Strömung zum Prallhang von Lucien_Leclerc ================================================================================ Tag 3 ----- Das gelbe Morgenlicht fiel in goldenen Streifen auf den geblümten alten Teppich vor seinem Bett, das Klavier auf der anderen Zimmerseite, schien während der Nacht noch etwas staubiger als zuvor geworden zu sein und die orangenen Gardinen wurden durch eine leichte Windbrise aufgeweht. Onkel Louis war wohl schon in seinem Zimmer gewesen um das Fenster zu öffnen. Marek lachte leise. Das war seinem Onkel auch nicht zu verdenken bei dem Mief der immer im Zimmer hing. Marek sog die frische Luft tief durch die Nase ein. Nach dem Lichteinfall zu urteilen musste es schon gegen Mittag sein. Hatte man ihn etwa ausschlafen lassen? Er wollte gerade die Bettdecke zurück schlagen, als er feststellen musste, dass er keine mehr besaß. Folglich griff er ins Lehre. Zu faul um sich aufzurichten tastete er an sich hinab um sie vielleicht noch irgendwo weiter unten zu fassen zu kriegen. Aber da war sie auch nicht. Er drehte sich zur Seite, um neben dem Bett nachzusehen. Vielleicht hatte er sie mal wieder herunter geschmissen? Unwillkürlich musste er aber auch diesmal wieder feststellen, dass da auch keine Decke war. Ohne weiteres geriet ihm ins Gedächtnis, dass seine Decke - es war ja eh nur ein weißes Bettlaken - letztes Jahr um die gleiche Zeit in Fetzten gerissen wurde, um sie dann als Putzlappen zu missbrauchen. Das Auto hat gestreikt: Hieß die Begründung mit der sich Marek wohl oder übel abfinden musste. Nur damals - wie auch heute - schien netterweise keiner daran gedacht zu haben -umsichtig wie sie doch alle waren - ihm eine Neue zu geben. Es gab nicht wenige solcher Momente, in denen er das Gefühl hatte seiner Mutter vollkommen egal zu sein. Und genau jetzt war es wieder so weit. Im Grunde konnte er jeden Tag mit erleben wie sie versuchte alles und jedem eine perfekte Familie vorzuspielen. Doch die Mutterliebe, die sie ihm entgegenbrachte war getürkt, schlicht und einfach unecht und erfüllte Marek mit Wut und Trauer zugleich. Und das bewies sie jeden Tag mit der gleichen skrupellosen Rücksichtslosigkeit. Stumm lag er auf seinem Bett und schaute zur Decke auf. Er hatte schon vor langer Zeit aufgehört sich die Frage zu stellen was genau er falsch gemacht haben könnte. Eine Antwort darauf fand er nie und so nahm er diesen Zustand einfach als unveränderlich hin. Aber dennoch verletzte es ihn jedes Mal, wenn sie mit den Türen schmiss, ganz unversehens vergaß ihm das Schulbrot zu schmieren, wenn er etwas zu sagen hatte nicht zu hörte, sich nicht nach seinem Wohlergehen erkundigte oder simple Dinge, wie das Guten Morgen sagen nicht zustande brachte. Marek schluckte den aufkommenden Klos im Hals mit viel Mühe hinunter. Seine Hände hatten sich ins Bettlaken gekrallt. Plötzlich vernahm er durch das Fenster eine wütende fast brüllende Männerstimme. Marek stand auf und ging zum Fenster um nachzusehen. Direkt unter ihm auf der Wiese mit gespannten Wäscheleinen hingen die weißen Lacken zum trocknen und das, was er heute morgen vermisst hatte hielt sein Onkel in den Händen. Er schien sich mit seiner Mutter zu streiten, die abwehrend die Arme vor sich verschränkt hatte und im Ausfallschritt vor Louis stand. Deutlich konnte er verstehen was sie redeten. „Ich bin nicht blind Sylvie! Du und Laurent, ihr habt mir damals etwas versprochen und es ist traurig erst jetzt zu sehen, dass zumindest du deine Versprechen nicht einhältst.“ Seine Mutter zeigte Einsicht und löste ihre Haltung. Sie klang piepsig und unsicher aber dennoch mit standhafter Sturheit als sie leise entgegnete: „Ich kann ihn nicht lieben ... und das weißt du auch.“ Mark erschrak und wich automatisch einen Schritt vom Fenster zurück. Das war doch genau des gleiche Thema was ihn gerade beschäftigt hatte! „Ach so? Weiß ich das, oui?!“, schimpfte Louis auf sie ein. „Wiso hast du es dann nicht gesagt, als ich euch damals den Kleinen vertraulich in die Arme gedrückt habe!?“ Daraufhin schwieg Sylvie und suchte auf dem Boden nach einer Antwort. „Las es Sylvie.“, er drückte ihr fordernd die Decke in die Arme, „Nimm und decke Marek wieder zu!“ Sie zögerte, nahm sie dann aber bereitwillig entgegen und wendete sich wortlos 10. von Louis ab, um Marek's Decke wieder zurück zu bringen. „Ich hoffe für dich, dass er noch schläft!“, rief er ihr hinzufügend hinterher, als sie um die Hausecke verschwand. Im nächsten Moment vertiefte er sich ins Selbstgespräch und lehnte aus schierer Verzweiflung mit der Stirn gegen die steinerne Hauswand. Murmelte mit zitternder Stimme ein und den selben Satz immer und immer wieder vor sich her. „Was hast du nur getan. Was hast du nur getan.“, steigerte sich weiter hinein, „Was hast du nur getan!?