Der Tag an dem ich dich wiedersah... von -Sessy- (Sesshoumaru x Rin) ================================================================================ Kapitel 1: Alte Erinnerungen ---------------------------- >Ich verstehe es nicht... War es wegen mir? Was habe ich denn falsch gemacht? Ich war immer wie ein kaum wahrzunehmender Schatten an deiner Seite. Ich gab mir alle Mühe dir nicht zur Last zu werden. Oder war ich von Anfang an nur eine Last für dich? Wenn es so wäre, verstehe ich nicht, wieso du mich damals nicht wieder weggeschickt hast, als du merktest, dass ich dir folgte. Du hättest mich einfach in dem nächsten Menschendorf zurücklassen können. Stattdessen hast du drei Jahre lang gewartet. Ganze drei Jahre! Konntest du meinen Gegenwart nicht mehr ertragen? Ich verstehe das alles nicht. Bitte erkläre es mir...< Die Sonne ging auf. Rin stand noch immer vor dem Fenster der kleinen Hütte, die sie bewohnte. Die ersten Sonnenstrahlen trafen auf ihre Haut. Sie spürte die angenehme Wärme und musste leicht lächeln. Sie streckte sich einmal und ging dann auf ihr Bett zu, auf dem ihr roter Kimono lag, den sie sich überzog. Von draußen hörte man schon die ersten Stimmen. Die Dorfbewohner wurden munter. Nach einem kurzen Blick in ihren Handspiegel, stand sie von ihrem Bett auf und ging hinaus, um frisches Wasser aus dem alten Brunnen zu holen. Der kleine Brunnen stand etwas abseits des Dorfes auf einer Wiese, die mit bunten Blumen übersät war. Kein Wunder, es war Frühling. Bei dem schönen Frühlingswetter hatte sie ihre trübseligen Gedanken von heute morgen schnell wieder vergessen. Sie setzte sich auf die blühende Wiese, dicht bei dem Brunnen, und sah sich um. Das Dorf bestand aus schlichten Holzhütten. Einige Menschen waren dabei ihre Stände aufzubauen und ihre Läden zu öffnen, um Reisenden ihre Waren zu verkaufen. Ein kleiner Bach schlängelte sich durch das Dorf, über dem eine kleine Brücke gebaut war. Kinder spielten im Sommer gerne an dem Bach. Das Wasser kam von einem kleinen See, der hinter dem Wald lag. Durch den dichten Wald, der das Dorf umgab, war das Menschendorf besser geschützt als andere. Rin seufzte und hob den Kopf gen Himmel. Die Sonne stand schon ziemlich hoch und lies diesen Tag wunderbar beginnen. "Hallo Rin!" Ein junges Mädchen, etwa sechs Jahre alt mit dunklen langen Haaren, kam auf sie zugelaufen. "Guten Morgen, Shiomi.", lächelte Rin ihr zu. "Wie geht es dir heute?" "Schon viel besser als gestern. Mutter sagt aber, ich sollte lieber noch zu Hause bleiben." "Dann solltest du lieber auf deine Mutter hören.", gab Rin freundlich zurück. "Das werde ich!", strahlte die Kleine. "Ich wollte dir nur das hier geben." Shiomi hielt Rin ein kleines Bündel unter die Nase. "Ein kleines Geschenk von Mutter, Kokomi und mir, weil du dich um mich gekümmert hast, als ich so krank war und Mutter am Stand helfen musste. Und... weil du heute Geburtstag hast!" Nachdem Aiko, die alte Miko, letztes Jahr verstorben war, konnte sich kaum jemand aus dem Dorf um die Kranken und Verletzten kümmern. Rin hatte sich zwar einiges davon merken können, was ihr die alte Miko gezeigt hatte, aber das war nur ein Minimum vom Ganzen und die Hälfte davon hatte sie eh schon wieder vergessen. Rin nahm das Geschenk, zwar etwas verwirrt, aber dennoch angenehm überrascht, entgegen. "Vielen Dank...", sagte sie leise. Das kleine Mädchen umarmte sie. "Ich muss wieder nach Hause, bevor Mutter sich Sorgen um mich macht." Shiomi drehte sich um und lief freudestrahlend wieder ins Dorf zurück. Rin schaute ihr noch nach, bis sie in einer der Hütten verschwand. Dann galt ihre Neugierde aber dem kleinen Bündel, das Shiomi ihr gegeben hatte. >Riecht lecker...<, dachte sie. Wie kaum anders zu erwarten, war der Inhalt des Bündels ein selbstgebackenes Maisbrot. "Das werde ich mir für heute Abend aufheben.", grinste sie. Rin wollte das leckere Brot gerade wieder in dem weißen Stofftuch einpacken, als noch etwas anderes heraus fiel. "Oh..." Eine zierliche Kette lag vor ihr auf dem Boden. Winzig kleine Steinchen waren bunt bemalt und mit dünnem Garn zu einer Kette verknotet worden. Rin fand zwar, dass die Farben grün und lila überhaupt nicht zueinander passten, aber es war eben ein Geschenk, gemacht von einem Kind. >Früher habe ich so etwas auch gerne gemacht.< Sie lächelte wieder leicht. Schließlich legte sie die Kette wieder, zusammen mit dem Brot, auf das Stofftuch und wickelte es ein. Sie atmete einmal tief durch und stand dann auf. Wie schnell doch die Zeit verflogen war. Sie ging zu dem Brunnen und holte mit dem Eimer, der daneben stand, das Wasser heraus, das sie eigentlich schon vor einer knappen Stunde tun wollte. Bepackt mit dem Eimer und dem kleinen Bündel ging sie langsam wieder zurück zu ihrer Hütte. Sie betrat die Hütte und stellte den Eimer ab. Dann ging sie auf den kleinen Tisch zu, der in der Mitte der Hütte stand. Um ihn herum waren 3 Stühle aufgestellt. Eine blaue Vase mit kleinen gelben Verzierungen schmückte den Tisch. Rin legte das Brotbündel auf den Tisch und entnahm dem nur die Kette von Shiomi. Sie versuchte sich die Kette ihrer kleinen Freundin umzulegen. "Schade, sie ist zu klein. Shiomi wird enttäuscht sein, wenn ich sie nicht trage." Rin überlegte einen Moment. "Wenn ich sie nicht umhängen kann, werde ich sie eben so bei mir tragen, als Talisman." Sie band sich die kleine Kette einmal um ihr Handgelenk. "So geht es auch.", lachte sie und ging wieder zu dem Eimer. Sie schüttete das Wasser in eine Schale. Als sich das Wasser beruhigt hatte, sah Rin ihr Spiegelbild. Sie betrachtete es eine Weile. Dann wusch sie sich. Ein bisschen Wasser lief ihr über das Kinn den Hals hinunter. Rin nahm ein Handtuch und trocknete sich ab. In diesem Moment klopfte jemand an die Tür. Rin schaute auf. Ein junger Mann, in ihrem Alter, steckte seinen Kopf durch den Türspalt und grinste. "Guten Morgen, Rin!" Er trat ein, ohne das die Schwarzhaarige ihn dazu aufgefordert hatte. Das tat er immer und Rin ging das ziemlich auf die Nerven. "Alles Gute zum Geburtstag.", sagte er, während er auf sie zuging, und gab ihr einen sanften Kuss auf die Wange. "Danke, Yazuma." Sie hasste es, wenn er dies tat. Es war niemandem im Dorf entgangen, dass Yazuma Rin verehrte. Er würde alles für sie tun. "Setz dich doch.", meinte Rin schließlich und wies ihn mit einer Handbewegung hin, sich an den Tisch zu setzten. Yazuma näherte sich ihr wieder. "Ich würde aber viel lieber..." Doch weiter kam er nicht. Rin legte das Handtuch, das sie immer noch in den Händen gehalten hatte, beiseite und ging an Yazuma, ohne in anzusehen, vorbei. Yazuma nahm es nicht besonders schwer. Er war es gewohnt, dass Rin seine Annäherungsversuche abblockte. Zugegeben, er sah nicht schlecht aus mit seinen schwarzen langen Haaren und den tiefgrünen Augen. Auch seine Art hätte Rin ertragen können. Er war mutig, zuverlässig, treu, hielt stets sein Wort und er konnte Rin jederzeit zum Lachen bringen. Und dennoch... Yazuma war nicht Sesshoumaru. Wie gerne würde sie ihn jetzt bei sich haben. Heute, an ihrem 22. Geburtstag. Es ist nun schon 12 Jahre her. >Ob er sich verändert hat?< Yazuma riss sie aus ihren Gedanken. "Worüber denkst du wieder nach?" Rin setzte sich auf einen Stuhl, ihr Besuch tat es ihr gleich. "Dies und das... Du weißt schon.", antwortete sie ihm. Yazuma nahm sich ein Stück von dem Maisbrot, das immer noch auf dem Tisch lag. "Hey! Das wollte ich heute Abend essen!", fuhr sie ihn an. "Keine Sorge. Heute Abend bekommst du was viel besseres als Maisbrot. Zu Ehren deines 21. Geburtstags..." "22.!", unterbrach sie ihn. "Ach ja, deines 22. Geburtstags, veranstalten wir ein Festessen für dich." Rin war über diese Neuigkeiten nicht sehr begeistert. Der Ablauf war eh immer der selbe wie jedes Jahr. Rin sagte kein Wort. Irgendwie war sie heute nicht sie selbst. Nach einigen Minuten des Schweigens stand Yazuma auf. "Ich gehe dann jetzt besser. Wir sehen und heute Abend." Er gab ihr noch einen Kuss auf die Wange und ging dann zur Tür raus. >Idiot!<, dachte Rin. Sie seufzte und sah auf ihr angeknabbertes Maisbrot. "So ein Vielfrass!" Der Tag kroch vor sich hin. Obwohl das Wetter herrlich war, hoffte Rin, dass dieser Tag bald ein Ende finden würde. Fast den ganzen Nachmittag saß sie gedankenverloren in ihrer Hütte. Am frühen Abend hörte sie bekannte Kinderstimmen. Sie wurden immer lauter, bis sie plötzlich verstummten. "Rin?" Ein Mädchen, mit orangefarbenen Haaren schaute durch das Fenster. Als sie Rin entdeckte, stupste sie das andere, jüngere Mädchen an, das sie begleitete. "Sie ist da. Lass uns reingehen.", sagte die Größere. Kurz darauf betraten die beiden Kinder die Hütte. "Hallo, Rin." "Hallo ihr Zwei.", begrüßte Rin die beiden Geschwister. "Ich dachte, du solltest heute noch zu Hause bleiben, Shiomi." "Mutter hat es mir erlaubt, ausnahmsweise.", lächelte das Mädchen verlegen. Nun standen Kokomi und Shiomi vor ihr und schauten Rin erwartungsvoll an. "Was ist denn?", wollte Rin wissen. "Wir sind hier um dich abzuholen. Yazuma sagt, wir sollen zusehen, dass wir... ähm, dass wir... wir sollen... Was hat er noch mal gesagt?", fragte Shiomi ihre ältere Schwester. "Die genaue Wortwahl möchte ich jetzt nicht wiederholen, aber er sagte, du sollst dich beeilen.", sagte Kokomi und wurde leicht rot im Gesicht. Kokomi war für ihre 10 Jahre ein ziemlich cleveres Mädchen. Ihre kleine Schwester bewunderte sie dafür und erzählte Rin immer, dass sie auch mal so werden wolle. "So, Yazuma hat das gesagt?", antwortete Rin in einem gelangweilten Ton, den die Kinder aber nicht bemerkten. "Gut, wenn das so ist, dann komme ich jetzt mit euch." Die beiden Kinder freuten sich und zogen Rin an den Armen stürmisch nach draußen. Die Sonne ging schon langsam unter. Die Dorfbewohner hatten ein großes Lagerfeuer angezündet. Die roten Flammen loderten gen Himmel. Einige Männer brachten Wild, welches sie zuvor im Wald erlegt hatten. Rin setzte sich auf eine Holzbank, dicht am Feuer. Kokomi und Shiomi waren schon längst wieder bei den anderen Kindern und spielten noch, bevor sie zu Bett gebracht wurden. Von jedem bekam Rin Glückwünsche zugerufen und einige gaben ihr sogar kleine Geschenke. Rin interessierte das recht wenig. Geistesabwesend starrte sie in das lodernde Feuer, bis ihr der Geruch von leckerem Braten in die Nase stieg. "Hier, iss ein Stück. Das ist gut.", sagte jemand und setzte sich neben sie. Sie blickte auf und sah in Yazumas Gesicht, der ihr ein Stück Fleisch anbot. Rin nahm es etwas zögernd entgegen. "Und? Wie gefällt es dir? Ist doch richtig gut geworden, nicht wahr?" "Ja, es ist... toll.", log Rin. In Wirklichkeit fand sie es langweilig. Es wurde geredet, dann wurde gegessen. Anschließend betranken sich die Männer und die Frauen durften die Reste beseitigen. Es war immer dasselbe. Rin kaute auf dem Stück Fleisch herum, das Yazuma ihr gegeben hatte. "Was bedrückt dich?", fragte er schließlich. "Du bist schon den ganzen Tag so komisch." "Es ist nichts weiter.", sagte sie knapp. "Nichts weiter? Komm schon, du kannst es mir ruhig sagen. Vielleicht kann ich dir ja helfen." "Mir helfen? Das kann niemand." Sie machte eine kleine Pause. "Jedenfalls nicht diese Art von Hilfe, die ich benötige, um..." "Um? Um was?", stocherte Yazuma weiter. "Vergiss es. Ich habe wirres Zeug geredet. Ist nicht wichtig.", gab Rin zurück. "Das glaube ich dir nicht. Es scheint für dich sehr wichtig zu sein. Rin, was hast du? Hat es was mit vergangenen Zeiten zu tun?" "Hör auf damit!", schrie sie in an. "Hör auf zu fragen und lass mich allein!" Sie schmiss das Fleisch auf den Boden und stand auf. "Lass mich einfach in Ruhe!" Dann ging sie mit schnellen Schritten in den Wald. Yazuma saß immer noch auf der Bank und starrte der jungen Frau nach. Einige andere Leute hatten das Ereignis auch mitbekommen, nahmen aber nicht weiter Kenntnis davon. Rin lief auf eine Lichtung zu. Sie brauchte etwas Abstand. Zeit für sich selbst. Zeit zum nachdenken. Sie lehnte sich an einen großen Baum und lies sich an diesem hinuntergleiten. Eine Weile saß sie regungslos da, bis ihr Blick auf etwas helles am Himmel fiel. Der Mond stand hoch oben am Firmament. Es war Vollmond und er leuchtete so hell, dass es schon fast blendete. So groß hatte Rin den Mond schon lange nicht mehr gesehen. Sie sah jeden einzelnen Krater und die vielen kleinen Sterne, die den Mond umgaben. Es sah wunderschön aus. Sie betrachtete gerne den Vollmond. Das weckte alte Erinnerungen. Rin schloss kurz die Augen und schluckte. >Warum?< Sie öffnete wieder ihre Augen und starrte die helle Scheibe an, die über ihr stand. Sesshoumarus Gesicht erschien vor dem hellen Himmelskörper und blickte auf sie herab. In diesem Moment konnte sie ihre Gefühle nicht länger zurückhalten. Es ging nicht mehr. Tränen flossen über ihre Wangen und tropften am Kinn hinunter. Sie vergrub ihr Gesicht in den Händen und schluchzte. So elend hatte sie sich lange nicht mehr gefühlt. Eigentlich noch nie. >Was ist der Grund dafür? Warum bin ich in letzter Zeit so anfällig?< Diese Frage konnte sie sich selbst nicht beantworten. Sie wusste keine Antwort. Vielleicht gab es gar keine... >Sesshoumaru, wo bist du jetzt? Denkst du auch hin und wieder an mich?< Tief in Gedanken versunken merkte sie nicht, wie sich ihr jemand näherte. Erst durch das Rascheln der Büsche wurde sie aufmerksam. Erschrocken fuhr sie herum. Kapitel 2: Todesangst --------------------- "Wer ist da?", fragte sie etwas ängstlich. "Ich bin es nur. Tut mir leid, ich wollte dich nicht erschrecken." Yazuma kam mit langsamen Schritten auf sie zu. Rin drehte ihren Kopf weg und wischte sich ein paar Tränen aus dem Gesicht. Yazuma hockte sich neben sie. "Ich... na ja, ich wollte mich wegen vorhin bei dir entschuldigen. Ich wollte dir nicht zu nahe treten. Falls ich dich auf eine Art verletzt haben sollte, bitte vergib mir." Rin schaute ihn nicht an. Sie hatte ihren Blick gesenkt und schaute nun fast bewegungslos auf den Boden. "Es war nicht deine Schuld.", antwortete sie ihm leise. "Ich dachte mir, du bräuchtest vielleicht jemanden, mit dem du über alles reden kannst, wenn dich etwas bedrückt. Da bin ich wohl etwas zu weit gegangen." Eine weitere Träne lief ihr über die Wange, was Yazuma nicht entging. Er strich ihr die Träne mit einem Finger weg. Ihr trauriger Blick brachte ihn dazu sie in den Arm zu nehmen. Er wollte sie trösten, irgendwie, auf irgendeine Art und Weise. "Wenn du reden willst, ich bin immer für dich da. Egal, wann." Rin wusste das zu schätzen. Aber sie wollte nicht reden. Nicht mit ihm und schon gar nicht über dieses Thema. Sie wusste, wie er darauf reagieren würde. Sie wollte sich selbst auf andere Gedanken bringen. Aber wie? Yazuma war ihr nicht gerade eine große Hilfe dabei. Er hielt sie immer noch in den Armen und drückte sie leicht an sich. Sie schloss erneut die Augen und in ihren Gedanken sah sie nicht Yazuma, der sie in den Armen hielt, sondern Sesshoumaru. Es war schon sehr spät geworden. Man merkte es, da es zunehmend kühler wurde. Rin bekam eine Gänsehaut und zog die Beine an ihren Körper. Yazuma hatte immer noch einen Arm um sie gelegt. "Komm, wir gehen zurück. Es ist kalt und du wirst dich sonst erkälten." Rin schüttelte den Kopf. "Nein, ich möchte noch etwas hier bleiben." "Das halte ich für keine gute Idee. Du solltest lieber mitkommen.", sagte Yazuma ruhig. Rin hatte dies nicht gehört und starrte wieder gen Himmel, wo immer noch der Mond stand, umgeben von einem silbrigen Schein. "Sesshoumaru..." Unbewusst und mit einem verträumten Blick flüsterte sie seinen Name. Yazuma sah auf. Sein Blick wurde ernster. "Was? Du denkst immer noch an diesen... Dämon?!" Erst jetzt wurde Rin klar, dass sie laut gedacht hatte. Sie senkte erneut ihren Blick. "Rin, er ist ein Dämon! Wie kannst du nur? Wie kannst du ihm nur nachtrauern, nach all den Jahren?", fragte er weiter, doch er bekam keine Antwort. "Ich habe ihn nur zweimal gesehen. Einmal, als er dich zu uns brachte und einmal, als ich mit meinem Vater unterwegs war, um zu jagen. Damals habe ich gesehen, wie er wirklich ist. Er hat ein ganzes Dorf ausgelöscht, ohne jegliches Mitgefühl für die Frauen und Kinder! Das war das Schlimmste, was ich je gesehen habe. Es ist mir wirklich ein Rätsel, warum er dich damals verschont hat, aber ich bin dankbar, dass du nun bei uns bist. Er hasst Menschen! Und wegen so einem wie dem machst du dir wirklich Gedanken? Das kann doch nicht dein Ernst sein!" Yazuma hielt nicht viel von Sesshoumaru. Er verabscheute ihn regelrecht. Das hörte man auch an dem Ton, wie er über ihn sprach. Immer, wenn er seinen Namen nannte, oder ihn nur als Dämon bezeichnete, hört man einen angewiderten Unterton in seiner Stimme. Er machte eine kleine Pause. "Sei froh, dass er dich zu uns gebracht hat. Er hätte dich auch umbringen, regelrecht zerfleischen können! Er ist gefährlich, bösartig, brutal und er scheut vor nichts zurück!" "NEIN!", schrie sie wütend und schlug mit der Faust auf den harten Boden. "Er ist nicht bösartig und brutal! Und gefährlich ist er nur, wenn man ihm schaden will! Du kennst ihn nicht! Also hör auf etwas zu erzählen, wenn du keine Ahnung davon hast!" Sie riss sich von ihm los und blickte ihn zornig an. Die Wut konnte man in ihren Augen sehen. Yazuma atmete tief durch. Es hatte sowieso keinen Sinn ihr in solch einer Situation zu widersprechen. Sie hatte nun mal ihren eigenen Kopf. Außerdem fand er es sinnlos diese Diskussion fortzuführen. Es würde sowieso nichts bringen. "Gut, wie du meinst." Er kniete sich hin. "Aber versprich mir, dass du nicht mehr lange bleibst. Du weißt, was für Wesen hier nachts herumschleichen. Es ist gefährlich. Achte auf dich." Als sie nicht reagierte, beugte sich Yazuma zu ihr. Er hob ihr Kinn an und küsste sie, ohne auch nur einen Augenblick zu warten, bis sie die Situation realisiert hatte. Rin war darauf nicht vorbereitet. Seine linke Hand weilte noch immer an ihrem Gesicht, mit der rechten hielt er ihre Hand und strich ihr sanft über den Handrücken. Seine weichen Lippen berührten ihre und sie spürte seinen warmen Atem auf ihrer Haut. Obwohl Rin diesen Kuss nicht erwiderte, tat sie nichts, um sich dagegen zu wehren. >Vielleicht kommt sie dadurch wieder zur Vernunft.<, dachte er. Nach einigen Sekunden löste er sich von ihr. Rin schien es kaum wahrzunehmen, wirkte ruhig und gelassen. Doch in ihrem Inneren brodelte es. Sie war aufgeregt, nervös und ihr Herz pochte so heftig, dass sie dachte, es würde jeden Moment herausspringen. Immerhin hatte er ihr den ersten Kuss genommen. Sie war nicht sehr erfreut darüber, aber sie hatte es hingenommen. Es musste irgendwann passieren. Sie fand es nicht schlecht, dieses Gefühl, dass man dabei hatte, wenn man geküsst wurde. Ehrlich gesagt, gefiel es ihr sogar recht gut. Doch sie hätte sich lieber gewünscht, dass es jemand anderes gewesen wäre, der ihr dieses Gefühl zum ersten Mal gab. Yazuma war schon lange wieder im Dorf. Rin saß nicht mehr an dem Baum, sondern hatte ihren Weg zu dem See fortgesetzt, der hinter dem Waldstück lag. Sie kniete am Ufer und betrachtete ihr Spiegelbild. Durch den Schein des Mondes wirkte ihre Haut viel heller als normalerweise und ihre Augen funkelten. Um sie herum blühten wilde Blumen. Das hohe Gras umgab sie. Ihre langen schwarzen Haare wehten leicht im Nachtwind. Mit einer Hand fuhr sie zu ihrem Gesicht und berührte mit zwei Fingern ihre Lippen. Dabei musste sie etwas schmunzeln. Eine kühle Briese kam auf und lies das Seewasser so unruhig werden, dass Rins Spiegelbild vollkommen verschwand. Sie blicke auf. Ein ungutes Gefühl überkam sie. Die feinen Härchen in ihrem Nacken stellten sich auf. Irgendetwas stimmte nicht. Sie wurde beobachtet, eindeutig! Die kalte Luft lies sie erzittern. Rin schaute sich vorsichtig um, konnte aber in der Dunkelheit nichts erkennen. Es war mit Sicherheit niemand, den sie kannte. Eine panische Angst überfiel sie. "In Ordnung, was mache ich jetzt? Zuerst ganz ruhig bleiben. Keine schnellen Bewegungen.", sagte sie zu sich selbst. Sie richtete sich langsam auf. Ihr Gesichtsausdruck war fest und entschlossen, doch ihre Augen verrieten ihre Furcht. "Und jetzt ganz langsam zurück ins Dorf...", flüsterte sie sich selbst zu. Das war einfacher gesagt als getan. Ihre Beine wollten schneller, als es ihr Kopf zuließ. Schließlich fing sie an zu laufen. Immer schneller und schneller. >Hätte ich nur auf Yazuma gehört. Wenn ich mit ihm gegangen wäre, würde ich jetzt in meinem Bett liegen und nicht hier durch die Gegend laufen.< Hinter sich hörte sie das Rascheln der Büschen. Wer immer sie auch beobachtet hatte, folgte ihr nun. Sie rannte panisch weiter, so dass ihre Lunge schon anfing zu schmerzen. Auf dem eigentlichen Pfad, der zurück ins Dorf führte, war sie schon lange nicht mehr. Sie lief orientierungslos durch den dunklen Wald. Kleine Äste peitschten gegen ihre Beine und feine Gräser schnitten ihr in die Haut. Sie rannte um ihr Leben, hatte Todesangst. Wer oder was auch immer sie verfolgte, sie wollte ihr gar nicht kennen lernen. Wer weiß schon, wer es war und was er von ihr wollte. Sie lief immer noch leicht verwirrt durch die Gegend. Es dauerte etwas bis sie es sah... Licht! Dort hinten war eindeutig Licht zu sehen. Sie hatte es geschafft. Nur noch ein paar Meter, dann würde sie da sein. Hastig stürmte sie zwischen Bäumen und Sträuchern hervor. Keuchend fiel sie auf die Knie. Ihre Lunge brannte, ihre Hände zitterten und ihre Beine waren wie gelähmt. Sie rang nach Luft. Zwei Männer näherten sich ihr. Beide waren bewaffnet, einer hatte eine Laterne in der Hand, deren Licht schwach flimmerte. Rin erkannte sie. Es waren zwei der Wachen, die des nachts ihre Runden drehten, um zu sehen, ob alles in Ordnung war. Der eine Wachmann hielt die Laterne vor Rins Gesicht. "Was suchst du denn um diese Zeit noch hier draußen, Rin? Ist alles in Ordnung mit dir?" Rin versuchte zu antworten, was ihr aber recht schwer fiel, da sie immer noch ziemlich außer Atem war. "Da... da draußen ist irgendwas. Es hat mich... verfolgt!", brachte sie mühsam heraus. Die beiden Wachen sahen auf und nickten sich zu. "Geh in deine Hütte, Rin. Wir werden uns das mal ansehen.", redete die Wache beruhigend auf sie ein. Rin nickte ihm zu und versuchte aufzustehen. Ihre Beine fühlten sich noch immer so taub an und sie wankte beim gehen. Dennoch erreichte sie ihre Hütte. Sie drehte sich noch einmal um und sah, wie die beiden Wachen im Wald verschwanden. >Hoffentlich finden sie denjenigen.< Aufgelöst betrat sie die Hütte und lies sich auf dem Boden nieder. Schweißperlen liefen ihr über die Stirn. "Das war knapp.", murmelte sie. "Ich habe wirklich gedacht, es ist um mich geschehen." Rin lies den Kopf in den Nacken fallen und atmete tief durch. Nach einigen Minuten hatte sie sich wieder etwas beruhigt und ihr Herzschlag normalisierte sich auch. Langsam krabbelte sie zu ihrem Schlafplatz und zog die Decke zu sich. >Das war nicht das erste Mal, dass ich so um mein Leben gerannt bin.