Heilloser Romantiker von Pansy ================================================================================ Kapitel 10: Kapitel 10 ---------------------- Kapitel 10 Müde lag Rick in seinem Bett, war aber noch ein wenig zu aufgeregt, als dass ihn der Schlaf übermannen konnte. Die zwei Stunden in den halb verfallenen Gemäuern zogen unentwegt an ihm vorüber, nährten ihn mit stiller Sehnsucht, die er nur allzu gut kannte. Langsam ließ er seine Hand vor sich kreisen, besah sie sich im fahlen Licht des Mondes, das zum Fenster direkt in die Ecke des Zimmers, in der sein Bett stand, hereinfiel. Seine Blicke strichen sanft über die nackte Haut, ließen nicht mal ab, um die Augen zwischendurch ein wenig zu entspannen. Das Meeresblau heftete sich förmlich an die wenigen Quadratzentimeter seines Körpers, wollte sie keine Sekunde unbeobachtet lassen, nicht dass das Gefühl tief im Innern schwand. Als Joe seine Hand genommen hatte, hatte er nicht glauben können, dass das der Realität entsprach. Doch er hatte nicht geträumt, es war nicht nur eine Illusion gewesen, die sich beim nächsten Wimpernschlag in Luft auflöste. Nein… er hatte seine Hand tatsächlich in seiner gehalten, fest und bestimmt. Joes Wärme war in ihn übergegangen, sein Herz hatte pulsierend im Gleichklang mit seinem geschlagen. Rick bettete nun sein Gesicht in seine Hand, schmiegte seine Wange fest an sie. Ewig könnte er so daliegen, die Erinnerung umklammern und sich in ihr wiegen. Leise atmend fühlte er die Hand in seinem Gesicht und schloss die Augen, rief das Bild der Nacht in sich empor, das ihm trügerisch erschien. /Als wir durch die dunklen Straßen zurück zu meiner Wohnung liefen, war er wie sonst, er lachte und scherzte viel. Wenn ich nur verstehen würde, was ihn in dieser Ruine dazu bewogen hat, mich zu berühren,… meine Hand zu fassen… und von seinem tiefsten Innern zu sprechen… überhaupt, dass er das alles für mich getan hat… mein Herz sagt mir, es gibt Hoffnung,… mein Verstand jedoch… entbehrt jedweder Zuversicht…/ Rick zog seine Rechte wieder hervor, hielt sie erneut vor seine Augen, konnte anschließend nicht umhin, sie zu schließen und an den Mund zu legen. /Mit keiner Silbe hast du diese Kellnerin erwähnt… der Abend gebührte nur mir… Hat dich mein Anruf vergangene Nacht veranlasst?... dachtest du, ich bräuchte mehr Aufmerksamkeit?... oder… ?... Ja was?... Als ich mich bei dir bedankte und nach dem Grund fragte, bliebst du stumm… du wehrtest dich gegen eine Antwort jeglicher Art… schautest mich zufrieden an und… und nichts… nichts außer deinen strahlenden Augen… ich blickte in sie und sah in ihnen…/ Leicht legte Rick seine Zähne an die Knöchel, wollte zubeißen, doch tat es nicht. /Sie trugen nicht den Glanz in sich, den du bei Julia hattest… und doch glaube ich, dass du mich anders anblicktest… als sonst…/ Rad der Zeit, sag mir eins, wird er einmal… mein? Dreh dich, dreh dich, bitte tu es,… für mich. Warme Sonnenstrahlen legten sich sanft auf das Gesicht des schlafenden jungen Mannes und verkündeten frohlockend den Morgen. Reges Vogelgezwitscher drang zum Fenster herein, ein Singsang purer Lebendigkeit entsprungen. Der Himmel war von einem tiefen Blau geprägt, aller Wolken vom Vortage entflohen. Blinzelnd schlug Rick die Augen auf und machte sich ganz lang, dehnte sich ausgiebig. „Guten Morgen“, hauchte er der Sonne entgegen. Er entschlüpfte seiner Decke und gab sich damit den sommerlichen Lichtstrahlen preis. /Nur schade, dass uns der düstere Herbst bald in vollen Zügen einnimmt…/ Barfuß begab er sich in die Küche und setzte noch ein wenig verschlafen Wasser auf. Gähnend griff er nach einer Tasse im Schrank, betrachtete sie mit einem Schmunzeln auf den Lippen. Ein kleiner brauner Bär versuchte wie immer vergeblich auf dem dünnen Baumstamm zu balancieren. Mit dampfend heißen Tee