“, bis man deutlich hörte, dass der sonst so lebensfrohe Mann den Tränen nahe war. Marek hatte sich den Ganzen Rest des Gespräches nicht von der Stelle gerührt. Er war förmlich zu Eis gefroren. „Der Kleine ....“, dachte er laut. Ihn ließ die Vermutung nicht los, dass es in der Auseinandersetzung vor dem Haus um ihn, um ganz genau ihn ging und um niemanden anderes. Ihm schoss so Vieles auf einmal durch den Kopf, doch auch schlagartig seine Mutter, die nun auf dem Weg zu ihm war. Er löste sich aus seiner Starre und rannte hibbelig durchs Zimmer. Wo sollte er sich verstecken? So tun als ob er schlafen würde war in seiner innerlichen Aufregung genau das Falsche, irgendwas an ihm würde sicher anfangen sich im falschen Moment zu bewegen. Nein, still da liegen war jetzt unmöglich. So zog er den Bettkasten auf . „Zu klein!“, stellte er fest, ging ein paar Schritte zurück und schaute auf den Teppich unter sich. „Sag mal, bist du jetzt ganz beschugge!?“, verwarf er den Gedanken sich unter dem Teppich zu verkrümeln. Zur Besinnung rufend schüttelte er den Kopf. Sein Blick huschte eilig durchs Zimmer. Weitere Möglichkeiten sich zu verstecken gab es nicht. Dumpf hörte man unten die Haustür plauzen. Das war seine Mutter! Wenn er sich hier nicht verstecken konnte dann in einem anderen Zimmer. Er stürmte durch den Raum zur Tür, riss diese auf, schloss sie dann leise hinter sich. Im Flur war er mit einem Satz vor der gegenüberliegenden Badezimmertür, die er abermals aufriss und wieder leise hinter sich zuzog und abschloss. Er eilte zur Dusche und ließ das Wasser zur Wirklichkeitsverzerrung in die Badewanne laufen. Das letzte was er jetzt wollte war mit seiner Mutter über den Vorfall zu reden. Marek hatte Angst vor der Wahrheit die unumgänglich schien. Irgendwann würde er sicher mit ihr konfrontiert werden, aber jetzt nicht! Nun musste er erst einmal seine Gedanken und Eindrücke ordnen. Mit angewinkelten Beinen kauerte er vor der Badewanne und beobachtete das Geschehen im Flur vor sich, durch den kleinen Spalt unter der Tür. Abgeschwächt hörte er die heraufkommenden Schritte seiner Mutter auf der Flurtreppe , die an Lautstärke gewannen je näher sie dem Badezimmer und Marek kam. Sein Herz schlug schneller als ein Teil der pinken Absatzschuhe erschienen. Sie blieb stehen. Weiterhin fröhlich prasselte das Wasser vom Duschkopf an der Wand in die Wanne hinter ihm. „Marek?“,die eindringliche Stimme seiner Mutter ließ sein Herz einmalig und hart bis zum Hals hinauf schlagen. Des Stimmenbruches wegen krächzte er unkontrolliert: „ .... Ja?“, „Wie lange bist du schon wach?“ „Gerade eben erst aufgestanden.“, antwortete er lakonisch ohne zu zögern. Einen Moment lang herrschte Stille. „Hast du ... meine Decke?“,führte er neutral weiter aus obwohl er wusste, dass es so war. Der Small talk durch die Tür verebbte wieder, sicherlich atmete seine Mutter jetzt befreit auf. Dann antwortete sie:„Ja. Ich lege sie dir zurück.“ „Ist gut.“ Die Täuschung schien gelungen. Sie Tippelte mit kleinen zierlichen Schritten in Mareks Zimmer und wenig später am Bad vorbei, die Treppe hinunter. In keinem Fall wurden seine Vermutungen bestätigt, denn er fand seine Decke ordentlich auf seinem Bett vor und selbst das Kopfkissen war aufgeschüttelt. Die Moralpredigt seines Onkels hatte also gesessen und somit seine positive Wirkung nicht verfehlt. Aber war er nun sein Onkel und sein vermeintlicher Vater nicht der, für den er ihn von klein auf an gehalten hatte? Wurde ihm sein ganzes Leben lag etwas vorgespielt? Ein Maskenball der es in sich hatte. Und vor allem was bedeutete der Satz: „....als ich euch damals den Kleinen vertraulich in die Arme gedrückt habe.“, den sein Onkel seiner Mutter förmlich entgegen gebrüllt hatte. Er musste sich auf sein Bett setzten, um besser seine verworrenen Gedanken erfassen zu können und letztendlich die vielen Fragen zu beantworten, die in seinem Kopf seit diesem Morgen herumschwirrten. Er vergrub sein Gesicht dann aber doch im Kopfkissen so, dass er nur mit dem Oberkörper im Bett lag. Er verharrte eine ganze Weile. Plötzlich spürte er eine große warme Hand auf seinem Knie. Marek wusste schon wer es war, ohne die Person neben sich auch nur anzusehen, folglich blieb sein Gesicht weiterhin im Kissen versteckt. „Jetzt hab ich dir die Sommerferien versaut, hm?“, sprach eine sanfte raue Stimme. Mit einem Auge schielte Marek nach der Person neben sich. Wie vermutet war es sein Onkel oder wie er ihn auch immer bezeichnen sollte. Dieser lächelte ihn traurig an. „Ich hab dich am Fenster gesehen.“ „Na und?“, nuschelte er trotzig ins Kissen. „Du willst doch sicher wissen was los ist.