<, erinnerte sie sich. >Ich war sieben Jahre alt und Wölfe jagten mich durch den Wald. Ich lief so schnell mich meine Füße tragen konnten. Doch eine Sekunde der Unachtsamkeit reichte aus, um meinem Leben ein Ende zu setzten. Ich stolperte über eine Wurzel und schlug hart auf den Boden auf. Die Wölfe fielen über mich her, bissen mich und letztendlich töteten sie mich auch.< Rin trank einen Schluck Wasser aus dem Becher, der nah an ihrem Schlafplatz stand. Das kühle Wasser, das ihre Kehle hinunter lief, tat ihr gut. >Das nächste, woran ich mich erinnere, ist, dass ich in deinen Armen aufgewacht bin. Ich sah in deine Augen, die mich überrascht anstarrten. Zunächst wusste ich nicht, was mit mir geschehen war, doch nach und nach kam die Erinnerung zurück. Mir wurde klar, dass ich diesen Angriff gar nicht hätte überleben können und das ich es nur dir zu verdanken hatte, dass ich weiterhin am leben war. Dafür war ich dir dankbar. So dankbar, dass ich folgte. Ich würde dir immer noch überall hin folgen, doch du schicktest mich fort. Einfach so, ohne mir einen Grund zu nennen.< Sie trank erneut aus dem Becher, der sich schnell leerte. Dann legte sie sich langsam hin, die Arme hinter den Kopf verschränkt und schloss die Augen. Sie hasste dieses Gefühl der Hilflosigkeit. Es bedeutete Schwäche. Es bedeutete, dass man auf Hilfe anderer angewiesen war. Das man immer jemanden brauchte, der bei einem war, weil man es sonst allein nicht schaffen konnte. So hatte sie sich gefühlt und so fühlte sie sich immer noch... allein und hilflos. Kapitel 3: Der Entschluss ------------------------- Rin fiel in einen unruhigen Schlaf. Alpträume plagten sie. Sie träumte von vergangenen Jahren, schlimmen Ereignissen, die sie einfach nicht loslassen wollten. Sie sah ihre Familie und andere Leute qualvoll sterben. Sie sah, wie Banditen Dörfer überfielen und plünderten, die Kleinen und Schwachen töteten, sowie diejenigen, die Widerstand leisteten. Die Frauen behielten sie für sich selbst, nur um später mit ihnen ihren Spaß zu haben. Sie sah, wie durch Dämonenangriffen zig Dörfer vernichtet wurden. Sogar kleine Kinder mussten unter Qualen und Schmerzen ihr Leben lassen. Und am Ende sah sie ihren eigenen Tod. Sie sah, wie jemand auf sie zuging. Ein großer schlanker Mann, mit langen weiß-silbrigen Haaren. Er hatte eine Mondsichel auf der Stirn und an den Wangen jeweils rechts und links zwei Streifen. Seine langen Krallen waren deutlich an den Händen zu sehen und seine gelb-goldenen Augen funkelten. Er blickte auf Rin hinab. Sein Blick war verachtend. "Was starrst du mich so an?", fragte er mit einer tiefen Stimme und sein Blick verfinsterte sich. "Wie kannst du es nur wagen mir in die Augen zu sehen?! Senke deinen Blick vor mir, du wertloses Menschenweib!" Er packte sie am Hals und drückte zu. Rin sank zu Boden. "Merke dir gut mein Gesicht, denn das wird das Letzte sein, dass du in deinem Leben sehen wirst. Das Gesicht Sesshoumarus!" Er stieß mit dem Fuß einmal gegen ihren Körper. Seine Hand zuckte und er fuhr seine Klauen aus. Man höre wie die Knochen seiner Hand knackten. Dann schlug er zu. Seine scharfen Klauen schnitten in ihre Haut, wie ein Messer in weiche Butter. Aus ihrer Kehle schoss das Blut. Mit weit aufgerissenen Augen schlug sie auf die steinige Erde auf. Der leblose Körper vor seinen Füßen entlockte dem Dämon ein grauenhaftes Lächeln. "Und wieder ein nutzloser Mensch weniger." Schweißgebadet erwachte Rin aus dem Schlaf. Die Angst konnte man ihr ansehen. >Was war das denn? So ein Traum...< Verwirrt griff sie nach dem Becher, um etwas Wasser zu trinken. Dieser war jedoch leer. "Mist..." Mit der Hand fuhr sie sich über die Stirn und strich sich ein paar Strähnen aus dem Gesicht. >Er hätte so etwas nie getan. Niemals!< Dann fielen ihr die Worte ein, die Yazuma ihr am Abend gesagt hatte. "Sei froh, dass er dich zu uns gebracht hat. Er hätte dich auch umbringen, regelrecht zerfleischen können! Er ist gefährlich, bösartig, brutal und er scheut vor nichts zurück!" "Blödsinn! Warum hast du mir so etwas gesagt? Wegen dir habe nun ich diese Worte nun im Kopf. Das ist alles deine Schuld, Yazuma!" Sie lehnte sich noch einmal zurück, wollte sich ausruhen. Doch ihre Augen fielen ungewollt zu. Erneut fing sie an zu träumen. Diesmal von dem Ereignis vor ein paar Stunden. Sie lief wieder durch den Wald. Jemand oder etwas folgte ihr. Sie huschte durch Sträucher und dornige Büschen, um denjenigen abzuhängen. Endlich hatte sie es geschafft. Sie blieb an einem Baum stehen und stützte sich mit einer Hand ab. Plötzlich sah sie zwischen den Bäumen einen großen dunkel Dämon auf sich zukommen. Seine roten Augen glühten und man sah in ihnen deutlich die Gier. Die Gier nach Blut. Die Gier, etwas Hilfloses zu quälen und zu töten. Rin hatte dieses ungute Gefühl, dass sie das auserwählte Opfer sein sollte. Und sie sollte damit auch Recht behalten. Doch gerade, als der Dämon nach ihr schlagen wollte, brach er vor ihren Augen zusammen. Erst, als er vor ihr auf dem Boden lag, bemerkte Rin, dass sein Körper in der Mitte zerteilt worden war. Verwirrt blickte sie auf, als sie ein weiteres Geräusch wahrnahm. In der Annahme, dass es ein weiterer Dämon sein würde, der sie töten wolle, schritt sie einige Schritte zurück. Bei einem lag sie richtig... Es war ein Dämon, aber er wollte sie nicht angreifen oder töten. "Wie oft habe ich dir gesagt, du sollst vorsichtig sein, wenn du dich in den Wäldern herumtreibst?" Diese Stimme kannte sie. Sie kam ihr so vertraut vor. Der Dämon ging kühl und gelassen auf sie zu. Als sie ihn erkannte, verschwand ihre Angst und ein Lächeln war auf ihren Lippen zu sehen. "Sesshoumaru-sama..." Mehr brachte sie nicht heraus. Sie war so überglücklich ihn zu sehen. Ihre Augen strahlten und sie wollte auf ihn zulaufen, ihn umarmen, doch sie kam nicht vom Fleck. Sie wollte ihn so vieles fragen, doch kein weiteres Wort entwich ihrer Kehle. Sesshoumaru blieb ein paar Meter vor ihr stehen und sah sie lange mit seinem üblichen emotionslosen Ausdruck an. "Du weißt, wo du mich finden kannst.", sagte er schließlich in einem ruhigen Ton. Dann drehte er sich um und verschwand wieder zwischen den Bäumen, wo er hergekommen war. Rin erwachte aus ihrer Starre. "Warte! Sesshoumaru-sama, bitte warte!" Sie lief ihm nach, doch er war verschwunden. Einfach spurlos verschwunden. Nichts deutete darauf hin, dass er in der letzten Minute hier gewesen war. "SESSHOUMARU!" Rin öffnete die Augen. Ihr Blick fiel durch das Fenster, durch das man die Morgendämmerung sehen konnte. Sie richtete sich langsam auf. Ihre Beine schmerzten und der Rücken tat ihr weh. Erst jetzt bemerkte sie die Wunden, die sie von gestern Abend davongetragen hatte. Die feinen Schnitte in ihrer Haut brannten wie Feuer. "Verdammt, so was kann auch wieder nur mir passieren." Dann erinnerte sie sich an Sesshoumarus Worte. "Du weißt, wo du mich finden kannst." Zuerst war sie etwas verwirrt und wusste nicht genau, worauf er damit hinaus wollte. "Ich weiß, wo ich ihn finden kann? Weiß ich das? Woher sollte ich..." Sie hielt inne. "Aber ja, natürlich! Ich weiß, wo er ist!" Ein kurzes Lächeln breitete sich auf ihren Lippen aus, das aber fast im selben Moment wieder verschwand. "Warum hat er mir das gesagt? Wusste er von Anfang an, dass ich Fragen haben würde, die nur er mir beantworten kann? Hat er es mir gesagt, damit ich versuchen kann zu ihm zu gehen, um Antworten zu erhalten? Ist es vielleicht möglich, dass er selbst will das ich ihn finde? Oder hat er dies nur gesagt, weil ich es so wollte? Schließlich war es nur ein Traum..." Rin blieb noch eine Weile sitzen. Ihre Schmerzen hatte sie schon wieder vergessen. "Ach, was solls!" Sie stand auf und nahm sich den dunkelblauen Kimono mit den eingestickten Blumenmuster an den Ärmeln. Den hatte sie mal von Yazuma geschenkt bekommen. "Gut, ich werde es machen und niemand wird mich daran hindern können." Entschlossen nickte sie. Die gute Laune, die plötzlich in ihr aufstieg, vertrieb all die trübseligen Gedanken, die sie zuvor noch gehabt hatte. Der Tag konnte gar nicht besser beginnen. Sie nahm sich ein dünnes Tuch und breitete es auf dem Tisch aus. Ein paar Äpfel, ein bisschen Brot und den Becher, für frisches Trinkwasser, legte sie hinein. >Am Besten ist es, wenn ich sofort aufbreche ohne mich groß von allen zu verabschieden. So etwas liegt mir nicht besonders und außerdem wäre ich dann schon einen ganzen Tag lang unterwegs. Etwas Vorsprung kann nie schaden.< Sie sah sich noch einmal in ihrer Hütte um. Klein und gemütlich. Das alles hier würde sie vermissen. Schließlich verließ sie die Hütte und ging Richtung Brunnen, um vor der Reise noch frisches Trinkwasser zu holen. Auf dem Weg dorthin kam ihr Masao, einer der Wachmänner von gestern Abend, entgegen. "Guten Morgen, Rin. So früh schon auf?", begrüßte er sie. "Ja, die frische Morgenluft sollte man sich nicht entgehen lassen.", gab sie zurück. "Das stimmt allerdings.", sagte er vergnügt. "Übrigens, falls es dich interessiert... Wir haben uns gestern Abend noch im Wald umgesehen, aber nichts gefunden." Rin war zwar erleichtert, dass sie nicht Gefährliches in der Umgebung des Dorfes gefunden hatten, aber dennoch war sie sicher, dass irgendwo da draußen etwas war, das sie beobachtet hatte. "Das beruhigt mich. Ich hätte schwören können, dass mir etwas nachgelaufen ist." "Vielleicht ist ein Wildschwein hinter dir her gewesen. Das kann um diese Jahreszeit durchaus passieren, wenn sie Junge haben." "Du hast wahrscheinlich recht. Außerdem wollte ich... nun, ich wollte... mich bei dir verabschieden.", fing sie an. "Ich muss noch frisches Wasser holen, bevor ich aufbreche." "Aufbrechen? Wohin soll es denn gehen?", fragte er überrascht. "Ich muss jemanden suchen, oder es zumindest versuchen. Masao, ich werde nicht wieder zurückkommen." Der Wachmann sah sie etwas erstaunt an. "Nun, es scheint dir wirklich sehr wichtig zu sein, denjenigen zu finden. Du musst tun, was du für richtig hältst." Er lächelte ihr zu. "Dann wünsche ich dir viel Glück bei deiner Suche, Rin." "Danke", gab sie freundlich zurück. Masao ging wieder zurück ins Dorf, während Rin ihren Trinkbecher auffüllte. Schnell verstaute sie den Becher wieder in dem Tuch. Sie blieb noch einen Moment vor dem Brunnen stehen und dachte nach. Man besagte, dass der Brunnen magische Kräfte besaß, dass er die tiefsten und geheimsten Wünsche in Erfüllung gehen lies, wenn man etwas Wertvolles hinein warf. Rin glaubte nicht an so etwas. >Ob ich es trotzdem einmal versuchen soll, bevor ich aufbreche? Schaden kann es ja nicht... Immerhin habe ich nichts zu verlieren.< Rin kramte ein bisschen in ihrer Tasche herum, fand aber nichts, das auch nur annähernd wertvoll war. >Mist, jetzt will ich mein Glück versuchen und dann so was.< "Hey, bist du aus dem Bett gefallen?" Aus ihren Gedanken gerissen fuhr sie herum. "Yazuma... Ich wünsche dir auch einen guten Morgen.", meinte sie etwas genervt. >Der hat mir jetzt auch noch gefehlt.< "Schon vor Sonnenaufgang aus dem Haus zu gehen? Ist doch sonst nicht deine Art, du Schlafmütze.", grinste er. "Heute aber schon." Yazuma wollte gerade etwas sagen, als Rin ihm ihre ausgestreckte Hand entgegenhielt. "Was...? Was willst du denn?" "Hast du eine Münze bei dir?" "Eine Münze? Sicher... Moment." Er suchte in seinen Taschen und brachte schließlich eine kleine goldene Münze zum Vorschein. "Danke.", sagte sie und nahm sie ihm aus der Hand. Sie drehte sich zum Brunnen. "Willst du es auch mal versuchen?" "Ja, ich will auch mal.", gab sie knapp zurück. "Ich dachte immer, du glaubst nicht an solche Geschichten. Bei mir hat es übrigens nie geklappt. Die Wünsche, meine ich. Bis jetzt haben sich meine nie erfüllt." Doch Rin hörte nicht auf ihn. Sie streckte die Hand aus und schloss die Augen. Mit einem leisen Lächeln lies sie die goldene Münze fallen. Nach einigen Sekunden öffnete sie mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck die Augen. "Komm, lass uns zurück gehen." Yazuma nahm ihre Hand, doch Rin befreite sich geschickt aus seinem Griff. "Nein.", sagte sie so leise, dass er es gerade eben so verstand. "Nein? Hast du denn heute schon was anderes vor?", fragte er überrascht. "Allerdings." Rin fiel es sehr schwer es ihm zu sagen. Aber sie musste, denn er würde sie nicht eher in Ruhe lassen, bis sie es ihm sagte. "Ich werde das Dorf verlassen.", sagte sie schnell. Yazuma fiel in diesem Augenblick alles aus dem Gesicht. "Was?" "Du hast mich schon richtig verstanden. Ich werde gehen." "Wie bitte? Das ist doch ein Scherz. Warum solltest du das tun?" Er war ziemlich überrumpelt, dass konnte man ihm ansehen. "Weil ich endlich die Wahrheit wissen will." "Spinnst du jetzt völlig? Mach doch keinen Blödsinn! Rin, du hast hier alles was du brauchst. Sei doch nicht so töricht." "Was habe ich denn hier, außer der Unsicherheit von damals?" "Na mich!" Rin seufzte und wollte gehen. "Überlege dir noch einmal ganz genau, was du da tun willst. Du bist gerade dabei alles hier aufzugeben.", versuchte Yazuma sie zur Vernunft zu bringen. "Das weiß ich. Ich habe mir das sehr lange und sehr genau überlegt. Und jetzt steht mein Entschluss entgültig fest. Ich werde gehen!" "Wohin?" "Richtung Westen.", sagte sie kühl. "Westen? Nein, Rin! Das wirst du nicht tun!" "Oh doch und du wirst mich nicht daran hindern können.", fuhr sie ihn an und stieß mit dem Zeigefinger gegen seine Brust. "Du weißt doch gar nicht, was du da tust...!" "Ich bin alt genug und weiß ganz genau was ich tue." Langsam entwickelte sich das anfangs normale Gespräch zu einer heftigen Diskussion, fast zu einem Streit. "Na schön, wenn du das so willst, dann werde ich dich begleiten." "Nein!", meinte sie ernst. "Doch, dass werde ich! Weißt du eigentlich auf was du dich da einlässt? Weißt du, wie gefährlich es da draußen ist?" "Ja, dass weiß ich sehr genau. Ich bin lange genug umhergezogen um zu wissen, was alles auf mich zukommen kann!" "Ich glaube du unterschätz ganz gewaltig die Gefahr in den Wäldern! Gerade Richtung Westen! Ich hoffe, du hast dir gewünscht, dass du lebendig wieder hier ankommst! Du hast nicht mal die geringste Ahnung vom Kämpfen. Wie willst du dich verteidigen? Wie willst du überleben, wenn dich jemand angreift? Das Einzige was du kannst ist schnell wegrennen." "Das ist doch schon mal ein Anfang!" "Mach dich nicht lächerlich! Das ist kein Thema, über das man Witze macht. Hast du Nahrung und Wasser dabei?" Rin streckte ihm ihr Verpflegungsbündel entgegen. "Das ist alles?", fragte er spöttisch. "Wie weit willst du denn damit kommen? Ich gebe dir zwei Tage, dann hast du nichts mehr!" "Ich bin durchaus in der Lage mich selbst zu versorgen. Das musste ich auch früher schon tun, bevor ich hier her gebracht wurde. Es wurde mir sehr gut beigebracht. Also unterstell mir nicht, dass ich nicht für mich selbst sorgen könnte!" Langsam wurde sie wütend und das sah man ihr auch an. "Trotzdem kannst du nicht kämpfen.", versuchte er wieder auf sie einzureden, doch wusste er, dass es nicht helfen würde. "Mich wird schon niemand angreifen." "Wie kannst du nur immer noch so naiv sein...?!" Kurze Zeit herrschte Stille zwischen ihnen. Eine unangenehme, angespannte Stille, die keiner von beiden auszuhalten schien. "Du willst zu IHM, nicht wahr?", fragte Yazuma und unterbrach somit die Stille. "Ja!" Rin konnte ihm nicht in die Augen sehen. Diese Antwort hätte er sich auch so denken können. Yazuma atmete tief durch. Er versuchte sich wieder zu beruhigen. Das Ganze hatte doch ziemlich an seinen Nerven gezerrt. Schließlich wandte er sich wieder an sie. "Warum?" Er sprach in einem ganz ruhigen, vernünftigen Ton zu ihr. Er wollte sie nicht anbrüllen oder unter Druck setzten. Damit wäre er sowieso nicht weit gekommen. "Warum nur? Ich kriege das nicht in meinen Kopf. Was hat er, was ich nicht habe?" Ja, was hatte Sesshoumaru eigentlich, was Yazuma nicht hatte? Diese Frage war durchaus berechtigt. Die Dämonenstreifen? Die Mondsichel auf der Stirn? Die langen weiß-silbrigen Haare und die gelb-goldenen Augen, die immer glänzten? Mal abgesehen davon, dass er ein mächtiger Daiyoukai war... Und was war Yazuma? Er war eben doch nur... ein Mensch. Yazuma war wie sie selbst. Warum wollte sie ihn nicht? Weil er ihr so ähnlich war? Rin gab ihm auf seine Frage keine Antwort und starrte auf den Boden. "Du willst also allein losziehen?", fragte er sie erneut. "Ja..." "Mir gefällt das überhaupt nicht." Yazuma strich sich einmal mit der Hand über die Stirn, als ob er sich immer noch nicht eingestehen wollte, dass sie sich ausgerechnet für diesen Weg entschieden hatte. "Kokomi und Shiomi werden dich vermissen. Die Beiden hängen sehr an dir, genauso wie ich." Er machte eine kleine Pause um klare Gedanken fassen zu können. "Wirst du wiederkommen, wenn du deine Antworten bekommst hast?" "Ich weiß es nicht...", gab sie leise zurück. Yazuma ging auf sie zu und umarmte sie. Er wollte sie küssen, doch Rin drehte den Kopf weg. Sie hasste solche Momente. "Ich lasse dich ungern gehen, aber es bringt nichts mit dir darüber zu streiten, wenn du es letztendlich doch tust. Vielleicht war es von Anfang an vorbestimmt, dass du dieses Dorf eines Tages wieder verlassen würdest. Nur das es so bald schon sein würde, hätte ich nicht gedacht." Jetzt war er es, der so leise sprach, dass man ihn kaum verstand. Rin kämpfte mit den Tränen. Das alles hörte sich nach genau dem Abschied an, den sie am meisten hasste. Ein Abschied für immer. "Du wirst mir sehr fehlen. Genau genommen fehlst du mir jetzt schon." Vorsichtig zog er einen kleinen Dolch aus seiner Tasche und drückte ihn Rin in die Hand. "Du solltest nicht unbewaffnet gehen. Auch wenn du nicht sonderlich gut kämpfen kannst, ist es besser, wenn du eine Waffe bei dir trägst. Nur zur Sicherheit." Er drehte ihren Kopf zu sich und gab ihr einen sanften Kuss auf die Stirn. "Pass gut auf dich auf und komm bitte wieder zurück, wenn du deine Angelegenheiten erledigt hast." Mit diesen Worten machte er kehrt und lies Rin allein zurück, ohne sich noch einmal zu ihr umzudrehen. Insgeheim hoffte er ihr ein schlechtes Gewissen eingeredet zu haben, so dass sie doch nicht gehen würde. Aber damit lag er falsch. Rin wischte sich Tränen aus dem Gesicht. Sie hätte nicht gedacht, dass ihr der Abschied so schwer fallen würde. Das wäre alles viel leichter gewesen, wenn dieser Dummkopf Yazuma nicht aufgetaucht wäre. Sie nahm ihr kleines Bündel und drehte sich Richtung Wald. >Du wirst mir auch fehlen, Yazuma...<, dachte sie, bevor sie zwischen den dichten Bäumen verschwand. Kapitel 4: Neue Freundschaft ---------------------------- Die dichten Baumkronen und die gigantischen Bäume ließen nur vereinzelt ein paar Sonnenstrahlen durch. Der angenehm warme Wind ließ die Blätter rauschen und die hohen Gräser streichen. Bis jetzt hatte Rin keine Probleme gehabt. Ohne Zwischenfälle hatte sie schon ein gutes Stück Weg hinter sich gelassen. Einige Stunden war sie jetzt schon unterwegs gewesen und die Sonne stand hoch über den Bäumen. Aber Rin blieb lieber im Schatten, dort war es wesentlich angenehmer umher zu ziehen. Schon eine ganze Weile dachte sie darüber nach, wo sie hier eigentlich war. Diese Gegend war ihr unbekannt und sie wunderte sich auch, dass sie bis jetzt noch niemandem begegnet war. Außer ein paar wilden Tieren hatte sie nichts außergewöhnliches gesehen. Vielleicht war es auch ganz gut so. Sie wusste nicht, wie lange sie noch laufen musste. Eigentlich wusste sie nicht mal genau, wonach sie suchte. Klar, sie suchte nach Sesshoumaru, der sich vermutlich irgendwo im Westen aufhielt. Vermutlich...? Sie konnte nur hoffen, dass er dort war. Ansonsten würden ihre Chancen wohl bei Null liegen ihn zu finden. Rin seufzte. >Wo ist eigentlich die Grenze zu den westlichen Ländern? Bestimmt nicht hier in der Nähe. Ich werde mit Sicherheit noch einige Tage brauchen.< Das würde sie ganz sicher, da sie nicht einmal den genauen Weg kannte. „Vielleicht treffe ich unterwegs jemanden, der mit helfen kann. Einer muss doch wissen, wo hier die Grenzen liegen. Oder, wenn ich es mir recht überlege, ist es doch besser, wenn ich niemanden treffe.“ Sie erinnerte sich, dass Yazuma ihr den Dolch mitgegeben hatte. „Ich bin nicht besonders gewillt das Ding zu benutzen.“ Plötzlich blieb sie stehen und horchte auf. In ihren Ohren erklang das Rauschen und Plätschern von Wasser. „Na endlich.“ Mit schnellen Schritten folgte sie dem Geräusch. Während den paar Stunden, die sie schon auf der Reise war, musste sie schon zweimal ihren Trinkbecher nachfüllen. Es war zwar nicht sonderlich heiß, aber sehr drückend und schwül, was darauf hinwies, dass bald ein Gewitter aufziehen würde. Rin war das nur recht. Sie liebte es im Regen draußen zu sein. Nur draußen zu schlafen, während es regnete, dass musste nicht sein. Da war ein trockenes Plätzchen doch willkommener. Rin nahm den Deckel ihres Bechers ab und tauchte ihn in den Fluss. Als der Becher dann voll war, verschloss sie ihn wieder und achtete darauf, dass er nicht auslief. Sie nahm sich einen Apfel und setzte sich kurz hin. Dieser Ort war recht schön. Hinter dem Fluss, in der Ferne, konnte man viele Felder sehen. Es musste ein Dorf in der Nähe sein. Doch Rin wollte lieber einen großen Bogen darum machen. Sie war froh, dass sie aus dem Menschendorf raus war und dann sollte sie gleich ins nächste gehen? Nein, darauf konnte sie verzichten! In Ruhe aß sie den Apfel auf, bevor sie wieder aufbrach. Langsam zogen einige Wolken auf und der Wind wurde zunehmend immer kühler. „So, dann geht die Reise weiter.“, sagte sie munter zu sich selbst. „Ich muss mir noch einen guten Platz zum Übernachten suchen. Wenn es nachher wirklich anfangen sollte zu regnen, habe ich keine Lust im Schlaf zu ertrinken.“ Einige Kaninchen hoppelten über den schmalen Pfad, den Rin einschlug, um wieder in den Wald zu kommen. Es war besser dort zu reisen. Der Wald bot ihr ein wenig Schutz. Wenn sie auf freier Ebene reisen würde, wäre sie schutzlos gegen Feinde. So konnte sie sich im Wald wenigstens verstecken, falls Banditen oder andere fiese Gestalten ihren Weg kreuzten. „Ich muss wirklich langsam aufhören ständig Selbstgespräche zu führen.“, murmelte sie. Rin war schon auf eine Art froh, dass sie jetzt etwas Abstand von allem hatte. Aber allein umher zu ziehen war auch nicht besonders toll. Ihr fehlte mindestens eine Person, mit der sie sich etwas unterhalten konnte. Früher war das Sesshoumaru gewesen. Er war zwar nie sehr gesprächig, aber er hatte immerhin mit ihr geredet, auch wenn das nicht so oft war. Und wenn Sesshoumaru nicht da war, hatte sie immer noch Jaken, den sie nerven konnte. Aber nun hatte sie niemanden und langsam merkte sie, dass es ihr nicht lag allein auf Reisen zu gehen. „Ja, stimmt. Jaken war ja auch noch da. Wie es ihm wohl geht? Ob er immer noch bei Sesshoumaru ist? Ganz bestimmt. Es sei denn, er hat Sesshoumaru so genervt, dass dieser ihn eigenhändig erwürgt hat.