum Ziel gemacht, einem Labyrinth zu gleichen, aus dem man nie wieder herausfand, sobald man es einmal betrat. Tzz, war also nur noch die Frage zu klären, weshalb er überhaupt einen Schritt dort hinein gewagt hatte. Beabsichtigt hatte er es gewiss nicht. Und wenn er die Wahl gehabt hätte, hätte er sich partout dagegen entschieden. Tja, man konnte es sich eben nicht aussuchen. Gefühle überrannten einen, wenn ihnen danach war. Sie fragten vorher nicht, ob man denn gerade auf sie zu sprechen war oder nicht. Wenn sie das nämlich einmal täten, würden sie irgendwo verrotten, ohne auch nur einmal in Anspruch genommen worden zu sein. Da war sich Jim sicher. Er hätte sie nie und nimmer aus ihrem Loch geholt und sich auferlegen. Und wenn er denn wirklich die Wahl hätte, würde er jegliche Emotion dort lassen, wo sie herkam, und auf Glück und Freude verzichten. Lieber zu einem gefühllosen Roboter mutieren als sich nach diesen heißen Lippen zu sehnen. Gott, und wie heiß sie gewesen waren!!! Ergeben seufzte er. Er steckte gerade im Herzen des Labyrinths und kannte keinen Weg hinaus. Konnte dieser Typ jetzt nicht einfach hier vorbeilaufen? Dann hätte er wenigstens ein Mittel, sich ein wenig abzureagieren. Aus dem Chaos würde er sich auf diese Weise garantiert nicht winden können, aber wenigstens diese göttlichen Lippen auf sich spüren. „Zu viel Sonne getankt, was?“ Klar, nun hörte er sogar schon SEINE Stimme. Er war eindeutig irre geworden. Nun gab es endgültig keine Heilung mehr für ihn. Es war aus und vorbei. Bald würden die Männer mit der weißen Weste kommen und ihn weit, weit weg bringen. Da! Er hörte schon ihr Auto auf sich zurasen! „Wie lange möchtest du mich eigentlich noch ignorieren?“ Solange, bis er keine Stimmen mehr wahrnahm, die er gar nicht hören KONNTE! Fest kniff er seine Augen zusammen und hielt sich die Ohren zu. Vielleicht würde sie ja dann endlich verschwinden! „… WIRKLICH!“ Das gab’s doch nicht! Aber… … sie war doch gerade durch seine Hand zu ihm hindurch durchgedrungen. Oder? Das würde eine innere Stimme doch niemals tun… Verdammt! Nein, er machte seine Augen jetzt nicht wieder auf. Das wäre prekär. Warme Hände… an seinen Schultern. Wahh, das hielt er nicht aus! Was dachte sich dieser Kerl eigentlich? Dass er eine Statue war, die keine Regung zeigen würde, wenn man sie anfasste? Dann wurden seine Arme unsanft von seinen Ohren weggerissen. „Geht’s dir gut?“, fragte der andere plötzlich mit total veränderter Tonlage. Der Sarkasmus war reinem Mitgefühl gewichen. Sein Herz… das hielt er nicht aus! Erst schnellten seine Lider nach oben, dann packte er den anderen grob am Kragen. Bevor er jedoch auch nur noch ansatzweise über sein Handeln nachdenken konnte, drückte er ihn zu Boden und schmiss sich auf ihn, presste seine Lippen unwirsch auf das andere Paar. Begehrte sofort mit seiner Zunge um Einlass… … der ihm aber verwehrt wurde. Schmerz durchzuckte ihn. Seine Seite brannte mit einem Mal und aufgrund des Schreis, der ihm entwich, löste er sich ungewollt von dem anderen, der ihn auch kurzerhand von sich stieß und sich alsbald über ihm befand. Seine Hände wurden hinter ihm ins dichte Gras gedrückt und er sah in mordlüsterne dunkle Augen. Lange starrten sie sich an. Keuchend. Ansonsten stumm. Seine Handgelenke sendeten unschöne Signale an sein Hirn. Und doch versank er. Sollten sich die Schmerzen in ihm doch ausbreiten; die sollten sich mal nicht so anstellen und einfach in ihrem Vorhaben weitermachen! Sie brauchten doch nicht unbedingt ungeteilte Aufmerksamkeit. Und wie er plötzlich schwamm. Wow, dieser Ausdruck. Dieses Glimmen. Dieses Funkeln. Und dann gebührte das auch noch ihm! Dieses Mal träumte er aber nicht schon wieder!? Schmerzen! Ach ja, die zeugten ja von seiner Wachsamkeit. Cool. Das eben war real! Die Schmerzen durften ja doch ein wenig Aufmerksamkeit abbekommen… EIN WENIG! Nicht mehr! Diese dunklen Iriden, in deren Mitte sich die Pupillen immer mehr vergrößerten… und dann diese Lippen, die ziemlich rot waren. Er wollte sich dieser reinen Faszination entgegenstrecken, doch schon bei der kleinsten Bewegung, wurde er unsanft zurück gedrängt. „Hast du denn überhaupt keine Selbstbeherrschung?“ Schwungvoll bewegten sich diese abgöttischen Lippen. Auf und ab, auf und ab… und wie sie einen einluden!!! Dann gelangte die gestellte Frage doch einmal in sein Hirn, bewahrte ihn davor weiterhin wie ein Narr haltlos zu starren. Beherrschung? – Wie konnte man sich denn beherrschen bei solch einem Anblick!? „Wer klopfte denn an meiner Tür und drückte mich im nächsten Moment an die Wand?“ Wow, dass er in dieser Situation einen grammatikalisch perfekten Satz herausbekam, zeugte eindeutig davon, dass er gerade dabei war, sich daran zu erinnern, wer ihm das ganze hier eingebrockt hatte. „Und dann sprichst du von Selbstbeherrschung? Dass ich nicht lache!“ Ja, Wut! Sie hatte ihm ja so gefehlt! Wildes Funkeln. Beidseitig. „Du bist doch derjenige, der das erwidert!“ Und warum? Weil DER ihn dazu gebracht hat! Hätte ER ihn nicht geküsst, könnte er gerade annähernd friedlich in der Bib sitzen und lernen! Aber nein? ER hatte sich ihm ja aufdrängen und ihm damit seine restlichen Sinne rauben müssen! „Aber auch nur, weil…!“ Stille. „Weil mich das erregt“, presste er hervor. Was sich vor seinen Augen abspielte, war die Wandlung schlechthin. Die Lippen, die eh schon die ganze Zeit leicht geöffnet waren, verformten sich zu dem breitesten Grinsen, was er je zu Gesicht bekommen hatte; gepaart mit purer Wollust. „Ich wusste es.“ Bevor sich aber Jim wieder mokieren konnte, senkte sich der anderen hinab und betörte ihn auf eine Weise, die ihn all seinen Zorn vergessen ließ. Alsbald schwebte er in ungeahnten Sphären, ausgelöst durch reine Begierde, umwerfendes Zungenspiel und scharfen Zähnen, die sich geschickt in seiner Unterlippe verbissen… Nach Atem ringend spürte er die Zunge des anderen an seinem Hals hinabfahren, heiß, rau und mehr als nur unbändig. Sie leckte, stupste und dann bohrten sich scharfe Klingen in seine Haut. Das war wir ein Kick. Er wand sich solange, bis er den Körper des über ihm liegenden noch fester und intensiver auf sich fühlen konnte. Bis er die Zunge fand, die ihn neckte und die ihn fast verschlang. Die Berührungen waren purer Wahnsinn und in ihm breitete sich eine Hitze aus, die ihn von oben bis unten erfüllte und die Anstalten machte, sich bald zentrieren zu wollen. Seine Hüfte drang sich dem anderen wie von selbst immer mehr entgegen, rieb und kreiste. Boah, er wollte ihn JETZT und HIER. „Ahhh!“, entwich es ihm, als er eine Hand auf seiner Brust spürte, die dort nicht gerade sanft ihre Fingernägel entlang streichen ließ. Der andere schien genau zu wissen, was er wollte und wie er es ihm geben konnte. Seine Hände glitten über dessen Rücken, stahlen sich wenig später unter die luftige Kleidung und krallten sich in das Fleisch. Vor allem, als er einen gewaltigen Druck in seiner Lendengegend spürte. Sein Mund klappte weit auf, seine Augen verschwanden halb im Nirvada… Stöhnen… aus beider Münder. Eine Hand, die betörend über den Stoff der Jeans strich… Geräusche. Stimmen. Entsetzte Stimmen. Und mit einem Mal Nichts. Wind, der seinen gesamten Körper umspielte… … Benommen stützte er sich auf die Ellbogen und sah ein belustigtes, aber ebenso genervtes Lächeln. Und dann ein Kopfnicken nach rechts. Wo eine ganze Horde Menschen stand, die zu ihnen blickte. Sein Gegenüber beugte sich nach vorne und hauchte ihm „Wollen wir denen Nachhilfeunterricht geben?“ ins Gesicht. Ein nicht ganz sanfter Rotschimmer bedeckt seine Wangen, aber dann legte er eine Hand auf den Oberkörper des anderen und schob ihn zur Seite, um noch einmal zu den Leuten zu blicken… He he,… er schluckte. Das war DER Wink seines Schicksals mit dem Zaunpfahl. Erdboden, spalte dich! Schnell! Unter all den Menschen sah er seinen Prof. Und obendrein genau den, der ihn als nächstes prüfen würde. Er spürte, wie all die Röte aus seinem Gesicht wich und er kreidebleich wurde. Das kleine Organ in seiner Brust überschlug sich fast. „W-weg hier“, stammelte er. Der andere ließ es sich nicht nehmen, einen Arm um seine Taille gleiten zu lassen, um ihm aufzuhelfen. „Kennst du wohl jemanden?“, meinte er frech. „Du hast ja keine Ahnung!“ Ein irres Lachen entfuhr ihm beim Sprechen… … Das konnte nicht wahr sein! Das war… ja was? Gab es dafür denn noch irgendeine Beschreibung? Jetzt konnte er seine Prüfung vergessen! Kapitel 7: Kapitel 7 -------------------- Himmelhochjauchzend, zu Tode betrübt. Wahrlich treffend. Besser konnte man seine Situation gewiss nicht beschreiben. Er warf einen Seitenblick auf den Typen, der neben ihm lief. Seit sie sich von den Schaulustigen entfernt hatten, hatten sie noch kein Wort miteinander gewechselt. „Ich kann mich gleich in das nächste Loch stürzen“, brummte Jim. Eine Hand folgte, die ihm neckisch einmal quer über den Rücken strich, nur um sich im nächsten Moment in seinem Shirt zu verkrallen. „Wer hat dich denn dermaßen verstimmt?“, blies ihm der andere ins Ohr. Alles kribbelte, aber ihm war grad nicht nach solch einer betörenden Nähe. Die hatte ihm das ja eben eingehandelt. Schon komisch. Immer war dieser Kerl Schuld. „Lass mich los!“ „Gerade konntest du nicht genug davon kriegen. Weißt du eigentlich, was du willst?“ Da war er wieder. Der züngelnde Sarkasmus. „Du kannst mich mal!“ „Aber gerne doch“, säuselte der andere und vergrub seine Finger in Jims dichtem Haar, leckte mit seiner Zunge über dessen Wange. Jim schlug mit beiden Armen um sich. „Kannst du das mal lassen? Weißt du eigentlich, was du mir damit gerade angetan hast?“ „Ich hätte dir `nen Orgasmus beschert, wenn du mich hättest weiter machen lassen.“ Er schenkte Jim ein lüsternes Grinsen. „Nein, sag’ schon!“ „Mein Prof hat das gesehen! Lass dir das mal auf der Zunge zergehen: mein Prof, bei dem ich in ein paar Tagen eine Diplomprüfung ablege!“ „Halb so wild.“ „Hä? Sonst geht’s dir bestens, ja?“ „Der war sicher nur neidisch.“ „Ja klar. Und schau da hoch: die Sonne ist grün. Haha, sehr witzig. Und bevor du weiter solche hirnlosen Sprüche klopfst, verrate mir mal, was du eigentlich von mir willst.“ „Dich.“ „Grrr, manchmal möchtest du mich einfach nicht verstehen, oder?“ Jim boxte ihm unliebsam in die Seite. „Ich kann mich da an einen Tag erinnern, an dem du mich stundenlang nicht aus den Augen ließt.“ Er blieb stehen. „Das hast du gemerkt?“ „Nur weil ich `ne Klausur schrieb, hieß das nicht, nicht mal die Augen nach vorne zu richten. Und egal, wann ich das tat, schautest du in meine Richtung. Okay, meist an mir vorbei, doch für mich war das eindeutig.“ „Ach! Das möchtest du daran erkannt haben, dass ich an dir vorbei blickte?“ „Ich behielt doch Recht, also was fährst du mich jetzt so an?“ „Weil wir gesehen wurden, verdammt noch mal!“ „Ach, das ist auch nur ein Mensch mit Trieben.“ „Hach, was bin ich dann für dich? Ein Objekt, an dem du deine Lust ausleben kannst?“ Jim blinzelte. Was faselte er denn da? Das hörte sich wie von einem Mädchen an. Kaum vernascht und schon die ersten Klammerversuche. Gott, es war an der Zeit, nach Hause zu gehen, die Tür hinter sich zu schließen und nie wieder zu öffnen! „Das auch“, wurde ihm schulterzuckend entgegengebracht. Bevor er wieder etwas total verweichlichtes, vor Emotionen triefendes von sich gab, legte er ungestüm seine Hände um den Nacken seines Gegenübers und verwickelte diesen in einen Kuss, der vor Begierde nur so sprudelte. Ihre Münder trafen sich hart und seine Zunge stieß zügellos in dessen Höhle. Nach einer schieren Ewigkeit löste er sich wieder und sah ihn fest an. „Und nun sag’ mir endlich mal deinen Namen.“ Endlich war es mal an dem anderen, ein wenig pikiert dreinzuschauen. Irgendwie stellte Jim das ein klein wenig zufrieden. „Ray.“ Na ging doch. War er nun zuguterletzt doch mal dabei, wieder Hand an das Zepter zu legen? Er wollte IHN dirigieren und fertig! Das erleichterte vieles. Und dass ihm nun eine Prüfung bevorstand, zu der ihn keine zehn Pferde bringen würden, malträtierte seine Sinne, konnte aber ein wenig durch das kleine Hochgefühl abgeschwächt werden, das sich gerade in seinen Körper stahl. Den anderen, Ray, in abwartender Haltung zu sehen, war schon was Feines. Es gab ihm das Gefühl der Macht. Der Überlegenheit, wenn auch etwaigen nur von kurzer Dauer. Egal. So etwas musste man auskosten. Und mit jeder Faser genießen! „Und jetzt lass mich allein.“ Wie kam er denn nun zu solch einem blöden Verlangen. Gänzlich unnachvollziehbar. Idiotisch. Er spürte doch noch das Vibrieren seiner Glieder, ALL seiner Glieder. Und doch setzte er erneut an: „Geh!“ Hörte er sich eigentlich selbst zu? Ray schüttelte nur mit dem Kopf, hob verständnislos die Arme an. „Wenn du den Schock verdaut hast, bin ich schneller wieder da als du schauen kannst.