Der Traum von Lilymaus ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Der Traum Ich wusste, dass unsere Zeit ablief. Unser Glück hatte schon zu lange bestand. Es war regelrecht merkwürdig, dass noch nichts passiert war. Doch ganz tief in meinem Inneren wusste ich es bereits. Unser Geheimnis war kein Geheimnis mehr und würde auch nicht mehr lange ein vermeintliches bleiben. Mit verklärtem Blick stocherte ich in meinem Mittagessen herum, abwesend und von kaum einem beachtet. Zum Glück, ich hätte nicht gewusst, ob ich in diesem Augenblick eine vernünftige Konversation zu Stande gebracht hätte. Zu tief war ich in meine verworrenen, aus Glück und Trauer bestehenden, Gedanken versunken. In Gedanken bei dir. Ich hatte keine Ahnung wo du gerade warst oder was du gerade tatest. Nicht einmal ob du in der Stadt warst. Es war einfach zu viel zwischen uns seit wir uns das letzte Mal gesehen hatten. Genau genommen waren es drei Wochen seit wir uns das letzte Mal gesehen hatten. Drei unglaublich harte Wochen. Ich vermisste dich, deine zerzausten orangenen Haare, deine weichen Gesichtszüge mit den immerwährend nach oben zeigenden Mundwinkeln, deinen Körper, die warme, weiche Haut über die ich so zahlreiche Male gestrichen hatte, ja sogar deine Bemerkungen in meinem Kopf. Dies alles vermisste ich und von Tag zu Tag wurde dieses Begehren stärker. Abrupt stand ich auf. Die Augenpaare, die mich verwirrt ansahen, bemerkte ich kaum. Ich drehte mich einfach um und verließ den Raum. Meine drei Teamkollegen am Mittagstisch zurücklassend. Ich wollte einfach weg. Ich musste dieses Haus verlassen, diese Enge, dieses Gefühl des Zusammenziehens in meinem Herzen. Alles das versuchte ich abzuschütteln, indem ich das Haus verließ. Seid du mir gesagt hattest, du hättest einen Auftrag in Deutschland. Seid du mich mit diesen unglaublich strahlenden Augen angesehen und dich auf deine Heimat gefreut hast. Seid diesem Augenblick wusste ich, das es das Ende war. Ich verbarg meine Empfindung und die bösen Vorahnungen, machte dir Mut und wünschte dir viel Spaß. Du versprachst mir ein Souvenir mitzubringen. Etwas, dass ich auch bei mir tragen könnte, was uns nicht verraten würde. Etwas _Schönes_. Ziellos strich ich durch die Straßen von Tokyo. Merkte kaum in welche Richtung ich mich bewegte. Gelangte schließlich ganz unbewusst an den Ort, wo wir uns das allererste Mal geküsst hatten. Es war auf einer Parkbank gewesen, mitten auf einer großen Lichtung. Es war Nacht gewesen, eine wunderbare Nacht. Der Mond hatte voll vom Himmel geschienen und uns mit seinem Licht erfreut, die Sterne hatten in dieser Nacht besonders hell geblinkt. Es war eine dieser Nächte, die einfach perfekt zu sein schienen. Einfach perfekt. Fast schon verzweifelt ließ ich mich ins kühle Gras fallen. Spürte wie die Kälte meinen Körper durchkroch und auf meiner Kleidung dunkle Spuren hinterließ. Dann fielen mir deine Abschiedsworte wieder ein. Du schautest mich an, ganz tief in die Augen, so wie du es vorher noch nie getan hattest, und flüstertest mir ins Ohr. “Irgendwann, mein Kätzchen, zeig ich dir Deutschland. Irgendwann…werden wir gemeinsam dort sein. Zusammen und öffentlich!” Das war sein- nein, auch mein- großer Traum: Zusammen und öffentlich aufzutreten. Uns in der Öffentlichkeit wie zwei Liebende verhalten. Das war unser großer Traum