Alchemy Invasion von Ling-Chang ================================================================================ Lebensfreude ------------ Ein Schmetterling flog über die Parkbank hinweg auf den großen Springbrunnen in der Mitte des ummauerten Parks zu. Es war ein Zitronenfalter, der im Licht der Sonne immer öfter verschwand und irgendwo wieder auftauchte. Die Wasserfontäne des Brunnens, die ungefähr einen Meter in den Himmel schoss, plätscherte fröhlich in die verschiedenen Becken. Tropfen um Tropfen verursachte eine wunderschöne Melodie zusammen mit dem Gesang der Vögel, die ihre Runden über den Wipfeln der vier Bäume, die hinter der Bank wuchsen, drehten. Einige Bienen sammelten fleißig den Honig und flogen von Blume zu Blume. Die schönen Pflanzen streckten ihre Blüten von den am Wegrand liegenden Blumenbeeten der Sonne entgegen. Das kleine Mädchen fiel zwischen den schönen Dingen gar nicht auf, weil es sich ohne Probleme in die Umgebung einfügte. Es war sehr dünn, hatte schulterlange blonde Locken und die wunderschönsten blauen Augen, die es weit und breit gab. Sie glänzten wie Sternensaphire und waren voller Freude. Es lächelte und strich sich ein paar Strähnen aus dem Gesicht. Erst jetzt konnte man das kindliche aber schön geformte Gesicht wirklich betrachten. Es war die Tochter eines Mitglieds des Heiligen Rates. Es war die Tochter von Yonobawa, Kichiro und Yonobawa, Kaori. Hoshiko En. Insgeheim liebte sie es, wenn die gleichaltrigen oder sogar älteren Jungen ihr nachspionierten, um von der Mauer verborgen einen kurzen Blick auf sie erhaschen zu können. Doch im Moment war es ziemlich ruhig, für eine Großstadt sogar relativ still. Feok-Akhami war sonst voller geschäftiger Leute, Händler oder Gauklern, die ihr Glück auf dem Markt versuchten. Hoshiko summte leise ein Lied vor sich hin und wackelte mit dem Kopf. Bald würde erneut eine Versammlung des Heiligen Rates stattfinden. Diesmal aber in Anduil. Sie war noch nie in Taens Hauptstadt gewesen und freute sich daher doppelt auf den anstehenden Besuch dort. Ihre ganze Familie würde beispielhaft zusammen anreisen und für eine Weile in einem gemieteten Haus unterkommen, nur damit ihr Vater mit neun anderen Männern und den drei Obersten des Landes über die derzeitige Wirtschaft und Politik diskutieren konnte. Aber warum nicht? Es würde ihr sicherlich Spaß machen, durch die endlosen Parkanlagen und Wiesen zu streifen. Vielleicht gäbe es da ja auch Jungen, denen sie den Kopf verdrehen konnte? Obwohl … eigentlich hoffte sie, dass nicht allzu viele auf ihr Aussehen reagieren würden, denn irgendwie besaß man keine Privatsphäre mehr, wenn man einmal als Schönheitswunder entlarvt wurde. Ein Seufzer entrang sich ihrer Kehle. Nur noch eine Wochen und sie könnte die Classic Star Academy Anduil besuchen. Das war die berühmteste Menschenschule, die es gab. Es war eine weiterführende Schule. Nach der Elementar Schule kam eine Classic Star Academy – zumindest bei den Menschen. Bei den Alchemisten war es etwas anders, so lautete ein Gerücht. Sie besuchten zuerst die Alchemy Academy und verließen sie mit zwölf Jahren, also in Hoshikos Alter. Nach der Alchemy Academy gab es nur noch eine Hochschule. Man nannte sie liebevoll Al-Acad-Uni, was so viel bedeutete wie: Alchemy Academy University. Die Alchemisten besuchten diese Schule nur noch zwei Jahre, bevor sie endgültig bereit für ihre Laufbahn waren, doch nicht alle nahmen diese Chance wahr. Viele gingen auch bei Mastern in die Lehre, um ihre Stärken in ihren Beruf umzuwandeln. So war es für einen alchemistisch handwerklich begabten Schüler schlauer, wenn er eine Lehre bei einem handwerklichen Alchemisten begann, als weiterhin in einer