“ Und dann ging er. Jim sah ihm nach. Was war das denn jetzt? Er könnte sich dafür unablässig selbst verprügeln. Vielleicht sollte er das ja mal probieren? Eine Hand fuhr ihm bereits ins Gesicht. Die andere folgte sogleich. Nach dreimaliger Wiederholung starrte er immer noch auf die Stelle, an der der andere sein Blickfeld verlassen hatte. Er war tatsächlich noch bescheuerter als vor dem… Ähem, ja, gut, dass das passé war. Da, hinter der Lichtung ist es verschwunden! Sein Kopf sackte auf seine Brust. Er hatte tatsächlich eine Art Vorspiel vor seinem Professor gehabt. Peinlicher geht’s ja echt nicht mehr. Vor dessen Augen konnte er nicht mehr treten. Wo blieb eigentlich die Gerechtigkeit? Gut, er stand vor keinem Gericht und HATTE sich schuldig gemacht, dennoch plädierte er auf ’nicht schuldig’. Schließlich wurde er ja verführt, oder nicht? Ray hatte doch mit allem angefangen. Also konnte Jim doch gar nichts dafür. Er war nur ein Opfer seiner Hormone, die in der Tat schwer zu kontrollieren waren. Sich eigentlich überhaupt nicht steuern ließen. Ha, er war unzurechnungsfähig ob der Tatsache, dass sein Körper auf den anderen reagierte! Geistig nicht bei Sinnen! So gut sich das auch anhören mochte, damit konnte er bei seinem Professor nicht aufwarten. Der würde ihm gleich ins Gesicht sagen, dass er durchgefallen war. Naja, war er das nicht eh schon? Wenn nicht das, dann würden ihm Fragen von einem anderen Kaliber gestellt werden. Fragen, deren Antworten man als kleiner Student gar nicht wissen konnte. Also egal, wie man es drehte und wendete, die Prüfung war gegessen. Aus. Vorbei. Fini. „Und wie kannst du dich überhaupt noch regen?“, maulte er gen seine Männlichkeit. Er spürte noch immer das Kribbeln, das ihn wohl gar nicht mehr verlassen wollte. Eine kalte Dusche hatte vor ein paar Tagen nichts gebracht, also warum sollte sie das jetzt tun. Toll. Echt toll. Wie war das? Nach einem Hoch kam immer das Tief. Klar, dass sich das dann noch tiefer anfühlte, schließlich fiel man endlos weit hinab. Miesepetrig lief er erst einmal zurück zur Bib, schnappte sich seine Sachen, ignorierte gekonnt alle Blicke, die ihm zugeworfen wurden, zumindest glaubte er, von allen Seiten her angestarrt zu werden, und trottete dann nach Hause. Er wollte niemanden mehr sehen, keinen mehr hören und erst recht keinem mehr begegnen. Von unliebsamen Begegnungen hatte er wahrlich genug. Und jetzt schoss ihm erst Recht das Bild von seinem Prof durch den Kopf. Verdammt, warum musste der gerade dort lang laufen!? Jim knallte hinter sich die Tür zu und schmiss seinen Rucksack in die erstbeste Ecke. Und alsbald lag er mal wieder gequält in seinem Bett und starrte die weiße Decke an, die ihm höhnisch entgegen strahlte. War er an diesem Punkt nicht vor Kurzem schon einmal angelangt? Und dann sollte noch mal wer behaupten, das Leben würde irgendwann besser werden. Ha ha! Heute nicht, morgen nicht, vermutlich nicht mal in zehn Jahren. Gefrustet stöhnte er in sein Kissen, in das er nun sein Gesicht vergrub. Die Welt konnte sich ruhig munter weiter drehen, aber ohne ihn! Er hatte keinen Bock mehr… … Wenn ihm da nicht Ray durch den Kopf gegeistert wäre. Boah, der Typ machte ihn heiß. Ja und das begriff auch sofort eine gewisse Stelle seines Körpers. „Jetzt nicht!“, murmelte er. Doch die Gedanken an Ray verstärkten sich damit nur. Prima. Sollte er gleich aus voller Kehle seinen Namen schreien? – Dazu bedarf es doch eigentlich ein wenig mehr, oder nicht? Ja tat es! So! Naja, vielleicht doch eine kalte Dusche? Mit einem Augenverdreher raffte er sich hoch und verlor, während er ins Bad schlurfte, seine Kleidung. Der Hahn ließ sich mal wieder nicht weit genug nach rechts drehen, so dass er keine andere Wahl sah als selbst Hand anzulegen. Und kurz bevor er kam, seufzte er laut auf und warf seinen Kopf in den Nacken. Schwor sich indessen, dass das beim nächsten Mal ein anderer tat! Oh, und wie der dann nach mehr winseln würde! Ein verträumtes, aber süffisantes Grinsen breitete sich in seinem Gesicht aus. Ja, allein der Gedanke daran, den anderen zu seinem Höhepunkt zu treiben und von ihm getrieben zu werden, ließ ihn lächeln. Erde an Jim! - Hatte er ihn nicht gerade verjagt? – Ach, der würde wieder kommen und irgendwie war er sich dessen wirklich mehr als sicher. Also warum sollte er dann nicht über alle Maßen grinsen? Er hatte dazu doch kaum eine Angelegenheit, somit musste er das hier und jetzt auskosten. Und Punkt. Und schon das bisschen Fantasie war lüstern… … Tja, aber es gab immer noch dieses eine kleine, große und vor allem markante Problem: Die Prüfung! Kapitel 8: Kapitel 8 -------------------- Da er die Gedanken an seinen Prof irgendwie verdrängen wollte, zappte er durchs Fernsehprogramm und durch den Videotext. Nach einer Weile schlug ihm eine Schlagzeile fast schon mitten ins Gesicht: Kalte Duschen steigern die Potenz! Warum kam das denn jetzt erst raus? Oder war das schon gemeinhin bekannt, nur er hatte davon keinen blassen Schimmer gehabt? Wild schüttelte er mit dem Kopf. Kein Wunder, dass seine Versuche immer vergeblich gewesen waren. Also DAS hätte ihm ja ruhig mal wer stecken können. Gut, in Zukunft würde er wieder heiß duschen, vielleicht hilft das dann ja. Recht glaubte er nicht dran, aber darüber wurde zumindest nichts geschrieben. Boah, das konnte er aber irgendwie nicht ganz verkraften… „Typisch“, grummelte er und schmiss die Fernbedienung auf den Boden. Das hatte sie schon ein paar Mal ausgehalten, also würde sie das auch dieses Mal tun. Und wenn nicht? – Dann fügte sich das glänzend in seine Verfassung ein! Zuguterletzt trat er nach dem Tisch, der zwar nichts für seinen Gemütszustand konnte, aber gerade so blöd herumstand und daher herhalten musste. Man, musste er denn immerzu so verflucht dezent auf den anderen aufmerksam gemacht werden? Vor allem dann, wenn er grad nicht an ihn denken wollte? War schon möglich, dass er ihn mit Haut und Haaren wollte, sehr wahrscheinlich sogar, aber dennoch wollte er ALLES der vergangenen Stunden einfach mal vergessen. Aber was dachte sich sein tolles Schicksal? Stoße genau auf diesen Bericht! Genau, übersehe ihn bloß nicht! Nicht, dass Ray in ihm grauenvolle Szenen hervorrufen würde, nein, das gewiss nicht, eher im Gegenteil, aber seine Person war nun mit einer anderen stark verbunden. Mit einer, die ihn niemals in solch einer prekären Lage hätte sehen dürfen. Spring schon auf! Schließlich dachte er schon wieder an ihn. Tooooor!!! Versenkt! Jim landete rücklings auf dem Boden, als er mit beiden Füßen gleichzeitig um sich trat. Kleine Sterne funkelten vor seinen Augen. Perfekt. Tag kaputt, Rücken kaputt, alles putt. Er machte sich gar nicht erst die Mühe, sich wieder aufzuraffen, brachte doch eh nichts. Am besten, er blieb dort liegen, bis die Welt um sich herum wieder besser war oder ihn vergessen hatte. Ja, das war’s doch! Wenn sich keiner mehr an ihn erinnern würde, könnte er unbemerkt zurück in die Uni gehen und seinen Abschluss machen. Grandiose Idee, nicht wahr? Mhhh, wie lange würde er dort liegen müssen? Ein paar Wochen reichten wohl nicht. Ein Jahr? Klar, ohne Essen und Trinken würde sich das gewiss realisieren lassen. Und selbst wenn… … an SO ETWAS würde sich doch jeder erinnern. Toll, nun war ihm jegliche Illusion genommen. Zukunftsvisionen waren doch eh der letzte Schrott! Egal, was man erwartete, trat doch eh nicht ein. Er konnte sich noch so viel ausmalen, sein Prof würde immer ein hämisches Grinsen auf seinen Lippen beherbergen, wenn er ihm mitteilte, dass er durchgefallen war. Und das Beste hatte er noch gar nicht bedacht: Prüferwechsel war auch nicht drin. Warum? Weil der Lehrstuhl kein Geld für einen zweiten Prof hatte! Jim würde sein gesamtes Geld zum Fenster rausschmeißen, wenn er damit einen neuen Prof, der ihn NICHT kannte, erkaufen könnte. Natürlich war das nicht möglich, aber er würde es tun. Sicher würde er das tun! Und wenn er höchstpersönlich einen Dozenten suchen und anstellen müsste! Grrr, und wo war der Haken? Klar, dazu müsste er sich an der Uni noch mal blicken lassen, nur um für diese seine grandiose Idee Hohn und Spott als Beifall zu ernten. Was blieb ihm also noch anderes übrig, als sich hier am lauwarmen Boden zu laben und darauf zu hoffen, dass die Welt jeden Moment unterging? Tock-tock-tock-tock… Stille. Nein, das war nicht seine Uhr gewesen, sondern irgendeine Hand an seiner Tür. Er wollte aber keinen Besuch! Zumal hatte er sein lying-in noch nicht beendet! Tock-tock. Konnte derjenige nicht einfach wieder verschwinden? Ihm stand es nicht im Sinn, jetzt irgendeiner frohgelaunten Persönlichkeit ins Gesicht zu sehen! Was war denn bitte auch Fröhlichkeit, hm? Ein Gefühl, das ebenso schnell verlosch wie es kam. Also nichts wert! Und ihm war einfach nicht nach einem grinsenden Gesicht, das ihn am Ende auch noch auslachte und Ende! Nun, vielleicht würde es ihm ja gut tun!? – Nein! Ein klein wenig aufheitern? – Nei-hein! Dann eben nicht. Genau! Jim legte sich einen Arm über die Augen. Auf einmal war ihm der Tag viel zu grell. Ja, die alles verschluckende Dunkelheit wäre doch jetzt angebracht, oder nicht? Die schwarze Finsternis, die Schatten über all das Gewesene lag. Oh ja, immer her mit ihr! Aber nein, die Sonne musste heute bis zum Umfallen strahlen. Tock-tock. Wenn das nicht bald aufhörte, bekäme er noch einen Schreikrampf. Er wollte niemanden sehen und hier in Ruhe liegen bleiben, sich auf alle Zeiten verwünschen! Konnte man das nicht einfach akzeptieren? Jaja, wie war das mit der Akzeptanz noch mal? Es klopfte nämlich schon wieder. „Geh’ weg!“, schrie er nun tatsächlich. „Lass mich in Ruhe“, fügte er mit leiser Stimme an, die nicht den Hauch einer Chance hatte, nach draußen zu dringen. Eine Faust landete hart auf dem Boden, einmal, zweimal, dreimal. Ha, endlich hatte es sein Besuch kapiert! Wer das auch immer gewesen sein mochte, der kehrte nicht wieder. Wieder ein Fall von ’denkste’! „Mach’ schon auf!“ Das war eindeutig Ray. Irgendwie durchzuckte es Jim nun. Aber nein, er hatte sich das mit dem Liegenbleiben-bis-in-alle-Ewigkeit in den Kopf gesetzt und das würde er jetzt durchziehen! Er war ein Dickkopf und würde das auch immer bleiben! Weg mit Ray! Weg mit dem Rest der Welt! „Ich klopfe solange, bis du so genervt bist, dass du nicht anders kannst, als mir aufzumachen.“ Rays Stimme drang zwar nur gedämpft an seine Ohren, doch er vernahm eindeutig Ernsthaftigkeit. Und wie angekündigt folgte ein Klopfen, das aber partout nicht wieder verstummen wollte. Und wie das nervte! Nicht nur ein klein wenig, sondern immens! Mit einer Wut so groß wie ein Basketball im Bauch raffte sich Jim auf und trampelte wie ein Elefant zur Tür. Barsch riss er die Tür auf. „Sag mal, bist du von allen guten Geistern verlassen?“, schrie er den Dunkelhaarigen an, der mit einem gelassenen Schulterzucken dastand und ihn visierte. So unbetroffen seine Haltung war, so ausdrucksstärker dafür seine Augen. Diese funkelten über alle Maßen. Strahlten ein Gemisch aus Gier, reinem Blutdurst und Kränkung aus. Eine wirklich gefährliche Kombination. „Scher’ dich zum Teufel!“, versuchte Jim es noch einmal mit all seinem Zorn, doch der andere ließ sich noch immer nicht beirren. Als sich die Spannung, die sich zwischen ihnen auftat, immer weiter intensivierte, spürte Jim regelrecht die Luft brodeln. Aber er gab den Blickkontakt nicht auf. Er wollte Ray klarmachen, dass er jetzt keinen sehen wollte, und gut ist. „Komm’ mal wieder runter“, meinte der andere irgendwann. Aber der Satz klang dermaßen herablassend, dass Jim nur noch mehr kochte. Seine Nerven lagen eindeutig blank und er wollte seine Ruhe! Aus schmalen Schlitzen blitzte er sein Gegenüber an. „Misch dich nicht ein, verstanden!?“ Warum haute er dem anderen nicht einfach die Tür wieder vor der Nase zu? Schon irgendwie eine berechtigte Frage, oder nicht? Er wollte ja. Und wie er das wollte! In Gedanken hatte er das bereits hundertfach getan. Knall, Bums, batsch! Tzz, und warum gehorchte ihm sein Körper mal wieder nicht? Warum lief eigentlich nie etwas so, wie man es sich vorgestellt hatte? „Ich weiß, ich reagiere über. Na und? Selbsterkenntnis ist der erste Weg zur Besserung! Also, könntest du nun so freundlich sein und gehen? Oder muss ich dir erst anders begreiflich machen, dass ich mich gerade wie das letzte Arschloch aufführe?“ Und schon knallte es tatsächlich. Er hatte Ray die Tür nun wirklich vor der Nase zugeschlagen und starrte nun fassungslos auf das orange Holz. Ein dicker Kloß in seinem Hals ließ ihn schlucken. Etwas Gewaltiges arbeitete in seinem Kopf. Wow, er hatte gerade eine Diagnose über sich selbst gestellt und mit ihr auch noch ins tiefste Schwarz getroffen. Schwärzer konnte das Ziel wirklich nicht mehr sein. Er war ein Arschloch. Mochte vulgär klingen, aber er war es nun einmal. Wie war das noch mal mit dem Spruch mit der Selbsterkenntnis und so? Schien mehr dran zu sein als ihm gerade lieb war. Wie in Zeitlupe tastete seine Rechte nach dem Türgriff. Langsam und unsicher drückte er ihn hinunter und zog die Tür Stück für Stück wieder auf. Und mit jedem Zentimeter, der zu der Lücke zwischen Rahmen und dem Griff in seiner Hand hinzukam, war er mehr und mehr davon überzeugt, dass Ray weg war. Wäre ja auch verständlich und gänzlich nachvollziehbar. Aber er hatte auch Angst davor. Weshalb? Weil er ihn nicht verlieren wollte, verdammt noch mal! Er wollte nicht noch einmal diese abgrundtiefe Leere in sich spüren. Dieses klaffende Loch im Herzen fühlen. Das hatte er sich geschworen und er wollte diesen Eid nicht brechen. Niemals! Nur überaus hervorragend, dass er sich sein Leben dieses Mal selbst vermasselte. Toll, nicht wahr? Für was brauchte man auch einen oberflächlichen, arroganten, blasierten, sich nur selbst liebenden Exfreund, wenn man selbst dazu in der Lage war, alles zu zerstören? Ein weiterer Rückschritt in seiner Entwicklung. Hey, so viele Schritte konnte man doch gar nicht zurückgehen oder? Da musste man ja schon fast befürchten, von der Erde zu fallen, selbst wenn sie eine Kugel war und keine Scheibe. Schließlich war er noch blöder als je anzunehmen gewagt und wieso sollte er dann nicht solch Unmögliches schaffen? Würde doch eh kein Hahn danach krähen. Wahrscheinlich würde dieses einmalige Spektakel kein Mensch honorieren, da es keiner mitbekäme. Wer achtete schon auf einen gestressten, mit sich und der Welt nicht zurechtkommenden jungen Mann. Sollte er doch von der Erde fliegen, wen kümmerte es schon. Sollte er die Tür wirklich noch weiter aufziehen? Irrsinnig vielversprechend, dass immer weitere Zweifel sein Denken heimsuchten. „Lässt du mich nun rein, oder musst du noch eine Weile darüber sinnieren?