“ Als stummes Zeichen des Interesses setzte sich Marek zögerlich wieder aufrecht und schaute auf das Klavier ihm gegenüber. „Ich....ich kann mir vorstellen, dass dich deine Mutter nicht so behandelt wie du es eigentlich verdient hättest. Tragischerweise habe ich das erst heute miterleben können. Es war mit deinem Vater und deiner Mutter so abgesprochen, dass wir kein Wort darüber verlieren aber nun ist er unvermeidbar.“ Er seufzte tief „Ich war damals noch jung..., - fünfzehn um genau zu sein- da klopfte es an einem regnerischem Abend an der Tür und Lestine stand vor mir mit einem Neugeborenen im Arm. Sie hatte es im Wald zur Welt gebracht in der Angst ihre Eltern könnten davon erfahren. Ich wusste das es mein Kind war. Ihr stand die Ratlosigkeit genauso ins Gesicht geschrieben wie mir damals, also bat ich meinen großen Bruder das Kind aufzunehmen und wie sein eigenes zu behandeln. Er zog mit seiner deutschen Frau nach Deutschland und erst zehn Jahre später hatte ich das Previleg meinen Sohn ein mal in jedem Jahr, für zwei Wochen, wieder zu sehen.“ Dann herrschte schmerzhaft lange Stillschweigen. Marek starrte weiterhin auf das Klavier mit dem gravierenden Unterschied, dass er mächtig damit zu kämpfen hatte die Tränen zurück zuhalten. Heiser drang er aus ihm hervor: „Du hast mich wie einen räudigen Köter abgeschoben, verlange also nicht das ich dich dafür >Vater< nenne.“ Onkel Louis war geschockt und verärgert. Das hatte ihn hart ins Herz getroffen, man merkte es schon daran dass er anfing schneller und mit Akzent zu reden, so auch deshalb manchmal einen Rückfall in seine Muttersprache erlitt. „Non, c'est ne pas ca!“, schnell korrigierte sich Louis wieder. „Dein Vater bleibt auch dein Vater und deine Mutter deine Mutter, isch will nur sagen, dass Lestine und isch die biologische Variante von beidem sind. Isch habe disch nischt abgeschoben Marek! Eine ganze Woche habe isch mit mir gerungen und überlegt ehe isch disch mit gutem Gewissen meinem Bruder anvertraut habe.“ Marek spürte wie er sich um seine Aufmerksamkeit bemühte und wie nahe ihm das gegangen war. Dennoch würdigte er ihn während des ganzen Gespräches keines Blickes. Er tat geradeso als ginge das alles restlos an ihm vorbei. „Schau misch an wenn isch mit dir rede!“, forderte Louis ihn auf, doch Marek kam dem nicht nach und schaute weiterhin auf das Klavier, wohl bedacht die angestauten Tränen zu verbergen. „Marek!!!“, schrie er, packte ihn an den Schultern und zerrte ihn lieblos zu sich herum. Marek war zu tiefst geschockt, er starrte seinen Onkel an, während ihm eine Träne entwich. Quälend langsam rann sie über seine Wange. „Oh non ... mon fils....“, hauchte Onkel Louis. Die Träne blieb leider nicht unentdeckt. Es tat Louis unwahrscheinlich weh seinen Jungen leiden zu sehen. Auch wenn es nur eine Träne war, innerlich folgten noch viele. Sein Onkel nahm ihn tröstend fest in die Arme. Lange saßen sie so regungslos da. Was drei Minuten waren kam Marek wie eine Ewigkeit vor. Dan setzte sein Onkel leise zu sprechen an. „Wir schaffen das schon irgendwie deine Mutter so hinzubiegen, wie wir das gerne hätten.“ Sein aufmunternder Tonfall erleichterte Marek. Er löste sich von seinem Onkel. „Das wird zwar nicht einfach aber wir schaffen das.“ Louis lächelte seinen Sohn mit feuchten Augen freundlich an. Marek erwiderte es. „Wir wollten uns eigentlich gleich nach dem Francois sein Wasser geholt hat auf zur Flusswanderung machen, aber wenn du nicht willst verstehe ich das vollkommen. Dann verschieben wir sie auf morgen. Das sonnige Wetter dauert noch zwei Tage an, dann soll es regnen also haben wir noch Zeit.“ „Kommt Francois mit?“ „Nein nein, das würde der alte Saré sicher spitzkriegen.“,er schaute auf seine Uhr und runzelte überrascht die Stirn, „Übrigens kommt Francois gleich also zieh dir endlich was an.“ „Geht klar!“ Nur in Unterhosen, wie er jetzt war wollte er ihm dann doch nicht unter die Augen treten. Eine Spur zu gewagt, wie er fand. Louis war noch nicht mal ganz aus dem Zimmer da schlüpfte Marek schon in seine rote Dreiviertelhose und schmiss gleichzeitig sein schwarzes, ärmelloses Noir Desir -Shirt über die Schultern. Daraufhin grinste sein Onkel, blieb kurz vor der Tür stehen und meinte über die Schulter hinweg. „Keine Panik auf der Titanic! Wasser ist für alle da!“ Marek hielt inne. „Haaaa haaaa!“, lachte er aufgesetzt zu ihm hinüber, im nachhinein zog er sein Shirt aber wesentlich langsamer über den Kopf. Sein Onkel verließ indessen laut lachend den Raum. Francois war dabei die Eimer im Bach zu füllen, während Marek in seine Sandaletten vor der Haustür schlüpfte. Sein Onkel tat es ihm gleich. Die Sonne hatte ihren Höchststand erreicht und brannte erbarmungslos auf die ausgedorrten Hügelwiesen des Tals nieder. Selbst die Pferde auf der Koppel legten sich in den Schatten der Bäume. Zeit also für eine Flusswanderung, um die erhitzten Gemüter abzukühlen. Auf der Veranda warteten sie auf Mareks Mutter und Francois. „Wo bleibt Mama denn? Ich will nicht als vertrocknete Rosine enden.