schlurfte er ins Nebenzimmer und sah auf seinen Computer. Zuerst nickte er leicht, dann setzte er sich davor. /’Einsame Seele’, hast du über meine Worte nachgedacht?.../ Er setzte seine Lippen am Porzellan an und nippte einmal, genoss die heiße Flüssigkeit, wie sie seine Kehle hinab glitt. Das laute Summen seines Rechners hörte sich irgendwie wohlig vertraut an und er lauschte mit geschlossenen Augen den süßen Klängen des Morgens, die in seine Wohnung von überall her zu dringen schienen. /Du hast mich beseelt und wirst es wohl nicht erahnen… schon eine kleine Berührung kann einem wie ein Wunder vorkommen…/ Nach wenigen Minuten konnte Rick seine Mails abrufen und vor ihm erschienen drei dunkle Balken. /Also hast du dich doch endlich entschieden, mir zu schreiben… bevor ich mich dir widme, muss ich die anderen beiden Mails erst einmal in den Papierkorb befördern…/ Zwei kleine Mausklicks trennten den Dunkelhaarigen und etwaige neue Bekanntschaften. Er wollte keine Nachrichten mehr lesen, die mit seiner Annonce zu tun hatten, mit Ausnahme von ’Einsame Seele’. Auf Schmuddel und sonstige unseriöse Briefe konnte er gerne verzichten, wollte ihnen nicht den Hauch einer Chance geben, ihn vielleicht doch irgendwann zu bestürzen. Und falls doch eine ernsthafte Nachricht darunter war, war ihm das völlig gleich. Was sollte er mit einem anderen Mann, wenn er doch Joe hatte? Wer weiß, vielleicht sucht der Blonde irgendwann wieder seine Hand und da will er ihm nicht sagen müssen, dass er vergeben sei und dies eine Eifersuchtsszene heraufbeschwören kann. Mit einem Lächeln öffnete Rick die lang erwartete Mail und ließ seine Augen über die Textzeilen schweifen. ’Bevor ich wieder in meiner Melancholie versinke, möchte ich dir von ganzem Herzen danken, dass du meine Nachricht nicht unbeachtet ließt und mir sogar ein paar Zeilen zurückgeschrieben hast. Heutzutage sind die Menschen viel zu sehr auf sich bedacht, völlig egoistisch und verschwenden keinen Gedanken mehr an andere. Du bist für mich ein kleiner Funke, der sich aus dem Dunst des Alltags heraushebt, der sagt, hier… hier gibt es noch jemanden, dem seine Mitmenschen nicht egal sind. Weißt du, ich hatte auch mal ein Lichtlein, das einst für mich erstrahlte, mir den Weg leuchtete. Ich dachte, es könne nicht erlischen und würde auf ewig für mich strahlen, doch… doch nun ist es aus. Es gibt es nicht mehr. Von Tag zu Tag rücke ich ein Stückchen mehr in die Dunkelheit, die mich alsbald ganz verschlingen... Manchmal ist die Finsternis verlockend, denn in ihr sieht man die Grausamkeiten der Welt nicht mehr. Man kann die Augen verschließen vor Gewalt, vor der sich nur selbst liebenden Menschheit und vor… dem Tod… Vor dem Tod sollte man sich nicht fürchten, er gehört zum Leben dazu… wurde dir das als Kind auch immer eingeredet? Und hast du mit dem Älterwerden auch die Furcht in den Augen der Erwachsenen gesehen?... Ich frage mich, warum sie ihre Kinder anlügen, warum sie ihnen nicht einfach die traurige Wahrheit sagen. Würde man nicht viel besser mit dem Tod klarkommen, wenn man von Anfang an die Schwere dahinter aufgezeigt bekommt? Einen geliebten Menschen zu verlieren bedeutet Trauer, tiefe Trauer… wenn er sterbend in deinen Armen liegt, dann fürchtet man den Tod, denn man möchte am Leben festhalten, möchte seinem Liebsten den Hauch der Unsterblichkeit schenken… Sicher bin ich mir bewusst, dass der Tod nichts ungewöhnliches ist, dass es jeden einmal trifft,… doch… wenn der eigene Vater daneben steht und… Du hast mir nicht gesagt, wohin du fliegen würdest. Aber ich bin mir sicher, dass du ebenfalls schon über diese Fähigkeit nachgedacht hast… Ich würde hoch in den Himmel fliegen und meine Seele gegen die meiner Mutter tauschen… Klingt irrsinnig, nicht wahr? In Liebe, Einsame Seele’ Endlose Minuten verstrichen, in denen Rick