“ Rin lächelte. Sie fand es irgendwie immer lustig, wenn Jaken panisch mit den Armen herumfuchtelte, nachdem er das falsche Wort zur falschen Zeit gesagt hatte. Jaken konnte manchmal richtig nervig sein, weil er nie wusste, wann er besser den Mund zu halten hatte. Aber genau das fand sie an ihm so toll, auch wenn er manchmal eine echte Nervensäge sein konnte. Sonst wäre er ja auch nicht Jaken. Ein kalter Luftzug streifte Rin und brachte ein paar Regentropfen mit sich. Die Sonne war schon fast verschwunden und in der Ferne konnte man am Himmel dichte schwarze Wolken aufkommen sehen, die genau in ihre Richtung steuerten. „Es wird langsam Zeit, dass ich mir eine Bleibe suche.“ Umso weiter sie ging, desto windiger und kälter wurde es. Im Wald würde sie so gut wie keine Möglichkeit haben einen trockenen Platz zu finden, an dem sie auch übernachten konnte. Dafür brauchte sie einen besser geschützten Ort. Zwar würde sie durch die Bäume hier nicht ganz so schnell nass werden, aber auch die dichtesten Blätter würden irgendwann mal nachgeben. Am besten wäre eine Art Höhle, etwas, wo sie ein Dach über den Kopf hatte. Rin hatte keine große Wahl, sie musste aus dem Wald raus. Doch kaum hatte sie diesen Entschluss gefasst, fing es an wie aus Kübeln zu schütten. >Hoffentlich ist das nur ein Schauer, sonst habe ich schlechte Karten...< Sie lief zu dem großen Eichenbaum, der nicht weit von ihr entfernt stand. Der gewaltige Stamm sagte ihr, dass ihr der Baum eine Weile Schutz bieten konnte. Nach einigen Minuten hatte es schon wieder aufgehört zu regnen. >Zum Glück, es war doch nur ein Schauer.< Nur vereinzelt kamen noch ein paar Regentropfen herunter. Rin machte sich wieder auf den Weg. Der jetzt unangenehme Wind verschaffte ihr eine Gänsehaut. Von dem schönen Wetter, das vor einer knappen Stunde noch da war, merkte man nichts mehr. „Warum ist es jetzt so kalt? Ich hätte mir doch einen...“ Plötzlich unterbrach sie sich selbst. Warum, war ihr auch nicht ganz klar. Aber sie vertraute ihren Gefühlen und meistens behielten diese auch recht. Rin blieb stehen und bewegte sich nicht mehr. Die kleinen Härchen in ihrem Nacken stellten sich auf. Sie schloss die Augen und konzentrierte sich auf die Geräusche in ihrer Umgebung. Es war nichts Ungewöhnliches zu hören. „Komisch, ich hätte schwören können, dass ich...“ Da hörte sie es. Ein Knacken. Wie das Knacken von Ästen und Zweigen. Rin fuhr schnell herum. „Wer ist da?“ Sie hatte ein komisches Gefühl in der Magengegend. Eigentlich wollte sie nicht wissen, wer noch da war. Doch sie spürte deutlich die Anwesenheit von jemandem. Dieses Mal hatte sie auch keine Möglichkeit an einen Ort zu flüchten oder sich gut zu verstecken und es war auch niemand da, den sie kannte und den sie um Hilfe beten konnte. „Komm raus und zeig dich! Ich habe keine Angst vor dir!“, sagte sie laut und mit einer zittrigen Stimme. Dass das eine Lüge war, wusste nicht nur sie, sondern auch ihr stiller Begleiter. „Du hast keine Angst? Das ich nicht lache!“ Rin zuckte erschrocken zusammen, als sie die laute und ernste Stimme hörte. >Ich hatte Recht...<, dachte sie. Die Stimme aber schien ihr nicht gefährlich. Es war eine junge, männliche Stimme und sehr energisch. „Wo bist du...?“, flüsterte Rin und ging einige Schritte rückwärts, bis sie an einen Baum stieß. „Ich bin direkt vor dir. Siehst du mich nicht?“, sprach derjenige zu ihr. Zunächst sah Rin gar nichts. Dann sah sie einen dunklen Schatten auf sich zukommen. Erst nach einigen Sekunden bekam der Schatten eine richtige Gestalt und ein Aussehen. Ein junger Mann kam mit langsamen, aber eleganten Schritten auf sie zu und blieb ein paar Meter vor ihr stehen. „Du müsstest dein Gesicht jetzt sehen.“, sagte er vergnügt. Rin stand immer noch wie versteinert an ihrem Baum. Sie wusste nicht recht, ob sie lachen oder sich fürchten sollte. Auf eine Art wirkte er nett, offen und freundlich. Aber sie merkte auch, dass er anders war. Er war kein Mensch, dass stand fest. Er musste ein Dämon sein. Nur was für einer? Rin traute sich nicht ihn zu fragen. Sie wusste, dass Dämonen unberechenbar sein konnten. Vor allem Dämonen, die man nicht kannte. Sie wollte lieber nichts riskieren und schon gar nicht ihr Leben. „Was ist mit dir? Du sagst ja gar nichts. Sehe ich etwa so schrecklich aus, dass es dir die Sprache verschlägt?“ Rin schüttelte leicht den Kopf, ohne den jungen Mann aus den Augen zu lassen. Eigentlich fand sie ihn sehr gutaussehend. Seine langen goldenen Haare glänzten und die ebenfalls goldenen Augen waren auf eine bestimmte Art faszinierend, irgendwie anziehend. „Verrätst du mir deinen Namen?“, fragte er, nachdem Rin keine Anstalten gemacht hatte sich zu rühren, geschweige denn zu reden. „Ich... ähm... Rin...“ „Ich... ähm... Rin..., was für ein ungewöhnlicher Name.“ „Ich heiße Rin. Einfach nur Rin.“, fasste sie sich jetzt ein bisschen. „Ich weiß. Das war nur ein Scherz.“, lächelte er. Rin sah ihn ungläubig an. >Woher soll ich das wissen? Er ist so seltsam. Ich kann ihn schlecht einschätzen.< „Nun, Rin, was verschlägt dich hier in die Gegend? Du hast dir einen schlechten Tag für deine Wanderung ausgesucht.“ „Wie... wie meinst du das?“ Wieder setzte er ein freches Grinsen auf. „Du kennst dich nicht sonderlich gut hier aus, oder?“ „Nein, diese Gegend ist mir fremd.“ „Das ist kaum zu übersehen.“ Er machte eine kleine Pause. „Es wird die nächste Zeit durchgehend regnen. Jedenfalls in diesem Teil des Landes. Wusstest du das nicht?“ „Nein, und es ist mir auch egal.“ Rin hatte sich wieder gefasst und wurde etwas mutiger. Sie war sich sicher, dass er keine Gefahr für sie darstellen würde. „Ich reise auch bei Regen. Das macht mir nichts aus.“ „Du könntest ernsthaft krank werden bei so einem Wetter.“, meinte er. „Sollen das jetzt gute Ratschläge werden?“, fragte Rin nun etwas genervt. „Nein, ich will dir damit nur sagen, was dich hier alles erwartet.“ „Du kennst dich hier wohl sehr gut aus, was?“, meinte sie und entfernte sich von ihm. „Aber natürlich. Ich kenne in dieser Gegend jeden einzelnen Baum.“, sagte er stolz. „Auch mit Vornamen?“ „Oh, du kannst ja auch witzig sein.“ Er ging ihr nach. Die dunklen Wolken näherten sich jetzt rasend schnell und färbten sich tief schwarz. Langsam hörte man Donnergrollen, das zunehmend immer lauter wurde. Der junge Dämon hielt immer noch mit Rin schritt. >Wieso läuft er mir nach wie ein Hund? Als ob ich ein Stück Fleisch in der Tasche hätte. Aber so hätte ich wenigstens etwas Gesellschaft.< „Wieso begleitest du mich?“, fragte sie nun, ohne ihn anzusehen. „Hast du nichts besseres zutun?“ Ihr Begleiter machte einen nachdenklichen Gesichtsausdruck. „Nein. Ehrlich gesagt, habe ich nichts besseres zutun.“ „Und deshalb nervst du mich?“ „Oh, ich nerve dich? Tut mir leid, das wollte ich nicht.“ Er machte ein paar schnelle Schritte und ging nun rückwärts vor ihr her, um ihr ins Gesicht zu sehen. „Ich dachte mir, du könntest vielleicht etwas Unterhaltung gebrauchen.“ >Das könnte ich wirklich gut gebrauchen, da hat er recht.<, dachte sie und seufzte. „Dann such dir doch eine sinnvolle Beschäftigung.“, meinte Rin in einem trotzigen Ton. „Das tu ich ja gerade. Weißt du, es ist sehr langweilig nur durch die Wälder zu streifen, ohne etwas zu machen. Hier ist alles friedlich. Es ist selten, dass hier Banditen oder andere Dämonen auftauchen.“ Wieder setzte er kurz aus, um zu sehen, wie Rin darauf reagierte. Doch sie ließ sich nichts besonderes anmerken und ging in normalem Schritt weiter. „Ich sollte mal wieder ein paar Bösewichte in das Land bringen, um sie zu dann wieder rauszuschmeißen.“ >Wie? Ist das etwas sein Land? Kann gar nicht sein...<, grübelte Rin, was auch dem jungen Dämon nicht entging. „Na? Kein Kommentar zu meiner Aussage?“ „Kannst du nicht jemand anderem Geschichten erzählen?“ „Wie du siehst, ist außer dir niemand da.“ Er blieb stehen und sah, wie Rin ohne ein weiteres Wort an ihm vorbei ging. Rin ging es langsam auf die Nerven, dass ihr dieser Fremde folgte. Sie wusste doch überhaupt nicht, wer er war und was er von ihr wollte. Aber er redete mit ihr, als würden sie sich schon seit Ewigkeiten kennen, oder mehr, als würde er sie kennen. „Und wie war dein Tag?“, fragte er nun und ging wieder hinter ihr her. „Der war super, bis ich dich getroffen habe!“ Das sie ihm Gemeinheiten an den Kopf warf, interessierte ihn anscheinend gar nicht. „Ich habe langsam das Gefühl, dass du mich nicht sonderlich gut leiden kannst.“ >Ach, wie er bloß darauf kommt...<, dachte Rin und verdrehte die Augen. „Nun gut. Wie ich sehe, magst du nicht reden. Das ist sehr schade. Du hast es wohl eilig mit deiner Wanderung.“ „Ja, wie man sieht...“ Über ihnen war deutlich das Grollen des Donners zu hören. Blitze zuckten aus den Wolken und erhellten nun auch die dunkelsten Orte taghell. „Hast du noch weit zu Laufen?“, fragte er und sah sich den Himmel an. „Ja.“, kam sofort die knappe Antwort von Rin. „Wenn das so ist, dürfe ich dir vielleicht eine trockene Unterkunft anbieten? Zumindest für diese Nacht?“ Rin blieb stehen. „Eine Bleibe?“ Sie fuhr herum und sah ihn an. „Ist das dein Ernst? Das würdest du machen?“ „Natürlich. Das ist mein voller Ernst, sonst hätte ich dich nicht gefragt.“ Sie überlegte noch eine Weile, ob sie das wirklich tun sollte. Er bot ihr einen Platz an, um zu übernachten. Jedoch war er fremd und er war schlecht zu durchschauen. Schließlich gestand sie es sich aber ein, dass dies die beste Möglichkeit war und nickte ihm zu. „Gut, einverstanden. Aber morgen früh ziehe ich weiter!“ Der Dämon sagte nichts. Seine goldenen Augen funkelten und ein leichtes Lächeln flog über seine Mundwinkel, welches Rin aber nicht mitbekam. Er führte sie in die Richtung, aus der sie gekommen war. Nach einiger Zeit verließ er den normalen Waldweg und schlug einen Weg ein, der mit Moos, Brennnesseln und dichtem Farn durchwachsen war. Für den Dämon war der Weg kein Hindernis. Doch Rin hatte es nicht so einfach. Die Brennnesseln machten ihr zu schaffen. Ihre Waden waren teilweise schon ganz rot, brannten und juckten höllisch. Und zu allem Überfluss, tobte das Gewitter über ihnen im vollen Maße. „Sind wir bald da?“, fragte sie. „Es dauert nicht mehr lange.“, gab er zurück. „Noch etwas Geduld.“ Endlich, nach einigen Minuten, die Rin wie eine halbe Ewigkeit vorkamen, wurde der Weg zu einer breiten Straße, die aus dem Wald hinaus zu führen schien. Gerade, als sie auf die Straße traten, fuhr eine Kutsche an ihnen vorbei. Der Fahrer der Kutsche sah die beiden und hielt an. „Komm, beeil dich.“, sagte der junge Mann zu ihr, packte sie an der Hand und zog sie mit sich. Schnell ergriff er die Tür der Kutsche und öffnete sie. Er lies Rin den Vortritt und kletterte anschließend auch hinein. „Danke, Fumi.“ Der Fahrer nickte einmal und schon im nächsten Augenblick setzte sich die Kutsche wieder in Bewegung. „Da haben wir noch einmal Glück gehabt, was?“, grinste der junge Dämon wieder. „Wir hätten sonst den ganzen Weg noch laufen müssen. Und das bei dem Wetter.“ „Was macht das schon. Ich bin eh völlig durchnässt. Es dauert lange, bis der Kimono wieder trocken ist.“, sagte sie etwas verärgert. „Mach dir deswegen mal keine Sorgen. Du bekommst neue Kleidung und den Kimono hängen wir so lange zum trocknen auf.“ Rin fühlte sich auf einmal nicht mehr so wohl. Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen, sein verlockendes Angebot anzunehmen. Sie hoffe nur, dass es sich nicht als einer ihrer größten Fehler heraus stellte. Plötzlich wurde sie durch einen Ruck aus ihren Gedanken gerissen. Die Kutsche war zum stehen gekommen. Als Rin sich umschaute, merkte sie, dass sie in einem ziemlich großen Dorf waren. „Vielen Dank für das Mitnehmen, Fumi.“, sagte der junge Mann, der neben Rin saß. „Das hab ich gern gemacht, mein Herr.“, antwortete der ältere Mann, der die Kutsche fuhr. Das war das erste Mal, dass er gesprochen hatte. Rin hatte schon angenommen, dass er gar nicht reden könne. „Wir sind da.“ Der Dämon mit den goldenen Haaren öffnete die Tür und trat hinaus. Anschließend reichte er Rin die Hand, um ihr beim aussteigen behilflich zu sein. Etwas zögernd nahm sie seine Hand. >Was für ein Schleimer...< Die Kutsche fuhr wieder ab und ließ die Beiden im Nassen zurück. Der Regen war nun noch schlimmer geworden und die Straße, auf der sie eben noch unterwegs waren, wurde matschig. Das Wasser sammelte sich in den Spurrillen, die die Wagen hinterlassen hatten. „Wir werden gleich im Trockenen sein.“, sagte Rins Begleiter und ging mit großen Schritten auf ein kleines bescheidenes Haus zu. Rin hatte Mühe mit ihm schritt zu halten. Kurz darauf betraten sie das Haus. Es war gar nicht mal so schlicht eingerichtet, wie es von außen aussah. Es war schön bequem und sah sehr einladend aus. „So, da wären wir.“, sagte der Dämon und wies Rin mit einer schnellen Handbewegung auf, näher einzutreten. Sie befolgte seiner Anordnung und ging an einem Tisch vorbei, auf dem jede Menge frisches Obst stand. Bei dem Anblick knurrte Rin der Magen. Etwas weiter hinten stand ein Schrank, in dem Kimonos, Mäntel, Tücher, Decken und sogar eine Rüstung aufgewahrt waren. >Ob die Rüstung ihm gehört?< „Willkommen in meinem kleinen Heim.“ Rin schaute sich immer noch neugierig um. „Ich werde dir einen frischen Kimono geben. Dort hinten kannst du dich umziehen.“ Er wies auf eine Trennwand hin, die etwas am Rande stand. Rin nickte kurz und ging auf diese zu. Hinter der Trennwand zog sie ihren durchnässten Kimono aus. Durch die Nässe war ihre Haut blass und kalt geworden. An ihren Haaren tropfte immer noch Regenwasser hinunter. Ihr wurde ein sonnengelber Kimono gereicht, der mit Blumen, in einem kräftig orangefarbenen Ton, bestickt war. „Danke.“, flüsterte sie und nahm das Kleidungsstück entgegen. Endlich kam Rin wieder zum Vorschein. Der Kimono passte ihr wie angegossen. „Wow, nicht schlecht. Der steht dir wirklich sehr gut.“, kam es von dem Dämon, der an dem Tisch saß und genüsslich an einer Kirsche knabberte. „Der ist wunderschön. Woher hast du den?“, wollte Rin wissen. „Der gehört meiner Freundin. Aber sie wird nichts dagegen haben, wenn du ihn behältst. Sie hat so viele davon.“ „Aber ich kann doch nicht...“ „Doch, doch. Das geht schon klar. Behalte ihn!“ Rin musste kurz lächeln. Die weiche Seide fühlte sich so angenehm auf ihrer Haut an. Rin hatte eine Weile überlegt, ob sie sich nicht zum ihm setzten sollte. Er hatte sie neugierig gemacht. Sie wollte etwas mehr über ihn wissen. Wo er herkam, was seine Position war. Er musste einfach von adeligem Geschlecht sein. Anders konnte sie sich das alles hier kaum erklären. Das Haus, in dem er lebte, schien von außen wie jedes andere auch. Aber von innen war es ausgestattet mit Unmengen von kleinen Reichtümern, die sich ein normaler Mensch niemals hätte leisten können. Rin fasste ihren Mut zusammen, ging schließlich auf ihn zu und setzte sich ebenfalls an den kleinen Tisch. Der Korb mit dem Obst stand direkt vor ihrer Nase und sie hatte das Verlangen, eine der saftigen Früchte zu probieren, die dort bereit lagen. „Bediene dich ruhig. Es ist genug da.“ Das lies Rin sich nicht zweimal sagen und griff nach einer exotisch aussehenden Frucht, dessen orange-rote Farbe sie förmlich hypnotisierte. Genüsslich aß sie die süße Frucht. „Darf ich dich was fragen?“ Rin versuchte ihr Glück, nachdem sie aufgegessen hatte. „Natürlich. Was willst du wissen?“ „Wieso kannst du dir all dies hier leisten? Der Kutscher hat dich vorhin mit ‚Mein Herr’ angeredet. Du bist nicht so, wie die anderen Leute hier, oder?“ Eine kurze Stille trat ein, die aber nur wenige Sekunden anhielt. „Oh, bitte verzeih mir. Ich hatte mich vorhin ja gar nicht vorgestellt. Wie unhöflich von mir.“ Der junge Mann stand auf und nahm Rins Hand. „Ich bin Kisho, Lord der östlichen Länder.“ Er verbeugte sich und gab Rin einen Handkuss. >Ein Lord? Lord der östlichen Länder? So sieht er gar nicht aus.<, dachte sie etwas verdutzt. „Du bist ein Youkai?“ „Ganz recht.“ „Das sieht man dir gar nicht an.“ Sie musterte ihn etwas genauer. „Du hast keine Merkmale, die ein Youkai hat.“ „Oh doch, die habe ich. Aber woanders.“ Rin zog eine Augenbraue hoch. >Aha... gut zu wissen.< Er sah fast so aus wie ein ganz normaler Mensch. Aber nur fast. >Er hat goldene Augen. Genau solche, wie auch Sesshoumaru sie hat.< Jetzt war sie wieder bei ihrem eigentlichen Gedanken, um den sich alles drehte: Sesshoumaru. >Wann ich ihn wohl endlich wiedersehen werde? Ich hoffe schon sehr bald.< In Gedanken versunken merkte sie nicht, wie Kisho sie anstarrte. „Hey, du. Sag, wo willst du eigentlich hin? Hat deine kleine Wanderung ein bestimmtes Ziel?“, fragte Kisho neugierig. Auch er wollte etwas mehr über Rin erfahren. „Ja, ich gehe Richtung Westen. Ich will dort...“ Doch weiter kam sie nicht. „Bitte? Westen? Was willst du denn dort? Das kann ich dir nun wirklich nicht empfehlen. Es gibt bessere Orte als die im Westen.“ „Möglich, aber ich muss dort hin.“ Kisho schaute sie überrascht an. „Entweder bist du verdammt mutig, oder aber total lebensmüde.“ „Wie bitte soll ich das denn verstehen?“, wollte Rin wissen. „Der Lord, der über den Westen herrscht, ist nicht gerade freundlich zu Fremden, die sein Land unbefugt betreten. Ehrlich gesagt, ist er auch nicht zu denen freundlich, die eine Erlaubnis haben, sein Land zu durchqueren. Genaugenommen war er noch nie freundlich. Aber seit ein paar Jahren ist es noch schlimmer geworden. Er ist zunehmend aggressiv geworden. Zu dem ist er auch wie besessen darauf, Streit zu suchen. Er legt sich mit jedem an, der ihn auch nur falsch ansieht. Glaub mir, ich weiß wovon ich rede. Ich hab es selbst mitbekommen.“ >Spricht er wirklich über Sesshoumaru? Kennt er ihn etwa?< Rin konnte es nicht glauben. So, wie Kisho von ihm sprach, kannte sie Sesshoumaru nicht. Sicher, er war eine Marke für sich, aber nicht so! Nachdem, was Rin gehört hatte, hielt sie es für das Beste, Kisho vorerst nicht zu sagen, dass sie vorhatte Sesshoumaru zu finden. Jedoch war sie sich sicher, dass er sie zum ihm bringen könnte. „Kisho, ich muss dort trotzdem hin. Ich kann nicht anders. Deswegen habe ich mich auf den Weg gemacht. Ich muss einfach!“ „Du bist total irre! Rin, wenn du vorhast dich umzubringen, dann sag mir vorher bescheid! Das lässt sich auf einfachere und schnellere Art erledigen!“ „Lass das, ich mein das ernst!“, meinte sie streng. „Ganz recht, ich auch!“, antwortete ihr der Dämon und nahm wieder eine bequeme Sitzhaltung ein. „Das ist keine gute Idee. Was willst du denn dort? Wenn du Sesshoumarus Land betrittst und er dich erwischt, kannst du dein Testament schreiben.“ >Das kann ich mir nicht vorstellen. Er weiß doch, wer ich bin. Oder etwa nicht? Was ist, wenn er mich vergessen hat, nach all den Jahren? Wenn er sich nicht mehr an mich erinnern kann?< „Kisho, ist es noch weit bis zu der Grenze der westlichen Länder?“, wollte Rin wissen. „Ja, ist es. Einige Tage wirst du schon noch unterwegs sein. Wir sind hier an der äußerten Grenze der östlichen Länder.“, sagte er zu ihr, mit einem etwas besorgtem Ausdruck. „Ich rate dir wirklich davon ab, dort hinzugehen. Egal, was du dort willst. Es ist einfach zu gefährlich.“ Rin schwieg. Sie konnte sich das einfach nicht vorstellen. „Hör zu, Rin. Wieso bleibst du nicht hier? Hier ist es friedlich, selten gibt es Vorfälle, in denen Menschen oder Dämonen angegriffen werden. Dort, wo du hin willst, ist es anders. Dort kümmert sich niemand darum, ob dort gekämpft, entführt oder gemordet wird. Die Leute, die im Westen leben, haben dort keine Regeln. Sie halten sich an nichts und genau das ist es, was die ganze Sache so gefährlich macht.“ Rin dachte einige Zeit über seine Worte nach. >Was soll das? Er hört sich ja schon so an wie Yazuma.< Das, was sie eben gehört hatte, gefiel ihr ganz und gar nicht. Verärgert schüttelte sie den Kopf. Sie wollte es nicht wahrhaben. Sesshoumaru konnte sich nicht so zum Negativen verändert haben. „Kisho, ich muss dort hin. Es geht um einen Teil meiner Vergangenheit. Ich habe keine andere Wahl. Es ist eine Art Aufgabe, die ich mir selbst gestellt habe und die ich erfüllen muss. Ich brauche Gewissheit. Gewissheit für mich selbst.“ Der Dämon sah sie lange an, sagte aber nichts. „Kannst du mir zeigen, wo die Grenze ist? Du kennst dich doch gut aus.“, fragte sie mit einem Flehen in der Stimme. Kisho seufzte laut. Hübschen jungen Frauen konnte er noch nie einen Wunsch abschlagen. „Ich sag dir was. Wenn du die Regentage hier abwartest, werde ich dich persönlich zu der Grenze bringen. Das geht schneller, als wenn du dich allein auf den Weg machst.“ „Einverstanden!“, rief Rin, ohne groß darüber nachzudenken. „Ähm, wie lange dauern denn hier die Regentage?“ „Normalerweise zwischen vier und sieben Tagen. Kann aber auch länger dauern.“ „Soll das heißen, dass ich hier mindestens vier Tage festsitze?“ „Das heißt es.“, grinste er frech und lehnte sich entspannt zurück. Kapitel 5: Wiedersehen im Mondschein ------------------------------------ Rin war nicht gerade begeistert, dass sie mindestens vier Tage verlieren würde, nur, weil sie hier festsaß. Aber sie hatte es versprochen und Rin war ein Mensch, der seine Versprechungen immer einhielt. >Das ist echt klasse. Jetzt bin ich hier und kann nicht mal das Dorf erkunden, weil ich sonst ertrinken würde. Was soll ich denn die ganzen Tage machen? Vor Langeweile sterben?< “Kisho?“, fing Rin wieder das Gespräch an. „Hm?“ „Sag mir, warum du hier bist.“, wollte Rin wissen. Diese Frage lag ihr noch auf der Zunge und sie musste sie ihm unbedingt stellen. „Warum ich hier bin? Wie meinst du das?“, hackte Kisho nach. „Na, du bist ein mächtiger Youkai Lord und lebst in einem einfachen Haus mitten unter Menschen? Das ist doch nicht normal. Ich dachte immer, dass ein Youkai Lord in einem Schloss lebt, mit vielen Dienern und so was.“ Jaken hatte ihr mal erzählt, dass es bei Sesshoumaru so war. Seitdem wusste sie auch, dass Sesshoumaru die westlichen Länder und ein Schloss besaß. Allerdings hatte sie es nie gesehen, weil sie immer nur durch die Wälder streiften. „Natürlich besitze ich auch ein Schloss. Ein sehr großes sogar.“ Er setzte einen arrogantes und hochnäsiges Lächeln auf. „Allerdings bevorzuge ich es in einem Menschendorf wie dem hier zu leben.“ Kurz setzte er aus und überlegte, wie er es ihr am besten erklären sollte. Gerade, als Rin nachfragen wollte, wieso, fuhr er mit seiner Erklärung fort. „Ich habe nichts gegen Menschen. Im Gegenteil, ich bin gerne in deren Nähe. Meine Eltern mochten keine Menschen. Sie haben sie verachtet, wie Sklaven behandelt. Nachdem aber nur noch ich übrig bin und es jetzt mein Land ist, mit dem ich machen kann, was immer ich will, und ich habe mich dazu entschlossen, das Beste draus zu machen. Ich will den Menschen hier zeigen, dass ich nicht so wie mein Vater oder meine Mutter bin. Ich zeige es ihnen, in dem ich mich ihnen gleichstelle. Ich fühle mich nicht als was Besseres, sondern zeige ihnen auf die Art, dass wir uns im Grunde doch alle sehr ähnlich sind.“ Rin schaute ihn an. „An der Erklärung ist was dran.