“ „Wenn ich das wüsste ,Marek....“, Louis seufzte tief. „Weißt du, ich hab sie mit einer Kerze vor zehn Minuten in den Keller geschickt. Ich bin noch nicht dazu gekommen da unten eine Lampe zu installieren. Hoffen wir also, dass sie auf ihrer Suche nach Schuhwerk heil wieder hinauf kommt.“ „Meinetwegen kann sie da unten verrecken!“ „Eh.“, Louis knuffte ihn in die Seite, „So was sagt man nicht.“, bat er ihn lachend um Anstand. „Ich kann sowieso immer noch nicht verstehen wieso ihr in Die keine Sandaletten gekauft habt. Das will mir einfach nicht klar werden.“ Im selben Moment kam seine Mutter gefolgt von Francois durch die Küche und zeigte triumphierend zwei Sandalen vor. Mit reger Begeisterung applaudierte Marek. „Bravo! Dass ich das noch erleben darf...!“ Seine Mutter stemmte erbost die Arme in die Seiten. Francois hinter ihr lachte unter der geschulterten Eimerkonstruktion, entworfen von Marek auf. „Avez - vous des problémes?!“ da das Wasser fast über den Rand der Eimer schwappte fasste er sich schnell wieder. Marek sah an seine Mutter vorbei um eine Blick auf Francois zu erhaschen. „Hey, Hat dein Opa gestern was zu dem Verband gesagt?“ Francois grinste: „Non, Isch -abe mir -andschuhe angezogen.“ Marek verzog fragend das Gesicht, überlegte einen Moment und wandte sich dann hilfesuchend an seinen Onkel: „Handschuhe im Sommer?....Muss ich das verstehen? Wird sein Opa da nicht stutzig , wenn sein Enkel in der heißesten Zeit des Jahres mit Handschuhen durch die Gegend rennt?“ Der grübelte selbst erst einmal, schüttelte daraufhin nur den Kopf und machte dazu eine verwerfliche Handbewegung. „Verstehe ich nicht -“, mit einem perplexem Lächeln auf den 13. Lippen bemerke er wieder zu Francois an seiner Mutter vorbei: „Komische Familienverhältnisse hast du.“ Francois quittierte es mit einem Grinsen bis zu beiden Ohren: „Oui, je sais!“ Entsetzt drehte sich Marek wieder zu seinem Onkel: „Und das, gibt der auch noch zu!?“, bemerkte er mehr als verwirrt. Sylvie schnaufte genervt dazwischen: „He, quatscht euch hier nicht fest.“,sie deutete mit einer Hand auf die Sandaletten in ihrer anderen, „Ich habe endlich meine Schuhe und würde die jetzt auch gerne benutzen, also können wir endlich diese blöde Flusswanderung machen?“ „Nö“, so Marek kurz und bündig. Sein Onkel ergänzte: „Wir bleiben hier.“, entschloss er sich ernst. Die Sandaletten fielen zu Boden. „WAAAAS???“, kreischte Sylvie fassungslos. Dies war der Auslöser für ein hallendes Gelächter der Männer. Marek hielt sich den Bauch und kugelte sich schon fast auf dem Boden, während Francois nicht wirklich wusste worum es ging und nur aus Solidarität verhalten mitlachte. Der Versuch Sylvie zu schocken war gelungen. Zur Flusswanderung gingen sie natürlich trotzdem. Bevor sie sich an der Straße trennen würden kam Marek eine sensationelle Idee, ohne zu zögern zog er den über Mareks Spontanität verblüfften Francois diskret bei Seite. Francois blinzelte ihm verwirrt mit seinen blattgrünen Augen entgegen. Vertraulich neigte sich Marek zu ihm hinüber, daraufhin kam Francois ihm zaghaft mit seinem Ohr entgegen. Mit abschirmender Hand flüsterte Marek: „Sag mal: >Archäologe<, Francois.“ Wieder blinzelte Francois und formte mit seinen Lippen ein lautloses: „Quoi ?“ „Na: Ar-chä-o-lo-ge.“, fügte er leicht drängelnd hinzu. Die Falte zwischen Francois Augenbrauen vertiefte sich mit seiner fragenden Mimik, währenddessen neigte sich Louis zu Sylvie und beobachtete Marek und Francois in den Augenwinkeln. „Ob die Beiden was im Schilde führen? Was meinst du?“ Doch Sylvie drehte sich von ihm weg und präsentierte ihm ihren hübschen Rücken. „Mit mir brauchst du nicht reden.“ Louis stutzte und schüttelte den Kopf: „Tse Tse Tse-“ Francois trat ein paar Schritte von ihm weg. „Sage erst Warum!“ Sein Blick war voller Skepsis, da Marek sich sein hinterhältiges Grinsen nicht verkneifen konnte. Feige senkte er sein Gesicht und scharte im Sand. Nuschelte kaum verständlich: „Sag mal bitte, Francois.“ Ein langes Schweigen kam von Francois. Als Marek wieder auf sah stellte er fest, dass Francois die ganze Zeit des Schweigens sanft auf ihn nieder gelächelt haben musste. „Was grinst du so?“, erkundigte sich Marek bockig. Der junge Franzose nickte gewisslich, „La discreption corespond tout à fait à toi !“, sah ihn noch einen Herzschlag lang an und wendete sich schließlich von ihm ab. Marek schluckte. Sein Atem stockte. Zu schnell. Das hatte er nicht verstanden. „Was, Wie? Welche Diskriminierung?“,meinte er mehr im rufen als sagen und hechtete ihm hinter her. „Wiederhole das bitte noch mal! Ich hab das nicht verstanden!