Miss Keep-Your-Distance von Carikku (Auftrags-Killer) ================================================================================ Kapitel 1: Episode 1: Entkommen ------------------------------- Entkommen Es war schon lange nach Mitternacht und ganz Chicago schien zu schlafen. Doch der Eindruck täuschte, denn hier und dort brannten doch noch einige Lichter in den Fenstern und bewiesen das Leben hinter diesen. Anders sah es jedoch im alten Industriegelände der Stadt aus. An diesem Ort wurden die maroden Fabriken und Lagerhallen nachts von der Dunkelheit regelrecht verschlungen. Funktionierende Straßenlampen waren hier die Ausnahme und das Innere der Hallen hatte schon ewig kein Licht mehr gesehen. In dieser Nacht schien es aber eine Ausnahme zu geben, denn in einem der Gebäude huschten hastig suchende Lichter durch die Fenster und über die Wände. Eine Frau mit langen pechschwarzen Haaren drückte sich gegen die Wand und lauschte angestrengt. Sie hörte die Schritte ihrer Verfolger und vermutete, dass es zwei waren. Sie selbst verschmolz komplett mit der Dunkelheit um sich herum und beobachtete die umher schwenkenden Lichtkegel der Taschenlampen. Diese waren noch am anderen Ende der Fabrik und leuchteten die alten verrosteten Maschinen aus. Die Frau atmete schnell und stoßweise, ihre Brust hob und senkte sich. Sie schloss die Augen und ließ den Kopf gegen die Wand sinken. Jemand musste diesen Typen einen Tipp gegeben haben! Anders konnte sie sich die Situation nicht erklären. Entschlossen schlug sie ihre grünen Augen, die durch die Finsternis unter dem schräg geschnittenen Pony hervor blitzten, auf und zog langsam ihre Pistole. Dann hörte sie einen der zwei Männer reden: „Sie muss hier doch irgendwo sein!“ Er war jetzt nicht mehr weit von der Wand entfernt hinter der sie stand. „Chef! Sehen Sie sich das an!“, der andere Mann hörte sich geschockt an, „Ist er...?“, fragte derselbe und verstummte. „Ja“, war die nüchterne Antwort des anderen. Ja, dachte die Frau. Sie hatte ihre Arbeit, wie immer, zuverlässig und schnell erledigt. Sie holte tief Luft. „Er ist tot...“, bestätigte die tiefere der beiden Stimmen. Die Gewissheit versetzte ihr einen kurzen Stich und sie zuckte, wie so oft, ein wenig zusammen. „Das wird sie büßen“, flüsterte die etwas hellere Stimme verbittert. Dann hörte die Frau wieder Schritte die durch den großen Raum hallten. Sie presste ihre Lippen entschieden aufeinander, jetzt ging es darum ihre eigene Haut zu retten! Langsam tastete sie sich an der Wand entlang und machte einen Schritt seitwärts. Ein sehr leises – aber dennoch verräterisches – Geräusch hallte durch den Raum. Erschrocken zog sie die Luft durch die Zähne. Die Sohlen ihrer neuen Stiefeletten hatten anscheinend kleine Absätze, die ihr heute morgen beim Kauf gar nicht aufgefallen waren! Die Schritte ihrer Verfolger wurden wie befürchtet schneller und kamen in ihre Richtung. Mist!, schoss es ihr durch den Kopf. Sie steckte ihre Pistole weg und bückte sich, um so schnell wie möglich aus ihren Schuhen zu schlüpfen und diese in die Hand zu nehmen. Sie legte die andere Hand zur Orientierung vor sich auf die Wand und rannte auf Zehenspitzen blind an ihr entlang. Hinein in die Dunkelheit. Sie registrierte erst einen, dann zwei Lichtkegel an der gegenüberliegenden Wand hinter sich hin und her schwenken. Aus den Augenwinkeln sah sie wie einer der beiden über eine Leiter schwenkte, die in der Wand befestigt war und so weit nach oben ging, dass sie, auch wenn sie ihren Kopf für einen kurzen Blick nach oben drehte, das Ende nicht erkennen konnte. Ruckartig stoppte sie und duckte sich, sie konnte die Taschenlampen jetzt sehen und die beiden Männer, die sie hielten waren dunkle Schatten, die sich zögernd bewegten. Sie befand sich zwar weiter hinten in der kargen Fabrikhalle, aber wenn die Lichtkegel in ihre Richtung geworfen wurden, kamen diese immer noch abgeschwächt an. Langsam schlich sie sich seitwärts durch die Halle, immer mit dem Blick auf die Lichtkegel, die sie teilweise nur knapp verfehlten, geheftet. Doch dann passierte das Unvermeidliche doch und das Licht fiel auf sie. Ihre Pupillen verkleinerten sich, als sie von dem Licht geblendet wurde. Sie musste ihre Augen zusammen kneifen und schützte diese reflexartig mit ihrem Arm gegen das Licht. „Ich hab sie!