“ Der gewohnte Sarkasmus! Der einem eine Gänsehaut bescherte. Jim fühlte regelrecht, wie sich seine Härchen aufrichteten. Gut, er machte immer noch keine Anstalten, die Tür weiter zu öffnen, darum wunderte es ihn auch nicht, dass das Ray übernahm. Erst sah er eine Hand, die sich um den Rand der Tür schmiegte, und dann spürte er einen Druck, gegen den er keinen Widerstand leistete. Und dann standen sie erneut gegenüber. Aber nicht lange, denn Ray schob sich an ihm vorbei. „Willst du Löcher in die Luft starren oder magst du weiterhin wie ein begossener Pudel rumstehen? Oder vielleicht beides?“ Ein gelöstes Lachen folgte. Was für Klänge in Jims nichtsnutzigen, verkorksten Leben. „Jetzt komm schon.“ Wie in Trance wurde er von der Tür weggezerrt und zum Bett geschleift und dort halb drauf geschubst. „Geht das auch ein wenig sanfter?“, fragte er, als er seine Stimme wieder gefunden hatte, rieb sich währenddessen die rechte Seite, mit der er auf dem Rahmen gelandet war. Schmerzen rissen jeden aus seiner Starre und irgendwie war Jim ihnen dafür sogar dankbar. Er kam sich schon mies genug vor, da wollte er nicht noch vor lauter Lethargie zur Salzsäule mutieren. „Komisch, dass du immer genau DIE Adjektive benutzt, die dir nicht zu eigen sind.“ „Kann ja nicht jeder so perfekt sein wie du“, entgegnete er mit all der Ironie, die ihm innewohnte. Dieser Typ machte ihn irre. Im wahrsten Sinn des Wortes. Egal, was jener sagte oder tat, es machte ihn scharf, verdammt scharf, ließ seine Sinne schwinden und das Adrenalin in seinen Körper steigen. Und das machte ihn verrückt. Er wollte nicht als verliebter Trottel enden, der einem Mann gnadenlos hinterher hechelte. Das einmal getan zu haben, ist schon Schande genug. Ein zweites Mal kam gar nicht in Frage. Nie und nimmer! Aber hatte er nicht gerade erkannt, was für ein Idiot er war? – Die wirklich schlimmen Nachwirkungen kamen bestimmt noch, selbst wenn sie zweifelsohne ausbleiben konnten. Er hätte gewiss nichts dagegen. Oh ja, warum nicht einfach mal allen Voreingenommenheiten entgegen schreiten? Warum sollte auch immer alles nach Schema F ablaufen? „Das überrascht mich ja doch ein klein wenig jetzt, dass du das einsiehst.“ Ray brüstete sich und bekam dafür das Kopfkissen zugeschmissen. „Selten so gelacht. Wie kannst du eigentlich nur so stur sein und immer noch mit mir reden wollen?“ Halt! Zurück! Zurück spulen! schnell! Er hatte sich doch eben vorgenommen, sich nicht stereotypisch zu verhalten! Klasse, dass man die letzten Sekunden nicht einfach streichen konnte. Warum hat eigentlich noch keiner die Zeitreisemaschine erfunden? – Hehe, da würde er sogar gleich ein paar Jahre zurückreisen und… Schon wieder solche absurden Gedanken! Er drehte nun völlig ab. „Wer behauptet eigentlich, dass ich mit dir reden möchte?“ War DAS eindeutig oder nicht? „Ich habe andere Sorgen, okay?“ „Ich aber nicht.“ Und schon stürzte sich Ray auf ihn. Und ehe Jim auch nur ein Wort des Protests einlegen konnte, fühlte er die mittlerweile vertraute Zunge in seinem Mund. Barsch drängte sie seine eigene zurück, nur um sie kurz darauf wild zu umwerben. Warme Hände stahlen sich gleichzeitig unter sein T-Shirt und begannen heftig zu kneten. Selbst wenn er die Gänsehaut von eben wieder losgeworden war, nun war sie spätestens wiedergekehrt, und dazu um einiges ausgeprägter. Aber nach wenigen Augenblicken schon begann er sich zu wehren und als er seinen Mund wieder für sich hatte, konnte er nicht umhin, die Szene mit Worten zu durchbrechen: „Kannst du nicht einmal an dich halten? Mir steht jetzt nicht der Sinn danach!“ Die Last auf ihm wurde ein wenig leichter und dunkle Iriden fokussierten ihn, unterjocht mit einem leicht fiebrigen Glanz. „Wie denn, wenn dein Körper so auf mich reagiert?“ Bitte? – Vielleicht tat er das, ja, aber das tat hier doch gar nichts zur Sache. Oder? Die Antwort sollte er sogleich bekommen, selbst wenn er sie sich schon denken konnte. „Ich möchte jede Faser an dir spüren und wenn ich sehe, wie dich das anmacht, steigert sich in mir die Lust nur noch mehr. Ist das so schwer zu begreifen? – Also können wir endlich weiter machen?“ Als die Worte bei ihm ankamen, stieß er den anderen von sich. Er konnte Ray noch so begehren, ihm war jetzt einfach nicht danach. „Runter von mir! Und raus! Ich habe erst mal anderes zu klären, bevor ich dir zeige, wo der Hammer hängt!“ Wie war das noch gleich? In sechs Tagen hatte er Prüfung. Kein schöner Gedanke, aber das war nun mal so. Und wenn er weiterhin an diesem Kerl klebte, dann würde er sich nur noch mehr Ärger einhandeln. Das konnte ihm keiner weissagen, aber er glaubte es. Und glauben konnte man schließlich viel! „Mach’ doch, was du willst!“ Ohne weitere Worte oder auch nur einen weiteren Blick ging Ray und Jim hörte alsbald das Schlagen der Tür. Jim schloss die Augen, kniff sie fest zusammen und atmete einmal ganz tief ein und aus. Obgleich sein Herz sich nicht beruhigen wollte und er sich vollkommen daneben benommen hatte, traf er eine Entscheidung. Eine, die er schon vor Stunden hätte treffen sollen. Bevor ihm das Malheur mit seinem Prof passiert war. Ab jetzt würde er kämpfen, nichts als kämpfen. Ihm war noch nie was in den Schoß gefallen, er hatte bisher für seine Ziele immer kämpfen müssen, also würde er das auch dieses Mal tun! Lernen bis zum Umfallen! Das war nun seine unabdingbare Devise. Das war gewiss kein Hirngespinst, sondern allein schon seine eiserne Miene verriet die Ernsthaftigkeit dieser seiner Intention. Er hatte nicht vor durchzufallen und sich später immer und immer wieder deshalb Vorwürfe zu machen oder machen zu lassen. Wenn er jetzt nicht alles für seinen Abschluss täte, dann müsste er von sich selbst behaupten, ein Versager zu sein. Ein Idiot, der nicht einmal versucht hat, seine Möglichkeiten auszuschöpfen respektive auszutesten. Und die körperlichen Grenzen? - Die waren erst einmal nicht von Belang! Sollte seine physische Existenz doch rebellieren, solange sie noch diese eine Woche durchhielt. Fünfeinhalb Tage entsprachen ja noch nicht einmal einer Woche, also was sollte der Geiz!? Schlaf und Ruhe konnte er nach der Prüfung immer noch finden. Das musste genügen! Er war jung und das sollte er ausnutzen! Mit einem Arm schob er all den Müll vom Schreibtisch, um diesen endlich wieder zur Verfügung stehen zu haben. Ungeachtet fielen Papier, leere Plastikflaschen und auch Bücher zu Boden. Anschließend setzte er sich auf seinen Drehstuhl, aufrecht, und begann nur noch das vor sich auszubreiten, das er ab nun brauchte. Sonst hatte nichts mehr dort zu suchen! Nun hieß es lernen und lernen und lernen, bis er alles verstanden hatte, und eher erhob er sich dort nicht mehr - natürlich mit Ausnahme von ein paar Bedürfnissen, denen man ab und an nachzugehen hatte. War doch der perfekte Plan, oder nicht? Ja! Und noch mal ja!!! Lernen bis zur Ekstase! Lernen bis zur reinsten Euphorie! Pah, um Ray und Gefühle konnte er sich danach immer noch kümmern. Was scherte ihn das nun!? – Jeder Gedanke an den Typen war nur hinderlich. Also, weg mit ihm aus den Augen und aus dem Sinn! Kapitel 9: Kapitel 9 -------------------- Naja, so recht Lust zum Lernen hatte er ja nicht, aber seine Aversion half ihm auch nicht weiter. Wenn er schon den Mann vertrieben hatte, der ihn wirklich anmachte, dann konnte er sich auch dazu zwingen, all das in sich aufzusaugen, was ihn zumal eigentlich auch interessierte. Klar, es war mühsam und kräftezehrend, insbesondere schlimm, wenn man die Szenerie des Mittags nicht loswurde, aber er würde kämpfen! Opfer konnte man schließlich bringen! Und das hieß eben, zu lernen, was das Zeug hielt und Ray derweil zu vergessen. Vielleicht käme der ja von ganz alleine wieder. Das wäre ja nicht das erste Mal. Die Hoffnung, wenn sie denn eine war, okay, sie war gewiss eine, starb bekanntlich zuletzt. Aber nun sollte er sich nur noch auf eines konzentrieren: auf die wunderbare Welt der Mathematik! Ein paar, also etwa unendliche eineinhalb Stunden lang ging das auch gut, doch dann stöhnte er plötzlich laut auf und wandte sein Kopf nach rechts. Schaute hinaus. Yeah, was er da sah, erfreute ihn gewiss. Er sah nicht die übliche Umgebung, natürlich nicht. Sondern direkt auf Ray, der sich leicht durchsichtig von dem Rest der Welt abhob. Warum konnte er ihn nicht einfach wieder vergessen? Viel war zwischen ihnen schließlich nun auch noch nicht vorgefallen und an sich kannten sie sich gar nicht – abgesehen von der Zunge des jeweils anderen. Das war doch noch lange kein Grund, immerzu den anderen vor Augen zu haben! Verdammt, er sollte sich auf die Uni konzentrieren und nicht auf einen Kerl, der sowieso bereits über alle Berge war! Natürlich galt das nicht für Jim, doch sicherlich für Ray. Jaja, die Hoffnung. Sie schwand und schwand, egal, wie er sich dagegen wehrte. Ray würde nie wieder von sich aus hier auftauchen... Ach, was sollte es! Wer brauchte ihn schon? Es gab Wichtigeres zu bewerkstelligen als eine Affäre mit einem heißen Typen! Einem verdammt heißen Typen! Na und, dann war er eben heiß! Wen störte es! Jim nicht! Gewiss nicht! Warum auch! Das war doch nicht seine Angelegenheit! Nicht mehr! War sie auch nie! Und warum schlug er dann nicht mit der Faust auf den Tisch und besiegelte das? Und wenn schon. Besiegeln war doch völlig unnötig. Hauptsache er sah als oberste Priorität wieder sein Diplom an. Alles andere regelte sich entweder von selbst oder sollte es auf immer sein lassen! Genau! Sollte sein Schicksal doch einfach seinen Lauf nehmen! Ändern konnte man es eh nicht und all die Kraft, die er darauf verwendete, war reine Verschwendung! Sollte denn nicht alles so passieren, wie es passierte? Solche Weisheiten bekam er doch immer zu hören! Und jedes Ereignis habe eine gute Seite… Seine Mundwinkel zuckten heftig. Sollte er nun lachen oder weinen? Weinen kam gar nicht in Frage! Auch diese Facette seines Lebens hatte er hinter sich! Er wollte keine salzigen Tränen vergießen, jetzt nicht und auch in Zukunft nicht! Schon gar nicht mal dran denken! Eben! Solche Gedanken machten ihn nur irre! Und hatte er sich nicht in den Kopf gesetzt zu kämpfen? Sich für das einsetzen, was er unbedingt wollte? Erneut zuckten seine Lippen. „Geh’ weg!