“ Francois lachte kurz auf, lief jedoch unbehelligt weiter und ließ den um ihn herumwirbelnden Marek links liegen. Auf dem Sandweg trieb Francois, mit Wassereimern beladen einen kleinen Stein vor sich ins Dorf hinab und trennte sich so von Louis Marek und Sylvie. Die drei liefen genau in die entgegengesetzte Richtung. Ungefähr eine halbe Stunde, in der sich Mark fragte was Francois letzter Satz mit diesem undefinierbaren Lächeln bedeutete und sie dem Sandweg in der sengenden Mittagshitze die die Hügel am Horizont erzittern ließ folgten. Bis sie das Provisorium einer Straße verließen und eine steile Böschung zum Flusslauf hinab stiegen. Während sich Marek schon mit jugendlichem Leichtsinn um hervorstehende Wurzeln und Steine abwärts schlängelte, ließ Sylvie sich kurz vor der Böschung zurückfallen. Sie war damit beschäftigt ihr Schuhwerk zu wechseln. Louis wartet auf sie, packte ihre Absatzschuhe in seinen Rucksack, reichte ihr dann seine Hand und half ihr vom Sandweg hinab. Marek, schon weit den Beiden voraus, stakste mit hochgekrempelten Hosenbeinen im kniehohen eiskalten Flusswasser herum. Hinter sich hörte er das Quietschen seiner Mutter, die im unwegsamen Gelänge nicht wirklich zurecht kam und sich wie ein kleines Kind an Louis Arm klammerte. Dass die >Strapatzen< gegen ihre Gewohnheit waren, wurde unüberhörbar deutlich. Marek amüsierte schon beim alleinigen aufschnappen ihrer Dialoge. „Louis, welchen Stein soll ich jetzt nehmen?“ „Den da!“ „Meinst du? Der sieht so rutschig aus!“ „Mach einfach!“ „Oh, oh Louis ich rutscheeee!“ „Dann las mich los! Ich will nicht mit runterfallen!“ „Aaaaaaaah!“ Marek schaute sich nach den Schreihälsen um. „Uuuuuund Tschüss!“ Sein Onkel winkte Sylvie grinsend nach, die auf den Hintern geplumpst, ein paar Meter weiter hinab rodelte. „Ihr amüsiert euch ja prächtig!“, lachte Marek hinauf. „Aber immer doch!“, entgegnete sein Onkel reuelos. Es war eigenartig ... aber Sylvies permanentes Anhimmeln zu Louis, war ab diesem Moment Schnee von gestern. Sie wanderten mit dem Strom. Das großsteinige Flussbett ließ seine Mutter ausrutschen, öfters mal im tieferen Wasser verschwinden und durchgeweicht und nach Luft japsend wieder daraus auftauchen. Onkel und Neffe konnten sich bis Hüfthöhe recht gut über Wasser halten. Ihr Weg erschwerte sich wenn das Wasser zu tief wurde und sie auf kaum benutzte Wanderwege ausweichen mussten, dort zerkratzte ihnen der ein oder andere Strauch die Waden und auch das ging nicht geräuschlos an Mareks Mutter vorbei. Bis ihr Jammern zu einer regelrechten Dauerbeschallung ausartete, alle harmonisch zirpenden Grillen übertönte und in den Schatten stellte. Schon bevor sie die Böschung zum Flussbett hinunter gestiegen waren, war Mark klar, dass seine Mutter nur Ärger machen würde. Genervt legte er einen Zahn zu. Er war auf eine Lichtung gekommen, hatte an großem Abstand zu den Erwachsenen gewonnen, so dass er sie nicht mehr hörte aber als kleine Individuen noch im Wald hinter sich erspähen konnte. Er blieb stehen und beschaute die Gegend um sich herum. Das ausgedorrte, kniehohe Gras wog sich leicht im Wind, unmittelbar neben ihm schlängelte sich der klare Fluss mit beruhigendem Rauschen durch die Landschaft. Jetzt wo Marek nicht mehr im Schatten der Bäume lief, bereitete ihm sein schwarzes Noir Desir – Shirt ein kleines Problem. Es heizte sich unwahrscheinlich auf. Ombléze hatten sie schon längst hinter sich gelassen und in Voraussicht nicht als hechelndes Häufchen Elend dort hin zurückzukehren, zog er sich sein Shirt über den Kopf und klemmte es in seinen Gürtel. Louis und Silvie hatten ihn fast wieder eingeholt, da kam Marek ein Geistesblitz. Er hatte im Stillen Francois Worte Revue passieren lassen und schien sich zumindest an ein Wort genau zurück erinnern zu können. „Discreption!“, rief er und schnellte zu seinem Onkel herum. „Discreption,...Was heißt das?!“ Verdutzt konterte Louis nach kurzer Überlegung „W-Wie kommst du denn jetzt darauf?“ Marek hüpfte hibbelig vor Aufregung auf der Stelle. „Egal! Sag einfach oder ich sterbe!“, drängelte Marek. Louis hustete als er sich an seinem Lachen verschluckte: „Was?“,hob skeptisch eine Augenbraue. „Wegen einem Wort fällt man doch nicht tot um, Marek!“ „Ich schon!“ „Beschreibung, Marek. Discreption heißt Beschreibung.“ mischte sich Sylvie beiläufig, dezent ein, um ihren Sohn nicht weiter leiden zu lassen. So gemein wie sie Louis einschätzte, hätte er nach 10 Minuten noch nicht mit der Antwort herausgerückt. Marek nickte zufrieden, war aber irgendwie nicht schlauer als vorher. Sie gingen gemeinsam weiter. Dann hob Louis wieder zu sprechen an: „Seit wann interessierst du dich den für Französisch, Marek? Das sind mir ja ganz neue Züge.“ Marek zögerte bevor er antwortete: „Na, Francois meinte- “ „Ach Francooooiiiis!“, fiel Louis Marek mit weit ausladender Erkenntnis ins Wort. „Natüüürlich, Da hätte ich auch selbst drauf kommen können.