Strömung zum Prallhang von Lucien_Leclerc ================================================================================ Tag 1 ----- Strömung zum Prallhang by Méridia Ab der französischen Grenze hatte seine Mutter kurioserweise angefangen ausschließlich französisch mit ihrem jugendlichem Sprössling zu reden, doch er hielt das für albern und beruhte weiter auf seiner Muttersprache, deutsch. Die Hitze war unerträglich. Die Kehle wurde gereizt von dem Staub, der durch die unruhige Fahrt aufgewirbelt wurde. Der Kragen seines flattrigen, olivgrünen T- Shirt's konnte nicht weit genug sein. Hin- und her-gerüttelt rutschte er auf dem Rücksitz von Seite zu Seite und um nicht bei dem nächsten Schlagloch aus dem Fenster zu fliegen, hielt er sich krampfhaft am Behilfsgriff , der über dem Fenster neben ihm angebracht war fest. Wahrhaftig, täte er das nicht, würde er über den Straßenrand ( wenn man das überhaupt eine Straße nennen konnte.), den Hang hinab, in das noch weit unterhalb liegende Tal purzeln und unten im Dorf als unkenntlich entstellte Leiche ankommen. Sicherlich würde er und seine Mutter es aber nicht ohne die offenen Wagenfenster aushalten, wollten sie nicht vor Ankunft einem Hitzeschlag erliegen. Knarrend und quietschend quälte sich, der in die Jahre gekommene Renault Clio über die sandige Huckelpiste auch "Landstraße" genannt. Aber das Schlimmste stand ihnen noch bevor. Er wusste es, schließlich fuhr er mit seinem Vater, jedes Jahr im Sommer den gleichen Weg. So weit oben, wie sie sich auf dem Bergrücken befanden, mussten sie auch wieder hinab. Hinab in diese Talsenke, in die man seitlich herabsehen konnte und die dummer weise noch eine halbe Ewigkeit entfernt schien, bedachte man das Fahrtempo dass Madame zurück legte. Seine Mutter fuhr in das erste Mal zu seinem französischem Vetter und war, nebenbei bemerkt auch nicht besonders fahrerprobt . Sie schmiss sich plötzlich aufs Bremspedal, als die unbefestigte Landstraße, hinter der nächsten Biegung in halsbrecherischen Kurven ohne Leitplanken, rapide bergab führte. Das Auto stand. Er lehnte sich leicht zur Seite um den Gesichtsausdruck seiner Mutter einzufangen. Tatsächlich schien sie um einiges bleicher geworden zu sein. Stocksteif saß sie da und umklammerte das Lenkrad. " Ich hab's dir doch gesagt! Aber du hörst ja nicht auf mich und Papa!", fügte ihr Sohn beiläufig von hinten ergänzend zur Situation hinzu. Ohne dass seine Mutter weiter darauf einging schaltete sie in den nächst kleineren Gang und seufzte: " Bonne chance!" zu sich selbst, bevor sie die Höllentour in das verschlafene, französische Bergdorf "Ombléze" fortsetzten. Endlich bog der Wagen über den grauen Schotter in den Hof des kleinen aber feinen Landhauses ein und kam mit einem quietschenden Ächzen zum stehen. Die Hand auf den Mund gepresst viel sie förmlich aus dem Auto und stürzte sich ins nächste Gebüsch. Und der werte Sohn war froh einmal wieder einen Konsens mit seinem Magen gefunden zu haben. Entsinnte er sich richtig, endeten die Erste und die Zwei darauf folgenden Reisen hier her nicht so glimpflich und wie es der Zufall wollte gab er damals sein Mittagessen im gleichen Rosenstrauch ab, in dem seine Mutter gerade lag. Zugegeben. Sein Vater hatte auch die Kurven den Berg hinab wesentlich schärfer und schneller genommen als seine reservierte Mutter. Kaum war er aus dem Wagen gestiegen rief eine rauchige Männerstimme freudig vom Haus her: " Eh Marek! Ich dachte schon ihr kommt gar nicht mehr