“, brummte er das Bild vor seinen Augen an. „Lass mich…“ Mit einer Hand am Fenster rutschte er vom Stuhl und sank auf die Knie. Ja, er kämpfte… gegen die kleinen Perlen, die sich bereits heiß in seinen Augen anfühlten. Seine Hand an der Scheibe verformte sich und seine Finger krallten in den hölzernen Rahmen. Er wollte weg. Nur noch weg. Weg von all dem Chaos hier. Während er den Versuch unternahm, kontrolliert ein- und auszuatmen, verfing sich seine andere Hand in dem Stoff genau über seiner linken Brust. Sein Herz schrie ebenso nach Ruhe. Man, konnte sich die Welt denn nicht wirklich einfach ohne ihn weiter drehen? Musste er denn im Mittelpunkt all der sich überschlagenden Ereignisse stehen? Er wollte all dem entfliehen. Nur noch weg. Natürlich war das mal wieder nicht möglich, aber konnte dieses Universum nicht einmal eine Ausnahme machen? Ihn außen vor lassen, wenn es darum ging, sich wie der letzte Mensch aufzuführen und immer mehr Stress ausgesetzt zu sein? Wochenlange Quälerei, immer mehr Definitionen und Beweise, die sein Hirn aufzunehmen hatten, und dann noch dieser Kerl von Ray. Irgendwann war es doch genug oder nicht? Seine Hand glitt nun hinab und fiel auf seinen Schoss. Seine gesamte Körperhaltung sprach Resignation aus. Für was eigentlich dieser ganze Widerstand? Für was diese ganze Aufopferung? Er hatte keine Kraft mehr, verdammt! Immer, wenn er dachte, es könne alles wieder gut werden, folgte der nächste Dämpfer. Es war einfach nicht mehr auszuhalten. Immerzu geschahen Dinge, die er nicht wollte. Er sagte Dinge, die er nicht sagen wollte. Er tat Dinge, die er nicht tun wollte. Und warum? Weil er völlig überlastet war! Es strömten viel zu viele Sachen auf einmal auf ihn ein. So viel konnte ein Einzelner doch gar nicht verkraften. Ein kleines Individuum und diese Fülle von Ereignissen, Gegebenheiten und Geschehnissen. Ein Paradoxon! Eindeutig grostesk, absurd und paradox! Was wollte man eigentlich von ihm? Sollte er zu allem 'Ja und Amen' sagen? Wollte man ihn willenlos machen? Dass er nur noch auf Impulse reagierte, die ihn zum Wahnsinn trieben? Was sollte das denn alles?... ... Das war SEIN Leben. Es war DAS Leben. Man musste es nicht verstehen. Vielleicht sollte er es einfach so akzeptieren. Und das Beste daraus machen. Er lächelte schwach. Waren das denn nicht nur Sprüche? Ja, vielleicht Erfahrungen, aber unsinnige? Was hieß es denn überhaupt, 'das Beste aus einer Situation machen'? Vielleicht... ... vielleicht... ... in sich kehren und sehen, dass alles halb so wild war? Was waren schon ein paar lächerliche Prüfungen in dem Abbild der Jahre? Was waren schon Noten? Eine Momentaufnahme? Eine Widerspiegelung seines Könnens? Ja, was denn? Und Ray? Was war er für ihn eigentlich? Ein Mensch, den er heiß fand? Der ihn scharf machte? Der in ihm Gefühle auslöste, die nicht zu kontrollieren waren? Und sonst? Verdammt, er konnte in all diesen Fragen alles oder nichts sehen. Die größte Bedeutung oder den größten Schwachsinn. Die salzige Flüssigkeit war wie weggefegt. Stattdessen starrte er mit leeren Augen auf das Holz unterm Fenster. Er sah seine Vergangenheit; Szene für Szene zog sie an ihm vorüber. Freude, Trauer, Glück, Tod, Lust,... Er hatte doch schon einmal alles durchlebt. Doch, warum war die Last dann dieses Mal so verdammt schwer? Er seufzte. Und mit einem Mal wollte er nur noch starke Arme um sich spüren. Heiße Lippen, die ihn mit gierigen Küssen bedeckten. Aber genau das hatte er sich ja an diesem Tage zerstört. Und er war sich dabei nicht einmal sicher, ob er das gehabt hätte. Etwaigen wollte Ray ja nur Sex und verabschiedete sich danach für immer? Wenn er einmal bekommen hatte, was er wollte...? Gott, es war an der Zeit, mit dem Kopf durch die Wand zu rennen. Er sinnierte zu viel. Boah, er war echt grad dabei, sein gesamtes Sein in Frage zu stellen! Doof! Idiotisch! Verrückt! Das half doch nichts! Da konnte man ja beim Urknall anfangen und nie mehr aufhören! Leises, irres Lachen durchbrach die Stille. Fahrig fuhr er sich durchs Haar und mühte sich anschließend auf. Kopfschüttelnd ging er die wenigen Schritte in Richtung Bad und sah dort in den Spiegel. Was er dort erblickte, war pure grausame Wirklichkeit. Er sah mehr als nur fertig aus. Wenn er so weiter machte, würde er in zwei Tagen als Leiche durchgehen. Bleiche Haut, leere, matte, ausdruckslose Augen, kein Glanz, kein Charisma. Wirklich toll sah er aus! Man bräuchte nur noch ein paar kleine Akzente setzen, dann würde er zu Halloween gar keine Verkleidung mehr benötigen. Die Leute bekämen so schon einen Schrecken. Was sollte er nun machen? Er entschied sich für Schlaf. Nach ein paar Stunden reiner Entspannung kam einem die Welt meist wieder rosiger vor… … und so war das tatsächlich. Gähnend streckte er in seinem Bett alle viere von sich. Es war mitten in der Nacht, als er seine Augen aufschlug. Und die Finsternis erschien ihm irgendwie gesonnen. Sie legte Schwärze um seine Gestalt und forderte keinen Elan. Fügte sich widerstandslos in sein Befinden ein. Lange sah er ins dunkle Nichts und genoss die absolute Stille um sich herum. Gut, der Kühlschrank brummte ab und an, aber ansonsten gab es keine nervigen Geräusche. Fast vollkommene Ruhe. Beinahe unbeschränkte Lautlosigkeit. Balsam für seine Seele. Er dachte lange nach, obgleich er an nichts denken wollte. Doch die vergangenen Tage gingen an ihm nicht spurlos vorbei und er wollte wissen, woran er bei sich und bei Ray war. Bevor er einen Schritt auf den schärfsten Typen, den er kannte, jedoch zugehen konnte, musste er sich darüber im Klaren sein, wie es bei ihm weitergehen sollte. Klar, er musste zu dieser wirklich tollen Prüfung mit dem leider nun wirklich tollen Prüfer gehen. Diesbezüglich blieb ihm keine andere Wahl. Wegen eines solchen Vopars würde er sein Studium nicht an den Nagel hängen. Gänzlich wahnsinnig war er doch noch nicht geworden. War das DIE Erkenntnis? Schon seltsam, wie leicht das Leben sein konnte, wenn man nur wusste, wie. Das Chaos ein wenig schlichten und voilà, man hatte etwas mehr Struktur und Klarsicht. Dennoch gab es da noch zwei Dinge, die an ihm nagten. Wie würde es sein, seinem Prof unter die Augen zu treten? Was wollte Ray von ihm? Beziehungsweise wie würde er auf ihn reagieren, wenn er ihn aufsuchte? Diese Fragen waren einfach nicht zu beantworten. Er musste alles auf sich zukommen lassen, doch das war schwerer als gesagt. Und es gefiel ihm daher überhaupt nicht. Gerade konnte er in seinem Bett liegen und das Nichts anstarren, doch was war, wenn der Tag anbrach? Dann würde er realisieren, wie knapp die Zeit zum Lernen war – gut, das tat er unglücklicherweise jetzt auch schon, weshalb sich seine Finger schon wieder an irgendwas krallen wollten. Aber das war ja noch der harmlosere Fakt… Bei Tag sah und hörte er all die Unbeschwertheit, die zwar teils nur Fassade aber, aber dennoch! Er konnte keine glücklichen Gesichter, strahlende Augen und händchenhaltende Menschen ertragen! Die waren ihm momentan einfach zuwider! Mit Stress und Gefühlstumult konnte man wesentlich besser leben, wenn man nur Leute sah, denen es genauso erging, oder wenn man sich gänzlich verschanzen konnte. Aber er wusste genau, dass ihm dann wieder die Decke auf den Kopf fiele. Die Wände standen so dicht, dass man nur einen Schritt zu machen brauchte, um irgendwo anzustoßen. Und die Bib? Da müsste er den Campus überqueren und Gefahr laufen, einen der beiden Personen zu begegnen, die er gegenwärtig nicht gebrauchen konnte. Super tolle Alternativen. Selbst wenn er es schaffte, ungesehen in die Bibliothek zu gelangen, stand einem Zusammentreffen, insbesondere mit dem Prof, nichts im Wege. Wie der Zufall es so wollen würde, würde er ihm direkt in die Arme laufen. War doch immer so, dass man genau auf die Leute traf, die man meiden wollte. Das grenzte doch schon an stochastischer Bewiesenheit! Tja, also was tun? Antworten im Nirgendwo finden. Folglich abwarten und Tee trinken, bis die Erleuchtung kam. Es könnte wirklich mal das berühmte ’klick!’ in seinem Hirn ertönen, damit er einen Ausweg aus seiner Misere wusste. Darauf musste er wohl ebenso warten. Genial! Warum konnte sich sein Hirn nicht einmal derart zermartern, dass es am Ende einen tollen Plan ausspuckte? Nein, es war ja mit viel zu vielen mathematischen Ausdrücken vollgepumpt, als dass es noch denken könnte! Manchmal glaubte er eh schon, ein großes ERROR in seinem Kopf zu tragen. Oder gleich TILT, da Fehler ja noch behoben werden konnten im Gegensatz zu völlig auswegslosen, nicht reparablen Zuständen. Naja, vielleicht implodierte sein Gehirn ja irgendwann vor lauter Überlastung, wer weiß… Super toll. Sollte er nun tatsächlich tatenlos darauf warten, dass etwas passierte? Dass sein Schicksal mal wieder gemein und hinterhältig sein konnte? Vermeintliche Antwort: Ja! Seine Antwort:… Ja! Sollte sich seine Bestimmung doch an ihm austoben! Das tat sie sowieso mit Leidenschaft und Wonne. Nachdem das Resümee der Nacht vollzogen war, konnte er getrost wieder dazu übergehen zu schlafen und ein wenig Energie zu tanken. Die würde er schließlich zur Lerntortur brauchen, die ihm nun unausweichlich bevorstand. Er hatte es sich nun endgültig in den Kopf gesetzt, die Prüfung durchzuziehen und unvorbereitet würde er garantiert nicht vor seinem Prof erscheinen. Sich diesbezüglich lumpen zu lassen, stand gewiss nicht in seiner Absicht. Das wäre ja noch schöner! Sich vollkommen blamieren! Pah, nicht mit ihm! Dem würde er schon zeigen, was Fleiß und Willen bedeutet! Erniedrigung wegen zu wenigem Wissen kam nicht in die Tüte! Das würde er sich nicht zuschulden kommen lassen! Kampfgeist ahoi! Kapitel 10: Kapitel 10 ---------------------- Es wurde Tag und Jim raffte sich mit einem müden Grinsen auf, griff nach etwas Essbarem in den Kühlschrank und bahnte sich damit den Weg zum Schreibtisch. Nachdem dieser ja nun nur noch die Bücher und Ordner beherbergte, die er brauchte, lag folglich der Rest noch immer am Boden und glich dort einer Müllhalde. Aber das kümmerte ihn herzlich wenig. Solange er nicht zu stinken anfing, würde er sich auch nicht dazu bequemen aufzuräumen. Er war groß genug, um über die Berge an Wäsche, Flaschen, weiteren Büchern und anderem Zeugs zu steigen. Bein anwinkeln, die Stelle anvisieren, zu der er wollte und halb springen. Und schon war er dort, wo er hin wollte. War doch nichts dabei. Voller Lebenslust – naja, zumindest mit so viel, wie er aufbringen konnte – ließ er sich auf seinen Stuhl nieder und begann, während er genüsslich auf einer Scheibe Toast kaute, in einem Skript zu lesen… Eine Stunde später. Er streckte sich ausgiebig und nahm dabei den Blick nicht vom Buch weg. Zwei weitere Stunden später. Langsam wurde er ein wenig misstrauisch. Das ging eindeutig viel zu glatt. Wo war der Haken? Wo? Nachdem er die Kirchenglocken hörte, die dreimal schlugen, sah er fassungslos zum Fenster raus. Fünf Stunden lang keine Wut, kein Frust, keine merkwürdigen Weltuntergangsstimmungsgedanken? Hatte er sich letzte Nacht hypnotisiert und sich dabei selbst eingeredet, wieder ein wenig normaler zu sein? Gut, gut, was hieß schon normal, aber wenigstens nicht mehr so hirnrissig und verblödet? Wow, das sollte er weiterempfehlen. Das funktionierte wohl tatsächlich. Er hatte schon von Autohypnose gehört, doch brauchte man dazu nicht eigentlich irgendein Band mit einer ruhigen, sanften Stimme, das man sich vorspielte? Und solch eines hatte er nie und nimmer gehabt! Ha, er hatte eine ganz neue Dimension davon erfunden! Sollte er gleich patentieren lassen! Hey, damit konnte er reich werden! Auch ganz ohne diese ganze Büffelei und ohne diesen verdammten, abartigen Stress! Er würde berühmt werden! Tja, aber was würde er sagen, wenn man ihn fragte, wie man das anstellte? Sich so in Rage versetzen und in eine anschließende Lethargie fallen, dass man am nächsten Tag aufwacht und sich wie ein neuer Mensch fühlt? Ohweh, das war maßlos übertrieben. Aber was hatte er denn gemacht, um nicht vor lauter Frust alles treten und zerstören zu wollen? Wahhh nicht drüber nachdenken! Bloß nicht! Stopp! Jim, aufhööörrreeeen! Zu spät. Ja, und da war seine Idiotie zurückgekehrt. Die eigene Dummheit war einfach immens. Und nun hatte er den Salat. Ray. Ray. Ray. Grrr, das war sein Heilmittel gewesen! Diesen Kerl in die hinterste Schublade seines Hirns verfrachten! Tzzz, und warum blieb die nicht einfach verschlossen? Warum? Natürlich, weil er der letzte Trottel auf Erden war! Wie konnte das auch anders sein. Er selbst gehörte getreten und nicht das unschuldige Mobiliar! Toll, nun hatte er die Bescherung. Ein gewisser Jemand beherrschte nun wieder sein Denken. Er könnte vor Freude platzen. Da, seine Brust beschwerte sich auch schon, so unruhig wie sie sich hob und senkte. Wo blieben die grünen Männchen, um ihn abzuholen? Er hatte hier auf der Erde eindeutig nichts mehr zu suchen. So viel Dummheit auf einmal war zu viel des Guten… … Oben am Himmel schwebte aber kein unbekanntes Flugobjekt rum. Super! Auch das hatte er wohl seinem überaus liebenswürdigen Schicksal zu verdanken. Beam’ und weg! Wäre doch eine galante Lösung gewesen! Oder nicht? Er war doch selbst Schuld. Weshalb dachte er auch darüber nach, warum er nicht wütend war? Kleine Sünden wurden sofort bestraft, da hatte er mal wieder den Beweis für. Nun war nur noch zu überlegen, wie er den Kerl in seinem Denken wieder loswurde. Vielleicht doch die Holzhammernarkose? Das hieße: Zu ihm gehen, ihn hart ran nehmen, und dann byebye sagen. Klang zu diabolisch, oder? Insbesondere stellte sich die Frage, ob ihm das wirklich nützen würde. Etwaigen würde ihn das noch abhängiger von ihm machen. Blöde Gefühle. Die waren so fehl am Platz wie Dreck im Gesicht. Aber einen gewissen Reiz hatte diese Idee ja. Konnte sein, doch da gab es immer noch ein Problem. Mehr als den Vornamen kannte er von dem Kerl nicht, geschweige denn dessen Wohnsitz. Wie also sollte er ihn bitteschön ausfindig machen? Warum wusste er solch wichtige Details eigentlich nicht, mh? So was musste man doch wissen!!! Hey, vor allem nach mehrmaligen Zusammentreffen! Aber nein, er hatte sich ja allein schon mit dem Namen begnügt. Ray… Ray… wow, damit konnte er doch nicht auf die Walz gehen! Okay, dann ein neuer Plan: Er bildete sich nun so stark ein, dass Ray vor der Tür stehe und nur darauf warte, dass er sie aufreiße… Verflucht, er tickte nicht mehr sauber! Als ob Telekinese zwischen ihnen beiden existieren würde! Natürlich! Klar doch! Wenn es weiter nichts ist. Er brauchte Urlaub, ansonsten würde er noch gänzlich durchdrehen. Da hatte er schon mal für ein paar Stunden seinen Kampfgeist zurückgewonnen gehabt und dann verfiel er wieder dieser verdammten Litanei der Gefühle. Das war alles zu viel. Er brauchte eine Woche Pause. Pause von all dem, was auf ihn einströmte. Mehr konnte er nicht mehr ertragen! Irgendwann war auch sein Pensum überschritten! Ja, und das war hier und jetzt der Fall! Es gab gerade nichts, was ihn heiter