gewesen, doch er würde wohl immer ein Traum bleiben. Zwei Auftragskiller, die auch noch zu feindlichen Organisationen gehörten, sich aber dennoch liebten. Nein, das war eine unrealisierbare Illusion. Dann hob sich mein Blick wieder und ich stand auf, fast schon zu lange hatte ich im Gras gehockt. Schweigend sah ich mich um. Die Leute, die hektisch an mir vorbeiliefen, erschienen mir nur wie fahle Ovale, sie hatten in meinen Augen keine Gesichter. Leere Hülse, die durch die Gegend liefen. Überflüssig, aber doch da. Genau wie unsere Feindschaft. Überflüssig, aber doch da. Nun klärte sich mein Blick etwas und ich traute meinen Augen nicht. Du standst vor mir, direkt vor mir. Mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht und einer kleinen Plastiktüte in der Hand. Ich konnte nicht genau sehen was darauf stand, vermutlich war es auf Deutsch. Er war also zurück. “Mein Schuldig!”, wisperte ich so leise, dass es vermutlich nur ich hörte. Der Gegenüber grinste noch breiter. Ohne auf die Konsequenzen zu achten, fiel ich ihm in die Arme. Sie waren so schön warm und weich. Wie sehr hatte ich mich nach diesen Armen, nach diesem Körper, nach diesem Menschen gesehnt. ~Da hat mich aber einer vermisst!~ hörte ich in meinem Kopf und ich nickte eifrig. Ja, bei ihm konnte ich meine Gefühle zugeben. Bei ihm wusste ich waren sie gut aufgehoben. Bei ihm musste ich nicht der gefühlskalte Aya Fujimiya sein. Hier konnte ich Ran sein, der Ran, den es vor vielen Jahren noch gegeben hatte. Er drückte mir stolz die Tüte in die Hand und ich öffnete sie neugierig. Ein kleiner rechteckiger Briefumschlag kam zum Vorschein und ohne Umschweife öffnete ich ihn. Ein Brief auf grünen Papier fand sich dort. Ich zog ihn heraus und faltete ihn auseinander. Während ich die Zeilen las machte mein immer noch auf seltsame Art und Weise verengtes Herz einen Satz. Lieber Ran, Unser Traum geht in Erfüllung, ich habe mit Crawford gesprochen. Er wusste schon lange von uns, doch ich konnte ihn überzeugen, dass es endgültig ist. Er stimmte zu und toleriert unsere Beziehung ab sofort. Ich habe zwei Tickets nach Deutschland….lass uns fliegen. Schuldig Ich war so glücklich. Nun würde doch noch alles gut werden. Meine Sorgen waren völlig unbegründet gewesen, ich hätte die drei Wochen genießen können, hätte in aufregender Vorfreude an das Wiedersehen denken können. Aber diese drei Wochen Angst waren nun vorbei. Ab jetzt würde ein neuer Lebensabschnitt beginnen, der glücklichste bisher. Doch dann wurde die Stille des Parks, der auf merkwürdige Art und Weise kaum noch besucht war, durch einen lauten Schuss unterbrochen. Ich drehte mich augenblicklich um und spürte einen stechenden Schmerz in meiner Brust. Er presste meinen gesamten Körper so zusammen, dass ich mich fühlte, als würde ich zerbrechen. Ein dünnes Rinnsal Blut lief aus meinem Mundwinkel, der fade Eisengeschmack machte sich in meinem gesamten Mund breit und ich merkte, wie meine Beine nachgaben. Ein lauter, gellender Schrei ertönte. Ich lag nun wieder im Gras. Mein Blick verschwamm leicht, dann stärker. Ich konnte nur die Umrisse einer weißgekleideten, orangehaarigen Person erkennen, die sich über mich beugte und unverständliches Zeug brabbelte. Erneut bahnte sich mein dunkelroter Lebenssaft den Weg nach draußen und ich würgte. Der Schmerz hatte etwas abgenommen, war