Alle tanzen mit dem Tod von Ange_de_la_Mort ================================================================================ Alle tanzen mit dem Tod ----------------------- Liebe … Ein solch simpel klingendes Wort, das in seiner Bedeutung jedoch alles andere als einfach bezeichnet werden kann. Vor allem dann, wenn einem die Liebe völlig fremd erscheint. So wie ihm. Er kennt die Liebe nicht, hat sie nie verspürt. Weshalb auch? Sie passt nicht in sein Wesen, passt nicht zu seiner Bestimmung. Er ist nicht entstanden, um zu lieben. Und dennoch … Sie beobachten ihn häufig, wenn er sich seine Gedanken um die Liebe macht, wenn er das kleine Wort gedankenverloren ausspricht, es sich auf der Zunge zergehen lässt, wenn sein Blick in die Ferne schweift. Selbstverständlich weiß er von ihrer Anwesenheit – er hat Kenntnis von jedem Geschehen, das sich abspielt; sei es in seiner Welt oder in der der Menschen –, doch er schickt sie nicht fort. Sie stören ihn nicht, im Gegenteil: Ihre Anwesenheit führt ihn in die Normalität zurück. Liebe … Einer von ihnen formt das Wort mit den Lippen. Einen Augenblick später folgen sie alle diesem ersten Impuls, testen die Bewegungen aus, die Lippen und Zunge durchlaufen. Doch sie sind nicht in der Lage, das Wort erklingen zu lassen. Der Klang, die Resonanz dieser Töne ist nicht für sie bestimmt. Im Gegensatz zu ihm würden sie nichts bei diesem Wort empfinden; dazu ist ihnen das Konzept zu fremd. Das einzige, das sie verspüren, was in ihren Körpern, ihrem Geiste vibriert und widerhallt – dumpf, statisch, ein Echo eines Gefühls –, ist sein Schmerz, das Leid, das ihm dieses Wort bereitet. Wenn er leidet, leiden sie mit ihm. Liebe … Liebe ist ein Gefühl, welches den Menschen vorbehalten ist. So sollte man zumindest annehmen. Aber was sagt das dann über ihn aus? Und über sie? Es geschieht nicht häufig, dass sie sich solche Fragen stellen. Normalerweise sind sie damit genügsam, ihre Aufgabe zu kennen, ihm zu Diensten zu sein. Doch manchmal neigt einer von ihnen leicht das Haupt zur Seite und überlegt. Einen Moment lang geschieht nichts, doch dann springt der Gedanke des einen auf sie alle über. Aus dem Gedanken formt sich eine Idee und die Idee wird zu einer Antwort, die sie alle zufrieden stellt. Wichtig ist nicht, was sie sind, sondern dass sie sind. Wichtig ist, dass er ist, dass er sie braucht. Denn wenn er nach ihnen verlangt, sind sie da, um ihm zu dienen. Liebe … Sie wagen es nicht, das Wort laut auszusprechen. Sie könnten es nicht einmal, selbst wenn sie wollten. Die Gabe des Sprechens ist ihnen nie zuteil geworden. Das bedrückt sie nicht. Sie brauchen keine Worte, um sich untereinander zu verständigen. Sie sind eine Einheit, ein Wesen, eine Aufgabe. Sie wissen nicht, woher sie stammen. Sie wissen nicht, ob er sie erschaffen hat. Doch … eines ist ihnen seit dem Anbeginn der Zeit bewusst: Er ist ihr Meister, er war es schon immer, er wird es bis in alle Ewigkeit sein. Sie sind seine Engel, seine Helfer, seine Diener. Er hat sie geformt und gelehrt. Er ist es, der ihnen ihren Namen gegeben hat, der ihnen einen Sinn in ihrer Existenz geschenkt hat. Er ist alles für sie. Er ist allmächtig, allwissend, allumfassend. Es beunruhigt sie, ihn so gefühlsbetont … so menschlich zu sehen … Liebe … Sie beginnen, das Wort zu verabscheuen. Es hat ihren Meister verändert, lenkt ihn ab. Er vernachlässigt seine Pflichten, mischt sich in das Leben der Menschen ein, obwohl er das nie getan hat, nie tun wollte, nie tun sollte. Zum ersten Mal seit dem Anbeginn der Zeiten haben sie einen Grund, Kritik an ihm zu äußern. Sich zu fragen, wie sie dafür sorgen können, dass er sich wieder normal benimmt, so, wie es sich für ihn gebührt. So, wie sie ihn kennen. Und nicht so, wie es sie beschämt, ihn zu sehen. Liebe … Sie hält ihn gefangen, lässt ihn nicht mehr los. Es erschreckt sie immer wieder, wenn sie sehen, wie er Fehler macht, abgelenkt ist, seine Zeit mit den Lebenden verschwendet, statt sie den Todgeweihten zu widmen. Einer von ihnen beschließt, etwas zu unternehmen. Der Engel nimmt seinen ganzen Mut zusammen und nähert sich seinem Herrn und Meister, kniet vor ihm nieder, wie es sich geziemt. Als sein Meister ihn fragt, was er begehrt, schweigt er, schweigt sogar in seinen Gedanken, denn ihm ist es selbst nicht völlig klar. Schließlich jedoch fasst er einen Entschluss und erhebt sich, betrachtet seinen Meister einen Moment lang – und dann beugt er sich nach vorne und küsst ihn auf die Lippen. Ein wohliger Schauer durchläuft seinen Körper. Und nicht nur den seinen, denn ein jeder der Engel spürt diesen Kontakt, diese Berührung. Ein jeder von ihnen erhält das Gefühl, selbst derjenige zu sein, der mit seinen Fingern durch blondes Haar streicht, der mit seinen Lippen blasse Haut liebkost. Ein jeder von ihnen lernt in dieser Nacht, seinem Meister auf eine ganz besondere, zuvor unbekannte Art zu dienen. Und schließlich wird ihnen doch eines klar … Wenn er liebt, lieben sie mit ihm. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)