stimmen konnte, was ihn ein wenig aufmuntern konnte. Klar, die Prüfung würde am Mittwoch vorbei sein, danach würde er eventuell sein Diplom in der Tasche haben, doch was war daran denn so toll? Da standen lediglich ein paar Zahlen auf einer Urkunde. Wow! Überaus spannend! Und all die Zeit des Lernens für kleine schwarze Ziffern, die über einen an sich gar nichts preisgaben? Und all das gekrönt mit einem Menschen, über den er nichts wusste, der ihn aber zum Narren machte!? Das war einfach nur Wahnsinn! Purer Spott seines frönenden Loses! Wann hatte er denn bitte den Vertrag dafür unterzeichnet? Hatte er denn danach geschrieen, genau dieses Leben zu wollen? Na? Konnte ihm das denn wenigstens jemand vorzeigen? Tzz, wo blieb der überirdische Notar!? Da! Da schwebte ja doch was am Himmel! Ein kleiner Fleck in der weiten Ferne… Genau da wünschte er sich hin. Weit, weit weg. Dahin, wo es keine Sachbücher und keinen Ray gab… … Mensch, es hätte aber auch mal klopfen können! Schließlich hatte er den Gedanken daran ja noch nicht vollkommen verdrängt. Vielleicht konnte er ja doch irgendwelche Gedanken übertragen? Eine Hand landete schmerzvoll an seiner Stirn, die dort anschließend liegen blieb und nur so weit hinabglitt, bis sie seine Augen verdeckte. Ein paar Tage Ruhe, wirklich nur ein paar Tage… Warum gönnte man sie ihm nicht? Warum? Immer und immer wieder fragte er sich, weshalb man einen festen Prüfungszeitraum für solch wichtige Prüfungen vorgab? Warum das System an Ungerechtigkeit kaum zu übertreffen war? Super, andere Studiengänge, die obendrein mit seinem sehr verwandt waren, hatten so etwas nicht. Da durften sich die Studenten die Prüfungen so legen, wie es ihnen beliebte. Selbst wenn das bedeutete, pro Semester nur eine einzige zu machen oder überhaupt keine. Aber bekamen keine schwereren Fragen gestellt. Nein, warum sollte auch differenziert werden zwischen denen, die nur vier Wochen für ALLE Prüfungen an Zeit hatten, und denen, die mit einem Lächeln ihr Studium so gestalten konnten, wie sie wollten, gänzlich ohne Vorschriften. Der Witz an der Sache war außerdem, dass sich die Studiengänge lediglich im Nebenfach unterschieden. Das muss ein genialer Kopf ausgeklügelt haben! Wie er nun darauf kam? Das war doch offensichtlich! Er hätte keinen solchen Druck, wenn er mehr Zeit hätte! Seit Wochen tat er kaum was anderes als lernen. Durfte sich eigentlich keinen Tag des Verschnaufens leisten. Da konnte man doch nur seinen Verstand verlieren. Man pumpte sich von oben bis unten mit Informationen voll. Und sobald man glaubte, es würde besser werden, kam der nächste Wolkenbruch. Okay, dass ihm ein Kerl über den Weg lief, hätte keiner erahnen können, aber das war eben das i-Tüpfelchen seines Stresses. Irgendwann musste damit Schluss sein! Oh Gott, wie er die Zeit nach der Prüfung ersehnte! Der Tag des Krieges konnte kommen! Er würde seinen Prof umhauen, wenn er ihn aufgrund des kleinen, kaum nennenswerten Zwischenfalls auflaufen lassen würde! Man musste Privates vom Beruflichen trennen! Oberstes Gebot im Geschäft! Also, was hatte er zu befürchten? – Nichts! Rein gar nichts! Ja, ihm war klar, dass solche Prinzipien kaum Anklang fanden. Die Menschen fühlten sich doch immer gleich angegriffen, wenn sie Dinge sahen, die ihnen ein Dorn im Auge waren. Sie waren plötzlich wieder voll die Primitivlinge, wenn es darum ging, einem einen Fehler zuzugestehen. Cut! Nicht noch mehr reinsteigern! Das brachte nichts, würde ihn vielmehr noch mehr in die Enge treiben. Also aufhören, bis es wirklich zu spät war. Mit einem Mal erstarrte Jim völlig. Nicht einmal mehr seine Brust wollte sich mehr recht heben und senken. Er halluzinierte. Bekam man denn nicht immer voll die Horrorvisionen, wenn man total am Ende war? Bloß… … ja,… nein… das hatte er sich eben eingebildet. Das wäre total absurd! Er hatte Stimmen von draußen vom Gang vernommen. Aber nein, das spann er sich gerade alles nur zusammen und da war nichts, aber auch rein gar nichts dran! Aber… hatte sich die eine nicht doch gefährlich nach seinem Prof angehört? Und die andere nach Ray? Haha, er war nun unwiderruflich bereit für die Irrenanstalt. Es klopfte und Jim zuckte völlig zusammen. Seine Beine gaben unwillkürlich unter ihm nach und er landete hart auf seinen Knien. Bevor ihm aber ein Schmerzenslaut entweichen konnte, biss er sich auf die Unterlippe. „Jim?“ Definitiv Ray. Fußtrampeln, nur kurz. Getuschel. „Jetzt mach schon auf oder ich trete deine Tür ein!“ So würde Ray doch niemals in Anwesenheit eines Professors reden, oder doch? Man konnte ja nie wissen, aber nein, das war verrückt! VERRÜCKT! Tief sog er die Luft ein und kämpfte sich unbeholfen bis zur Tür vor. Kurz lauschte er, doch auf der andern Seite war es nun vollkommen still. Dann riss er ungalant die Tür auf und sah sich einem lächelnden jungen Mann gegenüber, der Arm in Arm mit einem anderen Typen dastand… Kapitel 11: Kapitel 11 ---------------------- Jims Atem stockte und seine Brust verengte sich. Er versuchte sich an einem Lächeln, doch das misslang ihm vollkommen. Sein Gesichtsausdruck glich einer Fratze, die seinen Schock nur allzu gut widerspiegelte. Während sein Unterkiefer nach unten sackte, realisierte er, dass er seiner Sprache gerade nicht mächtig war. Dabei wollte er den anderen verfluchen. Wo waren denn all die Worte, wenn man sie am dringendsten brauchte? „Schade, eigentlich wollte ich mal wissen, wie es ist, eine Tür einzutreten. Naja, egal auch. Zieh’ dir was drüber und starre mich nicht an, als ob du einen Geist sehen würdest.“ Wild blinzelte Jim mit den Augen, denn Rays Selbstgefälligkeit ließ das Blut in seinen Adern in Lichtgeschwindigkeit wieder tauen. Was dachte sich dieser Affe eigentlich! Kam mit irgendeinem Kerl im Arm her und erteilte auch noch Befehle! „Ich ziehe mir gar nichts an!“, zischte er zurück. „Doch das wirst du.“ Ray nahm eine Hand und verpasste dem Kleineren neben ihm eine Kopfnuss. „Ich habe dir ja gesagt, dass er stur ist“, meinte er an ihn gewandt. Boah, das gab’s nicht! Offensichtlicher konnte er ihm ja gar nicht weismachen, dass er überflüssig war. Und was seine Aufforderung, sich ausgehbereit zu machen, sollte, wusste er nicht, aber sie machte ihn nur noch rasender. Er war doch kein Hund, der aufs Wort gehorchte! Toll, in wen hatte er sich da eigentlich verknallt? Hä? Konnte ihm das sein bescheidenes Herz mal verraten? Es litt eindeutig an Geschmacksverirrung! „Nimm deinen Spielgefährten und zisch ab!“ Sofort begann Ray zu lachen. „Das mag er ja ab und an sein, aber schnapp dir endlich ein paar Schuhe und eine Jacke und komm’ raus! Oder soll ich dir behilflich sein?“ Eine Hand wurde nach Jim ausgestreckt, die er ruppig von sich stieß. Man, er wollte nicht! Kapiert? „Nenne mir auch nur einen guten Grund, das zu tun!“ Seine Augen blitzten und dennoch konnten sie sich einfach nicht wieder von dem anderen abwenden. Irgendwas hatte der Typ, dass er ihn immer von Neuem fesselte, egal wie sarkastisch oder selbstherrlich er war. „Du benötigst unumgänglich einen Weg, dich abzureagieren. Also fackle nicht länger und tu wie dir geheißen.“ Ja und welch eine Überheblichkeit! Und doch… stand er einfach nur da und bellte. Zwar nicht ganz so unartikuliert wie ein Hund, aber in gewisser Weise genauso wütend, wie wenn jener seinen Knochen nicht bekam. Was für ein Vergleich! Ray war doch nicht sein Herrchen! Grrrr, was dachte er eigentlich für einen Schrott? „Wenn du mich noch einmal aufforderst, dann reagiere ich mich an dir ab!“ Und warum sagte der andere Kerl nichts? Schaute ihn einfach nur an und trug dieses abartige Funkeln über den Iriden? Gott, wenn er schon sein Liebhaber war, dann musste er ihn mit seiner Anwesenheit nicht auch noch belästigen! Schon das bloße Zugegensein war wie ein Messer, das sich tief in ihn hinein schnitt! „Das darfst du, wenn du endlich deine Schuhe anhast. Aber wenn du die nicht brauchst, dann gehst du eben so mit, mir soll’s egal sein.“ „Ich gehe mit dir nirgends hin. Du hast doch jemanden, mit dem du dich vergnügen kannst!“ Ohweh, Eifersucht! Und dann gab er sie auch noch so offen zu. Boing! Toll, nun gab er dem anderen auch noch die Bestätigung, die er anscheinend gewollt hatte, denn Ray nahm seinen Arm von seinem Begleiter weg und stürzte sich auf ihn. Jim rechnete mit dessen heißen Lippen, doch die bekam er nicht zu spüren. Ob er darüber enttäuscht war oder nicht, wusste er selbst nicht, da der Groll in ihm stetig anwuchs. Er war doch kein Pingpong-Ball, den man beliebig oft hin- und herschupsen konnte! Ruhe! Ja, er war selbst nicht besser, aber er durfte das! Sein Privileg und Ende! „Nimm deine Pfoten von mir!“, schnaubte er, als er Hände überall an sich spürte. Sie kamen und gingen, wie es ihnen beliebte, und vernebelten ihm die Sicht. „Halt still, sonst bekomme ich die Schnürsenkel ja nie zu!“ Was? Dass er gerade seine Schuhe angezogen bekam, hatte er vor lauter Gegenwehr und betörender Nähe gar nicht mitbekommen. Er fühlte sich gerade wie ein Kleinkind, das arg bemuttert wurde. Und das ging ihm so was von gegen den Strich! Er trat nach Ray und traf ihn ungünstigerweise an der Nase, die augenblicklich zu bluten begann. „Trottel!“ Benommen verharrte Jim an Ort und Stelle. Er hatte sich nicht mehr unter Kontrolle, das hatte er sich gerade eben selbst bewiesen. Aber war der Typ nicht selbst schuld? Konnte er ihn denn nicht einfach in Ruhe lassen und musste sich ständig in seine Angelegenheiten mischen? „Das kann ich dir nur zurückgeben Schließlich kann ich mich allein anziehen.“ Ein wenig kleinlaut klang seine Stimme ja schon, wofür er sich schalt. Reue? Pah, so was gehörte nicht zu seinem Wortschatz! Er hatte all diese Eigenschaften begraben und sie sollten sich gar nicht erst wieder zu ihm gesellen. Mit ihnen konnte er nichts mehr anfangen! „Hast du dann wenigstens ein Taschentuch?“ Und schon quetschte sich Ray an ihm vorbei, sich dabei eine Hand unter die blutende Nase haltend. Super, dann sollte er sich eben wie zuhause fühlen! War ihm doch egal! So konnte er zumindest den anderen mustern, der sich bisweilen stumm aus allem herausgehalten hatte. „Na, nimmt er dich auch schön hart ran?“ Keine Antwort, nur ein Flackern in den blauen Augen. Dann spürte Jim eine Hand auf seiner Schulter, warmen Atem an seinem Ohr. „Mein Bruder ist stumm, also kannst du ihn noch so viel anschreien wie du möchtest.“ B-r-u-d-e-r? Wie in einem falschen Film sah er von einem zum anderen. Jetzt, wo es raus war… Sie sahen tatsächlich ähnlich. Da gab es mehr als nur eine verfluchte Parallele. Verdammt! Er avancierte in der Tat immer mehr zum Esel. Gleichgültig, was er tat oder dachte, es war immer verkehrt. Jetzt könnte er echt ein paar Marsmännchen gebrauchen, die ihn entführten! „Bist du endlich so weit?“ Unwirsch wurde er von Ray in die Seite geboxt und damit aus der Tür gestoßen. „Geht das auch sanfter?“ „Das hast du mich schon einmal gefragt und auch dieses Mal lautet die Antwort: Nein!“ Minuten vergingen, in denen Jim nichts mehr von sich gab. Er trottete neben den beiden her und verlor sich dabei in seiner eigenen, kleinen Welt, die momentan eher zu einem ganzen Universum ausartete. Was tat er hier eigentlich? Folgte doch tatsächlich dieser arroganten Art von Mensch und schaltete dabei wohl völlig sein Hirn ab! Naja, das konnte eh nicht mehr recht arbeiten, aber allein aus Prinzip hätte er sich niemals aus seinem Zimmer schubsen lassen dürfen! „Dein Brummen macht mich ganz heiß“, säuselte eine vertraute Stimme. Unwillkürlich klärte sich Jims Blick. „Was?“ Er war doch still gewesen! Oder nicht? Spitzbübisch wurde er von Rays Bruder angelächelt. Na toll! Nun hatte er schon gegen zwei anzugehen! Was für tolle Aussichten! Ha, aber was die konnten, konnte er schon lange! Er lief einen Schritt schneller und schlang einen Arm um die Taille des Kleineren, der sich ein wenig verkrampfte. Verstohlen blickte Jim zu Ray. Na, sah er auch schön zu? Mit seinen Lippen streifte er das Ohr des anderen. Eigentlich hatte er vorgehabt, ihm etwas zuzuraunen, doch das verkniff er sich. Stattdessen fuhr er seine Zunge aus und berührte mit ihr kurz dessen Läppchen. „Du tust ihm weh!“ Jim hatte gar nicht bemerkt, wie fest er seine Finger in das Fleisch des Kleineren gekrallt hatte. Er hatte sich dermaßen verspannt, dass er das gar nicht wahrgenommen hatte. Und das nur, weil er es Ray heimzahlen wollte. Die Prognose dafür konnte er sich sparen, die sie war sowieso hinlänglich bekannt. „Wohin gehen wir eigentlich?“ Themenwechsel! Die beste Art von sich abzulenken! Mürbe sah er sich um. Die Gegend kannte er, aber was sollte es hier schon großartiges geben? Alte Häuser, karge Gärten, leergefegte Straßen. Wow, was für ein Anblick! „Das wirst du schon noch sehen.“ Er konnte es nicht leiden, keine konkreten Antworten zu erhalten! Aber da er sich bereits aufführte wie ein quietschendes Auto ließ er alle weiteren Nörgeleien sein. Sonst würde er eventuell noch einmal Rays Bruder Schmerzen zufügen und das stand gewiss nicht in seiner Absicht. „Schließ’ die Augen!