Hochschule zu studieren. Sowieso war das Studium an dieser Schule nur für Hochbegabte, zumindest sagten das die Gerüchte. Hoshiko fragte sich, warum es in Feok-Akhami keine Alchemisten gab. Sie hatte den alchemistischen Gauklern immer gerne zugesehen. Feuerspucker, Wasserspeier … Ein lauter Gong weckte sie aus ihren Tagträumereien. Das war die Glocke der Kapelle und der Laut bedeutete nur eins: Zeit das Studium fortzuführen. Aber was erbrachte ihr ein Studium? Sie war eine Frau und besaß keine Rechte. Schließlich sollte sie am Ende ja sowieso vor dem Herd landen. Unglücklich verheiratet mit einem reichen Mann, der ihrem Vater politische Vorteile sicherte. Wenn sie so nachdachte, fand sie den Gedanken zu schwänzen, eigentlich sehr plausibel. Nickend machte sie sich auf den Weg zum Haupthaus von Feok-Akhami. Ihrem Zuhause. Und dem großen Schloss am Ende der Hauptstraße, die geradewegs vom Eingangstor zur Haustür führte. Müde schritt sie durch die Gänge des dunklen und einsamen Schlosses. Nichts war ihr lieber als ein paar Freunde an ihrer Seite. Doch auch hier konnte Hoshiko nur passen. Freunde hatte sie keine. Das lag zum größten Teil daran, dass die meisten nur mit ihr zusammen sein wollen, weil sie die Tochter des Segmentführers Yonobawa war. Hoshiko zählte die Tage wie im Countdown. Zwei. Es waren nur noch zwei Stück. Sie hibbelte auf ihrem Bett herum und sah zwei Hofdamen dabei zu, wie sie Kleid um Kleid in großen Koffern verschwinden ließen. Hoshiko hatte mitgezählt. Es waren inzwischen schon 24 ihrer liebsten Rüschenkleider. Mal waren sie weiß, ein andern mal blau-weiß, dann wieder schwarz-weiß, ab und zu auch gelb und rot, oder vielleicht ein samtenes Grün? Eigentlich waren alle Farben dabei. Es waren aber alles Rüschenkleider. Meist ging der Kleidersaum Hoshiko bis zu den Knien. Dort endeten alle in einer feinen Spitze. Dazu trug Hoshiko dann Strumpfhosen und die gerade neu erfundenen Lackschuhe – natürlich in passender Farbe. Ein paar Hüte oder Haarbänder, Haarreifen, Zopfgummis und Kämme verschwanden ebenfalls im Koffer. Ihr Blick wanderte aus dem Fenster. Was würde wohl geschehen? Aufgeregt biss sie sich auf die Lippe, obwohl ihre Mutter gesagt hatte, sie solle das lassen. Damen tun so etwas nicht, hatte sie Hoshiko ausgeschimpft. Eigentlich hatte ihre Mutter ja Recht, doch die Aufregung und Anspannung wollte dennoch nicht verschwinden. Wenn sie heute Abend schlafen gehen würde, dann wäre es beinahe so weit. Morgen würden sie aufbrechen und übermorgen ankommen. Heute und morgen. Hoshikos Gesicht leuchtete freudig und als sie bemerkte, dass die Hofdamen immer wieder fragende Blicke zu ihr warfen, wischte sie mit einer Handbewegung die Neugierde der beiden beiseite und stolzierte in den Vorraum. Ihr Gemach bestand aus drei Zimmern und einem Baderaum. Im ersten Zimmer befand sich der Vorraum. Ein Kamin und Empfangsmöbel waren dort, falls es mal dazu kommen sollte, dass Prinzessin Yonobawa, wie sie von jedem genannt wurde, Besuch empfangen wollte. Im zweiten Zimmer war ein Ankleideschrank. Eigentlich war es kein richtiger Schrank. Vielmehr waren es Regale und Schränke, die an jeder der vier Wände standen und massig Kleidungsstücke beherbergten. Im anschließenden Zimmer befand sich das Schlafgemach. Ein riesiges weiches Bett stand dort als Blickfang. Auf der linken Seite war noch ein Kamin, auf der rechten ein Balkon und ein Schreibtisch, der unbenutzt verstaubte. Das Badezimmer war vom Vorraum aus begehbar, besaß aber auch eine Tür zum Ankleidezimmer. Das alles für ein halbes Jahr aufzugeben, schmerzte schon, aber es ließ sich nicht anders einrichten und außerdem verschmähte Hoshiko gerne ihr Gemach für einen Besuch