“, rief einer der Schatten. Die Frau erwachte aus ihrer Erstarrung und stürzte auf die Leiter zu. Sie nahm ihre Schuhe am Saum in den Mund und griff nach den Metallsprossen. „Sie will über die Leiter abhauen!“, rief die tiefere Stimme und dann hörte die junge Frau hastige Schritte. Der Lichtkegel, der sie verfolgte, schwenkte hin und her. Die verrostete Leiter quietschte und schwankte unter ihrem Gewicht. Der Putz bröckelte von oben in ihr Gesicht und brannte in den Augen. „Sie entkommt uns!“ „Nein, tut sie nicht! Halt du die Lampen!“, meinte die dunklere Stimme bestimmt und die Frau wusste was passieren würde. Schon hörte sie den scharfen Schall eines Schusses, hielt inne und kniff die Augen zusammen, als der Schuss knapp über ihr in die Wand einschlug. Dann hastete sie weiter die Wand hoch und der Schütze fluchte. Doch er gab nicht auf und schoss ein zweites Mal. Sie kletterte einfach weiter und der Schuss prallte mit einem klirrenden Geräusch an einer Sprosse, auf der Höhe ihres Knies, ab. Panisch guckte sie nach oben, das Ende der Leiter war in Sicht. Sie zählte in Gedanken bis drei und stieß sich mit dem linken Bein ab und einen Augenschlag später ging der nächste Schuss los. Sie prallte mit dem Rücken rechts an die Wand neben der Leiter und die Kugel verfehlte sie. Schnell schwang sie sich wieder zurück und kletterte weiter. Endlich hatte sie das Ende der Leiter erreicht. Glas! Eine Scheibe. Die Sprossen führten zu einer Fensterscheibe! Sie saß in der Falle. Sie glaubte schon den nächsten Schuss unter sich zu hören, doch sie vernahm nur das hohle Klicken der Pistole und einen Fluch. Das Magazin war leer! Da sie aber nicht vorhatte abzuwarten bis das Magazin gewechselt war, griff sie ohne zu zögern nach ihren Stiefeln, die immer noch zwischen ihren Zähnen baumelten. Mit voller Wucht schlug sie die Glasscheibe damit ein und vergrub gleichzeitig ihr Gesicht unter dem anderen Arm wobei sie beinahe das Gleichgewicht verloren hätte. Das Glas splitterte und bohrte sich in ihren schützenden Arm. Doch sie bemerkte es gar nicht und hechtete mit einem Sprung durch die Scheibe, dabei schnitt sie sich an dem spitzen Glas. Hinter sich hörte sie noch zwei Schüsse durch das Gebäude hallen, doch diese erreichten sie nicht mehr, denn sie war schon auf dem flachen Dach des großen Betonblocks angekommen. „Das war knapp“, keuchte sie mit rauchiger Stimme und Atmete tief ein und aus. Sie bückte sich und zog ihre schwarzen Stiefeletten wieder an. Dann richtete sie sich auf, ihre Augen waren immer noch vor Aufregung geweitet und sie fuhr sich nervös durch die schwarzen Haare. Wie oft hatte sie solche Situationen schon überlebt? Und wie oft würde sie ähnliches noch überleben müssen? Sie schaute nach oben und beobachtete den Mond, er kam gerade zwischen den Wolken hervor und schien ungewöhnlich hell. Sie liebte den Mond und die Sterne. Wenn sie diese betrachtete wusste sie, dass es Orte gab die niemals entdeckt werden würden oder deren Geheimnisse für immer unerreichbar waren und das gab ihr wiederum das Gefühl von Sicherheit. Plötzlich hörte sie das rostige Quietschen der Leiter, zeitgleich zog sie ihre Pistole und wirbelte herum. Langsam und vorsichtig schlich sie an die kaputte Glasscheibe heran. „Ihr solltet meine Nerven nicht überstrapazieren“, flüsterte sie mit zusammen gepressten Zähnen und ihre Haare wurden wegen einer Böe kurz durch die Luft gewirbelt. Sie wartete ruhig bis eine Hand aus dem schwarzen Loch kam und sagte dann: „An deiner Stelle würde ich wieder umdrehen, wenn du weiterhin leben willst.“ Nichts rührte sich. Die Hand verweilte auf der letzten Sprosse, doch sie konnte den Rest des Mannes nicht sehen. Trysha lud ungeduldig ihre Pistole. „Sofort!“, zischte sie bedrohlich. „Du machst deinen Job zwar gut, aber leider wirklich zu unsauber, da muss ich dem Boss Recht geben“, sagte eine ihr bekannte Stimme. „Lefti!“, rief sie und verdrehte die Augen, „Musst du mich so erschrecken?“ Sie steckte ihre Waffe weg und schaute ihn vorwurfsvoll an. Lefti, ihr neuer Partner oder Komplize, wie man es auch nennen mochte, stieg durch die Öffnung in der Glasscheibe, die er vorher vergrößern musste. Er hatte blondes, kurzes Haar und war ein ganzes Stück größer als sie. Er baute sich vor ihr auf. „Soll ich mich jetzt vielleicht entschuldigen?