“ Schon folgte eine Hand, die ihn zwang, seine Lider zu senken. Eine weitere legte sich behutsam - boah und wie geil sich das anfühlte! – auf seinen Rücken und manövrierte ihn gekonnt über Stufen und andere Hindernisse. Alles in ihm genoss diesen Augenblick. Diese unweigerliche Nähe und dieser abgöttische Geruch, den der andere verströmte. Unbewusst tastete sich eine seiner Hände zu der über seinen Augen liegenden vor. Er wollte Ray noch intensiver spüren, seine Finger mit den Seinigen vereinen, ihn fühlen, ihn… „Sei nicht so ungeduldig.“ Pah, damit hatte seine Aktion doch gar nichts zu tun! Merkte Ray denn nicht, wie ihn das erregte, wie sein Körper reagierte? Er bereute nicht einmal mehr, nicht einfach wieder umgekehrt zu sein, als er die Chance dazu hatte. Diese Hand auf seinem Rücken war lüstern, sie schob sich ab und an tiefer und wieder höher. Vermutlich gänzlich bewusst von Ray geführt. Aber das machte ihn heiß! Er wollte mehr davon haben! Doch dann war sie weg und die andere auch. Und Jim fröstelte im ersten Moment, sah sich aber nun seine Umgebung genauer an. „Für wen ist der denn?“, fragte er ein wenig verächtlich und zog die Augenbrauen nach oben, deutete mit einem Finger auf das Ungetüm vor ihm. „Na, für dich. Oder siehst du hier jemanden, der ihn dringender nötig hat?“ „Sag’ mal, bist du völlig von Sinnen? Sehe ich dermaßen krank aus, dass du mich grün und blau schlagen lasse?“ Tzz, er brauchte ihn und sonst nichts!!! „Hast du eigentlich gegen alles etwas einzuwenden? Ich habe hier extra alles organisiert und du kannst nichts als protestieren. Und wenn du dich unbedingt weiterhin aufführen willst, dann tu das gefälligst im Ring!“ „Ich schlage mich hier mit keinem! Denn ich habe keinen Bock, entstellt zur Prüfung zu erscheinen!“ Hey, da hatte er sich endlich entschieden, diese letzte Prüfung zu machen und dann kam Ray mit so was! Der hatte ja nicht mehr alle! „Ach, so ein Veilchen würde sich doch gut machen“, meinte Ray unter einer Lachsalve und zwinkerte ihm keck zu. „Vielleicht in deinem Gesicht, aber nicht in meinem.“ „Okay, dann lass es uns“, er umgriff Jims Hand mit seiner, „ausprobieren!“, und zog ihn hinter sich her in den Boxring, der mehr eine Art Provisorium war, aber dennoch ziemlich riesig war. „Gut“, sie standen sich nun gegenüber. „Gleich sehen wir ja, wem es besser steht.“ Bitte? Er sollte sich mit Ray prügeln? Das konnte nicht dem sein Ernst sein! Als er sah, wie der Kleinere ein Schild mit einer großen 1 drauf hochhielt, wusste er nun auch über dessen Einsatz hier Bescheid. Das konnte doch nicht wahr sein! Er stand gerade nicht wirklich dort und sah eine Faust auf sich zufliegen, oder? Als sich diese aber in seinen Magen grub und er laut aufstöhnte, war er sich gewiss, nicht einfach nur schlecht zu träumen. „Mistkerl! Was soll denn das?“ Der nächste Hieb traf an ihn an der Schulter. Er spürte sein Herz pochen, das Blut in seinen Adern kochen. Er ließ sich hier doch nicht ungeschoren verprügeln! Das würde er ihm mächtig büßen! Mit loderndem Feuer in den Augen richtete er sich auf und visierte Ray an. Der hatte beide Arme angewinkelt und schützend auf Augenhöhe postiert, tänzelte leichtfüßig auf und ab. Der machte wirklich Ernst! Jim ballte seine eigenen Hände zu Fäusten und lief auf den anderen zu… Ein stechender Schmerz durchfuhr ihn, doch er schlug gnadenlos immer weiter um sich. Seine Kräfte schwanden zusehends, doch er wollte sich partout nicht geschlagen geben. Wie er es allerdings schaffte, sich ein letztes Mal aufzurappeln und sich auf den Dunkelhaarigen zu stürzen, wusste er nicht, aber bald sah er sich auf dem anderen halb liegen, halb sitzen. Hatte einen Arm Rays unter seinem Körper begraben, den anderen hielt er geschickt fest. „Immer noch heiß auf ein blaues Auge?“, presste er keuchend zwischen seinen Lippen hervor. Kapitel 12: Kapitel 12 ---------------------- Es schien eine Ewigkeit zu vergehen, ehe sich Rays Mundwinkel nach oben bogen. Wie konnte der Kerl in solch einer Situation überhaupt noch grinsen? „Nein, dafür aber auf etwas ganz anderes.“ Und schon spürte Jim, wie sich der Körper unter ihm anspannte, sich dann aufbäumte und sich auf diese Weise aus dem Klammergriff befreite. Und bevor er auch nur eine Sekunde zum Reagieren Zeit hatte, war er derjenige, der auf den Boden gedrückt wurde. „Es reicht!“, ächzte Jim. „Jetzt geht’s doch erst richtig los“, raunte Ray und presste seine Lippen auf Jims. Mit einem Mal durchströmte diesen eine Hitzewelle, die sich tosend ihren Weg durch ihn hindurch bahnte. Der Kuss war hart. Er glich reinster Begierde. Jim schmeckte Blut und Schweiß. Aber auch die Süße des anderen. Sein Herz hämmerte in seiner Brust, seine Lunge schrie förmlich nach Luft. Die Welt drehte sich. Er spürte unter all der Lust die Schmerzen, die ihm zugefügt worden waren. Sein Kinn protestierte gegen den zähen Kampf ihrer Zungen. Gleichzeitig wuchs die Gier. Die Gier nach ihm! Nach seinen Lippen! Nach… „Ahhh!“ Funkelnde Sterne… Schwärze, die sich über ihn legte… Zögernd schlug er die Augen auf und wurde sogleich von grellem Licht dazu gezwungen, sie wieder zu schließen. „Und ich dachte, du seiest härter im Nehmen.“ Er spürte, wie ihm ein kalter Lappen auf die Stirn gelegt wurde. Fühlte eine Hand, die behutsam über seine Wange strich. Fest biss er die Zähne zusammen, als er seinen Arm blind nach Ray ausstrecken wollte. Beißender Schmerz durchzuckte ihn. „Nicht bewegen!“ Ach! Das hätte ihm ja mal früher gesagt werden können! Trotz der ekelhaften Helligkeit hob er seine Lider wieder an und sah an sich hinab. „Keine Sorge. Ist nur eine Prellung. Du solltest deinen Arm aber für heute schonen.“ „Danke, Herr Doktor! Aber auf deine Diagnose kann ich gut und gerne verzichten. Schließlich hast du mich da hineinmanövriert.“ „Kaum wieder bei Bewusstsein und schon wieder bissig“, stellte Ray schulterzuckend fest. „Halt’ doch die Klappe…“ Na, das war ja nun wieder toll! Bei solch einer Aktion konnte ja nichts Gutes bei rauskommen! Wie auch! Hatte sie nicht zu seiner Beruhigung dienen sollen, Meister Ray? Wahnsinnsplan! Schmerzen halfen ihm sicherlich bravourös beim Lernen! „Nicht aufstehen!“ Tzz, von dem Kerl ließ er sich nichts mehr sagen! „Lass mich! Ich geh nach Hause.“ „In diesem Zustand lass ich dich nicht gehen. Für heute bleibst du bei mir.“ Was? Wie bei ihm!? In dieser alten Hütte konnte Ray doch unmöglich wohnen! Jim nahm nun zum ersten Mal seine Umgebung richtig wahr. Kein blöder Boxring. Keine verschmierten Fenster. Klare Luft. Rays Bett? Er spürte einen dicken Kloß in seinem Hals. Nun musste er abwägen: Vernünftig sein und liegen bleiben und es sich dabei in SEINEM Bett bequem machen oder uneinsichtig sein und heim trotten, wo das Lernzeug auf ihn wartete. Also, wenn er schon die Wahl hatte, dann… „Seit wann so fürsorglich, hm?“ Die Sticheleien konnte er einfach nicht lassen. Schließlich war Ray es ja, der das alles verbockt hatte. Er sollte eigentlich gerade konzentriert an seinem Schreibtisch sitzen und pauken. „Seit ich dich da habe, wo ich dich haben will“, meinte der andere, ohne von der Packung in seiner Rechten aufzusehen. „Und du sprudelst mal wieder förmlich vor Überheblichkeit.“ „Bitte?“ Ray sah auf und ihn an. „Lege deinen Arm frei, das will heißen, zieh dich aus.“ Er grinste breit. „Übernimm du das doch.“ Jim ließ mit seinen Blicken nicht locker. Er wollte den anderen herausfordern, denn mit einem Mal wollte er wissen, ob Ray auch liebevoll mit ihm umgehen konnte. Ja, das mochte absurd sein, aber es interessierte ihn tatsächlich. Bisher kannte er nun mal nur die stolze, selbstherrliche Seite von dem Dunkelhaarigen. Und wenn sein Herz schon einen Kollaps bekam, wenn er ihn sah, dann wollte er auch wissen, ob es nicht nur einem Phantom nachjagte. „Aber gerne.“ Und schon fühlte er warme Hände unter seinen Pullover gleiten, der nicht einmal ihm gehörte, wie er gerade feststellte. „W-was ist mit meinen Klam-motten passiert?“ Mist! So zittrig hätte seine Stimme nun auch nicht klingen müssen! Aber die Geschmeidigkeit der Finger auf ihm war wie eine süße Qual, nur viel zu schnell vorbei. „Die waren voller Blut und Schweiß. Hätten nur mein Bett eingesaut.“ Eine angenehme Kühle verströmte die Salbe, die Ray auf seinem Arm verteilte. Wow, und wie zärtlich er war! Das konnte einem nur die Sinne rauben! Genießerisch schloss Jim seine Augen und versuchte mit jeder Faser seines Körpers die Finger auf ihm wahrzunehmen. Sanft, behutsam, bedacht. „Wenn ich hiermit fertig bin, wirst du dann wieder zum räudigen Tier?“, schmunzelte der Dunkelhaarige und spürte, wie sich jener unter ihm leicht verkrampfte. „Oder muss ich dafür nur noch ein wenig weiter machen?“ Ray ging dazu über, seine Finger weiter wandern zu lassen als nur über die Schulter und den Arm. Zügig arbeiteten sie sich zu seinem Hals vor und tiefer hinab. So sehr Jim dagegen ankämpfte, nicht lustvoll aufzustöhnen, es gelang ihm nicht. Gleichzeitig wusste er, dass er eingehend gemustert wurde, aber ganz ehrlich? Wen juckte das denn? Solche Berührungen waren die reinste Verführung! Und warum sollte er sie nicht bis ins kleinste Detail auskosten? Dann seufzte er eben ergeben! Na und! Das war schließlich das, wonach er sich seit dem Tag sehnte, an dem die Lippen des anderen ihn das erste Mal trafen. Und egal, wie sehr er sich allein schon gegen seine Fantasie gewehrt hatte, die Realität war Wahnsinn! Vernebelnder, irremachender Wahnsinn! „Uhhh“, entfuhr es ihm dann doch ein wenig zu laut, als er zwei Finger an seiner einen Brustwarze spürte, worunter er selbst aufschreckte. Als er die Augen aufriss, sah er aber lediglich in sprudelnde dunkle Iriden, die ihm stumm mitteilten, dass das nur der Anfang gewesen war. „Weißt du schon, dass das unfair ist?“ Ray antwortete nicht, sondern verbiss sich sachte mit seinen Zähnen in Jims Ohr. „Mich erst krankenhausreif schlagen, nur um mich in dein Bett zu kriegen.“ Wahh! Jim, nicht reden! Genießen! Aber nicht reden! Wie blöd war er denn? Er schaltete in der Tat wohl immer sein Hirn ab, wenn er die betörende Nähe des anderen spürte! „Tja, damit musst du wohl leben. Außerdem hast du auch ausgeteilt, oder nicht? Und zudem musst du zugeben, dass dir das gut getan hat“, säuselte er leise, sein Gesicht immer noch direkt neben Jims. „Könntest du dich von meinem Arm bequemen?“, presste Jim hervor. Und der durchzuckende Schmerz nahm ihm den Nebelschleier, sogar seine Erregung. „Danke dir ganz herzlich.“ Ja und, dann klang er eben unfreundlich und unzufrieden! Ray war doch eh nur an seinem Körper interessiert. Die Mächtigkeit der Gefühle, die er in ihm auszulösen vermochte, behagte ihm sowieso immer noch nicht. „Wusste ich doch, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis du wieder zickig wirst.“ Z-I-C-K-I-G??? Boah, das durfte keiner zu ihm sagen! Keiner!!! Der würde nicht ungeschoren davon kommen. Niemals! „Nenne mich noch einmal so und du wirst das bereuen! Das schwör ich dir!“ „Ach, seit wann darf man denn die Wahrheit nicht sagen?“ Unschuldig sah Ray Jim an, nachdem er sich neben das Bett auf einen Stuhl gesetzt hatte. „Die Wahrheit? Die werde ich dir gleich geben!“ Ruckartig richtete sich Jim auf und obgleich ihn der Schmerz zerriss, den seine Schulter aussandte, funkelte er sein Gegenüber an. „Mit einem Invaliden prügle ich mich nicht“, meinte Ray gelassen. Grr, woher nahm der nur immer diese Ruhe! Das konnte doch nicht wahr sein! Er kochte schon wieder vor Zorn und dieser Kerl machte einen auf obercool! Was wollte er eigentlich von ihm! Sex konnte er sich auch woanders holen. Dazu brauchte er den Typen nicht! „Die Tür ist verschlossen, versuch’s erst gar nicht.“ „Du kannst mich hier nicht festhalten!“ Er lief geradewegs zurück zu Ray und packte ihn mit seinem unversehrten Arm am Kragen. Man, warum kochte er eigentlich schon wieder über vor Wut? Mussten Leidenschaft und Zorn so nahtlos ineinander übergehen? Toll, und woran lag das? Weil er Gefühle hatte! Gefühle!! Für diesen Typen, den er gerade grob festhielt. „Was willst du eigentlich von mir, hm?“ „Hast du das immer noch nicht begriffen?“ Süffisanz in seinem Blick. „Und danach schmeißt du mich weg wie eine leere Packung, oder was?“ „Kannst du nicht mal den Augenblick genießen?“ „Verdammt! Das könnte ich, wenn…“ Plötzlich verstummte Jim und ließ den anderen los, drehte sich sogar von ihm weg. „Wenn was?“ „Vergiss es einfach und lass mich hier raus!“ Und schon wirbelte er wieder herum und funkelte Ray an. „Nein, das werde ich nicht tun.“ „Muss ich dir das erst eintrichtern, dass ich gehen will?“ „Und wie soll ich dir beibringen, dass ich das nicht zulasse?“ War der Typ schwer von Begriff oder wollte er ihn bewusst zur Weißglut treiben!? „In welchem Stock sind wir hier eigentlich?“, fragte Jim, während er schon halb auf dem Weg zum Fenster war. Wenn er hier nicht bald rauskäme, würde er die Vergangenheit aufleben lassen und das wollte er nicht! Er musste schleunigst hier raus! „Im vierten, also denke gar nicht erst dran.