“, lächelte sie. Sie musste zugeben, dass Kishos Einstellung gegenüber den Menschen einfach gerecht war. Nicht jeder Dämon war so wie Kisho. Sie musste dabei an Sesshoumaru denken. Kisho war schon irgendwie etwas besonderes. „Weißt du, dass du wunderschön aussiehst, wenn du lächelst?“, riss Kisho sie mal wieder aus ihren Gedanken. Rins Lachen verschwand schlagartig und in ihrem Gesicht breitete sich eine leichte Röte aus. Verlegen schaute sie zu Boden. “Was ist? Das muss dir nicht unangenehm sein. Ich spreche nur die Wahrheit.“ Er reichte ihr eine weitere Frucht aus dem Korb, die sie auch annahm. Nachdem Rin auch diese Frucht genüsslich verspeist hatte, seufzte sie einmal und streckte die Arme von sich weg. „Bist du müde?“, fragte sie der Dämon, der ihr gegenübersaß. „Nein, mir tun nur etwas die Arme und der Rücken weh, aber das ist morgen schon wieder weg. Bin nur etwas verspannt.“, antwortete die schwarzhaarige Frau. Kisho konnte einen Blick auf ihre Beine erhaschen, als sie einen Moment nicht aufpasste und der Kimono etwas nach oben rutschte. „Du bist verletzt. Warum hast du nichts gesagt?“ Rin schaute ihn verdutzt an und wusste erst nicht, was er meinte. Dann fiel ihr aber auf, dass er seinen Blick auf ihre Beine richtete. „Das ist nichts weiter. Sind nur ein paar kleine Schnitte von Gräsern. Und das Rote da waren die Brennnesseln von vorhin.“ Sie deutete auf die kleinen roten Stippen an den Waden, die jetzt wie Mückenstiche aussahen. Da Kisho immer noch auf ihre Beine starrte, zog sie den Kimono wieder bis zu den Knöcheln. Ihr war es etwas unangenehm so beobachtet zu werden. „Ich werde dich zu unserer Miko bringen.“, sagte er schließlich, als er seinen Blick von ihr lösen konnte, und stand auf. „Das ist nicht nötig!“, warf Rin ein. „Es ist doch nichts.“ „Sie hat eine Salbe gegen das Jucken und Brennen. Die ist sehr gut.“ “Ich gehe nicht zu eurer Miko. Das ist doch peinlich wegen solch einer Kleinigkeit dort aufzutauchen.“ „Dann werde ich dir die Salbe eben so bringen.“, sagte er und blickte von oben mit einem dominanten Blick auf sie herab. Rin wiedersprach ihm lieber nicht mehr. Es hatte eh kein Sinn. Er war genau so ein Sturkopf wie sie es sein konnte. Aber sie hatte keine Lust sich mit ihm zu streiten. Sie wollte lieber für einige Zeit ihre Ruhe haben, etwas entspannen und nachdenken. Ja, nachdenken! Genau das wollte sie! Und in ihren Gedanken kreiste, wie schon die ganze Zeit, nur eine Person: Sesshoumaru. „Kisho, kann ich mich hier irgendwo zurück ziehen? Ich würde gerne für eine Weile allein sein.“, fragte sie nach einigen Minuten. „Natürlich, komm mit.“, forderte er sie auf. Rin erhob sich mühsam. Die Knochen taten ihr weh und ihr Rücken war verspannt. Aber das schon seit einigen Tagen. Wovon nur? Sie hatte doch nichts anstrengendes gemacht. Sie folgte Kisho in einen kleineren Raum, der nebenan lag. Er sah sehr gemütlich aus. Wenn man aus dem kleinen Fenster schaute, hatte man einen tollen Blick auf eine große Wiese. Im Sommer würden dort sicher wunderschöne Blumen blühen. Doch momentan war alles grau und die Wiese stand schon fast komplett unter Wasser. „Das Zimmer gehört Chiyo. Sie zieht sich hier ebenfalls immer zurück, wenn sie ihre Ruhe haben will.“, sagte Kisho schnell, nachdem er Rins neugierigen und prüfenden Blick durch das Zimmer streifen sah. „Wer ist Chiyo?“, wollte sie wissen. „Chiyo ist meine Freundin.“, sagte er und man konnte deutlich Stolz in seiner Stimme hören. Ein sanftes Lächeln bestätigte Rin ebenfalls, dass er sehr verliebt sein musste. „Wieso ist sie nicht da?“, fragte Rin weiter nach. „Sie ist vorgestern für einige Tage verreist. Sie besucht ihre Eltern. Das macht sie oft. Schade, dass meine Eltern tot sind. Ich würde sie gerne noch einmal sehen.“ Kisho hielt kurz inne und schaute nach oben. Man konnte nun Trauer in seinen Augen erkennen. „Meine Mutter ist kurz nach meiner Geburt gestorben, ich kann mich nicht an sie erinnern. Mein Vater ist erst vor 76 Jahren bei einem Kampf ums Leben gekommen.“ Wieder machte er eine Pause. „Deswegen muss ich jetzt über das Land herrschen. Normalerweise bin ich noch zu jung dafür, aber ich bin der Einzige, der aus unserer Familie übrig geblieben ist.“ Rin sah ihn mit einem traurigen Blick an. Sie wusste, in was für einer Lage er sich befand und das diese immer noch sehr schmerzhaft sein würde. „Das tut mir leid...“, sagte Rin in einem leisen Ton. „Muss es nicht,“ antwortete Kisho ihr in einem ruhigen Ton. „Irgendwann sind wir alle mal an der Reihe unser Leben zu lassen. Der eine früher, der andere später.“ Jetzt sah er sie wieder an und die Trauer, die man ihm eben noch ansah, war verschwunden. Er lächelte. „Nun gut... lassen wir dieses Thema. Das bringt nur schlechte Laune.“ Er ging einen Schritt zurück und stand nun in der Tür. „Du kannst dich hier ausruhen. Es wird dich niemand stören. Wenn du etwas brauchst, dann sag mir einfach bescheid.“ Rin nickte einmal und Kisho verschwand aus der Tür. Nachdem Kisho weg war, ging Rin auf das Bett zu, dass nahe bei dem Fenster stand. Sie strich einmal mit der Handfläche über das Kissen. >Schön weich. Es liegt sich darin sicher sehr bequem.< Sie war sich zuerst nicht ganz sicher, ob sie sich in das Bett legen sollte. Aber Kisho hatte gesagt, dass sie sich hier ausruhen könne. Warum also sollte sie es nicht tun? Sie lies sich einfach in das Bett fallen. Auf dem Rücken lag sie nun da und starrte, mit einem leisen Lächeln, an die Decke. Sie stellte sich Sesshoumaru vor, wie er vor ihr stand. Er lächelte sie an. Genau so stellte sie ihn sich vor, wenn er lächelte. Rin hatte ihn noch niemals richtig lachen sehen. Nur ein paar Male, aber da hat er eher schwach geschmunzelt und das noch nicht mal freundlich. Rin schloss ihre Augen und in ihrer Phantasie stand Sesshoumaru direkt vor ihr und hielt ihr seine Hand entgegen. Rin nahm die Einladung mit Freuden an. Er zog sich zu sich hin, schloss sie in seine starken Arme und drückte sie fest an sich. Bei dem Gedanke bekam Rin eine angenehme Gänsehaut. >Ob er das wirklich tun würde? Ob er mich wohl in den Arm nehmen würde, wenn er mich wiedersieht? Das wünsche ich mir schon seit so langer Zeit.< Sie atmete einmal tief durch. „Sesshoumaru...“ Rin öffnete die Augen. Im ersten Moment wusste sie nicht, wo sie war. Doch dann erinnerte sie sich. „Ich muss eingenickt sein.“ Sie setzte sich auf und gähnte. Draußen hörte man immer noch das Unwetter toben. Rin schaute sich um. Es war niemand da. Sie stand auf und ging zu dem Fenster. Von den dichten Wolken war es so dunkel, dass man nicht mal ungefähr sagen konnte, welche Uhrzeit es war. Aber es musste kurz vor Einbruch der Nacht gewesen sein. Sie drehte sich um und ging Richtung Tür. „Kisho?“ Sie bekam keine Antwort. “Kisho? Bist du da?“, versuchte sie es noch einmal. Aber er schien nicht da zu sein. Rin ging ein bisschen im Haus umher und blickte sich etwas genauer um. Kisho und Chiyo hatten es sich hier richtig gemütlich gemacht. Im Haus waren viele getrocknete Blumen, meistens rote und gelbe Rosen, die fast überall in Vasen standen und an den Wänden hingen und diese somit verzierten. Rin gefiel diese Idee sehr gut. >Wieso bin ich nicht auf so etwas gekommen?< Rin ging zu dem Schrank, in dem die Kimonos gut und ordentlich verstaut waren. Viele davon waren aus Seide, einige aus glatten Satin und ein paar aus ganz normalem Stoff. Neugierig, wie Rin nun mal war, nahm sie sich ein paar von den Kimonos heraus und hielt sie sich an. „Die sehen alle so wunderschön aus.“, murmelte sie leise vor sich hin. Dabei bemerkte sie nicht, wie sich ihr jemand näherte. „Wenn du willst, kannst du einige davon mitnehmen.“ Rin hatte vor Schreck fast den pastellgelben Kimono fallen lassen, den sie in der Hand hielt. Erschrocken drehte sie herum und sah den Übeltäter an. „Bist du verrückt mich so zu erschrecken?“, fuhr sie Kisho an, der vergnügt hinter ihr stand. Sie legte die rechte Hand auf die linke Brust. Ihr Herz schlug wie wild. „Mach das nie wieder!“, meckerte sie. Sie faltete den Kimono wieder zusammen und legte ihn zurück zu den anderen. „Tut mir leid.“, entschuldigte er sich. „Das ist eine alte Gewohnheit von mir mich leise anzuschleichen.“ Kisho kramte etwas aus dem Beutel hervor, den er um die Schulter trug. „Hier, das ist die Salbe, von der ich gesprochen habe.“ Er hielt ihr eine aus Holz geschnitzte Schale hin, in der eine leicht bräunliche Paste gegeben wurde. Rin nahm diese entgegen. „Soll ich mir das Zeug auf die Beine schmieren?“, fragte sie und schaute ihn ungläubig an. „Ja. Überall da, wo du Wunden hast. Die heilen dann unheimlich schnell. Jedenfalls hat das bei den anderen Menschen immer geklappt.“ „Wegen den kleinen Kratzern machst du so einen Aufstand.“, meinte Rin und setzte sich auf eine Decke, die neben dem Tisch lag. „Na ja, wenn ich ehrlich bin... ist es ja auch meine Schuld.“, räumte er langsam ein. Rin verstand nicht was er meinte und sah ihn fragend an. Kisho kratzte sich etwas verlegen am Hinterkopf. „Nun... wenn ich nicht so unachtsam gewesen wäre, dann... hättest du keine Angst gehabt und... wärst gestern nicht weggelaufen.“ Rin dachte einen Augenblick nach und dann fiel der Groschen. „Wie bitte?!“ Rin legte die Salbe beiseite und stand wieder auf. „Das warst du? Sag mal, hast du sie noch alle? Was fällt dir ein?!“ Kisho stand da, wie ein kleiner Junge, der von seiner Mutter ausgeschimpft wurde. „Es tut mir ja leid... Ich hatte nicht damit gerechnet, dass du mich bemerken würdest...“, fing er wieder an, doch weiter kam er nicht, weil Rin ihm wütend das Wort abschnitt. „Nicht damit gerechnet? Ich hab gedacht, dass irgendein blutrünstiges Monster hinter mir her wäre. Ich habe nicht mehr damit gerechnet lebend in meinem Dorf anzukommen! Da ist dir nicht zufälligerweise eingefallen, eben aus deinem Versteck zu kommen und mir zu sagen: ‚Hey, du brauchst keine Angst haben. Ich fresse dich nicht.’?“ Rin schloss die Augen und fuhr sich mit der Hand über die Stirn und strich so einige Strähnen aus ihrem Gesicht, die nach vorne gefallen waren. Sie atmete einmal tief durch, dann sah sie Kisho wieder an, der immer noch ganz verdutzt da stand und nicht so recht wusste, was er nun eigentlich sagen sollte. „Gut, dann fangen wir mal so an... Wie lange hast du mich schon beobachtet?“ Verärgert sah sie ihn an. „Na gut, ich gebe es ja zu. Ich habe dich schon eine ganze Weile beobachtet.“ Rin sah ihm immer noch in die Augen und man konnte ihren Ärger deutlich darin sehen. „Was heißt eine ganze Weile? Wochen? Monate?“ „Nein, nein...! Nur, wenn du alleine im Wald warst. Ab und zu auch im Dorf und wenn du am See wa...“ Kisho hätte sich in diesem Moment am liebsten auf die Zunge gebissen. >Oh man, bin ich bescheuert...< „Du hast WAS? Du Spanner! Du hast mir beim Baden zugesehen?“ Rin hatte ihre Hände zu Fäusten geballt. Sie musste sich ganz schön zusammenreisen um ihre Wut, die sich aus der momentanen Situation ergeben hatte, unter Kontrolle zu halten. Sie ging auf den jungen Dämon zu, den sie langsam an die Wand drängte. Kisho fuchtelte wild mit den Händen vor seinem Gesicht herum. „Ich habe nicht hingesehen. Ganz ehrlich!“ „Glaubst du wirklich, dass ich dir das jetzt abkaufe?“ „Aber ich sage die Wahrheit. Ich schwöre es!“ Rin hielt ihm den Zeigefinger vor das Gesicht. „Das kannst du deiner Chiyo erzählen, die glaubt dir das vielleicht!“ Sie konnte nicht mehr. Sie musste hier dringend raus, sonst würde sie ihm noch eine gewaltige Ohrfeige verpassen. Sie drehte sich mit einem Ruck um und ging mit schnellen Schritten Richtung Tür. „Du kannst nicht einfach so gehen...“ „Sag mir nicht, was ich tun kann und was nicht! Ich lasse mir von dir gar nichts sagen!“, hörte er sie in einem verärgertem Ton sagen. In dem Moment hatte sie auch schon die Tür geöffnet und trat hinaus. Kisho, der sich endlich wieder etwas gefasst hatte, stürmte ihr nach. „Warte!“, rief er. Durch den starken Regen hatte er Mühe sie deutlich zu sehen. Rin lief auf die Strasse zu, auf der sie vorhin angekommen waren. Die Strasse war nun völlig mit Wasser überspült worden und man versank an einigen Stellen knöcheltief im Schlick. Kisho holte sie ein, bevor auch sie dort stecken bleiben würde. Er packte sie an den Schultern und zog sie wieder zum Dorfplatz zurück. „Lass mich los! Du Vollidiot!“, schrie sie und versuchte sich loszureißen, was ihr aber nicht gelang. Ihr war es mittlerweile egal, dass sie versprochen hatte hier zu bleiben. Sie wollte weg. Sie wollte zu Sesshoumaru. Jetzt sofort! „Rin, bitte beruhig dich wieder. Ok, ok, du hast ja recht. Ich bin ein Vollidiot. Das hätte ich nicht machen sollen“, redete er auf sie ein. Rin riss sich von ihm los. “Ich werde jetzt gehen!“, sagte sie ihm ins Gesicht. Ihr Ausdruck war ernst und Kisho merkte, dass sie es sehr ernst meinte. „Du hast das Recht darauf aufzubrechen. Ich werde dich nicht aufhalten, wenn du weiterziehen willst.“ „Das ist auch besser so!“, fuhr sie ihn wieder an. Rin wollte gehen, doch Kisho rief sie noch einmal. Genervt bliebt sie stehen und drehte ihren Kopf zu dem Dämon. „Was ist denn?“ „Ich habe dir versprochen dich zu der Grenze zu bringen und das werde ich auch einhalten. Als Entschädigung...“ „Tse... Entschädigung.“, sagte sie spöttisch und rollte mit den Augen. „Gut, aber beeil dich. Ich habe es verdammt eilig zu meinem Ziel zu kommen.“ Kisho ging auf sie zu. „Klettere auf meinen Rücken, dann können wir gleich los.“ Rin, die mit verschränkten Armen dastand, ging nun zögernd zu ihm. Er ging leicht in die Hocke, damit sie auf seinen Rücken klettern konnte. „Brauchst du keine Waffe und Rüstung?“, fragte sie. „Nein, hier und um die Zeit brauche ich das nicht. Und jetzt gut festhalten.“ Rin sah, wie sich unter seinen Füßen weißer Nebel bildete und schon im nächsten Augenblick schwebten sie knapp über dem Boden. „Wir fliegen?“, fragte sie erstaunt. “Natürlich, was dachtest du denn? Ich lauf doch nicht die ganze Strecke.“ Früher war Rin es gewohnt gewesen auf Ah-Un zu fliegen, wenn sie mit Sesshoumaru unterwegs war. Aber das war schon sehr lange her und Rin war bis jetzt nie bewusst gewesen, wie unangenehm es war zu fliegen. Ihren letzten Flug auf Ah-Un hatte sie als Kind mit 10 Jahren. Es hatte ihr vorher immer spaß gemacht, aber es lag vielleicht auch daran, dass es auf dem zweiköpfigen Drachen bequemer war, als auf dem Rücken eines Dämons, der gerade mal ein paar Zentimeter größer war, als sie selbst. Der Flug war für die Beiden alles andere als ein Zuckerschlecken. Die schlechte Sicht, die durch das Unwetter und die Dunkelheit der Nacht herbeigeführt wurde, machte es Kisho nicht einfach vorwärts zu kommen. Der Regen schlug ihnen ins Gesicht und schmerzte sehr. Rin kniff die Augen zusammen und versteckte ihren Kopf so gut es ging. Doch viel nützte das auch nicht. Sie fragte sich, wie lange sie wohl noch fliegen würden. Kisho sagte, dass es zu Fuß schon einige Tage seien. „Kisho, können wir nicht schneller fliegen?“, rief Rin laut. Es war so stürmisch, dass sie ihre eigene Stimme kaum hören konnte. “Das würde keiner von uns aushalten!“, rief er zurück und hielt schützend eine Hand vor seine Augen, damit er etwas sehen konnte. Rin krallte sich an seinen Schultern fest. Sie hatte große Mühe sich festzuhalten, weil ihre Hände eiskalt und schon fast taub waren. „Sollen wir eine Pause machen?“, rief Kisho ihr zu. Rin schüttelte heftig den Kopf. „Nein, ich will zu dieser Grenze. Je schneller, desto besser!“ Kisho find zwar, dass das keine gute Idee war, aber er tat ihr den Gefallen trotzdem, denn er war es ihr schuldig. >Was will sie nur an der Grenze? Da gibt es nun wirklich nichts, wofür es sich lohnen würde dort hinzugehen.< Rin kam dieser Flug noch länger als eine Ewigkeit vor. Sie hätte nicht gedacht, dass der Weg so weit war. Langsam lies der Regen etwas nach. Das war ein gutes Zeichen. „Rin?“, versuchte Kisho wieder das Gespräch aufzunehmen. Rin aber machte keine Anstalten zu antworten. „Du warst die Einzige, die aufgefallen ist.“, sagte er nun. Rin sah sich die Gegend zu ihrer Linken an, hörte aber genau hin, was Kisho ihr zu sagen hatte. „Du warst anders als die Menschen in dem Dorf, in dem du warst. Deswegen bist du mir aufgefallen. Man erkennt die Leute, die nicht aus der Gegend kommen. Und aus diesem Grund habe ich dich auch manchmal beobachtet.“ Rin war immer noch verärgert, lies es sich aber nicht mehr so stark anmerken. „Du hast mich auf eine Art sehr fasziniert. Ich wollte wissen, wie lange du schon in dem Dorf warst und wo du vorher gelebt hast. Aber ich habe es nie geschafft das heraus zu bekommen. Vielleicht magst du mir ja jetzt diese Fragen beantworten?“ Rin gab keinen Ton von sich. Kisho hatte nach einiger Zeit nicht mehr mit einer Antwort gerechnet, doch dann begann sie zu sprechen. „Ich habe zwölf Jahre lang in diesem Dorf gelebt. Anfangs unfreiwillig, aber dann habe ich mich daran gewöhnen müssen. Wo ich ursprünglich her komme, weiß ich nicht mehr. Ich bin drei Jahre lang mit jemandem gereist, bis ich eines Tages in dem Dorf zurückgelassen wurde. An all die Sachen, die davor waren, kann ich mich nur sehr schlecht oder gar nicht erinnern.“ Jetzt schwieg sie wieder. „Mit wem bist du gereist?“, wollte Kisho noch wissen, doch auf diese Frage gab Rin keine Antwort. Er musste ja nichts alles wissen. Der Regen hatte aufgehört und man sah, wie sich die dunklen Wolken lockerten. Sogar den Mond konnte man schon an einigen Stellen sehen. „Wir sind fast da.“, meinte Kisho und Rin war wirklich sehr froh diesen Satz zu hören. Endlich hatten sie den Sturm hinter sich gelassen und sie waren umgeben von leuchtenden Sternen. „Hier ist es.“, sagte Kisho, deutete mit dem Finger auf eine recht große Lichtung und flog nun tiefer. „Ich werde dich dort unten absetzten.“ Er steuerte direkt auf die Mitte der Lichtung zu und landete schließlich sanft auf der Wiese. Rin war unendlich froh wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. „Danke.“, sagte sie in einem leisen Ton. „Was erwartest du hier zu finden?“, fragte Kisho noch einmal. Rin blickte ihm in die Augen. „Ich suche diese Person, mit der ich gereist bin. Ich will wissen, wieso er mich nach drei langen Jahren weggegeben hat. Ich gebe mir selbst die Schuld dafür und mit dieser Ungewissheit kann ich nicht leben.“ „Er? Ein Mann also?“ Rin antwortete nicht darauf. Sie drehte sich um und setzte zum gehen an. „Rin?“, rief Kisho sie noch einmal. Sie blieb stehen und horchte auf. „Ich habe wirklich nicht hingesehen.“, meinte er. Sie wusste nicht warum, aber irgendwie glaubte sie ihm das sogar. Sie sah ihn noch mal aus dem Augenwinkel an. „Leb wohl, Kisho.“, sagte sie. „Viel Glück.“, hörte sie ihn noch sagen. Dann merkte sie, wie er wieder in die Luft stieg. Als sie sich nach ihm umsah, war er bereits hoch oben und machte sich auf den Rückweg. Irgendwie tat er ihr ein bisschen leid. Er musste wieder zurück durch dieses Unwetter, dabei war er jetzt schon sehr geschwächt gewesen. >Hoffentlich kommt er heil an.<, dachte sie. Doch nicht nur Kisho war geschwächt, auch sie selbst war mit ihren Kräften am Ende. Sie musste sich dringend irgendwo ausruhen. Suchend blickte sie sich um und wurde auch fündig. Am hinterem Rande der Lichtung war ein stabiler Baum, der mit Moos bedeckt war. Erleichtert, über diese gute Raststelle, ging sie direkt darauf zu. Langsam lies sie sich auf die weiche Wiese sinken, lehnte sich an den Baum und schloss kurz die Augen. Ihre Hände waren eiskalt und in ihren Fingern spürte sie ein Kribbeln. Der Kimono, den sie von Kisho bekommen hatte, war völlig durchnässt und hing schwer an ihr herunter. Rin war sehr kalt und sie zitterte. Sie zog ihre Beine an ihren Körper und legte die Arme um die Knie. >Ich werde mich nur ein bisschen ausruhen und dann weitergehen.< Sie schaute hoch gen Himmel. Der Mond war zwar nicht mehr voll, aber immer noch sehr groß. Sie erinnerte sich daran, wie oft Sesshoumaru immer den Mond beobachtet hatte. >Ob er das wohl immer noch macht?“ Wieder kreisten ihre Gedanken, wie schon so oft, nur um den einen Dämon. „Wann wohl werde ich dich endlich wiedersehen, mein Liebster...“ ~In einem anderen Teil des Landes...~ Das gigantische Schloss, welches umgeben war von riesigen Gärten und einem großen See, stand nun fast völlig um Dunkeln. Nur wenige Bereiche, die man von außen sah, waren noch mit schwachem Kerzenlicht beleuchtet. Die meisten Leute, die in diesem Schloss lebten, schliefen schon um diese Zeit. Ein paar Wachmänner machten ihren Rundgang auf dem Hof, andere standen an dem großen Haupttor, welches aus goldenen Gittern bestand, und bewachten es. Oben, an den zwei großen Wachtürmen, standen ebenfalls noch jeweils drei Wachen. Das Schloss war sehr gut bewacht, so dass sich kein fremdes Wesen unbemerkt dem Gelände nähern konnte. Alles war ruhig und friedlich. Das Einzige, was man hörte, war das Klirren von Metall. Ein großer schlanker Mann stand in einem der Gärten und hielt ein Schwert in der Hand. Auf seinem muskulösen Oberkörper hatten sich einige Schweißperlen gebildet. Er legte das Schwert auf den Felsen, der in seiner Nähe stand, entspannte sich etwas und schloss dabei die Augen. Der kühle Nachtwind wehte ihm entgegen und spielte mit seinen langen weiß-silbrigen Haaren. Dem jungen Mann schien es sichtlich gut zu tun. Mit einer Hand strich er sich über die Stirn, auf der eine lila-blaue Mondsichel zu erkennen war, um sich einige Haarsträhnen auf dem Gesicht zu streifen. Einmal tief einatmend griff er wieder nach dem Schwert, um mit seinem Training fortzufahren. Die vom Schmied angefertigte Übungspuppe, aus einem Strohballen, Eisen und Metall, ausgestattet mit vielen Schwertern, kleineren Messern und anderen Waffen, diente ihm gut als Gegner. Sie musste schon einiges mitgemacht haben, so wie sie aussah. All die Kerben und Risse, die der weißhaarige Mann mit seinem Schwert verursacht haben muss. Aber dafür war sie schließlich da. Er wollte gerade mit seiner Übung weiter fortfahren, als er plötzlich stockte. Seine gelb-goldenen Augen wurden zu schmalen Schlitzen und sein Gesichtsausdruck verfinsterte sich. Er zog das Oberteil von seinem Suikan wieder an, das er ebenfalls auf dem Felsen liegen hatte, legte seine Rüstung um und lies anschließend sein Schwert in dessen Scheide gleiten. Er hob noch einmal den Kopf um sich zu vergewissern, dass er sich nicht täuschte. Aber sein Verdacht wurde bestätigt. Er witterte etwas. Jemand fremdes hatte sein Land betreten. Doch er konnte nicht sagen, wer es war. Dazu war derjenige noch zu weit entfernt. Mit großen Schritten ging er auf das Haupttor zu. Die Wachmänner, die davor standen, verneigten sich tief vor ihm. „Öffnen!“, sprach der Weißhaarige in einer tiefen Stimme. „Sofort, mein Herr.“, rief einer der Wachen und signalisierte den anderen das große Tor zu öffnen, was einige Sekunden später geschah. Als der junge Mann vorbei ging, verneigten sich die Wachen noch einmal. Niemand im Schloss wagte es sich einem Befehl des Herren zu wiedersetzten. Dem Letzten, der einen Befehl missachtet hatte, wurde ohne großes Zögern der Kopf abgeschlagen. „Was mag der Herr um diese Zeit noch in den Wäldern suchen?