an!" Sein 1. Onkel kam ihm entgegengestürmt. Er hatte wieder seine zum schreien grüne Garten Schürze an, zwei Arbeitshandschuhe und einen mit Blumengestecken versehenen Damenhut auf dem Kopf. Die ausladende Krempe warf einen Dunklen Schatten auf sein ganzes Gesicht. Diesen Anblick kannte er schon von den Sommern zuvor, nur der Hut war neu. "Salut!", sein Onkel zog ihn zu sich und herzte ihn auf jeder Wange. Diese Direktheit und grenzenlose Herzlichkeit erstaunte Marek an seinem Onkel väterlicherseits immer wieder. Onkel Luis lebte alleine in diesem verschlafenen Bergdorf, dass von den Bergen der französischen Alpen eingekesselt war. Doch der überaus kitschige Damenhut ließ auf anderes schließen. Wahrscheinlich dachte sein Onkel, wenn man schon einmal die rosarote Brille auf hat würde der passende Hut dazu auch nicht schaden. Onkel Luis' Blick schwenkte zum Auto und wieder fragend zu Marek zurück. "Wo - ", doch Marek unterbrach ihn: " Hängt in deinen geliebten Rosenbüschen!" und nickte lässig zu seiner Mutter hinüber, die sich unglücklich mit ihrem langen Sommerkleid im Gewirr der dornenbewehrten Äste und Zweige verfangen hatte. Sein Onkel grinste nur. "Genau wie du damals, Marek!", legte seine Hand flüchtig auf die Schulter seines Neffen, als er an ihm vorbei und zu Marek's Mutter hinüberwandelte. Er errötete leicht und versuchte es mit einem trotzigem : "Zumindest bin ich wider raus gekommen!" zu kaschieren. Onkel Luis und Marek's Mutter machten es sich in der Küche gemütlich und schlürften genüsslich Café au lait, während Marek unfreiwillig den Packesel seiner Mutter spielen musste. Keuchend bugsierte er die letzten zwei Koffer, die Handtasche um die Schulter gehängt, über die Türschwelle, die massive Holztreppe hinauf. Das war zu erwarten! Seine Mutter hatte mahl wieder viel zu viel eingepackt. Für jedes Outfit zwanzig Assessoirs um den Schminkkoffer und ihr Abendkleid nicht zu vergessen. Schon waren es vier. Vier klobige Reisekoffer, ein Kleiderbügel mit Schutzfolie und Kleid, sowie eine einsame Handtasche. Die konnten sich unmöglich alleine in den zweiten Stock bringen. Aber das hatte Marek schon geahnt. Das wurden keine Sommerferien sondern Folterferien. Eigentlich war Marek hier um seinem Onkel bei der Pflege der Rosen zur Hand zu gehen. Doch das roch nach mehr als nur Blumen gießen und beschneiden. Auch wenn ihm Onkel Luis ein Stück weit entgegen kam, indem er Marek immer kurz vor der Abfahrt einen Zehner in die Hosentasche geschoben hatte. Diesmal war seine Mutter Arbeitgeber Nummer zwei, und der ließ schuften ohne Lohn zu zahlen. Wie sich soeben gut demonstrieren ließ. Nicht einmal ein Dankeschön! Manchmal erschien ihm seine Mutter als täuschend echte Reinkanation von der Prinzessin auf der Erbse. Wenn sie nicht Befehle gab, nörgelte sie! Wie sehr wünschte er sich jetzt schon seinen Vater her, den - wenn man schon bei den Märchen war- man ohne Probleme in die Rolle von Aschenputtel stecken könnte. Ruhig, Genügsam, Befehlausführend. Eben das krasse Gegenteil. Fast schon ein kleiner Schoßhund. Das Gepäck der Mutter im Zimmer nebenan verstaut, widmete er sich nun dem, was er den Rest des Jahres immer hinterher geträumt hatte. Sein Zimmer. Mit einem knarren drückte er die metallene Klinke hinunter und die morsche Holztür öffnete sich. Der vertraute Geruch vor sich hin modernden Holzes stieg ihm entgegen. Nichts hatte sich verändert. Das inzwischen verstaubte Klavier mit dem runden Barhocker, das eingelegene Bett an