“, das klang so ziemlich aufgesetzt und erntete damit Mareks missachtende Blicke. „Was sollte das denn jetzt bitte?!“ ,stellte Marek seinen Onkel zur Rede, blieb stehen und stoppte die Wanderung. „Der Francois war kurz bevor du hier warst darauf erpicht ein Gespräch mit mir zu führen. Er war ,wie jeden Tag, gekommen um sich das Wasser vom Bach zu holen. Und wollte ganz unverhofft wissen, was du eigentlich für ein Mensch bist und wie ich dich denn so einschätze. Schließlich konntet ihr ja kein, für den anderen verständliches Wort miteinander wechseln.“ Onkel Louis holte Luft. Marek trieb im zum weiteren Ausführen an indem er mit der Hand in der Luft kreisrunde Vortsätze schlug. „Ja, ja! Und weiter?“ „Ich habe ihm berichtet das du ein ganz Netter bist!“ Über das breite Grinsen seines Onkels hinweg spürte er wie das Blut in seinen Arterien zu sieden begann. Sein Onkel setzte mit Begeisterung fort: „Dass du manchmal etwas launisch und schwierig, aber dennoch hilfsbereit und mein allerliebstes - “, er nahm seinen Kopf in beide Hände, verpasste ihm einen dicken Schmatzer auf die Stirn und setzte mit noch ekligerem Grinsen nach: „- Goldstück bist!“ Der brodelnde, rote Koktail schoss Marek mit atemberaubender Geschwindigkeit ins Gesicht. Um die Entblößung seines puderroten Antlitzes zu verbergen zog er schnell sein Shirt aus dem Gürtel und tat so, als würde er sich geschäftig den hartnäckigen Schweiß vom Gesicht wischen. Drehte sich weg, setzte die Wanderung fort und nahm erst die Oberbekleidung aus seinem Gesicht, als er sicher war, dass sämtliche Körpersäfte sich wieder in seine restlichen Gliedmaßen verflüchtigt hatten. Nun konnte er sich auch Francois Lächeln teilweise erklären, es musste durch aus liebevoll gemeint gewesen sein. Aber jetzt war es ihm mehr als peinlich, wenn sich sein Onkel tatsächlich in aller Ausführlichkeit zitiert haben sollte, dann war es... „Nicht auszuhalten!“, rief er aus als gute 20 Meter zwischen ihm Louis und Sylvie lagen. Er entfernte sich immer weiter von ihnen mit einem einzigen Gedanken: Unter welchem Hintergrund war Francois lächeln so elendig lang andauernd gewesen? Ein ganz Kurzes hätte es doch auch getan! Zügig überstieg er große von Moos bewachsene Steine. Er war vollkommen in sich versunken aber übersah keine Kleinigkeit vor ihm und stieg wieder hinein ins seichte Flusswasser um dort seinen Weg fortzusetzen. Sein Sichtfeld war auf einen Punkt vor seinen Füßen zusammengeschrumpft. Er konzentrierte sich auf jeden einzelnen Schritt den er tat und rang dennoch innerlich mit dem Rätzel um Francois Lächeln, das tiefgründiger als das Flussbett war, über dessen Steine er sich nur zaghaft wagte. Seine Aufmerksamkeit wurde von einem kleinen, zappelnden, rot-grünen Etwas erregt das zwischen seinen Beinen hindurch schwamm. Zügig setzte er ihm nach. Bei näherem betrachten entpuppte es sich als Grashüpfer der unfreiwillig von der Strömung erfasst hin und her geworfen wurde. Marek schöpfte das Insekt mit seinen zur Schale gekrümmten Händen aus dem Wasser und setzte es gutwillig auf einen Grashalm an Land. Doch zu früh freute er sich über seine gelungene Rettungsaktion. Der erste Sprung katapultierte das Tier an Marek vorbei wieder zurück ins kühle Nass. Entschlossen setzte Marek dem Grashüpfer nach, der weiter den Fluss hinab trieb. Kaum eingeholt startete er einen weiteren Versuch und setzte das Insekt ein Paar Meter vom Fluss weg auf einen Ast. Sicher dass der Grashüpfer nicht mehr zurück ins Wasser gelangen würde, wendete er sich ab und spazierte wieder zurück. Doch kaum stand er wieder im Fluss, gesellte sich das kleine Tier abermals zu ihm, um weiter strampelnd um die nächste Flussbiegung zu dümpeln und hinter Sträuchern und Steinen zu verschwinden. Bis zu letzt sah Marek dem Tierchen verständnislos kopfschüttelnd nach. „Egal ob Tier oder Mensch, ihr Franzosen seit doch alle gleich. Handschuhe im Sommer, um die sich keiner wundert und selbstmordende Grashüpfer –Würde mich nicht wundern, wenn die Zugvögel hier im Winter nach Norden fliegen. Wie soll man das als Leihe verstehen.“ Lachend schaute er über seine Schulter um nach Louis und Sylvie zu sehen. Doch es verging ihm schnell die Freude als er nichts von ihnen sehen geschweige denn hören konnte. Alles um ihn herum verlor schlagartig an jeglicher Schönheit. Ein unwohles Gefühl suchte ihm in der Magengegend heim, vergleichbar mit einem Beutel Eiswürfel der langsam in ihm hinab rutschte. Schockgefrohren verharrte er. Das Wasser floss um seine Waden. Er war so sehr mit sich selbst und dem Grashüpfer beschäftigt gewesen, dass er gar nicht darauf geachtet hatte wie sehr er sich von Onkel und Mutter entfernt hatte. „Oh nein... Das ist nicht gut.