außerhalb Feok-Akhamis und des Segmentes. Anduil war sicherlich ein ganz anderes Kaliber. Sie hüpfte durch die dunklen Gänge und lief einmal mit einem Küchenhelfer zusammen, der sich daraufhin überstürzt oft entschuldigte und total verlegen war. Keiner war so respektlos und rannte eine Dame über den Haufen, besonders nicht die Prinzessin eines Segmentes. Hoshiko machte, dass sie weg kam und suchte Unterschlupf im Gemach ihrer Mutter. Auch dort herrschte allgemeine Aufbruchsstimmung. Fünf Hofdamen schleppten schwer schnaufend viele Koffer durch die Räume in den Flur, um die großen Ungetüme schließlich in Kutschen zu verladen. Das war eine schweißtreibende Arbeit, was Hoshiko sofort bemerkte, als sie an einer der etwas dickeren Mägde vorbeiging. Der schwache Schweißgeruch wehte ihr nur ganz kurz ins Gesicht, bevor er zwischen all den anderen Düften verklang. Hoshiko liebte ihre Mutter und freute sich daher jedes Mal, wenn diese ihr wieder Tipps fürs Schminken oder Ankleiden gab. Oft saßen sie bis abends spät zusammen auf dem Bett oder im Empfangsraum von Kaoris Gemächern und blätterten in Skizzenbüchern vom ortsansässigen Schneider. Manchmal gaben sie ihm und seiner Frau sogar Verbesserungsvorschläge, aber die meiste Zeit waren sie sehr zufrieden mit der Arbeit. Kaori saß auf einem rot gepolsterten Sofa und lehnte an einigen Kissen, die seidig gold glänzten. Hoshiko setzte sich neben ihre Mutter und schaute in das Buch, das diese gerade las. Ein Stadtplan war zu sehen. Er zeigte sämtliche Läden und andere Aktivitätspunkte Anduils. „Sieh her, meine Tochter. Das hier ist die Parfümerie. Da müssen wir ganz dringend hin. In Anduil soll es den fabelhaftesten Duftmischer von ganz Taen geben. Wäre das nicht wunderbar? Einmal möchte ich den Laden besuchen. Und hier ist eine der vielen Schneidereien. Sehr bekannt für gute und detaillierte Arbeit – vor allem mit Rüschen, Spitzen und Seide.“ „Wie wunderbar! Und seht nur dort, Mutter! Der Buchladen. Da möchte ich auch hinein. Es muss doch wunderbar sein, einige weitere Gedichtssammlungen zu durchstöbern.“ „Oh ja …“ Die beiden schwärmten noch eine Weile von den schönen Dingen, die sie in zwei Tagen sehen würden, bevor sie endgültig dem Kauffieber verfielen. Sie schrieben einzelne Stücke auf ein Blatt Pergament und dahinter den Preis. Es waren alles Sachen, die sie später ganz sicher wieder mit nach Feok-Akhami bringen wollten. Parfüms, Kleider, Schmuck, Bücher, Talismane und viele mehr. Irgendwann drehte sich Kaori zu ihrer Tochter um und meinte: „Du bist eine wunderschöne Frau geworden, Hoshiko En.“ „Danke sehr.“ „Diese Reise nach Anduil birgt auch noch andere Pläne als die Segmentbesprechung.“ „Ich weiß, ich habe es bereits erfahren. Also stimmt es, dass ihr einen Ehemann für mich finden wollt, Mutter?“ „Ich wünschte mir nichts lieber, als dich an der Seite eines ehrenvollen Mannes zu sehen.“ „Ich …“, Hoshiko schluckte und sah auf ihre Hände, die sie in ihrem Schoß gefaltet hatte. „Ich wünschte mir auch nichts anderes. Ganz zu eurer Freude. Aber nun sollte ich zu Bett gehen.“ „Morgen wird ein langer Tag, meine Tochter. Und übermorgen werden wir sehen. Du brauchst deinen Schlaf, denn wenn du erstmal verheiratet bist, wirst du nachts nicht mehr oft schlafen können.