der Dachschräge auf der anderen Zimmerseite, das daneben stehenden Tischchen, auf dem immer -wie auch diesmal- eine halb heruntergebrannte Kerze stand. Schließlich, in der Zimmermitte, der geblümte muffige Teppich. Das große Fenster ihm gegenüber stand sperrangelweit offen und das gelbliche Abendlicht fiel gebündelt hindurch, worin die kleinen Staubteilchen in der Luft umhertanzten. Und um nicht zu vergessen, die an einigen Stellen abblätternde beige 2. Tapete, die sicherlich einmal weiß gewesen war. An solchen Stellen konnte man Teile von massiven Holzbalken erkennen, von denen wahrscheinlich auch der Geruch rührte. Eigentlich völlig altmodisch, aber Marek liebte es. Es vermittelte ihm eine wohlige Geborgenheit. Früher war es das Zimmer seines Vaters gewesen, als die gesamte Familie Mourit noch hier, unter einem Dach gelebt hatte. Marek machte sich daran seine Sachen in dem Bettkasten zu verstauen. Unversehens lag darin ein kleines Buch und zauberte ein Lächeln auf sein Gesicht. Sein Ferientagebuch in das er jeden Sommer in Ombléze arkriebisch genau festgehalten hatte. Ohne sich weiter damit zu beschäftigen legte er seine Sachen mit Sorgfalt darauf, so dass man es, ohne im Bettkasten herum zu wühlen nicht finden konnte. Plötzlich hörte er polternde Schritte die Treppe im Flur hinauf kommen. Schnell schob er den Bettkasten zu, eilte zum Fenster und schaute auf das Festerbrett gelehnt, mit einer vorgetäuschten Geschäftigkeit hinaus. Es Klopfte. Das musste sein Onkel sein. Mutter käme nicht auf die Idee, sich bevor sie hereinkommen würde anzumelden. Und tatsächlich, der Onkel stand in der Tür. Der Damenhut war von seinem Kopf verschwunden. "Unten gibt es selbstgemachte Madeleines, Marek. Komm doch mit runter." Marek druckste etwas: "Hm - ja - Meinetwegen." Wahrscheinlich würde er unten den nächsten Schlachtbefehl seiner Mutter erhalten. Das Auto zu waschen, es unter einem schattigen Baum zu parken, oder vielleicht die Küche auszufegen. Doch den Madeleines seines Onkels konnte er nicht wiederstehen. Noch einmal beugte er sich zum Fenster hinaus und sog die warme Mittagsluft tief durch die Nase ein. Warf nochmal einen Blick auf die Traumhafte Landschaft , in das Tal mit den kleinen verstreuten Steinhäusern. Dann ging er nach unten. Sein Onkel servierte das noch dampfende Gebäck in einer Korbschale und stellte sie in die Mitte des Massivholztisches. Als sich Marek dazu gesetzt hatte und im Moment nur die dampfenden Madeleines im Auge hatte, schnippste ihn sein Onkel zu Besinnung. "Hier spielt die Music." Marek ließ die Madeleines, Madeleines sein und sah sich zu ihm um. Onkel Luis grinste schief. "Ich hab ein kleines Attentat auf euch vor." Marek's Mutter schlug die Beine übereinander und lehnte sich damenhaft zurück. "Das wäre, Monsieur?" Marek musste wieder zu den leckeren vor sich hin dampfenden Madeleines hinüber schielen. Am liebsten hätte er ja gleich losgespachtelt. "Marek, ich weiss dass die Madeleines verlockend aussehen, aber hör mir bitte erst mal zu!", rief ihn sein Onkel verständnisvoll auf. Marek blickte wieder zu seinem Onkel hinüber, packte den Ellenboden auf den Tisch und stützte den Kopf auf die Hand. Jetzt klang die ermahnende Stimme seiner Mutter von der Seite: "Marek! Ellenboden vom Tisch!" Darauf hin verdrehte Marek genervt die Augen , ließ sich wieder zurück sinken und verschränkte bockig die Arme vor der Brust. Schmollend blickte er zu Boden. Seine Mutter wurde lauter:"Marek!" Luis winkte ab. Ach, lass