“ Hatte Rays Stimme einen besorgten Unterton? – Nein! Gewiss nicht! Reine Einbildung! Jim öffnete das Fenster und sah gen Straße. Grob geschätzte 12 Meter hinab. Solch einen Sprung würde er niemals unbeschadet überstehen. Hätte der Typ nicht einfach im Erdgeschoss wohnen können? Alles in ihm spielte verrückt. Einerseits wollte er Ray um den Hals fallen, ihn an sich ziehen, ihn küssen, aber andererseits hatte er sowieso schon viel zu viele Berührungen zugelassen. Solange er wusste, dass der Kerl nur mit ihm spielen wollte, konnte er sich nicht länger bei ihm aufhalten. Ein weiteres Mal wie eine heiße Kartoffel fallen gelassen zu werden, konnte er nicht ertragen! Warum wollte er denn alle herumkommandieren? Warum nahm er sich denn all das, was ihm beliebte? Und warum hatte er denn sein Herz verschlossen? Pah, Liebe! Auf die konnte er gut und gerne verzichten. Also so schnell wie möglich raus hier und alles, was mit Ray zu tun hatte, in eine Kiste verpacken und ins Nirgendwo verschicken! Wie schon einmal erwähnt: Befriedigung konnte er sich jederzeit woanders besorgen! „Mach mal halblang.“ Ray stand nun dicht neben ihm. „Ach und falls ich springen sollte, würdest du doch nur um einmal hemmungslosen Sex kommen. Also spiel dich hier nicht als meinen Retter auf!“ „Wer sagt dir denn, dass ich das möchte?“ „Na, deine selbstherrliche Art. Wie du sprichst, wie du schaust, wie du dich benimmst. Einfach alles!“ „Atme mal tief ein und aus und wiederhole das noch mal, aber mit ruhiger Stimme, ja?“ Jim setzte an, doch er konnte nicht. Leise ging das nicht! „Und nun lege dich zurück ins Bett und sammle neue Kräfte für deine Prüfung, sonst erwürgst du mich am Ende noch, wenn du durchfällst.“ Wie konnte der nun auch noch an seine Prüfung denken? Das nahm ihm gerade den letzten Wind aus den Segeln. Geschlagen schmiss sich Jim aufs Bett. Was ging eigentlich hier vor sich? „Komm’ mal her.“ Er deutete mit einer Hand neben sich. „Willst du mir gleich an die Gurgel, oder was?“, grinste Ray, doch tat sogar wie ihm geheißen. Ließ es sich dabei aber nicht nehmen, einen Arm an Jims Seite entlang zu streifen. Kurz biss sich Jim auf die Unterlippe. Eigentlich sollte er nun aufstehen und verschwinden, und wenn das hieße, die Tür einzuschlagen! Er sollte sein Innerstes einfach verdrängen! Er starrte weiterhin an die Decke und dachte gar nicht dran, Ray anzusehen. Warum hatte er ihn eigentlich hergebeten? Er spürte ihn überall an sich, obgleich sich lediglich ihre Arme berührten. „Wenn ich dich erwürgen würde, würde ich mich endlich wieder auf die Uni konzentrieren können.“ Die Stille verschluckte beinahe jedes einzelnes Wort, so leise wie sie gesprochen wurden. „Schrei mich nicht so an“, feixte Ray und erntete dafür pures Schweigen. „Hey, was hast du denn auf einmal?“ Immer noch keine Reaktion seitens Jims. „Die Decke ist wirklich interessant. Schau’, voller Unebenheiten… … Magst du mich nun für den Rest deines Lebens anschweigen, oder was soll das hier werden?“ „Halt’ einfach den Mund, okay?“ Gott, konnte der Kerl nicht einfach mal ruhig sein? Er focht im Inneren gerade einen Kampf aus und brauchte kein dummes Geschwätz, das in der Nähe seines Ohres gehaucht wurde! Weshalb war er überhaupt hier? Wenn er diese dumme Klausuraufsicht nie geführt hätte, wäre ihm das alles erspart geblieben! Toll, nun war auch noch sein Hiwi-Job schuld! Prima! Den wollte er doch nächstes Semester fortführen… eigentlich…. Moment!... „Von nun an berührst du mich nie wieder, verstanden? Schließlich korrigiere ich deine Übungsblätter und wenn das mit uns rauskommt, bekomme ich noch nachgesagt, dass ich dir die Punkte schenken würde. Pah, nicht mit mir!“ Na und! Dann war das gerade eben völliger Schwachsinn, doch er konnte endlich einen Sieg über sich selbst erringen! „Pech gehabt, denn ich gebe ja eh keine ab.“ Was? Verdammt! Das stimmte auch noch! Mist, wie konnte er sich denn nun herausreden, hä? Irgendwas musste es doch geben! „Die Decke ist immer noch hochinteressant, was?“ Grrr, konnte der nicht wirklich mal die Klappe halten? Er musste schließlich nachdenken. Gut, das war ein unfruchtbares Unterfangen, aber dennoch! „Lauter kleine Dellen und-“ Jim presste eine Hand auf Rays Mund und funkelte ihn nun an, versuchte, sich dabei nicht in den unendlichen Tiefen zu verlieren. „Könntest du vielleicht doch mal so freundlich sein und einfach still sein, ja?“ Als er realisierte, dass er gerade halb auf Ray lag, wurde ihm heiß und er spürte regelrecht, wo sich die Wärme in ihm zentrieren wollte. Und als sie das tat, nahm Rays Gesicht einen seltsam lüsternen Ausdruck an, spiegelte sich insbesondere in dessen Augen wider. Verflucht! Von ihm konnte er nicht auf nur das Eine wollen, so sehr er sich das auch einzureden vermochte! Er wollte ihn. Ganz! Und nur für sich! „Denk’ gar nicht erst dran“, brummte er den unter sich liegenden an. „Und verrat mir, wo der Schlüssel ist, sonst mach ich wirklich noch Kleinholz aus der Tür.“ „Imener Dhache.“ Jim nahm die Hand weg und Ray wiederholte grinsend. „In meiner Tasche, hol’ ihn dir doch!“ Ohne zu zögern griff Jim hinein, blendete allerdings dabei aus, wo er ihn gerade berührte. Als er ihn hatte, sprang er auf, unterdrückte den Schrei, der ihm auf der Zunge lag aufgrund des Schmerzes, der ihn durchfuhr, und hastete zur Tür. „Kann mich dich irgendwie umstimmen?“, wurde ihm hinterher gerufen, doch er reagierte nicht darauf. Gedanklich hielt er sich die Ohren zu und flüchtete. Er flüchtete nur indirekt vor Ray. Vielmehr wollte er seiner Vergangenheit entfliehen… Kapitel 13: Kapitel 13 - ENDE ----------------------------- Dass das Leben dieses Mal mehr Glück für ihn parat hielt, konnte er partout nicht glauben! Das ging einfach nicht! Die Enttäuschung saß dafür viel zu tief in ihm. Ja, er hatte die Vergangenheit ausgelöscht gehabt! Zumindest dies die letzten zwei Jahre geglaubt. Tzz, wer konnte auch ahnen, dass sie mit einem Schlag zurückkäme? Diese Szenerie, von der er am liebsten niemals ein Teil gewesen wäre? Komm’ Schicksal, mach ihn fertig! Mach nur! Er hatte ja noch nichts durchgemacht, also sollte es sich doch keinen Zwang antun! Mit Scheuklappen lief er nach Hause. Dazu brauchte er nicht einmal lange, denn Ray wohnte anscheinend nicht weit von ihm entfernt. Aber er wollte niemanden sehen! Als er die Tür hinter sich zuschlug, sank er an ihr hinab. Er wollte nicht! Er wollte diese Gefühle nicht haben! Sie machten ihn krank! Hatte er denn so nicht schon genug um die Ohren? Na, verdammtes Leben, was sagte es dazu? Höhnte es weiterhin? Sprudelte es weiterhin vor Spott? Lernen, Uni, Ray, lernen, Ray, Uni… Irgendwas stimmte daran nicht! Aber gewaltig nicht! Ray!!! Der passte einfach gerade nicht zum Rest! Man, warum konnte er ihn nicht einfach vögeln und gut ist? Dann wäre doch alles Paletti. Er hätte ein wenig Spaß gehabt und fertig! Aber nein! Er musste sich ja zu allem Überfluss verlieben! Und dieser Kerl machte ihm durch seine Art deutlich, dass er diese Gefühle gewiss nicht teilte! „Warum?“ Die Antwort blieb selbstverständlicherweise aus. Ein leeres Zimmer konnte nun einmal nicht antworten; und selbst wenn es dazu in der Lage gewesen wäre, wäre es stumm geblieben. Manchmal gab es eben keine Antworten… Und warum wehrte er sich eigentlich so gnadenlos? Warum kämpfte er gegen all das an, was vielleicht doch etwas Gutes an sich hatte? Nur weil die Enttäuschung etwaigen zu immens sein konnte? Ja! Genau deswegen! Weil er ein elender Feigling war, der vor allem davonlief! Mittlerweile sollte er doch gelernt haben, gegen das Schicksal anzugehen, oder doch nicht? War es der Stress, der ihn alles tausendmal intensiver erleben ließ? „Prüfung…“, murmelte er vor sich. Exakt! Auf die würde er sich von nun an pausenlos konzentrieren. Kein Abschweifen mehr! Überhaupt kein sonstiger verschwendeter Gedanke mehr! Und seinen Arm würde er bisweilen auch gekonnt ignorieren. Der würde sich die nächsten Tage eh wieder regenerieren, also war der auch kein Problem!... … Und so kam es auch. Er wagte es nicht mehr, von seinen Büchern aufzusehen. Er stürzte sich regelrecht in die Lernerei! Alles um ihn herum wurde die reinste Nichtigkeit. Sein Abschluss stand wieder über allem anderen. Die letzten Tage vor der Prüfung vergingen damit wie im Flug, auch wenn sie an seiner Substanz zehrten. Denn er mied jedweden Schritt nach draußen, dachte während des Aufenthalts im Bad ausschließlich an Mathe und bugsierte sich immer tiefer in ihre eigene, formale Welt. War doch prima, dass sie nichts Emotionales an sich hatte, sondern rein auf Logik basierte. Verständnis war gefragt und das allerbeste war doch, dass man Antworten erhielt! Klar gab es Probleme, deren Antworten noch ausstanden und die hoch dotiert waren, aber die berührten ihn doch nicht! Gingen ihn nichts an! Zumindest waren sie für ihn eher unwichtiger Natur, da er sich eh nicht als denjenigen ansah, der die kompliziertesten Beweise aus dem Ärmel zauberte. Dafür gab es andere, insbesondere geniale Köpfe! Das Wetter hatte sich mit ihm verändert. Seit Stunden regnete es in Strömen und das war ihm nur Recht! So wurde er nicht durch nerviges Kindergeschrei oder lachende Menschen abgelenkt. Ha, nichts und niemand konnten ihn mehr davon abhalten, wie ein Irrer zu pauken und damit die ganze Umwelt auf ‚aus’ zu schalten! Tja, dann war es eben bereits Dienstag. Seinem Prof würde er es schon zeigen! Der würde sich nicht trauen, ihn wegen irgendwas Unverwerflichem anzufeinden! Dazu hatte er kein Recht! Außerdem: Vielleicht hatte der genauso Dreck am Stecken? Na? Wusste das wer? Er würde morgen da hin gehen und sich sein Diplom sichern. Wäre doch gelacht, sich wegen einem Ausrutscher die Zukunft verbaut zu haben! So ungerecht konnte nicht mal sein Schicksal sein!... … Dann stand er vor dem Büro des Professors. Fünf Minuten, dann würde er ihm gegenübertreten müssen. Haha, warum schlich sich denn gerade jetzt die Unruhe in seine Glieder? Hatte er denn nicht bis jetzt alle Zweifel abgelegt? Pah, kein Wunder dass sie zurückkamen. Denn allein die Präsenz des Namens an der Tür ließ den undefinierbaren Blick seines Profs in sein Denken zurückkehren. Nein, er würde sich hier und jetzt nicht fertig machen! Das kam gar nicht in Frage! Er war so weit gekommen, nun würde er da rein gehen und sich durch fachliches Können beweisen! Obendrein konnte es ja sein, dass ihn sein Prof nicht wieder erkannte? Gut, das war unwahrscheinlich, da in seinen Vorlesungen meist nur zwanzig Leute saßen, aber das würde er sich nun einreden und basta! Geh’ da rein! Klopf schon! Jetzt mach hinne! Tja, er brauchte gar nicht klopfen, denn die Tür ging von allein auf… … Für einen Moment wollte Jim im Erdboden versinken. Doch wenn er sich jetzt klein machte, dann würde er dem anderen nur eine Bestätigung geben. Und das konnte er nicht zulassen! Also versuchte er sich an einem freundlichen, unbekümmerten Gesichtsausdruck und an einem höflichen ‚Guten Morgen.’ „Kommen Sie rein.“… … Während der nächsten halben Stunde durchlebte Jim das reinste Chaos. Immer wieder musste er sich versichern, dass ihn sein Prof nicht doch anstarrte mit dem purstem Vorwurf und dem reinsten Ekel im Gesicht. Wie er es dabei bewerkstelligte, die Fragen zu beantworten, wusste er nicht. Gut, er hatte ab und an mal einen Hänger, doch als ihm auf die Sprünge geholfen wurde, konnte er sie überwinden. Zahlte sich eben doch aus, beim Lernen alles abzutöten, was hinderlich war! Nein das war zu einfach gewesen. Das konnte es nicht gewesen sein! Das konnte es nie und nimmer gewesen sein! Einen Fuß vor den anderen setzend lief er vor dem Büro auf und ab. Es fehlte nur noch seine Note. Ha! Jetzt würde er ihn dennoch gnadenlos durchfallen lassen! Stopp!! Der Beisitzer hatte ihn nicht gesehen, also Kommando zurück! Aber… … irgendwas war doch faul, oder nicht? Oberfaul! Die Tür ging auf und er sah in dem Gesicht seines Professors das strahlendste Lächeln. Wollte er ihn damit verspotten, oder was? Bemüht selbstsicher betrat er wieder das Büro und blickte die anderen beiden abwartend an. „Setzen Sie sich bitte.“ Weshalb? Das musste er doch sonst nicht tun! Ansonsten bekam er seine Note gesagt und durfte gehen! Jetzt würde die Welt untergehen! Er sah das schon kommen. „Sie haben eine wirklich gute Leistung erbracht, wie ich es nicht anders erwartet hatte.“ Zwinkerte der ihm gerade schelmisch zu? Jim konnte es nicht fassen. „Nur sollten sie in Zukunft besser Acht geben, wie Sie ihre Ziele umsetzen.“ Ein irres Lächeln stahl sich auf seine Lippen. Er war völlig unnötig so bescheuert gewesen. Alles, was er sich eingeredet hatte, war schierer Mist gewesen. „Ähm ja, werde ich machen.