aber immer noch unerträglich. Suchend griff ich mit meinem Arm an die Stelle an der ich den Schmerz verspürte. Sofort zog ich sie zurück, als sich über meine Hand ein nasser Film legte. Blut. “Halte durch, Aya!”, flüsterte mir jemand ins Ohr und richtete mich auf. Die Umrisse der Gegend um mich herum drehten sich. Ich hatte große Mühe aufrecht zu sitzen, doch plötzlich klärte sich mein Blick. Ich konnte in die geweiteten, vor schierer Angst starrenden Augen meines Liebsten, direkt vor mir sehen. “Schuldig”, presste ich hervor. Die Schmerzen schnürten mir die Kehle zu, doch ich musste ihm noch etwas sagen. Alles war so klar. Ich wusste, dass das mein Ende- unser Ende- war. Ich hatte es gespürt, die ganzen drei Wochen hatte ich es gespürt. Das Ende war bereits vor seinem Abflug gekommen. Ich hustete und wieder quoll roter Saft aus meinem Rachen. Es ging zu Ende. “Schuldig…es tut mir Leid!”, das wollte ich ihm mitteilen. Wollte mich entschuldigen für die vielen zweifelnden Gedanken, für die vielen Hassgefühle, die ich vor unserer Beziehung gegen ihn und gegen Schwarz gehegt hatte, für die verlorene Zeit, für den Traum den wir nun doch nie erleben würden, für alles was er für mich aufs Spiel gesetzt hatte bei seinem Leader. Für einfach alles… Der Traum war zu Ende, noch bevor er begonnen hatte. Wir waren unserem großen Ziel ein kleines bisschen näher gekommen, hatten es vielleicht schon erreicht, doch dann schaltete sich das Schicksal ein. Es erlaubte uns nicht miteinander glücklich zu werden, miteinander alt zu werden, miteinander Deutschland zu besuchen. Noch nicht einmal einen gemeinsamen Nachmittag in Tokyo, zusammen in der Öffentlichkeit, schenkte es uns. Es war einfach unbarmherzig. Wieder verschwamm alles vor meinen Augen. Ich fasste mir an die Wunde, spürte wie immer mehr Blut herausdrang. Streckte schließlich meinen Arm aus, wollte noch einmal, ein allerletztes Mal in diese wunderschönen Haare fassen. Ein letztes Mal, die Haare des Mannes spüren, der mir mein altes Ich wiedergegeben hatte, ein allerletztes Mal. So ergriff ich sie und begann zu lächeln. Die widerspenstigen Strähnen, entwanden sich meiner Hand. Sie spielten direkt mit ihr, wollten mir wohl sagen, kämpfe und bleib hier, dann kannst du uns noch ganz oft in den Händen halten. Doch auch das war nur eine Illusion. Ich merkte wie ich schwächer wurde. Unbewusst ließ mein Arm die Strähnen los und fiel auf das nasse Gras zurück. Mein letzter kleiner Wunsch war versiegt. Ich atmete nur noch flach und rasselnd. Mein ganzer Körper schmerzte höllisch und bewegen konnte ich mich auch nicht mehr. “Schuldig”, flüstere ich noch einmal, dann sank ich endgültig in mich zusammen. Sog die Luft langsam ein und merkte wie mein Herzschlag schwächer wurde. Bis zu diesem Augenblick hatte es sehr zuverlässig das Blut aus der Wunde pulsieren lassen, doch nun machte es auch das nicht mehr mit. Es war das Ende… Nun wusste ich also, wieso ich dieses beklemmende Gefühl in meiner Herzgegend verspürt hatte….es war das Gefühl des Todes gewesen. Tränen rannen über mein Gesicht, nun würden wir nie zusammen durch Deutschland spazieren. Nie… Und mit dieser Erkenntnis entschwanden meinen Gedanken, alles wurde Schwarz um mich herum. Schwarz… Ich lachte vor Trauer und mein Leben versiegte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)