nur Sylvie, der fängt sich wieder." Marek erwiderte ein leises Schnaufen. "Es geht darum, dass ich euch fragen wollte, ob ihr nicht Lust zu einer Flusswanderung habt?" Marek horchte interessiert auf. Blickte sich erwartungsvoll zu seiner Mutter um. Allerdings schien die jetzt ein Problem damit zu haben. Sie schlug nachdenklich die Augen nieder und klopfte mit den langen lackierten Fingernägeln nervös auf den Tisch. "Mama?", hakte Marek nach. Sie blieb wortlos. Plötzlich prustete Marek heftig. Er wusste genau was los war. Er lehnte sich weit zu seiner Mutter hinüber und schaute sie eindringlich mit einem breiten Grinsen an. "Du hast keine...", zog die rechte Augenbraue nach oben, "...passenden Schuhe mit, Stimmt's?" Sylvie, stierte von Marek weg in Richtung Fenster. Marek feigste heftig. Lief schon rot an. Schlug mit der Rechten auf den Tisch, das die Tassen und Teller darauf klirrten."Ich wusste es! Du hast nicht die richtigen Schuhe mit!",rief er laut amüsiert aus, "X Designer-Schuhpaare. Aber keines in dem man vernünftig 3. laufen kann!" Sylvie's Sohn schmiss den Kopf in den Nacken und lachte kraftvoll und bekam sich kaum noch ein, krümmte sich über den Tisch und fiel wider zurück. Er wirkte schon fast verrückt, wie er sich windete, den Bauch hielt und immer mehr Farbe bekam. Seine Mutter schaute dem kommentarlos zu und verschränkte, wie Marek zuvor, die Arme vor der Brust. Luis musste sein Lächeln hinter einer Hand verbergen. Marek's Lachen wurde unnormal schrill. Sylvie starte ihren Schwager fassungslos an. "Luis, was gibt's da zu lachen?!" Er zuckte ahnungslos mit den Schultern. "Och....", kniff die Augen zusammen und wurde rot. Genau in diesem Moment waren Marek und Luis wohl charmanter als ein Stacheldrahtzaun. Sie lachten Sylvie förmlich nieder und waren sich einiger als je zuvor. Nun stand sie verärgert auf. Stakste mit klingendem Pfennigabsatz an Marek und Luis vorbei, die Treppe hinauf. Marek rief ihr tröstend hinterher. "Och Mama! Nu sei doch nicht...." Doch da hörte man schon die Tür von oben ins Schloss fallen. Für einen Herzschlag herrschte in der Küche Totenstille, so das man den Wasserhahn vor sich hin tropfen hörte. "Das war nicht gut.", warf Luis trocken ein. "Nein.....das war es wirklich nicht.", kam theatralisch, bedauernd von Marek zurück. "Meinst du das sie heute noch mal runter kommt?" Marek schüttelte den Kopf und hatte wieder normale Farbe bekommen. Onkel Luis seufzte. "Bon.", stand auf und angelte sich eines von den nun kalten Madeleines aus dem Korb. "Dann wünsche ich bonne appetit." Marek hatte sich das erste Madeleine schon vollständig in den Mund gestopft. "Märschi.", nuschelte er. Onkel Luis lächelte auf. "M-E-R-C-I, Marek! M-E-R-C-I, heißt das!", berichtigte ihn Louis mit einer vornehmen Handbewegung und Beide kicherten noch eine Weile. Auf dem Dachboden hörte man es gelegentlich dumpf rumpeln. Marek und sein Onkel hielten inne als man es dann dazu noch fluchen hörte. Marek quittierte es mit einem: "Ich glaub sie sucht Schuhe." Wieder lachten Beide auf und ließen so den Abend harmonisch ausklingen. Als alles schon schlief und die Schwarze Nacht über Ombléze herein gebrochen war,schrieb Marek auf seinem Bett bei fahlem Kerzenlicht in sein kleines rotes Urlaubstagebuch und notiert darin den ersten Tag bei seinem Onkel. Die Kerze brannte langsam nieder und als sie letztlich erloschen war, war Marek über seinem Buch eingeschlafen. 4. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)