starr dasaß. Während er die Mail las, war das Lächeln nach und nach von seinem Gesicht gewichen, ebnete den Weg für die Erinnerungen, die er für ein und allemal verdrängt geglaubt hatte. Zwar hatte er noch keinen Menschen sterben sehen, doch an jenem Tag, als er verstoßen worden war, war für ihn eine Welt zusammengebrochen… eine Welt, in der er Familie und viele Freunde hatte. /Wenn Joe nicht gewesen wäre, dann… gute Frage… ich weiß nicht, wie mein Leben dann verlaufen wäre…/ Niedergeschlagen klickte er auf ’Antworten’. Er hatte nämlich nicht vor, dermaßen gefühllos wie seine Eltern zu sein. Er wollte einen Menschen, der offensichtlich einen Freund brauchte, nicht im Stich lassen. Wenn er sich damals eins geschworen hatte, dann war es, den Hilferuf eines anderen nicht zu ignorieren. Nur wusste er nicht, was er schreiben sollte. Er befürchtete, jedes seiner Worte könnte falsch verstanden werden. In diesem Moment glaubte er fest, Joes Hand auf seiner zu fühlen, jenen sanften Druck. Es gab ihm Kraft und ließ ihn durchatmen. /Ein Versuch ist es allemal wert!/ ’Ich kann diesen deinen Wunsch in keinster Weise als verwerflich erachten. Nein, vielmehr kann ich solche Sehnsüchte sehr gut nachempfinden.’ Rick hielt inne, denn es war für ihn nicht leicht, die Gefühle von damals gleichzeitig nicht aufsteigen zu lassen und doch in gewisser Hinsicht empfinden zu müssen, um auf richtiger Ebene schreiben zu können. ’Einsame Seele… dein Pseudonym spiegelt sehr gut das wider, was ich auch schon erleben durfte… DURFTE… musste trifft es dann doch viel besser. Auch wenn ich es einst nicht wahrhaben wollte, bin ich dennoch mittlerweile der Meinung, dass jeder sein Schicksal zu tragen hat. Vielleicht mag es den einen schwerer treffen als den anderen, doch es gibt sicher keine Ausnahmen. Meinst du nicht auch, dass man trotz all des Leids, des Kummers, der Schmerzen, der Qualen nicht immer nach etwas suchen sollte, das einen das Lächeln zurückbringt? Selbst der härteste Schicksalsschlag sollte irgendwann zumindest soweit überwunden werden, dass man von vorne anfangen kann… Das soll nicht heißen, man soll vergessen, was war… denn dann würde man abstumpfen und zukünftig alles an sich abprallen lassen. Ich denke, man würde dann die Liebe verlieren, das stärkste Gefühl, dessen man niemals entsagen darf. Ich schreibe dir nicht aus Mitleid oder aus einem sonstigen unwürdigen Grund.’ Gedankenverloren wandte sich Rick vom Monitor ab, legte seinen Kopf auf die Schulter und verweilte in dieser Position solange, bis er sich wieder unter Kontrolle hatte. /Wenn man wirklich möchte, findet man immer etwas, an dem man sich hochziehen kann…/ ’Sei dir sicher, dass ich dir antworten möchte! Gezeichnet Heilloser Romantiker’ Mit einem Seufzen legte er seine Finger noch mal auf die Buchstaben der Tastatur. ’PS: Fliegen ist eine Gabe, die ich solange nicht weiter erörtern möchte, bis ich wirklich keinen anderen Ausweg mehr sehe.’ Sollte er sich das Geschriebene noch einmal durchlesen, bevor er es abschickte? Er beantwortete die Frage schnell mit einem Nein, denn er würde sonst sicher zögern oder von vorne beginnen. Bevor er es sich anders überlegen konnte, sendete er die Nachricht. Gerade als auf dem Monitor die Sendebestätigung aufblinkte, hörte er etwas gegen sein Fenster prallen. Er stand auf und trat an die Glasscheibe, an die sogleich erneut etwas flog. Leicht identifizierte Rick es als Kieselstein. Behände öffnete er das Fenster und lehnte sich hinaus, ließ es sich dabei nicht nehmen, tief und genießerisch die frische Luft, die ihm entgegen stieb, einzuatmen. „Sag mal, sitzt du auf den Ohren?“ Rick blickte hinab auf die Straße, auf der Joe mit einer ganzen Hand voll Steinen stand. „Seit wann bittest du mit Kiesel um Einlass?“ „Seitdem du mir beim Klingeln nicht aufmachst. Dumme Frage!