“, fragte einer der Männer seinen Kollegen. “Das weiß der Teufel. Aber er hatte Rüstung und Schwert dabei. Das verheißt nichts Gutes.“, sagte der andere. Mit großen Sprüngen hatte der weißhaarige Mann schnell einen Teil seines Landes hinter sich gelassen und näherte sich dem Ort, an dem er den Eindringling witterte. >Wer es auch immer sein mag, wird es bereuen die Grenze zu meinem Land überschritten zu haben.<, dachte er. Der Geruch, den er wahrnahm, wurde stärker und intensiver und auch seine Schritte wurden schneller. Er musste ganz in der Nähe sein. Dann würde er sein Schwert hervorziehen und... Plötzlich blieb er wie angewurzelt stehen. Einen Moment lang war Verunsicherung in seinen Augen zu sehen, doch fast im selben Augenblick hatte er wieder diesen eiskalten und gnadenlosen Ausdruck angenommen. Er war sich nicht sicher, was er da roch. Aber seine Nase hatte ihn bis jetzt nie getäuscht. „Dieser Geruch... Das kann doch nicht sein. Völlig unmöglich!“ Unschlüssig ging er weiter und hob den Kopf etwas an. „Es kommt von der Lichtung.“, murmelte er sich selbst zu. Er griff nach seinem Schwert, denn ohne gezückte Waffe würde er nie einen Platz betreten, an dem ein Feind auf ihn lauern könnte. Normalerweise stürmte er auf seinen Gegner los, doch das tat er dieses Mal nicht. Warum, war ihm auch nicht ganz klar, aber er näherte sich der Lichtung langsam und vorsichtig. Als er dann schließlich die Lichtung betrat, entdeckte er zunächst gar nichts. Erst beim genaueren Hinsehen sah er eine Person, die sich im Schatten eines großen Baumes zusammengekauert hatte. Es war eindeutig. Der Geruch, den er in der Nase hatte, ging von dieser Person aus. Mit dem Schwert in der Hand stand er da und begutachtete die Person, die wohl zu schlafen schien. Nachdem einige Minuten vergangen waren und nichts geschah, schritt er nun weiter auf die schlafende Person zu. >Das kann doch nicht sein!< Erst, als er zwei Meter vor ihr stehen blieb, bemerkte Rin, dass sie nicht mehr allein war und blickte müde und verschlafen auf. Sie war tatsächlich eingenickt. Was sie dann aber sah, überstieg die Grenzen ihrer Vorstellungskraft. Sesshoumaru, der junge Mann, der vor ihr stand, der Dämon, den sie so sehr liebte, stand da und hielt sein Schwert auf sie gerichtet. Rin kannte dieses Schwert sehr genau. Toukijin nannte er es. Eigentlich hatte sie sich darauf gefreut ihn endlich wiederzusehen, doch mit der Situation, die sich nun ergab, hatte sie niemals gerechnet. Sesshoumaru blickte mit einem hasserfüllten Blick auf sie nieder, so dass Rin unfähig war sich zu bewegen. Nicht mal sprechen konnte sie. Sie wusste nicht was sie tun sollte. >Wird er mich jetzt umbringen? Vielleicht erkennt er mich gar nicht. Immerhin sind 12 Jahre vergangen und ich habe mich verändert.< Doch Sesshoumaru wusste ganz genau wer sie war. Sie sah jetzt etwas älter aus, erwachsener, reifer. Ihre Haare waren etwas länger geworden und zwei Strähnen hatte sie hinten zu einem kleinen Zopf zusammengebunden. Durch den hellen Schein des Mondes sah es so aus, als ob ihre Haut noch heller war, als sowieso schon. Und auch sah sie weicher und zarter aus als zuvor. Es hatte den Anschein, als würde ihre Haut den Schein des Mondes reflektieren. Ihre großen braunen Augen waren wie ein Kontrast zu ihrem Gesicht. Doch Sesshoumaru hatte sie nicht am Aussehen erkannt, sondern an ihrem Geruch. Der gleiche Geruch, wie vor so vielen Jahren. >Was zum Teufel macht sie hier? Wie hat sie mich gefunden? Ich erinnere mich nicht daran, ihr jemals gesagt zu haben, woher ich komme und wo ich normalerweise lebe. Das heißt, dass sie von irgendjemanden Hilfe bekommen habe muss.< Sesshoumaru stand noch immer vor ihr und wusste auch nicht so recht, war er nun eigentlich tun sollte. Sollte er sie umbringen, weil sie einfach so sein Land betreten hatte? Oder sollte er sich freuen, dass sie nach 12 Jahren wieder da war? Nein! Völlig ausgeschlossen! Er hatte sie ja schließlich nicht ohne Grund zurückgelassen. Er hätte nicht gedacht sie je wieder zu sehen. Nein, er wollte sie auch nie wieder sehen. Doch nun war sie da, hockte am Boden, starr vor Angst und Schreck. >Was will sie hier?<, schoss es ihm durch den Kopf. Sesshoumaru konnte nicht ewig so vor ihr stehen und ihr sein Schwert vor das Gesicht halten. Etwas musste er tun. Nur was? Er war wütend auf sie und wütend auf sich selbst, weil es ihm so schwer fiel, hier und jetzt eine Entscheidung zu treffen. Schließlich entschied er sich dafür, erst einmal Toukijin wieder in der Scheide verschwinden zu lassen. Doch auch nachdem er nicht mehr mit dem Schwert auf Rin zielte, machte sie immer noch keine Anstalten sich zu rühren. Sie starrte ihn an, fasziniert von seinen Augen, obwohl diese Rin mit Verachtung ansahen. Er wollte nicht, dass sie jetzt hier war, doch daran konnte selbst er nichts ändern. Er drehte sich rum und entfernte sich einige Schritte von ihr. „Wenn du die Nacht nicht draußen verbringen willst, folge mir. Ansonsten bleib wo du bist!“ Das war der erste und einzige Satz, den Rin nach langer Zeit von ihm gehört hatte. Sesshoumaru machte sich langsam wieder auf den Rückweg, achtete aber dabei, ob Rin ihm folgte oder nicht. Schließlich hatte Rin sich wieder gefasst und hatte auch begriffen, was er eben zu ihr gesagt hatte. Sie musste mit ihm gehen. Er war doch der Grund dafür, warum sie überhaupt hier war. Außerdem fror sie und sie musste dringend aus den nassen Sachen raus. Rin stand auf und folgte ihm, jedoch mit Abstand. Das hielt sie für das Beste, denn wie sie sah, hatte Sesshoumaru sich wirklich geändert. Früher hätte er sie niemals so angesehen und auch hätte er ihr nie mit dem Schwert gedroht. Der bloße Gedanke daran lies ihr einen Schauer über den Rücken laufen. Kisho hatte tatsächlich recht gehabt, mit dem, was er ihr zuvor gesagt hatte. Eigentlich war es die perfekte Atmosphäre gewesen. Der Mond und das erste Wiedersehen seit langer Zeit. Doch das Schicksal hatte wohl ganz andere Sachen mit ihnen vor. Kapitel 6: Ein unerwünschter Gast, mehr nicht... ------------------------------------------------ Zu Fuß war die Strecke von der Lichtung bis zu dem Schloss doch um einiges länger und es beanspruchte sehr viel Zeit in normalem Tempo mit einer unerwünschten Begleiterin zu reisen. Sesshoumaru hatte es fast schon wieder vergessen gehabt, wie es war, mit einer Begleitung umher zu ziehen. Wenn er jetzt durch das Land streifte, dann meistens alleine. Jaken lies er im Schloss zurück, denn dieser hatte andere Aufgaben zu erledigen. Doch nun erinnerte er sich wieder wie langsam und mühselig sie voran kamen. Keiner der Beiden sprach ein Wort. Jeder hatte seine eigenen Gedanken, über die er nachdenken und auch klarkommen musste. Rin dachte darüber nach, ob es nicht doch ein Fehler von ihr war einfach so hier aufzukreuzen, während Sesshoumaru sich den Kopf darüber zerbrach, was wohl der Grund für ihr plötzliches Erscheinen war. Rin machte einen ziemlich betrübten und traurigen Eindruck. Sesshoumaru hingegen hatte Mühe seinen Ärger unbemerkt unter Kontrolle zu halten. Endlich verließen sie den Wald wieder. Rin hatte schon gedacht, er würde niemals enden. Sie gingen nun auf freiem Feld. Zumindest glaube Rin, dass das ein Feld war. Es war verkümmert. Anscheinend hatte sich niemand um die kleinen Pflanzen gekümmert und sie mit Wasser versorgt. Rin blickte sich nun um. Die Gegend gefiel ihr ganz und gar nicht. Es war trostlos und das einzig Grüne in der Nähe war der Wald. Bald darauf entdeckte sie vor ihnen das Schloss. Sie hatte es erst spät gesehen, weil Sesshoumaru vor ihr herging. Außerdem war sie damit beschäftigt gewesen die Gegend um sich herum zu erkunden, oder zumindest das, was davon übrig war. Als sie sich dem Schloss weiter näherten, sah Rin, wie die Wachmänner aufgeregt mit ihren Fackeln umher liefen. „Der Herr ist zurück! Öffnet das Tor!“, brüllte der eine. Sesshoumaru schritt durch das Tor und wieder verneigten sich die Männer vor ihm. Nach ihm ging Rin an ihnen vorbei. Die Männer sahen sie komisch an. Fragend, misstrauisch, vergnügt und gierig. Rin konnte ihre Gesichter nur sehr schlecht sehen, aber die Blicke, mit denen sie sie ansahen, mochte sie gar nicht. Sie hörte, wie hinter ihnen das Tor wieder geschlossen wurde. Sesshoumaru ging zielstrebig auf das Schloss zu. Er schien es recht eilig zu haben. Rin wagte es sich ein wenig umzusehen. Sie mussten jetzt auf einem großen Hof sein. Etwas weiter entfernt konnte sie Büsche und etwas Gestrüpp sehen. Mehr auch nicht, da es zu dunkel war. Das Schloss war riesig. Rin konnte erkennen, dass es weiß oder zumindest hellgrau sein musste. >Wenn er hier so ein Schloss besitzt, wieso ist er früher immer durch die Wälder gezogen?< Sie ereichten den Eingang des Schlosses. Sesshoumaru stieß die Tür auf und wartete nun, bis Rin vor ihm die große Halle betrat. Die Eingangshalle wurde von einigen Kerzen beleuchtet, die nur wenig Licht spendeten. Wandteppiche schmückten rechts und links die Seiten des gigantischen Raumes. Einige Portraits hingen auch an den Wänden. Wer darauf abgebildet war, konnte Rin nicht sagen. Aber es mussten wohl alles Familienmitglieder sein. Rin würde sich die Bilder alle ein anderes Mal ansehen. Weiter hinten sah sie eine große Treppe, in dessen Mitte ein dunkler Teppich ausgerollt war. Er musste Rot sein, aber da war sie sich nicht ganz sicher, da das schwache Licht der Kerzen nicht bis dort hinten reichte. Der Boden der Halle und die Treppe waren aus gelblichen Marmor. Es war nicht sonderlich ordentlich. Verschiedene Sachen lagen überall verstreut auf der Erde herum. Sehr sauber war es auch nicht. Auf den wenigen Möbeln und den Portraits, die zu sehen waren, war eine dicke Staubschicht. Der schöne Marmorboden war ebenfalls stark verschmutzt und oben an dem Kronenleuchter hingen Spinnweben und lange Staubfäden hinunter. Rin hatte sich das ganze doch um einiges anders vorgestellt. Wieso lebte ein großer Youkai in einem Schloss, um das sich nicht gekümmert wurde? „Aoi! Mach, dass du hier auf der Stelle herunter kommst!“, rief Sesshoumaru mit seiner tiefen Stimme, die im ganzen Schloss wiederhallte. Rin hatte sich erschrocken, als Sesshoumaru seine Stimme erhob. Nach einigen Sekunden hörte man, wie oben eine Tür geöffnet wurde. Kurz darauf kam eine Person mit hastigen Schritten die Treppe hinunter gelaufen. Rin erkannte, dass es ein junges Mädchen war, vielleicht ein paar Jahre jünger als sie selbst. Sie hatte ein langes weißes Nachthemd an und ihre Haare hingen über ihren Schultern. „Ihr habt nach mir gerufen, mein Herr?“, sagte das Mädchen und knickste einmal vor ihm. Sie musste eben noch geschlafen haben, denn sie sah müde aus und ihr Haar war etwas zerzaust. „Bring sie in das Zimmer im Nordflügel und macht ja keinen Lärm. Ich will meine Ruhe habe, ist das klar?“ „Wie Ihr wünscht!“, sagte das Mädchen. Dann wandte sie sich an Rin. „Bitte folge mir.“ Das Mädchen ging voraus. Rin schaute sich noch einmal nach Sesshoumaru um. Doch der ging schon an ihr und an dem jüngeren Mädchen vorbei die Treppe hinauf. Schließlich tat Rin es ihr und Sesshoumaru gleich. Doch bevor Rin und das Mädchen oben waren, war Sesshoumaru schon in einem der anderen Zimmer verschwunden. „Wo bringst du mich hin?“, wollte Rin wissen. „Du hast von Sesshoumaru-sama ein eigenes Zimmer zugeteilt bekommen. Da kannst du dich glücklich schätzen. Normalerweise werden die Zimmer geteilt.“ „Wie ist dein Name?“, fragte Rin weiter. „Aoi.“, antwortete das Mädchen knapp, das nun neben ihr herging. „Ich bin Rin.“ „Freut mich dich kennen zu lernen.“, sagte Aoi in einem leisen Ton. Sie war müde und hatte auch nicht wirklich Lust um diese Zeit zu reden. „Sehr gesprächig bist du aber nicht.“, gab Rin von sich. „Bitte verzeih, aber Sesshoumaru-sama hat ausdrücklich befohlen leise zu sein.“ Rin sagte lieber nichts mehr. Anscheinend schienen hier alle nach seiner Nase zu tanzen. Sie gingen einen langen Flur entlang, der genau so dreckig aussah, wie die anderen auch. Endlich kamen sie am Ziel an. Aoi öffnete eine Tür, die von außen ziemlich schäbig aussah und auch laut quietschte. Rin hielt sich die Ohren zu. „Hier ist es. Das wird jetzt dein Zimmer sein. Kann ich dich nun allein lassen oder brauchst du noch etwas?“ Rin winkte ihr ab und Aoi verschwand wieder auf den Flur und anschließend in einem der anderen Zimmer, das sie sich mit jemandem teilte. Rin sah sich etwas in dem Zimmer um. >Das kann doch nicht sein ernst sein.<, dachte sie. Dieses Zimmer war die reinste Rumpelkammer. Alles war komplett eingestaubt. Ein Schrank stand in einer Ecke, an dem schon eine Türseite aus der Angel gebrochen war. Außerdem war das Holz schon morsch. Ein Tisch war auch nicht vorhanden. Die zusammengeknüllten Tücher und Decken, die auf dem Boden lagen, musste Rin als ihren Schlafplatz akzeptieren. Der Vorhang, der vor dem völlig verschmutzten Fenster hing, war schon an einigen Stellen zerrissen. Aoi hatte Rin eine Kerze auf dem Boden abgestellt, die nun schwach flackerte. Rin schob die quietschende Tür zu. „Das kann man ja nicht mal einem Hund zumuten.“, sagte sie leise und schüttelte den Kopf. Dann ging sie auf den alten Schrank zu, der genau so moderig roch wie er aussah. Rin hatte gehofft dort ein paar Kleider zu finden, aber der Schrank war komplett leer, abgesehen von ein paar Silberfischen. „Das ist ja ekelhaft.“, meinte Rin und ging einen Schritt zurück. „Na toll, und was bitte soll ich jetzt anziehen?“ Sie hatte keine Wahl. Ob sie wollte oder nicht, sie musste ihren Kimono erst einmal zum trocknen aufhängen. Nachdem sie ihn dann an die Stange gehangen hatte, wo auch der zerrissene Vorhang hing, ging Rin auf den Haufen Decken zu, die wohl nur lieblos in eine Ecke geschmissen wurden. Die weicheste Decke nahm sie als Unterlage, denn sie wollte nicht unbedingt auf diesem Boden schlafen. Eine große Decke nahm sie, um sich zudecken zu können. Der Rest dienste als Kopfunterlage. „So müsste es einigermaßen gehen.“ Sie nahm die Kerze und stellte sie neben ihrem Schlafplatz ab. Das Rin diese Nacht nackt hier schlafen musste, passte ihr überhaupt nicht. Aber sie hatte keine andere Wahl, denn andere Sachen hatte sie hier nicht und ihr Kimono würde etwas Zeit zum trocknen brauchen. Warm war es nicht gerade in dem Zimmer und so versuchte Rin sich wenigstens unter der Decke aufzuwärmen. Zuletzt löschte sie die fast abgebrannte Kerze und suchte im Land der Träume nach schöneren Gedanken. Sesshoumaru schritt zu der Zeit nervös, ungeduldig und aufgebracht in einem Zimmer auf und ab, das vollgestopft war mit Schränken, in denen uralten Bücher standen, allerlei Dokumente verschiedener Art zu einem Stapel aufgetürmt und Unmengen von Pergament und Federn auf einem großen Tisch ausgebreitet waren. An der Wand über dem Tisch hing ein weiteres Portrait und jeweils rechts und links davon hingen Kronenleuchter an der Wand, die das Zimmer erhellten. „Was hat sie hier verloren? Wie hat sie mich gefunden? Das kann doch alles nicht wahr sein! Wie kann sie es nur wagen hier aufzukreuzen?“ Vor Wut schlug er einen Haufen Dokumente von dem Tisch, die dort auf einem Stapel lagen. „Allein hätte sie es unmöglich rausbekommen. Jemand muss es ihr gesagt haben. Nur welcher Idiot wäre so dumm dies auszuplaudern?“ Er blieb mit dem Gesicht zum Fenster stehen und sah raus zum Mond. „Nun, sei es drum. Sie muss hier weg, egal wie und auf welche Art. Um dieses Problem werde ich mich zu gegebener Zeit höchstpersönlich kümmern.“ Es wurde morgen und die ersten Sonnstrahlen berührten die westlichen Länder. Rin wurde aus ihrem Schlaf gerissen, doch nicht durch das Licht, das krampfhaft versuchte, durch das verschmutzte Fenster zu dringen und auch nicht durch die Schritte der Diener, die hastig auf den langen Fluren hin und her rannten. Nein, Rin wurde durch das Klirren von Metall geweckt. Zuerst nahm sie an, dass es Sesshoumaru wäre, der gegen irgendjemanden kämpfte. Doch bei genauerem Hinhören, glich das Geräusch nicht dem Schlagen zweier Schwerter. Rin wurde neugierig. Sie wollte nachsehen, woher es kam. Als sie aufstand merke sie, dass ihr Kimono verschwunden war. „Was soll das denn?“, sagte sie verärgert. „Soll ich jetzt hier nackt herumlaufen?“ In diesem Moment ging quietschend die Zimmertür auf. Rin erschrak und bedeckte hastig mit der Stoffdecke das Nötigste, um nicht völlig entblößt dazustehen. „Hey, noch nie was von anklopfen gehört, oder?“, fuhr sie die Person an, die jetzt in der Tür stand. Dann bemerkte Rin, dass es Aoi war, das Mädchen, dass sie heute Nacht hierher gebracht hatte. „Bitte verzeih, ich wollte nicht so hereinplatzen.“, sagte sie und blickte beschämt auf den Boden. „Aber du brauchst dich nicht schämen. Du hast nichts, was ich nicht auch habe.“ „Wo sind meine Sachen?“, wollte Rin wissen und hielt sich noch immer die Decke schützend vor ihren Körper. „Du hast vorhin noch tief und fest geschlafen und ich wollte dich nicht wecken. Ich habe deinen Kimono zum Reinigen gegeben. Ich hoffe, du bist mir nicht böse. Aber Sesshoumaru-sama hat befohlen dir diese hier bringen zu lassen.“ Sie hielt Rin mit beiden Händen einen kleinen Stapel frisch gewaschener Kleidung hin. „Was? Das hat Sesshoumaru gesagt?“, fragte Rin etwas erstaunt. Das Mädchen zuckte plötzlich zusammen und sah einmal kurz über die Schulter. „Niemals darfst du ihn so in seiner Anwesenheit anreden!“, sagte sie leise. „Nur mit ‚Sesshoumaru-sama’ oder ‚Mein Herr’. Anderenfalls wird er sehr wütend und das kann schlimmer Folgen haben.“, meinte Aoi ängstlich und blickte sich erneut um, als ob Sesshoumaru hinter der nächsten Ecke stehen und nur darauf warten würde, dass jemand etwas falsches sagt. Rin hatte ihn früher auch so genannt, aber lieber würde sie ihn jetzt nur mit seinem Vornamen anreden. Aber das hielt sie derzeit für keine besonders gute Idee. Schließlich nickte Rin Aoi zu, um das Mädchen nicht noch mehr zu ängstigen. >Wieso hat sie solche Angst vor ihm? Zugegeben, wenn er wirklich wütend ist, kriegt man es schon mit der Angst zutun, aber nur, wenn man ihm als Feind gegenüber steht. Aber doch nicht so...< „Gut, dann ziehst du dich jetzt am besten an und dann werde ich dich etwas herumführen. Das Schloss ist nämlich sehr groß und man sollte sich hier ziemlich genau auskennen. Das verlangt Sesshoumaru-sama.“ Sie übergab Rin die frischen Kleider, schloss die Tür und ging wieder auf den Flur. Etwas erstaunt darüber, dass Sesshoumaru ihr Kleider bringen lies, begutachtete sie diese. Aber sie hatte sich zu früh gefreut. Es war nichts besonderes dabei. Die Kimonos waren alle nur aus ganz normalem Stoff. Alle waren einfarbig, nicht mal das kleinste Muster war darauf zu erkennen. Sie hatte zwei weiße und einen blau-gräulichen Kimono. „Das ist zu gnädig...“, meinte Rin in einem sarkastischen Ton. Kurz danach hatte Rin sich einen der weißen Kimonos angezogen. Den Gräulichen fand sie einfach nur schrecklich. >Der sieht aus wie ein gebrauchtes Putztuch.< Sie hatte sich kurz die Haare zurecht gemacht und trat dann aus der Tür raus. Aoi stand schon im Flur und wartete auf sie. „Da bist du ja endlich. Wir müssen uns beeilen. Sesshoumaru-sama mag keine Unpünktlichkeit und wir sind schon spät dran.“, sagte sie hastig, nahm Rin an die Hand und zog sie mit sich mit. Mit eiligen Schritten ging Aoi mit Rin in die oberste Etage des Schlosses. Erstaunlicherweise musste Rin feststellen, dass es hier alles andere als verschmutzt war. Ganz im Gegenteil. Es war sauber und aufgeräumt. Edle Wandteppiche hingen in kräftigen Farben an den Wänden. An den Kronenleuchtern und den Gemälden war nicht ein Körnchen Staub zu sehen und der Boden glänzte wie eh und je. Alles war auf Hochglanz poliert. Rin konnte sich das nicht erklären und blickte nun fragend zu Aoi. „Dies hier ist die oberste Etage, mit Ausnahme der Türme. Nur Sesshoumaru-sama und von ihm ausgewähltes Personal dürfen sich hier aufhalten. Normalerweise dürften auch wir nicht hier sein. Hier sind seine Arbeitszimmer, Bibliotheken und auch sein Gemach.“ Aoi führte sie durch einige Zimmer, darunter eine sehr große Bibliothek und auch einige Zimmer, in denen er sich zurückzog, wenn er seine Ruhe haben wollte. Es gab aber auch Räume, die verschlossen waren. Rin wurde erklärt, dass Sesshoumaru dort niemand dulden würde. Es war jedem verboten sich diesen Räumen zu nähern. Der Rest des Schlosses sah eher katastrophal aus. Aoi zeigte ihr noch den Speisesaal, der auch ordentlich und sauber war, da dort täglich gespeist wurde. Dann wurde Rin in die Küche geführt und natürlich in den Festsaal, der aber nur selten genutzt wurde. „Leider haben wir hier kaum Festlichkeiten.“, sagte Aoi. Anschließend gingen sie raus auf den Hof. Von außen sah das Schloss gar nicht so schäbig aus, wie man es von innen kannte. Es war aus leicht gräulichem Stein erbaut worden. An den Schlossmauern schlängelten sich verschiedene Ranken entlang. Rin wusste nicht genau welche es waren, denn die Ranken blühten nicht, sondern waren braun und verdorrt, sowie alles andere, was eigentlich grün sein sollte. Sie sah eine Schmiede und begutachtete den Stall, der schräg gegenüber auf der anderen Seite des Hofes stand und in dem man viele prächtige Pferde sah. Erst, nachdem der Rundgang durch und um das Schloss beendet war, wurde Rin klar, was Sesshoumaru überhaupt für einen großen Besitzt hatte. Aoi wandte sich schließlich an Rin. „Du hast nun das Nötigste gesehen. Es wir Zeit einen Platz zu suchen, wo du arbeiten kannst.“ Rin blickte sie ungläubig an. „Wie bitte? Das werde ganz bestimmt nicht tun!“ „Aber...“, Aoi schaute sie verwirrt an. „Das geht doch nicht. Du als Dienerin musst doch hier etwas tun. Sesshoumaru-sama kann hier niemanden gebrauchen, der sich nicht nützlich macht. Wenn er mit dir fertig ist, dann bleibt nicht mehr viel von dir über...“ Aoi blickte sich ängstlich um, als ob sie nach Sesshoumaru Ausschau halten würde. „Ich erinnere mich nicht daran, je gesagt zu haben, dass ich hier dienen würde.“, meinte Rin etwas eingeschnappt und verschränkte die Arme. „Ja, aber... wieso bist du denn dann hier?“, fragte Aoi leise. >Das ist eine berechtigte Frage<, dachte Rin. Ihr Blick wich auf den Boden aus. „Ich bin... nur ein... unerwünschter Gast. Ich werde nicht lange hier bleiben.“, sagte Rin schließlich in einem sehr leisen Ton, mehr zu sich selbst, als zu Aoi. „Das ist seltsam. Sesshoumaru-sama hat nie einen Gast“, antwortete Aoi verwundert. Rin blickte sie immer noch nicht an. „Gut, ganz wie du willst. Aber nicht, dass der Ärger nachher an mir hängen bleibt. Ich nehme an, dass du dich als Gast hier frei bewegen kannst.“, sagte Aoi und stupste sie mit dem Finger gegen die Schulter. Rin sah sie jetzt wieder an. „Frei bewegen?“ „Ja.“, sagte Aoi. „Im und um das Schloss herum. Außer die oberste Etage. Die solltest du meiden. Es ist besser so.“ Rin nickte kaum sichtbar. „Ich muss jetzt wieder zurück. Wir sehen uns noch.