“, unsicher schaute er sich um und musste erkennen das kein einziger Gebirgszug in der Ferne ihm bekannt vor kam. Kein Strauch, kein Baum, kein Felsen, Nichts von alle dem hatte er schon einmal gesehen. „Das ist ... ganz und gar nicht gut!“ Unsicher balancierte er nun gegen die Strömung über das steinige Flussbett. Das einzig Logische war -wenn er die ganze Zeit mit dem Strom gegangen war- nun dagegen zu laufen, um an den Anfangspunkt der Böschung und somit auch der Landstraße, zurückkehren zu können. Der Rest der Heimkehr würde sich von da an selbst erübrigen, war sich Marek sicher. Nun musste er nur noch soweit kommen. Doch auch dieser Anschwall von Sicherheit hielt nicht lange Bestand und wurde von der Strömung quasi mitgerissen, als sich eine Gablung vor ihm auftat. Von hier an zweigte ein kleinerer Wasserarm vom größeren Hauptstrom ab und führte in Süd-westliche Richtung, der Größere geradewegs gen Westen. „Oh wow.... Das wird ja immer besser!“, hielt Marek mit sarkastischem Anklang Selbstgespräch. Sein Blick schwenkte abschätzend zwischen den beiden Möglichkeiten, jene offen vor ihm lagen hin und her. Schließlich seufzte er. „Das hast du ja mal wieder toll hingekriegt. Alle Achtung....“,für diese Glanzleistung gratulierend tätschelte er sich die Schulter. Auch diese Wendung brachte Marek keinen Schimmer Hoffnung und immer noch keine Spur von Louis und Sylvie. Er entschloss sich also auszuruhen, legte sich rücklings auf einen flachen Stein direkt am Ufer, verschränkte die Arme unter dem Kopf und starrte in den tief blauen Himmel über ihm. Gleichzeitig lauschte er in die Umgebung. Vielleicht schreckte irgendwo Sylvies hysterisches Kreischen ein paar Vögel von den Bäumen auf. Nicht nur >vielleicht<,das war gut möglich, wenn nicht sogar sicher, also versucht er über das monotone Rauschen des Wassers hinweg zu hören. Die Zeit verstrich und die Geräuschkulisse von zirpenden Grillen und Wassergeplätscher, sowie das leichte Rascheln der Blätter in den Baumwipfeln, begann auf Marek eine einlullende Wirkung zu haben. Hinzu kam, dass die wohligwarmen Sonnenstrahlen seinen Gesicht streichelten, als sei es die Hand seines Vaters, der sich schon immer rührend um ihn sorgte und Marek als kleinen Jungen mit dieser Geste zu Bett brachte. Ein Zustand, den er viel zu selten erfahren hatte. Sein Vater arbeitete als Restaurateur und war dadurch nur sehr selten zu Hause. Er verlieh denkwürdigen Gemälden, Kirchen oder Schlössern ein frisches, wie auf hochglanzpoliertes Aussehen und immer wenn er nach monatelanger Abwesenheit wieder kam, hatten sie einen Familienausflug zu dieser Sehenswürdigkeit gemacht. Dann hatten die Augen seines Vaters vor Stolz gefunkelt, da er es erst wieder sehenswert gemacht hatte, zu etwas, was es einmal gewesen war und man in aller Pracht und Farbe präsentieren konnte. >Wiso kannst du das nicht einfach mit Mama machen?<, hatte er seinen Vater mit 8 Jahren einmal gefragt. Sie in etwas verwandeln, was sie einmal gewesen war. Auch sie musste doch irgendwo liebevoller gewesen sein. Sein Vater hatte diesen einen Gedankengang von seinem Sohn nicht verstanden und nur gelacht, so war Marek auch nicht weiter erpicht darauf gewesen weiter zu erklären. Denn auch Laurent wurde von Sylvie die glückliche kleine Familie vorgespielt. Was währe wohl passiert, wenn er seinem Vater über seine Geliebte reinen Wein eingeschenkt hätte? Um so mehr hatte Marek die Sommer hier in Ombléze genossen, eine Zeit des Friedens, in der er seinen Vater ganz für sich alleine hatte. Jedoch schlimm war es für ihn dieses Mal gesagt zu bekommen, dass Laurent durch notwendige Restaurierungsarbeiten an einem Gemälde nach Paris musste und somit Marek mit seiner Mutter, die Sommerferien über, vorlieb nehmen musste. Ein Klos machte sich in seinem Hals breit, schnürte ihm kontinuierlich und Stück für Stück die Kehle zu. Letztlich kapitulierte er vor dem innerlichen Aufbäumen einer wasserlosen Welle, die unhaltbar über ihm zusammen brach. .... Tränen fielen auf den sonnengewärmten Stein auf dem er lag und verdunsteten genauso schnell wie sie geflossen und gefallen waren. Mit geschlossenen Augen ließ er seine Trauer langsam nach Außen treten. Sein Lippen zitterte obwohl er nicht fror. Sei Körper krampfte obwohl er keine Angst vor dem Fallen hatte. Weiter flossen die stummen Zeugen seiner über Jahre im Verborgenen gehaltenen Gefühle. Er war verloren, gegenüber dieser inneren Macht, die seinen Willen stark zu sein, für den Moment, unwiederbringlich unter sich begraben hatte. Marek weinte und es gab keinen Anlass es sich zu verkneifen. Niemand sah ihm in seiner Einsamkeit, in die er sich verkrochen hatte. Er hörte und fühlte nichts. Rauschen des Fluss, Flüstern der Winde in den Bäumen und die Lieder der Grillen waren verstummt, die flirrende Hitze in der Luft passé. Lehr und verbraucht schrie seine Seele um Hilfe, ohne