“ „Echt? Aber es hat doch nicht geklingelt.“ „Und ob! Um die-“ Joe ließ die Steine fallen und zählte wild seine Finger ab. „Zwanzig Mal!“ „…“ „Hey grinse nicht so unverschämt schadenfroh. Ich mache mich hier zum Affen und du lachst mich auch noch aus.“ „Ich würde dich nie auslachen, das weißt du.“ „Jaja, an! Das kannst du Gott weiß wem erzählen, aber nicht mir. Also lässt du mich endlich rein oder soll ich morgen immer noch hier stehen?“ „Wenn ich mir das recht überlege-“ „Rick!“ „Hehe, bis gleich.“ /Als ob du den richtigen Zeitpunkt erahntest…/ „Na das wurde aber auch Zeit.“ Joe betrat Ricks Wohnung, war froh, dass der Kleinere ihn nicht noch länger zappeln ließ. „Dein Nachbar hat schon einen Schuh nach mir geworfen, als ich lauthals deinen Namen schrie.“ „Das glaube ich nicht.“ „Ist dies Beweis genug?“ Er zog einen braunen Lederschuh hinter seinem Rücken hervor, der niemals ihm selbst gehören konnte. Zuerst schluckte Rick, doch dann brach er in Gelächter aus. „Vielleicht wollte er wissen, ob er dir passt und du sein Prinz bist.“ „Na warte!“ Der Größere ließ den Schuh fallen und stürmte hinter Rick her, der vorsichtshalber gleich Reißaus genommen hatte. „Feigling! Der Tisch wird dir auch nicht lange Schutz bieten können.“ „Lange genug, um dir zu sagen, dass dir mein Nachbar sicher den Hof machen wollte.“ „Jetzt lauf!“ Joe bekam kurz darauf Rick zu fassen und begann ihn durchzukitzeln. „Aufhören!“ „Jaja, jetzt um Gnade winseln. Nichts da.“ „Das ist gemein, du bist stärker als ich.“ „Selbst Schuld, wer hatte hier denn die große Klappe.“ Schnaubend ließ Joe dann doch von Rick ab, legte sich neben ihn auf den Fußboden. Der weiche Teppich sandte wohlige Wärme aus, die in seinen Körper überging. „Warum hast du denn nicht gehört?“ Rick wand sich von seinem Freund ab, stierte die Wand an, die ihm in diesem Moment lieber war als das erhitzte Gesicht des attraktiven jungen Mannes neben ihm. „’Einsame Seele’ hat geschrieben und… ich habe geantwortet“, flüsterte er kaum merklich. /Warum muss ich immer dermaßen unbedacht sein? Wenn ich ihn so daliegen sehe, dann schnürt sich meine Kehle zu… er hat niemanden außer mich und ich bin nicht in der Lage, ihm den Schutz zu geben, den er braucht… manchmal tauge ich als bester Freund überhaupt nicht…/, dachte Joe. „Verzeih mir meine Indiskretheit.“ „Schon gut, das konntest du ja nicht wissen.“ „Dennoch könnte ich manchmal sensibler sein.“ /Wenn ich schon nicht rund um die Uhr für dich sorgen kann, dann will ich wenigstens in der Zeit, in der ich bei dir bin, nichts falsch machen und dich nicht traurig stimmen./ „Hey, mach dir mal keinen Kopf, mir geht es schon wieder gut.“ Schwungvoll richtete sich Rick auf und hielt Joe eine Hand entgegen. Bereitwillig, aber ein wenig irritiert, ergriff er sie und ließ sich aufziehen. /Du bist wahrlich eine Kämpfernatur, wofür ich dich schon so oft bewundert habe./ „Was wollen wir denn heute unternehmen? Als ich heute aufgewacht bin, dachte ich mir, dass man einen so schönen Tag nicht ungenutzt lassen sollte. Also, fällt dir spontan was ein?“ Fragend sah Joe dem Kleineren in die meerblauen Ozeane. „Mhh, wir wäre es mit einem Spaziergang im Park?... so wie in alten Zeiten, bis auf dass wir nicht dort herumtollen.“ „Och warum nicht? Lass uns nach Histerian fahren und nachsehen, ob unser Baum noch steht.“ /Da dich deine Familie verstoßen hat, möchte ich dir zumindest ein wenig Glück aus deiner Kindheit zurückbringen./ „Für den Vorschlag hast du sicher die ganze Nacht lang gegrübelt.“ „Unterschätze mich nicht.“ „Und wenn schon, ich finde das eine geniale Idee. Ich mach uns schnell noch ein paar Brote, dann können wir gehen.“ „Hach, du denkst an mich.“ „Und deinen Magen.“ „Ja, der freut sich immer, dich zu sehen.“ „Das glaub ich sogar.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)