“ Aoi drehte sich um und ging wieder zurück zu dem großen gräulichen Gebäude. Rin stand nun allein auf dem Schlosshof und wusste nicht genau, was sie tun oder wo sie hingehen könnte. Die Wachen warfen ihr neugierige Blicke zu, die Rin sehr unangenehm waren. Schließlich machte sie sich auf den Weg zu den Gärten, oder das, was davon übrig war. Der eine war anscheinend mal ein Rosengarten gewesen. Aber mehr als ein Haufen dorniges und vertrocknetes Gestrüpp war es jetzt nicht mehr. Dann stand ein großer Baum, der schon mehrere Jahrhunderte alt sein musste, neben einem See. Den Baum und den See umschloss eine mehr oder weniger grüne Wiese. Der große und stabile Baum blühte in voller Pracht, wie es sich um diese Jahreszeit gehörte. Das lag wohl daran, dass er direkt neben dem See stand und so genug Wasser bekam. Das alles musste einmal ein wilder Garten gewesen sein. In dem dritten Teil des Gartens wurde früher wohl Obst und Gemüse gepflanzt. Es standen vereinzelte Bäumchen herum, die aber keine Früchte und nur sehr wenig Blätter trugen. Rin stand da und sah sich ihre trostlose Umgebung an. Dieser Anblick machte sie selbst auf eine Art traurig und depressiv. Sie setzte sich auf einen der Findlinge, die überall herum standen. Eine ältere Frau sah Rin dort sitzen und ging mit langsamen Schritten auf sie zu. „Es ist schade um die Gärten, nicht wahr?“, sprach sie, als sie in Rins Hörweite war. Erst jetzt bemerkte Rin die Frau und sah auf. „Ja, das ist es.“, antwortete sie. Die Frau setzte sich neben Rin auf den Findling. Sie hatte langes graues Haar, das mit leicht roten Strähnen durchzogen war. Ihr Gesicht war mit Falten gekennzeichnet, durch die man ihr ansah, dass sie schon sehr alt sein musste. Ihre grünen Augen strahlten eine gewisse Ruhe aus. Ein kurzer Blick auf ihre Ohren reichte aus, um zu sagen, dass sie eine Youkai sein musste. „Wieso kümmert sich niemand um das alles hier?“, fragte Rin. Die alte Frau seufzte einmal und blickte betrübt zu der Schwarzhaarigen, die neben ihr saß. „Der junge Herr interessiert sich nicht dafür. Ihm ist es gleich was damit geschieht. Ich habe noch nicht einmal in all den Jahren gesehen, dass der junge Herr, nach dem Tod seinen Vaters, sich um das hier bemüht hat.“ „Heißt das, dass es hier früher anders ausgesehen hat?“, fragte Rin weiter. „Natürlich, mein Kind. Einst blühten hier die wundervollsten und seltensten Blumen, in den kräftigsten Farben. Dies war der schönste Ort, den man sich nur vorstellen konnte. InuTaisho, der Vater des jungen Herren, war sehr oft hier. Doch seit InuTaisho-sama nicht mehr ist und sein ältester Sohn über dieses Land herrscht, ist nichts mehr, wie es einmal war.“ Rin hatte Sesshoumarus Vater schon einmal gesehen. Es war zwar schon lange her und er war nur einmal kurz als Geist erschienen, aber Rin konnte ihn gut erkennen. „Ich hätte sie gerne einmal blühen sehen.“, sagte Rin schließlich, nachdem einige Minuten der Stille vergangen waren. „Du bist etwas ganz Besonderes, dass weiß ich.“ Die Youkai legte Rin eine Hand auf die Schulter und lächelte. „Ich bin mir sicher, wenn es jemandem gelingen wird, den Garten zum blühen zu bringen, dann dir.“ Von der Schmiede her erklangen plötzlich laute Stimmen. Zwei Männer schienen sich sehr zu streiten. Dann hörte man ein lautes Scheppern. Kurz darauf kam Sesshoumaru aus der Schmiede. In der Hand hielt er Toukijin. Er begutachtete es einmal im Licht der Sonne und lies es dann wieder in dessen Scheide verschwinden. Dann bemerkte er die beiden Personen, die ganz in der Nähe saßen. Die alte Frau stand schnell auf. „Ich gehe lieber wieder an die Arbeit. Der junge Herr scheint heute nicht besonders gut gelaunt zu sein.“ Mit hastigen Schritten ging sie in die Richtung, aus der sie gekommen war, während Rin immer noch auf dem Findling saß und ihr verwundert nachsah. Sesshoumaru stand vor der Schmiede und warf ihr ein paar kühle Blicke zu. Rin sah ihn nicht an, aber sie wusste, dass er sie ansah. Sie spürte seinen Blick auf ihrer Haut. Als sie dann merkte, dass Sesshoumaru auf sie zuging, sank ihr Blick wieder zu Boden. Seine Schritte wurden lauter und ihr Herz fing an zu rasen. Gleich würde er bei ihr sein. Doch der Moment, in dem Rin gehofft hatte, dass er vor ihr stehen bleiben würde, blieb aus. Stattdessen schritt er einfach an ihr vorbei, als wäre sie für ihn unsichtbar. Rin sah ihm nach. Ihre Hoffnungen sanken immer mehr. Sie fühlte sich leer. Sie hatte das Gefühl zu fallen, immer tiefer und tiefer und es schien kein Ende zu nehmen. „Sesshoumaru...“, flüsterte sie, als er schon einige Meter von ihr entfernt war. Aber dank seiner guten Ohren entging ihm das nicht. Er blieb stehen und hob den Kopf etwas an. „Was ist?“, fragte er in seiner tiefen Stimme. Rin war überrascht, dass er darauf reagiert hatte. Damit hatte sie nicht gerechnet. Schnell stand sie auf und öffnete ihren Mund, doch kein einziges Wort brachte sie heraus. Sie wusste nicht, was sie in diesem Moment sagen sollte. Eigentlich hatte sie doch nur seinen Namen geflüstert. Sesshoumaru stand immer noch mit dem Rücken zu ihr gewandt und wartete. >Ich will, dass du mit mir redest. Ich will, dass du gut zu mir bist. Ich will, dass du mich in deine Arme schließt und mich festhältst. Ich will, dass sich unsere Lippen berühren und dass dieser Kuss auf Ewig anhält. Ich liebe dich...< Ein Moment des Schweigens verstrich. „Nun?“, meldete sich Sesshoumaru zu Wort. Aus irgendeinem Grund, der Rin unbekannt war, ging sie langsam auf ihn zu. >Das kann ich ihm doch nicht alles sagen. Dann kann ich ja gleich wieder gehen. Was erwartet er denn jetzt von mir zu hören?< Rin zerbrach sich den Kopf darüber, was sie Sesshoumaru nun sagen würde, während ihre Beine sie weiter zu dem Mann trugen, der kurz vor ihr stand. Ihre Wangen hatten eine leichte Röte angenommen. Nun stand sie hinter ihm, nervös und aufgeregt. Sie merkte, dass Sesshoumaru langsam ungeduldig wurde. Verärgert drehte er sich zu ihr um. „Rin, wenn du mir nichts zu sagen hast, dann hört auf, meine Zeit in Anspruch zu nehmen. Ich habe Wichtigeres zutun!“ Er setzte sich in Bewegung und entfernte sich wieder von ihr. >Wieso beachtest du mich nicht? Weißt du eigentlich, wie sehr du mich damit verletzt? Was habe ich dir getan?< Diese Gedanken hatte Rin im Kopf, als sie Sesshoumaru mit einem bedrücktem Gesichtsausdruck nachsah. Doch nur kurze Zeit später wurde Rin durch jemand anderen aus ihren Gedanken gerissen. „Hey, du. Pssst... schau doch mal her!“ Rin sah sich verunsichert um. „Hey, komm mal her.“ Ein junger Mann mit dunkelbraunen Haaren und gelben Augen stand neben der Schmiede und forderte sie mit einer Kopfbewegung auf, zu ihm zu kommen. Rin zögerte zunächst etwas, entschloss sich aber dann seiner Aufforderung nachzugehen. Der dunkelhaarige Mann kam ihr einige Schritte mit einem Lächeln entgegen. „Hallo, wen haben wir denn da? Du musst neu sein, denn ich sehe dich zum ersten Mal.“ Er studierte Rin genau und reichte ihr die Hand, als sie vor ihm stand. „Ich bin Masakazu. Und mit wem habe ich die Ehre?“ „Ich bin Rin.“, sagte sie und guckte noch etwas unschlüssig. „Ein hübscher Name. Du bist noch nicht lange hier, was?“, fragte er sie. „Ich bin gestern Abend angekommen. Aber ich werde nicht lange hier bleiben.“, meinte sie zu ihm und wollte gehen. „Das ist schade. Wieso denn? Gefällt es dir hier nicht?“, wollte Masakazu wissen. „Ehrlich gesagt, nein. Und ich glaube auch nicht, dass ich hier sehr willkommen bin. Das ist jedenfalls mein momentaner Eindruck.“ Ihr Gegenüber runzelte die Stirn. „Ach, der erste Eindruck täuscht meistens. Warte einfach noch etwas ab. Du wirst dich hier wohl fühlen.“ Rin seufzte einmal laut. „Das denke ich nicht.“ Sie schaute sich den jungen Mann, der ihr immer noch gegenüber stand, etwas genauer an. Dabei blickte sie ihm direkt in die Augen. „Du bist kein Mensch, nicht wahr?“ „Stimmt, gut erkannt. Ich bin ein Hanyou.“, grinste er. „Ich habe es an deiner Augenfarbe bemerkt.“, antwortete Rin und zeigte mit dem Finger zu ihm hoch. “Ich weiß, sonst würde man es nicht merken. Das verrät mich. Aber ich habe gelernt damit umzugehen und mich stört es nun auch nicht mehr.“ Rin kratzte sich einmal am Hals. Sie wusste nicht, über was sie sich jetzt mit ihm unterhalten sollte. Außerdem hatte sie Hunger. Seit gestern hatte sie nichts mehr gegessen. Masakazu merkte, dass sie krampfhaft nach einem Gesprächsthema suchte und er entschloss sich schließlich dazu, ihr diese Arbeit abzunehmen. „Ich muss jetzt wieder in die Schmiede. War nett sich kurz mit dir zu unterhalten. Es würde mich freuen, wenn wir uns mal wiedersehen könnten.“ Somit verabschiedete sich der junge Hanyou und ging zurück in das Gebäude, das aus schlichtem Holz erbaut wurde. Da Rin nun einmal sehr neugierig war, ging sie Masakazu einige Sekunden später hinterher, um zu sehen, was genau er darin tat. Sie riskierte einen Blick in die Schmiede und sah, wie Masakazu gerade dabei war einen Waffenständer wieder aufzubauen. Viele Schwerter und andere Waffen lagen auf dem Boden herum. Rin ging ein paar Schritte vor und betrat nun die Schmiede. „Warte, ich helfe dir.“, sagte sie und wollte nach den herumliegenden Waffen greifen. „Nein, bitte lass das. Eine Frau sollte sich an so etwas nicht die Hände schmutzig machen.“, meinte der junge Hanyou und blickte zu ihr auf. Rin sah ihn etwas erstaunt an. So etwas kannte sie bisher nicht. In dem Dorf, aus dem sie kam, mussten alle mit anpacken. Rin hatte auch schon oft die Schwerter der Männer gesäubert und auch geholfen sie zu schärfen. Aber das war auch schon alles, was sie wusste. Sie hatte nicht sie geringste Ahnung, wie man ein Schwert richtig hielt und erst recht nicht, wie man damit kämpfte. Sie beobachtet Masakazu ganz genau. Er bemerkte dies jedoch und schaute wieder zu Rin. „Interessierst du dich dafür?“ „Bis jetzt eigentlich nicht. Ich finde kämpfen schrecklich. Ich würde es nur im Notfall zur Verteidigung machen.“, antwortete sie ihm auf seine Frage. „Ach, komm schon. Kämpfen kann auch spaß machen.“, sagte er und fuchtelte ihr mit einem Schwert vor der Nase rum. Rin schüttelte nur den Kopf. „War das Sesshoumaru?“, fragte sie, als er wieder anfing die Waffen einzusammeln. „Ja, das macht er öfter.“, sagte er und seufzte. „Er gibt mir Toukijin, um es zu säubern und zu schärfen. Dieses Mal war er der Meinung, es hätte zu lange gedauert. Darum war er wütend.“ Masakazu grinste. „Es macht dir gar nichts aus, dass er seine Wutanfälle hier auslässt?“ Der braunhaarige Mann schüttelte den Kopf. „Am Anfang ja, da hat es mich richtig wütend gemacht. Aber mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt. Es liegt schon fast an der Tagesordnung.“ Rin sagte nichts mehr. Sie schaute Masakazu noch eine Weile zu, kam sich dann aber überflüssig vor. „Ich werde dann jetzt gehen.“ „Ist gut. Wir sehen uns nachher, Rin.“, sagte er vergnügt. „Nachher?“, fragte Rin. „Ja, in dem Speisesaal. Du kommst doch zum Essen, oder nicht?“, meinte er und stellte sich wieder hin. „Essen? Sicher, hört sich gut an.“, sagte Rin. „Dann sehen wir uns nachher.“ Sie winkte ihm noch einmal kurz zu, drehte sich schließlich um und ging einige Meter auf das Schloss zu. Am Schlosseingang sah sie Sesshoumaru stehen, der sie lange ansah. Sie blieb ebenfalls stehen. Ihr gelang es, den Blickkontakt mit Sesshoumaru eine Weile aufrecht zu erhalten. Er war zwar weit entfernt, aber sein Blick fesselte Rin auf seine eigene Art und Weise. „Wieso siehst du mich so an? Bist du vielleicht doch nicht so, wie alle behaupten? Das habe ich von Anfang an nicht glauben wollen. Ich weiß, dass du gut bist. Du hast nur immer diese kühle Maske auf, damit man dich nicht durchschauen kann. Aber ich kann dich durchschauen. Das konnte ich schon immer. Ich weiß, wie es in dir aussieht, Sesshoumaru. Und ich werde dir helfen, deinen Gefühlen, die du tief in dir hast, freien Lauf zu lassen. Es ist keine Schande seine Gefühle anderen gegenüber zu zeigen. Fürchte dich nicht davor...“, flüsterte sie leise in den frischen Wind, der ihr entgegen wehte. Kapitel 7: Das Geheimnis der Gärten ----------------------------------- Mittlerweile war Rin schon seit einer geschlagenen Woche hier und es hatte sich nicht das Geringste getan. Sie hatte gehofft, dass Sesshoumaru sich ändern würde. Das er nur die erste Zeit sauer war, weil sie ungebeten hergekommen war und dass er sich nach zwei drei Tagen wieder beruhigen würde. Aber wie Rin nach dieser Woche feststellen musste, was dies nicht der Fall. Sie musste die Nächte immer noch in diesem verrotteten Zimmer verbringen und bessere Kleidung hatte sie auch nicht bekommen. Sie versuchte dieses Zimmer so gut es ging zu meiden, nur des nachts hielt sie sich dort auf. Und wenn sie tagsüber im Schloss oder außerhalb des Schlosses unterwegs war, schämte sie sich dafür, in solch unangemessener Kleidung herumzulaufen. Zwar hatten die anderen Leute auch nichts besseres, aber das war selbst für Rins Verhältnisse unter aller Würde. >Langsam glaube ich, dass er mich wirklich nicht hier haben will. Und ich blöde Kuh hatte mir vorher noch was darauf eingebildet...< Rin saß alleine in dem Speisesaal und kaute auf einer Brotkruste rum, die noch von ihrem Frühstück übrig war. Alle anderen gingen schon ihren Tätigkeiten im Schloss nach. Sesshoumaru war diesen Morgen nicht erschienen, was Rin sehr wunderte. Normalerweise war er immer da. Zwar viel früher als die anderen, aber das lag daran, dass er seine Ruhe haben wollte. Er aß nicht gerne mit anderen zusammen. Überhaupt hatte Rin ihn nur zweimal dabei beobachtet, wie er etwas zu sich nahm. Eigentlich traf man ihn immer pünktlich zu Sonnenaufgang im Speisesaal an. Rin stand deshalb jeden Morgen extra früh auf, um ihn zu sehen. Denn tagsüber ging sie ihm meistens aus dem Weg, obwohl ihr die Fragen, die sie ihm stellen wollte, schon höllisch auf der Zunge brannten. Doch ihr fehlte einfach der Mut dazu. An diesem Morgen aber war keine Spur von Sesshoumaru zu sehen. Eigentlich sollte sie sich gut fühlen, denn das erste Mal, seit sie hier war, wurde beim Speisen munter geredet. Es war alles viel lockerer als die ganzen Tage zuvor. Aber das lag wohl daran, dass der Herr des Schlosses nicht anwesend war. Irgendwann erhob Rin sich, brachte das übrige Geschirr in die Küche und fragte die drei Frauen, die dort tätig waren, ob sie Sesshoumaru heute morgen begegnet seien. Eine der Drei nickte schließlich. „Ich habe ihn heute gesehen. Es war noch ziemlich in der Frühe und noch sehr dunkel draußen. Er hat mich zwar gesehen, aber nichts gesagt. Dann ging er raus. Ich glaube, dass er wieder in die Wälder gegangen ist. Das macht er oft. Aber ich habe keine Ahnung, wann er wieder zurück kommt. Vielleicht heute Abend, vielleicht auch erst in zwei Tagen. Das weiß keiner.“ Die junge Frau musterte Rin genau. „Wieso interessiert dich das, Kleine?“, wollte sie wissen. Rin stutzte etwas. Auf diese Frage war sie nicht vorbereitet. „Ach... Das ist nur reine Neugierde, nichts weiter.“ „Na, wenn das so ist...“ Die Frau drehte sich wieder weg, ohne die schwarzhaarige junge Frau weiter zu beachten, und ging ihrer Arbeit nach. Rin musste sich schließlich mit dieser Antwort auf ihre Frage zufrieden geben und verließ anschließend die Küche. Sie betrat die Eingangshalle. Niemand war zu sehen oder auch nur zu hören. „Wo sind die denn alle?“, murmelte Rin leise vor sich hin. Sie blickte sich noch einige Male um, konnte aber niemanden in ihrer Nähe ausmachen. Es kam ihr vor, als wäre sie ganz allein in dem großen Gebäude. Das war sie natürlich nicht und dies wusste sie auch, aber momentan schien das Schloss wie verlassen. Ganz spontan fiel ihr Blick erst auf die Treppe und dann nach oben. Sie spielte mit dem Gedanken es zu wagen. Warum, wusste sie auch nicht genau. Vielleicht lag es auch gerade daran, dass es verboten war sich dort aufzuhalten. Eine Herausforderung? Ihre Neugierde brauchte sie immer wieder in solche Situationen. Trotzdem hätte sie zu gerne gewusst, was dort oben wohl sein mochte. Es musste doch einen Grund geben, wieso man dort nicht hinaufgehen durfte. Langsam setzte sie einen Fuß auf die erste Stufe. Doch genau in diesem Augenblick hörte sie auf dem Hof eine Stimme, die ihr doch sehr bekannt und vertraut vorkam. Schnell vergaß sie ihren Gedanken, den sie gerade noch im Kopf hatte, und ging neugierig Richtung Eingangstor, welches einen Spalt offen stand. Vorsichtig näherte sie sich dem Tor und lauschte einige Worte, die draußen gesprochen wurden. „...und Sesshoumaru-sama hat eindeutig angeordnet, dass sich alle Wachen mit ihren Rüstungen und Waffen unverzüglich vor dem Tor zu versammeln haben. Und was sehe ich? Ihr lasst euch alle Zeit der Welt! Ihr faules Pack! Und außerdem ist es einfach nur beschämend, dass unter euch auch noch Dämonen sind! Ihr seid auch nicht besser als diese abscheulichen Menschen! Wenn Sesshoumaru-sama sehen würde, wie ihr hier...“ Rin schluckte einmal, als ob sie etwas im Hals hätte. Sie guckte langsam um die Ecke, um nachsehen zu können, was dort eigentlich vor sich ging. Sie sah eine Ansammlung von Wachen, die gelangweilt in der Gegend herumstanden, gähnten, sich abwesend am Hinterkopf kratzen, ihre Schwerter begutachteten, oder mit geschlossenen Augen die frische Morgenluft genossen, ohne auch nur einmal richtig zuzuhören, was ihr Gegenüber ihnen versuchte mitzuteilen. „Ihr werdet euch noch wundern! Eure Faulheit soll bestraft werden! Sesshoumaru-sama wird erfahren, dass ihr euch seinen Befehlen widersetzt! Und ihr wollt euch Wachen nennen? Lächerlich!“, waren die aufbrausenden Worte zu hören. Diese schrille, manchmal quietschende Stimme kam Rin so unheimlich bekannt vor. „Geht mir aus dem Weg, ihr nutzloser Haufen!“ Einige der Wachen machten Platz, andere hatten anscheinend gar nicht mitbekommen, was in den letzten Minuten geschehen war. Etwas weiter von ihr entfernt, sah Rin, wie sich ein kleiner grüner Youkai, mit großen gelben Augen, von den faul herumstehenden Wachen entfernte. Man hörte noch, wie er leise etwas vor sich hin fluchte. „Jaken!“, flüsterte Rin. In ihr stieg Freude auf. Sie hatte den kleinen Dämon die ganze Zeit, in der sie schon hier war, nicht gesehen. Aber sie freute sich, dass er wieder da war. Er war zwar nervig, aber ohne ihn war es langweilig. Rin schob die große schwere Tür mit Mühe beiseite, so dass sie austreten konnte und lief mit schnellen Schritten hinter dem fluchenden Youkai her. Als sie ihn fast eingeholt hatte, rief sie seinen Namen. Der kleine Kerl drehte sich verwundert um. Doch genau in diesen Moment fiel ihm jemand um den Hals. „Jaken! Wie schön dich wieder zu sehen! Ich freu mich so!“ Wie erstarrt blieb der Dämon stehen und musste seine momentane Lage erst einmal realisieren. Erst nach einigen Sekunden fasste er sich wieder. „Was zum...? Lass mich los, sonst kannst du was erleben!“, rief Jaken und fuchtelte wild mit den Armen umher. Dabei hielt er seinen Kopfstab in einer Hand, den er jetzt auf Rin richtete. Dann sah er zu ihr. „Wie? Noch ein Mensch? Das gibt es doch gar nicht! Haben wir hier eine Sammelstätte für herumstreunende Menschen? Ich verstehe es nicht, dass Sesshoumaru-sama so viele von eurer Sorte hier duldet! An seiner Stelle würde ich euch alle zum Teufel jagen!“, krächzte er vor sich hin. „Jaken! Ich bin es doch, Rin!“, unterbrach sie ihn. Einen Moment stutzte der Dämon etwas und schaute Rin etwas genauer an. Doch anscheinend erkannte er sie nicht. „Rin? Verarsch mich nicht, du ekelhafter Mensch! Du kannst unmöglich Rin sein. Sie ist seit vielen Jahren bei den Menschen! Sesshoumaru-sama hat sie dort zurückgelassen! Und ich muss sagen, dass das eine gute Entscheidung gewesen war!“ Diese Worte trafen Rin sehr tief. Sie hatte sich doch so gefreut Jaken wieder zu sehen. Und jetzt musste sie feststellen, dass ihre Vermutungen, die sie anfangs gehabt hatte, tatsächlich der Wahrheit entsprachen. Sie war Sesshoumaru, sowie Jaken, von Anfang an nur eine Last gewesen. Sie war nur im Weg und störte. Kein Wunder, dass sie in einem Menschendorf zurückgelassen wurde. Jetzt verstand sie es. Nur das sie es auf so eine schmerzhafte Art und Weise erfahren musste. Konnte er es nicht etwas mitfühlender ausdrücken? Aber im Gegensatz zu Sesshoumaru, hatte Jaken Rin nicht sofort erkannt. Er glaubte ihr nicht, und das streute noch mehr Salz in die schon schmerzende Wunde. „Und jetzt bleib mir vom Leib, sonst wirst du die Kraft meines Kopfstabes zu spüren bekommen!“, drohte der kleine Dämon und hielt Rin den Stab entgegen, den er immer mit sich trug. Rin ging einen Schritt zurück. Sie merkte, dass er heute in ziemlich schlechter Stimmung war und er würde seinen Kopfstab mit Sicherheit einsetzen. „So glaub mir doch, Jaken...“, versucht es Rin noch einmal, um ihn etwas zu beruhigen. Sie verstand es nicht, dass er so reagierte. Früher war er anders. Sie hatte sich oft mit ihm unterhalten. Er hatte ihr so vieles erklärt, wenn sie etwas nicht wusste. Und nun? Sollten sie sich nun etwa als Feinde gegenüberstehen? Das wollte sie um nichts auf der Welt. „Halte dich fern von mir! Deine Lügen kannst du jemand anderem auftischen!“ Jaken hob erneut bedrohlich seinen Kopfstab in Rins Höhe. Man konnte ihm förmlich ansehen, dass es ihm Freude bereiten würde, wenn er jetzt jemanden angreifen könnte. Wahrscheinlich nur, um seine schlechte Laune an jemandem auslassen zu können. Rin ging einen weiteren Schritt zurück, schaute aber dabei immer den Stab an, den der grüne Youkai in der Hand hielt. Sie hatte das Gefühl, dass ihr jeden Augenblick die Flammen des Stabes entgegen kommen würden. „Jaken! Wage es nicht den Kopfstab Rin gegenüber zu erheben!“ Beide, Rin und Jaken, drehten sich verwundert in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. „Wa... wa... was? Sesshoumaru-sama!“, rief Jaken und warf sich förmlich vor ihm auf den Boden. „Ihr seid wieder da. Welch erfreuliche Nachricht!“ Der am Boden liegende Dämon hob etwas den Kopf an, um seinen Meister sehen zu können. „Rin, sagt Ihr? Aber ich dachte...“ Sesshoumaru ging auf Jaken zu. „Hast du verstanden, was ich eben gesagt habe? Wage es nie wieder!“, wiederholte er seine Worte etwas lauter und drückte dabei den kleineren Youkai mit einem Fuß auf den Boden. “Ja, mein Herr! Bitte vergebt mir! Vergebt mir! Es wird nie wieder vorkommen!“, nuschelte er vor sich hin. „Das will ich für dich hoffen. Andererseits wirst du es mit deinem Leben bezahlen.“ Sesshoumaru nahm den Fuß von Jaken herunter, der immer noch auf dem Boden lag und sich nicht rührte. Einen Augenblick lang stand Sesshoumaru da und es sah so aus, als würde er selbst über seine eben gesagten Worte verwundert sein. Er fasste sich aber fast im selben Moment wieder. Dann ging der hochgewachsene Dämon mit den weiß-silbrigen Haaren auch an Rin vorbei, ohne weiter auf sie zu achten. Sein Gesicht hatte einen sehr ernsten Ausdruck. >Wieso habe ich mich da eingemischt? Hätte Jaken den Kopfstab eingesetzt, wäre ich mein Problem jetzt los. Warum habe ich mich für sie eingesetzt? Ich habe sie beschützt, sowie vor so vielen Jahren. Ich tue genau das Gegenteil, von dem, was ich vorhabe. Genau das will ich doch vermeiden.