Hoffnung je angehört zu werden! Immer tiefer senkte sich die blutrote Sonne dem bergigen Horizont im Westen entgegen und immer unwahrscheinlicher wurde, dass man Marek jetzt noch suchen und finden würde. Es wurde zunehmend kühler. Er hatte sich den restlichen Tag nicht von der Stelle bewegt. Wie zuvor saß er auf der Steinplatte, umfasste seinen nackten Oberkörper und ließ die Beine ins Wasser baumeln. Nun gab es einen Grund mehr zu heulen. Sein Noir Desir-Shirt hatte sich in Luft aufgelöst, zumindest klemmte es nicht mehr in seinem Gürtel. Dazu kam, dass er schrecklichen Hunger hatte,sein Magen spielte praktisch Alleinunterhalter und grummelte ihm unentwegt die Ohren zu, dass Monsieur heute noch kein Mittagessen und Abendbrot hatte. Marek beobachtete den Himmel. Nicht mehr lange und er würde die Hände nicht mehr vor Augen sehen können, aber weiter zu laufen um eine Unterkunft zu suchen traute er sich nicht. Er konnte die Hoffnung nicht aufgeben, dass vielleicht doch noch jemand nach ihm suchte. Überzogen langsam, wurde die feuerrote Sonne von den, versetzt hinter Bäumen und ansteigenden Hügeln, schroffen Gebirgsrücken verschlungen. So sah man ihr sanftes Licht noch eine Weile aufflimmern , bis es von der dicht folgenden Dunkelheit eingeholt und verdrängt wurde. Die Farben der Landschaft verfielen zusehends in tristes Grau. Etwas, was sich für Marek so gut wie jeden Tag abspielen könnte, währe er nicht in der deutschen Großstadt beheimatet. Wenn er dort aus dem Fenster sah, wurde ihm, nicht besonders eindrucksvoll, der Blick auf den Himmel von nackten und langweilig, kahlen Häuserfassaden verbaut. Jetzt, wo das Firmament schwarz war, spürte Marek, und sei es seine Einbildung, dass das ohnehin schon kalte Flusswasser die klirrenden Temperaturen aus Osten, wo die Nacht schon vor dieser waltete, mit sich schwemmte. Marek zog die Beine heraus und presste sie, wie den Rest von sich, an seinen Körper. Angst und Unbehagen bescherte ihm die Gewissheit, dass er diese Nacht mutterseelenallein im Freien verbringen musste. Und das ohne Abendbrot, vermochte sein Magen mit gurksendem Geräusch zu erinnern. Der große, flache, aufgeheizte Stein, auf dem er saß, verlor an Wärme und konnte Marek nicht mehr länger als Lager dienen. Er lief etwas herum aber ohne sich weit von der Flussgabelung zu entfernen. Eine dick mit Moos bewachsene Stelle unter einem knorrigen alten Baum, dessen Äste ab und zu mit Knarren und quietschend davor warnten bald herunter brechen zu können, war vielleicht doch nicht ganz so geeignet aber das Weicheste was er fand. Er lehnte er sich erschöpft, mit dem Rücken an den vom Unwetter gepeitschten, schiefgewachsenen Stamm und ließ sich an ihm heruntergleiten, von Müdigkeit überwältigt schloss er langsam die Augen. Für den ersten Moment schien alles Ruhig. Der Wind hatte sich beruhigt, nur das fließende Wasser war zu hören. An der Schwelle zum Schlaf war auch selbst der Fluss und alles andere, was minimal störte nicht mehr vorhanden. Er hatte seine Ruhe gefunden. Ein Schrei! Unversehens stand Marek hellwach auf den Beinen und starrte zu tiefst geängstigt in die finstere Gegend. Was war das?! Es ging Marek durch Mark und Knochen. In der tükischen Dunkelheit sah er die grauen Bäume unverwandt den Flusslauf säumen und doch gar nichts. Alles andere dahinter war genau so düster wie der sternenklare Nachthimmel. Hektisch schaute er die Runde. Ein leises Rascheln im Gebüsch hinter ihm ließ ihn abermals aufschrecken, in den eiskalten Fluss rennen und herumfahren. Sein Herz raste genau wie sein Atem eher hyperventilierte. Es pumpte unentwegt Adrenalin durch seinen, für einen Jungen sehr zierlichen Körper. Gab es da nicht >die Bestie von Gèvaudan<, die die Menschen damals, Mitte des siebzehnten Jahrhunderts über 4 Jahre lang, in Angst und Schrecken versetzte und Menschen auf bestialische Art und Weise zu Grunde richtete? Das Vieh war zwar nur im Westen der Haute-Loire, im heutigen Lozère, zugange gewesen, aber wer sagte, dass es nicht auch ins Rôhne-Tal gelangen könnte, denn >die Bestie< hatte man nie gefunden und weit war es von dort bis hier her ebenfalls nicht. Von dem Baum vor ihm, an dem er kurz zuvor gesessen hatte, stolperte er ein paar Schritte rückwärts durch das Flussbett. Im letzte unsicheren Auftreten auf einen glitschigen Stein, verlor er das Gleichgewicht,fiel und spürte einen harten Aufprall, es folgte ein unwahrscheinlich schmerzhafter Stich, der seinen ganzen Körper wie ein Blitz durchfuhr und ihn mit allen Sinnen lähmte. Sein Sichtfeld zog sich drastisch zusammen und die Baumkronen über ihm verschwammen schwankend zu geisterhaften Silhouetten, ... lösten sich auf. Plötzlich schwebte der Junge fern ab von dem, was man Bewusstsein nennt .... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)