“ Hoshiko verbarg ihr Entsetzen, indem sie eine Hand zu ihrem Mund führte. Nachdem sie sich abgemüht hatte, um sich wieder zu fassen, stand sie mit erhobenem Kopf auf und stolzierte ohne ein weiteres Wort davon. Vor der Gemachtür ihrer Mutter stieß sie die angehaltene Luft wieder aus und versuchte angestrengt ein Schluchzen zu unterdrücken. Es klang so fremd und so grausam, wenn ihr Vater und ihre Mutter über ihre Zukunft redeten. Die Zukunft an der Seite eines ewigen Fremden. Das war nicht das, was Hoshiko sich vorstellte. Langsam, Schritt für Schritt, lief sie die Gänge entlang zu ihren Zimmern. Was waren ihre Wünsche und Pläne? Ganz zur Freude anderer zu Leben? Manchmal wollte sie auch für sich leben, ganz allein und ganz in Ruhe. In ihrem Vorraum angekommen, schmiss sie eiligst die wartenden Hofdamen hinaus und warf ihnen noch einen letzten wütenden Blick zu, bevor sie die Tür ins Schloss fallen ließ. Sie raffte ihr rotes Seidenkleid und rannte ins Ankleidezimmer. Als sie sich die teuren Stoffe vom Körper riss, fiel eine kleine goldene Kette klöternd zu Boden. Es war die Clanskette. Ein Medallion, klein und unscheinbar. Es war leicht oval und in der Mitte war ein großer Rubin eingelassen. Wenn man es aufklappte, konnte man ein kleines Bild hineinstecken. Gleichzeitig würde eine Musik wie aus einer Spieluhr ertönen. Ja, dieses kleine Schmuckstück war mehr Wert als das Leben eines einzelnen Menschen, Zumindest hatte ihr Vater das immer gesagt. „Ich möchte diese Kette dem schenken, den ich wirklich liebe. Nicht meinem zwanghaften Ehemann, dem nicht. Vielleicht wird der Mann ein Bild von mir darin tragen, ganz nah an seinem Herzen.“ Hoshiko seufzte und drehte das Medallion um. Auf der Rückseite war das Clansemblem eingraviert und signalisierte kurz den Herkunftsort der Kette. Feok-Akhami, Yonobawa. Hoshiko zog müde ein Nachtgewand an und ging in ihr Schlafgemach. Die Kette legte sie auf ihren Nachttisch, damit sie immer wieder danach sehen konnte. Schließlich kuschelte sie sich unter die vielen Decken und schloss die Augen. Die Vorfreude auf Anduil war gesunken, aber dennoch konnte sie es nicht lassen, weiterhin daran zu denken. Ein kleiner Junge stand in einem von Flammen gefüllten Zimmer und rief nach ihr. Lauter und leiser wurde seine Stimme. Sie schwoll an und verebbte wieder, weil das Feuer immer wieder wütend dazwischen fauchte oder ihn unterbrach. Er rief ihren Namen, oder doch nicht? Nein, nicht ihren Namen, aber er meinte sie, ganz sicher. Shiken? Wer war Shiken? Hoshiko wachte auf, als eine der Hofdamen, die ihr zugeteilt waren, den Vorhang öffnete und das Licht hineinließ. „Es ist Aufstehenszeit, eure Majestät.“ „Maika, geh bitte hinaus.“ „Aber, Prinzessin!“ „Maika!“ „Wie ihr wünscht, eure Hoheit.“ Hoshiko schaute an die Decke und fuhr mit dem Handrücken zu ihrer Stirn. Shiken. Noch einmal schloss sie die Augen und dachte nach. Feuer. Ein kleiner Junge. Shiken. Wer war Shiken? Plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Hoshiko En! HoSHIKo EN! Es war ihr Name, nur abgekürzt. Ein Kosename, es war ganz sicher ein Kosename. Wieder und wieder flüsterte sie wie gebannt diesen Namen, der ihr mehr und mehr gefiel. Allein die Art und Weise, wie der Junge sie gerufen hatte, ihren Namen benutzt hatte, ließ einen warmen Schauer über ihren Rücken laufen. Er war hübsch, aber klein, dennoch dünn und sehr stolz. Schwarzhaarig, grünäugig und er trug schwarze Sachen. Doch er war so unglaublich schön, dass es ihr den Atem raubte. Er hatte nur ihren Namen gerufen und in seinen Augen hatte sich nur ihr Gesicht gespiegelt. Besorgnis, Zuneigung, Angst, Hilflosigkeit, Entsetzen. Vielerlei Gefühle waren neben ihrem Gesicht in seinen Augen gewesen. Wie auf einer Welle waren sie ihr entgegen geschwappt. Doch es war ein wohliges Gefühl, zu wissen, dass dieser Junge nur sie gesehen hatte. Ihr wurde warm ums Herz, doch das verbesserte ihre Lage nicht. Sie erinnerte sich an das Gespräch mit ihrer Mutter. Heirat mit einem fremden Mann? Vielleicht hatte sie in diesem Traum verarbeitet, was sie sich so sehr wünschte. Zudem war der Junge ihr absoluter