< Er schüttelte kaum erkennbar den Kopf, um seine Gedanken loszuwerden, und schlug einen Weg ein, der hinter das Schloss führte. Rin wunderte es auch, dass er sie verteidigt hatte. Nachdem, was sie von Jaken erfahren hatte, hätte sie schwören können, dass es Sesshoumaru egal gewesen wäre, wenn sie durch den Kopfstab gegrillt worden wäre. Aber er hatte Jaken davon abgehalten und ihm sogar mit dem Tod gedroht. Vielleicht war sie ja doch nicht so unerwünscht, wie sie gedacht hatte. Der kleine Hoffnungsschimmer, den Rin erst vor kurzem verloren hatte, hatte sich jetzt wieder etwas in ihr ausgebreitet. In ihrem Körper hatten sich alle möglichen Gefühle und Empfindungen angesammelt. Nach den Ereignissen von gerade brauchte sie jetzt etwas Zeit für sich. Sie wollte allein sein. Nicht um nachzudenken. Das tat sie schon viel zu oft. Nein, sie wollte alleine sein, um einfach mal ihre Ruhe zu haben. Abschalten zu können, einfach mal über gar nichts nachdenken zu müssen. Ihre Gedanken für einige Zeit beiseite legen zu können und sich entspannen. Genau, entspannen! Das hatte sie noch gar nicht getan, seit sie hier war. Sie schlug den Weg in die Gärten ein. Dort kam nie jemand hin, oder nur sehr selten. Meistens die alte Youkai, der Rin vor einigen Tagen das erste Mal begegnet war. Aber Rin war sehr oft in den Gärten. Sie fühlte sich dort sehr wohl, obwohl es nicht sonderlich schön war. Noch immer hatten die Bäume und Sträucher keine Blätter und die Blumen blühten nicht. Aber Rin konnte sich schließlich nicht um alles gleichzeitig kümmern. Was keiner wusste, war, dass Rin sich die Zeit nahm und sich um einige Hecken und Sträucher kümmerte. Sie pflegte sie und versorgte sie mit Wasser. Und ihre Mühe wurde auch belohnt. Die Heckenrose zeigte ihre Dankbarkeit und hatte wieder ihre ursprüngliche grüne Farbe angenommen. Sie hatte auch schon viele neue Knospen und auch sah man schon die schönen roten und roséfarbenen Blütenblätter, die den Weg an die frische und sonnige Luft suchten. Rin war sichtlich stolz auf ihr kleines vollbrachtes Werk. Ihr bereitete es große Freude sich so um etwas kümmern zu können. Gerne saß sie dort auf der Wiese und betrachtete die Rosen, wie sie in der Sonne aufgingen. Genauso tat sie es auch an diesem Tag. Sesshoumaru war, im Gegensatz zu Rin, nur gegangen, um in Ruhe nachdenken zu können. Das war auch der Grund, weswegen er am Morgen so früh aufgebrochen war. Doch im Wald fand er nicht die Ruhe, die er gesucht hatte. Im Gegenteil. Er stieß auf zwei kampfwütige Dämonen, die es wagten, ihn, Sesshoumaru, zu einem Kampf herauszufordern. Für den InuYoukai waren das keine ernstzunehmenden Gegner. Nach wenigen Sekunden lagen die Körper der Beiden auf dem Boden und die Flammen, die die regungslosen Dämonenkadaver umhüllten, schlugen meterhoch gen Himmel. In der Luft lag der widerliche Geruch von verbranntem Fleisch. Sesshoumaru konnte nicht an diesem Ort bleiben. Seine Nase war zu empfindlich, um dort länger zu verweilen. Deswegen war er wieder zum Schloss zurückgekehrt und suchte sich nun einen anderen Platz, an dem er ungestört sein konnte. Er ging an einen Ort, zu dem niemand Zutritt hatte. Für jeden war es strickt verboten gewesen sich diesem Ort auch nur ansatzweise zu nähern. Ein besonderer Ort, den wirklich niemand im Schloss je gesehen hatte. Nicht einmal Jaken. Und falls es doch irgendjemandem in den Sinn kommen sollte sich diesem Ort zu nähern, wurde er mit dem Tode bestraft. So lautete die Regel. Dort hielten sich früher nur Familienmitglieder auf und so war es bis zu diesem Tag geblieben. Sesshoumarus Vater, InuTaisho, war sehr oft dort gewesen. Und auch seine Mutter hatte des öfteren den Weg dorthin gefunden. Selbst InuYasha, seinem Halbbruder, den er immer noch zutiefst verachtete, wäre der Zutritt dorthin nicht verwehrt gewesen. Und nun war wieder einmal die Zeit gekommen, dass sich der jetzige Lord der westlichen Ländereien dort niederließ. Für wie lange konnte er nicht sagen. Er würde erst wieder zum Schloss zurückkehren, wenn er seine Gedanken, Probleme und unerwünschte Erinnerungen aus der Welt geschafft hatte oder es einen Zwischenfall beim Schloss geben würde. Aber das konnte er mit Gewissheit ausschließen. Er konnte im Moment keinen Feind ausmachen, der ihm gefährlich werden könnte. Der Youkai, mit den goldglänzenden Augen, ging auf eine Wand aus Bäumen zu, die etwas abseits des Schlosses standen. Die großen und hochgewachsenen Weiden, deren Äste bis fast an den Boden reichten und in voller Pracht blühten, ließen keine fremden Blicke durchdringen und verbargen auf diese Art, was sich hinter ihnen erstreckte. Der Dämon schob mit einer Hand einige der Äste beiseite, um sich so einen Weg durch das Grün zu bannen. Die Äste fielen wieder zurück und Sesshoumaru verschwand im Schatten der Weiden. Die Dunkelheit umhüllte ihn, als er zwischen den Bäumen umherwandelte. Es war kaum zu glauben, dass er immer noch in der Nähe des Schlosses war. Doch auch dieser Ort gehörte zu den Gärten, nur wussten das die Wenigsten. Hier wurde eine gewisse, sonderbare Wärme ausgestrahlt. Die beruhigende Atmosphäre half ihm dabei, alles zu vergessen, was ihm bis zu diesem Moment im Kopf herumgeschwirrt war. Alles, bis auf eines. Rin. Ein leises Plätschern war wahrzunehmen und die Dunkelheit verschwand mit der Zeit. Dichter Farn und ein paar herunterhängende Äste der Weiden versteckten eine heiße Quelle hinter dem Grün. Ein paar Glühwürmchen hatten sich dort verirrt und schwirrten nun hin und her. Sesshoumaru blieb vor der Quelle stehen und starrte einen Augenblick hinein. Ein leises Seufzen entwich seiner Kehle und nur er wusste, an was er in diesem Moment dachte. Langsam lies er seinen Suikan seine glatte helle Haut hinunter gleiten und stieg dann mit eleganten und stolzen Schritten in die Quelle hinein. Nachdem er sich eine Stelle gesucht hatte, an der er bequem saß, entspannte er sich, atmete noch einmal tief durch und schloss dann die Augen, um endlich die Ruhe genießen zu können, die er gesucht hatte. Zumindest hatte er es sich erhofft. Doch so einfach, wie er sich dies vorgestellt hatte, war es nicht. Vor seinem inneren Auge sah er Rin. Sie stand vor ihm und sah ihn an. Sie sah ihn einfach an, ohne auch nur ein einziges Wort zu verlieren. Er konnte es sich nicht erklären, wieso er vorhin so gehandelt hatte. Das war ganz und gar nicht seine Art. Früher nicht, genauso wenig wie jetzt auch. Aber doch hatte er es getan. Und genau das war sein Problem. Er verstand seine eigene Handlung nicht. Vielleicht lag es daran, dass er sie schon so lange kannte. Immerhin ist er ihr das erste Mal begegnet, als sie noch ein siebenjähriges Mädchen war. Oder lag es doch eher daran, dass sie nun eine erwachsene junge Frau war? Sie war zwar ein Mensch, aber für einen Menschen war sie sehr hübsch, wie er doch ungewollt zugeben musste. Was dachte er da nur? Wie konnte er solche Gedanken auch nur ansatzweise fassen? Er, Sesshoumaru, ein reinrassiger InuYoukai und dazu noch einer der mächtigsten seiner Rasse. Sesshoumaru öffnete schlagartig seine Augen. Noch nicht einmal hier fand er das, was er eigentlich suchte. Ruhe, einen Rat, eine Lösung. Er setzte sich wieder etwas aufrechter hin, strecke den linken Arm aus, ballte die Hand zu einer Faust und öffnete diese dann wieder langsam. „Es kann doch nicht sein, dass ich sie nicht aus meinem Kopf verbannen kann. Seitdem sie hier aufgetaucht ist, hat sie alles durcheinander gebracht.“ Er setzte einen Moment aus, um dann einige Sekunden später sein Selbstgespräch fortzuführen. „Nein, sie hat mich durcheinander gebracht. So kann und darf es nicht weitergehen. Ich lasse mich ja schon von einem Menschen beeinflussen...“ Langsam bekam er durch dieses Thema schlechte Laune. Er konnte sich jede Frau aussuchen, die er haben wollte. Klar, er war ja auch ein DaiYoukai. Niemand hätte je etwas dagegen gesagt. Aber eine menschliche Frau? Nein! Soweit würde er es niemals kommen lassen! Er musste sich irgendwie anders ablenken, bevor dieser Gedanke sich völlig in sein Gehirn festfraß. Rin saß noch immer an dem Platz, an dem sie sich nach dem Zusammentreffen mit Sesshoumaru niedergelassen hatte. Was sie nicht merkte, war, dass sich die alte Youkai Rin näherte, die sie einige Tage zuvor kennen lernte. „Wie ich sehe, hast du dich hier gut eingelebt.“, sprach die Youkai zu der schwarzhaarigen jungen Frau, die zuerst gar nicht wahrnahm, dass sie gemeint war. Etwas unsicher drehte sie sich zu ihrer Gesprächspartnerin um. „Oh, bitte verzeiht mir. Ich habe Euch nicht bemerkt.“, entschuldigte sich Rin und erhob sich. „Du brauchst dich deswegen nicht bei mir zu entschuldigen, mein Kind.“ Die Frau sah Rin mit einem warmen Lächeln an. „Um genau zu sein, bin ich mir noch nicht sicher, ob ich mich eingelebt habe. Nach meiner Ansicht ist alles immer noch wie vorher, nur mit dem Unterschied, dass ich mich jetzt besser zurecht finde.“ „Da mach dir mal keine Sorgen. Alles zu seiner Zeit.“ Die Youkai machte eine kurze Pause, um Rin zu Wort kommen zu lassen. Aber da die junge Frau keine Anstalten machte überhaupt eine Antwort zu geben, setzte die grauhaarige Frau das Gespräch fort. „Du hast dir das hier wirklich sehr zu Herzen genommen. Ich hätte nicht gedacht, dass du es wirklich versuchen würdest.“, meinte sie noch anschließend und deutete mit einer Kopfbewegung auf den Rosenbusch, der hinter Rin seine Knospen aufgehen ließ. „Ich dachte, einen Versuch wäre es wert.“ Rin schaute etwas verlegen zu Boden. „Ich habe gleich gewusst, dass es dir gelingen würde.“, sagte die Frau und nickte zufrieden. „Und auch der nächste Schritt wird bald folgen, da bin ich mir sicher.“ Rin schaute die alte Frau etwas irritiert an. „Welcher Schritt? Ich kann Euch nicht ganz folgen.“ „Der nächste Schritt? Hast du es denn noch nicht verstanden?“ Sie schaute Rin eindringlich einige Sekunden in die Augen. „Sieht wohl nicht so aus.“, murmelte sie vor sich hin. „Der nächste Schritt lautet Sesshoumaru!“ Jetzt war Rin völlig irritiert. Was hatte denn Sesshoumaru mit all dem hier zu schaffen? Als ob die alte Frau, mit den grünen Augen und den grauen, mit roten Strähnen durchzogenen Haaren, Rins Frage geahnt hatte, gab sie ihr schon die Antwort, bevor diese ihre Frage überhaupt stellen konnte. „Nun, seit einigen Jahren ist der junge Lord zunehmend immer ernster und verschlossener geworden. Zu all dem kommt noch hinzu, dass er dieses Land vernachlässigt hat und es noch immer tut. Angefangen hat das vor ziemlich genau 12 Jahren.“ Rin hörte der Frau aufmerksam zu. „Doch seit deiner Ankunft, hat sich das Verhalten des jungen Lords zusehend geändert. Es mag vielleicht nicht jedem auffallen, doch ich kenne Sesshoumaru-sama schon seit seiner Geburt und glaube mir, ich kenne ihn genau. Mir fällt eine Veränderung an ihm sofort auf. Du würdest es nicht erkennen.“ Sie setzte ein sanftes Lächeln auf und sah ihr Gegenüber dabei an, so dass Rin ein nichtgewollter Schauer über den Rücken lief. Die alte Dämonin setzte ihre Erklärung fort, nachdem sie Rin etwas genauer beobachtet hatte. „Ich denke, dass das etwas mit dir zu tun hat. Du bist der Grund dafür.“ Rin sah der Frau direkt in die Augen. Sie schien über diese Aussage überrascht, aber auch zum Teil verwirrt. „Ich glaube nicht, dass ich mit der ganzen Sache etwas zu tun habe. Ich bin eher der Meinung, dass er mich gar nicht hier haben will.“, entgegnete Rin und schüttelte den Kopf. „Natürlich, so sieht es aus. Das weiß ich. Aber ich weiß auch, dass Sesshoumaru sich schon immer so gab. Er gehört eben zu unserer Art. Er ist ein Youkai. Die Meisten sind so wie er, doch sie verstellen sich auch zum größten Teil, um nicht ihre Schwächen zu zeigen. Aber jeder hat nun einmal eine Schwäche, dass lässt sich nicht leugnen.“ Sie schaute einmal kurz um sich, als ob sie nach jemandem Ausschau hielt. Schon im nächsten Augenblick wandte sie sich wieder Rin zu. „Und genau das ist es auch, was Sesshoumaru derzeit tut. Sein ganzes Leben schon, und seit 12 Jahren kommt man gar nicht mehr an ihn heran. Bis jetzt.“ „Tut mir leid, aber ich sehe da keine Verbindung zu mir. Ihr müsst Euch irren.“, widersprach Rin und wollte gehen. Doch die Youkai hielt sie am Arm fest. „Ich weiß, dass du ihn ändern kannst. Er wird auf dich hören. Es wird zwar seine Zeit brauchen, aber du könntest es sein, wenn du die Geduld aufbringen kannst.“ Die alte Frau zog Rin näher zu sich und sprach zu ihr in einem flüsternden Ton, den Rin nur beim genaueren Hinhören verstand. „Mein Kind, höre mir gut zu, was ich dir jetzt zu sagen habe. Dieses Schlossgelände ist sehr groß und ich kenne das Geheimnis dieser Gärten. Nur Wenige wissen Genaueres davon. Es gibt diese drei Gärten, die du hier siehst. Den Rosengarten, den See mit der Blumenwiese und den Garten, der am meisten Früchte bringt. Jeder Einzelne hat seine eigene Geschichte zu erzählen. Man sagt vieles, aber nur eines kann stimmen. Und ich weiß welche Geschichte die Richtige ist.“ Rin fühlte sich sichtlich unwohl, doch die Youkai ignorierte dies und erzählte weiter. „Siehst du die große Eiche dort neben dem See? Ein Paar, welches sich zu Vollmond unter der Eiche küsst, soll auf ewig glücklich werden. Ein Paar, welches zu Vollmond die Zweisamkeit bei den blühenden Rosen sucht, wird bis ans Lebensende glücklich werden. Ein Paar, welches zu Vollmond die süßesten Früchte des Baumes speist, wird sich niemals trennen. Ich weiß es genau, denn alle Vorfahren dieser Familie haben die Richtigkeit dieser Legenden auf diese Art bewiesen. Jetzt liegt es an Sesshoumaru, diese Tradition fortzuführen. Und du könntest ihn auf den richtigen Weg bringen. Es gibt noch einen vierten Garten, den allerdings niemand betreten darf. Nur engsten Familienangehörigen ist es gestattet dort Einblick zu erhalten. Es gibt ebenfalls Geschichten über ihn, allerdings sind es nur Vermutungen. Aber ich bin mir sicher, dass du hinter dieses Geheimnis kommen würdest. Merke dir das alles sehr gut. Es wird dir noch von Nutzen sein.“ Rin hatte genug gehört. Sie riss sich von der alten Frau los. „Wieso erzählt Ihr mir das? Das interessiert mich nicht. Ich will davon nichts mehr wissen!“, fuhr sie die grauhaarige Youkai in einem verärgertem Ton an. Nicht weiter auf die alte Frau achtend, ging Rin an ihr vorbei, die ihr noch nachsah und dabei lächelte. >Was sollte das denn werden? Ein Verkupplungsversuch? Was bildet die sich eigentlich ein? Ich soll mir alles gut merken... Lächerlich!< Rin verließ mit großen Schritten den Garten. Doch dann wurden ihre Schritte wieder kleiner und ihr Gang verlangsamte sich. >Was rede ich denn da? Genau das ist es doch, was ich eigentlich will. Deswegen bin ich doch hier. Ich habe diesen ganzen weiten Weg auf mich genommen, nur um aus diesem Grund herzukommen. Wieso wollte ich es denn eben nicht wahrhaben? Weil sie meine Gefühle durchschaut hat?< Rins Blick fiel zu Boden. „Ich habe ihn immer noch nicht gefragt.“, murmelte sie still vor sich hin. „Ich werde wohl nie eine passende Gelegenheit dazu finden.“ Ein paar Wolken zogen auf und verdeckten für kurze Zeit die Sonne. Rin schaute nach oben und musste kurz daran denken, wie es wohl Yazuma, Kokomi, Shiomi und all den anderen aus dem Dorf erginge. Seit sie das kleine Dorf verlassen hatte, hatte sie nur selten Zeit, über ihre alten Freunde nachzudenken, da sie hier mit ganz anderen Sachen beschäftigt war. Einige Wachen, die ihren Streifzug über den Hof machten, kreuzten Rins Weg und sie entschloss sich, ihnen etwas zu folgen. Die Wachmänner, zwei Youkai und ein Mensch, bemerkten die junge Frau schnell und warfen ihr des öfteren Blicke zu. Doch Rin störte dies nicht weiter. Seit sie hier war, war sie es mehr oder weniger gewohnt gewesen, angestarrt zu werden. Schließlich brach sie ihren Weg ab und ging wieder zurück ins Schloss. Sie bemerkte, dass es in der Eingangshalle genau so leer war, wie auch einige Stunden zuvor. Auch Sesshoumaru war nirgends zu sehen. >Wo er jetzt wohl sein mochte?< Das hätte sie brennend interessiert. Aber es gab hier wohl niemanden, der ihr dies mitteilen konnte. Wenn Sesshoumaru ungestört sein wollte, dann war er auch ungestört. Er war nun einmal der Herr dieses Schlosses und dieser Ländereien. Er konnte tun und lassen was auch immer er wollte. Aber in diesem Augenblick war er nicht anwesend und Rin überlegte, ob sie diese Gelegenheit vielleicht nutzen sollte. Wieder fiel ihr Blick auf die große Treppe, dann immer höher bis hin zur obersten Etage. Vorhin wurde sie davon abgehalten, das zu tun, was sie vorhatte. Nun aber war niemand in der Nähe, der sie stören und somit verhindern konnte, ihr Vorhaben zu unterlassen. Rin schaute sich noch einmal nach allen Seiten um und ging dann mit etwas schnelleren Schritten nach oben. Dabei achtete sie genau darauf, dass sie niemandem begegnete. Nur wenige Minuten später stand sie vor den Stufen, die sie von Sesshoumarus privatem Reich trennten. Sie war sich bewusst, dass sie gerade dabei war etwas sehr dummes zu tun, dass eventuell auch Konsequenzen haben könnte. Aber in diesem Moment war es ihr egal. Ihre derzeitige Lage hätte sich sowieso nicht mehr großartig verschlimmern können. Letztendlich ging sie Schritt für Schritt die letzten Stufen hinauf. Der Unterschied zu den unteren Bereichen wurde sehr schnell klar und es war überwältigend. Die Schwarzhaarige wusste, dass sie nicht hier sein sollte und auch nicht hier sein durfte, aber sie konnte sich einfach nicht gegen ihre Neugierde wehren. Und da sie sich immer noch etwas über die Worte der alten Youkai ärgerte, kam ihr in diesem Moment ihre Neugierde ganz gelegen. Sie wagte es und brachte den Mut auf, um sich etwas genauer umzusehen. Der schöne Marmorboden war so auf Hochglanz poliert, dass er das Sonnenlicht, welches von draußen hinein schien, reflektierte. Ein angenehmer Duft lag in der Luft, der Rin sehr gefiel. Ohne großartig zu zögern, ging sie die linke Seite des Korridors entlang, der mit wunderschönen Portraits und, wie es aussah, mit handgestickten Wandteppichen behangen war. Die Sachen mussten schon sehr alt sein. Die Türen, die sich in dem Korridor befanden, waren alle geschlossen. Rin ging ganz spontan zu der Tür, die ihr als Erste ins Auge fiel. Langsam und vorsichtig schob sie sie auf. Sie hoffte nur, dass Sesshoumaru nicht in einem dieser Räume saß. Normalerweise suchte sie seine Nähe, aber in diesem Moment war es ihr lieber nicht auf ihn zu stoßen. Sie wollte sich gar nicht ausmalen, wie er reagieren würde, wenn er wüsste, dass sie sich hier oben herumtrieb. Zum Glück war niemand in diesem Raum. Aber wenn sie genauer darüber nachdachte, fiel ihr auf die Schnelle keiner ein, der hier sein würde. Jaken war immer noch unten mit einem Teil der Wachen beschäftigt, Aoi hatte nicht die Erlaubnis hier zu sein und außerdem hatte Rin zu den anderen nicht so einen guten Kontakt. Nur ausgewählte Personen durften hier sein. Doch wer zu diesen ausgewählten Personen gehörte, wusste Rin nicht. Vielleicht war es nur eine einzige Person. Vielleicht aber auch Zwei oder Drei. Und fraglich war auch, ob es Menschen waren, oder doch eher Dämonen? Sie wusste es nicht und ihr war es zu diesem Zeitpunkt auch egal, solang niemand hier oben war. Der Raum, den sie betreten hatte, beinhaltete einen kleineren Tisch, einen Stuhl, der verkehrt herum auf dem Tisch abgestellt wurde, einige alte Bücher, die das letzte Mal vor einigen Jahren durchgeblättert wurden und einen alten, verrotteten Schrank, der seinen Dienst schon vor Jahrzehnten aufgegeben hatte. Sonst lang nur noch wertloses Gerümpel herum. Es war wohl eine Art Abstellkammer, in der Rin da gelandet war. Sie schloss die Tür genau so leise, wie sie sie geöffnet hatte, um nicht auf sich aufmerksam zu machen. Die nächsten paar Türen waren verschlossen und es gab keine Möglichkeit hinein zu kommen. Rin machte kehrt, um ihr Glück auf der anderen Seite des Korridors zu versuchen. Ihre Neugierde war einfach zu groß, um wieder nach unten zurück zu gehen. Sie ging zum anderen Ende des langen Flures. Genau wie auf der gegenüberliegenden Seite hingen hier verschiedene Gemälde, Wandteppiche und Kronenleuchter an den Wänden. Die letzte Tür am Ende des Flures zog sie magisch an. Wie auch zuvor schob sie die Tür zur Seite und trat langsam in das Zimmer ein. Helles Licht kam ihr entgegen und auch der angenehme Duft, der ihr vorhin aufgefallen war, schien von diesem Zimmer auszugehen. Das ganze Zimmer war in warmen Pastellfarben getaucht worden. Seidene Vorhänge, die sich leicht bewegten, verschaffen dem Zimmer etwas Lebendiges. Hinter den Vorhängen war eine Tür geöffnet worden, die zu einer Terrasse direkt vor dem Zimmer führte. Die edlen Verziehrungen am Türrahmen wahren sehr eindrucksvoll und machten durch ihre Auffälligkeit schnell auf sich aufmerksam. Genau die selben Verziehrungen, die in das Holz der Rahmen geschnitzt wurden, waren auch an einem Schrank zu finden, der an der linken Seite stand, und an dem großen Himmelbett, welches rechts von Rin an der Wand stand. Das Bett war mit vielen großen und auch kleineren Kissen ausgestattet und es war genau gegenüber der Terrasse aufgestellt worden, so dass man bei klarer Nacht einen guten Blick auf den Mond und die Sterne hatte, sollten diese günstig stehen. Rin hatte mit dieser Wahl einen wahren Volltreffer gelandet. >Sein Schlafgemach?< Sie schien darüber sehr erstaunt zu sein. >Das ist sehr...<, sie suchte nach den richtigen Worten. >... überraschend.<, beendete sie schließlich ihren Gedanken. >Das habe ich nicht erwartet. Es ist... einfach nur wundervoll hier. Es passt zu ihm, aber irgendwie auch wieder nicht.< Am liebsten hätte sie sich jetzt auf das riesige Bett geschmissen. Es war so verlockend, es rief nach ihr. Aber Sesshoumaru würde es merken, dass sich hier jemand aufgehalten hatte. Deswegen wollte Rin nicht so lange in diesem Zimmer verweilen, obwohl sie gerne noch geblieben wäre. Aber dieses Risiko war ihr zu groß. Vielleicht bot sich ja irgendwann noch einmal die Chance für sie, sich etwas genauer dort umzusehen. Mit einem schweren Seufzen schloss sie die Tür des Zimmers, aber der Duft, der von diesem Gemach ausging, war noch im ganzen Flur zu riechen. Rins nächste, und vorerst auch letzte Wahl, fiel auf eine Tür, schräg gegenüber Sesshoumarus Schlafgemach, die einen Spalt geöffnet war. Zuerst hatte sie ein eher ungutes Gefühl diesen Raum zu betreten und wollte für einen Augenblick wieder hinunter gehen, da sie befürchtete, jemanden dort drinnen anzutreffen. Doch mal wieder siegte ihre Neugierde, wie schon so oft. Bevor sie die Tür weiter öffnete, vergewisserte sie sich, dass dieses Zimmer leer war, in dem sie durch den Spalt guckte. Sehr viel sah sie nicht, aber sie war sich sicher, dass keine Person in dem Raum war. Sie wagte es und schob auch diese Tür ganz beiseite, schloss sie aber wieder bis auf den kleinen Spalt, nachdem sie eingetreten war. „Ein... Arbeitszimmer?