“, fragte er, wobei er sie musterte. „Wenn ich nicht gewesen wäre, würden die beiden da unten immer noch leben und dir womöglich wirklich hinterher klettern! Was hättest du dann unternommen, Trysha? Wärst du vielleicht vom Dach gesprungen?“, fragte er provozierend, wobei er seinen Körper zu seiner vollen Größe aufrichtete. Dieser steckte in einer verwaschenen Jeans und einem offenen, grauen Hemd, unter dem er ein schwarzes T-shirt trug. Die kleine silberne Erkennungsmarke, die um seinen Hals hing, kam noch aus der Zeit, als er in der US-Army gedient hatte. Lefti war muskulös, aber trotzdem schlank und unverschämt gut aussehend. „Mir wäre schon etwas eingefallen“, wich sie seiner Frage aus. „Klar“, quittierte er und fixierte sie mit seinen stechend grünen Augen. Trysha hasste es wenn sie eine Diskussion verlor also erwiderte sie bissig: „Tu nicht so als wärst du hier der einzige, der was von seinem Job versteht. Denn falls es dir noch nicht aufgefallen ist: Ich bin ebenfalls ein Profi!“ „Ach ja? Und warum sagst du mir dann, dass es hier erst um zwei Uhr rund geht, obwohl für dich die Party schon eine halbe Stunde eher beginnt?“ „Damit du mir nicht im Weg herum stehst!“ „Aha! Also war das letztes mal auch nicht aus Versehen gewesen?“, er grinste als er ihre Taktik durchschaute, „Von wegen in der Uhrzeit geirrt!“ „Blitzmerker!“, murmelte Trysha. Lefti wurde sofort wieder grimmig und versicherte: „Ab jetzt ist Schluss damit! Ich werde dir nicht mehr den ganzen Spaß überlassen!“ Sie machte einen Schritt auf ihn zu und funkelte ihn wütend an, während sie mit dem behandschuhten Finger auf ihn zeigte: „Du glaubst also du würdest mir der Spaß überlassen? Träum weiter!“ Mit diesen Worten drehte sie sich um und wollte durch das Glasfenster hinunter auf die Leiter steigen. „Kannst ruhig zugeben, dass ich dir heute den Arsch gerettet habe!“, rief er ihr hinterher, doch sie antwortete nicht mehr und verließ das Dach. Lefti zog seine Augenbrauen nachdenklich zusammen. Der Boss hatte vor einigen Wochen festgelegt, dass Trysha und er ab jetzt ein Team waren und ihre Aufträge zusammen bestritten. Doch von Teamarbeit konnte bis jetzt nicht die Rede sein, weil sie die beiden bisherigen Aufträge quasi im Alleingang erledigt hatte. Das letzte mal hatte sie die Unschuldige gespielt und behauptet sie hätte ihm wohl aus Versehen die falsche Uhrzeit weitergegeben. ...Aber unser nächster Auftrag ist in drei Wochen um genau zwei Uhr nachts! Wir treffen uns dann bei der alten Fabrikhalle 23, Block B Er glaubte sich sogar an ein entschuldigendes Zwinkern ihrerseits zu erinnern! Unglaublich. Wieso log sie ihn an? Glaubte sie etwa, dass sie besser war als er und deswegen alles alleine erledigen konnte? Was selbstverständlich der größte Quatsch der Welt war, er hatte schon unzählige solcher Aufträge erledigt und das seit seinem siebzehnten Lebensjahr. Er vermutete, dass sie ungefähr im gleichen Alter angefangen haben musste, sonst wäre sie nicht so abgebrüht und qualifiziert in dem Job. Aber da sie ein paar Jahre jünger war als er, war er schon länger im Geschäft und somit eben erfahrener! Wenn auch nicht viel. Und er wusste, dass sie sich dessen bewusst war, aber anscheinend hatte sie noch mehr Probleme damit ihr Team zu akzeptieren als er selbst. Ab jetzt würde er wohl jede Ort und Zeitangabe selbst überprüfen müssen... von wegen Partner! Lefti seufzte und fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare. Dann machte er sich auch auf den Weg die Leiter runter. Als er unten angekommen war, sprang er von der letzten Sprosse über die Blutlache, in der die beiden Polizisten lagen und ging zu Trysha, die auf ihn gewartet hatte. Sie starrte auf die toten Männer und schien für einen kurzen Moment abwesend, doch dann kehrte in ihr Gesicht die ihm bekannte Entschlossenheit zurück. „Beeil dich! Wir müssen verschwinden“, meinte er und beide verließen den Ort, der in den nächsten Tagen wahrscheinlich gesperrt werden würde, weil die Polizei Nachforschungen anstellte. Doch sie würden nichts finden... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)