“ Oder kam doch noch der Paukenschlag? Eine Hand wurde ihm entgegengestreckt, die er abwesend ergriff. Er hatte bestanden. Um es noch mal auf der Zunge zergehen zu lassen: Er hatte BESTANDEN! Wie in Trance lief er durch die Fakultät und über den Campus. Das Adrenalin kroch noch durch seinen Körper. Fühlte er sich deswegen so high? Er hob völlig ab und wurde dieses blöde, irre Grinsen nicht mehr los. All die Mühe hatte sich gelohnt. Tatsächlich. Bis er zurück in seiner Wohnung war, was allerdings mehr als eine Stunde dauerte, weil er indessen einfach nur noch den Wind auf seiner Haut spüren wollte, schwebte er auf Wolke sieben, doch als er realisierte, was er dafür aufs Spiel gesetzt hatte, wich die Freude aus seinem Gesicht… Er hatte Ray aufgegeben und mit einem Mal kamen ihm Noten und Abschlüsse wie der letzte Mist auf Erden vor. Nein, er würde nun weiterhin glücklich sein! G-L-Ü-C-K-L-I-C-H!!! Man, er hatte seine bescheuerten Prüfungen hinter sich. Was hatte da Melancholie in seinem Befinden zu suchen? Konnte ihm das mal jemand erklären? Er hatte doch seit Monaten nichts anderes mehr gewollt, als sein Diplom erfolgreich zu absolvieren. Und warum war das mit einem Mal nicht mehr seine Erfüllung? Er müsste doch gerade jetzt die ganze Welt umarmen wollen! Alles und jeden! Toll, das wollte er auch. Jemand speziellen. Er wollte seine Freude mit Ray teilen. Aber das hatte er sich gründlich verbockt. Schließlich hatte sich der Dunkelhaarige seit seinem letztmaligen Verschwinden nicht mehr gemeldet, war nicht mehr unerwartet aufgetaucht. Und das konnte Jim obendrein auch noch verstehen. Wie oft hatte sich denn jener um ihn bemüht, hm? Oft! War Ray denn nicht derjenige gewesen, der immer auf ihn zugekommen war? Der ihn immer aus der Reserve hatte locken wollen? Sich seine ganzen Beschimpfungen ungerächt angehört hatte? Wow, er hatte es echt vermasselt. Richtiggehend verpatzt! Seine Zukunft war gesichert. Doch was war denn ein Leben ohne Menschen, die man gern hatte? War es denn dann noch überhaupt halb so viel wert? Er sah sich schon vor sich, wie er den ganzen Tag den Workaholic schlechthin mimte. Wie er an seinem Schreibtisch festzukleben schien, nur um nicht nach Haus ins leere Nobelappartement zu müssen. Yeah, das war eine tolle Zukunftsvision! Überaus überragend! Er musste zu Ray. Nun konnte er ja nichts mehr verlieren. Er konnte es ja nicht noch schlimmer machen, als es ohnehin schon war. Und selbst wenn Ray nur das Eine wollte, dann würde er das eben genießen. Vielleicht konnte er sich ja Gefühle seinerseits erkämpfen. Er hatte dermaßen für diese blöde Prüfung gepaukt, dann war das doch ein Kinderspiel, oder nicht? Klar, seine Erkenntnis kam ziemlich spät, doch er hatte sie immerhin. Ha, manche hatten sie nie! Also war er doch schon richtig fortgeschritten, oder etwa nicht? Da! Machte er gerade seit Ewigkeiten mal wieder einen Schritt nach vorn? Geschahen doch noch Wunder? Nun wusste er ja, wo Ray wohnte und seine Füße trugen ihn willenlos genau dorthin. Aber was würde er ihm sagen, wenn er ihm gegenüberstand? Dass er der größte Trottel war, den es je gegeben hatte? Er klopfte. Umso schneller er das hinter sich hatte, umso besser. Wiederum berührten seine Knöchel das Holz der Tür. Und noch mal. „Ray!!!!“ Nein, das konnte nun nicht wahr sein! Konnte der Typ nicht einfach daheim sein? Was dachte der sich, nicht da zu sein? „Ray!“ Er trat gegen die Tür. Das gab’s doch nicht! Er musste ihn sehen, hier und jetzt! Man, er wollte ihm um den Hals fallen und nie mehr loslassen. Selbst auf die Gefahr hin, abgewiesen zu werden. Schließlich musste er es auf einen Versuch ankommen lassen! Das wusste er nun! Verdammt, warum hatte er das nicht früher einsehen können? Das war dieser dumme, abscheuliche Stress gewesen! Unter Strom konnte man einfach nicht klar denken, was Emotionen anbelangte! Das war einfach unmöglich. Immenser Druck und Gefühlschaos? Eines war hinzunehmen, aber keinesfalls beides! Zumindest nicht in solch gewaltigen Ausmaßen! Nun hatte er das, was er immer haben wollte. Aber eben bevor er Ray kennengelernt hatte. War es denn nicht immer so, dass man im größten Stress die unmöglichsten Entdeckungen machte? Dass man genau dann die Person traf, die alles auf den Kopf stellte? Und erst danach feststellte, was man von sich gestoßen hatte? Erneut malträtierte er mit seinem Fuß die Tür. Verflucht! Aber er hatte auch keinen blassen Schimmer, wo Ray stecken konnte. In der Uni? Bei seinem Bruder? Bei Kumpels? Bei einem Lover? Jim schluckte. Nein, das wollte er sich nicht vorstellen. Gewiss nicht! Ray mit einem anderen im Bett. Toll, nun begann er auch noch, sich zu hassen. Er hatte doch eine Chance gehabt. Vielleicht sogar zwei. Nein, drei? Und? Er hatte keine von ihnen ergriffen. Wie man das nannte? – Blödheit! Schiere Torheit! War Ray ja nicht zu verdenken, dass er sich nun anderweitig vergnügte. Hätte er denn anders gehandelt, wenn er kein ehrliches Interesse an demjenigen gehabt hätte? Sicher nicht. Aber allein die Vorstellung, Ray mit einem anderen in den anrüchigsten Positionen war widerwärtig. Nein, es tat vielmehr weh. Es schmerzte. Und wie! Er sollte eindeutig noch einmal verprügelt werden! Aber dieses Mal mit einem bitteren Ende. Sein Arm war schließlich ja wieder zu gebrauchen. Unzufrieden und irgendwie gelähmt stieg Jim die Treppen wieder hinab und trat hinaus an die Luft, die Regen in sich trug. Sollte der Himmel eben weinen. Würde sich doch sowieso nur blendend in seinen Zustand fügen. Er achtete gar nicht darauf, wohin er ging, doch als die ersten Tropfen tatsächlich in sein Gesicht stoben, sah er sich nach einem Unterschlupf um. Eigentlich hatte die Nässe ja was für sich, doch er musste sich nun nicht auch noch eine Erkältung einfangen. Und da bemerkte er, wo er sich unwissentlich hinbegeben hatte. Genau an den Ort, wo sie sich duelliert hatten. Die Inszenierung war doch wirklich gut erdacht gewesen. Ray schien sich viele Gedanken gemacht zu haben. Toll, dass er das auch mal begriff. Sein Hirn war eindeutig überlastet gewesen. Ob er ihn hier wieder sah? Hoffnung keimte auf, wurde aber sogleich im Keim erstickt. Ray war nicht da, keiner war da. Gähnende Stille trat ihm entgegen. Muffige Luft, gepaart mit Lethargie und bedrückender Dunkelheit. Er legte sich mitten in den Boxring, der heute einsam und verlassen in der Mitte des Raumes verweilte… Nagende Stille. Könnte nun nicht Rays selbstgefällige Stimme die Ruhe durchbrechen? Das süffisante Grinsen vor seinen Augen erscheinen? Er hatte es sich verdammt noch mal längst eingestanden, dass er ihn liebte! Warum brachte ihm das das Glück nicht ins Herz? Vor wenigen Stunden hatte er seine Prüfung bestanden! Man, er wollte ihm diese gute Nachricht mitteilen und ihm anschließend alle Sinne rauben! Hach, die Prüfung war doch völlig gleich, er wollte ihn lediglich an sich reißen! Ihm ins Ohr hauchen, was er fühlte, ihm damit eine wohlige Gänsehaut bescheren! Verflucht! Er hatte alles beendet, bevor es wirklich angefangen hatte. Und dafür musste er nun leiden. Gerechterweise das Stechen in seiner Brust fühlen. Die Kühle fraß sich unter seine Kleidung, legte sich auf seine Haut. Hah, anders hatte er es auch nicht verdient! Ein langsames, qualvolles Dahinsiechen war doch mehr als nur rechtmäßig, oder nicht? Seinen letzten Liegestreik hatte er aufgegeben, doch dieses Mal würde er das nicht tun! Das war wenigstens der Ort, der ihn mit Ray verband. Der ihm groteskerweise Nähe und auch irgendwie Geborgenheit vermittelte. Hier konnte er verharren! In Erinnerung an Ray. Nein, er hatte mit seinem Leben noch lange nicht abgeschlossen! Aber wo sollte er denn hin, wenn Ray schon nicht auffindbar war? Er wollte den Dunkelhaarigen bei sich haben, doch das konnte er gerade nicht. Daher musste er sich wohl mit diesem lächerlichen Ersatz in Form des Boxrings begnügen. Damit hatte er wenigstens etwas! Besser als nichts lautete die Devise! Ein warmer Luftzug streifte ihn. Absurderweise tatsächlich warm. Kaum vorstellbar in diesem alten Gemäuer, wo doch der Regen gerade über ihm hereinbrach. Pah, aber was sollte er sich noch über so was Gedanken machen! Er hatte doch erkannt, was ihm nun wichtig war! Und diesen Menschen würde er noch an sich binden können! Irgendwie würde das doch zu managen sein! Etwas piekste in seinen Arm. Liefen hier etwa schon Ratten durch die Gegend? Grummelnd riss er die Augen auf und nach dem unerwünschten Tier treten zu können. Als er nach rechts blickte, stockte ihm allerdings der Atem. Er halluzinierte! „Ray?“, entfuhr es ihm unbewusst. „Heute so kleinlaut?“ Da war das gewohnte überhebliche Grinsen. Boah und wie verführerisch das war! Nein, diesmal kroch nicht die Wut in seine Glieder, eher das Gegenteil war der Fall. Rücklings stürzte er sich auf den anderen und umklammerte ihn wie ein Wahnsinniger. „Du erdrückst mich.“ „Egal.“ Er konnte ihn einfach nicht mehr loslassen. Das war schier unmöglich! Das würde er nie wieder tun! Nie wieder! Noch einmal würde er sich ihn nicht durch die Lappen gehen lassen! „Ich bekomme echt kaum noch Luft.“ „Dann belebe ich dich eben wieder.“ Gut, er lag mit all seinem Gewicht auf Ray, aber er war eben nicht gewillt, sich auch nur einen Millimeter von ihm runterzubequemen. „Dann kannst du gleich damit beginnen“, presste der andere hervor. Na, das war doch sein Stichwort, oder nicht? Mit seinen Lippen suchte er die des anderen und pustete sachte hinein. „Besser?“, erkundigte er sich grinsend. Endlich war es an ihm, solche locker flockigen Sprüche zu bringen. Wow, das war besser als jedwedes Bestehen einer dummen Prüfung! „Naja, ist noch ein wenig verbesserungswürdig.“ Das konnte er gerne haben! Sanft presste Jim seinen Mund auf Rays und verwickelte ihn in einen Kuss, der an diesem Tag zwar viel Leidenschaft in sich trug, aber viel gesitteter vonstatten ging. Er fühlte regelrecht die Vibration, die ihn befiel. Das Schlagen seines Herzens und… Spürte er wirklich auch Rays Herz trommeln? Die Welt um ihn herum drehte sich. Sanft prasselte der Regen aufs Dach. Nach einer Ewigkeit löste er sich wieder von dem unter ihm liegenden. „Wie war’s?“ „Brauchst du dafür noch eine Bestätigung?“ „Immer doch“, lächelte er. „Akzeptabel.“ Ey! So war das aber nicht gewettet! Er knuffte ihm in die Seite. „Sag das noch mal!“ „Mittelmäßig.“ „Dann lass ich dich eben ersticken.“ „Na endlich hast du deinen Biss wieder.“ „Ach, ich soll dich beißen.“ Da er nicht umhin konnte, grub er seine Zähne in Rays Hals, aber nicht tief. Und dennoch spürte er den anderen unter sich beben, obgleich er selbst zu zittern schien. „Bist du neuerdings unter die Vampire gegangen?“ Jim leckte mit seiner Zunge über die rötliche Stelle. „Unter die Hunde?“ „Du kannst wirklich nie deine Klappe halten, oder?“ Er sah ihm tief in die Augen. „Irgendwie muss ich dich ja aufziehen.“ „Tja dumm nur, dass du dieses Mal den Kürzeren ziehst.“ „Stimmt nicht.“ „Ich habe dich aber in der Hand.“ „Eben drum.“ Was? Jims Hirn ratterte einen Moment lang. „Du bist manchmal echt schwer von Begriff“, fügte Ray an und begann zu grinsen. „Schau nicht so pikiert. Das steckt sonst noch an.“ Irgendwie wusste Jim gerade nicht, was er sagen sollte, darum verbarg er sein Gesicht einfach in Rays Halsbeuge. „Daran könnte ich mich glatt gewöhnen. Sanft wie ein Welpe.“ „Red keinen Stuss!“, knurrte Jim, genoss dabei aber jede einzelne Faser, die er berührte, roch und spürte. „Hast du das wirklich nie bemerkt?“ Betretenes Schweigen. „Wow, an dir prallt echt alles ab wie an einem Stein. Dann muss ich dir das eben auf andere Weise klarmachen!“ „Ich steckte mitten im Stress“, versuchte Jim sich zu verteidigen. „Ich gebe dich nie wieder her“, hauchte Ray ihm nun ins Ohr. Gänsehautalarm! Die Worte hallten immer und immer wieder nach. Der nackte Wahnsinn! Nein, nun wurde er nicht rot! Blut, halt! Nun wusste er definitiv, dass er gänzlich bescheuert gewesen war. Ja, ein verblödeter, hirnamputierter Volltrottel! „Wie kann ich das wieder gut machen?“ „Ich wüsste da schon was.“ Ray strich mit einer Hand über Jims Rücken und krallte seine Finger anschließend in dessen Hintern. „Aber dieses Mal entkommst du mir nicht wieder.“ „Das will ich auch gar nicht.“ Endlich hob Jim seinen Kopf wieder an. Feuer traf auf Feuer. Die Hitze in ihm wuchs von Augenblick zu Augenblick. Und einem Fakt war er sich gewiss: Dieser Akt würde nicht der letzte sein! „Hier?“, fragte Ray. „Warum nicht?“, meinte Jim und forderte sich nun einen vor Gier strotzenden Kuss ein. Während ihre Zungen um die jeweils andere warben, glitt Jims Hand unter Rays Hemd und tastete sich verlangend vor. Berührte jeden Quadratzentimeter Haut, erforschte jeden noch so kleinen Winkel. Doch mitten in seiner Bewegung hielt er inne, da der Dunkelhaarige zusammenzuckte. „Das stammt von unserem letzten Aufeinandertreffen, aber nicht der Rede wert. Damit sind wir quitt oder siehst du das anders?“ Da Jim sich nicht rührte, übernahm Ray das Kommando. Er fuhr mit beiden Händen unter den Bund der Hose und massierte das warme Fleisch, das sich ihm dort darbot. Ein Stöhnen drang durch den Raum. Das weckte die Lust in Jim und warf all die Hemmungen über Bord! Er konnte es gar nicht mehr erwarten, Ray zu betören und von ihm gänzlich über die Reling der Vernunft geschmissen zu werden! Mit jeder Facette wollte er ihn spüren! Ihn streicheln, ihn massieren, ihn küssen, an ihm lecken! Und schon traf er dessen Bauchnabel, höhlte ihn aus und glitt tiefer. Ja, er würde ihn sich nehmen! Und gleichzeitig genommen werden! Lust traf auf Wahnsinn! So sollte es sein und nicht anders! Und er würde es genießen! Garantiert! ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ ENDE Ich danke allen, die meine Story bis hierhin gelesen haben! Freut mich wirklich, euch ein wenig unterhalten haben zu können. Morgen ist meine letzte Prüfung und ihr habt mir dabei geholfen, die Zeit bis dahin zu überstehen. *allemalindenarmnehmundfestedrück* Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)