Traummann, das Maß aller Wünsche gewesen. So etwas konnte es nicht geben. Nein, das war viel zu absurd. Traurig schlug sie die Bettdecke beiseite und streckte ihre Füße hinaus. Sie wackelte mit den Zehen und schaute trübsinnig zu ihnen hinunter, bevor sie endgültig aufstand. Wenn sie verheiratet werden sollte, dann musste sie es so geschickt einfädeln, dass sie den Mann (oder den Jungen) bekam, den sie auch wollte. Und da hatte sie schon jemanden ganz bestimmtes im Sinn, auch wenn es ihn nicht gab, da war sie sich sicher. Als sie ins Ankleidezimmer kam, warteten dort fünf Hofdamen. Mehr als sonst. Wahrscheinlich auch deswegen, weil es heute etwas Besonderes war. Eine kam ihr sofort entgegengewuselt. Maika war schon immer ihre erste Hofdame gewesen. Heute würde sie ihr helfen, zu baden und sich hübsch zu machen, bevor die anderen vier unter großem Protest Hoshikos das Kleid ihrem Körper anpassten. Das würde wieder ein paar Schmerzen kosten. Zunächst schlüpfte Hoshiko noch schnell ins Badezimmer. In diesen Raum folgte ihr wie erwartet nur Maika. Ihre Hofdame hatte bereits die Badewanne mit Wasser gefüllt und wartete darauf, dass die Herrin sich bequemte, hinein zu steigen. Hoshiko tat wie erwartet und ließ ihr Nachtgewand fallen, bevor sie sich in die Wanne setzte. Augenblicklich fing sie den Duft ihrer Lieblingskräutermischung auf. Das Wasser war parfümiert und auf der Oberfläche schwammen ein paar Rosen. Das sollte den Duft noch verstärken, erzielte bei Hoshiko aber nur Kopfschmerzen. Maika schrubbte den Rücken ihrer Herrin mit viel Elan. Als würde solch eine Arbeit wirklich Spaß machen, dachte sich Hoshiko und seufzte, während sie eine vorbei schwimmende Rosenblüte anstupste. Einige Wellen verursachend trieb die Blume davon und hinterließ nur einen Schwachen Hauch ihres Duftes. „Eure Majestät, wenn ich erwähnen dürfte?“, fragte Maika an. Sie sprach erst weiter, als Hoshiko ihr ein Zeichen gegeben hatte. „Ich hörte in der Früh, dass man gedenkt, euch zu verheiraten.“ „So ist es.“ „Wenn ich mir einen Kommentar erlauben dürfte?“ „Nur zu.“ „Ihr seht unglücklich aus. Tut ihr es denn entgegen eures Willens?“ „Schweig, Maika. Das war undankbar.“ „Verzeiht, ich bin zu weit gegangen.“ „Wohl wahr“, bestätigte Hoshiko die Aussage ihrer Dienerin und seufzte noch einmal. Was sollte sie bloß tun, um diesem schrecklichen Schicksal zu entgehen? Als Maika fertig war, konnte Hoshiko endlich diese unbehagliche Situation entkommen. Sie lief ins Ankleidezimmer und ließ sich dort in Handtücher hüllen. Nur noch heute, dann würde sie in Anduil sein. Dort fing das wahre Grauen erst wirklich an. Hoshiko wünschte sich, der morgige Tag würde niemals kommen, doch ihr wurde schon bald klar, dass die Zeit wie im Flug verging und sie schon sehr bald zusammen mit ihren Eltern in der Kutsche saß, die unweigerlich Hoshikos Untergang entgegen steuerte. Hoshiko hatte die Beine angezogen und sah aus dem kleinen Kutschenfenster auf ihrer Seite. Neben ihr saß ihr Vater und unterhielt sich mit Katsuo, Hoshikos drei Jahre älterem Bruder. Worüber, wusste sie nicht und um ehrlich zu sein, wollte sie es auch nicht wissen. Wahrscheinlich redeten sie über irgendwelche clansinternen Streitigkeiten, die es zu beseitigen galt. Sie verstand das eh nicht, sie war zu jung, sie war eine Frau. Das waren einige der Begründungen gewesen, mit der man sie beim letzten Mal abgespeist hatte. Ja, sie war jung und ja, sie würde es sicherlich nicht verstehen, aber das bedeutete ja nicht, dass man es ihr nicht erklären konnte! Und warum war es bitte so schlimm eine Frau zu sein? In Gedanken gab sie ihren männlichen Familienmitgliedern eine Ohrfeige. Doch was konnte Hoshiko anderes