“, nuschelte sie vor sich hin. Es war ganz eindeutig ein Arbeitszimmer. Das erkannt man sofort. Zwei gewaltige Schränke nahmen fast die Hälfte des Zimmers ein, in denen haufenweise dicke gebundene Bücher ordentlich eingeordnet waren, die schon sehr alt sein mussten. Ein großer und ziemlich breiter Tisch stand mittig im Raum, auf dem viele verschiedene Dokumente und einige Schreibfedern herumlagen. Die Dokumente schienen wichtig zu sein, denn sie waren separat von den anderen Unterlagen geordnet. Unmengen von anderem Pergament lag ebenfalls ausgebreitet und zum Teil auch aufgestapelt auf dem Tisch. Einige einzelne Pergamente lagen auf dem Boden herum. Der Wind musste sie wohl vom Tisch geweht haben. Ein Kronenleuchter hang von der Decke und die Kerzen darin flackerten leicht. Hinter dem Tisch an der Wand, hang ein sehr großes Gemälde. Rin trat etwas näher an dieses heran, um das Bild besser betrachten zu können. Eine Frau war auf dem Gemälde zu erkennen. Sie war eindeutig eine Youkai und sehr hübsch. Was Rin bemerkte, war, dass sie sehr viel Ähnlichkeit mit Sesshoumaru hatte und ihr kam der Verdacht, dass es sich bei dieser Frau möglicherweise um seine Mutter handelte. Sie hatte die selben Dämonenstreifen an den Wangen und Armen, genau die selbe Mondsichel auf der Stirn, auch ihre Augen ähnelten die von Sesshoumaru sehr. Neben der Frau auf dem Gemälde, war InuTaisho, Sesshoumarus Vater. Rin kannte ihn zwar nicht persönlich, aber sie hatte ihn dennoch vor einigen Jahren einmal gesehen. Daher kannte sie sein Gesicht. Zwischen den Beiden war auf dem Gemälde noch ein Kind zu sehen. Ein kleiner Junge, mit Dämonenstreifen an den Wangen, einer Mondsichel an der Stirn, goldglänzenden Augen und weiß-silbrigen Haaren. Nach dem Blick des Kleinen zu urteilen, musste es Sesshoumaru gewesen sein. Das hier war eindeutig ein Familienportrait. Seine Eltern und Sesshoumaru als kleiner Youkai. >Das ist endlich mal was Interessantes. Den kühlen Blick hatte er schon als Kind gut drauf.<, dachte sich Rin und betrachtete weiter hin das Bild. Sie war erstaunt, etwas derartiges hier zu finden. Aber ihr gefiel dieses Gemälde. Sie konnte sich kaum vorstellen, wie alt dieses Gemälde schon sein musste. Da sie es wie gebannt betrachtete, vergaß sie die Zeit und auch, dass sie hier eigentlich nicht sein sollte. Rin wurde förmlich davon angezogen und sie war nicht in der Lage, sich aus diesem Bann zu befreien. ~Unterdessen bei Sesshoumaru...~ Er saß noch immer in der Quelle und entspannte sich so gut es ging. Er hatte zwar seine Gedanken zum größten Teil verdrängt, aber ganz aus seinem Kopf bekam er sie nicht, ganz gleich, was er auch tat. Aber es dauerte nicht lange und es war vorbei mit seiner Entspanntheit. Wie aus dem Nichts überkam ihn plötzlich ein ungutes Gefühl, welches er noch nicht ganz einordnen konnte. Irgendetwas stimmte nicht. Er setzte sich auf und versuchte etwas zu wittern, irgendeinen fremden Geruch ausfindig zu machen, der hier nicht hingehörte. Doch er konnte nichts Ungewöhnliches in der Nähe ausmachen. Es war kein anderer Youkai, kein Feind, der ihm gefährlich werden konnte. Es musste etwas anderes sein. Sein Instinkt sagte ihm, er solle zum Schloss zurückkehren und genau das tat er auch. Bis jetzt konnte er sich immer blind auf seinen Scharfsinn verlassen. Sesshoumaru stieg aus der Quelle und bekleidete sich schnell wieder mit seinem Suikan, ohne sich großartig abzutrocknen. Wasser tropfte von seinen Haaren, als er ohne große Rücksicht die Äste der Weiden beiseite schlug, um den versteckten Garten zu verlassen. Seine Schritte wurden immer schneller und als er den vorderen Schlosshof betrat, wusste er, was hier nicht stimmte. Sesshoumaru setzte sich in Bewegung. >Wer wagt es...<, waren derzeitig seine einzigen Gedanken. Einige Wachen sahen sich verwundert um, als ihr Herr an ihnen vorbei rannte. Jaken, der nun auf Sesshoumaru zugelaufen kam, sprang noch gerade rechtzeitig aus dem Weg, um nicht von seinem Herren überrannt zu werden. „Sesshoumaru-sama...?“, fing der kleine Kerl an und schaute verblüfft dem hochgewachsenen Youkai nach. Sesshoumaru interessierte es nicht, was Jaken von ihm wollte. Im Moment wollte er nur denjenigen finden, der ohne Erlaubnis in seinen Gemächern herumstreute. Fast im selben Augenblick, als er durch das Eingangstor schritt, sagte ihm seine Nase, dass es Rin sein musste, die dort oben war. Es war ihr Geruch, der ihm in die Nase stieg und auf diese konnte er sich immer verlassen. Einige der Bediensteten im Schloss hatten die stürmische Ankunft ihres Herren bemerkt und blickten sich nun fragend und neugierig untereinander an. Sesshoumaru riss sich zusammen und ging mit normalen Schritten die Treppe hinauf, um nicht noch mehr Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, als er es ohnehin schon tat. Oben angekommen blieb er vorerst stehen. Er wusste, in welchen Räumen sie war und wo sie sich im Moment aufhielt, aber er wusste nicht, wie er sich jetzt ihr gegenüber verhalten sollte. Sollte er sie zur Rede stellen? Sie anschreien? Oder sie doch einfach machen lassen? Er war unschlüssig. Leise atmete er tief ein und ging dann mit leichten und stolzen Schritten zu seinem Arbeitszimmer, in dem Rin war. Er blickte durch den Spalt, der immer noch vorhanden war und sah Rin, wie sie einfach nur da stand und sich anscheinend etwas ansah. Sie hatte ihn nicht bemerkt. In Sesshoumaru stieg nun langsam eine Wut auf, die er nicht länger zurückhalten konnte. Mit einem Ruck schob er die Tür beiseite, so dass es einen lauten Knall gab, als die Tür an den Rahmen schlug. Rin fuhr erschrocken zusammen und wurde leichenblass im Gesicht, als sie erkannte, dass Sesshoumaru wütend vor ihr stand. Sie öffnete leicht den Mund, um etwas sagen zu können, aber es geschah alles so schnell, dass sie kein Wort heraus bekam. Stattdessen ergriff Sesshoumaru das erste Wort. „Was machst du hier?“, fragte er sie mit einer tiefen und ruhigen Stimme in einem noch angemessenen Tonfall. Als Rin sich, auf seine Frage hin, nicht rührte und auch keine Anstalten machte ihm zu antworten, konnte er seine unterdrückte Wut nicht mehr unter Kontrolle halten. „Was zum Teufel hast du hier verloren?“, brüllte er sie an, so dass Rin erneut zusammenfuhr. Sesshoumaru schob die Tür zu, damit niemand, der in der Nähe war, etwas von dem hier mitbekam. Aber für die Anderen war es schwer, das alles zu überhören. „Ich habe dich gefragt, was du hier zu suchen hast? Antworte gefälligst!“, brüllte er sie weiterhin an und schlug dabei mit der Faust gegen einen der Schränke, der in seiner Nähe stand. Ein paar Bücher fielen auf den Boden. Rin war momentan unfähig zu reden und auch unfähig sich zu bewegen. Wie angewurzelt stand sie da und starrte dem Youkai ins Gesicht, dem man seine Wut ansah. Er ging einen Schritt auf Rin zu und blickte sie voller Zorn an. „Wer oder was gibt dir das Recht deine Nase in Dinge zu stecken, die dich nichts angehen?“ Er brüllte sie nicht mehr an, aber seine Stimme klang immer noch tief und bedrohlich. „Dir wurde mitgeteilt, dass ich hier oben niemanden zu sehen wünsche und dennoch bist du hergekommen!“ Rin wich nun einen Schritt zurück, um den Abstand zu Sesshoumaru wieder zu vergrößern. Er holte mit einer Hand aus und schlug einen Stapel Pergament von dem Tisch. „Denkst du, du kannst hier einfach aufkreuzen und dann tun und lassen was immer du willst?“, fing er wieder an sie anzuschreien. Rin konnte man immer noch den Schrecken ansehen. Noch immer war sie unfähig ein Wort zu sagen. Sie wich aber noch einen weiteren Schritt zurück. Tränen stiegen ihr in die Augen und sorgten dafür, dass sie nicht mehr klar sehen konnte. Ihr Herz raste. Es schlug so stark gegen ihre Rippen, dass es schmerzte. Sie hatte Angst. Sie hatte tatsächlich Angst vor ihm. Jedenfalls in diesem Moment. So war er bisher noch nie mit ihr umgegangen. So kannte sie ihn nicht. Weiter konnte Rin nicht zurückweichen. Sie stand schon mit dem Rücken zur Wand. Sesshoumaru ging noch einen weiterer bedrohlichen Schritt auf sie zu und stieß mit den Händen den Tisch beiseite, so dass die Dokumente, Pergamentrollen und Federn herunter fielen und der Tisch an die Wand schlug. „Glaube ja nicht, dass du hier alles machen kannst! Niemand hat dich hier her eingeladen! Und du brauchst gar nicht erst zu denken, dass dein Aufenthalt hier noch von langer Dauer sein wird!“ Sesshoumaru ging nun auf Rin zu und blieb nur wenige Zentimeter vor ihr stehen. Ihr Herz pochte immer noch wie wild. Sesshoumaru konnte es hören. Die Tränen, die sie gerade noch in den Augen hatte, liefen ihr jetzt über die Wangen und tropften am Kinn hinunter. Der InuYoukai schaute Rin von oben herab mit einem finsteren Blick an. „Und jetzt verschwinde hier!“, schrie er sie ein letztes Mal an. Rin hielt sich die Hand vor den Mund, als sie Sesshoumarus letzte Worte hörte, und rannte, ohne ihn dabei noch einmal anzusehen, an ihm vorbei. Sie schob hastig die Tür auf und lief Richtung Treppe. Ihre Sicht war verschwommen, weil ihr immer mehr Tränen in die Augen stiegen. Sesshoumaru, der noch immer in dem verwüsteten Zimmer war, ballte erneut die Fäuste und starrte aus dem Fenster hinaus, bevor er seine übrige Wut an den Büchern ausließ, die es bis jetzt noch geschafft hatten, in den Schränken zu bleiben. Rin rannte die Treppe hinunter, lief die Eingangshalle entlang, öffnete die Tür der Halle und eilte schließlich über den Hof Richtung Tor, um dann anschließend den Weg in den Wald zu suchen. >War es denn so schlimm, dass ich dort war? Konnte er denn nicht normal mit mir reden? Ich habe doch nichts böses gewollt.< Sie wischte sich einige der Tränen aus dem Gesicht. Ihr war es im Moment egal, wohin sie ging. Hauptsache weg von diesem Schloss, weg von Sesshoumaru. Ihm war es eh egal, was mit ihr geschah. Noch letzte Woche hätte sie alles dafür gegeben, um hier zu sein. Aber nun war das Gegenteil eingetroffen. Sie wollte weg von ihm. Er hatte sie damit sehr verletzt. Seine letzten Worte hörte sie immer wieder und sie wollten ihren Kopf einfach nicht verlassen. Sesshoumaru hingegen war noch immer in dem Zimmer. Er war dabei sich zu beruhigen. Was brachte ihn dazu so die Kontrolle zu verlieren? Er war ihr gegenüber noch nie so aus der Haut gefahren. Seine Selbstbeherrschung ließ nach. Er hatte es übertrieben, dass wusste er. Sie hatte ja auch eigentlich nichts getan. Er schaute zur Wand, an der das Gemälde hing. Sein Vater hätte nie in der Gegenwart einer Frau so gehandelt. Sesshoumaru schüttelte den Kopf. Das ganze Theater verschaffte ihm Kopfschmerzen. Er rief nach einem der Diener, der gerade an dem Zimmer vorbei ging und verdonnerte ihn dazu, dass soeben verwüstetet Zimmer wieder so herzurichten, wie es ursprünglich aussah. Der arme Kerl schluckte einmal. Er hatte eine Menge Arbeit vor sich. Es wurde dunkel draußen. Die Nacht brach an. Der Youkai ging seit einer Stunde im Schloss hin und her, hatte sich aber in dieser Zeit wieder völlig beruhigt. Sesshoumaru war klar, dass er bei Rin zu weit gegangen war. Sie hatte zwar gegen eine seiner Regeln verstoßen, aber doch kein Schwerverbrechen begangen. In seinem Kopf schwirrte ein Gedanke herum, den er noch nie zuvor bei jemandem in Erwägung gezogen hatte. Er wollte sich bei Rin entschuldigen. Nach einigen Überlegungen entschloss er sich doch, sie zu suchen. Er konnte es nicht fassen, dass er das wirklich vorhatte. Er, Sesshoumaru, wollte sich bei einem Menschen entschuldigen. Wenn das rauskommen sollte, wäre sein Ruf ruiniert. Er machte sich auf den Weg durch das Schloss, um Rin ausfindig zu machen. Etwas kam ihm aber komisch vor. Er witterte sie nicht. Ihr Geruch war da, aber nur der von vorhin. Sesshoumaru war sich sicher, dass sie nicht hier war. Jedenfalls nicht im Schloss. Vielleicht war sie draußen. In den Gärten? Dort war sie sehr oft. Er hatte immer ein Auge auf sie geworfen. Sesshoumaru verließ das Schloss und schlug den Weg zu den Gärten ein. Es war schon sehr dunkel geworden und da der Mond nicht mehr voll war, war es schwieriger draußen etwas zu sehen. Zwei Wachen kamen dem Youkai kurz vor dem Rosengarten entgegen und verneigten sich tief vor ihm. Doch Sesshoumaru nahm keine Kenntnis von ihnen und ging an ihnen vorbei, ohne auf die beiden Männer zu achten. Alles war ruhig und friedlich. Man konnte von außen sehen, wie die Lichter im Schloss nach und nach erloschen. Sesshoumaru betrat den Garten und hielt Ausschau nach Rin. Sie war heute hier gewesen, dass spürte er. Und er spürte auch, dass sie sich im Moment nicht hier aufhielt. Nicht in diesem und auch nicht in einem der anderen Gärten. Sesshoumaru hob den Kopf etwas an und konzentrierte sich auf Rin, um sie ausfindig zu machen. Nach einigen Sekunden gelang ihm das auch. Sein Blick schnellte zum Tor. War sie etwa in den Wald gegangen? Jetzt, um diese Zeit? Er eilte zu den Wachen, die etwas gelangweilt an den Türmen standen, welche sich neben dem Tor befanden. Als sie ihren Herren sahen, nahmen sie Haltung an und verbeugten sich tief vor ihm. „Ist Rin hier gewesen?“, fragte er die beiden Wachen, die sich beide fragende Blicke zuwarfen. “Mein Lord, meint Ihr, die junge Frau, die vor einiger Zeit mit Euch hergekommen war? Ja, sie hat vor einer guten Stunde das Schlossgelände verlassen.“, antwortete ihm der eine Wachmann. Sesshoumaru, der sichtlich verärgert über die Antwort war, die ihm die Wache gegeben hatte, ging in einem Laufschritt an ihnen vorbei. „Ist etwas nicht in Ordnung, mein Lord?“, fragte ihn der andere Mann. „Schließt das Tor. Lasst niemanden rein oder raus. Ich werde bald wieder zurück sein.“, sprach der Youkai zu ihnen und entfernte sich dabei immer weiter von dem Tor und den Wachen, die davor standen. „Jawohl, Herr.“, riefen beide Männer gleichzeitig. Sesshoumaru, der in den Wald ging, hört noch, wie hinter ihm das gewaltige Eisentor verschlossen wurde. Im Wald war es stockfinster. Die dichten Bäume verdeckten noch das schwache Mondlicht, so dass man fast gar nichts sehen konnte. Sesshoumaru wusste, dass Rin hier draußen war. Er musste sie nur finden. Da er aber eine gute Nase hatte, würde das nicht lange dauern. Er wollte sich lieber etwas beeilen. Zwar brauchte er keine Bedenken zu haben, dass er hier und jetzt angegriffen wurde, aber Rin war schutzlos. Wenn ein anderer Youkai sie jetzt angreifen würde... Daran mochte er gar nicht denken. Ihr Duft führte ihn genau zu diesem Ort, wo er sie auch das erste Mal gefunden hatte. Sie war wieder zu der Lichtung gegangen. Sesshoumaru war überrascht, dass sie es überhaupt bei dieser Dunkelheit bis dorthin geschafft hatte. Er sah eine Gestalt neben einem Baum hocken, den Rücken zu ihm gewandt. Er hatte sie gefunden. „Wieso bist du in den Wald gegangen? Es ist gefährlich hier.“ Er sprach zu ihr in einem ruhigen Ton. Rin antwortete ihm nicht. Sesshoumaru roch etwas salziges. Tränen? Weinte sie? „Rin, wir gehen.“, sagte er zu ihr, aber Rin bewegte sich nicht, sondern blieb weiterhin neben dem Baum hocken. Er ging einige Schritte näher zu ihr. „Ich werde nicht mit dir gehen.“, bekam er plötzlich eine Antwort von ihr, mit der er nicht gerechnet hatte. „Wie?“ Sesshoumaru war etwas verblüfft über diese Aussage. Sie schien es erst zu meinen. Er merkte zwar, dass Rin weinte, aber ihre Stimme klang ernst und selbstbewusst. „Du hast mich richtig verstanden. Ich werde nicht wieder mit dir gehen.“ Sie stand auf, drehte sich langsam um und ging ein paar Meter auf ihn zu. Dabei wischte sie sich die restlichen Tränen aus dem Gesicht. „Du hast mir deutlich zu erkennen gegeben, dass du mich nicht hier haben willst. Das habe ich jetzt verstanden. Ich werde nicht weiter stören und wieder dorthin zurück gehen, wo ich herkam. Sei froh, du bist mich endlich los.“ Sesshoumaru war über Rins Worte überrascht, dass konnte man ihm ansehen. Sie schien es wirklich ernst zu meinen. „Lass uns nachher darüber reden. Komm jetzt, wir gehen. Es ist nicht ungefährlich des nachts hier herumzuirren.“ „Ich will darüber nicht reden. Für mich gibt es da nichts mehr zu bereden. Du hast alles gesagt.“ Ein frischer Wind kam auf und verschaffte Rin eine Gänsehaut. Ihr war kalt, sie war müde und hungrig. Sesshoumaru hatte sich wieder etwas fassen können. Das Rin so mit ihm sprach, war für ihn neu. Aber sie äußerte ihm gegenüber ihre offene und ehrliche Meinung. Er verstand sie auf eine Art. Aber jetzt musste er sie erst einmal dazu bringen, wieder mit ihm zurück zu kehren. Sicher, er konnte sie einfach packen und zurück tragen. Aber das würde keinen Sinn machen. Hier war seine Überredungskunst gefragt, die er nicht allzu oft anwendete, da er sowieso immer seinen Willen durchsetzte. „Rin, ich will nicht, dass du hier draußen alleine bist. Lass uns das morgen klären, oder von mir aus auch gleich. Aber komm jetzt mit mir mit, bitte...“ Bitte? Hatte er sie etwa darum gebeten? Rin stand nur ein paar Meter von ihm entfernt. Sie wollte gerne wieder mit ihm mitgehen, aber nachdem, was sie vorhin erlebt hatte, sagte etwas in ihr, sie solle es nicht tun. Ihr Blick sank zu Boden. „Warum?“, stellte sie ihm die Frage. „Warum? Sag es mir!“ Wieder hatte sie dieses Glitzern in den Augen. „Du wolltest mich von Anfang an nicht bei dir haben. Warum hast du es mir nicht einfach gesagt, anstatt es mir auf so eine Art zu zeigen?“ Sesshoumaru wollte dazu etwas sagen, nahm sich aber die Zeit und ließ sie ausreden. „Wieso willst du jetzt auf einmal, dass ich wieder zurück komme?“ Ihre Stimme wurde immer lauter. „Damit ich das Ganze noch einmal durchmachen muss? Hat es denn nicht gereicht? Hast du mir nicht schon oft genug wehgetan? Macht es dir spaß mich auf diese Art zu verletzten? Ich hatte gedacht, ich könnte endlich mal bei dir bleiben, aber unter diesen Umständen verzichte ich lieber darauf!“ Sie hielt inne. Den letzten Satz wollte sie gar nicht sagen. Er war ihr einfach rausgerutscht. Sesshoumaru stand da und hörte sich an, was sie zu sagen hatte. Er konnte es kaum fassen, dass sie es tatsächlich wagte, ihn zur Rede zu Stellen. Sie hatte sich in den Jahren wirklich sehr verändert. Sesshoumaru fühlte sich nicht sonderlich wohl. Hatte er etwa ein schlechtes Gewissen? Natürlich hatte sie recht mit dem, was sie sagte. Aber der Youkai musste gewaltig mit seinem Stolz kämpfen, um dies zuzugeben. „Ich... habe überreagiert. Das war falsch. Ich hatte nicht die Absicht, dir Angst einzujagen oder dich soweit zu bringen, dass du weg gehen willst. Ich habe mich in diesem Moment nicht unter Kontrolle gehabt.“ Die schwarzhaarige junge Frau, die ihm gegenüber stand, sah ihn an, als ob sie auf etwas wartete. „Es tut mir leid, Rin...“, fügte er schließlich in leisem Ton hinzu. Dieser Satz hatte ihn die meiste Überwindung gekostet. Rin wusste nicht recht, ob sie nun lachen oder weinen sollte. Er hatte sich tatsächlich bei ihr entschuldigt. Und das sogar noch recht glaubwürdig, so dass sie sofort mit ihm gegangen wäre. Andererseits hatte sie Angst, dass sich so etwas in der Art wiederholen könnte. Das wollte sie auf keinen Fall, denn das war für sie sehr schmerzhaft. „Komm, Rin. Lass uns zurück gehen.“, sagte er schließlich erneut zu ihr und hielt ihr eine Hand entgegen. Sie zögerte etwas, konnte sich noch nicht so richtig zwischen ja und nein entscheiden. Dennoch entschloss sie sich wenig später. Sie ging auf Sesshoumaru zu und griff dann zögernd nach seiner Hand, die er ihr immer noch entgegen streckte. Sie hoffte, dass es die richtige Entscheidung ihrerseits gewesen war. Sesshoumaru konnte immer noch nicht so richtig fassen, was er da eigentlich gerade getan hatte. So etwas war ihm bis jetzt noch nie passiert. Aber er war dennoch froh, Rin gefunden zu haben, wenigstens ein bisschen mit ihr über das Ereignis gesprochen zu haben, was für beide sehr unangenehm gewesen war und dass er sie jetzt wieder heil zum Schlossgelände zurück bringen konnte. Rin ging nahe neben Sesshoumaru her. Ihr war nicht wohl dabei, bei Dunkelheit im Wald herum zu laufen. Sie war doch ganz froh, dass Sesshoumaru gekommen war, um sie zu suchen. Was hätte sie denn getan, wenn er sie nicht gesucht hätte? Was wäre gewesen, wenn jemand anderes zuerst auf sie gestoßen wäre? Ein bösartiger Youkai, der sich freute, endlich seinen Mitternachtsimbiss gefunden zu haben? Darüber wollte sie gar nicht nachdenken. Sesshoumaru ging gemütlich den Weg zum Schloss zurück. Rin fühlte sich bei ihm sicher, denn es wäre bestimmt niemand so blöd gewesen, einen DaiYoukai anzugreifen. Schon bald sah sie die Fackeln der beiden Türme, die neben dem Tor standen. Sie hatte es geschafft. Endlich war sie raus aus dem Wald. Als die Wachmänner Sesshoumaru mit seiner Begleitung sahen, wurde hektisch das Tor aufgeschoben. „Willkommen zurück, mein Lord.“, sagten die Wachen und verbeugten sich wieder vor ihm. “Tor schließen!“, befahl Sesshoumaru und die Wachen gehorchten aufs Wort. Er schickte Rin schon etwas vor und diese ging langsam, wenn auch zuerst etwas zögernd, auf das Schloss zu. Sesshoumaru drehte sich zu den Wachen um. „Wenn ihr sie noch einmal hier raus lasst, dann macht euch auf was gefasst! Ohne meine Begleitung wird sie nicht durch dieses Tor gelassen! Ist das klar?“ „Natürlich, Sesshoumaru-sama. Wie Ihr wünscht.“ Sesshoumaru entfernte sich wieder von den Wachen und holte Rin schnell ein, die schon fast am Schloss angekommen war. „Es wäre besser, wenn du jetzt schlafen würdest.“, sagte der Youkai und hielt ihr die Tür zur Eingangshalle auf, damit sie eintreten konnte. Rin nickte nur und ging auf die Treppe zu. „Warte.“ Sie blieb stehen und sah sich nach Sesshoumaru um. Dieser ging zunächst auf sie zu, dann an ihr vorbei. „Folge mir.“ Rin tat, was Sesshoumaru von ihr verlangte und folgte ihm in die zweite Etage. Vor einer verschlossenen Tür blieb er stehen. „Du wirst ab jetzt hier nächtigen.“, sagte er nur zu ihr, schob die Tür zur Seite und trat einen Schritt zurück. Neugierig begutachtete Rin von außen das Zimmer. Sesshoumaru, der von Rins Reaktion annahm, dass es für sie in Ordnung ginge, entfernte sich nun. Das Zimmer sah wesentlich gemütlicher und bequemer aus. Es war zwar nur spärlich mit einem Bett, einem Schrank und einem Tisch ausgestattet, aber es reichte ihr alle Male. „Vielen Dank...“, flüsterte sie ihm mit einem leichten Lächeln nach. Sesshoumaru war schon nicht mehr zu sehen. Er war wohl wieder nach oben gegangen. Trotzdem hatte er noch ihre letzten Worte gehört. Rin war froh, dass dieser Tag vorbei war. Sie war erschöpft. So erschöpft, dass sie sogar ihren Hunger vergaß, den sie zuvor noch gehabt hatte. Sie trat in das Zimmer, schloss die Tür hinter sich und ging zielstrebig auf das Bett zu, das um einiges bequemer aussah, als den Haufen aus Decken, auf dem sie vorher schlafen musste. Sie legte sich mit ihren Sachen ins Bett. Um sich jetzt noch umzuziehen war sie zu erschöpft. Die Kerze, die auf dem Tisch stand, flackerte noch einige Male und ging dann ganz von selbst aus. Doch dies bekam Rin schon nicht mehr mit. Schon längst waren ihr die Augen zugefallen und sie genoss ihren wohlverdienten Schlaf. Hosted by Animexx e.V. 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