tun? Würde sie ihre Belange vortragen, würde man sie auslachen oder noch schlimmer, man würde sie als eine Schande ansehen. Frauen waren nichts weiter als hirnlose Gebärmaschinen und bildeten eine reine Zierde für den Mann, der natürlich das Wichtigste war, was die Welt zu bieten hatte. Die Bitterkeit ihrer Worte erschreckte sie. Wann hatte sie angefangen gegen die Vorschriften zu rebellieren? Man hatte ihr von morgens bis abends eingebläut, dass sie weniger wert war, als der Dreck der Straße. Selbst mit dem Rang einer erstgeborenen Prinzessin eines Clans war ihr Wert wahrscheinlich nur von Dreck auf Ungeziefer gestiegen. Dem hatte man immerhin das Leben anerkannt und darüber sollte man als Frau froh sein. „Hoshiko En!“ Hoshiko zuckte zusammen und drehte sich um. Rechtzeitig, um das wütende Gesicht ihres Vaters zu sehen. Sie sah ihm ungehindert in die Augen, was ihn zur Weißglut trieb. „Junges Fräulein, wäre es nicht angebracht, sich langsam wie eine Dame zu benehmen? Was soll das denn hier schon wieder sein? So zu sitzen schickt sich nicht! Und sie dir doch nur dein Verhalten an. Du beschmutzt schon wieder meine Ehre. Was denkst du eigentlich, wer du bist?“, meckerte ihr Vater so laut, dass sie sich die Ohren zu hielt. Das wiederum war keine gute Idee, denn ihr Vater dachte wohl, dass sie seine Strafpredigt nicht hören wollte, weswegen er umso lauter brüllte. „Du hast nicht das Recht, dich so zu verhalten!“, schrie er und hob drohend den Zeigefinger seiner rechten Hand, mit dem er sogleich herumfuchtelte, als wäre er ein Dolch. „Aber Vater, nicht so laut!“ „Sei still! Bist du dir im Klaren, dass du mich unterbrochen hast und dich mir widersetzt?“ „Das wollte ich doch gar nicht!“ „Ruhe!“ Hoshiko zuckte zurück und sah hilfesuchend zu ihrer Mutter hinüber, doch die wandte nur schnell den Blick ab. Kaori liebte ihren Mann Kichiro, weswegen sie ihm niemals widersprach. Bei ihr kam ihr Mann an allererster Stelle und wenn er etwas behauptete, so stimmte sie ihm immer zu. Auch wenn er einmal gegen sie wetterte, so nahm sie es hin und entschuldigte sich. Das war Kaori und wahrscheinlich niemand auf der Welt konnte ihr das verübeln, nachdem ihr Clan sie verbannt hatte, weil sie Kichiro erwählte. Er war ihre einzige Lebenschance. Verzweifelt wanderte ihr Blick zu Katsuo, der lediglich grinste und aus dem Fenster auf seiner Seite der Kutsche sah. Ja, von ihm durfte sie keine Hilfe erwarten. Er war immer froh darüber, wenn er mal keinen Ärger bekam, obwohl er eh nie viel bekam. Hoshiko machte ein finsteres Gesicht und sah aus ihrem Fenster. Sollte ihr Vater doch meckern. Wenn sie erst einmal in Anduil war, konnte sie nichts mehr aufhalten. Sie würde dafür sorgen, dass sie einen Mann fand, bei dem sie leben konnte und dann würde sie fliehen. Das war zumindest ihr Plan, doch sie war sich gar nicht mal so sicher, ob er auch funktionieren würde. Die meisten Männer, oder eher Jungs, in ihrem Alter lebten noch bei ihrer Familie und hatten keine Ahnung von der großen weiten Welt und ihrer Funktion. Hoshiko wusste instinktiv, dass ihr niemand, außer einem hohen Bürgerlichen, gefallen würde, da sie dort noch einen Großteil der Annehmlichkeiten besitzen würde, die sie nun auch hatte. Einem Bauer konnte sie unmöglich die Hand reichen, denn er könnte sie kaum ernähren, geschweige denn ihr überhaupt annähernd ein gutes Leben finanzieren. Sie hoffte auf einen guten Mann, oder Jungen, der ihr womöglich aus dieser misslichen Situation helfen könnte. Langsam bemitleidete sie sich in den Schlaf und wartete dort, von Alpträumen geplagt, auf die Unheil verkündende Stunde ihrer Ankunft in Anduil. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)